Die Trauerfeier in Friedrichsruh
[578] Die Trauerfeier in Friedrichsruh. (Zu den Bildern S. 553, 557, 578, 579 und 580.) Die tausendfältige Totenklage, welche der Trauer der Nation um ihren dahingeschiedenen Einiger herzergreifenden Ausdruck gab, hat bei allen Völkern der Erde das lebendigste Echo geweckt. Der Wiederhall von Bismarcks Ruhm erfüllte helltönend das Erdenrund, als abseits im stillen Sachsenwald, in dem schlichten Sterbezimmer zu Friedrichsruh, sein leiblich Teil von liebenden Händen dem Sarge zur ewigen Ruhe überantwortet wurde. In tiefer Stille und im engsten Kreise vollzog sich auch die Trauerfeier am Sarge, die sich nach den letztwilligen Anordnungen des großen Toten streng im Rahmen einer Familienandacht hielt und bei welcher allein das Kaiserpaar das trauernde Reich vertrat.
Gemäß der Sinnesart des Fürsten, die allem Schaugepränge zeitlebens abhold war, gemäß auch jener Stimmung seines Gemüts, die ihn in den acht Jahren seit seinem Rücktritt zum „Einsiedler von Friedrichsruh“ werden ließ, hatte er die Bestimmungen für sein Begräbnis getroffen. Vor allem aber war er dabei von dem Wunsche geleitet worden, mit seiner innig geliebten, ihm im Tode vorangegangenen Frau dieselbe Ruhestätte zu teilen. Als ihm am 27. November 1894 zu Varzin der Tod die treue Lebensgefährtin raubte – ein Verlust, den er niemals verwinden konnte –, da ließ er deren Sarg in einem zur Kapelle hergerichteten Gartenhäuschen im Park von Varzin beisetzen mit der Bestimmung, daß nach seinem Tod ein gemeinsames Mausoleum diesen Sarg und den seinen umschließen solle. Damals hatte er für die Errichtung des Mausoleums den Park von Schönbausen ins Auge gefaßt; inzwischen wählte er dafür einen Platz in der Nähe des Herrenhauses von Friedrichsruh: die diesem gerade gegenüber liegende waldumsäumte Anhöhe, auf welcher die prächtige Hirschgruppe Aufstellung gefunden hat, die als Geschenk von Anhaltiner Verehrern zum achtzigsten Geburtstag des Altreichskanzlers nach Friedrichsruh gestiftet worden war. „Hier ist’s wohl paßlicher,“ meinte er, „denn in Schönhausen bin ich doch eigentlich schon lange ein Fremder.“ Auch seine Grabinschrift hat der letzte Wille des Entschlafenen festgestellt, in Worten von lapidarer Einfachheit, die ein ergreifendes Bekenntnis bergen; sie lauten: „Fürst Bismarck, geboren 1. April 1815, gestorben .…., ein treuer deutscher Diener Kaiser Wilhelms des Ersten.“
In pietetvoller Erfüllung der Wünsche ihres heißgeliebten Oberhauptes hat die Familie sich an seine Anordnungen gehalten. Als in der Nacht vom 30. Juli der Tod für immer die mächtigen Augen geschlossen hatte, deren leuchtender Glanz im Leben Unzähligen Quell der Begeisterung war, als der treue Leibarzt Schweninger, der das kostbare Leben des großen Kanzlers der Nation so lange zu erhalten wußte, die furchtbare Gewißheit seines Hinscheidens festgestellt hatte, da wurden von Bismarcks ältestem Sohn, dem nunmehrigen Fürsten Herbert, sogleich die erforderlichen Schritte gethan, um die Ruhe des Toten vor jeder Störung zu bewahren. Forstbeamte von Friedrichsruh hielten abwechselnd am Sterbebette die Totenwacht, bis sie am 1. August von den Halberstädter Seydlitzkürassieren abgelöst wurden, welche auf Befehl des Kaisers zum Ehrendienst am Sarge ihres verstorbenen Chefs erschienen. Nur wenigen bewährten Freunden des Hauses, darunter dem Maler Franz Lenbach, der uns die Heldenzüge des Lebenden in immer neuer Auffassung so wunderbar lebensvoll dargestellt hat, und einzelnen Würdenträgern, war es vergönnt, das Antlitz des Toten zu schauen, dessen Anblick um so ergreifender wirkte, als ein täuschender Schein des Lebens seinen milden Ausdruck verklärte. Fürst Hohenlohe, der am Abend des 1. August aus Berlin eintraf, um dem von ihm so hoch verehrten Vorgänger zu huldigen, wurde Zeuge der Verlötung des Sarges, welche der Einwirkung der Luft auf die durch Geheimrat Schweninger und Dr. Chrysander einbalsamierte Leiche vorbeugen sollte.
Erst am dritten Tage nach Fürst Bismarcks Tode konnte Kaiser Wilhelm II in Friedrichsruh eintreffen. Als er die Nachricht von dem welterschütternden Ereignis empfing, befand er sich auf seiner Nordlandreise im Hafen von Bergen. Die Flagge der „Hohenzollern“ wurde sofort auf Halbstock gesenkt und der Befehl zu schleuniger Rückkehr gegeben. Unter dem Ausdrucke seiner tiefen Ergriffenheit eröffnete der Kaiser dem Fürsten Herbert telegraphisch, daß er beabsichtige, dem großen Toten im Dome zu Berlin an der Seite seiner Vorfahren die letzte Stätte zu bereiten. Gleichzeitig ließ er an das Reichsministerium des Innern die Weisung ergehen, eine große Trauerfeier auf dem Berliner Königsplatz ins Werk zu setzen, für welche auf dem Mittelrund der Auffahrt des Reichstagsgebäudes ein großer Katafalk hergerichtet werden sollte. Gegenüber den letztwilligen Verfügungen des Fürsten war dieser Plan, den großen Helden der Nation öffentlich im [579] Tode zu ehren, nicht auszuführen. Die Beisetzung des Sarges in dem noch zu erbauenden Mausoleum wird zu einer nationalen Totenfeier in den vom Entschlafenen gewünschten einfachen Formen wohl in einigen Wochen Gelegenheit geben. Der Kaiser beschränkte sich jetzt auf die Veranstaltung der kirchlichen Totenfeier, die am 4. August in der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche zu Berlin unter Anwesenheit des Kaiserpaares, der Prinzen des königlichen Hauses, der Vertreter der Bundesregierungen, der höchsten Würdenträger des Reichs- und Staatsdienstes, der Geistlichkeit, der Armee und der Flotte, und der Delegierten des Reichstages, des preußischen Landtages und der städtischen Behörden stattgefunden hat. Vorher aber eilte der Kaiser nach seiner Ankunft in Kiel, wo er die Kaiserin traf, mit dieser am Nachmittag des 2. August nach Friedrichsruh, um an der Trauerfeier der Familie am Sarge des Fürsten teilzunehmen. Dieselbe bestand in einer Ansprache des in Friedrichsruh zuständigen Geistlichen des Dorfes Brunstorf, Pastor Westphal, welcher der gemeinsame Gesang von Chorälen vorausging und nachfolgte. Der schlichte Raum, der dem Verstorbenen bis zum Tod als Schlafzimmer gedient hatte, war im Laufe des Tages schwarz ausgeschlagen worden. Der Sarg stand ungefähr an derselben Stelle, wo das eichene Bett des Fürsten gestanden hat, in dem er seinen letzten Atemzug that. Eine kleine Gruppe von Koniferen, Buchsbaum und Lorbeer umschloß das Kopfende des auf einem Katafalk ruhenden Sarges. Zwei kunstvolle zwölfarmige silberne Leuchter erhoben sich zu Häupten desselben, zu Füßen brannten zwei mächtige Altarkerzen, deren rötlichgelbe Färbung gegen das blendende Weiß der Stearinlichter auf den Leuchtern in dem nach außen verhangenen Raum merkwürdig abstach. Vier große Kränze bedeckten den Sarg, die von Angehörigen der Familie stammten; unterhalb des Sarges hatte der Kranz eine Stelle gefunden, welchen Fürst Hohenlohe überbracht hatte. Nach dem Betreten des Raumes legte der Kaiser den von ihm mitgebrachten Kranz nieder.
Trotzdem die Kunde von der strengen Absperrung der Todesstätte sich schnell verbreitet hatte, war das stille Friedrichsruh während dieser Trauertage zum Wallfahrtsort für viele Tausende geworden. Nicht bloß aus der näheren Umgebung und Hamburg – auch aus weiter Ferne waren sie gekommen, um ihre Blumenspenden für den Sarg persönlich zu überbringen. Unser Bild auf S. 553 stellt die Ansammlung derjenigen dar, die am Sonntag Morgen unter dem ersten Eindruck der Todesnachricht vors Schloß gekommen waren. Bereits am Sonntag Mittag hatte die sofort verfügte Absperrung des Hauses für das größere Publikum einen militärischen Charakter erhalten; hinter dem Gitterthor, durch das bei den regelmäßigen Spazierfahrten des Kanzlers der Austritt des fürstlichen Wagens erfolgte, stand ein Doppelposten der vom Altonaer Infanterieregiment Nr. 31 eingetroffenen Ehrenkompagnie, während vor dem Eingang ins Schloß später Seydlitzkürassiere Wache hielten. Von den Vorgängen im Innern drang kein Laut zu der harrenden Menge, die in ernster würdiger Haltung nicht müde wurde, vor dem Portal zu stehen. Die untenstehende Abbildung zeigt uns nach einer Augenblicksaufnahme Gruppen von Leidtragenden vor dem Schloßpark, in der Mitte, sich mit mehreren ihm bekannten Herren unterhaltend, Bismarcks berühmtesten Maler, Lenbach, der sofort nach Empfang der Trauernachricht aus München herbeigeeilt war. Auch die gegenüberliegenden Höhen jenseit der Bahn waren am Tage der Trauerfeier, am 2. August, dicht besetzt.
Schon am Sonntag trafen ganze Wagenladungen von Kränzen und Sträußen mit der Eisenbahn ein, und mit jedem Tage wuchs dieser Blumenflor, der bald alle Zimmer, die zu dem düsteren Sterbegemach führten, mit Duft und Farbenglanz füllte. Prachtvolle Aufbauten der Blumenbindekunst, riesengroße Kränze aus Lorbeer und Eichenlaub, an Rosen und Orchideen das Kostbarste, was die Zucht unserer Gärtner hervorbringt, Edelweiß, Gentianen und Alpenrosen aus Deutschlands Hochgebirgen, prangten neben schlichten Immortellenkränzen, welche die Liebe und Anhänglichkeit von ländlichen Bewohnern des Sachsenwaldes an den Gutsherrn zum Ausdruck brachten. Unter den Absendern war jeder Rang und Stand vertreten: in hohem Maße beteiligten sich die Deutschen im Ausland an diesen Liebesbeweisen. Als das Schloß keinen Raum mehr zur Aufnahme bot, erfolgte die weitere Aufstellung auf der großen Rasenfläche vor dem Schloßeingang im Park, deren Grün sich schnell in einen prachtvollen Blumenteppich umwandelte. Dann ging man daran, das Schloß selbst mit einer Art Blumenhecke zu umziehen, indem die weiter eintreffenden Kränze und Palmenzweige rings an die Hauswand gelehnt wurden. Unser Bild auf S. 557 versetzt uns inmitten dieses Liebeswerkes unter den gewaltigen Linden, die den Platz überschatten. Der Duft all dieser Blumen und Zweige umquoll wie eine Wolke von Opferrauch die Stätte des Todes, ein Liebesopfer der deutschen Nation, dargebracht dem teuren Helden, der sie zum Reiche geeint und zu Macht und Ansehen emporgeführt hat.
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