Die Tübinger Schloßlinde
Und wie sollt’ ich dein vergessen,
Du getreue Musenstadt,
Die mein ganzes Herz besessen
Und mich wohl gepfleget hat.
Könnt’ ich gar viel Leid und Freud’,
Doch, nicht ist’s aus fernen Tagen,
Ach! mir ist, als wär’s erst heut!
Aber heute gieb mir Kunde
Als dich von dem schwäb’schen Bunde
Ulrich, unser Herr, befreit.
Zwar er kam in schwerem Zorne,
Schlug dir ein dein zagend Schloß,
Standen auf den Trümmern bloß.
Doch er hat es neu erbauet,
Stark und fürstlich es erhöht;
Blickt, ihr Enkel, auf, und schauet,
Ritt der Herzog mitten ein,
Hoher Rath der weisen Männer
Zog gemächlich hinterdrein.
Dicht in Mantel und in Bart,
Sah man Hut und Degen schwenken
Den Studenten alter Art.
Vor den Thoren vom Barette
„Wachs’ und blüh’ an dieser Stätte
Als ein Bäumlein grün und weiß!“
Keiner wagt es drauf zu treten,
Frommer Boden hüllt es ein,
Geht der Zug zur Burg hinein.
Als sie funfzehn Jahr gestanden,
Sah’n schon alle Steine grau,
Vieles hatten überstanden
War gezogen durch das Land,
Doch am Thor die steinern’ Ritter
Hielten unbezwung’nen Stand.
Rauschte freudiglich darein,
Als von Fürstenhand erkoren,
Freie Wächterin zu seyn.
Rauscht’ und blühte funfzehn Jahre,
Der den Herzog auf der Bahre
Von dem treuen Schlosse nahm.
Mit der welken Blätter Zittern
Flüsterte sein Baum darein,
Jetzo schien es erst von Stein.
Lehrer viel und Schüler wallen
Durch die Straßen schleichend bang,
Aus den Sälen, aus den Hallen
Doch die graue Landesveste
Zeuget noch von ihrem Herrn,
Hätten gleich die fremden Gäste
Sie zerstöret gar zu gern [1].
Seit manch hundert Sommern gut,
Ziert mit grüner Zweige Schimmer
Manchen freien Musenhut.
Horch, sie rauscht im Abendwinde,
Komm’ und pflück’ von deiner Linde
Einen frischen Blüthensproß!
- ↑ Die Franzosen im Jahr 1688.