Die Seele - Fortsetzung
ein philosophisches Gedicht
in drey Gesängen.
(vergl. Thalia IIItes Heft vom Jahr 1792.)
Empfindung, ewigreiche Quelle
Der an die Sinnlichkeit geknüpften Lust und Pein,
Du wirfst in treuer Spiegelhelle
Zurück der Dinge Wesen oder Schein,
Der Tugenden und Laster wohnen:
Wer mißt dich aus? Weß Aug ergründet ganz
Die magischen geheimen Spiele
In dir, die Zauberwelt der wechselnden Gefühle,
Und jetzt ihr regellos Gewühle.
Hier sprosset Freundschaft, keimet Liebe
Und Hochgefühl mit jeder edlen That
Bewunderung: Hier sproßt die schöne Saat
Die, wuchernd durch Vernunft, der Menschheit sich allein,
Fremd niederm Eigennutze, weihn.
Du Angeld auf ein beßer Land,
Sey, hohe Freundschaft, mir gesegnet,
Durch gleichen Sinn geweckt, der Geist dem Geist begegnet!
O süsser Tausch, in Wesen seiner Art,
Wenn Seel’ und Seele sich zum hohen Bunde paart,
Sich mit den leisesten Gefühlen wieder finden,
Wo du mit deinem Götterblick,
O Freundschaft, weilst, da weilt des Himmels Friede,
Da weilt mit allen Segnungen das Glück,
Und manche That, die in der Nachwelt Liede
Und hebst ihn über sich empor,
Lehrst niedere Begier ihn unter sich bezwingen,
Und öffnest ihm der Ehre Thor:
Das junge Leben wird durch deinen Reiz erhöhet,
Gehn schöner auf; von deinem Hauch umwehet,
Lacht himmlischer vor ihm der Zukunft Zauberland.
Der Vorwelt herrliche Heroen,
Die Theseus und die Pirithoen,
Auf welchen Blut und Wein die ernste Weihe war,
Den Todesbund durch dich für drohende Gefahr,
Für Noth und Tod: dann stürzten sie die frohen
Verschlungnen Seelen in die kühne Schlacht,
Es schwang der Sieg den goldnen Flügel
Ob ihrem Bund, es ehrte selbst das Glück
Die Tugend hier mit der Belohnung Blick:
Da scholl’s die Thal’ hinab, da rauscht’ es durch die Hügel:
Triumph dem neuen Brüderband!
O Wonne! stieg einst zu der Erde Söhnen
Die Liebe an der Freundschaft Hand,
Und hell in nie bemerkten Tönen
Erklang die Luft und jedes Herz umher,
Und alle Seelen fühlten himmlischer.
Wo Liebe, von den jungen Horen
Sie ihren Morgenstrahl, den Tag der Seeligkeit
Herab in junge Herzen streut,
Hat seine Macht das Glück und selbst der Tod verloren.
Des Lebens neue Schöpfung hebet an,
Ein süsser nie gefühlter Wahn,
Der mehr als Wahrheit gilt, reißt uns jetzt himmelan,
Und scheint der Seele Fittiche zu dehnen,
Und an der wachsenden Begier,
Siehst du die Schöpfung sich in jungem Reiz erneuen:
Ein Paphos wird die Erde dir,
Es strahlt in schönem Wiederscheine,
In mildern Lichte die Natur,
Und, neu und magisch, bannt dein Auge dir die Flur;
Der Bäume Grün scheint dir zu leben,
Melodischer entzückt dein Ohr das Waldgetön,
Den Himmel hat ein luftig Gold umgeben,
So ists dem Wanderer, der lang
Durch Nacht und Ungewisheit irrte,
Wo, unterbrochen nur von heischerem Gesang,
Das Graun der Einsamkeit, der Nebel ihn umflirrte,
In jugendlicher Kraft den dunkeln Hain durchbricht,
Und Tag und Himmel liegt neu vor ihm aufgeschlossen:
In jedem Zauberreiz hold, wie ein Feenland,
Das goldner Schimmer übergossen,
Hat eine zauberische Hand
Den Schleyer ihm vorm Auge weggezogen?
Vom süssen Sinnenspiele süß betrogen,
Ists ihm, als hätt’ er dieses Land,
Die ihr an reine Liebe nimmer glaubet,
Die ihr, versenkt in thierisch-niedre Lust,
Hinweggerissen von der Wahrheit Brust,
Der Güter köstlichstes euch selber früh geraubet,
Was konnte je den Geist zu solchem Thatenleben
Beflügeln und zum Göttlichsten erheben,
Wie es der Gott in uns, der Liebe Geist gethan?
Du trauriger! der nur sich selber lieben kann,
Stehst du! Wie gähnet dich die schöne Erde an,
Und der Natur Konzert ist Mißlaut deinen Ohren!
Diotime! wie spricht an meine Seele
Dein holder Name süß, wie Klang der Philomele!
Durch heilige Symbole hat
Die Göttin einst in Wort und That
Uranie zu dir gesprochen:
Dir hat sie ihrer Liebe Rath
Und ihre himmlischen Mysterien entfaltet:
Was du im Heiligthume dort gehört,
Hast du, mit deiner Pytho Feuer,
In lichter Bilder schöne Schleyer
Neigt Herz und Ohr dem Liede her!
Ich sing’ euch ihre schönen Kunden,
Die sie in hohen Weihestunden
Vernahm durch die Olympier.
Beherrschten noch die Welt, es schlangen noch die Bande
Des Friedens und der Einigkeit
Nicht um die Menschen sich, es raste noch der Neid,
Es schwärmte wild umher die zügellose Schande,
Die Selig-müssigen, die Götter selber lagen,
Versucht von manchen harten Plagen,
Mit sich und mit den Riesen oft im Kampf:
Wer hörte nicht der Vorwelt grause Sagen,
Aus Mangel und aus Wesen schuf die Zeit
Den Gott der Liebe dann, und zur Geselligkeit
Ward Erd’ und Himmel jetzt neu durch den Gott geweiht:
Der Friede schüttelte sein duftendes Gefieder;
Zur neugebornen Menschheit nieder.
In Garten Jupiters war einst, von Nektar trunken,
Des Ueberflusses Gott in süssen Schlaf gesunken:
Schwühl war die Luft, ein naher Lorberhain
Krystallen unter ihm floß eine Murmelquelle
Der Grotte Dämmergrün verwehrte mild das Licht,
Und linder West umfächelte die Welle,
Umfächelte des Gottes Angesicht,
Dem jugendlichen Bacchus gleich,
Die Adern sanft geschwellt vom weinerhitzten Blute,
Vom sel’gen Nichtsthun ruhte.
Von Schlummer leicht entstrickt die Glieder,
Wie Eppich, sein Gelock in losen Ringeln nieder;
Sein Athem wehete die Hauche süsser Luft.
Wars Absicht oder Ungefähr?
Die Mangelgöttin kam hierher,
Und konnte sich nicht satt am schönen Schauspiel sehen;
Durch ihre Adern zückt der Wollust süsse Pein,
Zum seelenwechselnden zum innigsten Verein
Pocht an die volle Brust ihr höher das Verlangen.
Die Rose fächelt, wehet lind
Ihr Kuß auf Poros Rosenwangen:
Schon ist der Gott erwacht und hält sie froh umfangen,
Und drückt mit ungestümmer Lust,
Und in Entzückungen sind beyde jetzt verlohren:
– Die süsse Stunde hat der Liebe Gott gebohren.
Unausgesungne wunderbare Kraft!
Dein Genius mich fortgerafft.
Dich Mutter hoher Ideale,
O Phantasie, an deinem Sonnenstrahle
Verklärt in reinerm Lichte sich die Welt
Wenn deine Fackel sie erhellt,
Sich ihre Bilder all in jugendlichem Leben.
Preis ihr der Freudenschöpferin!
Die Lieder die sie schenkt sind Opfer ihrer Ehre:
Verdient noch mehr wie sie der Sterblichen Altäre.
Was in den Gegenden des Möglichen von Schöne,
Von Größe liegt, erobern wir durch sie;
Durch sie vernehmen wir die Töne
Wenn ihre Säusel wehn, wenn ihre Zauberhalle
Das Ohr berühren, faßt ein Göttliches uns an;
Der Erde niedrige Metalle
Sind Gold vor ihrem Talisman:
Das unsichtbare Reich erobert ihre Macht,
Beschwört Vergangenes herauf, und schöner lacht,
Umstrahlet von der Göttin Flügel,
Die Gegenwart, es tagt vor ihr die alte Nacht,
Und das Alltägliche trägt ihrer Gottheit Stempel,
Zeugt es, Dämonen eurer Zeit!
Miltone, Shakespears[WS 1] und Homere! –
Sie künden, Herrliche, den Menschen deine Ehre:
Es strahlet, ewig jung, durch jedes Leben weit
Ihr Tag umher, wie eine Sonnensphäre,
Und ihre Namen hat Mnemosyne geweiht.
Zevs hat der holden Töchter viel,
Die sich mit weiser Lust und Harmonie und Tanz
Vor seinem goldnen Thron ergehen,
Es soll in meiner Lieder Kranz
Wie traurig ohne dich und eng wär’ unser Leben!
Dir hat er die Vergangenheit,
Entschwundne That und Lust, das Jahrbuch alter Zeit
Zu sicherer Bewahrung übergeben.
In deiner milden Segenskammer,
Und giebst dem fordernden Verstand
Zu wirthlichem Gebrauch zurück das edle Pfand.
Die Freude, wann sie flieht, ist ewig nicht verbannt:
Nach altem Schmerze zieht wehmüthig-süsser Schwung
Den Geist, und seine Trauerbilder
Sind ihm geheiliget durch dich, o Göttin! Milder
Wird Freud und Leid durch die Erinnerung!
Und meines Herzens vollen Dank
Bringt mein durch dich begeisterter Gesang
Dir zum gerechten Zoll entgegen.
Wem, bey dem Eintritt in das Leben,
Die Stirn berührt, und wem Natur zum Mitgenuß
Ein fühlend Herz und zarten Sinn gegeben:
Nur der kann über Pöbellust
Und niedre Freuden sich, der Glückliche, erheben:
Im Mondenschein, im Sternenlicht durchbeben:
Er wird die Stimmen der Natur,
Der Mutter hohen Geist und großes Herz verstehen,
Den Frühling herrlicher durch die erwachte Flur,
Im Wettersturm und in der Weste Wehen
Erkennen seiner Göttin Spur:
Ihm träuft Begeisterung von steiler Felsen Höhen,
Ihn schrökt zerrißner Himmel Aufruhr nicht;
Und in verbrannter Berge Gipfeln
Kennt er ihr liebend Angesicht.
Im Blumenthal, im bunten Schmelz der Aue,
Vom jungen Bienenvolk umschwirrt,
Verweilt sein Auge gern, es schmelzt im Morgenthaue
Sein Herz, die Gegend um ihn her,
Von leichtem Silberflore übersponnen,
Gleicht einem Tempe jetzt, von hellen Tropfen schwer
In ungefärbtem Glanz wird er die Schönheit sehn,
Sie, tausendfach geschmückt, von hohem Reiz umflossen,
Und ihr Gewand in Wellenlinien
Zu ihren Füßen leicht herabgegossen,
Und ihren Schmuck und ihren Geistesadel
In ihren äusseren Erscheinungen verstehn
An das Unendliche wird sich sein Fittich wagen,
Mit schröckenden Gebürgen hoch empor
Begeisterung bis zu der Gottheit Thor
Ihn mit verwegnem Fluge tragen,
Am gränzenlosen Ozean
Der Wasserwelt, am höhern uferleeren
Der Wogen lauter Gang, der stille Lauf der Sphären
Wird ihm des Ewigen Gefühl beredter lehren.
Oft wandelt einsam er, beym goldnen Sternenschein;
Betrachtung senkt sich zu ihm nieder,
Wie fühlt er im Unendlichen sich klein,
Und im Unendlichen wie groß sich selber wieder!
Gewurzelt steht er da in dieser Wollust Schwühle,
Verlohren in das Meer entzükender Gefühle.
Die Sinnenwelt den Schlüssel übergeben,
Die beyden knüpft ein heilig Band,
Und in einander fließt der beyden zartes Leben:
Hat jene ihre Größe nicht
In die mit großen Ziffern eingeschrieben?
Wer die Natur nicht liebt, kann keinen Menschen lieben
Wer sie nicht fühlt, der Stiefsohn der Natur,
An ihr nicht hängt mit innigem Ergözen
Er sey verdammt zu schnöden Schäzen,
Zu Geld und Gut, verdammt zu niedrer Wollust Lüsten,
Verstossen ist er von der Mutter Brüsten.
Der Menschheit himmlische Beglaubigung der Thränen
Nie seinen Busen warmes Sehnen
Nach schöner Hülfethat geschwellt.
Das Mitleid kennt er nicht, bey seiner Brüder Schmerz
Wird nie ihm eine weiche Zähre rinnen,
Mittheilend sich erfreun und fremdes ihn gewinnen:
Der reinen Freuden Zauberland
Ist ewig ihm verwehrt; sie, die mit holder Hand
Des Lebens Faden schöner spinnen,
Die schmerzenlindernden, die süßen Pierinnen,
Vernahm sein Ohr, ersah sein Auge nie:
In ihrer Grotte wird ihm nie ein Lied gelingen:
Er darf den Thyrsus der Begeisterung nicht schwingen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Shakeaspears