Die Seele
Wer reicht mir Gottes Urne, daß ich trinke
Erhabnen lichten Dichtersinn?
Da steh’ ich weggerissen schon und sinke,
Betrachtung, dir an Busen hin:
Und sey mir du Begeisterung!
Erfülle mich mit regem stillem Schwung,
Was in mir denkt, den Herrn, den Geist,
Der wahrnimmt, urtheilt, schleußt,
O! mache mich, du, deiner Gottheit voll,
Und führ’ den Bebenden an deiner sichern Rechte,
Entfalte selbst vor mir die dunkeln Mitternächte,
Durch die ich wandeln soll.
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Dran irrend meine Augen hangen?
Wandl’ ich, ein Fremdling, in dem eignen Haus?
Hält Ungewißheit mich im eignen Erb gefangen?
Der große Schauplatz dieser Welt
Von Wundern hoher Macht und Schönheit rings umflossen,
Staun’ ich: die Sonne der Vernunft erhellt
Die bunte Szenen mir, und deutlicher entfalten
An ihren Strahlen sich die irrenden Gestalten.
Durch alle Pforten aller Sinnen.
Du Selbst in mir, Kraft edler fremder Art,
Wer hat zum todten Stoffe dich gepaart?
Wer diese Sinnen mir entriegelt?
Wer mit der Geisterwürde dich versiegelt?
Du räthselhaftes Ich,
Was ist dein Wesen, wo dein Ursprung, sprich!
Bist du dem Staub, wie dieser Leib, verwandt,
Nach der Veränderung Gesetzen, deinen Raub?
Wie oder Gott befreundt? Ist, wo in höhern Sphären
Die höhern Endlichen den Ungeschaffnen ehren,
Sag’ an, dein schönres Vaterland?
Durch ihre Kraft heraufgereift zum Leben?
Ist dieses rege blitzbeschwingte Streben
Aetherisch Feu’r in dir! Ists, gleich dem dünnen Weben
Der Luft, unsichtbarer Hauch? Wie, oder bist du nur
Hinaufgeläutert durch der Gottheit Hand?
Und stammen daher deine Schranken?
Wie oder Funke selbst vom ewigen Verstand,
Der, seinem Flammenmeer entflossen,
Durch seinen Wink dem Gröbern sich verband?
Find’ ich, wie Plato, dich in jungen Myrthenthalen
Des Vorelysiums, wo, von des Leibes Last
Noch nicht gedrükt, in äthersüsser Rast,
Und ewig reine Luft die Auen schmeichelnd kühlt,
Dort an der Schönheit Quell die junge Psyche spielt?
Welch neues Harmonienleben
Erfüllt die Luft, erfüllt die Haine hier!
In leisen Schwingungen in diesem Luftrevier
Die Seelen an, die niedrige Begier
Schweigt hier und in geheimnißvollen Quellen,
Gehoben sanft von linden Silberwellen,
Es kreisen rosiger und leichter hier die Stunden;
Vom Bley des Körpers nicht gebunden,
übt sich in diesem unbetretnen Feld,
Das geistig Licht wie goldner Thau erhellt,
Und wo die Bilder dieser Welt
Im schönern Urbild prangen,
Der Seele Fittich stets, von innerm Zug geschwellt.
Hieher hat sich das Laster nicht gefunden;
Hat noch mit ihrem Gift die Unschuld nicht umwunden;
Der Lüfte regellose Wuth
Ist hier verbannt, verbannt ihr buhlerisches Kosen;
Der Neid mit seinem Furiengesicht
Und keine Schlange lau’rt in dieses Himmels Rosen.
Der Ruhe Lauben duften hier,
Durchbalsamt von dem feinsten Aetherthaue;
Der Friede schwingt sein goldenes Panier
Der amaranthne Zweig, umwebt von süssem Duft
Weht Harmonie und Harmonie die Luft.
In froher Abgeschiedenheit,
In seliger Beschaulichkeit
Und weiter immer auf der Leiter
Der Tugend und Vollkommenheit
Mit langsamweiser Eile,
Sanft angezogen von dem Seile
O schöne Paradieseszeit,
Du mehr als May, ach hätte deine Blüthen,
Die in dem reinsten Glanz voll goldner Hoffnung glühten,
Doch nie die wilde Sinnlichkeit
Und nie gemordet unser erstes Glück!
So konnte nie das strafende Geschick
In diesen Kerker, Psyche, dich verdammen,
Und nie verbannen dich auf diese rauhe Flur, –
Um einst zum Mutterland der bessern Himmelssphären,
Hat nun den Schlackenstoff der gröbern Sinnlichkeit
Von dir hinweggestreift die Zeit,
Geläuterter zurück zu kehren.
Du schwärmst einher in dunkeln Labyrinthen.
Du kannst der Seele Wesen nie
Kaum dieses Wesens Wirkungen ergründen;
Das Etwas, das in dir das Mancherley der Welt
Das Unbekannte, wo die Strahlen
des großen Ganzen sich, in Einem Brennpunkt mahlen,
Und, wo Veränderung rings ihre Woge treibt,
Des Weltalls Bau wie deine Hülle reibt,
Ideen in Ideen schlinget,
Und Schlüsse baut, frey sich Gesetze selber schreibt,
In der Erfindung Reich mit Adlerflug sich schwinget,
Und Beute holt, in frischer Jugend,
Sich göttlich andet in vollbrachter Pflicht,
Dies wahrlich, ist dein Leib, der Erdenschleyer, nicht.
Als auf des Schöpfers Allmachtsrufen
Die alte Welt dem Unding sich entwand,
Zahlloses Herr erschien, da band
Er schon an Erdenstoff den menschlichen Verstand.
In tausend Formen wechselte die Pracht
Der neuen Schöpfung schon, da lag sie aufgeschlossen,
Dem Menschen seinem Hauch entsprossen:
Wie fesselt’ ihm mit magischer Gewalt
Das süsse Staunen nicht die neugebohrne Sinnen!
Allmählich fühlt’ er bald
Er sah, schied und verglich, und dunklere Begier
Und dunkler Schluß verrieth das höhre Thier.
Der Heilige in unzugangbar’m Licht,
Von seiner Herrlichkeit umgeben,
Aus Liebe schuf er sie, aus Liebe senkt’ er Leben
Und des Verstandes Licht zahllosen Wesen ein;
Sie sollten Zeugen seiner Weisheit seyn,
Miterben seines Reichs im Mitgenuß sich freun.
So alt wie Gott und älter wie die Zeit,
Verbreiten unter fremder Zone;
Drum gab er zur Vernunft die königliche Krone
Der Freyheit dir, o Mensch, drum hat er dich geweiht
Daß auch der Wahrheit Preis auf ihr verherrlicht werde.
Wo, an der engen Scholle Raum
Gebunden, seines Tages kurzen Traum
Im freudeleeren Mangelstande,
Das Thier verträumt, und wählt, wo es und weil es muß,
Gab er zum sinnlichen dir geistigen Genuß,
Und deiner Wahl, o Mensch, die Welt zur Beute;
Er schärfte dir den Blick ins Weite;
Die See der Wirklichkeit ist vor dir ausgegossen;
Der Möglichkeiten Reich bleibt selbst dir unverschlossen,
Nach Gegenwärtigem und nach Vergangnem mißt
Dein Aug die Zukunft ab, zu Handlungen entschließt
An dich, die Welt und ihren Meister rauben.
Erhabnes Loos! Nicht Mittel nur allein,
Bedingt mit deiner Kraft, mit deinem Seyn und Leben
An die Despotenhand der Macht dahin gegeben,
Ich bin: Hier stehe still, bewundernder Gedanke!
Zwar zugemessen ward mir nur ein Tropfe Zeit.
Eng ist sie meines Seyns, wie meines Wissens Schranke,
Doch floß er aus und fließt in eine Ewigkeit,
Daß Wesen außer mir, in tausendfacher Art,
Verstandlos hier, dort mit Verstand gepaart,
Und daß mit leisern hier, und dort mit lautern Schlägen
Des Lebens Pulse weit umher sich regen,
In ihrem Schoos, ein Gott in seiner Hand mich hält,
Und Myriaden von Geschöpfen sein
Mit mir am Busen der Natur sich freun;
Weiß ich durch mich, durch mich allein.
Ein reiner Trieb, der eine Welt umschlingt,
Und nach der höchsten Geisterwürde
Nach der Vollendung Siegel ringt.
Ihr hohes Ideal, wie aus krystallnem Spiegel,
Giebt meinem Geiste Licht, und meinem Herzen Flügel
Die aus dem Joch der Sinne losgespannt,
Mich tragen in der Wahrheit Sonnenland.
Die Tugend, weil sie Tugend ist, zu lieben,
Auch dann noch, lohnete der Kranz dem Kämpfer nie,
Ein Unterthan der Pflicht, mit Freudigkeit zu üben –
Will auch verrätherisch durch süsser Lockung Spiel,
Und reizenden Gewinn das niedere Gefühl
Die Tugend an der Sinnlichkeit zu rächen,
Mit der Vernunft Minervaschild
Bedekt, des Gegners Riesenbild
Mit kühnem Muthe zu besiegen,
Ihr Bürger in dem Sittenreich,
Hoch über Welten flammt in sonnenhellen Zügen,
Hell, wie es euch in eignem Busen spricht,
Das richtende Gesetz der Pflicht.
Wo mit der schlimmern oft die beßre zweifelnd ringt,
Und, weil den Fittich noch die Leimenruthe zwingt,
Oft unterliegt, und selten überwindet:
So wars ein Wahn; doch ohne Wahrheit nicht.
Den Durst nach wesentlichem Licht,
Den Trieb, ohn’ Eigennutz die Wahrheit zu umfangen,
An ihrer Brust durch eine Ewigkeit
In nimmersatter Lust zu hangen;
So oft die keke Stirne beut,
Der Trieb, das Nützliche fürs Gute sich zu wählen,
Mit erdgesenktem Angesicht
Dem Reizenden allein sich zu vermählen,
Statt Wahrheit sich der Wahrheit Schatten
Und einem Trugbild sich zu gatten.
Doch ist es nicht des Kampfes Gluth
Was zu den Sternen stets den Siegenden gehoben?
Und Schwierigkeit muß ihn erproben;
Hier keimen deiner Ehre Lorbeer’ auf;
Hier sprossen dem Verdienste seine Saaten.
Oft flügelte zu nachruhmswerthern Thaten
Die Götter fehlen nicht; sie können niemals fehlen;
Gezwungen zur Vollkommenheit,
Der Mensch allein, der Sterbliche kann wählen,
Und wird durch Wahl, was sie durch die Nothwendigkeit.
Dort irrt der Tugend Steig durch dornigtes Gehäge;
Ein Herkules am Scheidewege
Steht er und – stuzt: doch die Vernunft gebeut;
Und in den Staub tritt er der Wollust falsche Gaben.
Vom hohen Ideal des Herrlichsten erfüllt,
Ein Bürger nie geschauter Sphären,
Und nur der Regel treu, die in den reinen Chören
Der heiligen Naturen gilt,
und nie gerührt von der Entsagung Schmerzen,
Tritt er in Kampf mit seinem eignen Herzen.
- ↑ S. Xenophons Cyropädie.