Das Schlachtfeld auf Mons
Ach, wie ist’s nun so todtenstille!
Vergossen ist der Krieger Blut;
Verhallt der Donner laut Gebrülle;
Versohnt der Menschen Tygerwuth;
Die Menschlichkeit ins Herz zurück;
Dem starren Aug’ entlokt die Wehmuth heisse Thränen
Beym Anblick dieser grausen Scenen.
Nun sucht der Waffenfreund den alten Waffenfreund;
Und schütteln sich die Hand und jauchzen laut wie Brüder,
Die scheiterten, wann sie ein naher Strand vereint.
Doch viele wandelten ins stumme Reich der Schatten.
Von diesen sucht der Freund die heil’gen Reste auf,
Und läßt den Thränen freyen Lauf.
Hier liegt, zerschmettert vom Geschütze,
Ein blüh’nder Sohn, des alten Vaters Stütze. –
Ach einsam harrt der blinde Greis daheim,
Und lauscht im Dunkel auf des lieben Sohnes Tritte –
Ach nimmer, nimmer kehrt er heim! – –
Der alte Mann wird seinen Tod erfahren,
Und ach! sein graues Haupt vor Gram zur Grube fahren.
Wird fern von Weib und Kind im fremden Lande modern;
Die Gattin härmt sich ab im öden Kämmerlein,
Wann Kinder sehnsuchtsvoll von ihr den Vater fodern,
Und täuscht, vertröstend, sie auf seine Wiederkehr.
Wo ist mein Vater? ruft mit Ungestüm der Knabe;
Dann bricht sie schluchzend aus: Ach, liebes Kind, im Grabe!
Hier haucht ein Jüngling, halb zerrissen,
Sein sanftes Leben aus. Dem Arm der Braut
Und Freyheit war sein letzter Laut.
Das Mägdlein grämt daheim sich bleich und hager;
Die schwarze Ahndung zeigt ihr oft um Mitternacht
Das Bild des blutenden Geliebten in der Schlacht,
Wer aber ist der jugendliche Held,
Aus dessen Brust so laut des Lebens Quelle sprudelt,
Und dessen Antlitz, selbst von Staub und Blut besudelt,
Durch sanften Reitz im Tode noch gefällt? –
Sein gelbgelocktes Haupt, sein zarter Leib,
Sein blaues Auge halb geschlossen –
Täuscht mich mein Blick? Wie, seh ich recht? Ein Weib?
Entflieht, entflieht ihr Töchter sanfter Freude!
Wer hat mit diesem Kriegsgeschmeide
Den feinen Gliederbau umhüllt?
Der zarten Weiblichkeit verschämte Freuden winken
Mit einem süssern Tod. Uns ziemt das blut’ge Recht,
Entflieht! Vertilgt nicht auch das keimende Geschlecht!
Du aber, himmlische Begeistrung stimme
Herab den kriegerischen Klang,
Und lisple lesbischen Gesang,
Und wenn dein leiser Laut zur Nachwelt überschwebt,
Noch oft die Enkelin mit sanftem Schau’r erbebt;
Sing von dem Heldenmuth Vivonnens, und verkünde
Die Liebe und den Tod der schönen Adelinde!
Von Weingebirgen, froh umhüpft von Winzerinnen,
Und von der Sichelklang begrüßt, ins Weltmeer tanzt,
Liegt im Gebüsch versteckt, wie von den Huldgöttinnen
Zum Reihen auserseh’n, geborgen vor dem Strahl
In sanften Krümmungen vom klaren Strom durchschnitten
Und um und um bekränzt mit grünen Winzerhütten.
Nie unterbrach des Lebens süßen Traum
In dieser holden Au der ungestüme Mangel;
Glüht’ in der Traube, zappelt’ an der Angel,
Und spann im Seidenwurm. In diesem Himmelsstrich,
Der keinem Paradies an Amuth wich,
Erblikten Adelinde und Vivonne
Durch nichts als eine Hüttenwand
Getrennt, und seit dem Gängelband
Vereint – Was Wunder, wenn im ersten Flügelkleide
Ein zartes Bündniß schon die Liebenden verband,
War nicht Vivonne da, nur halb empfand,
Daß man sie überall im Garten, Feld und Heide
Als Kinder schon zusammen spielend fand.
Sobald der Winter wich, und laue Winde
Die Störche klapperten und der Garonne Münde
Von weissen Seegeln schwoll, von Schiffsgesang erklang,
Dann trippelte sogleich die kleine muntre Dirne
Ihr Körbchen unter’m Arm ins Veilchenthal, und wand
Ihn süßerröthend um Vivonnens Stirne.
Auch von Vivonnens Seite ward,
Die kleine Dirne liebzukosen,
Wie leicht zu denken, nichts gespart:
Er bracht’ ihr Feigen, Aprikosen,
Und bunte Schmetterling’, und Vöglein aller Art,
Und wenn sie schlief, so kam er leis’ herangeschritten
Mit Blumen sie zu überschütten.
Und jungen Schatten warf, Vivonne grub
Alsbald in seine zarte Rinde
Den süßen Namen Adelinde.
So schlich sich unter Spiel und Scherz
Sie ahneten kein Arg. Einst aber zog Vivonne
Zu einem Oheim jenseits der Garonne.
Da wurden sie zuerst gewahr,
Wie unentbehrlich Eins dem Andern war.
Den sie empfand, als nun im blassen Abendroth
Die Flaggen von dem kleinen Boot,
Auf dem ihr Liebling fuhr, dem nassen Aug’ entschwunden.
Nie war’s ihm so beklemmt, so bang und wehmuthsvoll,
Kein Spiel ergötzte mehr die schöne Adelinde;
Schwarz war das Morgenroth, öd’ ihr Orangenhain,
Verwelkt das frische Grün von ihrer Lieblingslinde,
Verhaßt war ihr des Mondes Silberschein;
Sie glaubt sein Bildniß überall zu sehn,
Sie sieht’s dem grauen Schooß der Flut entsteigen,
Hört seine Stimme sanft herüberwehn.
Von Thränenströmen ward auch sein Gesicht nicht trocken,
Bald schlug das Herz ihm laut, bald fühlt’ er’s wieder stocken;
In Träumerey versunken saß
Er einen Augenblick, dann fuhr er, halb erschrocken,
Von seinem Sitz empor, und wurde roth und blaß,
Von Adelindens Reizen sprachen.
Man landet in der kleinen Bay,
An der sein Oheim eine Siedeley,
Von Wald und Wasser lieblich eingeschlossen,
Zerstreuung. – Ein’ge Tage flossen
Mit Jagd, und Vogelfang, und Fischerey vorbey;
Am vierten bat er schon mit nassen Blicken
Den Oheim, ihn zurückzuschicken.
In einer Rosenlaub’, am Ufer der Garonne;
Ihr trüber Blick begleitete die Sonne,
Die majestätisch jetzt in Westen niedersank.
O wer beschreibt die namenlose Wonne,
Der eben landete, auf einmal sprang
Und unter tausend Küssen sie umschlang.
Tief in die Seeligkeit des Wiederseh’ns versunken,
Liegt von der Liebe süsser Macht besiegt,
An ihre Brust der Jüngling angeschmiegt;
Fühlt ihre Lipp’ an seiner Lippe brennen,
Fühlt wie, von Liebesflammen aufgeregt
Ihr zitternd Herz an seinem Herzen schlägt,
Schon schimmert über’s dämmernde Gebüsch
Im Sternengürtel zauberisch
Die stille Nacht empor; einsiedlerisch
Entsteigt der Silbermond dem schwarzen Strom und spiegelt
Der Laube Grün, wo sie den Liebesbund versiegelt:
Da wandeln beyde Hand in Hand
Nach ihrer Hütt’, entlang dem monderhellten Strand.
Je mehr und mehr sah jetzt das ungewarnte Paar
Der Liebe sich verstrickt, selbst ihre Unschuld war
In beyder Brust der Keim zur süßen Sünde. –
Vorüber rauscht’ ein ganzes Jahr
In diesem Uebermaaß von Seligkeiten;
Das Vaterland ist in Gefahr!
Von Waffen blitzen alle Straßen,
Ganz Frankreich gürtet sich, zum blut’gen Kampf bereit;
Der Heerd, der Pflug, die Werkstatt wird verlaßen,
Verdün und Longwy sind in Feindes Hand,
Fayette selbst verläßt das Vaterland,
Und Held Dümourier steht mitten
Im steinigten Gefild Champagnens abgeschnitten.
So rief Vivonnens Vater ingrimmsvoll;
Und diesen Tag soll ich erleben? Soll
Erleben, wie dieß rauhe Volk aus Norden
In Frankreichs Fluren reißend bricht?
Nicht Verdün schon ein Raub der Preussen?
Auf, Jüngling, greife nach dem Eisen!
Die alterschweren Kniee wanken,
Und unterm Schwert erzittert dieser Arm,
Erschrickt vor einem Räuberschwarm,
Eh soll mein graues Haupt von Blut sich purpurn färben.
Dann lerne für sein Vaterland
Von einem Greis der Jüngling sterben!
Mit thränenlosem Aug umgürtet Adelinde
Des Jünglings Hüfte mit dem Schwerdt.
Zeuch hin, ruft sie, und sey des Vaterlandes werth,
Der Freiheit heil’ges Feur entzünde
Und hohen Trieben diese Brust
[Zeuch hin. Mit narbenvollen Wangen
Werd ich dich siegreich einst empfangen.]
Drey Tage zog der Jüngling mit dem Alten
Am vierten Abend, da sie just ihr kleines Mahl
Im Schatten eines Baum’s gehalten,
Erschien ein feingebauter Mann,
Geschmückt mit funkelndem Geschmeide,
Gegrüßt, so [bot] er sich zum Reisgefährten an.
Die zarte Hand, der Wangen junge Rosen,
Sein Anstand, sein gefäll’ger Gang.
Sein bartlos Kinn, der Stimme Silberklang,
Verriethen bald, wer dieser Fremdling sey.
Wer kann der Liebe Scharfblick hintergehen?
Vivonnens Aug durchdringt die Mummerey,
Und sieht sein Mädchen vor sich stehen.
Der Greis; umsonst beschwört mit tausend Zähren
Der Jüngling sie, zurückzukehren.
Nichts mehr von Trennung, nichts! Ich folg euch in den Tod,
So rief entschloßen Adelinde;
Als daß ich von verborgnem Gift
Verzehrt, langsam zum Grabe schwinde!
Gespornt von Ungeduld, bald auf des Ruhmes Bahnen
Willkommene Gefahren zu bestehn,
Die vor Gemappe ausgebreitet wehn.
Hier sah man sie vereint die schwersten Kämpfe theilen,
Biß jener Tag erschien, wo, angeführt vom Sieg,
Der Franken Heer, trotz Klairfaits Donnerkeulen,
Schon wich der Feind von allen Seiten,
Als unbezähmter wilder Kriegesgeist,
Den Flügel, wo der Greis und Adelinde streiten,
Tief in der Feinde dichte Haufen reißt,
Die mörderisch durch seine Glieder mähn,
Durch Menge wird die Tapferkeit bezwungen,
Und niemand kann dem Andrang widerstehn.
Nicht weit davon empfieng Vivonnens Heldenmuth
Mit starkem Arm gleich einer ehrnen Mauer,
Bis Mark und Kraft aus seiner Faust entwich.
Da blickt er um, und – kalte Schauer
Ergreifen ihn – und sieht von seinen Theuren sich
Und Säbel blitzen über Adelinden.
Nacht wirds vor seinem Angesicht,
In seinem Ohr verstummt das Schlachtgetümmel,
Besinnungslos starrt er zum Himmel,
Und wüthend rennt er fort, dem Vater beyzuspringen.
Schon hat er sich durch Feind und Leichen Bahn gemacht,
Entreißt sein Haupt den schon gezückten Klingen,
Und trägt mit starkem Arm ihn aus der Schlacht.
Doch keine Spur von Adelinden.
Nachdem er lang verzweifelnd sie gesucht,
Steht er – o ewiges Geschick! Laß ihn erblinden!
Entseelt sie auf dem Wahlplatz ausgestreckt.
Lautschreiend stürzt er an ihr hin, bedeckt
Den bleichen Mund mit glüh’nden Küßen.
Mit starrem thränenlosem Blick,
Umklammert er die kalte Hülle;
Doch bald ruft ihn der Schmerz zurück.
Auf springt er mit empor gesträubten Haaren,
Und wo des Grabes offner Rachen droht,
Im dichtesten Gedräng der Schaaren,