Die Sängerin der Heimatliebe
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Die Sängerin der Heimatliebe.
Am 10. Januar 1897 sind hundert Jahre verflossen, seit eine der edelsten und begabtesten deutschen Dichterinnen, Anna Elisabeth von Droste-Hülshoff, das Licht der Welt erblickte. So reich unsere Litteratur an Poeten ist, durch welche die Liebe zur Heimat innigen Ausdruck gefunden hat – in höherem Maße und mit wärmerer Empfindungsglut ist es wohl kaum geschehen wie durch diese Eine, die man mit Recht als die „Sängerin der Heimatliebe“ gefeiert hat.
Wer sich die Eigenart ihres dichterischen Wesens so recht vergegenwärtigen will, muß sie daher im Geiste an den Stätten aufsuchen, die während ihres Lebens ihr vornehmlich die Heimat bildeten; wir können dabei als Führer Ansichten benutzen, die von Künstlerhand zum Teil nach Zeichnungen ausgeführt sind, die bei Lebzeiten der Dichterin entstanden und von der älteren Schwester und einer ihrer Nichten herrühren.
In Westfalen stand ihr die Wiege. Unweit der Hauptstadt des Münsterlandes war ihr Vater auf dem Schlosse Hülshoff ansässig. Sie stammte aus einem altwestfälischen Geschlechte, das im 13. Jahrhundert mit dem Drosten-, d. h. Truchseßamt des Münsterschen Domkapitels belehnt ward. Von alters her ansässig in der Gegend war auch das Geschlecht ihrer Mutter. Die vortreffliche Frau ließ sich die Erziehung der früh kränkelnden, aber auch früh ungemein geistesregen Tochter mit zartem Eingehen auf ihr besonderes Wesen angelegen sein. Mit wie tiefer Verehrung und Dankbarkeit Annette an ihrer Mutter hing, davon zeugen die Verse, die sie ihr gewidmet:
„So gern hätt’ ich ein schönes Lied gemacht
Von deiner Liebe, deiner treuen Weise;
Die Gabe, die für and’re immer wacht,
Hätt’ ich so gern geweckt zu deinem Preise.
Doch wie ich auch gesonnen mehr und mehr,
Und wie ich auch die Reime mochte stellen,
Des Herzens Fluten wallten drüber her,
Zerstörten mir des Liedes zarte Wellen.
So nimm die einfach schlichte Gabe hin,
Von einfach ungeschmücktem Wort getragen,
Und meine ganze Seele nimm darin –
Wo man am meisten fühlt, weiß man nicht viel zu sagen!“
Auf dem Schlosse Hülshoff wuchs Annette auf. Die Türme des Schlosses, die gezackten Giebelwände, Ringmauer und Zugbrücke mit dem steinernen Kreuzritter gehörten zu den ersten äußeren Eindrücken, welche das Auge des Kindes aufnahm und die seine erwachende Phantasie beschäftigten.
Die um zwei Jahre ältere Schwester Jenny, die spätere Gemahlin des Freiherrn Joseph von Laßberg, und zwei jüngere Brüder waren ihre Spielgenossen.
Einer Wasserburg glich das Schloß, Ried- und Sumpfgräser standen im Weiher ringsum, ein größerer Park dehnte sich mit prächtigen Baumgruppen dahinter, manch’ liebe Spielstätte der Kinder bergend. In weiterer Umgebung zeigt die Landschaft den echten Charakter des westfälischen Landes. Heide ringsum mit ihren blühenden Sträuchern, Weiher und Sümpfe mit hohen Gräsern und Schilfkolben, das dunkle Moor mit Wallhecken umzogen, zwischen den Buchenhainen und Wäldern die großen Bauernhöfe. Der Charakter dieser Einförmigkeit und Abgeschlossenheit spiegelt sich auch in der Eigenart der Bewohner, in ihrer Einfachheit, Gutmütigkeit, dem Hang zum Mystischen, in tiefer Religiosität und warmem Naturempfinden.
Annette ist ihrem ganzen Wesen nach eine echte Tochter Westfalens und des Münsterlandes gewesen. Die Eigenart des Landes wie seiner Bewohner findet sich mit wunderbarer Naturtreue dargestellt in ihren Gedichten in ihrem ganzen Gefühlsleben. Und wie am ganzen Westfalenland hing ihr Herz mit zärtlicher Innigkeit an dem Vaterhaus, in dem sie die schönen Jahre ihrer Kinderzeit verbracht hatte. Sie hat es oft in ihren Liedern geschildert, und als sie später in der Fremde weilte, da beschwor ihr das Heimweh – wie oft! – das Bild des alten Wasserschlosses. Ihm widmete sie das tief ergreifende Gedicht „Grüße“ –
Dir, Vaterhaus mit deinen Türmen,
Vom stillen Weiher eingewiegt,
Wo ich in meines Lebens Stürmen
So oft erlegen und gesiegt;
Ihr breiten, laubgewölbten Hallen,
die jung und fröhlich ich gesehn
Wo ewig meine Seufzer wallen
Und meines Fußes Spaten stehn.“
Die empfängliche Kinderseele unserer Dichterin gestaltete ihr die Natur überall zu einem Tempel Gottes. Schon sehr früh fühlte sie sich gedrungen, dies dichterisch auszusprechen. Der Natur der Heimat galten gleich die ersten noch gestammelten Verse. Und so blieb es. Mit ungekünstelter Gemütsinnigkeit reiht sie Bild um Bild aneinander, in der Ausführung manchmal wohl spröd, herb und hart – eben westfälische Art! – aber immer naturgetreu und wahr!
Auch ihr Geist reifte früh. Auf Hülshoff wurden die alten Klassiker gelesen, Geschichte, Gesang und Musik getrieben. Aus [29] dem Kind ward die Jungfrau. „Als reine, ungekünstelte und ungeschminkte Natur hatte das junge Mädchen keine Neigung, in der Gesellschaft zu glänzen und die kleinen Eitelkeiten zu üben, welche darin gebräuchlich sind.“
Annette war wenig zugänglich für andere, ihr Gemüt neigte zu einem stillen, vorwiegend innern, beschaulichen Leben. Abgeschlossenheit und Einsamkeit gewährten ihr reichlich die dazu nötige Sammlung. So waren ihr Wald und Weiher, Ried und Heide zum trauten Aufenthalte geworden. Da konnte sie allein mit ihren Gedanken wandern, ihren Herzensgefühlen unterm weiten blauenden Himmel Ausdruck verleihen oder in mondbeglänzter Nacht mit den Geistern der Luft und des Wassers Zwiesprache halten.
Im Jahre 1826 starb der Vater und bald darauf auch der von ihr besonders ins Herz geschlossene jüngere Bruder. Das war für ihre zartfühlende Seele ein harter Schlag. Ein Brust- und Herzleiden warf sie selbst aufs Krankenlager und für immer blieb der Krankheitskeim in ihr zurück. Sie konnte sich nie wieder völlig erholen. Wohl suchte man ihr späterhin am sonnigen Rhein – – in Koblenz, Köln und Bonn – Genesung zu verschaffen; doch ging sie gern aus dieser Welt der Zerstreuung und des flutenden Lebens mit ihrer Mutter und älteren Schwester zum Rüschhaus, dem nunmehrigen Witwensitz der Freifrau von Droste.
„So an seiner Jugend scheide
Steht ein Herz voll stolzer Träume,
Blickt in ihre Paradiese
Und der Zukunft öde Räume.
Seine Neigungen, verkümmert,
Seine Hoffnungen, begraben,
Alle stehn am Horizonte,
Wollen ihre Thränen haben.“
Das Rüschhaus lag eine Stunde von Hülshoff; es war kein eigentliches Herrenhaus, mehr einem westfälischen Bauernhofe ähnlich. Aber die neuen Besitzer verstanden es vortrefflich, sich nach ihrem Geschmack darin einzurichten.
Abgelegen von der Landstraße, in stiller Einsamkeit, war es so ganz geschaffen, unserer Dichterin ein trautes Heim zu werden. Die Gemächer lagen im unteren Stockwerk gegen Westen, den Blick in einen weiten Garten gestattend. Das Zimmer Annettens war aufs einfachste ausgerüstet, nur mit den notwendigsten Möbeln aus braunem Eichenholz. Ein Strauß frischer Feldblumen zierte stets das stille Gemach.
Gern und oft streifte die Dichterin in der Umgegend des Rüschhauses. Das war für ihren leidenden Zustand Bedürfnis geworden. Dabei machte sie dem Moor und der Sandheide, dem Weiher und Wald, dem Steinbruch Tag um Tag ihren Besuch. „An einen knorrigen Eichenstamm gelehnt, konnte sie stundenlang sitzen auf ihrem ausgebreiteten Tuch und hinausblicken in die weite lautlose Heide, oder sie lagerte sich an versteckten Waldplätzen neben stillen, tiefen Teichen, bis die Abendnebelschleier die Wasserlilien vor dem Auge verdämmern ließen, und der Mond darüber herauskam.“
Aus dieser Zeit stammt das farbenprächtige Stimmungsbild vom „Weiher“:
„Er liegt so still im Morgenlicht,
So friedlich wie ein fromm’ Gewissen,
Wenn Weste seinen Spiegel küssen,
Des Ufers Blume fühlt es nicht
Libellen zittern über ihn,
Blaugoldne Stäbchen und Karmin,
Und aus des Sonnenbildes Glanz
Die Wasserspinne führt den Tanz.
Schwertlilienkranz am Ufer steht
Und horcht des Schilfes Schlummerliede,
Ein lindes Säuseln kommt und geht,
Als flüstr’ es: Friede! Friede! Friede!“
Glücklich mit sich, reiste Annette auch als Dichterin im stillen. Von besonderem Einfluß auf sie war neben dem Vorbilde Walter Scotts, des großen Schilderers der Naturschönheit seiner schottischen Heimat, der Verkehr mit Katharina Schücking, der ersten Dichterin Westfalens, von welcher Lieder schon im Druck erschienen waren, und mit dem heranwachsenden Sohn derselben, Levin Schücking, der später als Romanschriftsteller zu Ruhm und Ansehen gelangte. Diesen beiden erschloß sie die Welt ihres Dichtens, noch ehe irgend welche Kunde von ihr hinaus in die Welt drang. Denn spät erst trat Annette mit ihren Gedichten an die Oeffentlichkeit. die erste Sammlung erschien 1818 und nannte nur die Anfangsbuchstaben ihres Namens; erst als die
[30] um das Doppelte, u. a. auch durch die stimmungsvollen „Heidebilder“ vermehrte zweite Auflage im Jahr 1844 bei Cotta erschien, fand ihr Talent die allgemeine Beachtung.
Als Levin Schückings Mutter gestorben war, nahm sich Annette liebevoll des jungen reichbegabten Mannes an, der in Münster das Gymnasium besuchte und dann in München studierte, während sie, nach ihrem eigenen Ausdruck, Mutterstelle an ihm vertrat. Die Seelenfreundschaft, welche beide verband und welche das alternde Mädchen für eine Weile in schmerzliche Herzenskämpfe verstrickte, wirkte fördernd auf Beider Talent. In treuer Freundschaft hielt sie zu ihm, bis Schückings veränderte Geistesrichtung zum vollen Bruch führte.
Ein besonders inniges Freundschaftsband umschloß sie mit der Familie des erblindeten Professors Bernhard Schlüter in Münster. Hier hatten sich Gemüter gefunden und verbunden, „welche das Gewöhnlichste wie das Tiefste und Höchste, was ein reingestimmtes, natürliches und gottesfürchtiges Menschenherz bewegen kann, mit einander empfanden und austauschten.“ Liebe Freundinnen wurden ihr Henriette von Hohenhausen und Amalie Hassenpflug, die Tochter des bekannten kurhessischen Ministers. Auch die Schriftstellerin Adele Schopenhauer in Weimar, die Schwester des Philosophen, gehörte in diesen Kreis; sie weilte längere Zeit im Rüschhaus zu Besuch.
Aus dieser Zeit des Rüschhauser Aufenthaltes stammt auch das Bild der Dichterin im 32. Lebensjahre. Man rühmte an ihrem durch geistigten Gesicht eine hohe Stirn und das tiefe, klare Blau ihrer großen Augen.
Vom Rüschhaus reiste Annette 1835 mit ihrer Mutter nach Eppishausen im Thurgau. Das Eppishauser Schloß bewohnte die jetzt an den Freiherrn von Laßberg verheiratete ältere Schwester der Dichterin. Nach Jahresfrist kehrte Annette jedoch wieder allein zurück in ihr geliebtes Münsterland. Es gefiel ihr wenig in der Fremde. Wohl war die Lage des Thurgauer Schlosses eine herrliche, voll ungeahnter Großartigkeit der Natur, im Angesicht der majestätischen Schweizerberge, aber der Abschied von ihrer Heimat war ein zu jäher, zu unvermittelter gewesen. Dazu kam der Mangel höherer geistiger Anregung, wie sie ihrem Geschmack entsprach. Ihr Schwager, der Freiherr von Laßberg, war freilich ein hervorragender Gelehrter, allen Studien zur Erforschung der altdeutschen Litteratur ein begeisterter Förderer, aber seine geistigen Neigungen hatten wenig Berührungspunkte mit den ihrigen. Vor allem aber war es das Heimweh nach den heimischen Verhältnissen, was ihr Gemüt hier bedrückte. Dennoch hatte sie das Schicksal, die letzten Jahre ihres Lebens wiederum in der Fremde verbringen zu müssen und ihr Grab doch nicht, wie sie in manchem wehmütigen Liede erfleht, unter den Eichen der geliebten Heimat finden zu können.
„Wer eine ernste Fahrt beginnt,
Die Mut bedarf und frischen Wind,
Er schaut verlangend in die Weite
Nach eines treuen Auges Brand,
Nach einem warmen Druck der Hand,
Nach einem Wort, das ihn geleite.“
Schwer ward Annetten wieder der Abschied vom Rüschhaus, vom Münsterland, seinen Heiden, Weihern und Hügeln; schwer trennte sie sich von all ihren Lieben, von all dem Liebgewordenen. Sie mochte wohl ahnen, wie bedenklich es mit ihrem Gesundheitszustande aussah; sie hatte auch Angst vor dem Heimweh, das sie damals in Eppishausen so schwer heimgesucht hatte. „Indes,“ schreibt sie vor ihrer Abreise an Schlüter, „werde ich doch keine Viertelstunde allein sein können, ohne daß meine Gedanken im Rüschhaus, Hülshoff, Münster wären.“
Es war im Herbste des Jahres 1841, da sie in Begleitung ihrer Schwester nach Schloß Meersburg an den Bodensee reiste.
Wie ein mahnendes Denkmal lang’ vergangener Zeit schaut diese hohe Burg am Schwäbischen Meer in altehrwürdigem Kleid weit hinaus über die Flut und hinüber zu der beschneiten Kette der Alpen; drüben am andern Ufer ragen die Türme des Konstanzer Münsters über den Bodanrück und vor diesem im See schimmert in ihrem freundlichen Schmuck die herrliche Mainau! An ein hängend Schwalbennest gemahnt neben dem alten Schloß die Stadt Meersburg mit ihren pittoresken Felsen, den aufsteigenden Straßen, den rebbelaubten Hügeln. Hoch hebt sich der viereckige Turm der Kirche empor, weiter im Osten ragt das fürstbischöfliche Schloß, und in langer Front grüßen des Seminares Fensterreihen.
Und dort die Zugbrücke, und der gotische Thorbogen mit dem Bild des Gekreuzigten daneben lädt zum Eintritt in einen köstlichen Burgfrieden ein, zur entzückenden Schau auf die herrliche Welt, die sich großartig weithin ausbreitet!
Das war die neue Heimat Annettens, und wie diese Natur und Umgebung auf sie einwirkten, davon geben die besten ihrer Geistesprodukte Zeugnis. Ein gut Teil ihrer Gedichte hat ja seine Entstehung in dem Zimmer gefunden, dessen Fenster aus dem untern runden Turm nach dem See hinaus gehen und das ihr nebst den anstoßenden Gemächern zur Wohnung diente.
„Ich steh’ auf hohem Balkon am Turm,
Umstrichen vom schreienden Stare,
Und laß gleich einer Mänade den Sturm
Mir wühlen im flatternden Haare
O wilder Geselle, o toller Fant,
Ich möchte dich kräftig umschlingen,
Und, Sehne an Sehne, zwei Schritte vom Rand
Auf Tod und Leben dann ringen!“
„Vollkommen einsam konnte sie hier sein,“ sagt Johannes Claassen in der Biographie Annettens, „kaum das Wellengeplätscher des Sees zu ihren Füßen ließ sich hören; auf dem Balkon davor aber stand sie oft und lange – das Land Westfalen mit der Seele suchend.“
„Der Welle ducken ward ein lächelnd Winken,
An jedem Blatte sah ich Tropfen blinken,
Und jeder Tropfen schien ein Kämmerlein,
Drin flimmerte der Heimatlampe Schein.“
Wie sehr auch der Freiherr von Laßberg sich liebevoll und teilnehmend um seine Schwägerin bemühte, durch seine reichen Sammlungen und die großartige Bibliothek ihr Unterhaltung zu verschaffen, wie sehr auch die Dichterin oft genug geistvolle Unterredungen mit bedeutenden Männern damaliger Zeit, Uhland, Gustav Schwab, Wessenberg, die zu Gast ins Schloß kamen, pflegen konnte: sie suchte doch immer wieder mit großer Vorliebe ihr Turmzimmer auf, den nahen Wald, den einsamen Weg am Seegestade. –
Noch zweimal kam Annette in ihr geliebtes Westfalen, doch immer wieder fühlte sie die Notwendigkeit, ihrer Gesundheit halber die mildere Luft des Südens aufzusuchen. Im Jahre 1843 hatte sie sich in Meersburg ein eigenes Anwesen gekauft, sie hatte es um billigen Preis ersteigert und mit dem Honorar bezahlt, das ihr die Cottasche Buchhandlung für die „Gedichte“ ausgehändigt. Es war das „Fürstenhäuschen“ hoch droben auf einem Rebhügel beim Schloß gelegen, weit über Stadt, Burg, See und Berge hinwegschauend auf den von ihr besungenen Säntis.
Dort hat auch die Zeichnerin unsrer Bilder manch eine Stunde gesessen und mit Bewilligung der Nichten Annettens, der beiden Fräulein von Laßberg, die Kopien ihrer Bilder angefertigt.
[31] Zum letztenmal reiste Annette von einem Besuch in Hülshoff im Herbst 1846 nach Meersburg. Ihr Zustand wurde bedenklicher. Sie konnte ihr Fürstenhäuschen nicht mehr beziehen und mußte sich im Freiherrnschloß einquartieren. Husten und Brustbeklemmungen wurden häufiger und heftiger. Sie fühlte ihren Zustand nur zu sehr. Davon geben die Worte in dem schon einmal citierten Abschiedsgedicht „Grüße“ Zeugnis:
„Ich möcht’ euch alle an mich schließen,
Ich fühl’ euch alle um mich her!
Ich möchte mich in euch ergießen,
Gleich diesem Bache in das Meer.
O wüßtet ihr, wie krank gerötet,
wie fieberhaft ein Aether brennt,
wo keine Seele für uns betet,
Und keiner uns’re Toten kennt!“
Der Frühling des Jahres 1848 streute die duftenden Lenzesblumen über Anger und Hag, grün wurde der Rebhügel am Fürstenhäuschen, weiß schimmernd überdeckten sich die Bäume mit den Blüten des Mai, in frisches Grün kleidete sich der Wald hinterm Schloß; drüben an den Gehängen des Säntis sank der Schnee herab vom Grat zur Tiefe … Frühlings Auferstehungsfest!
Die Glocken hallen dumpf vom Turm der Kirche. Ein langer Leichenzug geht den Berg hinan. Droben läutet ein Glöcklein von der Gottesackerkapelle – Annette von Droste-Hülshoff wurde hinausgetragen zum Friedhof. Am 24. Mai 1848, des Mittags, war sie an einem Herzschlag verschieden. Sie hatte ihn ausgekämpft, den guten Kampf des Lebens.
An der östlichen Ecke des Kirchhofes haben sie die Dichterin eingebettet zur ewigen Ruhe. Der einfache Grabstein enthält das Wappen und darunter die Worte: „Anna Elisabeth, Freiin von Droste-Hülshoff. Geb. den 10. Januar 1797, gest. den 24. Mai 1848. Ehre dem Herrn.“
Bald ein halb Jahrhundert ist seitdem hingegangen. Die Verehrer der Dichterin suchen ihr Andenken heute aufzufrischen im Gedächtnis unserer schnelllebenden Zeit. Münster hat der Dichterin ein Denkmal gesetzt; Meersburg will nachfolgen, sobald die nötigen Mittel vorhanden sind. Der Verfasser dieses Aufsatzes in Meersburg ist gern bereit, Beiträge dafür in Empfang zu nehmen.
Man muß es unserer Dichterin lassen: so eigenartig die Schöpfungen ihrer Muse oft auch in ihrer herben Form und mystischen Auffassung sind, wir lesen uns doch bald willig ein! Es ist eine merkwürdig selbständige Kraft der dichterischen Aeußerung, die sich darin kundgiebt; hoher humaner Sinn, tiefe Wärme und Empfindung beseelen ihre Lieder. Und so wird wahr bleiben, was sie selbst von den Kindern ihrer Muse gesagt hat:
„Meine Lieder werden leben,
Wenn ich längst entschwand,
Mancher wird vor ihnen beben,
Der gleich mir empfand.
Ob ein andrer sie gegeben
Oder meine Hand
Sieh, die Lieder durften leben,
Aber ich entschwand.“