Die Offenbarung Johannis/Die religionsgeschichtliche Betrachtung
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Einen neuen Einschnitt in die Geschichte der Auslegung der Apk bedeutet trotz aller Einwände, die man gegen dasselbe erhoben hat, das Werk Gunkels, Schöpfung und Chaos, 1895. Gunkel gibt zwar eine ausführliche Erklärung nur zu einer kleinen Partie der Apk, zu Kap. 12 (daneben eine Reihe von Aufklärungen über verschiedene wichtige Stellen), aber er begründet eine neue Methode der Auslegung und bringt zugleich in Auseinandersetzung mit andern Gesamtanschauungen eine sehr lehrreiche Methodologie. Gunkel wendet sich zunächst scharf gegen eine übereilte literarkritische Methode (202-235). An der zeitgeschichtlichen Methode tadelt er vor allem das haltlose Hin- und Herraten, das Allegorisieren und Symbolisieren, das Ausdeuten im einzelnen. Leicht wird es ihm, den einen Ausdeuter der Apk mit den Deutungen des andern durch einfaches Nebeneinanderstellen zu schlagen. Sehr beherzigenswert, wenn auch von G. einseitig übertrieben, ist der Gedanke, daß der Apokalyptiker von der Zukunft und nicht von der Vergangenheit weissage, und daher im allgemeinen zeitgeschichtliche Anspielungen bei ihm seltener, als man bisher annahm, zu erwarten sind. So erklärt G. zum Schluß seiner Ausführungen (233f.) der bisherigen zeitgeschichtlichen Erklärungsweise den Bankerott. Von zeitgeschichtlichen Beziehungen läßt er jedoch wenigstens die Beziehung des Tieres auf das römische Reich stehen. Bedauerlich ist es, daß G. auch die Deutung des verwundeten Hauptes auf Nero bestreitet.
An Stelle der zeitgeschichtlichen tritt nun die traditionsgeschichtliche Methode. G. geht von der Überzeugung aus, daß der Apokalyptiker überhaupt seine Weissagungen nicht erfindet, sondern uralte heilige Tradition, nur ein wenig umgebogen, gedeutet, angewandt, in seinem Werke weitergibt. Kenntnis der ganzen Traditionskette ist erforderlich, wenn man das einzelne Glied verstehen will. Und hier erhebt sich nun die Aufgabe einer religionsgeschichtlichen Forschung im großen Stil. Denn das apokalyptische Material ist im allgemeinen uralt und hat eine Geschichte, die über Jahrtausende und über Völker und Religionen hinüberreicht. Erst nachdem diese Arbeit getan, nachdem das apokalyptische Material mit den Hülfsmitteln vergleichender Religionswissenschaft erforscht ist, kann man sich dann der Literarkritik und Quellenforschung im einzelnen zuwenden. — Hinsichtlich Kap. 12 sucht dann Gunkel nachzuweisen, daß hier ein uralter, zur Eschatologie umgewandelter babylonischer Schöpfungsmythus vorliege.
Im Anschluß an Gunkel — bei teilweisem Widerspruch gegen ihn und unter Ermäßigung einzelner Thesen — ist dann meine Schrift: „Der Antichrist in der Überlieferung des Judentums, des neuen Testaments und der alten Kirche“ 1895 entstanden. In Anlehnung an den Gedanken Gunkels wird hier eine apokalyptische Tradition, die auch der Apk vorgelegen haben[119] soll, genauer untersucht: die eschatologische Tradition vom Antichrist. Das teilweise Recht der zeitgeschichtlichen Erklärung wird Gunkel gegenüber, namentlich hinsichtlich der Deutung der Zahl 666 auf Nero, betont. Die traditionsgeschichtliche und religionsgeschichtliche Betrachtungsweise soll nicht an Stelle, sondern neben die zeitgeschichtliche und literarkritische Methode treten.
Ich habe dann in meiner ersten Bearbeitung dieses Kommentars Gunkels Forschungsmethode – allerdings unter teilweiser Ablehnung im einzelnen – zu vertreten gesucht. Gunkel hat neue Beiträge zum religionsgeschichtlichen Verständnis in dem ersten Heft der „Forschungen z. Rel. u. Lt. d. A. u. N. T.: zum religionsgesch. Verständnis d. N. T.“ S. 38-63, geliefert. G., der übrigens jetzt das relative Recht der zeitgeschichtlichen und literarkritischen Erklärungsweise mehr als früher betont, gibt zahlreiche neue Anregungen auf religionsgeschichtlichem Gebiet. Jülicher sagt (Einl. 205) von Gunkels Forschungen, daß sie bestimmt seien im Verständnis der Apk Epoche zu machen. Daß das richtig ist, kann man sehen, wenn man z. B. die neuesten Arbeiten von Pfleiderer und Völter mit ihren zahlreichen religionsgeschichtlichen Ausführungen und Anmerkungen sich ansieht. Wie weite Kreise die religionsgeschichtliche Betrachtung bereits zieht, geht auch aus dem merkwürdigen und verkehrten Buch von A. Jeremias („Babylonisches im neuen Testament“ 1905) hervor. In eigentümlicher Weise verbindet sich hier Kritiklosigkeit auch gegenüber den wildesten „religionsgeschichtlichen“ Einfällen mit einem offenbarungsgläubigen Standpunkt alten Stils. (Vgl. auch den Aufsatz des Katholiken Th. Calmes, Les symboles de l’apocalypse, Revue biblique internat. XII. 1903, 52-68). Eine vortreffliche Fundgrube für weitere Forschungen auf diesem Gebiet ist das mit ausgezeichneter Stoffbeherrschung und großer Besonnenheit geschriebene Werk von H. Zimmern, die Keilinschriften und d. A. Test (von E. Schrader) Teil II 3. Aufl. 1903. Endlich verweise ich noch im allgemeinen auf meine Untersuchungen zur religionsgeschichtlichen Beurteilung der jüdischen Apokalyptik überhaupt (Rel. d. Judentums 1903, 195-276, 473-489 und jüdische Apokalyptik 1903, 36ff.). Gegenüber Gunkel betone ich mehr die Beziehungen der Apokalyptik zur eranischen Religion. Vgl. noch Volz, jüdische Eschatologie von Daniel bis Akiba 1903; T. K. Cheyne, Bible Problems London 1904. In Greßmanns „Ursprung der israelitisch jüdischen Eschatologie“ 1905 (Forsch. VI) fällt manche das Verständnis der Apk förderliche Bemerkung ab.
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