Die Meerenge von Gibraltar
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Im Kindesalter der Erde reichten die beiden Welttheile, Afrika und Europa, sich schwesterlich die Hand. Das Meer fluthete nicht zwischen den Säulen des Herkules; ein Damm von hartem Fels knüpfte die Erdvesten zusammen und schied das Mittelmeer, damals ein großer Binnensee, von dem atlantischen Ocean. Erst in einer jener spätern Perioden, wo die Kräfte der Tiefe sich von den Banden, welche sie gefesselt hielten, losrissen, bei einer der Katastrophen, in welchen Erdbeben und Durchbruch des unterirdischen Feuers die Erdoberfläche veränderten, stürzten die Felsmauern nieder und die Gewässer der beiden Meere vereinigten sich über ihren Trümmern.
Nach diesem Ereigniß kamen und vergingen viele Aeonen, ehe die Zeit eintrat, wo der Hauch der schaffenden Allmacht die Saat des Menschengeschlechts über die Erde blies und Völkerkeime aus dem Boden der Länder stiegen, wuchsen und sich verbreiteten. Seit jener Zeit ist die Enge von Gibraltar nicht bloß eine Land- und Meerscheide, sie ist auch eine merkwürdige Völkerscheide geworden. –
In zwei Strömen war die Kultur von Morgen nach Abend vorgedrungen: vom Euphrat floß der eine durch Aegypten und Nordafrika, der andere, nachdem er am griechischen Olymp Läuterung empfangen hatte, breitete sich langsam in Westeuropa aus. Beide – jeder mit eigenthümlicher Färbung begabt – hatten an den Säulen des Herkules den ersten Zusammenstoß, und es wurde dadurch der gallenbittere Krieg zwischen [130] Afrika und Europa entzündet, welcher im Laufe zweier Jahrtausende die edelsten Lebenskräfte der größten Nationen der beiden Welttheile innerlich aufrieb und zerrüttete. In Spaniens Feldern würgten sich Rom und Karthago, und nachdem Sieger und Besiegte verblutet und untergegangen waren, brach über die Meerenge von Gibraltar der heißhungrige Löwe der Wüste in die Christenheit des Westens. Der grimme Gaukler im Hedschaz hatte ihn aufgescheucht, und wie der Gluthwind aus der Sahara, so kamen die Sarazenen aus ihren Einöden herüber gestürmt, um in Spanien eines der vier verheißenen Paradiese in Besitz zu nehmen. Es dauerte auf der pyrenäischen Halbinsel viele Jahrhunderte lang der größte Streit, den die Erde noch gesehen, bis endlich der Löwe des Islams vor der himmlischen Jungfrau aus dem Felde weichen mußte. Gebrochen war fortan die Kraft des Orients. Die Trümmer seiner Schaaren flohen über die Wogen in ihre Heimath zurück. Die Meerenge machte seitdem die Scheidewand zwischen Bibel und Koran, zwischen der Kultur des Ostens und des Westens. Auf dem einen ihrer Gestade steht das Kreuz, auf dem andern der Banner des Propheten. Die Pforte des Abendlandes aber ist ihm für immer verschlossen und die ehemaligen Weltstürmer sind in friedliche Nachbarn umgewandelt, oder sie tragen (wie in Algerien) das Joch eines christlichen Königs. Calpe, die alte, schwer gerüstete Europasburg, bedroht nicht mehr feindlich den Orient. Unter der flatternden Flagge Albions singt dort der Brite sein „Rule Britannia“ und sieht stolz herab auf die wechselnden Schicksale Spaniens und auf das eigene, innere, tiefbewegte Leben des Weltstaats, dem er angehört; den afrikanischen Nachbar, den sonst so gefürchteten, würdigt er kaum eines Blicks, denn er ist, ihn mit seinem Maßstab zu messen, in der That zu klein und geringfügig geworden. – Seitdem der große Streit Europa’s mit dem afrikanischen Atlantiden ein völlig abgeschlossenes Drama ist, seitdem ist Gibraltar’s und seiner Meerenge Bedeutung allmählich in ganz andere Beziehung getreten. Unter britischem Scepter ist aus einem Bollwerke Europas gegen Afrika eine Citadelle im britischen Weltreiche geworden, mit der es den Schlüssel zur Pforte des Mittelmeers an seinen Dreizack knüpft, und wodurch das Gewicht seiner Macht in’s Ungeheuere wächst, ja eine Menge Nationen und Staaten abhängig werden von seinem Willen. Gibraltar’s Besitz verleiht England die Diktatur in den Angelegenheiten vieler Länder Westeuropa’s und zugleich das Recht, die Geschicke des Orients zu leiten.
Das schöne Bild, welches diese Worte begleitet, zeigt das 1600 Fuß hohe, unersteigliche, europäische Felsgestade da, wo die Meerenge die geringste Breite hat. Jenseits sieht man die afrikanische Küste[1].
- ↑ Die Festung Gibraltar ist im III. Bande S. 16 beschrieben.