Die Kohlenminen bei Newcastle
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Die Kinderzeit der Menschheit ist eine längst vergangene; aber auch die Jugendjahre unsere Geschlechts sind vorüber. Die himmlische Zeit, wo der menschliche Geist seine dunkle Knospe sprengte, die Zeit der ersten religiösen Erkenntniß, der ersten Wissenschaft, der ersten Poesie, der ersten Forschungen im Reiche der Natur, der ersten Zurüstung für nützliche Thätigkeit ist durch weite Räume von der Gegenwart geschieden, und auch jene ist dahin, wo eine mächtigere Triebkraft der Menschheit geistige Knospe zur Entwickelung spornte, wo das unauslöschliche Feuer der Begeisterung für das Ideale sich mit der höchsten Körperkraft, der höchsten Gesundheit, der höchsten Schönheit paarte, kurz, wo an allen Gütern, welche dem Jünglingsalter zufallen, die Menschheit reich war. Sie steht jetzt auf der Schwelle des gereiften männlichen Alters. Wir sind reich an den realen Gütern, welche der Fleiß unserer Jugend erworben; aber deren Feuer ist unser Erbe nicht. Wir sind reicher, unendlich reicher als unsere Vorältern an Kenntnissen, Erfahrungen, Uebungen des Geschicks; unzählige Irrthümer sind aus unserm Gesichtskreise verschwunden; aber unendlich ärmer auch sind wir an idealen Freuden. Die Entzückung der Jugend erwärmt uns nicht mehr und die Lust der Begeisterung schießt nicht mehr, wie ehedem, in Riesentrieben auf am üppigen Baume des Lebens. Wo sind die Menschen, wo sind die Völker jetzt, welche für große Ideen beharrlich und bis zur letzten Aufopferung erglühen? Wo, unter welchem Volke, wäre es jetzt möglich, daß ein Christus die Welt regenerire, und ein Mohammed Millionen fände, mit Hingebung seine Mission zu erfüllen? Sind auch hie und da einzelne Herzen und einzelne Völker für große Ideen noch empfänglich, so ist doch die Beharrlichkeit in unbegrenzter Aufopferung nimmer zu finden, welche die Jugendgeschichte unsers Geschlechts auf so vielen Blättern schildert, und die noch das Oel für das schwächere Feuer späterer Zeiten ist. Die Idee allein bewegt die Menschen nicht mehr mit Orkanenkraft und schleudert ihre Wogen gen Himmel; – die Idee hat nur noch den kleinern Antheil an den stürmischen Erscheinungen der Menschenfluth: viel mächtiger wirken materielle Beweggründe und Hebel, und wo nachhaltige Wirkungen erfordert werden, da sind sie der heutigen Menschheit unentbehrlich. Die Vorältern wagten viel leichter, denn sie waren jung; ihnen durfte nur ein Christus, oder, wenn Ihr’s lieber wollt, ein Gottessohn, auf dem Berge stehen, und sie kamen herbei, ihn zu ehren, ihm zu glauben, ihm zu folgen; wir, das männlich-gereifte Geschlecht, das will weniger wagen, als erwägen, und viel näher als dem Idealen auf göttlichen Höhen steht unser Sinnen und Trachten dem realen Vortheil, dem ruhigen, selbstischen Genuß. Man strebt weniger darnach, der Wirklichkeit Idealität zu leihen, als umgekehrt, diese zur Wirklichkeit herabzuziehen. Suchen wir ja nach Idealen, so suchen wir sie nicht mehr außerhalb
[113] des beweglichen Lebens, oder es sind veraltete, ermattete; – Ideale, nicht wie sie der schöpferische Gedanke vorhält, sondern aus den Büchern der Geschichte genommene. Es ist eine ärmliche Fruchtnachlese dürrer Aehren; die reiche Lenzblüthe ist abgeweht; sie kommt nie wieder. –
Doch auch das Mannesalter hat seine Blüthen, auch des Mannes Brust ist ein Göttersaal. Die höhere Erkenntniß, die größere Wissenschaft, die menschlichere Gesinnung, die Liebe für den Frieden und seine Künste können der Menschheit das Feuer der verlornen Jugend ersetzen. An den Enthusiasmus für das Ideale ist die Begeisterung für das Reale getreten, und indem sich die Menschheit mehr mit der Wirklichkeit beschäftigt, schmückt sie diese sorgfältiger aus und des Menschen Leben auf Erden richtet sich bequemer, genußreicher ein. Ich sehe in diesen Tendenzen nur Förderliches für die Zwecke der Menschheit; mich kann die Präponteranz, welche die materiellen Interessen im allgemeinen Streben nach der Erlangung eines größern Theils am Genusse irdischer Glückseligkeit erlangt haben, durchaus nicht beunruhigen. Es ist dem Mannesalter der Menschheit angemessen und an sich unverwerflich.
Durch diesen allgemeinen Wetteifer, sich das Leben zu verschönern und genußreicher zu machen, müssen sich die menschlichen Bedürfnisse in’s Unendliche vermehren; – denn Genuß und Bedürfniß sind stets unzertrennlich. Erwerb bietet zur Befriedigung das Mittel und Erwerb ist daher jetzt vorzugsweise das Ziel der menschlichen Thätigkeit. Daher ist auch die Industrie zu so hohem Ansehen gelangt, eben weil sie die reichste Fundgrube des Erwerbs besitzt; und daher haben auch die Elemente der Industrie jetzt eine Gültigkeit und Anerkennung ihres Werthes, wie sie solche in der alten Welt, in der Jugendzeit der Menschheit, nie erlangen konnten, und daher auch nimmt die Aufsuchung und Ausbeutung dieser Elemente gegenwärtig eine so ungeheuere Menge menschlicher Kräfte in Anspruch. Man hat berechnet, daß nur allein der Anbau von Baumwolle und Flachs, die Gewinnung der fossilen Kohlen und die Bereitung des Eisens ein Dreißigstel der ganzen civilisirten Menschheit beschäftigen.
Steinkohlen, ein Schatz, den man in früherer Zeit nicht achtete und kaum gekannt hat, sind in Verbindung mit Eisen nicht nur die großen Motore der heutigen Gewerbsthätigkeit, sondern der Einrichtungen, auf welche die Entwickelung des Menschheitslebens in Gegenwart und Zukunft hauptsächlich fußt. Man könnte sagen, die Civilisation knüpft ihre Fäden an Eisenlager und Kohlenflötze; daß sie in der Schätzung des Reichthums der Nationen das schwerste Gewicht in der Waagschaale sind, ist nicht zu bestreiten.
Seinen reichen Steinkohlenlagern verdankt namentlich England die ungeheuere Entwickelung seiner Industrie, seines Nationalreichthums, und, als Folge desselben, seine politische Größe. Ohne seine Kohlen wären die Erfindungen eines Watt, Boulton, Arkwright, Stephenson für England ohne Vortheil; sie hätten kein Leben, keine Kraft, keine Bewegung. Erst dann nahm die englische Industrie jenen weltbeherrschenden Aufschwung, als man den unermeßlichen Schatz der Kohlenablagerungen zu würdigen verstand, und als eine aufgeklärte Gesetzgebung den Bergbau gleichzeitig von den feudalistischen Fesseln befreite, unter denen er, [114] wie solches leider! in Deutschland fast überall noch der Fall ist, geseufzt hatte, und das Recht der Ausbeutung der unterirdischen Güter als ein legales Eigenthum an den Grundbesitz geknüpft wurde, frei von aller staatlichen Controlle und Bevormundung. Dieses Aufgeben eines überdies unfruchtbaren Regals, das hat die Wunder gewirkt, welche wir im britischen Bergbau anstaunen, und es wird überall Aehnliches hervorbringen, wo man dem Beispiele Englande nachthut. Jetzt sind alle Gegenden Großbritanniens, wo Kohlenablagerungen vorhanden sind, Centralpunkte der Industrie; denn Kohlen sind deren erstes Lebensbedürfniß. Manchester, Sheffield, Birmingham, Leeds, Glasgow, Boulton, Newcastle mit seinen Potteries etc. etc., sie waren nichts ohne den Kohlenbergbau in ihrer Nähe. Weiter bedarf es aber nichts, als solche Namen zu erwähnen, um an den unermeßlichen Antheil zu erinnern, den die Kohlenbergwerke an der commerziellen und industriellen Größe Albions haben.
Die Steinkohlen ersetzen schon seit einem halben Jahrhundert in England das Holz und die Holzkohlen, sowohl bei Dampfmaschinen, als zur Zimmerheizung und in der Küche, in den Werkstätten, bei allen Gewerben. Steinkohlen dienen als Gas zur Beleuchtung, als Theer zum Anstreichen der Schiffe etc. etc., als Koak für alle metallurgische Prozesse. Jedes Jahr werden in England über 50 Millionen Tonnen, oder über tausend Millionen Centner Steinkohlen gewonnen, eine ungeheuere Ausbeute, die noch immer wächst und die schon früher lebhafte Besorgnisse für die Zukunft erregt hat. Man fürchtete nämlich, die Quellen dieses Reichthums möchten versiegen und Englands Schicksal dadurch gefährdet werden, welches mit seiner Kohlenproduktion so innig verknüpft ist. Die Frage war so ernst, daß das Parlament selbst eine Untersuchung deshalb anordnete. Ihr Resultat war geeignet, vollständig zu beruhigen. Man fand, daß sich nur allein in den Niederungen von Durham und Northumberland die Kohlenablagerung über einen Flächenraum von etwa 720 engl. Geviertmeilen ausdehnt, derselbe nach dem geringsten Anschlage über zehn Milliarden Tonnen (zu 20 Centnern) liefern kann, und diese allein im Stande wären, den Kohlenbedarf Englands auf einen Zeitraum von 200 Jahren zu decken. Die Kohlenlager von Wales sind noch reicher. Sie dehnen sich über einen Raum von 1200 engl. Quadratmeilen aus, und nachdem man in den letzten Jahren unter den bisher in Abbau gewesenen Kohlenflötzen tiefer liegende von bedeutender Mächtigkeit entdeckt hat, kann man die in Wales vorhandenen Kohlen auf mindestens fünfunddreißig Milliarden Tonnen berechnen. Es reichen also jene drei Lager allein schon für die vollständige Befriedigung Großbritanniens auf neun Jahrhunderte aus.
Jede Furcht vor Erschöpfung des britischen Kohlenreichthums ist demnach chimärisch; es ist vielmehr gewiß, daß England nicht nur für sich, sondern auch zur Versorgung der übrigen Welt Ueberfluß hat, weshalb die Regierung kein Bedenken trug, der Kohlenausfuhr die Fesseln abzunehmen und sie, eine ganz geringe Abgabe ausgenommen, frei gab. Durch den Wetteifer der Speculation (man schätzt das auf den Betrieb der Kohlenwerke angelegte Capital auf 45 Millionen Pfund Sterling!) sind die englischen Kohlen unglaublich wohlfeil geworden, und bei dem Preis von 2½ Schilling die Tonne (4½ Kreuzer oder 1½ Ngr. der Centner) weiß der Unternehmer sich für sein Kapital, Risiko und die Gewinnungskosten noch bezahlt zu machen. Daher das [115] Uebergewicht Englands in der metallurgischen und jeder andern Industrie, bei welcher Brennstoffe einen großen Verbrauch haben; daher die Fähigkeit, seine Kohlen mit Vortheil in die halbe Welt abzusetzen und selbst dahin welche zu versenden, wo sich Minen und reiche Kohlenlager befinden. Das geregelte Ineinandergreifen großartiger mechanischer und Kapitalkräfte bewirkt das Uebrige. Ein englisches Kohlenwerk ist wie ein Uhrwerk. Wo man hinblickt, ist Thätigkeit, Ordnung.
Einen kleinen, krüppelhaften Bergbau, wie er in den deutschen Kohlendistrikten meistens vorkommt, und wie er auch in den schottländischen und irischen noch zu finden ist, kennt man in England gar nicht mehr. Er hat dem großartigsten Betriebe Platz gemacht, der Millionen zu seiner Einrichtung fordert, aber auch Hunderttausende abwirft. In jetziger Zeit ist der Angriff eines neuen Kohlenbergbaus ein schon sehr bedeutendes Unternehmen, dem nur große Kapitalkräfte gewachsen sind.
Die erste Arbeit nämlich auf einem zur Ausbeutung bestimmten Kohlenfelde ist das Abbohren desselben, um über Lagerung und Mächtigkeit der Kohlenstraten Auskunft zu erlangen. Da man jetzt meistens zu einer Tiefe von 1000 Fuß und darüber dringen muß, so frißt diese gewagte Untersuchung vornweg eine große Summe, oft 10,000 bis 30,000 Pfund Sterling. Auf die damit erlangten Resultate gründet sich nun der Angriffs- und Abbauplan. Das Abteufen des Maschinenschachts, der zur Hebung der Wasser aus dem ganzen Felde bestimmt ist, welches in Bau genommen werden soll, folgt zunächst. Es ist die schwierigste und kostspieligste Arbeit; denn der Schacht wird in der Regel auf der tiefsten Stelle des Kohlenflötzes niedergebracht. Oefters kostet er, weil er nicht selten von oben bis unten, also oft über 1000 Fuß tief, mit eisernen Cylindern, oder Ringen, wasserdicht ausgesetzt werden muß, 500,000 bis 1 Million Gulden. Dann werden ein oder zwei Wetter- und Förderschächte angelegt, durch welche die in der Tiefe gehauenen Kohlen zu Tage gebracht werden. Von der Sohle der Schächte werden hierauf, gemeinlich im Kohlenflötze selbst, sogenannte Förderstrecken getrieben, nämlich 8 bis 9 Fuß weite und 7 Fuß hohe, möglichst horizontale, oder wenig geneigte Gänge, welche mit Eisenbahnen belegt sind und auf welchen in großen Werken die Fortschaffung der Kohlen in eisernen Wagen mit Pferden geschieht. Auf diese Hauptgänge stoßen rechtwinklich die Nebengänge, die Abbaustrecken, die zu beiden Seiten für den Zweck der Kohlengewinnung, und in regelmäßigen Entfernungen, in das Flötz getrieben werben. Auch diese haben Eisenbahnen; es werden auf solchen, meist mit Menschenhänden, in kleinern Wägen die Kohlen zu den Förderstrecken geschafft. – Während diese unterirdischen Bauten vorgenommen werden, ist man über Tage beschäftigt, die nöthigen Gebäude, Maschinen etc. etc. zu errichten und aufzustellen. Man baut um die Schachtmündungen her weite Platforms, die mit Eisenplatten belegt werden, für die Empfangnahme der Kohlen bestimmt, und führt Schienenwege in die an den Ladeplätzen gelegenen Magazine. Man stellt die Dampfmaschinen auf, welche das Wasser pumpen und die Kohlen aus der Tiefe mit der Schnelligkeit des Blitzes heraufheben; die Apparate, welche den Grubenarbeitern gute Wetter, d. i. frische Luft, zuführen; man baut Chausseen, oder wohl gar meilenlange Eisenbahnen nach dem nächstgelegenen Hafen, oder Strome, oder Kanal, oder einer schon bestehenden Commerzial-Eisenbahn; [116] man baut die Häuser, um die Beamten, die Aufseher, und wenn die Mine entfernt von Dörfern ist, um auch die Arbeiter unterzubringen, und so ist gemeinlich schon ein Dorf oder Flecken entstanden, ehe noch der erste Kohlenwagen aus der Grube emporsteigt. Ist Alles glücklich vollendet, worüber oft drei bis 4 Jahre vergeben, dann wird der feierliche Tag angekündigt, wo die erste Kohlenförderung der langen, ausdauernden Arbeit und so vieler Opfer an Geld und Ruhe den ersten Lohn bringen soll. Ein solcher Tag ist ein glänzendes Fest. Musikchöre werden in die Tiefe gelassen; unter Musik wird der erste Kohlenwagen geladen; das freudige Hurrah! der Hunderte von schwarzen Gesellen unten verkündigt den Moment der Auffahrt; Musik, Böllerschießen und eine festlich geschmückte bunte Menge am Schachtrand empfängt ihn oben. Der beharrliche Unternehmer ist der König des Festes, und seine Freigebigkeit hat keine Grenzen. Oft wird ein solcher Festtag zu einer Festwoche voller Genuß und Fröhlichkeit.
Ist schon das Unternehmen eines einzigen Kohlenbergwerks so groß, und erfordert es so viele Kräfte und so große Kapitale, so sind doch die noch viel größer, welche die Anstalten verbrauchen, zu denen sich die Eigenthümer mehrer Gruben zu ihrem gemeinschaftlichen Vortheil vereinigen. Ein solcher Verein der Kohlenwerksbesitzer eines Distrikts schießt viele Millionen zusammen, um Wege durch Berge zu führen, Viaducte über Thäler zu bauen, Flüsse schiffbar zu machen, Kanäle zu graben, oder an dem nächsten Ufer des Meers Hafenbauten zu unternehmen, welche in jedem andern Lande als Riesenwerke angestaunt werden würden; dort aber, als etwas Alltägliches, nicht einmal in Erwähnung kommen. Alles das geschieht vielleicht blos, wegen einer Ersparniß in den Transportkosten, die, auf den Centner ausgeschlagen, so gering scheint, daß man nicht begreift, wie es sich so großer Anstalten verlohnen könne; wenn man aber erwägt, daß eine einzige Kohlengrube der größten Art täglich über 10,000 Centner Kohlen fördert, und wenn man jenen so klein scheinenden Vortheil auf die Unzahl von Centnern berechnet, welche jährlich transportirt werden, und die Summe dann, als eine stete Ersparniß, kapitalisirt, so löst sich das Räthsel und man sieht ein, daß die Leute wohl Millionen daran setzen konnten, um an der Fracht von einem Centner Kohlen bis zu den Verkaufs- oder Consumtionsorten ein paar Pfennige zu ersparen. An den Häfen, oder an den Ladungsplätzen bei einem Flusse, Canale, oder am Meere, laufen die Eisenbahnen von den verschiedenen partizipirenden Kohlenwerken zusammen. Sie endigen auf einer, über den Canal, oder Strom, oder über dem Hafenbassin, von Eisen construirten großen Plattform, die man Steith nennt. Auf dem Boden derselben befinden sich Fallthüren, und unter denselben liegen die Schiffe vor Anker, welche ihre Ladung erwarten. Die angekommenen Kohlenwagen öffnen sich vor den Fallthüren durch einen angebrachten Mechanismus von selbst und stürzen ihre Ladung hinab in den darunter befindlichen Schiffsraum ohne Zuthun einer Menschenhand; wenn sie sich entleert haben, so schließen sie sich wieder, um mittelst des Gegengewichts der auf geneigter Fläche herabrollenden folgenden Wagen leer wieder an ihre Bestimmung zurück zu laufen. Sind die Kohlen nicht fest, sondern mürbe, so führt aus der Fallthüre ein schiefer, inwendig mit Blech gefütterter Schlauch von Holz die Kohlen zum Schiffsraum. Er ist so wenig geneigt, daß die Kohlen langsam hinab [117] gleiten und das zermalmente Aufstoßen vermieden wird. Im ganzen Prozeß des Kohlentransports tritt der Mechanismus und die sinnreiche Benutzung nichts kostender Naturkräfte an die Stelle der menschlichen Arbeit, und in der möglichsten Ersparung der letztern, wovon man in Deutschland z. B. kaum etwas weiß, liegt der Schlüssel zu dem Räthsel, wie es möglich ist, daß bei der Kostspieligkeit der ersten Anlage und bei einem Preise für Handarbeit, der zwei bis dreimal so groß ist, als bei uns, die britischen Kohlengrubenbesitzer doch aus den dort so sehr niedrigen Kohlenpreisen noch Vortheil ziehen können.
Die reichsten Kohlenminen Englands sind in den nördlichen Grafschaften, in Northumberland, Durham, York, Nottingham, Derby, Stafford, Lancaster und Cumberland. Die Kohlenschichten der zwei letztern Grafschaften haben eine Mächtigkeit von 2 bis 7 Fuß, die in Stafford aber bis zu 30 Fuß. Es liegen öfters 4–12 Schichten übereinander, durch mehr oder weniger mächtige Zwischenlager von Schieferthon und Sandsteinen getrennt; aber von vielen sind, seltene Fälle ausgenommen, nur einige bauwürdig, d. h. hinlänglich dick, um die Kosten zu ersetzen. – Die Newcastler Minen und jene von Sunderland liefern die meisten Kohlen für London zur Zimmerheitzung; sie sind sehr fett und brennen bei schwachem Luftzug mit heller Flamme. Zur Verkoakung für die meisten metallurgischen Prozesse ist eine fette (bituminöse), beim Glühen aufschwellende und eine poröse, feste Kohle (Koak) hinterlassende Steinkohle brauchbar. Man unterscheidet in England an 70 Steinkohlenarten, die sich in mehre Familien ordnen.
Von der jährlichen Kohlenausbeute in Großbritannien (1000 Millionen Centner, die einen Werth von etwa 18 Millionen Pfund Sterling haben) verbraucht London allein etwa 140 Millionen Centner; 160 Mill. consumirt die Eisenfabrikation; die übrigen Industrien nehmen etwa 280 Mill., Eisenbahnen und Dampfschiffahrt 90 Mill. hinweg. Ausgeführt werden etwa 25 Millionen Centner. In den Kohlenbergwerken und in allen denselben unmittelbar dienenden Anstalten sind 280,000 Arbeiter beschäftigt, welche wöchentlich etwa 1¾ Millionen Gulden Lohn empfangen. Blos auf der Tyne (bei Newcastle) sind 9000 Keelmen mit der Beförderung der Kohle auf dem Flusse beschäftigt. 27,000 Fluß- und Canalfahrzeuge und 11,000 größere Seeschiffe dienen zum Kohlentransport. Sie führen eine Bemannung von 120,000 Matrosen, mehr als die ganze Kriegs- und Handelsmarine Frankreichs, Oesterreichs, Preußens und Rußlands zusammen! – Die Länge der von den Kohlenwerken nach den Häfen oder Ladeplätzen führenden Eisenbahnen beträgt 1900 englische Meilen, folglich mehr als alle jetzt fahrbaren Eisenbahnen des europäischen Continents. –
Ich denke nie ohne Aufregung der Stunde, da ich, während meines Aufenthalts in England, zum Erstenmale ein Kohlenwerk besuchte. Es war im hohen Sommer. Wir gingen von Newcastle das Tynethal hinauf. Schwül war’s; schwarze, weißrandige Gewitterwolken standen am Himmel; von der Erde aber, vor uns, [118] stiegen dichte Rauchwolken auf, die alle Gegenstände in einen düsteren, grauen Schleier hüllten. Wie wir weiter kamen, erschien uns die ganze Gegend wie eine Solfatara und endlich umgab uns der rußige, stinkende Dampf selbst, und raubte uns jede Fernsicht. Aus der Tiefe wurden unheimliche Töne hörbar: – das Aechzen der Pumpen, das Stöhnen der Dampfmaschinen, daß Rasseln der auf- und absteigenden Wagen, das Sprengen der Kohlenmassen unter unsern Füßen. Das Dröhnen in dem Eingeweide der Erde, dazu die auf den Eisenbahnen zum Strome dahin rollenden Wagen, welche eine unsichtbare Kraft zu bewegen schien, das geschäftige Hin- und Hereilen der schwarzen, berußten Menschen gaben der ganzen Scene etwas Grausenhaftes, Gespenstiges. Plötzlich zerspaltete sich das Gewitter über uns, der Himmel wurde zum Feuermeeer, der Donner brüllte, der Regen stürzte in Strömen nieder. Wir eilten zu dem nächsten Zechenhause, einem weiten Gebäude mit thurmhohen Schlöten, und traten ein.
An die Stelle der Beängstigung trat zuerst Staunen, dann Bewunderung. Alles in dem Hause war in Kohlenstaub gehüllt, schwarz, finster; aber desto imposanter sah der Geist der Ordnung und Regelmäßigkeit durch, welcher in den weiten Räumen herrschte. Den Hauptplatz nahm die große Dampfmaschine ein, die Seele des Ganzen. Sie hatte eine Kraft von 300 Pferden, und die colossalen Cylinder von 5 Fuß Durchmesser hoben sich so ruhig auf und nieder, daß man kaum ein Geräusch vernahm. Ein gußeiserner Balancier, 400 Centner schwer, regelte ihre Wirkung; ruhig senkte sich der herkulische Hebel und hob sich wieder in stetem Wechsel. Hundertfältiges Räderwerk und Getriebe ging so still und sanft wie ein Uhrwerk. Boulton hatte die Maschine gebaut; mir schien der Geist des großen Meisters gegenwärtig: ich war voller Ehrfurcht. Neben der Maschine öffnete sich ein Schlund der Tiefe. Wagen voller Kohlen, Bergleute, schwarz wie das, was sie ausbeuteten, Beamte mit rußigen Gesichtern kamen herauf und verschwanden, schnell wie die Schatten. Bei aller Thätigkeit um und neben und über und unter uns nirgends Lärm, nirgends Verwirrung. Ueberall Eile ohne Uebereilung; überall That: – nirgends Worte.
Auf die Einladung des uns begleitenden Offizianten stiegen wir in einen leeren Kohlenwagen, der eben in den Schacht einfahren wollte, und auf ein Zeichen ging es mit Blitzesschnelligkeit hinab, mehre hundert Fuß tief. Wir hielten an der ersten Gallerie, wo das oberste Kohlenflötz, das hier eine Mächtigkeit von 5 Fuß hatte, ausgebeutet wurde, und stiegen aus, um die Kohlengewinnung selbst zu betrachten. Ein Bergmann eilte auf das mit einer Pfeife gegebene Zeichen des Offizianten herbei und führte uns zur nächsten Arbeitsstrecke. Man hatte eben eine etwa 12 Fuß lange Wand verschrämt, die nun mittelst eines mit Pulver gefüllten Bohrlochs abgesprengt werden sollte. Der Schuß geschah; eine Kohlenmasse von mindestens 300 Centnern stürzte herein, meistens in großen, ja zum Theil so großen Stücken, daß sie drei Mann nicht bewegen konnten und sie mit Hammer und Keil gespalten werden mußten. Wie ganz anders sah ich es nachher in Deutschland, wo man die Kohle bis zur heutigen Stunde noch mit der Keilhaue gewinnt! Um, wie dort, 300 Centner zu gewinnen, braucht ein Bergmann auf deutschen Werken wohl eine ganze Woche; die Gewinnungskosten sind dann das Fünffache [119] und die Hälfte der Kohle wird zermalmt, wodurch der größte Theil ihres Werthes verloren geht. – Nach dem Sprengen auf der engl. Grube wurden die am Boden liegenden Kohlen in die schon bereit stehenden vierrädrigen, auf Schienenwegen laufenden, mit Hacken an einander zuhängenden Körbe geschafft und während dem trat ein Aufseher herzu, mit einem Buche in der Hand, der nachsah, ob die Körbe gehörig voll waren, ihre Anzahl notirte, sich dann auf den hintern Korb setzte und sich mit dem ganzen Zuge von dem einen der Arbeiter an das Füllort der Strecke laufen ließ. Die andern zwei schrämten inzwischen eine neue Kohlenwand zum Sprengen vor und nach einer Viertelstunde, auf dem Rückwege aus der Grube, hörten wir schon den Schuß, der die Erneuerung der eben beschriebenen Arbeiten anzeigte. Am Füllort, unter’m Schacht, sahen wir die mit Rädern versehenen Kohlenkörbe am Hebeseil befestigen; im Nu sind sie oben, stürzen sich in einen hölzernen Schlauch, dessen schiefliegender Boden mit Siebdraht überflochten ist, reinigen sich so vom Gruß und kommen in gröbern Stufen zur Bank, wo sie von Weiber- und Kinderhänden einer raschen Sortirung in sehr große, mittelgroße und kleine Stücke unterliegen und dann in eiserne Wägen, jeder von 100 Centner Inhalt, gefüllt werden, die, auf der geneigten Fläche einer Eisenbahn, von selbst zum Quai am Flusse laufen, wo sie sich in die harrenden Schiffe stürzen.
Die Bergleute in den englischen Kohlengruben haben eine sehr schwere Arbeit; sie werden aber auch tüchtig bezahlt. Der gewöhnliche Lohn für einen Kohlenhauer ist in den Newcastler Werken etwa 1½ Gulden täglich; und mancher, der besonders gewandt und fleißig ist, steht sich wohl auf das Doppelte. Der Lohn richtet sich nach der geförderten Menge und ist in jeder Abbaustrecke, nach Verschiedenheit der Mächtigkeit der Kohlenschichten etc., anders. Gesund mag die Beschäftigung nicht seyn. Ich fand die Arbeiter meist von einem bleichen, kränklichen Aussehen, ihre Stimme war rauh, ihr Athem kurz, ihre Augenlieder geschwollen, der Stern des Auges wenig entwickelt; das Tageslicht ist ihnen beschwerlich. Schrecklich ist die Arbeit Derer, welche die Kohle aus schmalen Schichten gewinnen, in welchen sie oft nur liegend, oder in ganz gekrümmter Stellung, arbeiten können, und gerade in diesen schauerlichen Höhlen, die, oft tausend Fuß tief, sich wie Dachslöcher unter der Erde fortwinden, ist die Zuführung frischer Luft am schwierigsten und die Gefahr vor dem fürchterlichen Firedamp (entzündlichem Kohlengas) am größten. Nicht immer ist eine solche Gefahr durch die Anwendung der Sicherheitslampe zu vermeiden; und wie häufig die Unglücksfälle noch sind, beweist die officielle Angabe, daß in den letzten Jahren durchschnittlich 1100 Personen in den britischen Kohlengruben durch Gasexplosion um’s Leben gekommen sind. Wenn, was in ganz großen Werken, wo wohl 800 bis 1000 Bergleute arbeiten, ziemlich häufig geschieht, eine Explosion eintritt und dann aus der entzündeten Strecke Blitze zucken, ertönt die Alarmglocke, alle Arbeiter springen im Nu von der Arbeit, werfen sich platt auf die Erde nieder, oder eilen dem Schachte zu. Man hat Beispiele, daß die ganze Grube so mit Gas angefüllt war, daß die Entzündung sich durch alle Räume verbreitete und Hunderten von Bergleuten auf einmal den Tod brachte. Darum ist auch das Zuführen von frischer Luft und die Circulation derselben in allen Räumen, ein Hauptaugenmerk der Minenadministration,