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Die Irrlichter am Grundtümpel bei Wildenau

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Textdaten
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Autor: Widar Ziehnert
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Titel: Die Irrlichter am Grundtümpel bei Wildenau
Untertitel:
aus: Sachsen’s Volkssagen: Balladen, Romanzen und Legenden. Band 2, S. 57–70
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1838
Verlag: Rudolph & Dieterici
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Erscheinungsort: Annaberg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Commons
Kurzbeschreibung:
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[57]
7.
Die Irrlichter am Grundtümpel

bei
Wildenau.

[58] Wildenau, Dorf im Amte Grünhain, östlich von Schwarzenberg, am rechten Ufer der Pöhl, die am untern Ende des Dorfes in’s Schwarzwasser fließt. In der Pöhl ist der sogenannte Grundtümpel an den Pfeilhammerwiesen, wo das Wasser immer wirbelt und unzählige Irrlichter sich sehen lassen, so daß sich diese Sage, deren Zeit und etwaige geschichtliche Grundlage übrigens keineswegs zu bestimmen ist, leicht erklären läßt.




[59]

Ein kleines Fischerhüttchen stand
     vor alten grauen Zeiten
hart an der Pöhl beblümtem Rand,
     umgrünt von Silberweiden.

5
Drin blüht’ dem Fischer Kilian

die einz’ge Tochter still heran,
     frisch wie die Ros’ am Stengel,
     und hold und sanft wie Engel.

Sie war die Schönste weit und breit,

10
     ein Kind von siebzehn Jahren.

Wohl wußte sie vor Eitelkeit
     der Alte zu bewahren;
Doch junger Liebe stille Gluth
lacht jeder Aufsicht, jeder Huth.

15
     Gertrudens Herzchen brannte,

     eh’ es der Vater ahnte.
 
Der war nicht mürrisch, ja sogar
     ein Freund von Jugendfreuden,
drum oft in seinem Stübchen war

20
     ein Schwarm von jungen Leuten.
[60]

Die kamen mit dem Abendthau
herüber all von Wildenau;
     dem schönsten unter ihnen
     war Trudchen schön geschienen.

30
Auch Berthold von Gertruden war

     vor allen gern gesehen,
sie schienen beide wunderbar
     einander zu verstehen.
Ihr Lieben war ein Blick, ein Gruß,

35
ein Händedruck, im Spiel ein Kuß,

     doch mußten oft die beiden
     vom Scherz der Andern leiden.

Die heilige Andreasnacht
     sank auf die Fluren nieder,

40
der Winter zog heran mit Macht

     in schneeigem Gefieder;
da saß im Stübchen, traulich warm,
der jungen Leute froher Schwarm,
     die Burschen schnitzten Kannen,

45
indeß die Dirnen spannen.


Zuletzt sprach Vater Kilian,
     den Pfeifenstumpf im Munde:
„Ich dächt’, ihr hättet gnug gethan,
     ’s ist in der zehnten Stunde.

50
Heut’ ist der Tag der Zauberei,

Erbschlüssel her und Zinn und Blei,
     auf daß die Mädel sehen,
     mit wem zur Trau sie gehen.“

[61]

Der Alte sprach’s. Da ruhten rasch

55
     die Messer und die Rocken,

Gertrude holte einen Asch
     und alte Leuchterbrocken.
Bald schmolz das zauberkräft’ge Blei
im Löffel an der Lamp’ entzwei,

60
     und wurde durch den Schlüssel

     gegossen in die Schüssel.

Jedwede goß sich einen Mann,
     die einen schlanken Steiger,
die einen dicken Zimmermann,

65
     die einen krummen Geiger.

Natürlich that die Einbildung
das Meiste bei der Auslegung;
     nur Trudchen brauchte leider
     nicht diese erst zum Deuter.

70
Sie kam, die letzte, an die Reih’;

     da schäkerten die Andern:
„Berthold, jetzt mußt du mit dem Blei
     stracks in die Schüssel wandern!“
„Na,“ lachte Trudchen, „seyd doch still,

75
und schaut, was ich mir gießen will;

     das Blei ist nur zu wenig,
     sonst göß’ ich einen König.“

Sie goß – Was ist das? Ach, o weh!
     Es zischte aus der Schüssel

80
ein blaues Flämmchen in die Höh,

     vom Blute troff der Schlüssel.

[62]

Bestürzt fuhr rings die Schaar zurück:
„Das deutet Tod und Mißgeschick!“
     Das Lachen und das Necken

85
     ward jach zu Angst und Schrecken.


Der Löffel mit dem Zauberblei
     entstürzte Trudchens Händen.
„Weiß Gott, wie nur die Gießerei
     so traurig konnte enden!“

95
so sprach der alte Kilian,

„nun, nehmt’s euch nur nicht gar so an!
     Wer weiß, welch schädlich Wesen
     in euerm Blei gewesen.“

„So lang ihr fromm und ehrbar seyd,

95
     kann euch kein Teufel schaden,

bleibt bei der Tugend jederzeit,
     so seyd ihr gut berathen.
Jetzt aber laßt das Trauern seyn,
und tanzt einmal den Ringelreihn!“

100
     Der Alte sprach’s. Sie thaten

     geschwind, was er gerathen.

Allmählig war beim Ringeltanz
     die Bangigkeit verschwunden,
die Freude hatte endlich ganz

105
     sich wieder eingefunden.

Da sprach Bertholdens Schwester: Heut
giebt uns die Geisterwelt Bescheid!
     Laßt uns nach Reisern gehen,
     die an dem Wasser stehen!

[63]
110
„Ei ja!“ Die Andern stimmten bei:

     „Und wenn die Knospen blühen,
da wird kein Freier ungetreu
     dereinstens von uns fliehen.
Nur daß Niemand ein Wörtchen spricht,

115
sonst hilft uns Sanct Andreas nicht.

     Komm, Trudchen! In den Gerten
     wird dir mehr Hoffnung werden!“

Doch Trudchen wollte nicht mit fort,
     ihr war’s so angst und bange,

120
sie gaben ihr manch gutes Wort,

     doch sträubte sie sich lange,
bis denn zuletzt der Vater spricht:
„Geh, Trudchen, mit, und fürcht’ dich nicht,
     was mit dir soll geschehen,

125
     dem kannst du nicht entgehen.“


Drauf schlichen all sie zum Gesträuch
     gar still und stumm und leise,
und Jede brach sich ihren Zweig,
     umglast’ von sprödem Eise.

130
Jetzt kam auch Trudchen an die Reih’:

– „Hilf, Jesu Christ, und steh mir bei!“ –
     Ein Nix, ach! zog Gertruden
     hinunter in die Fluthen. –

Zwei Spannen nur vom Wasser stand

135
     der Zweig, den sie sich knickte,

kein Wunder, daß der Nixenhand
     der Raub der Dirne glückte.

[64]

Der böse Nix[WS 1], der sie geraubt,
trug eine Krone auf dem Haupt,

140
     blau war er wie die Schlehe

     vom Kopfe bis zur Zehe.

Woher er kam, man wußt’ es nicht,
     so schnell war er gekommen,
sonst hätten wohl den argen Wicht

145
     die Burschen festgenommen.

So aber standen sie verblüfft,
wie wenn der Donner einen trifft;
     schon bargen seit Minuten
     den bösen Nix die Fluthen.

150
Sie sah’n erschreckt einander an,

     und rangen ihre Hände:
„Hilf Gott! Erfährt das Kilian,
     das ist des Alten Ende.“
Sie riefen laut, sie klagten schwer

155
am Ufer hin, am Ufer her,

     doch ach, der Wellen Dröhnen
     schien ihrem Ruf zu höhnen.

Und Berthold warf verzweiflungsvoll
     sich nieder auf die Erden:

160
„Herr Gott du droben, warum soll

     ich so gezüchtigt werden?
Hab’ ich, hat sie, hat Kilian,
wer hat so Gräßliches gethan,
     daß du an unsern Leiden

165
     willst deine Augen weiden?“


[65]

Er schlug sich wüthend vor die Stirn,
     zerraufte sich die Haare:
„Zerschmettern will ich mir das Hirn,
     zerschmettern am Altare.

170
Ha, oder stürzen mich in’s Grab,

hier in den kalten Fluß hinab,
     vielleicht seh’ ich Gertruden
     tief unten in den Fluthen.“

„Wer will, des Schicksals Narr zu seyn,

175
     sagt an, wer will mich zwingen?“

So wüthet er, und will hinein
     in’s tiefste Wasser springen.
Die Andern halten ihn mit Kraft,
wie sie Verzweiflung ihnen schafft,

180
     und zieh’n im raschen Schritte

     ihn zu des Alten Hütte.

Und Berthold bleibt starrtrotzig stehn,
     und krampft die Hand, und jammert:
„Bin ich wahnsinnig? Laßt mich gehn!

185
     Was habt ihr mich umklammert?“

Ihm bringt in der Verzweifelung
ein Thränenstrom Erleichterung,
     er weint: „Wo ist mein Lieben,
     wo ist’s so plötzlich blieben?“

190
Und wie sie drauf dem Hüttchen nahn,

     bleibt Berthold wieder stehen:
„Sagt, wer von euch will uns voran
     als Unglücksbote gehen?“

[66]

Da stehn sie tief betroffen still,

195
das Unglück keines künden will;

     es möchte wohl der Schrecken
     den Alten niederstrecken.

Sie stehen eine lange Zeit.
     „Was soll, das muß geschehen!

200
Kommt, stillt die Thränen, bergt das Leid,

     ich will voran euch gehen!“
so redet mit erzwungner Ruh
den Andern Berthold jammernd zu,
     und tritt mit schwankem Schritte

205
     zum Alten in die Hütte.


Weh, was wird Vater Kilian
     zu dem Berichte sagen?
Scheu sah die Schluchzenden er an,
     und wagte nicht zu fragen,

210
bis daß er, ha, sein Kind vermißt!

„Gertrude? Sagt, was mit ihr ist?“
     Doch keines will es wagen,
     die Wahrheit ihm zu sagen.

„Wo ist mein Kind? Sprecht, wo sie ist!

215
     Wagt nicht, mich zu bethören.“

Da spricht Berthold: „Hilf Jesu Christ!
     Ihr müßt’s doch einmal hören.
Eu’r Kind – ’s wird wohl verloren seyn, –
ein Nixenkönig zog’s hinein.“

220
     Stracks stürzte ohne Oden

     der Alte todt zu Boden.

[67]

Sie sprangen zu. Ihr Schmerz war groß.
     Sie trugen ihn in’s Bette.
O Tod, wie machst du schonungslos

225
     das Haus zur Leichenstätte! –

Sie schlichen durch den Morgenthau
des Leides voll nach Wildenau,
     und nach drei Tagen haben
     den Alten sie begraben.

230
Verstummt war Lachen, Lust und Scherz

     nun in der Fischerhütte,
und Berthold lenkt in stillem Schmerz
     all Nacht zu ihr die Schritte,
Er schleicht einher, vom Gram gebückt,

235
und steht am Ufer still, und blickt

     zum Himmel, ringt die Hände,
     und weinet ohne Ende.

Und steht und harrt bis Mitternacht,
     dann sieht er ha, Gertruden

240
in wasserblauer Nixentracht

     auftauchen aus den Fluthen,
die Wangen fahl und leichenblaß,
die Wimpern ach, von Thränen naß;
     sie breitet voll Verlangen

245
     die Arm’, ihn zu empfangen.


Sie singt, ihm dringt’s durch Mark und Bein,
     sie singt in schlichten Weisen:
„Geduld, Geduld! Ich bin ja dein,
     nichts kann dich mir entreißen.

[68]
250
Geduld, Geduld! Bin deine Braut,

ein Jahr, dann werden wir getraut,
     dann bin dem Nixenkönig
     ich nimmer unterthänig.“

Sie wirft ihm feur’ge Küsse zu,

255
     die leuchten wie die Sterne,

doch ach, es weht sie all’ im Nu
     der Wind weit in die Ferne.
Er huscht das Ufer ab und an
ohn’ daß er einen fangen kann,

260
     er muß das süße Küssen,

     das süß’ Umarmen missen.

Allnächtlich kehrt er zu dem Strand,
     die bleiche Braut zu sehen,
die Küsse stiegen weit in’s Land

265
     im neid’schen Windeswehen.

Wie lacht ihm aus der Fluth der Tod
so hold entgegen in der Noth,
     doch fühlt er sich gehalten
     von geistischen Gewalten.

270
Er blich dem Grabe zu mit Macht

     hohl wurden seine Wangen,
da rief ihn die Andreasnacht,
     die Liebste zu empfangen.
Er kommt zum Ufer, und erschrickt,

275
als er Gertrudens Leich’ erblickt.

     Halb überschwemmt vom Sande
     lag sie hart an dem Strande.

[69]

Er knieet nieder neben ihr,
     und fleht mit brünst’gem Herzen:

280
„Herr, du mein Gott, nun gieb auch mir

     das Ende meiner Schmerzen!“
Er betet lang, er weint sich satt,
und sinkt dahin, vom Jammern matt;
     der Morgen sah dort oben

285
     die Beiden sich verloben. –


Die kleine Fischerhütte schwand
     seit vielen vielen Jahren
vom grünumlaubten Uferrand,
     wo sie nach Reisern waren;

290
vermorscht im finstern Kämmerlein

ist längst der Liebenden Gebein;
     nur Trudchens Küsse schimmern
     noch mit unstetem Flimmern.

Sie löscht kein Regen, löscht kein Thau,

295
     sie hüpfen vom Gestade

herüber über Feld und Au,
     zickzack auf lust’gem Pfade.
Sie lockten Manchen querfeldein,
der sie, weil ihr unsichrer Schein

300
     bald hier, bald dorten brannte,

     aus Rach’ Irrlichter nannte.

Und wo der Nix die Dirne stahl,
     ist’s Wasser grundlos worden,
es dreh’n die Wellen ohne Zahl

305
     im wilden Wirbel dorten.
[70]

Der Wirbel zerret Kahn und Floß
hinunter in das Nixenschloß,
     drum nennen ihn die Leute
     Grundtümpel noch bis heute.






Anmerkungen (Wikisource)

  1. mythologisch für Wassergeist