Der Jungfernsprung auf dem Oybin bei Zittau
Der Jungfernsprung auf dem Oybin
bei
Zittau.
[48] Der Oybin, ein bienenkorbförmiger 208 Ellen hoher Sandsteinfelsen bei Zittau, hat unter andern Merkwürdigkeiten auch eine Felskluft, die man den Jungfernsprung nennt. Auf dem Oybin stand seit Ende des dreizehnten Jahrhunderts ein Schloß, welches der Freiherr Quahl von Berka erbaut hatte. Nacherzählte Begebenheit fällt zwischen die Jahre 1343–49, und ist bloße Sage.
Wohl wunderschön war Irmengard
und wonnig anzusehen,
die Wangen roth, die Stirn so zart,
das Auge schwarz wie Schlehen.
und fern war die Heimath, drum eilte sie sehr.
Und wie sie tritt in’s Dickicht ein,
da kommt, gar hoch zu Rosse,
des Weges Junker Tollenstein
Er bedeutet wildlachend den bärtigsten Knecht:
„He, fang mir das Mädel, es dünkt mir nicht schlecht!“
Gleich faßt die flücht’ge Dirne an
der Knecht mit starken Armen,
den Junker nicht erbarmen.
Er preßt auf den Sattel sie vor sich hin:
„Was weinst du, fein Liebchen? was liegt dir im Sinn?“
Und hoch bergauf nach Oybin.
Der Michelsberger hauste drin,
das Haupt der argen Rotte1).
Der grüßte die Gäste mit vollem Pokal:
„Ha, wer ist denn die Dirne? Herein in den Saal?“
zum Zechgelag die Räuber,
ein alter Harfner krähte grell
das Lob verbuhlter Weiber,
und Fluchen und Jubel und Becherklang
Wie ward es da der Dirne bang,
sie weinte bittere Zähren;
wie mühte sie sich, den Gesang
des Harfners nicht zu hören.
zum Himmel, als hoffte sie Hülfe von da.
Da trat des Burgherrn einz’ges Kind,
Sigmunde, ein zum Saale,
ein Fräulein, fromm und gut gesinnt,
voll perlenden Weins und ein Honigbrot,
und seufzte: „Ach, helfe dir Gott in der Noth!“
Sigmundens blauem Aug’ entquoll
des Mitleids fromme Zähre,
„O, daß mir’s möglich wäre –“
da stürzte der trunkene Junker herzu:
„Komm schöne Gefang’ne, komm hurtig zur Ruh!“
Er schlang den Arm ihr um den Leib,
„Was sträubst du dich? Du wirst mein Weib!
Ich will dich gut berathen!
Mein Stammschloß und all’ meine Habe sey dein,
sollst schlafen auf Flaumen und baden in Wein!“
von Schwelgen und Genießen,
jedoch sie schwieg und weinte fort,
das thät ihn arg verdrießen:
„Ha, so spar’ doch die Thränen, sie lassen nicht fein,
Er preßte sie an seine Brust,
er faßte sie am Kinne,
er schwatzte viel von süßer Lust,
von ewig treuer Minne,
doch das Mägdlein blieb immer wie Marmel so kalt.
Da brach ihm endlich die Geduld,
und rief er zween Knechten:
kann mit sich selber rechten.
Werft tief in den Thurm sie bei Wasser und Brod!
Geschmeidig und willig wohl macht sie die Noth.“
Die rohen Knechte fassen sie
„Ha – rief sie – sparet eure Müh!
Ich ford’re kein Erbarmen!
Der Tod, wie soll er willkommen mir seyn,
er wird mich aus bübischen Händen befrei’n!“
sie lange, lange Wochen,
der Junker kam ohn’ Unterlaß
zu ihr hinabgekrochen,
und versprach ihr die Freiheit und droht’ ihr den Tod;
Drob sann der Junker hin und her,
doch ließ er sich’s nicht irren.
„Der Hunger muß – so dachte er –
sie doch am Ende kirren.“
daß ihr Wasser ihr reichet doch nimmer mehr Brot!“
Und Irmengard im Kerker saß
zwei Tage ohne Speise,
so abgezehrt, so leichenblaß;
tief zu ihr hinunter und lud sie schön ein,
in Lust und in Glück seine Buhlin zu seyn.
„Ich bin – sprach er – das letzte Mal
zu dir herabgestiegen,
dein trotzig Köpfchen biegen,
so magst du verderben! Ich wünsche gut Glück
erst wenn du verhungert bist, kehr’ ich zurück!“
Er rief’s erzürnt und stürmte fort,
und zog hinaus zu Raub und Mord
mit seinem reis’gen Trosse, ·
und wie auch die Sonne sie brennen mag,
sie reiten und jagen den ganzen Tag.
als sie vom Vater hörte,
daß auf der Jagd der Junker wär’,
und heut nicht wiederkehrte.
Sie strebte schon längst, aus der schrecklichen Pein
Und als der Abend niedersank,
auf Berg und Thal und Wiese,
da stahl sie aus des Schergen Schrank
und schlich sich, damit es ja Niemand gewahrt,
gar still in den Kerker zu Irmengard,
Und stärket sie mit Brot und Wein,
und löset ihre Ketten;
Ich komme, dich zu retten!“
Drauf führt sie an’s Burgthor sie leise hinan,
da sprengte der Junker den Berg heran.
Wie der die Fliehende gewahrt,
zurück wohl flüchtet Irmengard,
doch ach, sie ist verloren.
Kein and’res Thor führte hinunter vom Schloß,
durch das Eine einsprengte der tobende Troß.
bis hin zur äußern Mauer,
erklimmt sie glücklich, doch zugleich
erfaßt sie Todesschauer;
denn vorwärts gähnt sie der Abgrund an,
Doch rasch entschließt sie sich und ruft:
„Hilf Jesu!“ und hinunter
in die unabsehbar tiefe Kluft
springt sie, und, Gott thut Wunder,
kommt glücklich zu steh’n auf ein Felsenstück,
und betet und blickt nach der Höhe zurück,
Und springt getrost von Stein zu Stein,
bis sie dem Blick entschwunden;
der Junker schaute müßig drein,
und stierte starr nach unten,
als vermöcht’ er das Wunder nicht recht zu versteh’n,
und fröhlich hat Niemand ihn fürder geseh’n3).
1) Seit 1319 gehörte das Schloß den Herzog Heinrich von Jauer, der es einem Schirmvoigte übergab. Am 8. December 1343 nahm es aber der Herr von Michelsberg mit Sturm und machte es zum Schauplatz der ärgsten Greuel, wobei der Junker von Tollenstein sein treuer Gehülfe war.
2) Gaden, sonst s. v. a Zimmer, Gemach, Schlafgemach.
3) Ueber diese Sage vergl. E. Eschke’s: Der Oybin und seine Ruine, S. 64. Wunderbar ist es, daß sich die hier erzählte Sage verbreitet hat, da doch die Chroniken den Namen Jungfernsprung durch folgende geschichtliche Thatsache genugsam erklären. Am 24. Juni 1601, heißt es in den Chroniken, besuchte ein Mädchen aus Zittau mit mehreren Freundinnen den Oybin, und wettete im jugendlichen Muthwillen, die Felskluft leicht überspringen zu können. Sie glitt aus und sank in die Tiefe, kam aber doch wohlbehalten unten auf einen Felsenvorsprung zu stehen, indem sie ihr, zu jener Zeit gewöhnlicher Reifrock, wie ein Fallschirm, ganz sanft niedergleiten ließ.