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Die Herrin der Unterwelt

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
Autor: Max Schraut
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Titel: Die Herrin der Unterwelt
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Erscheinungsdatum: 1930
Verlag: Verlag moderner Lektüre G.m.b.H.
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Erscheinungsort: Berlin
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Quelle: Wikisource
Kurzbeschreibung:
Band 12 der Romanreihe Olaf K. Abelsen. Abenteuer abseits vom Alltagswege.
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[1]
Olaf K. Abelsen
Abenteuer
abseits vom
Alltagswege
Die Herrin der Unterwelt
Einzig berechtigte
Bearbeitung a. d.
Schwedischen von
M. Schraut
– Band 12 –



Verlag moderner Lektüre G. m. b. H.
Berlin SO 16

[2]
Nachdruck verboten. – Alle Rechte, einschließlich das Verfilmungsrecht, vorbehalten. – Copyright 1930 by Verlag moderner Lektüre G. m. b. H., Berlin SO 16.
Buchdruckerei: P. Lehmann G. m. b. H., Berlin SO 16.


[3]
Die Affenkönigin.

Wollte man meines – na, ich will schon sagen „Freundes“ Gabara Charakter zerlegen, so müßte man dazu mit dem Seziermesser sehr in die Tiefe gehen. Sein verwittertes Nomadengesicht, seine großen strahlenden jugendlichen Augen, die hohe Stirn, der strenge Mund mit den etwas nach unten gezogenen Wulstlippen lassen keinerlei Schluß auf seine Seelenmerkmale zu, es sei denn den einen der Gesamtpersönlichkeit: Ein Mann, wie geschaffen zum Häuptling eines Stammes der wandernden Gallas, die sich selbst gern Guasasso-Galla oder auch Ilmorma, Männer, nennen.

Er hat als Jüngling, als junger Krieger die Mahdistenkriege mitgemacht, er hat sogar am 9. März 1889 in der Schlacht bei Metemmeh mitgefochten, in der Kaiser Johannes von Abessinien den Tod fand, er hat eigentlich nichts anderes kennen gelernt als räubern, plündern, ewigen Streit mit [4] den Wollo-Gallas, die er verächtlich als „abessinische Sklaven“ bezeichnet, – er ist noch heute das, was seine Väter waren: Ein Banditenführer größten Maßstabes, nur … schlauer als seine Ahnen, zivilisierter und daher diplomatischer.

Wenn er jedoch in seinem hohen Bocksattel auf noch höherem Dromedar sitzt und seine moderne Repetierbüchse über dem Schenkel hält, den Kopf zurückgebogen hat und zwischen den beiden Lücken der Vorderzähne hindurch den schrillen Pfiff erklingen läßt, der sich nicht anders anhört wie das Knallen einer sehr langen Peitsche eines Zirkusstallmeisters, – wenn sein mit dem englischen Orden geschmücktes Lieblingstier die Ohren blitzschnell nach vorn richtet und zum ersten Sprunge ansetzt und dahinfegt über die Steppe wie eine der freien, wilden Gazellen …

Oder wenn er gar – wieder ein anderer Mann mit anderem Gesicht – einen englischen Kolonialbeamten empfängt, umgeben von den Stammesältesten und einigen hundert Kriegern, – wenn der Mr. Soundso sich dann erkundigt, ob vielleicht Gabaras Leute aus Versehen eine Karawane nachts angehalten und sich Kleinigkeiten aus den mitgeführten Waren „geborgt“ hätten, dann … ja dann zwinkert Seine Hoheit der Heiitsch der Guasasso-Galla so etwas mit den Augen, spitzt die dicken Lippen, schüttelt empört den Kopf, und Mr. Soundso empfiehlt sich höflichst und weiß genau, [5] daß Gabara entschieden der bessere Diplomat ist.

Trotzdem …

Ein Galla bleibt ein Galla … Meine Galla sind Heiden, sind nicht Mohammedaner wie die Wollo-Galla, sind nicht fanatisch, halten Treue, so lange es ihnen von Vorteil, lügen nur, wenn es nicht nötig ist, betrachten ihre Raubzüge[1] als gottgesegnetes anständiges Gewerbe und sind nur gerade so weit roh und brutal, wie dies alle Hirtenvölker sein mögen …

Trotzdem … –

Ich will Gabara nicht unrecht tun, ich kenne ihn noch zu wenig, ich habe auch seine Gentlemanseite aufleuchten sehen, als er in der Oase der Toten mit so edlem Freimut die blutigen Vorgänge von einst schilderte, – – ich werde eben abwarten.

Wir haben in dieser einen Woche die Livin-Steppe durchquert, wir haben nicht allzu lange gerastet, seit zwei Tagen haben wir den großen Troß der Buckelrinder, Fettschwanzschafe, Mähnenschafe, Pferde, Esel, Weiber, Kinder und Krieger hinter uns gelassen und sind mit nur zwanzig auserlesenen Leuten und dem buckligen, unheimlichen Oberpriester und Zauberer Homra, einem Greise, der niemandem sein von Krankheit zerfressenes Gesicht zeigt, der stets ein Gesichtstuch wie ein Tuareg trägt und in seinem wollenen Umhang aus bunten Streifen und der hellgelben Lederkappe, aus einem Nashornmagen gefertigt und mit Pflanzensaft gefärbt, wie ein [6] Clown oder ein Teufel auf seinem Tiere hockt, – so sind wir zu zweiundzwanzig in die Vorberge gelangt, hinter denen sich das Gebirgsmassiv des abessinischen Hochlandes auftürmt und wie ein dunkles Rätsel mich anzieht … –

Man hat über Südabessinien bisher, so sagte mir mein Freund Sir Forrester, wenig gedruckt, – und er muß es wissen, er ist ein großer Gelehrter von fabelhafter Vielseitigkeit.

Man hat, sagte er, über die bequem zugänglichen Teile Abessiniens, in denen man heute genau so sicher reist wie in Amerika etwa – Eisenbahnbanditen sollen vorkommen! – sehr, sehr dicke Bücher verfaßt mit sehr klaren schönen scharfen Photographien, – – aber diese Bücher, meint er, und das will doch schon etwas heißen, wenn er das meint, sind so trocken wie Hartbrot in der Wüstenluft und so nüchtern wie ein dreckiger Wollo-Galla nach einer Bandwurmkur.

Bitte: Band – wurm – kur!!

Scherz beiseite, die Sache ist bitter-ernst. Die Wollo-Galla sind nämlich Rohkostanhänger, Rohfleischesser, Rindfleischliebhaber, – in Deutschland nennt man so was „Gehacktes“ …

Sie leiden alle, alle an diesem unliebsamen Innengast von sieben bis zehn Meter Länge.

Tatsache.

Dafür hat ihnen auch die allgütige Mutter Natur in ihren Bergen und Hochsteppen „abführende“ [7] Kräuter und Bäume beschert – so viele, wie es in keinem anderen Lande gibt. Ich nenne nur die Pflanze, von der das Rhizinusöl stammt.

Aber hierfür werde ich wenig Liebhaber finden, fürchte ich. Reden wir also von unserem sehr versteckt angelegten Lager, in dem ich, mit Reginalds einer Füllfeder bewaffnet, auf einer Unterlage von Leder meine „Pfade abseits vom Alltag“ fortsetze.

Sehr versteckt. Es tut not. Denn die Herren Wollo-Galla drüben in der Steppe zählen hundert Krieger und scheinen durchaus nicht abgeneigt zu sein, uns die Hälse etwas zu rasieren. Zwischen den freien Nomaden und den Wollos besteht das innige, eindeutige Verhältnis wie zwischen Hund und Katz oder wie zwischen meinem Fennek Mukki und den Wüstenmäusen.

Dieses Lager ist eine Lichtung in einem Gestrüpp von baumartigen Kugeldisteln. Ich möchte den sehen, der ein solches Gestrüpp durchquert! Stehen die Kugeldisteln sehr dicht und in zwei Reihen, so bilden sie ein Verhau, im Vergleich zu dem etwa Stacheldraht wie Bindfaden zu bewerten ist.

Wer diesen Schlupfwinkel fand?!

Fennek!

Freund Mukki war es, der auf der Jagd hinter einem Stinkmarder in das Dickicht schlüpfte, uns so den einzigen Zugang zeigte und nach kurzem Kampf mit dem Marder gründlichst abgeseift werden mußte, [8] da dies scheußliche Tier ihn in der Todesangst angespritzt hatte: Vergleiche Skunks, Nordamerika.

Die Lichtung bot noch den Vorteil, daß an der Nordseite ein Haufen Felstrümmer lag, die so etwas wie eine Grotte bildeten. Außerdem konnte man von der Spitze eines dieser Felsen aus die ganze Hochebene drüben mit dem Glase überschauen. Die Wollos jagten Giraffen, offenbar auf höheren Befehl, denn sie suchten die Tiere lebend zu fangen. Nachts konnten wir auch ihre Lagerfeuer sehen, aber ein zweites Mal wollten wir sie doch nicht beschleichen, da die tadellos berittenen Kerle eine Menge Hunde bei sich hatten und da auch ihre Bewaffnung bewies, daß sie mit Geschick sich irgendwo und irgendwie moderne Büchsen „geborgt“ hatten.

Die Wollos sind eben auch zumeist Banditen, und ihr Untertanenverhältnis zum Kaiser von Abessinien gleicht etwa den Beziehungen eines unverbesserlichen Landstreichers zur Landpolizei, – man geht sich aus dem Wege, und der eine Teil stiehlt, wo er kann, und die Polizei ist dann stets … anderswo.

– Es war abend geworden, und Gabara, Herr Homra, Hochwürden der Oberpriester, auch Kalidscha genannt, sowie ich saßen vor der Grotte auf Moos und Decken und warteten auf die Rückkehr unserer fünf Krieger, die drunten am Bach für die Dromedare frisches Gras und für uns frisches Wasser holen sollten. Mein Fennek lag zusammengerollt [9] zwischen meinen Beinen, seine prächtige Standarte hatte er mir liebevoll in den Schoß gelegt, sie roch leider noch immer nach dem Stinkmarder und nicht nach Ambra.

Homra, wie stets bis auf einen Sehschlitz eingewickelt und unnahbar und stumm wie ein giftiger Stachelfisch, entnahm mit einem Grunzen, das wohl „Sie gestatten doch“ bedeuten sollte, meiner Zigarrentasche eine von Reginalds besten Importen und rauchte sie umständlich an.

Der alte Kerl, der uns seine Begleitung förmlich aufgedrängt hatte, war mir äußerst zuwider. Er sollte tatsächlich stumm sein – sollte … Ich hatte ihn stark im Verdacht, daß er am Aussatz litt, – ich hatte überhaupt so manches an ihm bemerkt, das sehr zu denken gab. Gabara behandelte ihn etwa mit demselben Respekt wie den Mr. Soundso von der englischen Kolonialregierung, – er duldete ihn eben, und dies wohl mehr seiner Leute wegen, die vor dem Oberzauberer und Obertierarzt (das Geschäft verstand Homra ausgezeichnet) eine Heidenangst hatten.

Heiitsch Gabara hatte mir schon beim Aufbruch vor einer Woche dringend geraten, vor Homra nichts von unseren wahren Absichten zu verraten … Unser Ritt galt zum Schein lediglich den Feigenhainen der Vorberge, wir hatten zehn Lastdromedare mit, und die Früchte mußten gerade jetzt reif sein.

Gabara starrte ohne jede Bewegung seit Minuten [10] in die leicht qualmende Asche des Feuers, unter der ein Antilopenschenkel leise brozelte.

„Sie bleiben mir zu lange, Olaf,“ sagte er dann und deutete nach Nordost. – Er meinte die Giraffenjäger. „Man müßte sie verjagen … Es sind nur ihrer zu viele … Mit Gewalt läßt sich da wenig tun. Die Wollos sind gute Schützen und Reiter, aber sie halten uns durch ihre Anwesenheit von den Feigenhainen fern, und wir können doch hier nicht Tag für Tag auf ihren Abzug warten.“ Er hatte mir einen heimlich-vieldeutigen Blick zugeworfen, als er die Feigenhaine erwähnte. Er hätte sagen müssen „große Grotte“, – das hätte gestimmt.

Der Oberpriester rauchte gleichgültig meine Zigarre und schien an nichts Interesse zu nehmen. Die übrigen Galla lagerten abseits. Der Durchmesser der fast runden Lichtung betrug etwa vierzig Meter, für Menschen und Tiere reichte der freie Platz gerade aus. Irgendwo hier in der Nähe mußte die gedachte Grenze Abessiniens sich hinziehen, – Grenzpfähle gab es hier nicht, nur die Flußläufe und Höhenzüge der Vorberge wiesen auf der Karte, die auch aus Reginalds Vorräten stammte, eine schwach punktierte und gelbliche Linie auf. Gerade in diesem Südostgebiet Abessiniens kommt es auf ein paar hundert Kilometer mehr oder weniger nicht an. Zahlreiche Gallastämme erkennen weder die britische noch die abessinische Oberhoheit an, die Wollos der Hochsteppen tun dies auch nur mit jenen Einschränkungen, [11] die auch der Heiitsch Gabara aus eigener Machtvollkommenheit sich ausgeklügelt hat. Es ist ein wilder, von Fremden so gut wie gar nicht besuchter Landstrich, selbst auf Spezialkarten findet man heute noch die vielsagenden weißen Flecke und die gestrichelten krummen Linien vermutlicher Flußläufe.

Unsere Heusammler und Wasserholer kehrten lautlos zurück, die Dromedare wurden versorgt, der Oberpriester kratzte mit einem Lanzenschaft die heiße Asche weg, spießte das halbgare Stück Fleisch auf, schnitt für sich drei handgroße Streifen herunter und zog sich seitwärts hinter einen Busch zurück, – in unserer Gegenwart zu essen, dazu war er zu vornehm, außerdem hätte er ja auch sein Gesichtstuch lüften müssen …

Auch Gabara und ich begannen unser Nachtmahl. Der Heiitsch war stumm, ganz stumm, sein Gesicht verriet, daß ihm sehr ernste Dinge durch den Kopf gingen. Nachher hüllte er sich ebenso still in seine Decke, schob den Sattel unter den Kopf, schlug den einen Deckenzipfel über seine faltigen hageren Wangen und … schlief ein. Er atmete tief und ruhig, er gehörte zu den gesunden Naturen, die jederzeit Vorrat schlafen können. Als ich mich erhob und mit Freund Fennek am Riemen an dem Wachtposten vorüber durch das schmale, durch einen Distelbaum halb versperrte Eingangsloch schlüpfte, – als der zweite Posten draußen auf dem Rande des Steilhangs mir durch Gesten [12] andeutete, daß er nichts Verdächtiges bemerkt habe, wanderte ich am Rande des Abhangs nach Westen weiter, nur um mir Bewegung zu machen. –

Ich hatte keineswegs die Absicht, etwa die Wollo-Galla heimlich zu besuchen. Ich schlenderte durch das nur kniehohe Gras und hoffte irgend etwas Interessantes beobachten zu können. Nachmittags hatte mir mein Krimstecher in dieser Richtung eine Herde von Mantelpavianen an einem steinigen Berghang gezeigt, die ersten Affen dieser Art, die ich überhaupt in der Freiheit sah, alles prächtige Tiere mit silberweißen Mähnen, Prachtkerle von bedrohlicher Muskulatur und selbstbewußtem Gang. – Der Heiitsch hatte mir erzählt, daß all diese hundsnasigen Affen, also der Mantelpavian oder Hamadryas, der Mandrill und der Drill, die letzten beiden Arten nur mit starker Kopfbehaarung und Stummelschwänzen, nachts gerade bei Vollmond an bestimmten Stellen eigenartige Versammlungen abhielten und dabei gewissermaßen auch gemeinsam Tänze vorführten, die nach Gabaras Ansicht nur den Zweck haben sollten, den noch unbeweibten Tieren eine der Affenjungfrauen gewogen zu machen. – Ich hatte hierzu zweifelnd den Kopf geschüttelt, ich hatte mich an Kiplings Dschungelgeschichten und an den „Tanzplatz“ der Elefanten erinnert. Im großen und ganzen sind nämlich die Nomaden sehr mäßige Tierbeobachter, ihnen allen fehlt die wahre Zuneigung für die vierbeinigen Bewohner [13] ihrer Heimat, sie betrachten das Tier ausschließlich vom Standpunkt des Nutzwertes.

Als ich, durch hohe Akazienbüsche gedeckt, den Felshügeln mich näherte, begann Freund Fennek sich plötzlich sehr ängstlich an meine Füße zu drängen und klemmte die Standarte warnend zwischen die Hinterbeine. Ich begann daher zu kriechen, ich hatte den Wind schräg von vorn, ich konnte also selbst von den Wachen der Mantelpaviane kaum vorzeitig gewittert werden …

Und dann nach Überwindung eines steilen Geröllstreifens, der größte Vorsicht erforderte, hatte ich ein Bild vor mir, wie es nur in Märchenbüchern vorkommen sollte …:

Mitten im Kreise von vielleicht zweihundert Hamadryas saß auf einem hohen Steine eine Europäerin, die Hände um das etwas hochgezogene Knie gefaltet …


2. Kapitel.
Auf dem Affentanzplatz.

Man suche sich Folgendes vorzustellen:

Ein kleines, steiniges, flaches Plateau, links zerklüftete Hügel, als Hintergrund ein dichtes Waldstück, rechts die Hochsteppe mit Büschen und Baumgruppen, – auf dem Plateau rings um die in ein helles, loses Gewand gekleidete Frauengestalt ein [14] dreifacher Kreis von Hamadryas, innen die Männchen, außen die Weibchen, – vor der hellen Gestalt drei einzelne Männchen mit vollkommen silbergrauen Prachtmähnen, – – das alles in einer Entfernung von fünfzig Meter vor mir, das alles in klares, weißes, geheimnisvolles Mondlicht getaucht …

Unwirklich, geisterhaft, spukhaft …

Und doch so eindrucksvolle Tatsache, daß ich jetzt nur die Augen zu schließen brauche, und ich sehe das Bild so deutlich wie damals, als ich Lylian Garden noch für eine Märchenprinzessin hielt.

Lylian Garden sah ich nur im Profil gegen die dunkle Baumkulisse … Sehr gern hätte ich mein Glas zu Hilfe genommen, aber keine zehn Meter gerade vor mir saß auf einem Baumstumpf mitten zwischen den Wurzeln des herausgerissenen Wurzelballens ein einzelner Hamadryas, der starr zum Monde emporglotzte und sich wohl als Posten mehr auf seine Nase und sein Gehör als auf seine Augen verließ.

Es waren noch mehr Wächter da, wie ich mit raschem Blick feststellte, – das Plateau war regelrecht mit einer Vorpostenkette umgeben.

Aber – den Krimstecher zu benutzen, auch nur den Arm zu bewegen, den Kopf höher zu recken, das wagte ich nicht.

Ich lag auf harten Steinen – ich spürte es nicht …

[15] Ich fühlte nur, daß mein kleiner Fennek sich ganz eng an mich anschmiegte … Er zitterte … Und er war doch sonst so mutig! Ahnte er, daß diese Horde Hamadryas uns beide in kurzem zerfleischen könnte?! Sagte ihm sein Instinkt, daß diese seltsamen Geschöpfe dort in ihrer Wut gefährlicher als ein Leopard sind, daß ihnen neben ungeheuren Kräften und blanken Reißzähnen auch die Kunst des Steineschleuderns geläufiger war als so manchem Menschen?!

Fennek zitterte …

Armer kleiner Kerl, später habe ich deine Angst begriffen! Damals erschien sie mir übertrieben und lächerlich …

Die drei Mantelpaviane, die vor der Frau hockten und mit größter Aufmerksamkeit ihr ins Gesicht schauten, kratzten sich des öfteren sehr ungeniert den Rücken oder fuhren auch mit den Händen in die Mähne hinein, – der Zweck war klar, Flöhe gibt es überall.

Die Frau dort saß scheinbar teilnahmlos und schaute ins Leere – über die Steppe hin, wo fern – ganz fern ein paar Pünktchen glühten: Die Lagerfeuer der Wollos, die bei dieser so ungemein klaren Luft sehr weit sichtbar waren.

Sie verhielt sich so vollständig regungslos, daß man hätte annehmen können, sie sei vor Entsetzen erstarrt …

Nein: Sie lächelte mitunter …

[16] Ich habe sehr gute Augen, und ich sah auch, daß sie zuweilen die Lippen bewegte, ganz wenig.

Sprach sie etwa zu den Affen?!

Plötzlich – und der Schreck fuhr mir doch in die Glieder – schob sich irgend etwas lautlos neben mich, so lautlos, daß ich erst hinblickte, als ich schon diese Neuerscheinung im Augenwinkel als Schatten empfand.

Es war ein dunkler, schlaffer Filzhut, unter dem Hut ein rosiges, rötlich-braunes Gesicht, ein winziger Schnurrbart unter einer kühnen Hakennase, und ein Paar vergnügte blanke Augen dazu.

Der Mann war ein Weißer, – er legte warnend den Zeigefinger auf die Lippen, – lautlos tat er sich nieder …

Wie ein Hauch nur flüsterte er – in etwas stolperigem Englisch:

„Das sehe ich nun zum dritten Male, Sir … Ja, zum dritten Male, und noch nie ist es mir geglückt, festzustellen woher diese Frau dort kommt und wohin sie geht … Lassen Sie sich aber durch mich nicht ablenken, – das eigentliche Mondfest der Mantelpaviane beginnt erst … Der Mond steht noch nicht hoch genug … Die Tiere finden sich hier nur immer genau bei Vollmond ein … genau … Sie irren sich nicht um einen Tag, Sir, – ich weiß das … Ich weiß noch mehr. Aber ich weiß noch immer zu wenig, zum Vergnügen hause ich nicht hier in der Wildnis … [17] – Verzeihung, sind Sie Engländer? Mein Name ist Vincent Turst, Turst, Turst, nicht Trust, ich bin in drei Ländern gleichzeitig geboren, denn mein väterliches Haus steht genau dort, wo Bayern, die Schweiz und …“

Da verstummte er …

„Sehen Sie … sehen Sie!!“ er stieß mir leicht den Ellbogen in die Seite … „Es geht los … Kein Mensch wird Ihnen das glauben, wenn Sie es daheim erzählen, aber die Wollos glauben es, und …“

Wieder verstummte er.

Ja – es ging los …

Die drei Männchen vor der Frau hatten sich erhoben und schritten langsam, gravitätisch um ihren Steinsitz herum …

Langsam erhob sich auch der innere Kreis der Affen, – langsam schlossen sie sich den dreien an, die nun zu hüpfen begannen und dabei um den Stein eine richtige Spirale zogen … –

Wer je in einem Zoologischen Garten vor einem Käfig, der Mantelpaviane beherbergt, gestanden hat, der wird wissen, daß ein hüpfender Hamadryas zumeist sehr komisch wirkt, genau wie ein schreitender heimtückisch aussieht.

Hier war nichts von Komik bei diesem „Mondtanz“ der schönen, stark behaarten Männchen …

Der Tanz verblüffte. Ich möchte nicht den Ausdruck „faszinieren“ gebrauchen.

[18] Mein Nachbar Turst, Fennekchen und ich hielten den Atem an – Fennek vor Angst …

Denn auch der Posten auf der Baumwurzel hatte plötzlich den Tanzkoller bekommen, hatte sich halb aufgerichtet, trippelte hin und her und vergaß doch darüber seine Pflicht in keiner Weise …

Die anderen, die Spirale, wurden immer lebhafter, – das Hüpfen ward zu langen Sätzen, – das Weibervolk schloß sich gleichfalls an, und die ganzen zweihundert Tiere wirbelten umher wie gepackt von einer geheimnisvollen Macht, die sie zu diesem tollen Jagen und zu diesen langen Sätzen zwang … –

Pech war es …

Mein Pech, daß mir die Büchse aus dem Arm rutschte und der Kolben gegen einen Stein schlug.

Ein greller Schrei des Postens auf dem Wurzelballen …

Ein Stutzen …

Die Frau schnellte empor, lief dem Waldstreifen zu, hinter ihr die Paviane, – nur etwa dreißig Männchen blieben zurück …

„Schade!“ sagte mein Nachbar ganz laut … „Wieder nichts!! Nun kann ich abermals warten.“

Die letzten Hamadryas sausten davon, die Frau war bereits verschwunden.

„… Aber ich habe Zeit, Sir, – ich komme schon noch dahinter …“ Er lachte gemütlich. „Geduld muß man haben, Sir … Zwei Jahre spüre [19] ich diesen Dingen bereits nach … Zwei Jahre hält die Welt mich für tot … Vielleicht kennen Sie meinen Namen. Ich bin Doktor Vincent Turst, der zweite Leibarzt der Leibpferde Seiner Majestät des Kaisers von Abessinien, – also Hoftierarzt mit dem Range eines Mekunen, das heißt des Hochadels. – Finden Sie es hier sehr bequem?! Ich nicht. Setzen wir uns lieber dort unten ins Gras, Sir … wie war doch Ihr Name?“

„Den habe ich Ihnen noch nicht genannt, Herr Doktor …“ – und ich wunderte mich, daß er über diese Antwort in deutscher Sprache so wenig erstaunt war.

Er schritt mir voran.

„Also Deutscher?“ meinte er über die Schulter zurück.

„Nein, Schwede gewesen, – jetzt international. Abelsen heiße ich …“

„So … so …“

Er setzte sich in den Mondschatten hinter einen Busch. „Nehmen Sie Platz, Herr Abelsen … Freut mich, daß Sie mir begegnet sind. Was treiben Sie hier?“

„Gar nichts …“

„Dann sind Sie also Globetrotter?“

„Ja … Ich reise nur zu meinem Vergnügen und zum Mißvergnügen einiger Herren dort daheim, die nicht vergessen können, daß ich das Staatspensionat verließ …“

[20] Er lachte wieder. „Also – – Loch gehabt?! Tut nichts, imponiert mir nicht, habe auch schon gesessen, spreche nicht gern darüber … – Sind Sie allein hier? – Natürlich nicht. Sie werden einen Führer bei sich haben, ein Zelt, eine Matratze, eine Apotheke, Pferde, eine Leibwache und eine Kamera. Ich sage Ihnen – die Kerle mit den Kameras, – – das sind hier die allerfrechsten … Aber – Kerle sind es!! Allerhand Hochachtung vor ihnen! Diese Filmleute, die jetzt selbst den entferntesten Erdenwinkel abgrasen, fürchten sich weder vor dem Teufel noch vor der Ehe. – Sind Sie verheiratet?“

„Nein.“ Jetzt mußte ich lachen. „Ich könnte auch kaum eine Frau ernähren, mein Zigeunerdasein bringt nichts ein, höchstens mal eine Bleikugel …“

„So … so … ganz recht. Ich … war verheiratet, kurze Zeit, ich habe geschworen, nie wieder meinen Namen unter ein Schriftstück oder in ein Buch zu schreiben, die mich zur Sklaverei verurteilen. – Komische Unterhaltung hier zwischen uns, – finden Sie nicht auch?! Wir sind uns wildfremd und packen doch voreinander unsere intimsten Regungen aus. Wissen Sie, das macht der Odem der freien Steppe. Die Menschen werden hier in dieser reinen Luft völlig umgekrempelt. Das Innere kommt nach außen, die Kulturmaske fällt, und der Mensch gibt sich so, wie er ist. Wir sind ja alle Schauspieler, alle, wenigstens inmitten der Segnungen [21] der Zivilisation. Aber wir sprachen von Filmleuten … Ich begegnete da letztens so einer Bande von Amerikanern. Waren das schneidige Burschen!! Sie hatten ein Mädel bei sich, Namen habe ich vergessen, aber eine Berühmtheit soll es sein – aus Hollywood und so … – Photographieren Sie?!“

„Nicht mehr …“ Seine Bemerkungen über die Amerikaner hatte mich stutzig gemacht. Ich mußte an Howard Houston und Owen Darß denken, die mit Elefanten durch die Nubische Wüste gezogen waren und doch nur nach Goldbarren gesucht hatten. Lady Jane hatte sie schließlich aufknüpfen lassen – mit Recht, denn die ägyptischen Behörden zu bemühen, wäre etwas sehr umständlich gewesen.

Ich schaute mir meinen Nachbar heimlich genauer an. Er mußte etwa in meinem Alter sein, er war ein hübscher frischer Kerl mit überraschend zartem Teint. Sein Jagdanzug aus Kordstoff, Stiefel, Gamaschen, Pistolen, Fernglas, – alles tadellos, nur der Hut war recht mitgenommen. Eine Büchse hatte er nicht bei sich.

„Hausen Sie hier in der Nähe, Herr Doktor?“ fragte ich, während er ein Paar tadellose Wildlederhandschuhe mit Stulpen überstreifte und dann eine Zigarettenschachtel mir hinhielt.

„Bitte, bedienen Sie sich, Herr Abelsen … Ja, ich habe hier mein Domizil, stimmt. Dort drüben …“

[22] Er deutete über die Hochsteppe auf die dunklen Gebirgsmassen. „Es treibt sich jetzt hier leider eine Bande von Wollo-Galla umher, sie fangen Giraffen für die Amerikaner, und die Filmonkels kurbeln die ganze Kiste. – Stört Sie meine schlichte Sprechweise? Ich kann auch anders … Aber ich hasse jede Phrasendrescherei. Ich lese nie ein Buch. Romane sind durchweg Unnatur. Stallmägde oder Kommerzienrätinnen oder grüne Bengels reden darin wie Philosophen. Blech!! Und die übrige Literatur, die sogenannten Tagebücher berühmter Männer und … – verzeihen Sie, womöglich schreiben Sie selbst.“

„Ja … für mich, Herr Doktor … Aber ohne Phrasen.“

„Das nehme ich an … So, wie ich Sie einschätze, und ich besitze einige Menschenkenntnis, halte ich Sie für einen sehr einfachen, natürlichen Charakter. – Wo lagern Sie mit Ihrer Garde?“

„Dort drüben … in einem Dickicht, aber nicht mit Garde, sondern mit genau einundzwanzig heidnischen Guasasso-Galla, darunter der Oberhäuptling Gabara, eine ziemlich bekannte Persönlichkeit, und der Oberzauberer Homra.“

„Hm …“ Er schüttelte den Kopf … „Hm – – Gabara?! Ihr Freund etwa?!“

„Ich weiß nicht recht …“

Er war ernst geworden. „Trauen Sie Gabara nicht! – Sie möchten Einzelheiten über die [23] dunkelblonde Frau und ihre Schutzwache von Hamadryas hören … Ich kann Ihnen darüber leider gar nichts sagen … Außerdem muß ich auch sofort aufbrechen. Ich habe noch einen langen Marsch bis zu meinem Heim …“

„Ohne Büchse?! Es scheint hier Löwen zu geben …!“

Er klopfte gegen seine Pistolen. „Herr Abelsen, das sind amerikanische Coldpistolen … mit langem Lauf, zehn Schuß im Rahmen, – ich habe eine sehr ruhige Hand. – Wollen wir uns für morgen abend verabreden? Kommen Sie dann wieder an diesen Platz …“ Er erhob sich, drückte mir die Hand. „Um dieselbe Zeit dann – Wiedersehen also, und verschweigen Sie Gabara unser Zusammentreffen.“

Er schritt sehr eilig davon, drehte sich nochmals um und winkte mir zu.

Ein famoser Mensch, lautete mein Urteil.

Dann ging ich zum Affentanzplatz hinüber. Es war inzwischen noch heller geworden.

Der Platz um den Stein, auf dem die Frau gesessen hatte, war vollkommen glatt wie eine Tenne, nicht ein Stein, nicht ein Grashalm waren zu sehen, der Felsboden hatte auch den eigenartig fettigen Glanz jeder Tenne. – Der Stein in der Mitte war ein zackiger Felsblock, der offenbar für diesen Zweck – als Sitz für die fremde Frau – ausgewählt und hierher geschafft [24] worden sein mußte, denn seine natürliche Form entsprach etwa einem plumpen altertümlichen Sessel mit niederer Rückenlehne und flachen Armstützen, – der Stein stand mit der Front genau nach Nordost …

Ich wollte hier nicht etwa „Detektiv“ spielen, ich wollte nur nachprüfen, ob sich nicht doch irgendein Anzeichen dafür fände, wie dieses innige Verhältnis zwischen der Frau und der Pavianherde natürlich erklärt werden könnte. Kiplings rührende Maugli-Geschichte von dem Säugling, der unter den Wölfen aufwächst, oder gar die noch weit tiefer stehende Sensationsmache von dem „Gorilla-Menschen“ sind mehr oder weniger schlechte Erfindungen. Es mußte einen Weg geben, diese eigenartige Freundschaft zwischen Weib und Hamadryas zwanglos zu deuten.

Wie aber?!

Ich hatte Fennek-Freund vom Riemen losgemacht. Wenn er frei umherlief – weit entfernte er sich nie, war er mir der beste Wächter. Auf ihn war unbedingt Verlaß. Er verstand es sehr gut, zwischen harmlosen Tieren und gefährlichen einen Unterschied zu machen, er warnte niemals unnötig, ihm entging nichts. Daß er vorhin Doktor Turst nicht „gemeldet“ hatte, als sich dieser am Abhang neben mich schob, war ihm nicht etwa als Versagen seiner feinen Sinne auszulegen, nein, – Fennekchen hatte eine verblüffend sichere Witterung [25] auch Menschen gegenüber, und hätte Turst Arges im Schilde geführt, wäre Mukki niemals still geblieben. – Später sollte mir dies noch klarer und überraschender bewiesen werden.

Ich besichtigte den Steinsessel in aller Ruhe. Der Mond bestrahlte die Vorderseite der Rücklehne des Sitzes, ich erkannte in den natürlichen Rissen, Unebenheiten und Buckeln der Rücklehne unschwer die Spuren eines Meißels, man hatte da mit größter Geschicklichkeit das Gefüge des Felsens durch entsprechende Nachhilfe zu einem plastischen, wenn auch für den flüchtigen Blick kaum erkennbaren Frauenkopf umgestaltet, den ein sehr großes Diadem krönte. Unter dem Kopf glaubte ich die Buchstaben L. G. herauslesen zu können.

Ich wußte damals noch nichts von Lylian Garden, – wie sollte ich auch?!

Ich hatte, um das Relief auf dem Felsen deutlicher betrachten zu können, das rechte Knie auf den Sitz gelegt, – mir kam es so vor, als ob dieser Sitz ein wenig wackelte.

Meine Vermutung traf zu. Der Sitz war nur eine Steinplatte, die ziemlich genau in eine Vertiefung hineinpaßte, unter der, als ich die Platte hob, eine ganze Anzahl nicht gerade alltäglicher Dinge zum Vorschein kamen.

Zunächst: Eine moderne leichte Jagdbüchse, englisches System, geladen, gesichert. Im Rahmen befanden sich sechs Patronen, die siebente steckte im [26] Lauf. Die Waffe war stark geölt, rostfrei und bei ihrem geringen Gewicht entschieden für weibliche Hände berechnet.

Zweitens: Eine Parabellum-Repetierpistole, auch geladen, auch eingefettet.

Drittens: Ein Reitanzug für Damen aus graubraunem derben Leinen nebst Zubehör: Filzhütchen, Schuhe, Gamaschen, Unterwäsche.

Viertens: Ein Dromedarsattel nebst Zaumzeug, entschieden südlicher Herkunft. Meine Guasasso-Galla verzierten ihre Sättel und Zäume genau so.

Fünftens: Ein Fernglas am Futteral an einem Ledergürtel.

Sechstens: Drei leere, gut gefettete Wasserschläuche, augenblicklich leer.

Siebentens: Eine Kartentasche aus Leder, Dutzendware, – Inhalt: zwei Karten von Abessinien, Nordteil und Südteil, ein Feuerzeug, ein Fläschchen Benzin, mit einem Gummipfropfen verschlossen, und ein Büchschen Ersatzzündsteine für das Feuerzeug. –

Das Ganze eine vollständige Ausrüstung für jemand, der jederzeit zu heimlichem raschen Aufbruch (Flucht?!) bereit sein will.

Ich hatte die Sachen neben den Steinsessel gelegt. Um die Vertiefung noch sorgfältiger besichtigen zu können, rieb ich nun mein eigenes Feuerzeug an. Das schwache Flämmchen genügte durchaus, [27] mir zu zeigen, wie unerhört leichtsinnig auch unsereiner zuweilen sein kann.

In einem Winkel lag zusammengerollt eine große giftige Hornviper, deren Leib unförmig aufgetrieben war, dicht vor ihr stand eine Tonschale mit Milch, hinter ihr bemerkte ich noch drei Päckchen Patronen sowie eine tote Ratte mit gestreiftem Fell.

Ich hatte Glück gehabt. Wäre das Reptil nicht infolge der überreichlichen Mahlzeit zu träge zum Beißen gewesen, so hätte ich zumindest ein paar sehr kritische Stunden durchgemacht, – ein Fläschchen mit pulverisiertem übermangansaurem Kali gegen Giftbisse trug ich stets bei mir.

Der Anblick der faulen Hornviper, die hier ihren Wächterdienst heute so schlecht versehen hatte, machte mich vorsichtiger, als ich all die Sachen nun in das Versteck zurücktat und dann die Steinplatte herabkippte.

Sie knirschte dabei, und in dieses wenig angenehme Geräusch mischte sich das leise Kack Kack Kack Kack meines tüchtigen Fennekchens.

Im Nu hatte ich die Umgegend mit schnellem Rundblick abgesucht …

Im Nu warf ich mich nieder und kroch schleunigst der nächsten Deckung zu, einem Dornengestrüpp am Rande des Affentanzplatzes.

Von Südost nahten schnell drei Reiter, – nein, der mittlere war eine Frau …

[28] Sie nahten nicht, – sie galoppierten, – und vor ihnen her hüpfte in unsicheren Sprüngen ein Hamadryasmännchen, das sicherlich angeschossen war.

Sie kamen sehr rasch heran, das arme gehetzte Tier und seine unerbittlichen Verfolger …

Der Mantelpavian flog mit halb taumelnden Sätzen dicht an mir vorüber dem Walde zu. Er hatte kaum mehr dreißig Meter Vorsprung, – der eine Reiter hob den Arm, – ich sah die Pistole, ich wollte rufen …

Da schlug die Reiterin diese mordlustige Hand empor, der Schuß ging ins Blaue, der Mantelpavian kreischte gellend, es klang wie ein mißglückter schriller Pfiff …

Nochmals derselbe Ton …

Dann vom Waldrande her ein Gebrüll, als ob alle Dämonen der Hölle plötzlich losgelassen wären …

Die drei Gäule stutzten, standen, bäumten sich.

Mein Fennek schmiegte sich zitternd an mich.

Das infernalische Gebrüll nahm noch an Stärke zu …

Nie hatte ich etwas Ähnliches gehört, selbst das Satanskonzert der schwarzbärtigen Brüllaffen in den Urwäldern Borneos war im Vergleich zu diesem wahnwitzigen Kreischen, Heulen, Pfeifen, Keifen ein leidliches Jazzstück gewesen.

Die Pferde tanzten, wollten zur Seite ausbrechen … Die Reiter hatten mit den Gäulen übergenug [29] zu tun, – – das Nächste war ein Steinhagel aus dem Schatten des Waldes, als ob es Felsbrocken regnete …

Die Pferde wurden getroffen, – kein Zügel konnte sie mehr halten, – die Reiterin glitt aus dem Sattel, ihr Gaul galoppierte mit davon …

Ich rannte hin, ich hob die Frau auf, – – und schweißtriefend erreichte ich nach einer halben Stunde mit der schönen Bürde in den Armen unser Lager.

– So lernte ich … nicht Lylian Garden, sondern Mary Marlon kennen.


3. Kapitel.
Die heiße Quelle.

Von dorther, wo Hochwürden Oberzauberer Homra unter seiner Decke lag, erklang ein deutliches Brummen schärfster Mißbilligung.

Auch Heiitsch Gabara war erwacht, hatte sich aufgerichtet und beobachtete meine Samariterarbeit.

Ein Stein hatte des Mädchens linke Schläfe getroffen. Erst als ich den Verband angelegt und ihr einen Schluck Wasser zwischen die Lippen gegossen hatte, erwachte sie.

Sie hatte ihren Hut verloren, um die helle Stirn, die von dem gebräunten Gesicht scharf abstach, [30] ringelten sich rotbraune feuchte Locken, aus denen ich das Blut herausgewaschen hatte.

Sie schlug die Augen auf, es waren dunkle große Märchenaugen, die mehr staunend als ängstlich die Umgebung musterten.

Unser Feuer brannte nur schwach, und als ersten erblickte das Mädchen Gabaras harte kühne Banditenzüge.

Der Heiitsch besaß Lebensart.

„Miß, Sie brauchen keine Furcht vor uns zu haben, wir sind friedliche Nomaden,“ sagte er möglichst einschmeichelnd.

Friedliche Nomaden – nicht schlecht!!

Die Miß hatte nun auch mich bemerkt, ich kniete noch neben ihrer Lagerstatt, und das nasse Taschentuch und die Kürbisflasche in meiner Hand verrieten ihr wohl den wahren Samariter.

„Ich danke Ihnen, Sir,“ flüsterte sie matt und befühlte dann ihren Verband. „Wie kam das eigentlich alles, Sir? Waren Sie in der Nähe?! Ich hatte Falferlon gleich gewarnt, nach dem Pavian das Messer zu schleudern, aber er ist von seiner Kunst so eingenommen, daß … – bitte, geben Sie mir zu trinken, ich fürchte, ich werde wieder ohnmächtig …“

Sie wurde nicht ohnmächtig. Sie erholte sich sogar sehr rasch, und ganz harmlos berichtete sie dann, daß sie drüben in das Lager der Wollo-Galla [31] gehöre, die Mr. Falferlon nur für Filmzwecke engagiert habe.

Sie sagte „engagiert“, – und Gabara knurrte verächtlich: „Lumpenpack!! – Was bekommen sie bezahlt?“

„Für den Tag zehn Silberpiaster,“ erwiderte Miß Marlon gleichgültig.

Zwanzig Silberpiaster sind in Abessinien gleich einem Bör oder Mariatheresientaler.

Gabara konnte seinen Neid nicht recht verhehlen. „So viel – zehn Piaster?!“

Mary Marlons Lächeln war verwirrend. Selbst der Heiitsch wurde verlegen.

„Ich bekomme fünfhundert Bör für den Tag,“ meinte sie leichthin …

Wahrscheinlich wäre diese Unterhaltung noch in ebenso geschäftlicher Art fortgesetzt worden, wenn sich nicht der Oberpriester hinter seinem Busch erhoben und durch eine gebieterische Geste angedeutet hätte, daß ich die Fremde schleunigst wieder wegbringen solle.

Gabara zuckte die Achseln, streckte sich wieder lang, schlug den Deckenzipfel über das Gesicht und rief mir nur noch zu: „Olaf, sie soll den Wollo-Schweinen nichts von unserer Anwesenheit hier verraten …!“ Damit war dieses Intermezzo für ihn abgetan.

Nicht für mich.

Die drohende Haltung Homras hatte bei unseren [32] Kriegern insofern Beifall gefunden, als sie vor Homra eben Angst hatten und nur deshalb recht laut murrten und Mary Marlons Lage hier bei uns nur noch peinlicher gestalteten.

Sie saß aufrecht da, – Homras auffallende Erscheinung schien sie nur zu belustigen.

„Ich werde mich empfehlen, Mr. Olaf …“ meinte sie frostig. „Der Gentleman da ist sicherlich Junggeselle … Ich fühle mich schon wieder recht kräftig.“

Sie stand auch wirklich sofort auf den Füßen und wollte sogar meine Begleitung ablehnen.

Ich kümmerte mich nicht darum.

„Ich komme mit, – und Sie, Homra, – mit Ihnen rede ich nachher, für uns beide ist in diesem Lager kein Platz …!“

Als wir ins Freie traten, nahm Mary ohne weiteres meinen Arm und stützte sich ziemlich schwer darauf.

„Mr. Olaf, wie sind Sie in diese Gesellschaft geraten?“ fragte sie mißbilligend. „Die braun-schwarzen Kerle sind scheinbar noch schlimmer als unsere Wollo …“

„Wir … jagen zusammen,“ erklärte ich ausweichend … „Und Sie filmen, nicht wahr?! Gestern nacht beschlichen wir Ihr Lager, aber die Hunde verscheuchten uns … Übrigens hat mir vorhin ein eigenartiger Kauz bereits von Ihnen erzählt … ein Doktor Turst … Kennen Sie ihn?“

[33] „Turst?! Nein! Wer ist das?“

Wir hatten den Abhang erklommen, und ich bemerkte bei dem sehr hellen Mondlicht Miß Marlons beide Begleiter und das ledige Pferd, – ich sagte daher nur:

„Den Herrn müßte ich Ihnen vorstellen, Miß, – übrigens sind da Ihre Gefährten, und …“

„Oh – ich weiß schon, ich soll Ihren Lagerplatz und Ihre Anwesenheit hier geheim halten, – das ist selbstverständlich, Mr. Olaf … Lassen Sie mich nur allein … Ich danke Ihnen noch herzlich …“

Ihr Händedruck, ihr Blick verhießen so manches … Spröde war sie nicht, und meinerseits war es Laune und Stimmung, daß ich sie einfach in die Arme nahm und küßte, wenn auch mit allem schuldigen Respekt.

„Oh – Sie Barbar!!“ – – und dann versetzte sie mir einen leichten Stoß vor die Brust und trat hinter dem Buschwerk hervor und lief im Bogen der Stelle zu, wo Mr. Falferlon und der andere Hollywooder mit ihren Gläsern die Steppe nach dem verschwundenen Star absuchten.

Ich blieb, bis Mary drüben im Sattel saß, bis die drei in der milchigen Dämmerung der Nacht verschwanden und es somit Zeit wurde, Herrn Homra meine Meinung in recht eindeutiger Art kundzutun.

Aber – ich staunte – der widerliche alte [34] Bursche hatte bereits sein Dromedar ins Freie geführt, gesattelt und bepackt und würdigte mich keines Blickes, ritt nach Süden davon und … ward nicht mehr gesehen.

Am schwach glimmenden Feuer saß Gabara, rauchte und schielte mich böse an. Die Stimmung seiner Krieger hatte ich bereits gespürt, – es gibt finstere Blicke, die alles sagen.

Der Heiitsch sagte nur:

„Olaf, wir kehren um …!“

„Und die Höhle?!“ Ich nahm neben ihm Platz. „Läßt du dich von Homra kommandieren, Gabara?!“

Er schwieg dazu, schwieg allzu lange für meine gereizte Laune.

„Gut denn – trennen wir uns,“ meinte ich schroff. „Ich bleibe hier, oder besser – ich werde das nachprüfen, was du mir erzählt hast … Lebe wohl …“

Da ich nichts als das mein eigen nannte, was ich bei mir trug, brauchte ich keine großen Vorbereitungen zum Aufbruch.

Gabara hielt mich nicht zurück, – wir schieden wie Fremde, – die Krieger beachteten mich nicht, die Wachtposten draußen erst recht nicht, und mit Fennek-Freund und leichtem Gepäck wanderte ich wieder … dem Affentanzplatz zu.

Irgend etwas, das nicht näher zu bezeichnen war, zog mich dorthin. Ich ahnte, daß der Wald, der die Nordseite der Arena begrenzte und der sich [35] einen steilen Berg emporstreckte, vielleicht noch mehr Geheimnisse enthalten könnte als nur die Riesenherde gehorsamer[2] Mantelpaviane.

Konnte es Schöneres geben als diese mondhelle Nacht hier in der Grenzsteppe eines Landes, das durch seine klare, gesunde Luft berühmt geworden ist und dessen schneebedeckte Berghäupter der Nähe des Äquators zu spotten scheint.

Ich hatte jetzt eine andere, mehr südliche Richtung gewählt, ich wollte die südlichste Grenze des Waldes erreichen und von dort die Berglehne erklettern. Ich war nicht müde, das Feuer frischen Betätigungsdranges rann mir durch die Adern, – ich habe nie viel Schlaf gebraucht, die Nacht hat stets meine Sinne geschärft, und das große, starke Bewußtsein, auf mich selbst gestellt zu sein, machte mich froh und meine Glieder leicht und beschwingte meine Bewegungen.

Um mich her das mir so vertraute Nachtbild dieser Steppen, deren Tierreichtum stärker ist, als der Uneingeweihte es ahnt. Was mir auffiel, war die Menge von Hyänen, die jetzt nach Mitternacht durch das hohe Gras schlichen. – Wie in Australien einst das Kaninchen Landplage wurde, so ist noch heute in Abessinien die Hyäne das bestgehaßte Tier. Die zahllosen Schlupfwinkel, die das Gelände diesen Aasfressern und feigen Räubern bietet, die dünne Besiedlung des Landes (etwa 14 Bewohner auf ein Quadratkilometer, mithin für die Grenzländer [36] etwa nur ein Bewohner), ferner die Unmöglichkeit, diesen Bestien erfolgreich den Krieg zu erklären, dazu der Überfluß an Wild und Weidetieren, das Vorkommen großer Katzen wie Löwe, Leopard und Gepard, die von der gerissenen Beute stets nur das Beste verzehren und die Reste den so überaus vorsichtigen Hyänen überlassen, – dies alles hat die „Abdecker der Wildnis“ immer zahlreicher gemacht. – Es ist auch gänzlich verfehlt anzunehmen, daß diese schon äußerlich so häßlichen Tiere, deren kurze Hinterbeine einen plumpen, schleichenden Gang bedingen, sich nur mit Aas begnügen. Sie besitzen ein furchtbares Gebiß, das selbst den stärksten Knochen zermalmt, und eine angeschossene Hyäne oder gar ein Rudel greift oft genug auch den Jäger oder den Herdenwächter an, kreist Antilopen ein, drängt sie in enge Schluchten ohne zweiten Ausgang und richtet dann ein schändliches Blutbad an, frißt sich derart voll, daß die Bestien hinterher tagelang in ihren Dickichten und Felsverstecken liegen und verdauen. Es sind in jeder Beziehung widerliche Kreaturen, ihre jämmerliche Feigheit im Verhältnis zu der Stärke ihres Gebisses gibt sie der allgemeinen Verachtung preis, man knallt sie nieder, wo man irgend kann, nach Perioden starker Dürre zündet man die Dickichte der Schluchten an, in denen sie hausen, und stößt die aus dem Feuer blindlings hervorrennenden Hyänen mit Speeren nieder. –

[37] Nicht die einzigen nächtlichen Gäste dieser Hochsteppe waren sie … Das dumpfe Brüllen von Löwen, der heisere, jammernde Schrei der Leoparden, das drohende Brummen von Nashörnern, der schrille Ruf von gefiederten Nachträubern weckten in mir heitere und doch wehmütige Erinnerungen an unsere Jagdstreifen mit Reginald Forrester und der schlanken, ranken Lizzie.

Ich beobachtete in einem Sumpfloch zwei Flußpferde, ein Ehepaar, das den Honigmond zu feiern schien. Der Herr Gatte war etwas träge, – es gab ergötzliche Szenen …

Man beobachtet vieles, wenn man offene Augen hat …

Langsam erklomm ich einen Steilhang, vor mir her tänzelte Fennekfreund, ich blieb immer wieder lauschend stehen und musterte mißtrauisch die Felsen und die in Spalten und auf Vorsprüngen wuchernden Büsche und Dornen, von denen einige in weißer Blütenpracht standen, andere ihre feurigen Farben dem Mondlicht entgegenstrahlten in stillem Wettkampf. Süße Düfte durchwehten die Luft, hin und wieder ward auch die Nase durch den scharfen Ammoniakgeruch riesiger Kröten gereizt, die stumpfsinnig zwischen den Gräsern hockten. Ein Honigdachs zog schnuppernd einen schmalen Felsgrat entlang, – ein Feinschmecker, dieser possierliche Kerl, der den Erdbienen die letzte Wabe stiehlt und so stichfest ist wie eine Giftschlange gegen ihr eigenes [38] Gift. Ein Rudel verwilderter Hunde umheulte links in der Tiefe einen einzelnen Ölbaum, auf den sich zweifellos ein Stinkmarder geflüchtet hatte.

Schritt für Schritt strebte ich der Höhe zu. Nach Norden zu gewahrte ich von hier aus dunkle, düstere Berge, offenbar von Sykomorenwäldern bestanden, – Dschungel schien sich in den Tälern auszubreiten, sumpfig und fieberschwanger.

Es war der Klimagürtel der sogenannten Kolla, in dem ich mich hier befand. – Kolla bedeutet „heißes Land“, es reicht etwa bis zu 1700 Meter über dem Meere, – an die Kolla schließt sich Woina Dega, das Weinland, bis 2400 Meter an, – der dritte Gürtel ist die Dega, das Hochgebirge, in dem immer noch bis 3900 Meter Getreidebau möglich ist.

Dann nahm mich der düstere Urwald auf.

Seine Vorposten waren dichtestes, hohes Gestrüpp von wilder Baumwolle, Aloestauden, – Phönixpalmen bildeten den Übergang zu den Riesenstämmen, zwischen deren Ästen die bunt schillernden Girlanden von Schmarotzerpflanzen hingen. Der Boden war etwas feucht, Moderduft stieg aus dem Humus empor, Mückenschwärme summten und zischten, Glühkäfer täuschten ferne Fackeln und Lämpchen vor, Tiere aller Art peinigten das Ohr mit mannigfachen Lauten nach Minuten atembeklemmender Stille.

Ich hielt mich am nördlichen Waldrande. Die [39] Hamadryas mit ihrer Königin waren vorhin im Südrande verschwunden, vom Südrand her hatte das infernalische Gekreisch eingesetzt, von dort kam der Steinhagel.

Hier wähnte ich mich sicher.

Fennekchen blieb jetzt dicht neben mir. Ich spürte ihn stets an meiner linken Wade, ich wußte, daß er bei dem geringsten Anzeichen von Gefahr mit seinem Näschen mich leise stupsen würde.

Das sanfte Gurren von Wildtauben, das fast zärtlich aus den Wipfeln herniedertönte, hatte etwas sanft Beruhigendes an sich. Dann meldete sich wieder mit häßlichem Krächzen irgendein gefiederter Räuber, an denen die Berge Abessiniens wahrlich keinen Mangel haben.

Die Nacht lebte auch hier. Ihr Leben war unsichtbar, der Urwald hüllte alles in sein unentwirrbares Gespinst von Baum, Strauch, Busch, Kletterpflanzen, gierigen Schmarotzergewächsen.

Eigentümlich, daß gerade diese Aaspflanzen, die sich vom Safte der Urwaldriesen nähren und oft genug ihre Ernährer ersticken, die schönsten Blüten tragen. Sie sind die schamlosen Heuchler mit gleißnerischen Mienen in der Natur, sie verwirren den Blick, – viele von ihnen sind giftig, und der Staub ihrer Blütenstempel erzeugt auf der Haut Blasen und Entzündungen.

Ich war hier so recht in meinem Element. Dieser uralte, unberührte Wald glich durchaus den tropischen [40] fernen endlosen Waldungen, die den größten Teil Innerborneos bedecken. Er war wie ein Greis, dem die Jahre nichts anhaben können, der über ein zuverlässiges Lebenselixier verfügt und dessen Gliedmaßen sich ständig ergänzen, während alles Hinfällige diesem Neuen neidlos und still Platz macht. Er war ein Bild ewigen, in sich geschlossenen Werdens und Vergehens. Vernichtende und schaffende Kräfte hielten einander im Gleichgewicht, und nichts gab es hier, das an der Krankheit derer litt, die mit künstlichen Mitteln das Altern hinwegtäuschen wollen – wie Frauen, die verzweifele mit Schminke, Puder, Massage, Pasten und Bädern und noch ärgeren Dingen Runzeln und Schlaffheit und matten Blick noch in weite Zukunft bannen möchten.

In dieser Umgebung, in diesem leichten Moderdunst, der doch die Kraft des Schöpferischen enthielt, huschten wir wie Schatten dahin, mieden die mondhellen Stellen und durchspähten die Finsternis mit den tastenden Spitzen geschärfter Blicke. So kamen wir, vielleicht die ersten Wanderer mit bestimmtem Ziel in diesem Teile des Urwaldes, ich vielleicht der erste Mensch seit Erschaffung der Welt in dieser bezaubernden Wildnis, an einen gänzlich kahlen, felsigen Streifen Landes, der sich wie ein Keil in das wehrhafte Grün der Baumriesen hineindrängte.

Es war wie eine breite, flache Rinne, in der leise fließendes, talabwärts rinnendes Wasser gurgelte [41] und schäumte, ein flacher Bach, silbern im Mondlicht gleißend, krauses Silber die Stellen, wo Steine den Bach hemmten und winzige Strudel erzeugten.

Hier betrug die Breite dieses Keiles etwa hundert Meter, der Bach selbst maß nur zehn.

Als ich mich nach Süden drehte, wo der flache Felsenkeil im geheimnisvollen Schatten der Baumgiganten sich verlor, erblickte ich weißliche Gestalten, die in der Luft zu tanzen schienen wie die Elfen aus nordischen Märchen.

Aber dies hier war nicht Nordland, sondern Land nahe dem Äquator, und die Elfen erwiesen sich als Dampfwolken, die einem Kessel einer heißen Naturtherme entstiegen, an denen Abessinien nicht arm ist. Ich ging bis zum Rande des Baches und bückte mich, und mit mir bückte sich mein langer Mondschatten und prüfte das Wasser auf Wärme und Geschmack. Es war sehr warm und sehr salzig, fast bitter.

Hinter mir keckerte Mukki ganz leise und mehr unzufrieden als warnend. Mukki-Fennek liebt das Wasser nicht. Als wir ihm den Gestank des Saftes der Drüsen des Stinkmarders aus dem Pelz wuschen, hatte er nach den Händen der Galla geschnappt.

Mich lockte nun die Therme. Mir war bekannt, daß Abessinien seine heißen Heilbäder besitzt wie viele andere Länder, nur kräftiger. Die Thermen von Fin-Fin in der südlichen Provinz [42] Schoa sind mit 76 Grad die wärmsten, die des berühmten Badeortes Wansage am Gumarafluß mit 37 Grad die heilkräftigsten. – Vielleicht erscheint es sehr widerspruchsvoll, daß dieses Hochland Abessinien, das sich vom Roten Meere aus wie eine ungeheure Felsenburg präsentiert, trotz der gesunden Luft so zahlreiche Krankheiten fördert: Schwindsucht, Katarrhe der Luftwege, Rheumatismus, und … den Bandwurm. Letzterer hängt ja mit der verkehrten Ernährungsweise der Einwohner, die trotz des Überreichtums an Früchten rohes oder halbrohes Fleisch allem anderen vorziehen, ausschließlich zusammen. Die Erkältungskrankheiten sind gleichfalls auf das Konto einer unzweckmäßigen Lebensführung zu setzen. Tageshitze und sehr starke nächtliche Abkühlung, Gewitterregen und eisige Winde verlangen eine entsprechende Bekleidung und … Sauberkeit. Ein halbzivilisiertes Land wie Abessinien kennt keine hygienischen Verhaltungsvorschriften. Der Abessinier ist fanatischer Anhänger uralter Gebräuche, ist gleichgültig gegenüber allem Neuen, wärmt sich am lodernden Feuer seiner Hütte die Vorderseite, während die Rückseite von eisiger Zugluft getroffen wird. Die Bekleidung durch Wollstoffe und Felle ist im Sonnenbrand Quelle der Verweichlichung. Ein durchhitzter Körper leistet der nächtlichen Kälte keinen Widerstand. Ausgemergelte Gestalten schleichen durch die Gassen der Dörfer und Städte, den Sonnenschirm in der Rechten, – ohne [43] Sonnenschirm kein wahrer Abessinier. Geschlechter sterben an Schwindsucht dahin, von Rheuma Geplagte werden zu Greisen, vor der Zeit.

Nur die Nomadenstämme bilden hier eine Ausnahme. Ihre Lebensweise ist gesünder, – ein Kenner Abessiniens hat einmal erklärt, daß, wollte man die Steppenvölker seßhaft machen, dies mit ihrem Untergang gleichbedeutend wäre. –

Je näher ich der heißen Quelle kam, desto unruhiger wurde Freund Fennek. Schließlich stieß er mit dem Näschen, und mein Mißtrauen gegen die wallenden Wolken ward so stark, daß ich wieder in den Baumschatten trat und das Fernglas zu Hilfe nahm.

Die Felsen, aus denen die Dämpfe emporquollen, bildeten einen stumpfen Kegel von unregelmäßig übereinanderliegenden Blöcken. Die Baumkronen warfen ihre scharfen Schatten darüber, und zunächst bemerkte ich nichts Besonderes, vielleicht nur das eine: Die Äste, die noch in die heißen Wolken hineinragten, waren weiß und kahl und glichen gebleichten Knochen. Unwillkürlich haftete mein Blick längere Zeit auf diesen abgestorbenen Ästen, die mir vorkamen wie flachhängende Skelette. Man konnte wirklich darüber im Zweifel sein, ob es nicht tatsächlich Knochen wären, und ich hätte mich gar nicht weiter gewundert, wenn dort droben ein paar Totenschädel im runden Gesichtsfeld meines Fernglases mich angegrinst hätten. Aber es waren doch nur abgestorbene [44] Baumarme, ohne Rinde, verdorrt, ausgelaugt durch die heißen Dämpfe, traurige Beweise der zwiefachen Kraft der Therme, die einmal durch ihre Heilwirkungen Gutes tun, dann aber auch blühendes Wachstum vernichten konnte.

Fennek-Freund war merkwürdigerweise wieder ruhiger geworden. Entweder hatte er sich getäuscht, und seine Warnungszeichen hatten nur irgendeinem Raubtier gegolten, oder – was wahrscheinlicher war – der von Mukki gewitterte Gegner, ein Mensch, mußte sich entfernt haben.

Trotzdem blieb ich vorsichtig. Ich näherte mich sehr langsam der Felsgruppe, hatte die Büchse halb erhoben und wäre kaum hinterrücks zu überwältigen gewesen.

All das war unnötig. Mein vierbeiniger Wächter verriet durch nichts mehr, daß die Luft nicht ganz rein sei, im Gegenteil, er tänzelte wieder ein paar Schritte voraus, tat zuweilen einen blitzschnellen Satz nach einer Maus, die jedoch stets flinker war und unter die sicheren Baumwurzeln schlüpfte.

Der Kegel aus Steinblöcken hatte nach Norden zu eine schmale Öffnung, aus der das dampfende Wasser in dickem Strahle hervorschoß, sich dann sofort über die breite, muldenförmige Steinbahn ausdehnte und als Bächlein seinen Lauf fortsetzte.

Die Steine waren naß, tropften, zeigten dicke Moospolster und verboten schon durch ihre Schlüpfrigkeit jeden Versuch, sie zu erklimmen und etwa [45] einen Blick in den dampfenden Kessel zu werfen. Ich verzichtete darauf. Ich sah mir nur die Umgebung an, – sie bot nichts irgendwie Auffälliges, nur die Büsche waren welk und kraftlos, die nächsten Bäume zeigten faulige Stellen auf der dem Kegel zugekehrten Seite. Um im Grase nach Spuren zu suchen, dazu war es hier zu dunkel. Ich umschritt die Therme und ging wieder am Rande des in den Urwald hineingetriebenen Felsenkeiles entlang, bis ich in dem klaren glitzernden Wasser des neben mir plätschernden Baches eine offenbar tiefere Stelle bemerkte, die geradezu zu einem Bade einlud.

Ich begann mich zu entkleiden. Ein paar Steine lagen da fünf Meter vom Bachufer entfernt. Hier breitete ich meine Sachen aus, drückte Fennek auf meine Jacke und bedeutete ihm, daß er sich niedertun und gut auf alles achtgeben solle. Er blieb denn auch liegen, das Köpfchen halb erhoben, wie immer bei solchen Gelegenheiten nach allen Seiten hin windend und äugend, – die Büchse und die Pistolen legte ich griffbereit nahe an das Ufer, dann watete ich der Vertiefung zu.

Wenn ich mir jetzt meinen damaligen Leichtsinn überlege, begreife ich mich selbst nicht recht.

Leichtsinn war es …

Fennek hatte vorhin unzweideutig vor menschlichen Feinden gewarnt, – sie mochten sich entfernt haben, – sie konnten heranschleichen, sie konnten sich den von den Bergen herabkommenden Wind [46] zunutze machen und Fenneks feine Nase täuschen, sie brauchten nur irgendein Aas an einem Ast vor sich her tragen, dessen Gestank den Menschengeruch übertäubte …

Leichtsinn war es …

Zumal ich noch gestern ein Bad drunten unweit des Dornenlagers der Guasassos genommen hatte.

Und doch, – mitunter zwingt uns eine geheime Macht zu lächerlichem Tun.

Ich tastete mit den Füßen den Bachboden ab, ich … rutschte trotzdem aus, ich fuhr wie ein Blitz in das Loch hinein, ein stechender Schmerz an der linken Wade raubte mir fast die Besinnung, ich war völlig in der lauen Flut versunken, all meine Anstrengungen, mich an die Oberfläche zurückzuarbeiten, blieben ohne Erfolg, an meinem linken Fuß hing eine Zentnerlast, – die Schmerzen nahmen zu, die Wade steckte wie in einer gezähnten Klammer, und mit wildem Entsetzen erkannte ich, daß mir das Ärgste zugestoßen war, das einem unbewaffneten splitternackten Menschen begegnen kann …

Ein Krokodil mußte hier in dem Wasserloch sein warmes Quartier gehabt haben, – mein Bein steckte zwischen den Kiefern der Panzerechse, und mein Los war es, hier kläglich zu ertrinken und dann von dem Untier gefressen zu werden.

Ich kannte die Taktik dieser heimtückischen Scheusale … Sie ertränkten ihre Beute immer erst, bevor sie sie verzehrten, – sie halten sie so [47] lange unter Wasser, bis das Opfer sich nicht mehr wehrt.

Gab es keine Hilfe?!

Ertrinken?!

So – – ?! So elendig ersaufen, – – das sollte der Abschluß meines Lebens sein?!

Niemals!

Noch hatte ich genügend Luft in den Lungen, und Schmerz und Wut und Todesangst verliehen mir die Kräfte eines Riesen.

Ich merkte ja: Die Bestie lag auf dem Grunde des Loches, tiefer hinab konnte sie nicht, und somit kam es nur darauf an, ob ich genügend eiserne Muskeln besaß, das Ungeheuer zu betäuben.

Ich bückte mich, ich fand einen Stein, nein, ein schmales schweres Felsstück, – ich öffnete die Augen, ich erkannte undeutlich eine dunkle Masse, ich berechnete, wo der Kopf sich befinden mußte und schlug zu, – nicht einmal – – immer wieder, ich hämmerte auf dem Ungeheuer herum wie auf einem Amboß, ich – – sah nichts mehr, die Anstrengung drohte mir die Adern zu sprengen, – – plötzlich ließ die Klammer los, ich stieß mich rein mechanisch mit dem unverletzten Fuße ab und … schoß empor, kroch aufs Trockene, brach zusammen und verlor das Bewußtsein.


[48]
4. Kapitel.
Der Doktor „mit Fett“.

… Vincent Tursts Behausung hatte ich mir ganz anders vorgestellt. Eine solche Anspruchslosigkeit hätte ich ihm nicht zugetraut.

In einer Schlucht nach Osten zu, jenseits der Hochsteppe der Giraffenjäger, erhebt sich ein einzelner kahler Granitblock aus einer undurchdringlichen stacheligen Wildnis, die die ganze Schlucht bis zu den Rändern überzieht. Eine Laune der Natur hatte diesen Riesenwürfel oben mit dichten Gräsern, Aloebüschen, wilden Baumwollsträuchern und einem einzigen krummen Feigenbaum grün patiniert.

Hier oben haust Vincent.

Bei unserer ersten Begegnung hat er mich ein wenig beschwindelt, was sein geheimes Quartier betraf. Ich habe es ihm nicht nachgetragen, denn er – hat mich selbst getragen, und so etwas vergißt man nicht. Mit einem armen nackten Teufel, dem das Fieber in den Adern glüht und der nur noch Spukgestalten um sich sieht, meilenweit durch gefährliches Gelände dahinzuziehen, – das verbindet Retter und Geretteten besser als die scheinheiligen Bräuche der Blutsbrüderschaft …

Vincents Hütte besteht aus grünen geflochtenen Wänden, – er hat zu dieser Arbeit Zweige von [49] immergrünen Büschen benutzt, die man nur in die Erde zu stecken braucht, damit sie weiterwachsen.

Vincents Hütte ist also mehr eine Laube. Sie ist eng und hat nur drei Löcher: Eingang, Rauchfang, Fenster. – Das Mobiliar besteht aus folgendem: Fünf Wolldecken, drei Leopardenfellen, zwei Tonkrügen, die wir, umgekehrt, als Schemel benutzen, – aus einem Herd, einem flachen Stein, als Tisch, – – das wäre die ganze Herrlichkeit.

Der Herd ist aus Lehm geformt, – ein offener Kamin, er endet oben im Loch der Laubendecke. Kochen dürfen wir nur nachts. Als Kochtöpfe dienen vier große Konservenbüchsen …

Sonstiges Geschirr fehlt.

Will man das grüne Palais verlassen, so muß man sich an einer Leiter, die durch Büsche verdeckt ist, in die Dornen hinabwagen, in denen ein uralter Hyänenpfad zur Nordseite emporläuft.

Die Hyänen sind tot. Der Pfad lebt, zuweilen hat Vincent ihn nachschneiden müssen, damit er nicht zuwächst.

Auf diese Weise gelangen wir ins Freie oder in die Hütte zurück.

Wenn wir einen Ausflug unternehmen, sind noch weitere dringende Vorkehrungen zu treffen. – Erstens: Wir streifen über unsere Schuhe Gummischützer eigentümlicher Art. Es ist nicht Gummi, aber es sieht so aus, es sind Nashornbeine, das heißt: nur die Haut der Füße.

[50] Meine Schützer sind die Vorderfüße, Vincent trägt die Hinterfüße.

Das ist sehr witzig ausgedacht: Wir hinterlassen also in der Nähe der Schlucht immer nur die Fährten eines Nashorns, da wir den Abstand zwischen Vorder- und Hinterbeinen genau einhalten. – Das Nashorn besteht aus mir und Vincent.

Das ist wie gesagt notwendig.

Sehr notwendig.

Ohne diesen Trick wären wir längst entdeckt worden.

Bevor ich die Rolle der Vorderpartie des Nashorns übernahm, begnügte sich Freund Turst mit seinen Händen und Füßen, um die Tierspur vorzutäuschen.

Sind wir erst eine halbe Meile von der Schlucht entfernt, werden die Gummischützer auf kahlem Felsplateau sorgfältig versteckt, und wir holen aus einem zweiten Versteck Sättel und Zäume hervor und begeben uns – immer nur nachts – zu dem Dromedarhaus.

… Klingt großartig …

Dromedarhaus!!

Stimmt nicht ganz. Das Haus ist eine Grotte, die Vincent vorn zugebaut hat … Die Steinmauer sieht einer harmlosen Geröllhalde täuschend ähnlich, und doch schützt sie unsere drei Tiere gegen die großen Katzen und gegen die Neugier derer, die wohl ahnen, daß irgendwer ihnen nachspürt.

[51] Zweitens: Ein Nashorn muß auch mal unbedingt etwas verlieren, das in Kulturstraßen von den Straßenkehrern zusammengefegt wird und das die Spatzen sehr schätzen.

Pferdeäpfel, sagt man.

Hier Nashornäpfel …

Wir bringen von den nächtlichen Streifen zuweilen derartiges mit und legen es auf die Nashornfährte.

Drittens: Was unsere Dromedare in der Nähe der Grotte von Dingen dieser Art verlieren, heben wir sorgfältig auf.

Unserseits geschieht alles, sowohl die Affenkönigin als auch die Wollos nebst Hollywood-Anhang sowie die verdammten Guasassos zu täuschen. Wir haben es mithin mit drei Gruppen von Gegnern zu tun, die wieder ihrerseits sich gern untereinander eins auswischen möchten.

Ein Kampf nach drei Fronten ist eine üble Sache, aber recht ermunternd. All denen, die an Langerweile und ähnlichen Übeln leiden, empfehle ich dringend, sich drei Feinde zuzuziehen und dafür zu sorgen, daß diese sich untereinander wieder blutige Sorgen bereiten. Dann wird man nicht fett dabei.

Ich habe soeben hier in meiner Schreiberei eine Pause eintreten lassen müssen, da Vincent mit seinem nunmehr recht gebräunten Gesicht gemeldet hatte, das Essen sei fertig.

„Mensch, leg’ die Klauerei beiseite … Wie [52] kann man nur!! Tagebuch führen!! Blödsinn! Wer soll das mal lesen?! Und wenn du hoffst, ich werde eines Tages den Sonnenstich kriegen und mich über dein Geschreibsel hermachen – – Irrtum! Ich lese nie und nichts! – Schraube also deinen Füllhalter zusammen, ergreife dein Messer und beehre dieses Antilopenviertel mit Feigentunke – eigenes Rezept.“

Ähnliche Jeremiaden von Vincents Lippen kenne ich schon.

Wir essen von Steinplatten … Zwischen meinen Beinen liegt Fennek und wartet auf seinen Anteil.

Es ist noch ein vierter in der Hütte, aber der bleibt meist oben auf seiner Stange und frißt nur Bananen und Früchte.

Der vierte ist ein junger Guereza.

Ein Affe also.

Ein Kerl, der wie ein alter Schiffer mit seinem weißen Bart und dem weißen Haarstreifen am Stirnrande aussieht.

Und doch nicht wie ein Jan Maat, – auch wie eine eitle Dame, der der weiße Pelzkragen dorthin gerutscht ist, wo der Rücken fast aufhört. – Und doch nicht wie eine Dame, sondern wie ein Fliegenwedel, wenn man nur die üppige Schwanzquaste berücksichtigt, auch weiß.

Merkwürdige Tiere, diese Vettern vom Affengeschlecht. Am menschenähnlichsten finde ich immer [53] noch die Satansaffen mit dem dunklen Vollbart und der Haarkapuze. Allerdings gleichen sie finsteren Raubmördern aus Räuberromanen verflossener Zeiten. Ihr bösartiges Zähnefletschen macht sie wirklich satanisch. – Am zärtlichsten dagegen sind die kleinen zwitschernden Kapuziner, und Peter-Maugli war treu und zärtlich und klug.

Vincents Guereza ist harmlos-dumm und stillvergnügt. Mit Fennek steht er auf Kriegsfuß. Mit mir kann er sich nicht recht anfreunden. An mir liegt es nicht. Streichele ich ihn, wird Fennek eifersüchtig und keckert böse. Ich streichele ihn selten, da der Guereza mich immer so ansieht, als ob er sagen wollte: „Gib dir keine Mühe, – ich liebe nur den Herrn Doktor Vincent Turst!“

Den liebt er.

Vincent hat ihn Guza getauft, also ohne viel Phantasie nur dem armen Tier die „Ehre ohne h“ ausgeschnitten. Immerhin eine schmerzlose Operation.

Wir essen und sprechen über das alte Thema: Die Affenkönigin.

Vincent erklärt kauend, daß die „Geschichte“ nun endlich so oder so erledigt werden müsse.

„… Oder fühlst du dich noch immer zu schwach, Olaf?!“

„Nein … Es zwickt noch mitunter in der zerbissenen Wade, aber mit dem Reiten geht es schon besser … In den letzten vier Nächten habe ich wesentliche Fortschritte gemacht, ich traue mir sogar [54] zu, per pedes meilenweit zu laufen. – Was gedenkst du zu tun?!“

Er zieht die Nase kraus. „Schlimme Sache!! Zuerst müssen wir den Herrn Gabara erledigen … Der mit seiner Bande ist am unangenehmsten, denn der Kerl ist gerissen und kühn, tollkühn sogar …“

Wir reden und reden, und die Zigaretten Vincents schwinden erschreckend schnell dahin. – Resultat: In der kommenden Nacht soll Heiitsch Gabara ausgeräuchert werden.

Dann schläft Vincent, – ich nehme wieder die Feder und …

Wo[3] war ich doch stehen geblieben?! Nein – liegen geblieben …

Am Bachufer, bewußtlos, mit zerfetzter linker Wade …

Als ich erwachte, graute gerade der Morgen, und drei Hyänen, die gierig in einiger Entfernung gelauert hatten, zogen nach ein paar Steinwürfen schleunigst ab.

Es war mein Glück, daß der zerbissene Unterschenkel noch im Wasser geblieben war … Die Therme hatte die Bißwunden gründlich ausgespült, trotzdem war die Wunde nur ein übler, dicker Fleischklumpen von beängstigend tiefroter Farbe.

Meine Kleider, meine Waffen, mein Fennek, – alles war verschwunden. Ich erschrak darüber nicht. Mir war alles gleichgültig. Höllische Schmerzen folterten mich, das Fieber jagte mir Frostschauer [55] über den nackten Leib … Wie durch Schleier erkannte ich drüben am Bache ein Krokodil, das auf der Seite lag und mir den weißen Bauch zukehrte. Das war die Bestie … Ihr Tod war nur ein schwacher Trost für mich.

Ich verlor abermals die Besinnung, schleppte mich nachher in den Schatten der ersten Büsche und machte in Gedanken mein Testament. Das Fieber stieg, ich brüllte vor Schmerzen, – – die Nacht kam, und dieses wahnwitzige Brüllen lockte Vincent herbei.

Er lud mich auf seinen Nacken, trug mich meilenweit, zog mich durch den Hyänenpfad bis zu seiner Laube und nahm eine Radikalkur mit mir vor.

Wie – das gehört nicht hierher, – jedenfalls konnte er eiternde Wunden tadellos aufschneiden und wußte Arzneipflanzen richtig anzuwenden, auch bei einem Halbtoten, und das war ich damals.

Am zweiten Tage abends bekam ich bereits Fleischbrühe, am nächsten Morgen verlangte ich kräftigere Kost und nannte Vincent du und Freund.

Er war rührend als Arzt und Pfleger. Ich begriff nicht, daß eine Frau mit einem so herzensguten Menschen hatte in Unfrieden leben können. Ich wußte ja, seine Ehe war geschieden worden. Einzelheiten hierüber erwähnte er nie.

Meine Bärennatur spottete selbst der Krokodilzähne. [56] Ich erholte mich überraschend schnell, aber ich blieb still und traurig, ich liebe Tiere, und der Verlust Fenneks ging mir sehr nahe.

Die Frage, wer mir meine Kleider, Waffen und Fennek-Freund gestohlen hatte, konnte auch Vincent zunächst nicht klären. In der vierten Nacht entfernte er sich aus seiner Laubhütte.

„Olaf,“ sagte er schlicht, „ich will versuchen, dir das deine zurückzubringen. Ich merke, du vermißt deinen Fennek. Lebt er noch, siehst du ihn wieder, so wahr ich Doktor mit Fett bin.“

Das war sein häufigster Kalauer.

„Mit Fett“ sollte heißen: med. vet., medizinae veterinäris.

Er ging, ich schlief, und ich erwachte, da mir jemand inbrünstig das Gesicht leckte: Fennek! – Ich fuhr empor, mein Staunen war zunächst größer als meine Freude. Ich hatte kaum zu hoffen gewagt, daß Vincent mit seinem Ausflug ins Ungewisse Erfolg haben würde. Dann aber war, veranlaßt durch Fenneks überströmende Zärtlichkeit, in mir nur noch ein einziges Empfinden rege: Das unendlicher Freude und Dankbarkeit! Beide Gefühle verschmolzen in eins, ich konnte mich Fenneks kaum erwehren, ich drückte aber auch Vincent immer wieder die Hand. Wir waren wie in einem Taumel befangen, Turst sagte nur wiederholt: „Aber … aber, – das war ja alles so einfach, so leicht!“ Er wollte sich nicht als Held feiern lassen, das [57] lag ihm nicht, dazu war er eine zu schlichte Natur. Er legte sich nieder, nachdem er Fennek noch ein paar Streifen Fleisch und einige Hände voll Feigen hingeworfen hatte. Der kleine Kerl sah unglaublich ruppig aus. Sein vordem so prächtiger Pelz war glanzlos, und unter dem Haar zeigten sich die dicken Striemen brutaler Schläge.

Niemals hätte ich einem Geschöpf seiner Art die Fähigkeit zu solchen Zärtlichkeitsbeweisen zugetraut. Ein Hündchen, das man sich selbst aufgezogen hat, hätte nicht inniger seine Gefühle ausdrücken können wie dieser Wüstenfuchs, den ich einst aus der Fangschlinge befreit hatte. Er war halb verhungert, die Rippen standen ihm heraus, aber – – um die leckere Nahrung kümmerte er sich nicht. Ich war ihm die Hauptsache, ich, sein Herr, dem er nun monatelang gehörte, mit dem er durch tausend kleine Abenteuer und viele kritische Stunden sich eng verbunden wußte.

Ich streichelte ihn, drückte ihn an mich, in seinen Augen war ein Strahlen, wie es nicht ausdrucksvoller sein konnte.

Allmählich beruhigte er sich, langsam siegte der leere Magen über das Herz, er beschnupperte die Feigen, lag dann kauend in meinem Schoße …

Solche Stunden vergißt man nie.

Die Leute, die dort in den Riesensteinkästen an der breiten Straße des Alltags wohnen, reden so häufig von Stunden der Weihe.

[58] Auch ich habe dort gelebt.

Auch ich habe mir den Blick durch theatralisch aufgezogene Szenen mit Phrasengeklingel trüben lassen und mir eingeredet, das sei … Weihe! Ich habe der feierlichen Eröffnung gewaltiger Bauten moderner Technik beigewohnt, ich habe anderes mitgemacht, das sich aufblähte als Weihestunde …

Hier in dieser grünen Hütte, in der des Herdfeuers unsichere Lichter mit rötlichem Glanz die ergreifende Ärmlichkeit der Behausung zweier Einsamer und zweier Tiere geheimnisvoll beleuchtete, – hier, wo durch Fenster- und Türöffnung die Sterne des ewigen Firmaments hereinfunkelten und Zeugnis ablegten von der Unergründlichkeit des Weltalls und des Weltgeschehens, – hier in diesem Raum, der die opferfreudige selbstlose Hingabe meines Freundes Turst, seine unermüdliche Sorge um meine Genesung und seine schlichte Treue gesehen hatte, – hier gab es weihevolle Stimmung, die durch keinerlei Kulissenkunst und kein hohles Wortgeklingel irgendwie aufgebauscht war.

Natur und Natürliches vereinten sich zu einem stillen Fest, und Vincents knapper Bericht war so nüchtern und frei von Redensarten, daß er mir beinahe kaum genügte.

„Frage nicht viel, Olaf,“ sagte er abwehrend. „Ich habe Gabara stets im Verdacht gehabt, dich bestohlen zu haben. Er ließ dich totwund liegen, damit du stürbest. Du warst ihm im Wege, glaube ich, [59] er hatte es wohl längst bedauert, dir von der Riesenhöhle droben im Norden erzählt zu haben. Ich schlich an sein Lager heran, ich lockte die Wachen weg, ich konnte holen, was dein gewesen – alles! Nicht eine Kleinigkeit fehlt, Olaf … Die Guasasso merkten nichts …“ –

Vincent schlief, Fennek schlief, – ich trat vor die Hütte, ich wollte im Freien die innere Ruhe wiederfinden. Ein kleiner Vorplatz, grasbedeckt, überschattet von den Ästen des Baumes, bildet unseren Balkon, wenn man so sagen darf. Biegt man die Zweige der Büsche auseinander, dann kann man von der Höhe dieses Riesenwürfels nach Norden zu einen Teil der Hochebene und drüben die dunklen Streifen des Hochgebirges erkennen. Die Landschaft war in Mondlicht gebadet, die Tiere der Steppe ließen ihre Stimmen fernher erschallen, und gerade über mir zog ein großes Adlermännchen seine ruhevollen weiten Schleifen.

Meine aufgescheuchten Gedanken klärten sich. Unwillkürlich überprüfte ich Vincents kargen Bericht, und Zweifel stiegen in mir auf, ob alles das, was er so flüchtig angedeutet hatte, den Tatsachen entsprechen könnte. Mancherlei gab mir ein Recht zu diesem Unglauben. War es von Turst wirklich nur Bescheidenheit, dieses Einschleichen in Gabaras Dornendickicht als die einfachste Sache von der Welt hinzustellen?! – Wohl kaum … Irgend etwas Unausgesprochenes wehte über alledem – wie [60] die zarten und doch dichten Schleier von Dingen, die er mir verbarg.

Was aber hatte er zu verbergen?!

Seine Person war einwandfrei. Ich wußte, daß er vor zwei Jahren absichtlich in aller Stille die ehemalige Hauptstadt des Negus Negesti, des Königs der Könige von Äthiopien (die Abessinier nennen ihr Reich in der Hofsprache nur Äthiopien) verlassen hatte. Addis Abeba, als Residenz abgelöst durch das nur sechzig Kilometer entfernte Addis Alam, war Vincents Hauptbetätigungsfeld gewesen. Diese Stadt von rund achtzigtausend Einwohnern mit den Bergterrassen im Hintergrund, mit zahlreichen Gebirgsbächen, täglich stattfindendem Markt, mit einem dauernden Strom von Fremden, Karawanen, Händlern, Autos, – diese Metropole des einzigen christlichen selbständigen Staates in Afrika mochte das Verschwinden einer bei Hofe so angesehenen Persönlichkeit, wie Doktor Turst es zweifellos gewesen, nicht stillschweigend hingenommen haben. Sicherlich hat man nach ihm gesucht, und – er?!

Zwei Jahre hauste er hier in der Einsamkeit, zwei Jahre gab er hin, nur um das Rätsel dieser Affenkönigin zu ergründen. In zwei Jahren war er, was diese seine Absichten betraf, keinen Schritt vorwärtsgekommen. Dreimal hatte er die Hamadryas beim Vollmondtanze beobachtet, – soundso oft war er in Lebensgefahr gewesen, wenn die Wachen der Mantelpaviane ihn bemerkt hatten.

[61] Als ich ihm dann, ein Genesender, meinen eigentümlichen Fund unter der Sitzplatte des steinernen Thrones und die Skulpturen auch der Rücklehne geschildert hatte, war er so betroffen gewesen, daß er mich eine Weile sprachlos angestarrt hatte.

Seine nächste Frage überraschte mich noch mehr.

„Wirklich L.G., Olaf? Waren es diese Buchstaben?!“

„Bestimmt …“

Dann hatte er den Kopf gesenkt und blieb stumm.

Das fiel mir ein, als ich seinen allzu knappen Bericht über sein Eindringen in Gabaras so gut geschütztes Lager kritisch zerlegte.

Dann habe auch ich mich zum Schlafe auf mein Lager gestreckt, – Fennek leckte mir die Hand, ich schlief ein, – zwei Tage drauf lernte ich Vincents Dromedarhaus kennen, wir waren jede Nacht unterwegs, meine Wangen bekamen wieder Farbe, und nun – – nun will Vincent den Heiitsch Gabara ausräuchern.

Ich bin gespannt, wie er das zu tun gedenkt. – Sobald es dunkel wird, werden wir Nashorn spielen, die Reittiere besteigen und auf Umwegen das Dornendickicht der Guasassos aufsuchen.

Ausräuchern?!

Allerdings – es hat sehr lange nicht geregnet. Schon möglich, daß die Dornen brennen …

[62] Aber …

Brennende Dornen geben Feuerschein und Rauch, und drei Meilen weiter lagern noch immer die hundert Wollos und die Hollywood-Leute und das Mädel, das ich aus Übermut küßte.

Wir werden sehen, wie sich die Sache entwickelt. Darin hat Vincent recht: Wir müssen hier Spielraum, freie Hand bekommen.


5. Kapitel.
Gabaras Opfer.

Meine linke Wade, die noch immer einen Verband aus feinem Bast des Celastrus, der auch gegen Wechselfieber hilft, in losen Windungen trägt, hat nachmittags wieder böse geschmerzt.

„Es gibt ander Wetter,“ sagte Turst beim frühzeitigen Abendessen. „Der Wind kommt vom Kenia her, Freund Olaf, und das bedeutet Regen und Gewitter.“

„Ich spür’ es in den Wunden,“ nickte ich.

Um neun brachen wir auf. Fennek wurde im Rucksack verstaut. Durch den Hyänengang muß man halb kriechen. Mitunter nisten sich dort fremde Gäste ein. Deshalb geht Vincent stets mit brennendem Kienspan voraus.

Der Himmel war dunstig, ein hohler Wind strich über die Hochsteppe, der Mond war nur ein [63] verschwommener Fleck. Im Westen wetterleuchtete es, – die abendliche Abkühlung fehlte, es war schwül und heiß.

Am Dromedarhaus entdeckten wir nichts Verdächtiges. Das kahle Plateau mit den düsteren Felsmassen wird nur von einer kleinen Herde Guerezas am Westrand und im Südosten von einer Löwin mit zwei noch sehr tolpatschigen Sprößlingen bewohnt. Wir haben Mutter und Kinder nie beunruhigt. Wir haben hier auch nie Fährten von Menschen gefunden, – im Umkreis einer Meile wächst hier nur Gestrüpp und ein paar Büsche und Bäume. Lediglich nach Norden zu durchfließt ein Bach in tiefem breitem grünen Kanon diese Felswüste. In jener Schlucht mag es mehr vierbeinige Kreaturen geben. Wir waren nur einmal dort.

Die beiden Reittiere wurden gesattelt. Wir trabten nach Osten, bogen nach Süden ab und erreichten die äußerste Zungenspitze der Hochsteppe, Urwald und über Felsen schäumende Quellen. Noch weiter südlich begann ein Sumpfgebiet, in dem Büffel, Flußpferde und Krokodile und Moskitoschwärme hausten. Wir ließen es linker Hand liegen und erreichten eine Anhöhe, die von dem Lager der Wollo-Galla etwa genau so weit entfernt war, wie von Gabaras weit geschützterem Schlupfwinkel. – Wir machten halt. Das Wetterleuchten hatte sich verstärkt, im Westen stand eine drohende schwarze Wand, – es mußte dort ein schlimmes [64] Unwetter herrschen, der Wind fegte in unregelmäßigen Stößen über die Grassteppe, zuweilen war es eiskalt, dann folgte wieder eine Welle heißer Luft, – es war jener gefährliche krasse Wechsel zwischen warm und kalt, der die Abessinier zwingt, diese kritischen Stunden in ihren Hütten zuzubringen.

Mit dem Glase sah ich genau die heute sehr hell brennenden Feuer der Wollo-Galla, im ganzen zehn. Es mußten Holzstöße sein, die man angezündet hatte. – Als ich dies dem Doktor mitteilte, schien er dadurch stark beunruhigt zu werden.

„Beeilen wir uns, Olaf … Die Riesenfeuer müssen doch ihren besonderen Grund haben …“ – und er trieb sein Dromedar an und sauste davon, als ob er mit mir ein Wettrennen veranstalten wollte. Er war ein tadelloser Reiter, er hatte jenen gebückten Sitz im Sattel, wie er den Beduinen eigentümlich ist.

Die Steppe war heute auffallend leer von Wild. Niemals wird es einem Forscher gelingen, dieses seltsame Rätsel zu lösen, das mit dem jähen Verschwinden der Tiere der Wildnis aus bestimmten Gegenden und für bestimmte Zeit zusammenhängt. Während der zwei Monate, die ich mit Sir Forrester den Ostteil Britisch-Ostafrikas durchquert hatte, war uns diese Erscheinung wiederholt aufgestoßen. Am Abend sahen wir die Steppe noch von Gazellenrudeln, Giraffen, Hartebeesten und Nashörnern belebt, – am Morgen war sie leer – [65] wie leer gefegt. – Alte Siedler hatten uns bestätigt, daß weder Witterungseinflüsse noch etwa das Auftauchen mehrerer Löwen oder gar Dürre hieran schuld seien. Alle Steppenkreaturen hängen an ihrem Weidebezirk, – werden sie gejagt, kehren sie meist im Kreise an den Ausgangspunkt zurück. Sie verhalten sich also genau so wie europäisches Wild, wie Rehe, Hirsche, Hasen, – nur die Renntiere meiner schwedischen Heimat machen eine Ausnahme, sie sind ausgesprochenes Zugwild.

Auch mit Vincent hatte ich bereits hierüber gesprochen. Er hatte eine Erklärung gefunden, behauptete er, – und die deckt sich mit der eines berühmten amerikanischen Tierbeobachters und Forschers. Mir erscheint sie zu weit hergeholt, zu wenig durch Tatsachen belegt. Turst meint, daß es doch die Witterung sei, die das Wild verscheuche, Witterung und besonders tiefer Luftdruck, zusammenhängend mit Störungen der Atmosphäre durch Einflüsse der Gestirne.

Mag dem sein wie ihm wolle: Die Hochsteppe war leer! Nur ein paar Hyänen drückten sich scheu beiseite, nur ein einziges Flußpferd wälzte sich in einem Moorloch und machte einen Lärm, den sich nur diese Dickhäuter leisten können, die mit jedem Löwen schnell fertig werden und die nur den Wasserbüffel fürchten, weil er behender ist als sie und ihnen die Hörner in den Wanst jagt.

Tausend Meter vor dem Dornengestrüpp der [66] Guasasso hielten wir an. Unsere Tiere waren ausgepumpt. Wir hatten drei (deutsche) Meilen in vielleicht fünfunddreißig Minuten zurückgelegt.

Turst fragte besorgt nach meiner Wunde. Nun – sie hatte ihren bösen Tag, und ich war froh, mich ins Gras legen zu können. Turst wollte erst einmal allein das Lager beschleichen. Ich wollte ihm Fennek mitgeben, er lehnte jedoch ab und schritt zu Fuß in einer Bodensenkung hastig davon. Nachher lief er sogar, – er war überhaupt eigentümlich erregt und nervös. – Die Tiere lagen im Grase, rupften faul die harten Halme, – Fennek umkreiste uns und suchte nach Mäusen, ich hatte die Büchse entsichert über den Knieen. Mein Abenteuer an der Therme hatte mich gewarnt.

Es passierte nichts. Das ferne Grollen des Unwetters verstummte wieder, der Widerschein der Blitze wurde schwächer, und über mir lichtete sich das dünne Gewölk, plötzlich erschien der Mond, und mit einem Schlage war die Steppe völlig verwandelt … Die milde, geisterhafte Beleuchtung, die ich so sehr liebte, trieb mich auf die Füße, ich hinkte ein paar Meter nach Nordwest zu einem der ungeheuren Ameisenhügel und betastete erst einmal den fast zwei Meter hohen Turm auf seine Festigkeit. Es war ein Termitenhügel, ein Bau aus Lehm, Holzstückchen und Gras, steinhart und … verlassen. – Gerade die großen Termiten mit den bösen Beißzangen und weißumrandeten Glotzaugen [67] pflegen sofort auszuwandern, wenn in ihrer Nähe sich ihre ärgsten Feinde, die Erdwölfe und Ichneumons, zeigen. – Es ist vielfach bestritten worden, daß der Erdwolf, kleiner als der gewöhnliche Wüstenwolf, Termiten frißt. Als ich in Gabaras Nomadenlager weilte, zeigte mir der Heiitsch nicht weniger als acht Termitenbauten, die in nächster Nachbarschaft standen und ebenfalls leer waren. Trifft man zufällig auf wandernde Termitenheere, glaubt man zunächst, daß eine Riesenschlange sich durch das Gras winde. Die Tierchen marschieren eng gedrängt, als Vorhut senden sie einen Bruchteil ihrer Armee voraus, und der Instinkt leitet die Termiten mit unfehlbarer Sicherheit zu neuen geeigneten Wohnplätzen.

Ich kletterte auf den Hügel hinauf. Das Gelände war sehr flach, und ich hoffte von oben, das Dornengestrüpp der Guasasso mit dem Glase zu finden. Als ich kaum oben war, stürzte Fennek wie besessen herbei, keckerte heiser und sträubte das Rückenhaar. Mit einem Satz war ich wieder unten, schlug lang hin, da mein linkes Bein einknickte, und rappelte mich mühsam auf.

Mit dem Hügel da stimmte etwas nicht.

Ich musterte ihn mißtrauisch, umschritt ihn, beobachtete Mukki, – sein Haar blieb gesträubt.

In dem Bau steckte unbedingt irgendein Tier, das mir gefährlich werden konnte.

Was für eins?!

[68] Der Eingang zu dieser Art Termitenhügel ist stets nach Süden gerichtet. Von Süden her wehen hier niemals kalte Stürme. Das Schlupfloch ist dazu recht klein, – Fennek hätte vielleicht hineingelangen können, ein Mensch niemals. Mithin konnte es sich nur um ein kleines Raubtier handeln, etwa einen Schakal, einen Erdwolf oder eine Pharaonsratte (Ichneumon). Aber dieser harmlosen Viecher wegen hätte mein schlauer Fennek niemals so viel Aufhebens gemacht, dazu kannte ich ihn zu gut.

Was steckte also in dem hohlen Lehmbau?!

Ich umschritt ihn nochmals.

Nirgends zeigte die Außenwand Risse, nirgends konnte etwa ein Mensch eingedrungen sein.

Ich nahm einen Ast von einem nahen Strauche, befestigte an der Spitze ein Grasbüschel, setzte ihn mit dem Feuerzeug rasch in Brand und schob diese Fackel ebenso rasch in das Schlupfloch und … wollte zurückspringen.

Es wurde kein Sprung, sondern ein Sturz, – – ich rollte hintenüber ins Gras, – irgend etwas wie eine ungeheure Sprungfeder hatte mich mitten vor die Brust getroffen und mich zurückgeschleudert. Ich verlor fast die Besinnung, – trotzdem war ich geistesgegenwärtig genug, mich noch weiter zu rollen, ich fiel einen sanften Abhang hinab, und das war mein Glück. Kaum wieder auf den Beinen, erblickte ich eine Schlange von phantastischer Größe, die, halb aufgerichtet nach mir Ausschau hielt und dann [69] auf unsere angepflockten Tiere losging … Die Dromedare waren aufgesprungen, stießen jene gräßlichen Töne aus, die manches dieser Geschöpfe als Reittier unmöglich machen … Angst entlockte ihnen das schrille Heulen, Todesangst …

Mein Fennek war verschwunden.

Schießen?!

Nein – das durfte ich nicht.

Ich besaß noch mein nubisches, breites langes Jagdmesser, es war haarscharf, – das Werfen hatte mich Freund Sussik gelehrt, und meines Wurfes war ich sicher.

Das Untier kümmerte sich nicht mehr um mich. Ich lief hinterdrein, – ich schleuderte das Messer nach der dicksten Stelle des Rumpfes, ich traf, das Reptil fuhr herum, biß zischend in den Messergriff hinein …

In dem Moment tauchte ein neuer Gegner auf dem Kampfplatz auf.

Es war mir nie vergönnt gewesen, eine Pharaonsratte eine Schlange anspringen zu sehen, ich hätte auch nie geglaubt, daß ein so kleines Tier es mit einer Riesenschlange aufnehmen würde.

Das Ichneumon schnellte wie ein Pfeil vorwärts, verbiß sich im Nacken des Reptils, und was ein Ichneumon gepackt hat, läßt es nicht wieder los.

Die Schlange wandte sich zum engen Knäuel, mein Messer flog zur Seite, – die Pharaonsratte wand sich noch geschickter, und zwei Hiebe mit dem [70] Messer genügten, das Untier zu lähmen, das Rückgrat war verletzt, nur noch das Kopfende sauste wie toll hin und her, – dann mußte das Ichneumon noch tiefer zugepackt haben, das Genick war zerbissen, die Riesenschlange zuckte noch, und ihr kleiner Gegner flitzte eilends davon.

Riesenschlange?!

Ja!

In den Schulbüchern von anno dazumal wurden wir Jungens dahin belehrt, daß es nur zwei Arten Riesenschlangen gebe, die Boa Konstriktor oder Abgottschlange, in Südamerika heimisch, und die Anakonda, die auch im Wasser lebt, ebendort zu Hause, beide nicht giftig, beide bis zu 8–10 Meter lang, beide mit starken Zähnen und zwei hornartigen Klauen in der Nähe des Afters.

Unsere Schulbücher sind inzwischen hoffentlich ergänzt worden. Es gibt weit mehr Arten Riesenschlangen, so in Indien, an der Westküste Afrikas und in Abessinien. Die wissenschaftlichen Namen dieser Ungetüme weiß ich nicht. Im übrigen finde ich es auch stets lächerlich, wenn in sogenannten „Reiseschilderungen“ und Reiseromanen der Verfasser mit Bezeichnungen (womöglich noch unten mit *) als Randbemerkung) prunkt und den Anschein strengster Gelehrtheit[4] zu erwecken sucht.

Gabara hatte mir von Riesenschlangen erzählt, Vincent desgleichen. Dieser betonte, daß er freilich in Abessinien noch keine einzige lebend zu Gesicht [71] bekommen habe, nur Häute von diesen Untieren seien auf dem Markt in Addis Abeba feilgeboten worden, natürlich zu Phantasiepreisen. Eine solche Haut, tadellos präpariert, hatte er gemessen, sie war elf Meter lang gewesen. Das Untier war in den Schluchten des 4700 Meter hohen Ras Daschan, des höchsten Berges Äthiopiens, von Hirten erschossen worden – eine Seltenheit. Auch er kannte den wissenschaftlichen Namen nicht, zählte sie jedoch der Familie der Tigerschlangen zu.

Dieses Ungeheuer hier maß genau neun Meter vierzig Zentimeter, immerhin ein ganz nettes Würmchen.

Es stank …

Alle Riesenschlangen verbreiten einen widerlichen Geruch, halb nach Aas, halb nach Moschus. In der Gefangenschaft verliert er sich vollständig.

Das Würmchen war tot. Als ich mich nach Fennek umschaute, blinkten in dem Schlupfloch des Termitenhügels zwei blanke Knöpfe …

Herr Mukki hatte sich dort in Sicherheit gebracht und kam nun etwas verlegen näher. – Da die Dromedare unruhig blieben, schleppte ich das Untier mit einem Riemen abseits und betrachtete es mir genauer. Der Grundton der Haut war braungrün, dunkelgelbe Flecke zogen sich bis zum Kopf, der verhältnismäßig klein war, die Bauchseite war schmutzig-gelb.

Ich brach dem Reptil mit dem Büchsenlauf [72] als Hebel das Maul auf. Der Unterkiefer war wie bei den meisten Schlangen nur durch Muskelbänder mit dem Oberkiefer verbunden, und der Rachen klaffte daher so weit, daß ich nun wohl die alte Mär glauben mußte, solch ein Ungetüm könnte ein ganzes Warzenschwein verschlingen.

Vincent tauchte auf, winkte mir zu …

„Sie sind ausgekniffen, Olaf … Das Lager ist leer …“

Dann erst erblickte er meine Beute im Grase.

„Donnerwetter, hast du Glück gehabt?!“

Das war seine Ansicht.

Ich rieb mir die schmerzende Brust …

„Glück – nun ja …!“

„Kolossalen Dusel!“ nickte er. „Solch Vieh kriegt man in zehn Jahren nicht zu sehen! – Schnell, häuten wir es sofort ab … Du hältst den Kopf, ich schneide einen Kreis um den Kopf, und dann wirst du staunen, wie lose die Pelle sitzt!“

Ich staunte allerdings …

„So fix kann ich mich ja nicht mal ausziehen, Vincent!“

„Hm, das hat seine Gründe, mein Sohn. Du wechselst deine Haut auch nicht, oder doch nur unmerklich, aber jede Schlange häutet sich … In der kritischen Zeit, wenn die neue Haut unter der alten Schwarte sich zu bilden beginnt, sitzt diese Oberpelle so lose, daß – – na, du siehst es ja, – eine alte Jungfer kann sich den Gummistrumpf [73] von ihren Krampfaderwaden nicht rascher abstreifen als ich dieses endlose Ende Schlangenhaut … – So, nun rollen wir es zusammen, und dann läßt du dir eine Börse daraus nähen, sie hat den Vorteil, daß du sie fünfzehnmal um den Leib wickeln kannst …“

„Danke, etwas unbequem,“ lehnte ich den Vorschlag ab. „Und – die Guasasso-Schufte, Vincent?“

„Weg – auf und davon, spurlos verduftet.“

„Hm, das glaube ich nicht,“ meinte ich bedenklich. „Wenn Gabara nur nicht etwa auf eigene Faust etwas unternimmt, – er kennt die bewußte Höhle, wir kennen nur einzelne Wegmarken dorthin, die er mir nannte … Er ist geradezu versessen auf die Frau, die dort hausen soll, er vermutet dort Reichtümer zu finden, und … – jedenfalls möchte ich mir den Lagerplatz selbst[5] ansehen, Vincent. Allerhand Achtung vor deinen Waldläufereigenschaften, aber als Fährtensucher bin ich dir doch über! Reiten wir hinüber.“

Die Schlaugenhaut schnallte ich hinten auf den Sattel … Mein Dromedar bockte, biß um sich, – der Gestank war tatsächlich unerträglich. Es blieb mir nichts anderes übrig, ich versteckte die „Pelle“ in dem Termitenhügel, warf noch einen Blick auf den eklen langen Kadaver …

„Die Hyänen werden sich freuen!“

Turst lachte. „Hast du ne Ahnung, eine Hyäne [74] rührt keine tote Schlange an, – aber andere Liebhaber werden sich einfinden, Aasgeier, Raben und Bussarde …“

Wir ritten davon. Fennek steckte wieder im Rucksack. Ich hatte mir vorgenommen, mit den Guasassos seinetwegen ein sehr ernstes Wort zu reden, denn, daß sie mir meinen kleinen treuen Freund derart mißhandelt hatten, sollte ihnen nicht geschenkt werden.

Als die dichte dunkle Masse der Kugeldisteln auftauchte, zügelten wir die Tiere, ich sprang ab, nahm Fennek an die Leine und umschritt das stachelige Lager, immer den Blick auf den Boden gerichtet.

Was Vincent entgangen war, fiel mir sofort auf: Der Boden zeigte die Fährten eines größeren Reitertrupps, ich schätzte auf sechszig bis siebzig, mithin hatte Gabara Verstärkung erhalten, und – jetzt waren mir auch drüben im Lager der Wollos die hellen Feuer klar geworden: Die Wollos und die Hollywooder fürchteten einen Überfall, waren vielleicht sogar schon angegriffen worden, denn Gabara und die Anbeter des Propheten waren ja Todfeinde!

Turst pflichtete mir bei. Wir verfolgten die Spur nach Süden hin, sie lief nur bis zu einem Bache, hier hörte sie auf: Die Guasso waren im Bachbett nach Osten abgebogen, – zweitausend Meter weiter fanden wir die Fährte abermals und jetzt lief sie nordwärts.

[75] Wir jagten weiter – wir kamen den zehn glühenden Pünktchen näher, sie brannten nicht mehr so hell, die Wachtfeuer, – wir merkten bald, daß das Lager der Wollos nicht mehr vorhanden war, – wir fanden kein Zelt, kein lebendes Wesen hinter dem großen Dornenverhau …

In dem niedergetretenen Grase überall verdächtig dunkle Flecken, Blut …

Kein Toter …

Nur eine Menge toter ruppiger Köter, – flüchtende Hyänen, die hier die Hundekadaver bereits übel zugerichtet hatten, – zerbrochene Lanzen, zerrissene Lendentücher, leere Konservenbüchsen, leere Zigarettenschachteln, ein zersplittertes starkes Stativ für eine Filmkamera …

Gabara hatte wieder einmal gründlich Bandit gespielt! Natürlich hatte er die Toten mitgenommen, um sie irgendwo im Sumpf zu versenken …

Turst sagte nur:

„Warte, alter Halunke!! Du sollst mich kennen lernen!“

Ich war, was unser Einspringen für die gefangengenommenen Hollywooder betraf, sehr skeptisch. „Wir sind nur zwei, Vincent …!! Und sicherlich hat dieser widerliche Oberzauberer Homra die Verstärkung herangeführt, – den Kerl möchte ich mir mal von unten ansehen, wenn er an einem Ast in einer Schlinge hängt!“

Turst schüttelte den Kopf und schaute mich [76] merkwürdig an. „Das wird wohl nie geschehen, Olaf … Der Kerl ist zu schlau, und außerdem … – na, davon später …“

„Fennek!!“ rief ich ärgerlich.

Fennek war nämlich aus dem Rucksack herausgesprungen und lief auf ein Aloegebüsch zu …

„Fennek, hierher!!“

Aber Mukki hatte Mucken. Wenn er seine riesigen Fledermausohren nach vorn stellt, wenn er seine Standarte, die unerhört buschig ist, aufrichtet und galoppiert, hilft kein Befehl …

Er schoß in das Gebüsch hinein, er begann zu keckern, ganz hell und überstürzt …

Wir rannten hinterdrein …

Zwischen den Luftwurzeln einer mir unbekannten Riesenstaude lag unter abgebrochenen Zweigen Mary Marlon …

Sie war ohnmächtig, sie war unverletzt, nur die Angst konnte ihr das Bewußtsein geraubt haben.

Vincent fühlte ihr den Puls.

„Hm – – Fieber, Olaf!! Nervenkrise, – schleunigst nach Hause, – – Gabara muß warten, aber vielleicht setzt er sich auch arg in die Nesseln, denn ich bleibe dabei: Die Affenkönigin und die Herrin der großen Höhle ist ein und dieselbe Person … und dann Gnade Gott den Guasassos! Diese Frau hat vielleicht Hunderte von Hamadryas zu Untertanen, und von den Affen etwa im Walde oder in felsigem Gelände angetroffen zu werden, – – [77] da helfen Schußwaffen gar nichts! Du kennst ja ihre Kampfweise …“

Ich nahm Mary Marlon vor mich in den Sattel, Fennek mußte nebenher rennen, – nach einer Stunde waren wir am Dromedarhaus, und dann kehrten wir nicht als Nashorn heim, sondern verzichteten auf die Überschuhe … –

Drei Tage schwebte das Mädel zwischen Leben und Tod. –

Jetzt, wo ich dies niederschreibe, trinkt die arme bleiche kraftlose Patientin gerade die erste „Tasse“ Bouillon … Sie lächelt mich an …

„Wie weit sind Sie, Mr. Olaf?“

„Bis zu Ihrer Kraftbrühe, kleine Mary … Nun mache ich für heute Schluß. Nachher trage ich Sie draußen in die Sonne, und wenn Vincent dann heimkehrt, müssen Sie unbedingt wenigstens etwas rote Wangen haben.“

Aber Turst, der in der Nacht zu einem Erkundungsritt aufgebrochen war, blieb aus. Als die Nacht vergangen war, die zweite also, packte mich die Angst … Ihm mußte etwas zugestoßen sein. Er hatte höchstens vierundzwanzig Stunden lang die nördlichen Berge absuchen wollen.

Wäre Mary nicht noch so elend gewesen, hätte ich keine Sekunde gezögert …

So aber?!

… Eine Frau ist Kette und Klette, sagte Turst zuweilen, wenn er seine galligen Stimmungen hatte.


[78]
6. Kapitel.
Vincent deutet an …

Ketten kann man sprengen, Kletten kann man ebenfalls loswerden, – eine Genesende darf man in dieser Wildnis nicht allein lassen, selbst wenn sie so uneigennützig drängt und mahnt wie diese Mary Marlon, die auf dem rollenden Band stets nur in Sensationsrollen zu sehen sein soll – sagt sie selbst.

„Mary, kleine Mary,“ sagte ich, „Sie haben hier nun bereits zweimal erlebt, daß zwischen Film und Wirklichkeit eine ungeheure Spalte klafft, die Sie nie überbrücken werden. Die Mantelpaviane hatten Sie fast in den Klauen, – bei dem Überfall durch die Guasasso verloren Sie vor Grauen über den blutigen Szenen das Bewußtsein … Würde ich jetzt, wo Sie noch so hinfällig sind, Sie hier allein lassen, käme sehr bald die Angst vor der Einsamkeit über Sie! Ich kenne das, Mary. Auch das Alleinsein will gelernt werden. Stellen Sie sich einmal vor, daß nachts durch den Dornengang Hyänen oder Schakale herbeikämen, – stellen Sie sich vor, ich bliebe tagelang fort und Wasser und Nahrung würden knapp und Sie müßten hinaus in die Steppe – – allein …“

Sie seufzte. „Ich bin Ihnen eine Last, Olaf.“

[79] „Nein, nur ein Hindernis, Mary. Ich stehe zwischen zwei Pflichten. Aber ich bin bei Ihnen, und ich bleibe, bis ich Sie mitnehmen kann.“ –

So war der Tag in leiser Mißstimmung verstrichen. Abends schoß ich eine junge Antilope, holte reichlich Trinkwasser, schleppte einen Rucksack voll Früchte für den Affen Guza, dem Turst die „Ehre ohne h“ ausgeschnitten hatte, und bereitete dann unser Abendessen, hängte das Fleisch in den Kamin, um es leicht anzuräuchern, und ließ mir von Mary kleine Skandalgeschichten aus Hollywood erzählen.

Mary war eine ehrliche Seele. Sie deutete taktvoll an, daß sie bereits so manche Liebesaffäre hinter sich habe …

„Was man so Liebe nennt, Olaf …! Ich bin aus den Südstaaten, und in meinen Adern fließt eine Spur Indianerblut, ich habe Temperament … Aber – – Liebe, – so jene Liebe, die wir filmen und bei der das Seelische immer in den Vordergrund gerückt wird, damit das Happy End nachher um so knalliger wirkt, – – ob es die Liebe wirklich gibt?!“

Mary und ich waren sehr gute Freunde geworden.

Ihr Krankenlager hatte so manches notwendig gemacht, was das Schamgefühl herabgemindert hatte. Sie kokettierte nicht, sie war mir wie eine liebe Schwester.

Sie … mir.

[80] Ich … ihr …?!

Ich wußte nicht recht …

Frauen sind so schwer zu ergründen.

– Fennek lag und schlief. Er hatte sich heute nicht zusammengerollt, sondern das Schnäuzchen flach auf den Boden gelegt und die Riesenohren seitwärts hinuntergeklappt. Dann glich er einem Langohrkaninchen.

Guza saß oben auf seiner Stange, seine Schwanzquaste pendelte hin und her, er kaute Feigen und grunzte vor Wohlbehagen. Das Feuer im Kamin glühte nur und qualmte. Unsere Lampe, eine elende Ölfunzel, stand auf dem einen Tonkrug. Mary ruhte auf ihrem Grasbett, hatte den Kopf aufgestützt und forschte mich nach allem Möglichen aus – so sprunghaft, wie Frauen zu fragen pflegen.

Vincent und ich hatten vor ihr die Höhle und die Affenkönigin nie erwähnt. Heute brachte sie auf weiten Umwegen das Gespräch auf diese geheimnisvolle Frau.

„… Wir haben sie nur das eine Mal gesehen, Olaf … Damals nachts, als Sie … mich küßten, lieber Freund … Was halten Sie von dieser geheimnisvollen Person?“

Ich lehnte mit dem Rücken gegen die geflochtene Laubenwand und rauchte. Ich hatte noch einen kleinen Vorrat Zigarren, und ich rauchte mit … Verstand, wie man zu sagen pflegt.

[81] Ich erwiderte: „Was halten denn die Wollo-Galla von ihr?!“

„Ja, das ist merkwürdig, Olaf … Sie wurden stets stumm, sobald Falferlon das Thema anschnitt. Daß sie etwas wissen, ist sicher, – daß sie aber auch noch eine Riesenangst vor ihr haben, ist noch gewisser.“

Ich schaute in das knisternde Feuer. Von den Fleischstücken tropfte noch das Blut herab und zischte in der Hitze, als ob man ein Zündholz anstreicht.

Mary fügte sinnend hinzu: „Falferlon meint – und er ist vielerfahren –, daß die Frau den sogenannten „Tierblick“ hat … Es gibt Menschen, in deren Augen irgend etwas Bestimmtes liegen muß, das selbst den Löwen scheu zurücktreibt …“

„Löwen sind ungefährlicher als Büffel, Mary, und einem Büffel gegenüber hilft auch der starre bannende Blick nichts. Nein, so kommt man dem Geheimnis nicht näher. Turst glaubt, die Frau müsse sonst irgend etwas an sich haben, das die Hamadryas zu gehorsamen Hündchen macht.“

Eine längere Pause trat ein.

Es war völlig windstill, aber kühl, und von der Steppe her meldeten sich ein paar Löwen.

Das Wild war seit gestern wieder erschienen, und die Löwen jagten wohl gemeinsam Zebras, ihre Leckerbissen.

„Es hört sich schauerlich an,“ sagte Mary [82] leise. „Nein, Olaf, – ich möchte hier nicht allein sein …“

Fennek-Freund hatte plötzlich den Kopf gehoben, seine Ohren richteten sich nach vorn, und er wandte sich halb dem durch ein Fell verschlossenen Eingang zu …

Sein Rückenhaar sträubte sich langsam, er blickte mich an, drehte wieder den Kopf und … zitterte und kroch auf Marys Schoß.

Da erst fiel mir ein, daß ich mich heute einer groben Pflichtversäumnis schuldig gemacht hatte …

Die Leiter war nicht emporgezogen worden!!

Meine Hand griff nach rechts … Als ich die Pistole entsicherte und den kleinen Hebel geräuschlos zurückdrückte, starrte Mary mich groß an, setzte sich aufrecht und tastete nach ihrer eigenen Pistole.

Ich legte den Zeigefinger auf die Lippen und horchte angespannt. Ich hörte nichts.

Der Fellvorhang war mit Riemen befestigt, die grünen Wände so dicht, daß kein Lichtstrahl hindurchdringen konnte.

Ein eigentümliches Gefühl beschlich mich. Ich wußte: Da draußen ist irgend etwas, das Fennek fürchtet, – ich hatte ihn bisher nur vor den Mantelpavianen zittern sehen.

Sollten etwa …?!

Es war unverzeihlich von mir, daß ich die Leiter hatte stehen lassen.

[83] Wenn etwa diese Herde Hamadryas uns überfiele?!

… Ich horchte …

Ich hörte nur Marys hastiges Atmen und das behagliche Schmatzen Guzas. Ich schob mich näher zum Eingang hin und hob unten das Fell empor und blickte hinaus. Der Mond stand noch tief, aber unser Balkon war leer … Dort links ragte die Leiter über den Rand des Felsens …

Und … sie bewegte sich …

Sie wurde behutsam schräger gestellt, das obere Ende ward kürzer …

Im Nu war ich draußen, packte die oberste Sprosse, ein gewaltiger Ruck, unten in der Tiefe ließ der Widerstand nach, und ich zog sie schnell empor.

Ich duckte mich hinter die Büsche … lauschte, und … aus der Tiefe kam ein dumpfes, schmerzliches Stöhnen, dann – – ein heiserer Flüsterton:

„Olaf …!!“

Das war Turst.

„Vincent, bist du allein?“ fragte ich mißtrauisch.

Es blieb unten still, nur das Stöhnen wiederholte sich.

Hinter mir kroch Mary auf allen Vieren näher. „Was bedeutet das, Olaf?!“

Auch Fennek erschien zu meiner Überraschung, – er sog die Luft schnüffelnd ein, er keckerte leise …

[84] „Vincent?!“

„Ich … bin … allein …“

Und nach kurzer Pause …

„… Sie sind weg … Hole mich herauf. Viel ist nicht mehr von mir übrig …“

Ich holte ihn.

Wir waren entsetzt, als wir ihn auf dem Lager vor uns sahen, totenbleich, stoppelbärtig, das Haar verwildert, die Kleider zerfetzt, – über der bloßen Brust einen breiten Verband.

Seine Augen waren unnatürlich groß und leuchteten in Fieberhitze.

Er schaute ins Leere …

„Olaf …!“

Er quälte das Wort so mühsam hervor.

Ich beugte mich über ihn …

„Was wünschest du, alter Freund?“

Sein Blick schien sich zu umfloren …

„Olaf, … falls ich … sterben sollte, – geh nie … in … die Höhle, Olaf, nie …!“

In seiner heiseren Stimme bebte eine ungeheure Angst …

„Olaf – niemals!! Nur das nicht, – – man … verliert … den Verstand, und … außerdem sind dort …“

Ein trockenes Aufhusten – ein Strom schaumigen Blutes floß ihm über das Kinn, seine Züge verfielen …

Mary schrie auf …

[85] „Er stirbt!!“ –

– – Nein, er starb nicht, er war zäh wie ich, wir pflegten ihn gesund, aber … drei Wochen brauchte er, bevor er wenigstens draußen in der Sonne liegen konnte.

Er sprach selten, er war vollkommen verändert, sein Haar war an den Schläfen grau geworden, das Gesicht spitz und voller Falten, und in den Augen hatte er stets einen so geistesabwesenden Ausdruck.

Fragte ich ihn vorsichtig nach seinen Erlebnissen, so schüttelte er ernst den Kopf …

„Später, Olaf … Ich … darf nicht daran denken … Ich bemühe mich immerfort, die Gedanken auszuschalten.“

In seinen wilden Phantasien, im Fieber, in seinen Träumen war er gegen seinen Willen mitteilsamer. Den Namen Lylian Garden flüsterte er und kreischte er in allen Tonarten …

Am Ende der vierten Woche nahm ich ihn zum ersten Male mit durch den Hyänenpfad in die freie Steppe, während Mary Köchin spielte. Ich schritt Arm in Arm mit ihm auf und ab, neben uns trottete Fennek-Freund, – Vincent blieb stehen und blickte nach Norden …

„Dort!“ sagte er und hob die Hand …

„… Dort, Olaf, – gerade über der einzelnen Palme … Der ferne Urwald an dem Abhang … dort!!“

[86] „Die Höhle?“ – mir blieb der Atem weg, denn Turst war wieder kreidebleich geworden.

„Ja – – die Höhle – – und sie, Lylian Garden … oder …“

Da verstummte er.

Ich hatte inzwischen aus Honig und einer Pilzart, die Vincent mir schon früher bezeichnet hatte, eine Art Likör gebraut. Ich gab ihm zu trinken, – er stützte sich schwer auf meinen Arm …

„Ich danke dir … Es ist schon vorüber … Wenn du … ahnen würdest, Olaf!! Es waren für mich die entsetzlichsten Minuten meines Lebens. Auf alles war ich vorbereitet, die Hölle selbst hätte mich nicht derart … erschüttert … Es waren mindestens vierhundert … Und wenn Gabara die … Lebensmittel ausgehen, wird es vielleicht ein fürchterliches Morden geben …“

Ich fragte nichts. Er blickte wieder in die bläuliche Ferne, wo die Gebirgsmassen den Himmel zu stürmen schienen.

„Gehen wir, Olaf …! Ich muß Kräfte zurückgewinnen … Ich muß dorthin – mit dir, – ich kenne nun die Hälfte des Geheimnisses, – zum Glück erst nur die Hälfte, das Ganze hätte mich wohl … umgebracht – – um … den Verstand gebracht …“ –

An diesem Tage kam er auf das bange Thema nicht mehr zurück.

Was halfen mir diese Andeutungen?! Nichts! [87] Sie erregten mich nur, sie feuerten nur meine Phantasie zu kühnen Schlüssen an, die wahrscheinlich Trugschlüsse waren. Ich wußte noch nicht einmal, wer ihn verwundet hatte. Die Wunde war ein Lungenschuß gewesen. Wer hatte ihn verbunden, wer hatte ihn hierher gebracht?!

Lylian Garden und ihre Hamadryas?!

Wer war Lylian Garden?! –

Am nächsten Morgen begab ich mich wieder einmal zu unserem Dromedarhaus, in dem ich zu meinem Erstaunen zwei Tage nach Tursts Heimkehr auch dessen Dromedar vorgefunden hatte. Ich nahm Fennek wie immer mit, und er machte mich darauf aufmerksam – auf seine Art, daß wir ständig beobachtet wurden. Rechts von uns tauchten zuweilen Mantelpaviane auf, – verschwanden, erschienen von neuem, blieben stets mit uns auf einer Höhe.

Ich hatte schon längst geahnt, daß wir bewacht würden. Fennek hatte mich häufig genug abends durch sein Zittern und schleuniges Verkriechen vor die Hütte gescheucht. Nie sah ich etwas, – aber: Lylian Gardens Affenvolk war in der Nähe! – Ich konnte mir unschwer zusammenreimen, weshalb …: Wir sollten die Höhle nicht aufsuchen, wir sollten verhindert werden, etwa in nördlicher Richtung vorzudringen!

Dies brachte mich zu einem Entschluß.

Ich sattelte die drei Dromedare, nahm sie mit [88] bis zum Schluchtrand, und mittags verließen wir die uns lieb gewordene Hütte und wandten uns nach Süden – acht lebende Wesen, drei Dromedare, ein Affe, ein Fennek, ein tapferes Mädel und ein Genesender und ich – nach Süden, quer durch die Hochsteppe.

Links von uns aber wanderte eine zuweilen auftauchende kleine Herde Mantelpaviane, alles kräftige Männchen, – sie blieben immer in weiter Ferne, sie waren da, sie waren nicht abzuschütteln, denn Tursts wegen mußten wir Schritt reiten, ermüdenden, qualvollen Schritt – und mit heimlicher Wut im Herzen über diese Aufpasser, die nicht weichen wollten. –

Ich habe einmal irgendeinen in Alaska spielenden Goldgräberroman gelesen, und darin war der Todeszug dreier Männer und dreier Hundeschlitten in eisiger ewiger Nacht beschrieben, – neben den Schlitten trabten Wölfe, unermüdlich, abwartend, geduldig harrend auf den Tag, wo den Männern die Kraft und die Patronen ausgehen würden …

An diesen Roman dachte ich damals.

Hier war nicht Alaska, hier war tropisches Steppenland, und dicht neben uns wanderten die Kinder der heißen Zone, die Affen …

Unermüdlich. –

Es mag toll klingen, was ich hier niederschreibe.

Es fand nachher alles eine so einfache Erklärung. [89] Aber diese Erklärung dem Hirn abzuringen, das war unmöglich.

Übernatürlich erschien dieser Trupp Spione – – nur Affen, nicht einmal die intelligentesten, nur die bösesten, grimmigsten: Hamadryas! –

Wir rasteten …

Vincent sagte da: „Nachher bindet ihr mich im Sattel fest! Wir müssen die Bestien loswerden, wir werden reiten, daß sie zurückbleiben!“

So wurde es.

Als der Abend kam, als wir bereits die Vorberge im Rücken hatten, waren die Affen längst verschwunden.

Um Mitternacht nach sechs Stunden Schlaf … kehrten wir um.


7. Kapitel.
Der Berg.

… Der Doktor „mit Fett“ hatte stets behauptet, Bücher existierten für ihn nur dann, wenn sie in sein Fach schlügen. Dabei war er aber ein richtiges Konversationslexikon. Hierin glich er entschieden Reginald Forrester, nur daß der gute Reginald seine Gelehrsamkeit stets so trocken wie einen Stockfisch zutage förderte. Vincent war witziger. Sein Witz hatte etwas sehr Gemütlich-Ironisches. [90] Er machte sich über vieles lustig, was anderen hehr und heilig ist.

Man brauchte bei ihm, was zum Beispiel die Geschichte Abessiniens betraf, nur anzutippen, und er warf mit Namen und Jahreszahlen um sich wie ein Jongleur.

„Sie sind ja ein Nachschlagewerk,“ hatte ich einmal zu Anfang unserer Bekanntschaft erklärt.

„Stimmt, – wer mir eins versetzt, erhält die doppelte Portion zurück,“ – wobei er seine Faust ballte, und die war nicht klein.

Ihm verdanke ich vieles, nein, das meiste, was ich hier über Land, Leute und Tierwelt eingeflochten habe und was meiner persönlichen Beobachtung nicht zugänglich war. Nur über die Flora Äthiopiens klaffte bei ihm ein Loch. Wenn er auch jeden Baum und Strauch kannte, insbesondere die, die mit Chemie, Medizin und Technik irgendwie zusammenhingen, – die Namen wußte er nicht, und mit den landesüblichen Bezeichnungen war mir wenig gedient. –

In den vielen Mußestunden auf unserem Felsblock in der Laubhütte hatte ich mir eifrig Notizen gemacht, denn gerade die Geschichte Abessiniens gleicht einem blutigen Abenteuerroman.

Nur diese Geschichte des einzigen christlichen Staatswesens Afrikas lieferte später mit die Erklärung für die Rätsel jener unterirdischen Welt, die sich uns dann gastfrei öffnete. –

[91] Es sind seit meinen letzten Aufzeichnungen wieder Wochen dahingegangen. Das, was ich über Tursts Verwundung und unsere Flucht vor den Affen berichtete, schrieb ich bis zu dem … „kehrten wir um“ in dem provisorischen Nachtlager in der Steppe nieder, während die tapfere Mary und Vincent fest schliefen und sich von mir bewachen ließen – mir und Fennek.

Jetzt schreibe ich vor dem Felsenfenster des Reiches der Herrin der Unterwelt – vor einem der vielen Fenster, die nur Felsspalten sind und sich nach der steilen himmelhohen Schluchtwand öffnen. Sie sind alle sehr hübsch grün umrahmt von bescheidenen hängenden Winden und zarten Disteln, die sich in die Felsritzen eingenistet haben genau wie die zahllosen schwalbenartigen Vögel, die vergnügt im Sonnenlicht dahinschießen und zwitschern und pfeifen und mit zu dem prächtigen Bilde gehören, das ich von hier aus nach Norden zu genieße. In der Ferne schimmern weiße Berghäupter, grüne Hänge, glänzende Striche von Wasserfällen, – etwas näher steigen drei Geiser empor, noch näher wohnt in den Klüften gerade gegenüber das Affenvolk. In der Tiefe der breiten Schlucht fließt träge ein sumpfiger Bach, hoher Urwald engt ihn ein, dort leben die unangenehmeren Herrschaften, zu denen ich Wasserbüffel, Leoparden und Nashörner und eine Kolonie Krokodile rechne.

Gegen meinen Brettertisch und den Sessel ist [92] nichts einzuwenden. Die Tinte und das Papier könnten besser sein. Jede Woche gehen und kehren unsere Läufer zurück, die die Verbindung mit der „Kultur“ aufrecht erhalten. Daher mangelt es nie an Zigarren, Zigaretten, frischer Wäsche, neuen Stiefeln und sonstigen Dingen. Rasierseife ist da, Zahnpaste ist da, ein Grammophon ist da. Es ist jedoch nicht in Ordnung – seit fünf Tagen, und Vincents Bemühungen, die verloren gegangene Feder irgendwie zu ersetzen, dürften zwecklos bleiben, – der Teller dreht sich nicht mehr, und daran bin ich schuld, keiner weiß es, das Gedudel war nicht mehr auszuhalten. Zwanzigmal am Tage den Walzer „Wenn die Liebe stirbt …“ zu hören, verträgt kein Warzenschwein, behaupte ich. Vincent und andere sind untröstlich. Ich nicht.

Fennekchen hat sich jetzt einen neuen Lieblingsplatz erkieset. Er liegt, wenn ich schreibe, auf dem „Fensterbrett“, das heißt auf dem schmalen Felsstreifen, vor den ich aus Stäben ein Gitter angebracht habe, damit Mukkimann nicht eines bösen Tages in die Tiefe rutscht.

Ich bin hier in dieser Nebengrotte allein. Sie ist mein und Fenneks Salon, Schlafgemach und Gelehrtenstube. Das Mobiliar ist dürftig, aber es genügt. Wir sind nicht verwöhnt, wir haben im Grunde von diesem Höhlenhotel schon so etwas die Nase voll …

Nase voll …

[93] Es riecht hier überall nach Affenkäfig. Nicht sehr, aber es riecht …

„Fennek,“ frage ich und sauge an der Zigarre, „Fennek, ich fürchte, wir haben einen großen Fehler begangen …“

Er zwinkert mit den Augen, dann fährt sein Schnäuzchen in den dichten seidigen Pelz des Hinterschenkels …

„Ja, du wirst mit deinen Flöhen leichter fertig,“ nickte ich mißmutig. „Gabara ist kein Floh … Man sollte nie allzu nachsichtig sein. Schwächliche Strafjustiz ist Unfug.“

Seine Augen blickten über meinen Kopf hinweg auf irgend etwas, das hinter mir steht.

Da legen sich auch schon zwei warme duftende Händchen über meine Augen, weiches Haar streichelt meine braune Wange und jemand küßt mich …

Mary.

„… Guten Morgen, du Tintenfisch!“

Ich drehe mich um, die Hände sinken, und ich sehe dort hinten den Wollvorhang des Eingangs zufallen und sehe flüchtig ein anderes Frauengesicht.

Mary Marlon ahnt nichts davon, setzt sich mir auf den Schoß und erweckt Fenneks Eifersucht.

„Kack … Kack Kack … Kack …!“ droht der Kleine vom Fenster her.

„Halt’ den Mund!“ lacht Mary. „Dummer Mukki, – das hier ist nur Freundschaft, merke dir das!“

[94] Sie strahlt mich an …

„Du – nicht wahr, Olaf, – nur Freundschaft!“

„Selbstredend!“

Von mir aus – bestimmt!

Mary streicht mir den Scheitel glatt.

„Lylian ist wieder düster wie die Königin der Nacht, Olaf … Kennst du die Zauberflöte … Papageno, Papagena … entzückend …“

„Besser als ein Grammophon, ohne Frage …“

„Wollen wir ausreiten, Olaf?“

Das ist ein kitzlicher Vorschlag.

„Hm – heute nicht, Kind …“

„Nenne mich nicht immer Kind, du Eiszapfen!! – Weshalb nicht reiten?“

„Hm – gestern abend, Mary, – gestern abend fand ich drunten auf dem Plateau frische Fährten. Ich habe bereits gestern mit Lylian darüber gesprochen … Sie hat Wachen aufgestellt[6] …“

„Lylian ist ein Angsthase!“ erklärte sie gereizt. „Du – ich dulde im übrigen keine Götter neben mir! Ich teile mit niemandem …“

Ihr hübsches Gesicht flammt vor Erregung.

„Du steckst viel zu viel mit Lylian zusammen. Und … und …“

„Bitte – nicht heulen, Kind!! Die Tränen sitzen dir jetzt immer allzu locker, du bist nervös …“

„Ein Wunder!!“

Sie springt auf und reckt sich …

[95] „Ein Wunder!! – Du bist ein lieber Tor, Olaf …!!

… und sie rennt davon … –

Schlimme Sache, das alles. Hier sind sechs Gentlemen und zwei Frauen … Ausgerechnet verteilen die Ladys ihre Gefühle etwas einseitig. Ich habe meinerseits nichts dazu beigetragen, ich wäre froh, wenn es anders wäre …

Das heißt … nicht so ganz anders.

Seufzend greife ich zur Füllfeder und betrachte sinnend die Dekoration auf der rechten Tischecke: Ein Nashornschädel, die Oberseite mit den Hörnern schräg abgesägt. Mitten im Schädel klafft ein Loch – mein Werk, Dum-Dum-Geschoß. Unter dem Loch ist ein Tonnapf angebracht, und Lylian füllt diese seltsame Vase jeden Tag mit Blumen. Dieser Blumen wegen habe ich mit Mary arge Zusammenstöße gehabt. Aber ich kann sehr hart bleiben, härter wie ein Nashorn-Horn, das ja doch nur aus verfilzten, wenn auch als Ganzes gefährlichen Borsten besteht. Ein richtiges „Horn“ ist es nicht.

… Lenken wir uns ab … Schreiben wir.

Ketten, Kletten …

Verdammt noch mal, ich habe doch bereits genug Lehrgeld bezahlt!!

Also – – die Flucht vor den Hamadryas war geglückt. Um Mitternacht brachen wir auf, Vincent fühlte sich recht frisch, die beste Kur bleibt [96] stets Wechsel der Umgebung, frische Luft, etwas körperliche Anstrengung.

Wir ritten jenem Urwald zu, in dem mich das Krokodil schnappte und Gabara mich für tot liegen ließ, bestahl und Fennek mitnahm und ihn halbtot prügelte.

Die Steppe war belebt, die Nacht hell und windstill, – wir holten die Schlangenhaut aus dem Termitenhügel, ihr Geruch hatte sich verloren, sie duftete nach Ameisen, und „mein Kamel von Dromedar“ zeigte keinerlei Bockbeinigkeit mehr.

Hartebeeste gingen flüchtig ab, Giraffen beäugten uns neugierig, einmal flitzte ein Leopard in eine Felsgruppe, Löwen hörten wir nur.

Der Morgen zog herauf, als wir jenen Felsenkeil und die dampfende Therme erreichten. Vincent badete, – Mary und ich kochten Tee, – dann badete Mary, zum Schluß ich. Am Rande des Urwaldes saßen wir und frühstückten: Bananen, Feigen, Fleisch und Hirsekuchen, in der Asche gebraten.

„Vincent, es wäre Zeit, daß du endlich einmal alles berichtetest …“ meinte ich mahnend. „Was ist es mit der Höhle?“

Das Bad hatte ihm gut getan. Seine Wangen hatten Farbe, die Augen Feuer, und der Appetit war verblüffend.

„Soll ich euch die Überraschung verderben?!“ erwiderte er. „Sollt ihr es besser haben als ich?! [97] Ihr werdet sehen …“ Sein Blick wurde wieder so seltsam leer, nach innen gerichtet. „Jedenfalls ist Gabara mit seinen Banditen auf einer großen Felsenkanzel eingeschlossen, abgeriegelt, und die Kanzel hängt über einem Abgrund, ringsum erheben sich Steilwände mit kleinen Höhlen, in denen Mantelpaviane, Mandrills, Drills, Makaks und ähnliche Geister hausen … Gabara kann nicht vor-, nicht rückwärts … Besser: Er konnte nicht, denn ob er noch dort ist, bezweifle ich, es sind Wochen seitdem verstrichen, und selbst wenn die Guasassos ihre Dromedare schlachten, – so lange wird Lylian Garden kaum die Belagerung ausgedehnt haben … Einer der Schufte schoß nach mir, – Lylians Vierfüßer trugen mich weg, ich kam nur für Minuten zum Bewußtsein, ich war in der Höhle, und ich sah alles … Dann brachten sie mich zu euch …“ Seine Stimme klang belegt, sein Gesicht war farblos …

„Trinke und schweige!“ meinte ich ängstlich.

Der Honigschnaps ist verteufelt scharf. –

Wir mußten hier im Gebüsch bleiben, bis die Nacht kam. Wir durften uns nur abends weiterwagen.

Turst schlief, Fennek wachte bei ihm, und Mary und ich und Guza, dem ein wenig Bewegung nottat, streiften in der Nähe im Walde umher, bald hier, bald dort, bewunderten die köstlich bunten Schmarotzergirlanden, bewunderten die Nester von [98] Raubvögeln drüben auf den Felsnadeln und suchten Früchte. – Es war ein wunderbarer Tag, es war so viel zarte, intime und doch kraftvolle Stimmung in diesem Landschaftsbilde, daß diese Stimmung sich auf uns übertrug und uns heiter und ausgelassen machte. – Mary war ein Teufelchen. Urplötzlich kam bei ihr das „Weibchen“ zum Durchbruch, ihr kokettes, raffiniertes Spiel streifte – immer graziös bleibend – die Grenze des Erlaubten … Es gab Minuten, in denen mir recht schwül zumute ward.

Sie lag im Grase vor mir und neckte mich. Guza hatten wir abseits angekettet, er turnte fidel auf einem Steinhaufen umher …

Armer Guza mit dem zu tief gerutschten Pelzkragen!!

Gerade als Marys Augen sich förmlich in den meinen festfraßen und sie mir das lockende: „Du … du Eiszapfen, du!“ zuraunte, – gerade als ich ihre Lippen süß und weich fand wie das zarte Fleisch einer reifen Banane, – gerade da hatte der Leopard, der wohl droben flach auf einem Baumast liegend gelauert hatte, den frechen Sprung gewagt.

Der jämmerliche Todesschrei Guzas riß uns empor … Der Leopard suchte mit seiner Beute im Maul in das Dickicht zu flüchten, aber die Kette spannte sich und mein Jagdmesser fuhr der Bestie zwischen die Rippen, – Mary war mit vier Sätzen [99] neben dem geduckt zusammengekauerten Raubtier und schlug mit einem dicken Baumast zu …

Tapfere Mary! – Mochte diese Kühnheit wohl auch mehr einer etwas selbstsüchtigen Quelle entspringen – dem Ärger über die gestörte Schäferszene! – –, Mary bewies hier, daß sie nicht nur in sorgfältig vorbereiteten Sensationsstücken vor dem Aufnahmeapparat Wildwestmädel war!

Sie schlug nochmals zu, traf die Nase der verwundeten gefleckten Katze, die die Beute fallen ließ und nur noch zu mattem Sprunge ansetzte. Mary wich aus, die Bestie fiel mir vor die Füße, und ein großer Stein entschied den Kampf.

Armer Guza!

Vincent war sehr traurig. Der Affe war sein einziger Gefährte fast zwei volle Jahre gewesen.

Wir begruben Guza in allen Ehren, der Leopard mußte sein Fell hergeben, und die Schäferstunde … kam nie wieder.

Mary schämte sich.

Als die Nacht die fernen Berge in düstere Schleier hüllte, als die ersten Sterne aufblinkten und es Zeit zum Aufbruch wurde, fanden wir Fennek neben dem Steinhügel Guzas sitzen – mit hängenden Ohren, mit trübem Blick. Im Leben hatten sie sich nicht sehr geliebt, und doch hatten sie sich aneinander gewöhnt. Ihre Kameradschaft zeigte sich jetzt in Fenneks schlichter Trauer um den gutmütigen, etwas dummen Guza.

[100] Die Guerezas sind in der Tat weichliche, weibische Tiere. Der Hamadryas kann einem Menschen hart zusetzen, ein Guereza bleibt immer so, wie ihn sein weißer Pelzkragen schon äußerlich erscheinen läßt: Ein Affe ohne die Wildheit der Mantelpaviane, ein verzärteltes Geschöpf.

Vincent ritt voran. Er war hier der Ortskundige, er kannte jede Schlucht, jedes Plateau, er hatte all diese Vorberge, Hochsteppen und Täler und Urwaldstreifen und Sümpfe geduldig durchsucht … Und doch hatte ihn vor Wochen nur ein Zufall die sagenhafte Höhle finden lassen.

Es war kein Vergnügungsritt, es war ein Klettern und Stolpern und Horchen und Emporäugen, eine dauernde Nervenanspannung, ein dauerndes Rechnen mit ungeahnten Zwischenfällen.

Vincent Turst trank mehr Honigschnaps, als ich ihm bewilligt hatte. Er wollte nicht schlapp werden, wir mußten vor Sonnenaufgang den Punkt erreichen, den er jenseits der Höhle als Tagesversteck für uns ausersehen hatte.

Wir wateten in gurgelnden Bächen entlang, wir führten die Tiere Steilhänge empor, wir verbanden ihnen die Augen, wenn wir schmale Grate über finsteren Abgründen entlangtasteten. Wir mußten einen weiten Bogen nach Norden machen, von Norden her nur konnten wir dem Ziel uns nähern, im Süden, Osten, Westen hatte Lylian Garden überall ihre Wachen postiert.

[101] Das Glück war uns hold. Noch während der Dunkelheit gelangten wir auf ein kleineres Plateau, das mit seinen zahllosen Felsblöcken, die seltsamerweise fast alle spitzen, hohen, tief eingekerbten Kegeln glichen, mehr einem versteinerten Tannenforst ähnlich sah …

„Am Ziel!“ sagte Vincent matt, den offenbar nur noch seine eiserne Energie im Sattel hielt. „Hier sind wir sicher, hier können wir sogar getrost ein Feuer anzünden, denn es gibt hier zwei Geiser, denen andauernd dichter Dampf entsteigt. Lagern wir in einer Richtung mit einem der Geiser nach Süden zu, so verdeckt der Dampf den Rauch und auch den Feuerschein.“

Wir fanden eine passende Stelle. Es wuchsen dort sogar Büsche, Dornen, – es gab kleine Grasflächen in diesem Felsnadellabyrinth.

Wir und die Tiere waren fertig, abgekämpft. Mary taumelte auf ihre Decke, Vincent hatte sich sofort niedergelegt und die Augen geschlossen. Mir blieb die notwendige Arbeit, ich hatte noch die stählernen Muskeln, ich band die Tiere an ihre Weidestricke fest, ich nahm Fennek und suchte das Plateau ab, fand nichts Verdächtiges, brachte Holz mit, brannte ein Feuer an und kochte Tee und röstete das angeräucherte Fleisch. Vincent und Mary waren zu erschöpft zum Schlafen, sie wollten nichts essen, sie mußten, und sie lebten wieder auf, Mary befühlte ihre Glieder, lächelte …

[102] „… Ich möchte wissen, welche Stelle nicht wehtut!“

Doktor Turst nickte. „Und ich möchte wissen, wo Gabara steckt … Sobald es hell geworden ist, Olaf, wirst du die seltsamste Gebirgslandschaft dir anschauen können, die es hier in Abessinien geben dürfte. – Hörst du das dumpfe Brausen? Man könnte denken, es wäre der Wind, aber – es ist ein Wasserfall, ohne Namen, und doch das herrlichste Spiel der Natur, das ich je anstaunen durfte.“

Fennekchen lag zwischen meinen Beinen. Er war munter, zu munter. Er hatte die Hälfte der Nacht im Rucksack verschlafen, er schnappte spielend nach meinen Händen, er trieb allerlei Unfug. Seine dem Hunde verwandte Natur verleugnete sich nie. Würde man einem Fennek die Ohren stutzen, hätte man einen gelblichen Seidenspitz, so schön im Fell, wie „echte“ Spitze nie sein könnten.

Turst lauschte dem fernen gleichmäßigen Brausen. Sein Gesicht wurde wieder so eigentümlich verstört, sein Blick geistesabwesend und scheu vor stillem Grauen.

„Es sind fünf Terrassen, Olaf, über die der Fluß in die Tiefe stürzt,“ sagte er leise. „Diese Terrassen begrenzen den Berg nach Osten zu … Er muß hohl sein, vollkommen hohl wie ein ungeheurer Bienenkorb, – auf seiner Spitze wachsen ein paar Palmen und Sykomoren … Nach Westen [103] zu gibt es ebenfalls eine Schlucht … Kein Mensch käme dort hinunter … Und dieser Abgrund zieht sich auch im Bogen nach Norden und vereint sich mit dem steilen Tal der stürzenden Wasser. Der Berg ist eben von allen Seiten isoliert, ist ein Kastell mit Gräben ringsum, ist eine Burg, die nur den Affen zugänglich ist … und den Menschen, denen Lylian Garden den Zutritt gestattet … – Ob es alles Affen sind, ich … bezweifele es …“ fügte er sichtlich voller Widerstreben hinzu. „Ich kann es mir nicht recht denken … Ein Mantelpavian läßt sich nicht so weit zähmen. Sie bleiben heimtückisch, reizbar und bissig wie tolle Hunde.“ –

Es war vier Uhr. Im Osten zeigte sich der helle Streifen des heranziehenden Tages. Neben mir stand Mary, hinter mir saß Fennek. Vincent war im Lager geblieben. Wir standen zwischen den Felsen am Südrand des Plateaus. Noch kämpfte die Nacht gegen das Licht, noch lag vor uns die Gebirgslandschaft im Dunkel, zeigte nur unklare Umrisse, verschwommene Konturen …

Aber … aus dieser ungewissen Dämmerung hervor glühten flimmernde Pünktchen, verschwanden, flackerten heller … Ich nahm das Glas und richtete es dorthin und … sah …

Gabara und die Seinen steckten noch immer in der Falle. Ich sah diese mächtige Felszunge rechts über dem Abgrund, ich sah die Brustwehr aus [104] Steinen, einige Büsche, ein paar dürre Bäume, Zelte, Köpfe von Tieren, ruhelose menschliche Gestalten.

Es wurde heller, und Mary und ich und Freund Fennek duckten uns ins Geröll.

Die Konturen des Bildes vor uns wurden schärfer, – trotzdem hatte das Ganze etwas seltsam Unwirkliches an sich in dieser gespenstischen Beleuchtung des Dämmerlichtes kurz vor Sonnenaufgang. – Die Felsnase war wie ein spitz zulaufender Balkon, bildete ein Dreieck, dessen Grundlinie aus einem Wall von Felstrümmern bestand. Nur ein Felsrutsch rechts von dem himmelhohen Abhang konnte diese Sperre hervorgerufen haben. Ich bemerkte auch die Stelle, wo die Rinne der Steinlawine das dunkle Granitgefüge eingekerbt hatte. Der Wall war sehr hoch, und er war gleichsam lebendig. Oben zwischen den Blöcken glitten Affen hin und her – blitzschnell … Es waren die Belagerer, und Gabara war hier seit Wochen der Belagerte.

Wir sahen noch mehr …

Über die Steinbrüstung glitt eine große, an Riemen befestigte Kalabasse und pendelte abwärts bis zu einer Quelle, die aus der Ostwand des Abgrundes in dickem Strahl hervorschoß.

So holten Gabaras Krieger das Wasser empor …

Ein Steinhagel prasselte plötzlich, von unsichtbaren Händen geschleudert, die Felsenkanzel hernieder, Steine, die der Kalabasse galten …

[105] Das Poltern und Krachen des Felsregens weckte das Echo in den Schluchten, hallte zurück, wurde zu höhnischem Gegeifer rauher Stimmen.

Mary sagte leise:

„Wovon leben sie?!“ Ihre Stimme war erfüllt von Entsetzen. „Wovon leben die Kamele, Olaf?!“

„Von Blättern, Rinden, Baumwurzeln …“

Schüsse knallten … Gabaras Krieger versuchten heute wohl nicht zum erstenmal, den Wall zu stürmen.

Droben lauerten nicht nur die Affen.

Schüsse auch als Antwort …

Und plötzlich alles wieder still.

Das gefüllte Gefäß schwebte empor, – – ein neuer Steinhagel …

Arme reckten sich über die Brustwehr, hoben es hoch, brachten es in Sicherheit.

„Ich habe stets vermutet, daß die Wollo-Galla Lylian Garden sehr gut kennen,“ meinte Mary. „Soeben sah ich drüben den Kopf eines Wollo …“

Ich blieb stumm.

Ich betrachtete den Berg mit der grünen Kuppe, den hohlen Bienenkorb, die Festung mit den Abgründen ringsum und mit den wunderbaren Wasserfällen, die drüben links über die Terrassen glitten wie weiße schillernde Seide, die unermüdlich abrollt …

[106] Vincent, der Doktor „mit Fett“, hatte nicht zu viel gesagt: Dieses Bergpanorama war einzig in seiner Art!


8. Kapitel.
Die Herrin des Berges.

Dann tauchte die Sonne empor, der Dunst des fernen Steppenrandes verschwand, und mit einem Schlage war das Bild klar und scharf wie eine vorzügliche farbige Photographie.

Die Einzelheiten, die der staunende gierige Blick aufsog, bedrückten die Seele.

In den Schlünden rings um den Berg lauerten finstere Dschungel, blinkten trübe Sümpfe, kroch Getier umher, lagen faule Baumriesen, überwuchert von den bunten grünen zähen Blutsaugern, den Aaspflanzen. Tiefgrüne Moospolster machten Felsen und Steine zu welligen Teppichen, – ein Nashorn trat aus einem Dickicht hervor und wanderte gemächlich gen Süden, wo diese Festungsgräben vielleicht einen Ausgang hatten. Ich wußte es nicht, die Südseite des Berges war mir fremd.

Fennek, an mich geschmiegt, zitterte leicht, seine Ohren lagen nach hinten. Er hatte Furcht. – Der Morgenwind strich von Osten herüber, und in den Granitwänden dort mit den Vorsprüngen und Löchern und grünen Flecken auf schmalen Terrassen [107] flitzten Paviane hin und her, – nicht dutzendweise – nein, die Steilwände waren wie Felsstücke, auf denen Ameisen eilfertig umherrennen.

Die Horden der Hamadryas zogen zur Tränke, zogen droben in den Urwald, verteilten sich. Die Sonne hatte sie geweckt, und das Volk der Königin Lylian Garden suchte seine Nahrung – ohne Arbeit, ohne Mühe.

Ich richtete das Glas erneut auf den Felsbalkon. Da die Köpfe der hinter aufgeschichteten Steinen ruhenden Dromedare bequem zu zählen waren, suchte ich die Zahl der noch lebenden Tiere festzustellen: Achtzehn!

Ob Gabara das Kamelfleisch sehr geschmeckt hatte, bezweifelte ich.

Von den Kriegern war nichts mehr zu sehen. Das helle Licht hatte sie in ihre Notverstecke gescheucht, – der Geröllwall war keine dreihundert Meter entfernt, und die Wollo-Galla dort mochten schon so manchen unvorsichtigen Guasasso mit einer Kugel weggeputzt haben.

Mary bat um das Glas. – Sie war mir gegenüber noch etwas befangen. Das gestörte Schäferstündchen und Guzas Tod waren noch nicht vergessen.

Freund Fennek, der die Paviane witterte, hatte nun doch wohl eingesehen, daß ihm von den Mähnenaffen keine Gefahr drohe und hatte sich zusammengerollt, blinzelte in die Sonne und keckerte behaglich. – [108] Als wir nachher unseren Lagerplatz aufsuchten, mußten wir stellenweise kriechen, um nicht bemerkt zu werden.

Damals ahnte ich nicht, daß der Berg vor uns gerade nach Norden die meisten Fensteröffnungen besaß. Ich sah nur die Kletterpflanzen und kleine Büsche am Rande harmlos erscheinender Spalten. Daß ich einst hinter einer dieser Spalten meinen Tisch aufbauen würde, ahnte ich erst recht nicht.

Vincent schlief noch. Wir schritten durch die Felsgassen bis zum dampfenden Geiser, der sein heißes Wasser ununterbrochen zwei Meter hoch warf. Rund um das Strahlloch hatten sich Salze in dicker Kruste abgesetzt, auch der Abfluß war zunächst mit Salzborten eingefaßt.

Wir badeten nacheinander in einer flachen Felsenschüssel, – Mary brauchte nicht zu fürchten, daß ich sie etwa heimlich beobachten würde, – ich hatte wirklich an ernstere Dinge zu denken. Gabaras verzweifelte Lage war mir eine sehr eindringliche Warnung. Was uns bevorstand, wenn wir hier entdeckt werden sollten, mochte ich mir gar nicht ausmalen. –

Die Sonne stieg, die Hitze nahm zu, – wir hatten uns im Schatten niedergelegt, und unser Doktor suchte mir die Südseite des Berges möglichst genau zu beschreiben. Nach dem Mittagessen machte ich Fennek am Riemen fest, band ihn an einen Stein, verabschiedete mich von den Gefährten und [109] wollte zusehen, ob ich nicht mit eigenen Augen den Höhleneingang durch vorsichtiges Anschleichen erspähen könnte.

Ich durchquerte unseren versteinerten Tannenwald nach Osten zu, erreichte einen Urwaldstreifen, hinter dem in scharf abgegrenztem Bett der Fluß dahinschoß, der nachher die wundervollen Wasserfälle bildete, und wenn nicht einer der Riesenstämme am Ufer so höflich gewesen wäre, bei irgendeinem der letzten Gewitterstürme über den Fluß zu fallen und so eine durchaus zuverlässige Brücke herzustellen, hätte ich wohl stundenlang dem Flußufer folgen müssen, bis ich irgendwo, irgendwie ohne Lebensgefahr hinübergelangt wäre, denn die Strömung war selbst für den kräftigsten Schwimmer ein unüberwindliches Hindernis.

Ich betrat den Stamm. Es war ein Baum mit fast hellgelber glatter Rinde, ähnlich der einer Birke, – seine fast mannsdicken Äste waren im Sturz im Wasser abgebrochen und stützten den Riesen, unter dem der Fluß klar und eilig dahinrann, als könnte er es nicht erwarten, dort südwärts die Terrassen mit feinem blanken Gespinst zu überziehen.

Die anderen Äste, die nach den Seiten und oben gerichteten, lebten noch, trugen dichten Schmuck schmaler, fahler, lederartiger Blätter, die fast sämtlich große Knollen zeigten. Als ich eine dieser Halbkugeln, die rot gesprenkelt waren, zerdrückte, kroch ein roter Wurm hervor, der, wie ich später hörte, [110] den Wollo-Galla zum Färben ihrer Gewänder dient. Der rote Farbstoff ist so waschecht (es ist nicht etwa Blut), daß ein Fleck davon auf der Haut tagelang jeder Seife spottet.

Der kurze Aufenthalt zwischen den Ästen, die hier das Brückengeländer vertraten, hatte Folgen, die man wirklich nicht als „zufälliges Ineinandergreifen von Umständen“ bezeichnen konnte. Ich hatte dem roten Wurm nur vielleicht zwei, drei Minuten gewidmet. Wäre ich nicht stehen geblieben, hätte ich die Blattknolle nicht zerdrückt, würde ich drüben am Ostufer zu früh angelangt sein, aller Wahrscheinlichkeit nach hätte mich die Jägerin bemerkt, und – – der Nashornschädel würde jetzt nicht meinen Schreibtisch zieren.

Am Ostufer gab es noch ein paar Bäume und Büsche, dann senkte sich das Gelände zu einer flachen, aber von Regenrinnen zerfurchten Hochsteppe mit sehr dichtem, brusthohem Grase.

Die Jägerin war bereits nach Norden zu an dem Platze vorübergeschritten, wo ich zwischen den Büschen hervortrat. Sie wandte mir den Rücken zu, dennoch sah ich ihr scharfes Profil, sah das blonde Haar unter dem breiten Basthut, sah die überschlanke Gestalt mit der stolzen, entschlossenen Kopfhaltung …

Es war die Affenkönigin, es war die Frau von dem Paviantanzplatz.

Sie war kaum sieben Meter vor mir, sie hätte [111] den Kopf nur noch mehr nach links zu wenden brauchen, und ich wäre ihrem mißtrauisch spähenden Blick kaum entgangen …

Sie trug heute nicht die losen Gewänder wie damals nachts, sie hatte einen Sportanzug aus grünem Leinen an, dazu braune Ledergamaschen mit Schnallen, braune derbe Stiefel, – um die Hüfte schmiegte sich ein breiter Gurt, im rechten Arm hing schußfertig eine kurze Büchse, die ich schon am Kolben als System Sniders erkannte, die Linke war leicht in die Seite gestemmt, – ihr Schritt war lautlos und federnd, sie ging dicht am Rande des Grases dahin, sie mußte unbedingt etwas Verdächtiges bemerkt haben, denn jetzt machte sie halt, beugte sich vor und suchte ein Dornengestrüpp, das eine Aloestaude fast zu Boden gepreßt hatte, mit den Blicken zu durchdringen.

Meine erste Empfindung, als ich sie erkannte, war die des Schrecks, – das gebe ich ehrlich zu.

Schreck deswegen, weil ich mir nicht denken konnte, daß sie hier ohne ihre Leibgarde weilte, ohne ihre Affenarmee …

Hätte sie die Hamadryas bei sich gehabt, würde ich schleunigst über die Baumbrücke geflüchtet sein und hätte jeden Pavian niedergeknallt, der den Fluß zu überqueren suchte.

Es war nicht einer bei ihr, sie war allein, – sie konnte auch nichts von unserer Anwesenheit auf dem Plateau ahnen, sie war nur auf ihre Sicherheit [112] vor vierbeinigen Räubern bedacht, – sie – – beging trotzdem grobe Fehler als Jägerin, denn minutenlang in ein Dornendickicht hineinzustarren, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzudrehen und nach rückwärts zu sichern, – das war Leichtsinn, zumal durch das dichte Gras kreuz und quer breite Wildpfade liefen, die so festgetreten waren, als ob eine Walze darüber hinweggerollt wäre.

Ich kannte diese Pfade. Nur Nashorn und Büffel oder Flußpferd bahnen sich solche Gassen, – Antilopen, Zebras und Gazellen betreten sie niemals, sondern meiden sie ängstlich und halten sich nur an solchen Stellen auf, die ihnen das Gras in unberührter Höhe zeigt.

Es konnte hier nur Nashörner und Büffel geben, – das Flußpferd zieht sumpfige Niederungen vor. Der Löwe und Leopard bleibt bei Tage ebenfalls in seinen Schlupfwinkeln, und daß meine Vermutung zutraf, bewiesen die nächsten Augenblicke.

Aus einem der Pfade erschien lautlos ein Nashornbulle, beäugte die Jägerin tückisch und schüttelte wütend den häßlichen Kopf, um die ihn umschwirrenden Fliegen zu verjagen.

Da auf seinem Rücken und Genick nicht ein einziger Madenhacker saß (diese Vögel sind des Nashorns beste Warner), konnte ich nur annehmen, daß der Bulle kurz vorher angeschweißt worden war. Als er noch drei Schritte vorwärts tat, sah ich auch, [113] daß ihm das Blut stoßweise aus der Flanke hervorschoß.

Das weitere spielte sich so rasch ab, daß ich nachher kaum recht wußte, was eigentlich geschehen war.

Der Bulle setzte sich in Bewegung, – mein schriller Ruf ließ die Frau herumfahren, sie legte blitzschnell an, drückte ab …

Ihre Büchse versagte: Ladehemmung, wie wir später sahen!

Dann sprang sie zur Seite, aber auch das graue Untier warf sich herum …

Ich raste ihr zu Hilfe … Vielleicht habe ich nie wieder solche Sätze getan …

Nie wieder habe ich einem Nashorn auf die Weise sein Opfer entzogen …

Im wahren Sinne des Wortes: Entzogen!

Ich packte die Frau beim Kragen, schleuderte sie zur Seite, – der Bulle war nur noch zwei Meter entfernt, – von Anlegen, Zielen keine Rede mehr … Ich hielt ihm die Büchse entgegen, als seine Stirn dicht an der Mündung war, drückte ich ab, – – wurde von dem Rückstoß des Kolbens vor den Bauch getroffen und flog in die Dornen … Der Atem blieb mir weg, ich hörte alle Chöre der Engel im Himmel singen, mein Bauch schien ein glühender Ball zu sein, – ich rappelte mich dennoch auf, zerkratzt, zerschunden, zusammengekrümmt vor Schmerzen … Wie durch Nebel sah ich das Nashorn [114] still auf der Seite liegen, es zuckte noch mit den plumpen Füßen, sein Maul schloß sich im letzten Krampf mit einem scheußlichen hohlen Krach.

Es war tot.

Ich bot damals wahrlich keinen Anblick dar, der ein Weib begeistern könnte.

Wenn die von Bandwürmern geplagten Wollo eine gehörige Portion Fusso geschluckt haben, mag ihnen ähnlich zumute sein …

Lylian Garden stand vor mir. Sie war bleich. Sie hatte eine messerscharfe leicht gekrümmte Nase, sie hatte etwas dünne Lippen und klare blaugraue Augen. In ihren Zügen lag ein Ausdruck von Melancholie, – jetzt von Mitleid …

„Sind Sie verletzt, Mr. Abelsen?“

Sie kannte meinen Namen?! Woher?!

„Nein,“ quälte ich hervor … „Nur … der Büchsenkolben traf mich … Es wird schon besser.“

„Legen Sie sich nieder!“ Ihre Stimme befahl. „Tun Sie es!!“

Meine Augen stierten an ihr vorbei …

Zwischen Buschrand und Steppe kamen dreißig, vierzig Hamadryas herbeigeeilt, in kurzen Sprüngen, dumpfe Kehllaute ausstoßend …

„Die … Affen!!“ rief ich … und mit einem Male waren die Schmerzen vergessen, ich riß die Pistolen heraus.

Lylian Garden wandte den Kopf. Ich hörte einen kurzen Zuruf in einer mir fremden Sprache.

[115] Die Paviane, alles prächtige Männchen, verschwanden sofort in den Büschen.

Die Frau lächelte ein wenig. „Stecken Sie Ihre Pistolen nur wieder weg, Mr. Abelsen … Die Tiere sind weit menschlicher, als Sie denken. – Haben Sie noch Schmerzen?“

Ich biß die Zähne zusammen.

Ob ich wieder Schmerzen hatte!!

„Es … geht, Miß Garden …“

Ihre stark geschwungenen Augenbrauen hoben sich.

„Woher kennen Sie meinen Namen?“

„Vincent Turst schrie ihn in seinen Fieberträumen …“

„Ah – – Turst!! Und er ist in der Nähe?“

„Ja …“

Ihr Antlitz umwölkte sich.

„Der … Tor!!“ sagte sie hart. „Und auch Sie handelten sehr unüberlegt, als Sie gegen meinen Willen umkehrten. Ich hatte mit Ihrem Auftauchen hier wohl gerechnet, aber nicht so … schnell. Sie müssen sich sehr beeilt haben, Turst war doch noch krank …“

„Ja – er war krank, aber er ist zäh und ein ganzer Kerl, Miß Garden.“ Ihr Benehmen mißfiel mir gründlich. Ganz abgesehen davon, daß sie nicht ein einziges Wort des Dankes fand, – sie hatte eine Art an sich, die unverblümt anmaßend und herrschsüchtig war.

[116] „… Ihren Willen irgendwie zu respektieren,“ fügte ich in ihrem eigenen hochfahrenden Tone hinzu, „– – dazu hatten wir wirklich keinen Grund. Aber mit Gabara abzurechnen und einmal festzustellen, was Sie, Miß, hier eigentlich treiben, – das war ein sehr triftiger Grund zur Umkehr. Oder – – sind Sie hier Statthalterin Seiner Majestät des Kaisers von Abessinien?! Wohl kaum!“

Sie lachte leise, und ihr Gesicht ward plötzlich strahlender Sonnenschein. „Bravo, Mr. Abelsen! Ein ganzer Kerl – ja, – Sie!! Aber Turst?! – Trotzdem, – – ich danke Ihnen … Geben Sie mir ruhig die Hand, Sie … tollkühner Torero! Ich sah schon so manches, – solchen Schuß noch nie! Sie müssen Nerven haben wie Taue …!“

Unsere Hände ruhten ineinander, unsere Augen auch, und … was Mary Marlon nur halb erreicht hatte, das brachte diese Frau hier in Sekunden zustande: Ich fühlte, daß Lylian Garden mir nie mehr aus dem Gedächtnis entflattern würde wie ein schöner, seltener Falter, den man in der Einsamkeit antrifft und den man besitzen möchte und der doch nur auf den leuchtenden Flügeln den vergänglichen Glanz feinster Staubteilchen trägt …

Sie wurde rot und senkte den Kopf …

„… So und nicht anders habe ich Sie mir vorgestellt – genau so,“ sagte sie etwas scheu … „Vielleicht … vielleicht ist alles Bestimmung … [117] Fatum, und ich beuge mich der höheren Gewalt … Sie … Sie sollen mein Reich sehen, mein Reich der Unterwelt … Kommen Sie …“


9. Kapitel.
Das Reich der Affen.

… Wir schritten nebeneinander her … Hinter uns, weit hinter uns folgte die Mähnengarde.

„Ich weiß, daß Sie mich unendlich viel fragen möchten,“ begann Lylian, indem sie immer geradeaus blickte. „Ich würde Ihnen keine einzige Frage beantworten, Mr. Abelsen …“

„Das nahm ich an,“ antwortete ich kühl. „Nur – was soll aus Gabara werden?!“

„Ach – – der!“ Das klang unendlich geringschätzig. „Wenn auf den Heiitsch Verlaß wäre, hätte ich ihn längst heimgeschickt in seine ferne Steppe. Er ist ein Lügner, ein Bandit … Er müßte aufgeknüpft werden. Er und der böse Geist des Stammes, der Oberpriester Homra … Leider ist der mir entwischt.“

„Leider, – ein übler Kerl, dieser Homra, in der Tat …! – Aber die Guasasso dürften doch bereits genügend bestraft sein, Miß Garden. Lassen Sie den Rest der Bande laufen …“

„Damit Gabara nach ein paar Wochen mit vielleicht dreihundert Kriegern wieder hier ist!! – [118] Nein, – ich verlange Sicherheiten von ihm, daß er seine Weideplätze nie mehr verläßt, und die beste Sicherheit bleibt in solchem Falle … eine Kugel, Mr. Abelsen. Er hat bei dem Überfall auf die Wollo-Galla fünfzehn Mann niedergemacht, er hat die Amerikaner und die anderen Gefangenen geradezu niederträchtig behandelt … Dann riß er mit den Seinen feige aus, als ihm nachts meine Armee auf den Hals kam, – er glaubte sehr schlau zu sein, als er auf den Felsen flüchtete, – nun sitzt er in der Falle, und – – ich will ihn los sein – – für immer! Ich kenne seine Habgier. Er erwartet in dem hohlen Berge Schätze zu finden …“ Sie sprach wieder wie vorhin, ihre Stimme war kalt und herrisch. „Nennen Sie mir ein Mittel, ihn zur Vernunft zu bringen … Ich kenne nur das eine Mittel … unerbittlich zu sein. Mir fehlt das Verständnis für jenes Gefühl verkehrter Menschlichkeit, das aus Banditen bedauernswerte Opfer des „Milieus“ macht, – so nennt man das ja wohl! Einen Feind schonen – gewiß, – aber nur dann, wenn ihm alle Zähne ausgebrochen werden können, Mr. Abelsen, damit er nie mehr schnappen kann.“

Wir gingen jetzt dicht am Rande des Abgrundes dahin, in dem die weißen Wasserfälle rauschten … Jenseits lag der Berg, der … Bienenkorb …

Lylian Garden blieb stehen und schaute mich an.

[119] „Nicht wahr, Sie halten mich jetzt für so eine Art Blaustrumpf, für eine Frau, die alles Weibliche abgelegt, von sich geschoben hat – als Ballast. Würden Sie meine Vergangenheit kennen, dürften Sie milder urteilen. Man vergräbt sich nicht mit einundzwanzig Jahren in die Wildnis, man lebt hier nicht fünf volle Jahre unter so seltsamen Verhältnissen, wenn nicht Gründe dazu vorliegen, die ein solches abwegiges Verhalten hoch über den Verdacht abenteuerlicher Laune hinausheben. Als ich die Einsamkeit aufsuchte, Mr. Abelsen, war ich eine verbitterte, schwer enttäuschte Frau. Vielleicht gleicht mein Schicksal ganz entfernt dem der Lady Jane Cordy, die dort im Norden in der Nubischen Wüste unter den Bischarin haust. – Sie sehen, ich habe den Kontakt mit der Außenwelt nicht verloren. Nein, ich bin sogar über alle Vorgänge sowohl hier in der Nähe als auch in den anderen Ländern sehr gut unterrichtet. Ich habe meine Sendboten, die mich nicht nur mit allen den Bedürfnissen einer etwas anspruchsvolleren Daseinsführung, sondern auch mit Zeitungen regelmäßig versorgen. Ich kenne alle Gerüchte, die über diesen Ort hier im Umlauf sind – Gerüchte, denn bisher wußte niemand etwas Bestimmtes. Die Wollo-Galla halten treu zu mir, ohne mich je gesehen zu haben. Ich schließe mich nicht in jene Grottenwelt ein …“ – sie deutete auf den gewaltigen Berg – „– ich schaffe mir Bewegung und Ablenkung, ich studiere das Leben der [120] Tiere, ich bin, ohne mich rühmen zu wollen, vielleicht zu stark rein wissenschaftlich veranlagt. Daß eine Frau wie ich die Modetorheiten meines Geschlechts – ich verstehe darunter nicht nur den äußeren Tand, sondern auch das krampfige Bestreben der modernen Frau, es dem Manne gleichzutun und die ihnen versagte wahre Lebenserfüllung durch verlogene, hohle Redensarten zu bemänteln – daß ich diese „Mode“ belächle, ist wohl selbstverständlich. Ich lese die Aufsätze und Schriften dieser Damen, und ich schaffe mir dadurch viele heitere Stunden. Ich denke dann immer an den Scherz von der Vollversammlung der Frauenrechtlerinnen, die durch eine im Saale auftauchende Maus zur Panik wird. Ich lebe wie Sie abseits vom Alltag, nur mit dem Unterschied, daß ich, Mr. Abelsen, ein Ziel vor Augen habe, während Sie sich vom Schicksal treiben lassen und deshalb – verzeihen Sie – nur ein Abenteurer ohne Selbstsucht und von größerem Ausmaß sind. Ein Mann ohne Streben bleibt ein Vagabund, der Multimillionär, der nur genießt und nicht arbeitet, bleibt Parasit. – Sie sind nicht empfindlich, sonst würde ich es nicht wagen, Ihnen so den Spiegel vorzuhalten.“

Nein – ich war nicht empfindlich. Ein ironisches Lächeln quittierte über diese Standpauke[7]. „Miß Garden, – wer sich vom Schicksal treiben läßt, kann trotzdem sehr viel Gutes schaffen. Der Vagabund, der auf der Landstraße beobachtet, wie Strolche [121] etwa ein Auto anhalten und die Insassen ausplündern wollen, – der zuspringt und hilft und mit seinem Knüttel derb zuschlägt und Retter wird, – ich weiß wirklich nicht, ob dessen praktische Erfolge nicht höher zu bewerten sind als die eines fleißigen Stubenhockers, der vielleicht Goethes Faust, zweiten Teil, in einem umfangreichen Werk zu deuten sucht und doch nur wieder Unmögliches betreibt – wie all seine Vorgänger. – Verzeihen Sie: Wenn der Vagabund Abelsen vorhin nicht rechtzeitig abgedrückt hätte, wäre von Ihnen nicht mehr viel übrig geblieben, und wenn derselbe Abenteurer nicht vor Monaten ein mit blutdürstigen Guasassos gefülltes Boot leck geschossen hätte, würden zahlreiche Menschen ihr Leben verloren haben. Ich halte dieses Dasein nicht für sinnlos und zwecklos, denn das Schicksal hat mir noch immer das eine geschenkt: Für andere einspringen zu dürfen.“

Lylian Garden errötete. Sie streckte mir impulsiv beide Hände hin …

„Lieber Freund, da sehen Sie einmal wieder, wie unzulänglich wir Frauen sind! Nicht ich habe recht, sondern Sie! Vielleicht …“ – sie zögerte – „vielleicht waren meine Worte vorhin dem heimlichen Born der Selbstsucht entsprungen, der nun einmal stärker oder schwächer in jeder Menschenseele plätschert …“

Sie gab meine Hände frei und beendete das heikle Thema mit einem kurzen Abbiegen: „Beeilen [122] wir uns … Ich werde Sie nachher zu Gabara schicken, falls Sie die Rolle des Unterhändlers spielen wollen.“

„Gern …“ und wir gingen schweigend weiter, bis wir die Südostecke des Schluchtrandes erreicht hatten.

Nun sah ich auch endlich die Südseite des Berges.

Auch hier ein steiler Abgrund, in dem die Wasser der Fälle weiß und zart in breiter Bahn über Geröll dahinglitten. Ein Wald von Ölbäumen, Palmen und Feigenbäumen neigte sich mit freundlichem Grün vom Südrande dieses Festungsgrabens den Hochsteppen und Vorbergen zu.

Wir schritten wieder am Schluchtrande dahin, – ich hatte nun, nach Norden schauend, die zerklüftete Front dieser dunklen Granitmasse vor mir. Auch hier zeigten die Abhänge vielfach grüne Flecke, – Terrassen mit breiten Busch- und Grasbeständen gaben dem Bilde eine freundliche Note, – von irgendeinem Zugang, von irgendeiner Brücke über den Abgrund sah ich nichts, bis wir plötzlich vor einem schmalen, südwärts gerichteten Kanon standen, in dem der Fluß nun in scharfer Krümmung in die Ebenen sich verlor.

Der Kanon war trotz des hellen Sonnenscheins düster, lichtlos und unheimlich. Felszacken sprangen aus seinen Wänden hervor, überdeckten ihn zum Teil, – Schlingpflanzen, schräg wuchernde Bäume [123] und Büsche, eingeklemmt in Spalten des Gesteins, verstärkten noch diese Decke und sperrten den Blick von der dunklen Tiefe ab.

Lylian Garden führte mich zu einer Stelle, wo die Felszacken eine Art Treppe bildeten, – man mußte von Stufe zu Stufe springen, ein Unkundiger hätte diesen Weg nie gefunden.

Eisige Luft quoll uns im Dämmerlicht des Schlundes entgegen, und Lylian riet mir, nur mit geschlossenem Munde zu atmen.

Neben dem hier in engem Bett dahinjagenden Flusse liegt ein Pfad entlang, mit den Augen nicht erkennbar. Scharfes, nasses Geröll wechselte mit Strecken triefenden Mooses ab. Dann bogen wir in die Südschlucht ein, wo das Wasser so spielerisch schäumend dahintänzelte. Eine Reihe von Steinen brachte uns trockenen Fußes hinüber, und der Anstieg begann. Hier war es hell, die Felsen warfen die Wärme der Sonne zurück, der Serpentinenweg, als solcher unklar erkennbar, zeigte mir an lehmigen Stellen und auf Grasflächen die Spuren von Maultieren oder Eseln. Er endete auf einer Terrasse in halber Höhe des Berges vor dichtestem, langgestrecktem Dornengebüsch, über dem noch ebenso dichte Vorhänge von Ranken aller Art hingen. Am östlichen Winkel der Terrasse trat das Gestein in kuppelartiger Wölbung zurück … Auf diese Weise gelangte man hinter den Dornenverhau. Hier hockten etwa vierzig Mantelpaviane, zumeist Männchen, – [124] sie grunzten mich unfreundlich an, aber ein Zuruf Lylians beruhigte sie, und nur einige kamen mit ihren würdigen, bedächtigen Schritten hinter mir her und trieben untereinander allerlei harmlosen Unfug, zupften sich, kreischten, balgten sich, griffen auch mal nach meinen Beinen …

Mir war nicht ganz wohl dabei, ehrlich gesagt.

Es waren Kerle, die jeder allein einen Erdwolf hätten abwürgen können. Ein halbes Dutzend hätte auch einem bewaffneten Manne die Hölle heiß gemacht.

Der Eingang in den Berg bestand aus einer unten vier Meter breiten Spalte, die sich nach oben zu verengte. Die erste Höhle zog sich scharf nach Osten. Sie war mehr ein natürlicher Tunnel mit engen natürlichen Lichtlöchern. Künstliche Beleuchtung konnte man entbehren. Der Gang stieg allmählich an und endete in einer Halle, in der es leider allzu stark nach … Affen duftete. Auch hier gab es einige Lichtöffnungen, – ich sah in den zerklüfteten Wänden überall die aus Zweigen, Moos und Gras hergestellten Nester der Paviane, – Lylian erklärte mir lächelnd: „Sie hausen hier wohl seit undenklichen Zeiten, diese meine vierbeinigen Freunde. Gewiß, der Geruch ist lästig, aber weiter oben verliert er sich mehr.“

Ein zweiter, steilerer Tunnel lief zum dritten Stockwerk empor. Diese Bezeichnung stammt von mir. Ich betrachte den Eingang als erstes, die Affenhalle [125] als zweites, und die Wohnräume droben, die kleinen Grotten mit den labyrinthartigen Fluren, als drittes.

Droben schlug Lylian einen schweren bunten Wollteppich zurück und forderte mich durch eine Handbewegung zum Eintreten auf. Die Affen waren zurückgeblieben, wir waren allein, aber irgendwoher drangen an mein Ohr sanfte Klänge von Musik. Der Teppich fiel hinter uns zu, und ich stand in einer Wohngrotte, deren lange Lichtöffnungen nach Westen hinausgingen, – ein Blick nur, und ich erkannte drüben die Felsenkanzel mit den belagerten Guasasso.

Vorläufig galt mein Interesse mehr diesem Gemach, diesem Saal mit seinem stillosen Gemisch von modernen Möbeln, primitivem Hausgerät, Waffen, geschnitzten Truhen, Sätteln, Kisten, Fässern, – – nur der hellste Winkel war vielleicht einer Lylian Garden würdig. Dort standen abessinische kostbare Sessel aus feinsten Holzarten mit eingelegten Halbedelsteinen, dort stand ein großer Tisch, dort waren die kahlen Felswände mit Geweben verhängt, Teppiche bedeckten den Boden, Eisenstangen, hoch angebracht, ließen durch Vorhänge an Ringen ein kleineres Gemach abteilen, – Wandbretter mit Büchern, Instrumenten verschiedenster Art erinnerten an eine Gelehrtenstube, – schlicht gerahmte Bilder, die offenbar aus abessinischen [126] Klöstern stammten, mochten den Neid so manchen Sammlers erregen.

Lylian zog die Vorhänge zu, und die Abgeschlossenheit dieses ihres Studio, der weiche Sessel, die Karbidlampen auf dem Tisch, Schreibzeug, Bücher, Papiere täuschten die Nähe der Zivilisation vor …

Sie schob mir ein Zigarettenkästchen hin und holte eine Likörflasche und zwei Spitzgläschen, schenkte ein und trank mir zu. Es war ein Fabrikat einer sehr bekannten deutschen Firma, mit dem wir hier das Willkommen feierten.

„Drüben“ – sie deutete auf einen Wandteppich – „liegt mein Schlafgemach. Und dort an der Westseite wohnen die Amerikaner, Mr. Abelsen, – halb Gefangene, halb Gäste. Percy Falferlon ist etwas unbequem, zu neugierig. Dabei haben sie die besten Räume zur Verfügung, dürfen nachts auf den Gipfel hinauf unter die Palmen und Ölbäume … Würden sie mir ihr Ehrenwort gegeben haben, nichts von dem hier Geschauten zu verraten, wären sie längst frei, aber Falferlon denkt nicht daran, er sinnt auf Flucht, er will diese „Sensation“ womöglich filmen …“

Sie rauchte und lehnte vor mir an der Tischkante. Sie hatte etwas bitteren Tones gesprochen, und ihre Züge waren hart und freudlos. „Falferlon wird bewacht … natürlich … Meine Untertanen können sehr unangenehm werden …“

[127] Sie merkte, daß ich durch eine der Spalten die Felszunge drüben beobachtete. Es waren bis dorthin vielleicht zweihundert Meter, – die Granitnase lag höher als dieser Felsensaal, man sah nicht einmal die Zeltspitzen, nur die Randmauer und zuweilen eine eilige, auf Deckung bedachte Gestalt.

„Ja – der Heiitsch Gabara …!“ meinte Lylian finster. „Wenn es mir darum zu tun gewesen wäre, hätte ich ihn und seine Krieger einzeln wegknallen können … vom Berggipfel überblickt man das Lager, und fünfhundert Meter sind für eine Büchse mit Zielfernrohr und für eine sichere Hand keine weite Strecke … Wenn Sie ihn aufsuchen, Mr. Abelsen, warnen Sie ihn auch davor. Er mag auf seine Art schwören, nie mehr die Grenze Abessiniens zu überschreiten, er mag durch den Becher Blut dies Versprechen bekräftigen. Meine anderen Bedingungen sind: Vierzig Dromedare als Sühne für die Wollo-Galla, Ablieferung der Waffen und der noch lebenden Tiere bis auf drei Flinten, Speere und Messer und Lastkamele, sofortiger Abzug nach Südost, ehrlicher Friedensschluß mit den Wollo-Galla und … Stillschweigen! – Werden Sie hinübergehen?“

„Gewiß. Meine Bedingungen, Miß Garden, sind leicht zu erfüllen. Ich habe zwei Gefährten, die auf mich warten. Vincent Turst bedarf noch der Pflege, und Mary Marlon soll ihre Kollegen hier begrüßen dürfen. Also: Turst und das Mädchen [128] werden ebenfalls Ihre Gäste! Dann bringe ich die Sache mit Gabara in Ordnung, werde auch mit Falferlon reden! – Für uns drei jedenfalls versichere ich, daß wir nichts von alledem hier verraten werden. Ohne meine Gefährten, denen ich verpflichtet bin, unternehme ich nichts. Lehnen Sie es ab, die beiden hier zu bewirten, kehre ich zurück, woher ich kam. Wir drei gehören zusammen. Turst ist eine Seele von Mensch, und auch Mary Marlon hat das Herz auf dem rechten Fleck.“

Lylian warf mir einen langen prüfenden Blick zu …

„Liegt Ihnen so viel an dieser Filmdiva … und an dem Doktor?!“ fragte sie mit unverhohlenem Spott. „Turst ist ein … ein ungenießbarer Besserwisser, ein Mensch mit der Maske heiterer Biederkeit, ein Starrkopf, und die Marlon …?!“

Ich erhob mich, ich erklärte sehr schroff: „Ihre Menschenkenntnis, hier doch nur auf sehr seichtem Grund sich stützend, ist mangelhaft, Miß Garden. Würden Sie abwesende Freunde so herabsetzen lassen, wohl kaum! Ich bedauere es sehr, daß wir zu keiner Einigung gelangen. Ich hoffte, Ihnen die Schwierigkeiten wegräumen zu können, die Gabara und Falferlon für Sie bedeuten. In einem Tage ist das nicht gemacht, Gabara und der Amerikaner wollen bearbeitet werden … – Leben Sie wohl, Miß Garden. Ich streiche unsere Bekanntschaft aus meinem Gedächtnis … Sollte Turst darauf beharren, [129] diesen Berg von innen zu sehen, trenne ich mich von ihm, bringe Mary Marlon in bewohnte Gegenden und reite von dannen – wieder nur Vagabund. Das ist mein Programm, dabei bleibt’s!“

Sie hatte ihre Zigarette weggelegt.

„Es … ist gut,“ nickte sie … „Ich bringe Sie wieder bis zum Kanon, Mr. Abelsen …“

Wir sprachen kein Wort mehr.

Wir durchschritten die Grotten und Gänge, – draußen in der Sonne atmete ich wieder befreit auf, denn dieser Berg mit seinen Hunderten von Affenfamilien, mit seinen zweifellos noch vorhandenen Geheimnissen anderer Art hatte mich bedrückt wie ein böser Traum.

Schweigend passierten wir den schäumenden Fluß, bogen in den engen düsteren Kanon ein. Dort, wo die Treppe der Felszacken begann, reichte Lylian Garden mir die Hand.

„Mein Freund,“ sagte sie kurz, und ihre Stimme war belegt und fast rauh, „ich … glaube, Sie haben mich vorhin mißverstanden. Es ist gut, – das hieß: Ich nehme Ihre Bedingungen an … Sie können in drei Stunden mit Turst und dem Mädchen und Ihren Tieren hier oben am Kanonrande eintreffen, – das wäre also gegen drei Uhr nachmittags. – Auf Wiedersehen.“

Sie drückte mir die Hand, machte kehrt und schritt davon.

Merkwürdige Frau …! –

[130] Sollte ich mich nun freuen?!

Ich horchte auf die feine Stimme, die da aus den Tiefen meiner Seele leise wisperte …

Sie raunte:

„Freue dich nicht zu sehr!“

Sie behielt recht.


10. Kapitel.
Gabara erscheint.

Der gute Vincent, Doktor mit Fett, was jetzt schon gar nicht stimmte, denn er war durch das Krankenlager fast Skelett geworden, empfing mich in unserem Lager im versteinerten Walde hinter dem sprudelnden Geiser mit einem frohen …: „Endlich, Olaf!! Die Mary war schon halbtot vor Sorge.“

„Unsinn!“ rief diese Mary und wurde rot. „Mich ängstigten nur die Schüsse in der Ferne … Hast[8] du etwas erlegt, Olaf?“

Die beiden hier hatten es sich recht behaglich gemacht. Marys Verdienst war das nicht. So viel sie auch auf ihr Äußeres hielt und in allem peinlich sauber war: Für das, was man Hausfrauenkunst nannte, hatte sie keinen Sinn! – Niemals hätte sie auch nur einen Finger gerührt, um etwa unsere „Laube“ irgendwie netter herzurichten. Ihr fehlte es an jedem Verständnis für die Ausnutzung [131] bescheidener Mittel zur Vergrößerung persönlichen Wohlbehagens. Sie nahm mit der Lagern statt fürlieb, die wir ihr aus Gras, Zweigen, Decken bauten, – sie sah geduldig zu, wie wir etwa einen Windschutz oder ein Dach herstellten, – nicht einmal das Säubern unserer Eßgeräte und Kochtöpfe, alles sehr primitiv, weckte ein Gefühl bei ihr, das man hätte „frauliches Empfinden“ nennen können, – wir taten alles, und sie half nur auf direkte Aufforderung hin.

Ja – dies hier, dieses Zelt aus Büschen und Gras und aufgeschichteten Steinen, dieser offene Herd, diese blühenden Ranken als Schmuck um den Eingang konnten nur Vincent zugeschrieben werden …

„Sehr hübsch das alles,“ meinte ich anerkennend. „Da hast du aber fleißig gearbeitet, Doktor! – Was deine Frage betrifft, Mary: Ich habe in der Tat etwas erlegt … Rate was?“

Sie lag da und hatte die Füße erhoben und klappte mit den Hacken spielerisch den Takt zu ihrer Antwort: „Ein Nashorn – ja, einen Nashornbullen!“ Das lustige Flackern ihrer Augen sagte mir genug.

„Du bist mir gefolgt?“

„Und ob … Leider fand ich nur noch den toten alten Herrn Nashorn und … Spuren. Ich habe Fährten lesen gelernt.“ Ihre Augen wurden plötzlich dunkler, sprühten auf. „Du hast Lylian [132] Garden getroffen, du …! – Wo warst du so lange?!“

Turst lachte. „Das ist ja Blech, – Lylian Garden wird sich hüten, allein in der Wildnis umherzustrolchen! Aber Mary läßt sich das nicht ausreden, Olaf!“

Ich war aus besonderen Gründen sehr gespannt darauf, wie Vincent die Mitteilung von dem bevorstehenden Umzug in Lylians Bergreich hinnehmen würde.

„Und wenn Mary recht hätte?!“ Wenn ich zum Beispiel nicht nur vor dem Berge, sondern auch drinnen im Affensaal und droben im dritten Stock bei Lylian in deren Studierzimmer gewesen wäre?!“

Turst starrte mich an.

„Das … das wäre … sehr … günstig,“ sagte er so bedächtig, als suchte er jedes Wort mühsam zusammen. „Das wäre vielleicht …“ – er brach ab, seine Augen wanderten zur Seite und er seufzte unmerklich.

Mary war mit einem Satz auf den Füßen. „Du, – – ist das wahr?!“ Wenn sie eindringlich fragte, zerrte sie stets an meinem Jackenaufschlag. Ihm schadete das nichts. Die Knöpfe waren mit Tiersehne angenäht.

„Es ist wahr, Kind, – und ebenso wahr ist, daß Miß Garden uns drei in ihre Affenburg [133] eingeladen hat und daß wir sofort aufbrechen werden.“

Mary ließ meinen Jackenzipfel los und rief temperamentvoll. „Ich bleibe hier, – ich danke!! Ich denke nicht daran, diese Frau als …“

Jemand schob sie etwas unsanft beiseite, jemand pflanzte sich dicht vor mich auf, und der Jemand war erschreckend blaß.

„Olaf, machst du Witze?!“ Noch nie hat Tursts Stimme so eigentümlich rauh geklungen.

„Die Witze machst du gewöhnlich, Vincent. – Los denn, packen wir ein … Wir haben die Tiere über den Fluß zu bringen, und wie wir sie über die Baumbrücke befördern werden, ist mir im Augenblick noch unklar.“

Turst schüttelte jetzt ganz geistesabwesend den Kopf, drehte sich um, hob die Wolldecken auf, klopfte die Grashalme ab und rollte die Decken zusammen.

Mary war zu den Tieren gegangen und kraute ihrem Dromedar den Kopf.

Endlich konnte ich mich nun auch Freund Fennek widmen, der wie ein besessener kleiner Teufel vor Wiedersehensfreude an seinem Riemen riß und hin und her sprang. Ich machte ihn los, ich nahm ihn in die Arme, – seine Freude ward zu stiller Zärtlichkeit, wenn ich ihn an die Brust drückte.

„Fennekerl … wie wirst du mit den Pavianen fertig werden?!“ – Ich war in diesem Punkte recht besorgt.

[134] Er keckerte leise … Das hieß wohl: „Es wird schon irgendwie werden!“

– Mary ließ uns packen, satteln, – sie machte ein Gesicht, als ob sie uns eine Gnade dadurch erweise, daß sie uns begleitete. – Eifersucht etwa?! – Wer kennt sich mit Weibern aus?!

Als wir den reißenden Fluß und die Baumbrücke erreichten, als von rechts her das Donnern und Brausen mich flüchtig daran erinnerte, wie sehr nun die Industrie in meiner Heimat die einst so berühmten Trollhätta-Fälle verschandelt hat, erlebten wir die erste Überraschung, erhielten wir den ersten Beweis dafür, daß Lylian Gardens Macht doch wohl größer sei, als wir es geahnt hatten: Der gestürzte Baumriese war wie durch Zauberhand mit einer dichten Lage von Aststücken so bedeckt worden, daß man nun mit Recht von einer „Brücke“ sprechen konnte. Das Hinüberführen der Tiere erforderte trotzdem einige Vorsicht, bereitete aber keine nennenswerten Schwierigkeiten.

Dann am Kanon im Süden die zweite Überraschung: Die Zeit stimmte, – es war kurz vor drei Uhr, aber Lylian Garden empfing uns nicht, sondern ein stattlicher Wollo-Krieger mit Leopardenfell[9] als Umhang und weißwollener Schama, einem losen Obergewand, darunter enge kurze grüne Hosen, derbe Sandalen und waffengespicktem Ledergurt aus Schlangenhaut.

Der Mann machte keinen vertrauenerweckenden [135] Eindruck. Er hatte halb zugekniffene Augen, ein mehr finsteres als nur verschlossenes Gesicht, und war äußerst wortkarg, obwohl er das Englische ganz leidlich radebrechte. – Die meisten Abessinier wirken unsympathisch, doch trügt hier das Äußere. Mögen sie auch arbeitsscheu, zügellos und, soweit sie Christen sind, die Religion mehr als Spielerei betrachten, so sind sie anderseits in so streng patriarchalischen Anschauungen aufgewachsen, daß die Achtung vor den Frauen und Eltern, die Liebe zu den Kindern, die Gastfreiheit und Treue in diesem Punkte ihresgleichen suchen. Freilich: Eheliche Treue ist selten, die Reichen leisten sich den Luxus eines Harems, die Klassenunterschiede werden streng bewahrt, es herrscht jedoch keinerlei Haß oder Neid zwischen dem sogenannten „Adel“ und den „Gemeinen“. Das an Naturschätzen so reiche Land ernährt die neun Millionen Einwohner ohne große Anstrengung des einzelnen, Handel und Industrie sind in schnellem Aufschwung begriffen, in den Hauptstädten trifft man neben dem modernen Lastauto ebenso häufig noch die endlosen Kamel- oder Maultierkarawanen, die zum Beispiel von Addis Abeba bis zur Küste zwei Monate unterwegs sind. –

Unser Wollo-Galla hier war zweifellos ein reicher Mann. Er trug nicht nur die breite silberne Alkodama, die Stirnspange, sondern auch an beiden Armen Silberspangen, – der Schlangenhautgürtel war mit Münzen benäht, um den kaffeebraunen [136] Hals hing ihm an einer Kette von Leopardenzähnen die höchste abessinische Auszeichnung, der von König Johannes 1874 gestiftete Orden vom Siegel Salomonis. – Später erfuhren wir, daß dieser finstere Herr der Oberhäuptling der Wollo-Galla in Person war, Lylian Gardens einziger Vertrauter neben dem noch zu erwähnenden „Herrn der Affen“. – Der Oberhäuptling nannte uns nur seinen Namen, Hamiru, und erklärte, er habe Befehl, unsere Tiere in den Kraal zu bringen, – wir möchten alles aus den Satteltaschen mitnehmen, was wir ständig brauchten. – Er führte dann die Tiere in den Wald, und wir … standen ziemlich ratlos da.

Nicht lange …

Aus der Tiefe des Kanons kam eine schrille Stimme:

„Steigt herab, – die Herrin wartet.“

Wir sahen in die trübe Dämmerung hinab und erkannten lediglich einen riesigen Hamadryas, der auf einer der Felsstufen hockte. Turst flüsterte trotz des hellen Sonnenlichtes, das uns freundlich, fast zu freundlich umflutete, in einem Tone, in dem dasselbe Grauen mitschwang, in dem er als Todkranker stets von seinem Erlebnis gesprochen hatte: „Olaf, das war es, – das, – weil diese Affen redeten – wie Menschen, – das entsetzte mich so! Und dann … das Bild, – sahst du das Bild in der einen Höhle?!“

Ich blickte ihn voller Unbehagen an. Des öfteren [137] war bereits in mir der Verdacht aufgestiegen, Turst könnte durch sein damaliges Abenteuer an seinem Verstande gelitten haben. – Welches Bild meinte er?! Ich hatte doch nichts Besonderes bemerkt, abgesehen von der Affenhalle. Daß gerade die Paviane sehr gesellig in Felsklüften hausten, wußte ich längst. Gewiß, hier kam noch anderes hinzu: Lylian Gardens Herrschaft über die Tiere! Aber auch dies würde vielleicht eine sehr einfache Erklärung finden … Doch daß diese Affen sprechen sollten, – nie und nimmer konnte ein vernünftiger Mensch derartiges glauben!

Ein verzerrtes Lächeln glitt über sein mageres Gesicht. „Ich weiß, du zweifelst an meinem gesunden Verstand, Olaf … Und weil du zweifeln mußtest, sprach ich auch nie herüber, sondern trug dieses Grauen still mit mir herum … Dir werden die Zweifel schwinden … Da – horch’, der Hamadryas kreischt schon wieder, daß wir kommen sollen …!“

Mary umklammerte meinen Arm …

„Wir wollen … fliehen, Olaf …“ stieß sie bebend hervor … „Ich fürchte mich, niemals klettere ich dort hinab … Es kann eine Falle sein, Olaf … dieses Weib will uns ins Verderben locken, – dich wird sie vielleicht schonen, nicht uns, – – ich … fürchte mich!“

„Narren seid ihr!“ – ich raffte mich auf. „Ihr steckt mich an mit diesem albernen Gewinsel! [138] Ihr seht im Sonnenlicht Gespenster – schämt euch!!“

Es war der richtige Ton für diese Szene … Ich sprang auf die nächste Felszacke hinab …

„Hand her, Mary! Du bist doch ein vernünftiges Mädel!“

Sie gehorchte, – sie war blaß, aber sie preßte die Lippen trotzig zusammen, und in ihren Augen lag ein Schimmer von kecker Herausforderung. Ich fing sie auf, einen Moment ruhte sie an meiner Brust, – sie raunte mir zu: „Du – ich warne dich!! Dieses Weib will nur dich!! Sie soll sich hüten!“

„Kleine Törin,“ – und ich nahm die nächste Stufe, ich sah, wie der große Mantelpavian sich vor uns in das Dunkel des Kanons zurückzog …

Ich fand den Weg, – wir überquerten den Fluß, wir stiegen den Serpentinenpfad empor, wir gelangten auf die Terrasse, hinter den Dornenverhau …

Am Boden hockten drei Wollo-Galla, zwischen den Knien ihre Speere, Spitzen nach unten, im Schoße ihre Büchsen … Sie nahmen keinerlei Notiz von uns, ebensowenig die anderen zwei, die am Eingang saßen und ihre Lanzen, als wir auftauchten, als Knüttel gegen ein paar zudringliche Affen gebrauchten … Im Hintergrunde vor einem Fensterschlitze der Außenwand des Ganges stand Lylian Garden, jetzt wieder in den losen Gewändern [139] wie in jener Vollmondnacht auf dem Affentanzplatz. Einen Zipfel des hellen Überwurfs hatte sie über ihr Gesicht geschlagen, sie winkte uns nur, – und so kamen wir aus der verpesteten Luft des Affensaales mit seinen schnatternden, grunzenden und kreischenden Bewohnern im dritten Stockwerk an … Hier erst sagte sie leise: „Seien Sie mir als meine Gäste willkommen … Dort ist Ihr Gemach, Miß Marlon, dicht neben Ihren amerikanischen Freunden, – dort für Mr. Turst, und da drüben am Ende des Ganges hinter dem Teppich – Ihr Heim, Mr. Abelsen … Auf meine Gesellschaft werden Sie verzichten müssen, aber Sie hören ja … die Amerikaner haben sich dort so etwas wie einen gemeinsamen Salon eingerichtet … – Leben Sie wohl, – gelegentlich werden wir uns vielleicht sehen.“

Sie betrat ihr eigenes Gemach, und wir drei schauten ihr mit sicherlich sehr verschiedenartigen Empfindungen nach.

Turst sagte schroff: „Das hier ist doch nur besseres Kino, – verzeihen Sie den Vergleich, Mary … Ich wollte Sie nicht kränken … Die Dame des Hauses gefällt sich in der Rolle der Unnahbaren … Nun denn, – ich werde mich hier schon heimisch fühlen, – darauf habe ich ein Recht!“

Er betrat seine Grotte, und Mary zog mich rasch in ihr Gemach hinein, – ich hatte Fennek im Rucksack, ich war überhaupt schwer beladen, und [140] lieber wäre es mir gewesen, das Mädel hätte auf meine Gegenwart verzichtet, – anderseits hatte ich aber auch dafür Verständnis, daß sie in dieser ungewohnten Umgebung zunächst nicht allein sein mochte.

Ihr Heim – ja, sie konnte damit zufrieden sein. Lylian hatte sogar einen ihrer Sessel hergegeben, – das Bett war zwar nur ein Bretterkasten, die Wäsche jedoch blendend zart … In einer Ecke standen Marys drei Koffer, die sie nie mehr wiederzusehen gehofft hatte. Bei ihrem Anblick ließ sie meine Hand los …

„Olaf, – das ist herrlich, – endlich!! Oh – nun entschuldige mich, – ich sehne mich nach einem …“

Ich war schon draußen im Gange, – ich dachte mir mein Teil, ich konnte mir unschwer vorstellen, was diese kleine Kinokönigin da so alles mit in die Wildnis geschleppt haben mochte.

Und dann betrat ich mein Studio – zum erstem mal, – trat an das eine Fenster, schaute in die Ferne … Und ferne, ferne Erinnerungen lebten auf. Einst hatte ich im Kloster St. Antonins auch eine Zelle bewohnt, hatte auch durch ein kleines Fenster die hellen Berge und den Klostergarten überblickt.

Seltsam vertraut erschien mir dieser Raum.

Ich legte mein Gepäck ab, nur Freund Fennek mußte sich noch gedulden, auch die Waffen behielt ich [141] bei mir, – Gabara kam jetzt an die Reihe, ich war gespannt, wie die Unterhandlungen mit ihm verlaufen würden, – noch neugieriger auf das Benehmen der Affen, wenn ich nun allein den Berg verlassen würde. – –

Dinge, von denen man sich in der Phantasie besonders reizvolle Bilder vorher entwirft, schrumpfen nachher zumeist zu bedeutungslosen Alltäglichkeiten zusammen. – Nichts geschah, als ich den Affensaal durchquerte … Zwei freche Männchen näherten sich mir zwar mit offensichtlich üblem Vorhaben, aber sofort sprangen zwei andere zu, es setzte Hiebe mit dicken Knütteln, es gab ein allgemeines Kreischen, – ich schritt weiter, und unten am Kanon erst schien der Mann mit dem Leopardenfell und dem reichen Silberschmuck mich erwartet zu haben. Schweigend grüßte er mit der Hand, kletterte vor mir empor und führte mich südwärts bis zu einer Stelle, wo die Kanonränder sich fast berührten und wir nach Osten abbiegen konnten. Nach einer Wanderung von einer halben Stunde lag der Geröllwall vor mir, Hamiru blieb zurück, ich erklomm das Geröll, winkte den Guasassos zu, und Heiitsch Gabara trat hinter einer der Steinmauern, die die Zelte schützen sollten, hervor …

Nicht mehr der Gabara, wie ich ihn kannte, nein, ein gebrochener Mann, abgemagert, zerlumpt, den linken Arm in der Schlinge …

„Du?!“ sagte er gedehnt …

[142] Er schämte sich seiner Ohnmacht.

Ich sah seine Krieger, halb verhungert wie er, ich sah die armen Dromedare, alle Rippen waren zu zählen.

Und da … beging ich eben den groben Fehler, da regte sich das Mitleid in mir, – ich war gekommen, ihn grob anzublasen, und ich war doch nur weichherziger Diplomat.

Wir saßen im Zelt … Voller Gier nahm Gabara die Zigarre an … Ich nannte ihm die Bedingungen Lylian Gardens, er nickte nur …

Er versprach alles.

Und … hielt nachher nur das, was in seine Pläne hineinpaßte, uns in Sicherheit zu wiegen.

Mit Sonnenuntergang verließ er mit den Seinen die Berge und stieg in die Steppen hinab …

Hinter ihm her waren flinke Späher. Das wußte er …

Nach drei Tagen kehrten die Späher zurück und meldeten, Gabara sei zweifellos ohne Nebenabsichten immer nach Süden davongezogen … – –

Heute?!

– Er ist wieder da …

Deshalb lehnte ich es ab, mit Mary auszureiten …

Lylian weiß es: Wir sind eingekreist, Gabara ist mit mindestens achthundert Kriegern zurückgekehrt, – die Festung wird belagert, und ich würde niemandem raten, in den Kanon hinabzusteigen …

[143] Dort liegen fünf Wollo-Galla und ein gutes Dutzend Paviane, alle von Speeren durchbohrt.

Lylian weiß es.

… Turst müht sich mit dem Grammophon ab. Er ahnt nicht, daß in dieser Minute der Zugang zum Berginnern bereits verrammelt ist.

Wir sind eingeschlossen, – acht Europäer, zwei Frauen, neun Wollo-Galla und etwa zweihundert Mantelpaviane … dazu mein Fennek.

Armer Fennek, wenn Gabara uns lebend erwischt – – ja, wenn, dann brauchen wir uns um das Sterben nicht weiter zu bemühen. – –

Ich habe nachgeholt, was in meinem Tagebuch als Lücke klaffte. Ob ich je wieder diese Feder über das Papier gleiten lassen kann, bleibt abzuwarten.


11. Kapitel.
Die Männer 1,10.

… Dinge, von denen man sich in der Phantasie besonders reizvolle Bilder entwirft, schrumpfen nachher zumeist zu bedeutungslosen Alltäglichkeiten zusammen …

– Ich greife diesen Satz aus den letzten Seiten heraus und ändere ihn dahin ab:

… oder verändern sich in der Wirklichkeit derart, daß unsere Phantasie sich wie ein lahmer Gaul ausnimmt, der armselig hinterdrein hinkt.

[144] … Alles kommt meist anders, als man denkt.

Acht Tage … In diesen acht Tagen ist so viel geschehen, daß man Jahre damit ausfüllen könnte.

Acht Tage …

Und der Berg ist leer bis auf die echten Affen, die Zwerge, mich und Fennek. Alle anderen sind nach Nordost unterwegs – alle … Wenn sie Glück haben, sind sie nach fünf Tagen in einer Stadt, in der es Autos zu mieten gibt …

Es ist Abend. Meine Tischlampe brennt, auf seinem Fensterplatz liegt Fennekchen und träumt, bewegt die Pfötchen, winselt leise im Traum …

Vorhin haben wir zusammen mit Patumengi im „Salon“ gespeist …

Antilope … –

Nun schläft der Berg. Seine Geheimnisse sind auf und davon …

Das Lampenlicht trifft ein paar Bilder auf meinem Schreibtisch, Photographien … Da ist Mary, da ist Lylian – – alle sind da – – auf Papier, chemisch verewigt. Widmungen stehen unter den Bildern, – – Vincent hat humorvoll-glücklich geschrieben:

Ich werde wieder Romane lesen, denn ich selbst erlebte einen Roman, und Du, Freund Olaf, spieltest darin den blinden Retter.
Stets Dein
Dr. Vincent Turst.     

[145] Mary schrieb sehr charakteristisch:

Frauen sind Schwalben, die flattern und wandern Immer dem Glücke nach – von einem zum andern.
Mary Marlon.     

Lylian hat nichts geschrieben.

Ihre Unterschrift ist daher die beste, denn die kann ich mir nach Wunsch hinzaubern …

Der Berg ist leer. Er schläft … Nach Wochen wird zweifellos eine hohe Kommission Seiner Majestät des Kaisers von Abessinien erscheinen und wird dann alles Wichtige für das Staatsarchiv bei Blitzlicht photographieren, – wird Zeichnungen anfertigen, und selbstverständlich werden Reporter mit dabei sein und für ihre Blätter stimmungsvolle Artikel schreiben, in denen sicherlich der Satz vorkommt: „Leider traf man Mr. Abelsen nicht mehr an …“

Nein, man wird mich nicht mehr antreffen. Ich werde inzwischen mit Fennek eine neue Wanderung angetreten haben … –

Der Berg schläft, meiner Zigarre Rauch kräuselt sich über der Aschenschale, in dem Nashornschädel stecken welke Blumen – die letzten, die Lylian für mich pflückte.

Es ist totenstill ringsum. Ganz selten dringt vom Affensaal unten ein Kreischen herauf … Ganz selten vernehme ich durch die Fensterschlitze drüben in den Bergen das tiefe Brüllen eines Löwen.

Ich werde nun die Geschichte der Herrin der Unterwelt beenden.

[146] Aber – wo anfangen?! Ich habe noch genau fünf Bogen Papier zur Verfügung. Ich muß also sparsam mit jeder Zeile sein. Anderseits, niemand kann sich so weit umkrempeln, daß er seine Schreibart mit vergewaltigt, und in dieser, sagt man, zeigt sich das eigentliche Bild des Schreibenden.

Persönliche Note, nennt man das ja wohl. – –

… Ich hatte mein Tagebuch weggepackt, nein, ich hatte es versteckt – für alle Fälle. Und dann ging ich zu Lylian hinüber …

„Darf ich eintreten?“

„Bitte, lieber Freund …“

Ich trat ein. – Sie saß vor ihrem Tisch in ihren losen leichten Gewändern, – durch die Löcher im Gestein fiel das klare Tageslicht auf einen Kreis winziger schwarzer Menschlein, die ich bisher nie gesehen hatte. Es waren dreißig Zwergneger, die hier nach Art der Orientalen auf den Sohlen hockten, die Körper dicht an die Oberschenkel gepreßt, das Gesäß an den Fersen. Ihre wolligen Köpfe zeigten bunten Federschmuck und glichen einem Staubwedel, der das Ausrangieren verdient. Unter dem weit in die Stirn reichenden Haaransatz sah ich Gesichtszüge, die, obwohl sie den reinen Negertyp verrieten, doch mehr angenehm und ausgeglichen waren und bei all der Unmenge von Runzeln und Falten durchaus eine lebhafte, frische Intelligenz verrieten. Die Augen waren übergroß wie bei Puppen, das Weiße hatte einen leuchtenden Schimmer, Nase und Lippen [147] mehr kaukasischen Schnitt, – der Körper selbst war symmetrisch, nur die Arme etwas zu lang. – Diese Zwerge, Männer von durchschnittlich 1,10 Meter Größe, waren mit Fellschurzen, Affenfellen, Wollschurzen, einige auch nur mit Bastschurzen bekleidet. Sie saßen wie ein Kreis sonderbarer Phantasiepuppen reglos da, ihre Augen hingen nur an Lylians umwölktem sorgenvollen Gesicht.

Daß ich bei diesem Anblick stutzte und im ersten Moment mehr als betroffen war, konnte Lylian kaum entgehen. Sie winkte mir müde zu und deutete auf den leeren zweiten Sessel.

„Es sind Doko-Leute, Abelsen … meine Getreuen …“

Das besagte für mich nichts. Meine Kenntnis über afrikanische Zwergvölker war gering, ich kannte nur die Akka-Zwerge durch die Schriften des deutschen Forschers Schweinfurth, der, von der Welt vergessen, irgendwo in Berlin jetzt lebt.[* 1] – Lylian hat mir bei anderer Gelegenheit sehr interessante Angaben über die Zwergrassen liefern können, die ich hier nicht übergehen möchte.

Die Zwergvölker Afrikas sind erst nach dem Jahre 1840, im Grunde erst am Ende des vorigen Jahrhunderts durch verschiedene Forschungsreisende besucht und untersucht worden. Bis dahin liefen [148] über diese Menschlein lediglich Gerüchte anfechtbarster Art von Mund zu Mund, – Händler, Reisende, Farmer erzählten mancherlei und begegneten damit nur einem zweifelnden Lächeln. Und doch zieht sich, wie nun einwandfrei feststeht, durch ganz Äquatorialafrika eine dünne, aber deutlich nachweisbare Kette von solchen Zwergrassen hindurch, beginnend an der Bango-Küste mit den schon den Portugiesen 1680 gerüchtweise bekannt gewordenen Bake-Bake bis nach den Somalländern im Osten, wo eben die Doko den Abschluß dieser Kette bilden.

Alle diese Zwergstämme lebten und leben in Urwäldern, sind reine Jägervölker, führen als Waffen vergiftete Speere und Pfeile, sind äußerst scheu und zeigen mit Ausnahme der Doko eine von den benachbarten Negern völlig abweichende Hautfarbe, hell schokoladenbraun bis gelblich, haben flaumartige vollständige Körperbehaarung von grauweißer Färbung, so daß infolge der zumeist verfilzten Haarschicht ursprünglich angenommen wurde, diese Zwergrassen wären vielleicht europäischen Ursprungs.

In der Reihe der Zwergstämme beanspruchen nun die Doko einen besonderen Platz. Sie leben in den Urwäldern und einsamen Steppen an der abessinischen Grenze nach dem Somali-Lande zu, ihnen fehlt der graue Haarflaum, ihre Gesichter sind weniger abstoßend und runzelig, ihre Intelligenz entschieden größer. – Ihr Äußeres fand ich durchaus angenehm, sie haben sehr kräftige Muskeln, sind [149] außerordentlich behende, tadellose Bogenschützen und geradezu erstaunliche Fährtensucher. Ihr Leben in der Wildnis, ein steter Kampf gegen Raubtiere aller Art, hat ihre Sinne wunderbar geschärft. Davon erhielt ich später noch übergenug Beweise.

Die Wissenschaft hat die Zwergvölker (Negrillos) zunächst als pathologisch, also krankhaft entartete Reste früherer normaler Stämme angesehen. Diese Ansicht vertrat insbesondere der deutsche Mediziner Virchow, der jedoch gegenüber dem abweichenden Standpunkt berühmter Afrikaforscher wie Schweinfurth, Fritsch, Hartmann seine Meinung nicht durchsetzen konnte. Schon die Tatsache, daß diese Kette von Negrillo-Rassen sich durch ganz Äquatorial-Afrika hindurchzieht, ferner die noch eindrucksvollere, daß in Indien, Südamerika ebenfalls Zwergvölker ähnlichen Typs nachgewiesen sind, zwingt zu dem einzig richtigen Schluß, daß es sich um besondere Menschenrassen, wahrscheinlich sogar um Reste der Urbevölkerung des Erdballes handelt …

Unsere Doko jedenfalls halte ich für eine selbständige Rasse, bei der freilich auch wieder Verschiedenheiten in Größe und Länge der Gliedmaßen je nach „Familien“ auftreten. Unsere Doko waren echte Zwerge ohne jede Entartungserscheinung, sie besaßen einen gewissen Schönheitssinn, die Neigung zum Verzieren ihrer Waffen und Freude am Putz. Perlenarmbänder, Messingringe um die Fußgelenke, [150] Stirnreifen und der Federputz sprachen für Eitelkeit und Freude am äußeren Tand, – ihr Charakter war schlicht, ehrlich, kühn und zuverlässig. –

Lylian Garden hatte mir wie stets, wenn ich sie besuchte, die Zigarettenschale hingeschoben.

„… Erkennen Sie nun meine Leibgarde wieder, Abelsen?“ sagte sie mit etwas gequältem Lächeln. „Was Sie für echte Hamadryas hielten, waren nur Mantelpavianfelle, in denen meine Doko steckten. Sie sind daran gewöhnt, diese Verkleidung zu tragen, sogar dazu gezwungen, wenigstens in ihren heimatlichen Wäldern, wo die Leoparden und Geparden sehr zahlreich sind. Kein Leopard greift einen Trupp Hamadryas an, mit einem einzelnen dieser Affen mag er fertig werden, mehrere dagegen zerfleischen ihn, und daher meidet er sie.“

Vieles von dem, was ich bisher hier nicht begriffen hatte, wurde mir jetzt klar. Lylian brauchte es mir gar nicht erst mitzuteilen, daß damals auf dem Tanzplatz ein Teil der Affen „Dokos in Fellen“ gewesen seien, daß ebenso Dokos den schwerverwundeten Turst zu unserer Laube gebracht hatten, daß Dokos uns ständig beobachtet und verfolgt hatten.

Trotzdem blieb noch die Hauptsache aufzuklären: Wie Lylian die „echten“ Affen sich untertan gemacht, was Lylian hierher geführt und was Turst mit seinen Andeutungen über das „Bild“ gemeint hatte.

Sie kam von selbst darauf zu sprechen, nachdem [151] wir erst einmal unsere bedrohte Lage erörtert hatten. – Der Berg war umzingelt, jenseits der Schluchten, die ihn schützten, steckten in jedem Dickicht, hinter jeder Felsgruppe ein paar Guasasso-Galla mit nur allzu guten Büchsen, mit Wurfspeeren, Wurfkeulen und geräuschlosen, starken Bogen und Pfeilen.

„… Wenn auch Gabara einen offenen Angriff vermeiden wird,“ sagte Lylian düsteren Tones, „so hat er es doch völlig in der Hand, uns auszuhungern. Am schlimmsten steht es bei alledem mit meinen armen Pavianen, die unten im Affensaal hausen. Sie sind daran gewöhnt, jeden Morgen die Ostschlucht oder die nahen Wälder zu besuchen und sich Nahrung einzusammeln. Wir haben unten allein achtzig Muttertiere mit Jungen, und die armen toten Hamadryas im Kanon beweisen zur Genüge, daß Gabara ein blindwütiger Schlächter ist.“ Ihre Stimme wurde scharf und drohend. „Dieser Mann, der mir seit Jahren nachspioniert und hier große Schätze zu finden hofft, hat seinen Angriff sehr sorgfältig vorbereitet. Die Wollo-Galla sind bis auf die wenigen, die noch hier weilen, nordwärts gezogen. Die Zeit der Feigenreife in den mittleren Berghöhen ist da, und sie sind es gewöhnt, die Früchte rechtzeitig zu ernten und nach den Märkten des mittleren Abessiniens zu schaffen. Hilfe von außen haben wir also nicht zu erwarten. Ich sehe sehr schwarz in die Zukunft, Abelsen … Die Hamadryas, [152] die doch nur durch mich und die Doko im Zaume gehalten werden, dürfte der Hunger sehr bald rebellisch machen. Und die Tiere niederzuschießen, – nein, niemals! Es muß ein anderer Ausweg gefunden werden. Schlimmsten Falles werde ich Gabara …“ – sie zögerte merklich – „etwas von dem opfern, was ich hier … bewache …“

Ich blickte sie forschend an.

„Mithin sind hier doch … Schätze vorhanden, Lylian?“ fragte ich gespannt.

Sie nickte schwach. „Mehr Schätze, als Sie ahnen, mein Freund … Ich möchte hierüber nicht weiter sprechen, mich bindet ein … Schwur – oder ein Handschlag …“

Sie deutete auf einen Doko, der ihr gerade gegenüber saß und als einziger ein Leopardenfell trug – als losen Umhang, vorn durch zwei Silberspangen zusammen gehalten.

„Das ist der Häuptling Patumengi, Abelsen. Er ist so alt, daß er seine Jahre nicht mehr zählen kann, aber sein Geist und sein Körper sind frisch geblieben. Ihm versprach ich einst zu schweigen …“

Der Doko, unter dessen buntem Staubwedel fast weißes Wollhaar schimmerte, sagte mit einer schrillen, harten Stimme in gebrochenem Englisch:

„Es ist so, Mr. Abelsen … Die Herrin gelobte es mir, und ich gelobte es dem Kaiser Theodorus, der sich erschoß, als die Engländer die Stadt Magdala erstürmten und das Reich Äthiopien eine [153] Beute der ländergierigen Engländer und Ägypter wurde …“

Was der Zwerg hier aus der Geschichte Abessiniens mit so knappen Worten andeutete, war mir damals durchaus neu und fremd.

Der greise Zwerghäuptling, der als einziger seiner Leute am Lendengurt zwei moderne Repetierpistolen in Schlangenlederfutteralen trug, fügte nach kurzer Pause hinzu: „Die Herrin sorgt sich vielleicht zu sehr um die Sicherheit derer, die jetzt hier im heiligen Berge wohnen. Gabara ist mächtig, aber der Oberpriester Homra ist noch mächtiger. Wenn Homra den Guasassos droht, daß ihre Herden dahinsterben werden, wie vor einigen Jahren, dann werden die Krieger sich gegen Gabara auflehnen und heimkehren nach ihren Weideplätzen.“

Lylian rief zweifelnd:

„Homra?! Wie käme er dazu, für uns einzutreten, mein treuer Patumengi.“

Der Zwerg wandte etwas den Kopf und fragte mich, indem er mich starr ansah:

„Kennen Sie Homra, Mr. Abelsen?“

„Leider … Er ist meines Erachtens ein heimtückischer, hinterlistiger Bursche …“

Der kleine Häuptling, dessen Gesicht so runzlig war, wie die Haut eines Nashorns in dem kurzen Genick, lächelte seltsam.

„Also kennen Sie ihn nicht, Mr. Abelsen … Ich kenne ihn besser … Ich werde mit ihm [154] reden, damit nicht noch mehr von den Tieren, die mir gehorchen, durch Wurfspeere und Pfeile und Keulen sterben … Ich liebe diese Tiere.“

„Wie ich,“ sagte Lylian voll Wärme. „Man glaubt, sie ließen sich nicht zähmen … Aber wer sie gut behandelt, wer wie ich zuerst vor ihnen durch einen Patumengi geschützt wurde, – wer sie aufwachsen sah und die bösartigen Gesellen mit der Lanze belehrte, daß Schläge sehr weh tun, der sieht in ihnen mehr als nur Affen … Alle Affen sind klug, alle. Im Umgang mit dem Menschen erwachen ihre besseren Instinkte, sie fühlen sehr bald, daß der Mensch ihnen näher steht als jedes andere Geschöpf… – Ich weiß nicht, Abelsen, wie Sie sich zu der Abstammungstheorie stellen, die den Affen unseren entfernten Vetter nennt. Ich persönlich zähle uns Menschen lediglich zu den höchstentwickelten Geschöpfen von der großen Familie der Urväter, – und das waren die Affen. In fernen, fernen Epochen des Erdgeschehens trat ein Zeitpunkt ein, an dem der Stammbaum der höchst entwickelten Affen, der Menschenaffen, mit einem besonderen Ast zur Menschwerdung emporsproßte. Dieser Zeitpunkt bedeutet den trennenden Schnitt zwischen Affe und Mensch, – aber der Stammbaum beider ist derselbe.“

Das wußte ich längst. Die natürliche Schöpfungsgeschichte war mir durchaus vertraut, genau so wie die biblische, – beide lassen sich sehr wohl in Einklang miteinander bringen für den, [155] der das willkürliche Weltgeschehen ablehnt und ein höheres Wesen als Allmacht anerkennt.

Und die Affen?! – Ich dachte wieder an meinen kleinen Maugli … an den kleinen, zärtlichen Kapuziner mit den braunen klugen Menschenaugen. Wer sich je die Mühe gegeben hat, die Seele eines solchen Tierchens zu studieren, wird von dem Hochmut, Mensch zu sein, für immer kuriert werden.

Doch das alles trat zurück gegenüber des Zwergenhäuptlings so gelassener Erklärung, er würde mit Homra, dem Oberzauberer, reden.

Lylian schüttelte den Kopf.

„Du, Patumengi?! – Niemals erlaube ich, daß du drüben bei den Guasasso-Galla dein Leben aufs Spiel setzt! Um den Preis, du Treuer, verteidige ich den heiligen Berg nicht.“

Der Zwerg erwiderte sehr ernst: „Es ist keine Gefahr dabei, wenn Mr. Abelsen mich begleitet … Würde ich allein Homra aufsuchen, könnte ich nichts ausrichten, oder …“ – seine Hand machte eine ungewisse Bewegung – „oder … ich würde vielleicht … stumm werden, denn Homra ist ein großer Zauberer, der größte, der je in diesen Steppen und Bergen lebte … Seine Weisheit ist wie der Wind, der in die verborgensten Spalten fährt, seine Kühnheit ist der des Ichneumons vergleichbar, das sich getrost der Schlange entgegenwirft, die zehnmal so viel wiegt als die zierliche Pharaonsratte, und deren Leibesringe das Tierchen zu Brei zerquetschen würden … – [156] Herrin, wenn die Nacht da ist, werden wir Homra besuchen.“

Lylian hatte sich erhoben.

„Nein – ich verbiete es!“ rief sie in jenem schroffen Tone, den ich bereits an ihr kannte. „Ihr beide sollt nicht euer Leben nutzlos wagen, denn – – wie käme Homra dazu, uns beizustehen?!“

Ihr Blick streifte mich, – sie errötete tief, und ich sah in ihr Herz hinein und wußte alles.

Patumengi erklärte sanft:

„Du kennst mich, Herrin … Gabara wird vor uns im Staube kriechen, und seine Leute werden uns nicht anrühren und ihre Zelte abbrechen und davonreiten … Ich weiß es …“

Lylian ging hastig um den Tisch herum und beugte sich zu Patumengi hinab …

„Ich glaube, du Treuer, du hast mir sehr vieles verschwiegen …“

„Das habe ich, Herrin … – Jetzt werden wir unten die Hamadryas beruhigen … Sie kreischen und lärmen, sie wollen, daß der Eingang wieder geöffnet wird. Wir werden ihnen von den Vorräten geben, Herrin, und das Wasser für sie holen wir aus dem Saal der weißen Göttin.“

Die Doko glitten lautlos hinaus, und Lylian und ich waren allein.


[157]
12. Kapitel.
Auf dem Gipfel.

Sie lehnte gesenkten Hauptes am Schreibtisch, auf dem ihre Bücher und Papiere lagen. Sie beschäftigte sich sehr viel mit wissenschaftlichen Dingen, sie war für eine Frau, die nebenbei so viel echtes Abenteurerblut in den Adern hatte, außerordentlich belesen und eigentlich auf jedem Gebiet erfahren.

Mit halb geschlossen Augen lauschte sie dem bedrohlichen Lärmen der Paviane, aber in ihren Zügen trat dann immer deutlicher eine gewisse Ratlosigkeit hervor, bis sie leise und mehr zu sich selbst sagte:

„Patumengi gibt mir immer neue Rätsel auf. Er war, als er noch jung war, des Kaisers Theodorus geheimer Sendbote, sein Vertrauter, zugleich so eine Art Hofnarr …“

Dann schaute sie mich an – vielleicht etwas verlegen:

„Sie werden vorsichtig sein, mein Freund … Ich bitte Sie darum … Obwohl Patumengi nie etwas verspricht, was er nicht halten kann.“

Ihre Sorge um mich entsprang einer heißeren Quelle als nur der einer kurzen Freundschaft. Mary Marlon war nicht ohne Grund eifersüchtig.

[158] Ich selbst empfand für Lylian vielleicht noch heißer, noch stürmischer, noch triebhafter. Eine Frau wie sie, kühnen, klaren Antlitzes, mit Augen, die des Herzens Sehnsucht kaum verbergen konnten, mit einem Körper, der sowohl Anmut, Kraft und Selbstzucht verriet, mußte mich Einsamen in Flammen setzen. Wir waren verwandte Naturen, – ihr lag das Abenteuerliche genau so unaustilgbar im Blute wie mir. Wir hatten oft genug an diesem Tische gesessen, und unsere Gedanken und Worte hatten einander ergänzt in regsamen Gesprächen, während drüben im „Salon“ die Amerikaner und Turst sich auf ihre Art zerstreuten. Oft genug hatte das Gedudel des Grammophons uns gestört, – bis ich dem Schreihals erbarmungslos das Genick gebrochen hatte … Nun stand die Drehscheibe still …

Oft genug war unvermittelt draußen vor dem Teppich der eherne Klopfer gegen die Messingscheibe, den Gong, geprallt, und Turst hatte von draußen mich gerufen und uns noch mehr gestört.

Vincent und Lylian mieden sich.

Woher ihre heimliche Abneigung eigentlich stammte, wußte ich nicht. Turst sprach über Lylian nur in wenig liebenswürdiger, ironischer Art. „Bücherschlange“, „Affenmutter“ – und ähnliches erfand er für sie als witzelnde Bezeichnung.

Nie sprachen sie miteinander, nie betrat Lylian den gemeinsamen Raum, – sie hielt sich auch von [159] den Amerikanern fern, obwohl es alles in allem nette Kerle waren, gute Kameraden und Leute von Mut und … Taktgefühl. Ihr Beruf als Filmmenschen hatte ihnen einen mehr internationalen Anstrich gegeben, ihr Amerikanertum hatte sich stark gemäßigt, die etwas rücksichtslose Selbstherrlichkeit dieser Dollarmacher war durch weite Reisen erfreulich abgeschliffen worden. Percy Falferlon zum Beispiel gefiel mir von Tag zu Tag besser. Ich spürte, daß er Mary ehrlich umwarb, obwohl er hierbei nie allzu sehr seine Behutsamkeit außer acht ließ, – er ahnte wohl, daß Mary für mich eine Schwäche empfand und wollte nicht der zurückgesetzte Liebhaber sein. –

Für einen Romanschriftsteller von Beruf hätte dieser Berg mit seinen Bewohnern starke Anregung zu Studien aller Art geboten. Es war ein wirklicher Zauberberg, ein unterirdisches Reich weit abseits von allem Alltäglichen, – – und dabei kannte ich seine tiefsten Geheimnisse noch nicht einmal in all ihren verschlungenen Pfaden.

Heute hier hatte mir die Schar der Doko bewiesen, wie wenig ich wußte, – und der greise Patumengi war lebendige Mahnung geworden, noch mehr Rätsel mir auszumalen, als ich es bisher getan hatte.

Die letzten Jahre meines Lebens, die doch nur einen bunten Strom von Menschenschicksalen bedeuteten, der mich mit sich fortführte und dann wieder an ein [160] neues unbekanntes Ufer warf, glaubte ich gekrönt durch meine Züge mit Reginald und Lizzie und Sussik durch die Steppen des wildreichen Ostafrika. Ich hatte geglaubt, daß es darüber hinaus nichts Bedeutenderes, nichts das Herz noch stärker Packenderes geben könnte. – Es war dies ein Irrtum gewesen.

Der Zauberberg hier war vielleicht nicht das atemberaubende Erleben jener Monate, als wir mit Blitzlicht und Kamera in der Boma dem Raubzeug auflauerten oder als ich mit Coy, dem nie Vergessenen, durch die Pampas jagte und die ewigen Eiskronen der stolzen Andenhäupter erklomm …

Es war ein Zauberberg ganz besonderer Art.

Und sein stärkster Zauber hieß Lylian Garden.

Dieser Zauber übermannte mich, als ich aus ihren Worten die bange Sorge um meine Sicherheit hindurchklingen hörte.

Ich erhob mich, – ich griff nach ihren Händen.

Mary – – ja, das war etwas ganz anderes.[10]

Hier aber schwang meine Seele mit und drängte mich zu der Frau hin, die ich liebte.

Unsere Hände fanden sich, – aber in ihren Augen las ich deutlich das bange Flehen, den Zauber dieser Freundschaft nicht zu zerstören.

In demselben Moment schlug draußen der Klöppel gegen die Messingplatte, und Tursts Stimme rief herausfordernd-beißend:

[161] „Olaf, du infamer Bursche, – endlich habe ich die Grammophonfeder gefunden!“

Konnte es etwas Lächerlicheres geben als diese Störung?!

„Ich komme …“ rief ich zurück und … verneigte mich vor Lylian etwas schuldbewußt und verließ das Studio.

Draußen nahm Vincent mich lachend in Empfang und zog mich hastig in mein Gemach hinein, wo Freund Fennek noch immer auf seinem Fensterplatz lag und nun freudig die Standarte wehen ließ.

Vincent lachte nicht mehr. Ein Blick in sein Gesicht verwirrte mich. Es war nicht mehr das Gesicht eines Genesenden, nein, – Vincent hatte viele Stunden droben im Grase auf dem Berggipfel gelegen und war gesund und frisch wie einst.

Er stand vor mir, und in seinen Augen war der trübe Schimmer irgendeiner geheimen Qual.

„Was fehlt dir?!“

Er lächelte weh.

„Komm mit nach oben,“ sagte er. „Wir alle waren bis jetzt droben, wir wissen nun Bescheid. Gabaras Leute geben sich keine Mühe mehr, sich zu verbergen. Ich habe die Amerikaner beruhigt … Falferlon wollte natürlich sofort losknallen, du kennst ihn ja. Ich habe ihm die Büchse abgenommen. Aber mit dir, Olaf – mit dir möchte ich droben allein sein … Ich habe mit dir zu reden – Auge [162] in Auge, als Freund zum Freunde. Nimm deine Winchester mit – für alle Fälle …“

Seine Feierlichkeit berührte mich ganz seltsam.

Der Anstieg zum Gipfel war recht unbequem.

Der natürliche Felsengang hatte sehr enge, sehr steile Stellen. Es gab zwar Leitern und Taue, aber man war doch stets außer Atem, wenn man die grüne Kuppe erreicht hatte.

Das Panorama ringsum machte dann freilich alles wett. Nach Süden zu blickte man über die Vorberge in endlose Steppen, dunkle Urwälder, nach Ost und West ragten die steilen Gebirgsketten mit grünen, freundlichen Hängen in den lichtblauen Himmel, nach Norden zu erkannte man ganz fern die weißen Brautschleier der ewigen Schneefelder der höchsten Erhebungen des Reiches Äthiopien.

Vincent setzte sich unter einen der Ölbäume, – Fennek schnüffelte nach Mäusen (ich hatte ihn im Rucksack mitgeschleppt), – ich selbst beäugte drüben die Ränder der Schluchten und gewahrte auch hier und dort einen der Feinde.

„Olaf,“ begann Vincent nach einer schwerblütigen Pause, „Patumengi sprach vorhin mit mir, als er Lylians Gemach verließ …“

„Kanntest du ihn?“

„Ich kenne ihn seit Jahren, aber ich wußte nicht, daß er hier dasselbe Spiel trieb wie in seiner Jugend, als er mit seinen Doko im Jahre 1868 die belagerte Stadt Magdala in Affenfellen verließ. [163] Drei Tage später, am 14. April, erschoß sich Kaiser Theodorus während eines Sturmangriffs der Engländer aus Verzweiflung über den Zusammenbruch seines Reiches. Er hatte das Kaiserreich Äthiopien gegründet, – England trieb ihn in den Tod, aber nach nur zehn Jahren innerer Wirren einte sein Nachfolger Johannes aufs neue die aufsässigen, bestochenen Fürsten und vertrieb die Fremdlinge, sein Neffe Menelik drängte auch die Italiener zurück, und heute ist Abessinien ein freies großes Land … – Was Patumengi betrifft: Er muß uralt sein. Die Doko sollen sehr langlebig sein, ich schätze sein Alter auf hundert Jahre …“

„Unmöglich …! Er ist so frisch wie …“

„Nichts ist unmöglich, Olaf … Hättest du je gedacht, daß ein Teil der Mantelpaviane … Menschen sind?! – Ich selbst wußte es nicht, obwohl … ich es mir hätte sagen müssen, denn Patumengi verehrte Lylian stets wie eine Heilige.“

„Er kannte sie also, bevor sie hierher kam?“ fragte ich etwas unüberlegt, denn die Frage hätte ich mir selbst beantworten können.

Vincent nickte. „Setz’ dich hier zu mir, Olaf.“

Ich tat es – und recht schnell, denn von drüben zischten ein paar Kugeln durch die Büsche. Die eine zerstiebte an einem Felsen, und ein Bleisplitter riß mir das Kinn auf.

„Narren!“ sagte Vincent verächtlich.

Ich trocknete das Blut mit einem Stück Moos [164] und rief Fennek herbei. Wir saßen hier in einer Mulde, und weitere Schüsse schadeten nur den Bäumen.

Turst hatte sich bedächtig eine Zigarre angezündet.

„Ja, Olaf, Patumengi kannte Lylian seit Jahren – schon in Addis Abeba, wo er am Hofe des Negus Negesti sehr geachtet ist …“

Er schaute still vor sich hin …

„Olaf, wir sind Freunde …“ begann er wieder …[11]

„Das sind wir, mein lieber Vincent … Zweifelst du daran?“

„Nein … Und doch wünschte ich, wir wären uns nie begegnet …“

Ich beugte mich vor …

„Vincent, du … liebst Lylian Garden!“

Er wandte den Kopf, unsere Augen begegneten sich …

„Ja, ich liebe sie, Olaf …“

„Warst du mit ihr in Addis Abeba zusammen?“

„Täglich …“ – und er lächelte schwermütig. „Zu oft waren wir zusammen … Lylian war Erzieherin bei den Kindern des englischen Gesandten, ich war Hoftierarzt, das weißt du. Ich stand im Range den Mekunen gleich, den höchsten Würdenträgern … Ich war beliebt in der Europäerkolonie, ich spielte mit Lylian Tennis, ritt mit ihr auf die Jagd …“

[165] Er atmete schwer …

„Sie … wurde meine Frau, Olaf … Sie ist es noch heute.“

Ich saß wie versteinert da. In meinem Hirn tasteten die Gedanken rückwärts in die Vergangenheit … und wieder sank ein Teil der Schleier, die mir die Geschehnisse dunkel und vieldeutig gemacht hatten.

Vincent rauchte krampfhaft … Er suchte seiner Erregung Herr zu werden.

„… Unsere Ehe war zunächst sehr glücklich,“ sagte er leise … „Aber Lylian und ich glichen uns in vielem so vollständig, daß wir gerade infolge gemeinsamer geistiger Interessen und infolge gleichen Bildungsgrades bei Gesprächen über wissenschaftliche Fragen oder Beurteilung von Büchern hart aneinander gerieten. Ich war ein … Starrkopf, sie erst recht, – das, was in anderen Ehen ein neues seelisches Band hätte werden können, ward bei uns zum kalten Messer, das uns trennte.“

„Das … begreife ich nicht,“ meinte ich noch völlig benommen.

„Oh, – Lylian schriftstellerte … Lylian schrieb an einem Werk über die Geschichte Abessiniens, und ich … hatte vor unserer Ehe denselben Ehrgeiz gehabt, ein gleiches Werk nach bestem Quellenmaterial zu schaffen. – Genug, – ich war so töricht, Lylians geistige Überlegenheit als lästig zu [166] empfinden, wir entfremdeten uns, und nach einem Jahr verschwand Lylian spurlos …“

„Und – kam hierher?“

„Ja, hierher – mit Patumengi, dem Zwergenhäuptling, und mit ihrem anderen blind ergebenen Freunde, dem Oberhäuptling Hamiru der Wollo-Galla, die ihr Geheimnis vier Jahre hüteten und nichts verrieten. – Als ich Lylian verloren hatte – ich hielt sie für tot, verunglückt, in den Bergen von Löwen zerrissen – kam die innere Einkehr, die Reue und … die Sehnsucht, Olaf … Zwei Jahre blieb ich noch in Addis Abeba, dann … verschwand auch ich – in aller Stille … Ich hatte die Stadt hassen gelernt, in der ich glücklich gewesen war und mein Glück zerstört hatte. Ich wollte das werden, was du bist, Olaf: Weltentramp, Abenteurer ohne Selbstsucht, – – Büßer, Eremit.“

Abermals schaute er mich an …

„Glaube mir nicht alles, Olaf … Wie es in meinem Herzen aussieht, zeige ich niemandem …“

Er senkte wieder den Kopf.

„… Ich fand Lylian, und ich kam als Todwunder zu ihr, und sie … brachte mich fort aus ihrem seltsamen Reich und zeigte mir, daß ich ihr nichts mehr galt … Und du kamst, – – und du bist mein Freund, gerade du mußtest mir … die letzte Hoffnung rauben, denn Lylian … liebt dich!“

Wenn zwei Männer in solcher Umgebung, [167] unter solchen Umständen Klarheit schaffen wollen, – und wenn es wirklich Männer sind, so gibt es zwischen ihnen keine tönenden Phrasen und langen tiefsinnigen Reden, wie vielleicht die Dichter von Ruf sie ihren Helden in den Mund legen, – Phrasen, an denen sie herumfeilen und vertiefen und vertiefen, bis alles nur … literarischer Ballast ist.

In dem Augenblick, als Vincent mir die Qual seiner Seele enthüllte, vollzog sich in mir derselbe mir längst bekannte Vorgang, der mich noch stets die sogenannten Rosenfesseln rechtzeitig hatte abschütteln lassen.

„Du irrst!“ sagte ich ehrlich. „Lylian liebt mich nicht, – genau so wenig, wie ich sie liebe. Das Schicksal hat mich dazu bestimmt, Frauen Empfindungen vorzutäuschen, Frauen sich selbst belügen zu lassen … Ich bin noch keiner Frau der Eine, Einzige gewesen, – ich war ihnen immer nur der interessante Typ, ein interessanter Ersatz, ein Notbehelf, ein Freund – das ja, – nie mehr, und letzten Endes haben sie alle das erkannt und … mich vergessen. – Vincent, nur an dir wird es liegen, Lylian dir zurückzuerobern. Bisher hast du nicht gerade die richtigen Mittel dazu gewählt. Liefere ihr den Beweis, daß du bereust und daß sie dir jetzt mehr gilt denn je, und sie wird die deine sein … Sie war dein, und keine Frau vergißt den Mann, dem sie aus Liebe sich hingab …“

Turst war nicht Romanfigur.

[168] Dieser Zauberberg duldete kein Wortgeklingel …

Er reichte mir die Hand, wir schauten uns an, und – – wir waren bessere Freunde denn je.

Als wir nachher den Abstieg begannen, sagte er nur:

„Laß dir Lylian gegenüber nichts anmerken.“


[169]
13. Kapitel.
Homra, der Oberzauberer.

… Der Tag verging …

Die Guasasso drüben knallten zuweilen auf einen vorwitzigen Pavian, der sich in den Fensterlöchern zeigte.

Falferlon ließ das Grammophon spielen, denn ich hatte den Herrschaften im Salon mitgeteilt, daß Patumengi den großen Zauberer Homra dazu bewegen würde, die Feinde zum Abzug zu zwingen.

Mary besuchte mich nachmittags, nannte mich dreimal Eiszapfen, – Fennek schnappte dreimal nach ihren Waden, und sie verließ mich abermals tief enttäuscht und gekränkt und meinte, Percy Falferlon würde sich kaum so lange bitten lassen. –

Der Mond schien schräg in den Kanon hinab. Patumengi und ich schauten durch eins der Fenster des unteren Ganges und sahen überall die Wachtfeuer der Guasasso flackern.

Im Affensaal herrschte Ruhe. Die Tiere hatten sich auch an mich gewöhnt, und einige Männchen begleiteten Patumengi und mich bis zum Höhlenausgang.

Zu meinem Erstaunen waren von der Barrikade einige Steine entfernt, und draußen hinter den [170] Dornen hockten friedlich drei Wollo, zehn Zwerge und einige zwanzig Affen.

Der Häuptling der Doko zündete eine Harzfackel an, nahm in die rechte Hand einen grünen Zweig, hielt ihn ganz hoch und schritt vor mir her den Serpentinenpfad hinab.

Unangefochten gelangten wir über den Fluß und in den Kanon. Hier standen vier Guasasso Posten, weiter hinten lagerten etwa fünfzig.

Obwohl wir doch als Unterhändler kamen, obwohl wir nur die Pistolen bei uns hatten und ich in einem der Posten Habiru, den Sohn des Heiitsch, wiedererkannte und ihm sofort bedeutete, daß wir seinem Vater ein Friedensangebot unterbreiten wollten, wurden wir sofort gepackt, an den Armen gefesselt und wie Vieh unter Lanzenstößen die Stufen emporgetrieben.

Der Heiitsch hatte sein Zelt oben in einer Waldlichtung aufgeschlagen. Er saß am Feuer, rauchte und begrüßte mich, indem er mir vor die Stiefel spuckte …

„Du hast mich gedemütigt,“ sagte er mit einer etwas merkwürdigen Logik, „– du hast mir die Flinten und Tiere abgenommen, – ihr alle werdet sterben!“

Ringsum standen noch etwa dreißig Zelte, und an die achtzig Guasasso wohnten diesem … Empfange bei.

Der Zwergenhäuptling, dem man noch übler [171] mitgespielt hatte als mir, wurde jetzt auf Gabaras Befehl eine Lassoschlinge über den Kopf geworfen, ein Krieger erkletterte einen Baum, und …

Patumengi starrte Gabara lange an.

„Heiitsch, wo ist Homra?“ fragte er, während ich in ohnmächtigem Grimm mit ansah, wie die Schlinge sich enger und enger zog.

Gabara gebrauchte ein ordinäres Schimpfwort …

„Homra?! – Hoffentlich haben ihn die Hyänen gefressen, den …“

Der Zwerg schwebte schon halb in der Luft.

Röchelnd stieß er hervor: „Gabara, deine Zeit ist da!! Schau’ dich um!!“

Zwischen den Zelten erschien ein Dromedarreiter, – bucklig, in bunte Decken gehüllt, den Zipfel einer Decke vor dem Gesicht: Homra!

Der Heiitsch schnellte empor.

Homra trabte durch die zurückweichenden Krieger, – ein Messer blinkte, der Lasso fiel herab, Patumengi sank nach vorn ins Gras, und der Oberpriester glitt aus dem Sattel, lüftete die Schlinge und richtete den Halberwürgten auf.

Gabara wollte ihn wegstoßen …

„Menge dich nicht ein, Homra, – hier befehle ich, hier wird …“

Die gebieterische Handbewegung des Buckligen, dessen dick geschwollene Finger von Schmutz starrten, brachte ihn zum Schweigen.

[172] Homras Arm deutete dorthin, wo die Dromedare weideten … Auch dort brannten Feuer.

Mit einer gräßlichen, heiseren, pfeifenden Stimme rief er ein paar Worte in der Galla-Sprache.

Dann beugte er sich nieder, hob ein wenig Erde auf und schleuderte sie über Gabaras Kopf in die Luft …

Der Heiitsch brüllte jäh wie von wahnwitzigen Schmerzen gefoltert, preßte die Fäuste in die Augen, taumelte zurück und warf sich lang ins Gras, bohrte den Kopf in den Sand, – – brüllte … heulte …

Homras erhobener Arm deutete nochmals auf die weidenden Tiere, nochmals rief er etwas in der Galla-Sprache mit dieser entsetzlichen, die Nerven aufpeitschenden Stimme …

Ich sah, wie die Tiere drüben seltsam zu schwanken begannen, – eins nach dem andern fiel auf die Seite, strampelte kraftlos mit den Beinen, – – und die fürchterlichen Todesschreie der armen Kreaturen übertönten noch Gabaras heiseres Winseln …

Gabara war aufgesprungen …

Wie ein Blinder streckte er die Hände vor …

„Homra, – – gib mir das Augenlicht wieder …!!“

Ein Fußtritt des unheimlichen Zauberers schleuderte ihn in das Feuer vor dem Zelt, – heulend [173] rannte er gegen einen Baum, schlug abermals zu Boden …

Die Guasasso kümmerten sich nicht um ihn.

Wie gehetzt brachen sie die Zelte ab, wie gehetzt sattelten sie die noch lebenden Tiere …

Das war Panik, – das war Flucht vor dem Verderben, – das war Angst vor dem Buckligen, der sich neben seinem Dromedar in das Gras gesetzt hatte und mit dem Finger in einen kahlen Sandstreifen allerlei Zeichen malte.

Patumengi trat hinter mich und zog mir mit den Zähnen die Knoten der Fesseln auf.

„Homra ist gekommen, Mr. Abelsen,“ sagte er schlicht. „Ich wußte … Die Guasasso werden Gabara nie mehr als Heiitsch anerkennen … In einer Stunde wird kein einziger mehr in der Nähe sein.“

Ich befreite ihn von den Fesseln, und – – urplötzlich erhob sich da aus der Richtung des Berges dasselbe wilde ohrenbetäubende, satanische, schrille Heulen der Hamadryas, das ich bereits einmal gehört hatte.

Habiru, des Heiitsch Sohn, stürzte herbei …

Habiru lud den Bewußtlosen auf ein Dromedar, riß das Zelt weg, – – und wir waren mit Homra und den toten Tieren allein auf der von roten Lichtreflexen erfüllten Lichtung.

Wir hörten die Affen kreischen, wir hörten das [174] Poltern des Gesteins unter den Hufen der Dromedare der abziehenden Feinde …

Homra malte weiter seine Kringel in den Sand, wischte sie glatt, malte neue und wiederholte dies so lange, bis Patumengi ihn sanft berührte und fragte:

„Wirst du zu uns in den Berg kommen, o Homra, der du das Augenlicht raubst, Tiere sterben läßt und Tiere gesund machst?“

Der Bucklige nickte nur.

Patumengi winkte, und wir schritten dem Kanon zu, sprangen die Stufen hinab, überquerten den Fluß und stiegen den Serpentinenpfad zur Terrasse empor.

Hier herrschte ein tolles Gedränge: Affen, Wollo, Zwerge, die Amerikaner – – alles heulte, schrie, kreischte …

Erst unser Erscheinen und die Knüttel der Wollo schafften Ruhe.

Mary stürzte auf mich zu.

„Olaf, – – was ist geschehen?!“

Percy Falferlon hielt mich fest …

„Abelsen, – ist dieser Oberzauberer tatsächlich für uns eingetreten?! Wie war es?!“

Man umringte mich …

Die Wollo und die Zwerge trieben die Paviane in die Höhle zurück … Der kleine übernervöse Filmoperateur James Duc, der doch in kritischen Momenten so erstaunlich kaltschnäuzig sein konnte, [175] grobste die anderen wütend und ungeduldig an. „Ihr laßt ihn ja gar nicht zum Reden kommen …! Teufel nochmal, – ist das eine Art, Falferlon?! Das ist hier ja der reine Hexensabbath! Die verdammten Affen, – hau’ dem Vieh eins auf die Schnauze, Mary …“

Mary kreischte, – ein Pavianmännchen interessierte sich allzu nachdrücklich für ihre Beine. Einer der Doko holte mit dem Knüttel aus … Diese „Erzieher“ aus Nashornhaut hinterließen stets auf dem Rücken der Tiere lange Striemen … Der kleine Patumengi, der ein ganzes Jahrhundert hinter sich haben sollte, war entschieden über die lärmende Neugier der Amerikaner höchst belustigt.

„Kommt nach oben,“ sagte ich gereizt. „Meine Nerven sind[12] nicht ganz in Ordnung. Dieser Homra ist ein Teufel und Gott zugleich … – Wo steckt eigentlich Turst?!“

Falferlon grinste. „Der schläft längst, der hat für unsere Sorgen verflucht wenig Anteilnahme gezeigt … – Also – nach oben! Mary, gib mir deinen Nilpferdtröster … Die Viecher sind besessen, und die Doko sollten auch etwas mehr piano kreischen, – das hält ja kein Mensch aus!“

James Duc feixte ihm ins Gesicht. „Du bist am besessensten, Percy … Rechne lieber aus, was uns der Film einbringen wird … Morgen wird alles gedreht – alles … Zweitausend Meter Landschaftsaufnahmen habe ich schon …“

[176] So allmählich gelangten wir doch nach oben. Im „Salon“ erstattete ich Bericht. Die Amerikaner saßen stumm da … Auch ihnen fuhr diese Schilderung in die Dollar-Knochen …

Patumengi war zu Lylian hineingeschlüpft. Mir war es sehr lieb, daß er mir diese Pflicht abnahm, auch sie von dem Vorgefallenen zu verständigen.

Falferlon fragte leicht beklommen: „Ob dieser Homra tatsächlich sich hier einfinden wird? Ich zweifele daran, – aber ich wünschte, er käme …“

Draußen im Flur hörten wir jetzt Vincent schimpfen. „… Bei dem Radau kann kein Mensch ein Auge zutun …!!“ Er schlug den Vorhang zurück und trat gähnend ein. „Seid ihr denn alle übergeschnappt?! Ist das ein Grund, den ganzen Berg rebellisch zu machen?! Die Banditen draußen hätten wir auf andere Art verjagt … Ich verbitte mir diesen Lärm!!“

James Duc krähte ihn feixend an: „Legen Sie sich wieder in die Koje, Doktor!! Ich bringe Ihnen den Dudelkasten und lasse die Arie aus …“

Turst drehte uns den Rücken zu, und machte eine in Damengesellschaft wenig angebrachte Handbewegung und verschwand.

„Empörend!“ sagte Mary und verdeckte ihr lachendes Gesicht mit dem Taschentuch. „Kinder – jetzt feiern wir Siegesfest … Honigschnaps ist übergenug da … Schlafen kann ja doch keiner … Falferlon, her mit den Bechern …! Duc, Sie alter [177] Zappelphillipp, holen Sie die Krüge! Vorwärts, seid nicht so schwerfällig! Und du, Olaf, old Boy, – setze du eine andere Miene auf! Dir scheint der Zauber des Oberzauberers noch immer in den Knochen zu stecken …!“

Mary hatte schon recht. Erlebnisse dieser Art können unmöglich spurlos an einem Menschen vorübergehen, der mit so ernster Auffassung wie ich allen ungewöhnlichen Ereignissen gegenübersteht. Ich bin mein Lebtag nicht abergläubisch gewesen, ich habe sogar mit schärfster Kritik die modernen Phänomene des großen Gebietes des Okkultismus beobachtet, – hier hatte ich mit eigenen Augen Dinge geschaut, die an Übernatürliches grenzten. Ich kannte den plumpen Hokuspokus sogenannter „Heiliger“, ich war vielleicht mehr als mancher andere befähigt, Ursache und Wirkung zu ergründen. Für Homras unheimliche Macht gab es ebensowenig eine Erklärung wie für dieses seltsamen Menschen rechtzeitiges Erscheinen überhaupt. Wer hatte ihn herbeigerufen?! Der kleine greise Patumengi mit der unentwickelten Knabenfigur und den eisernen Muskeln?! Wie konnte der Häuptling des Zwergenvolkes überhaupt in so innige Beziehungen zu Homra getreten sein?!

Erst recht begriff ich die geradezu beispiellose Oberflächlichkeit der Amerikaner in keiner Weise. Sie begnügen sich mit der Tatsache: Der Feind zieht ab, wir sind frei, – die tieferen Ursachen waren [178] ihnen gleichgültig. Wenn ihnen vielleicht noch etwas nahe ging, so war es die geschäftliche Seite der Geschehnisse: Es ließ sich mit alledem Geld machen! Der mit allen Salben gesalbte Falferlon hatte zweifellos schon eine Idee fix und fertig, hier einen Film zusammenzustellen, der mit seinen Innenaufnahmen des Zauberberges und seiner Bewohner, mit den Bildern der Doko, der Wasserfälle, des Rundpanoramas, ein unerhörter Erfolg werden mußte!

Siegesfest feiern!! In lautem Lärm, in Alkohol vielleicht die leisen Stimmen des Inneren betäuben, die nach gründlicherer Erfassung der Dinge verlangten, – das lag ihnen!

Ich, ich fühlte mich in diesem Kreise fremd, ich sehnte mich nach Lylians stiller, vornehmer Redekunst, nach ihrer seelischen Vertiefung, die niemals die feine Grenze zwischen tönender Phrase und wahrer geistiger Kultur überschritt.

Anderseits – glücklich diese Naturen, die alles so leicht nahmen, die meine nordische Schwerfälligkeit belächelten und nur nach dem Genuß des Augenblicks haschten.

Als sich eine Gelegenheit bot, mich unbemerkt davonzustehlen, tat ich es sofort.

Ich ging leise bis zu dem dicken Teppich vor Lylians Studiotür. Ich hob die Hand nach dem Klöppel des Gongs …

Eine Hand legte sich leicht auf meine Schulter.

[179] Hinter mir stand Homra … Die beiden hier im Gange hängenden Karbidlampen zeigten mir sein Äußeres so, wie ich ihn stets gesehen … Durch die Risse der fadenscheinigen Decke, die er über sein Gesicht gebreitet hatte, blickten undeutlich zwei Augen …

Er schüttelte leicht den Kopf, schob den Teppich ohne weiteres zurück und trat ein.

Lylian saß in ihren hellen Gewändern in dem Armsessel hinter dem Tische, vor dem Tische hockte Patumengi, der mit stoischer Ruhe eine Pfeife aus Bambusrohr mit rotem Tonkopf rauchte. Bei unserem Erscheinen erhob sich Lylian mit freudiger Eile. Sie schien Homra danken zu wollen, aber seine stolze Handbewegung bannte sie an ihrem Platze, ihre halb erhobene Hand sank wieder zurück.

Er wandte sich dem Häuptling der Doko zu, winkte befehlend, und Patumengi richtete sich auf und sagte unterwürfig:

„Herrin, er wünscht vor dem Antlitz der Göttin zu sprechen … Herrin, wir wollen gehen …“

Lylian zauderte …

„Patumengi, und unser Schwur?!“

„Herrin, auch das Letzte wird nun erfüllt werden … Sei getrost! Was der Kaiser Theodorus, dem ich in Treue diente, mir befahl, verstößt nicht gegen Homras Wünsche … Gehen wir … All die anderen werden nicht das schauen, was wir gesehen [180] haben, was auch Mr. Abelsen und Homra sehen wird …“

Lylian musterte Homra mit eigentümlicher Starre im Blick.

„Ich … gehorche,“ sagte sie mit schwerer Zunge.

Und seltsam schweren Schrittes ging sie uns voran.

Des Zauberberges allerletzte Geheimnisse taten sich mir auf.


[181]
14. Kapitel.
Das letzte Geheimnis.

Im oberen Gang lagen stets in einer Nische des Felsens eine Menge Harzfackeln bereit. Abessinien ist heute arm an Bäumen, die harzreich sind, in früheren Weltepochen müssen jedoch hier Kiefernwälder von größter Ausdehnung vorhanden gewesen sein, die in den Schluchten des Gebirges der heutigen Generation an vielen Stellen verwitterte, fast versteinerte Aststücke mit sehr dickem Harzüberzug spenden, meist keulenartige Gebilde, denen man auf den ersten Blick ihre besondere Beschaffenheit gar nicht ansieht. Die sandigen, trockenen Flußbetten, die nur in der Regenzeit für kurze Dauer Wasser führen, schwemmen diese Keulen an geröllhaltigen Engpässen haufenweise an, – man braucht den Sand kaum metertief umzugraben, und der Ortskundige wird regelmäßig auf ein Heiz- und Leuchtmaterial stoßen, das sich durch sparsames Brennen, wenn auch durch starke Qualmentwicklung auszeichnet.

Alle die hier im unterirdischen Reiche Lylian Gardens benutzten Fackeln entstammten den Schluchten rings um den Zauberberg, und hauptsächlich im Kanon lagen an den Seiten der Steilwände unter dem Geröll geradezu Unmengen dieser Dschima, wie die Wollo-Galla sie bezeichneten.

[182] Jeder von uns suchte sich eine möglichst lange Dschima heraus, und mit diesen tropfenden, knisternden Fackeln in den Händen stiegen wir in den Affensaal hinab.

Die Erregung der Hamadryas hatte sich noch nicht völlig gelegt. Der verschlossene Hauptausgang war für sie der Anlaß zu ärgster Unzufriedenheit gewesen, die Reizbarkeit der Tiere hatte eben ihren Grund in diesem ihnen für einen Tag versperrten Weg ins Freie, und als die Doko und die Wollo die Felsen und die Steine dann weggeräumt hatten, war auch die Freude dieser Vierhänder durchaus begreiflich und hatte sich in jenem infernalischen Geheul Luft gemacht, das mich drüben im Lager Gabaras so seltsam berührt hatte.

Das Leben und Treiben in dieser Affenkolonie hätte jedem Tierfreunde reichsten Beobachtungsstoff geboten. Vielfach ist bestritten worden, daß die Paviane, die Hundsnasenaffen und ihre verwandten Abarten, Nester bauen. Sie bauen solche freilich nur für ihre Weibchen und ihre Jungen. Sobald der Nachwuchs herangereift ist, und in dieser Beziehung machen die Affenmütter ihre Kinder sehr bald selbstständig, wird das Nest kaum mehr benutzt und die ganze Herde kauert sich in Felsspalten eng nebeneinander zum Schlafe oder zum Ausruhen nieder. Der „Herdentrieb“ der Hamadryas muß als sehr stark entwickelt bezeichnet werden. Eigenbrötler kommen kaum vor. In allen Fällen handelt es sich dann [183] um kranke oder durch Alter hinfällige Exemplare, die sehr bald die Beute der Leoparden werden.

Lylians Erscheinen im Affensaal weckte heute noch weit stärkere Freude als sonst. Wie verfehlt es ist, die Mantelpaviane, die Mandrills, die Drills und die Makaks (von denen sich der etwas kleinere Magot durch das gänzliche Fehlen des Schwanzes unterscheidet) als unintelligent hinzustellen, bewies die Begrüßung Lylians durch ihre Affengarde. Die Männchen stürmten ihr entgegen, minutenlang gab es wieder einen wahren Höllenlärm, der meinen überreizten Nerven geradezu wehtat. Eigentümlich war, daß die Tiere, die doch sonst jede fremde Person zumindest argwöhnisch umschlichen oder gar durch kräftiges Betasten mit den Pfoten belästigten, auch Homra unbeachtet passieren ließen, obwohl gerade er ihnen unbedingt auffallen mußte.

Lylian wandte sich dem Ostwinkel der Höhle zu, in dem es selbst am Tage der fehlenden Lichtlöcher wegen völlig dunkel war und den ich noch nie betreten hatte. Es gab hier eine Geröllhalde, die, wie ich jetzt merkte, einen weiteren Tunnel verdeckte, der sich in sanftem Gefälle und in leichter Krümmung nach Norden abwärts senkte.

Wir gelangten schließlich in eine domartige, sehr ausgedehnte Grotte, die etwa mit dem Fluße draußen in einer Höhe liegen mußte, denn das rote Licht der Fackeln ward hier von einem blanken Wasserspiegel zurückgeworfen, einem kleinen See mit [184] Zu- und Abfluß, der für unsere Beleuchtungskörper wie ein Spiegel wirkte. Lylian war zuletzt rascher ausgeschritten, hatte die hier in den Steinwänden festgeklemmten Fackeln an der linken Wand des Domes entzündet, während Patumengi dies an der rechten Seite tat. Homra und ich blieben am Seeufer stehen.

Mit jeder neu aufflammenden Fackel wich die Dunkelheit in den tieferen Teilen der Höhle immer mehr und mehr.

Aus dieser Finsternis schälte sich so am jenseitigen Seeufer ein hoher, heller Thronsessel mit einer weiblichen Figur in farbigen Seidengewändern und einem strahlenden, übergroßen Diadem im frei zurückgestrichenen Haupthaar plastisch heraus. Neben diesem elfenbeinernen Sessel mit Elefantenköpfen und Schlangenfüßen standen drei Meter hohe Dreibeine aus blankem, rötlichen Metall, die oben flache Schalen mit Harzscheiten trugen.

Lylian entzündete auch diese Scheite.

Nun erst sahen wir alles ganz deutlich:

Die Frau war eine Mumie, ungeschickt geschminkt, um die Hautfarbe des Lebens vorzutäuschen.

Lylian hatte sich vor dem Elfenbeinsessel auf einen Stein niedergelassen, Patumengi winkte und führte uns links um den See herum über eine roh gebaute Steinbrücke und machte erst neben Lylian halt.

Der winzige greise Häuptling der Doko verneigte [185] sich dreimal tief vor der Toten, murmelte irgendwelche besonderen Worte und wandte sich hierauf an Homra und mich.

„Die Tote dort,“ sagte er leise und feierlich, „ist des Kaisers Theodorus Lieblingsgattin Mennikara, die strahlende Sonne. Als der Kaiser damals vor vielen Jahren (April 1868) während der Belagerung Magdalas durch die Engländer erkannte, daß diese beim nächsten Sturmangriff in die Stadt eindringen würden, da übergab er mir und meinen Leuten, die wir in Affenfellen für ihn Späherdienste verrichtet hatten, die wertvollsten Stücke seines Schatzes und seine Lieblingsgattin und befahl mir, diesen Berg aufzusuchen und hier abzuwarten, ob es ihm gelingen würde, der fremden Eindringlinge und der rebellischen, bestochenen Fürsten wieder Herr zu werden. – Sollte ich sterben, so befahl er weiter, wirst du, Patumengi, für Mennikara sorgen und die Schätze erst dann wieder meinem Nachfolger übergeben, wenn Äthiopien ein freies Land geworden ist und keine Gefahr mehr besteht, daß die uralten Kleinodien meines Geschlechts in unrechte Hände geraten. – Meine Leute und ich verließen nachts die Stadt und schlichen mit der uns anvertrauten Frau und den zum Teil zerlegten Wertgegenständen durch die Baumkronen und so durch die Reihen der Feinde. Unterwegs hierher verstarb Mennikara am Wechselfieber. Wir balsamierten ihre Leiche ein, hingen sie, wie dies unsere Vorfahren taten, in den [186] Qualm eines durch feuchtes Holz tagelang genährten Feuers und erreichten mit der Mumie schließlich diesen Berg. Die hier hausenden Affen töteten wir zum Teil, da sie uns wütend angriffen, die Überlebenden und ihr Nachwuchs lernten es, uns zu gehorchen. Wir verbargen die Kleinodien in dieser Höhle, und wir setzten den Elfenbeinthron wieder zusammen, schmückten die Tote und bewahrten unser Geheimnis all die Jahrzehnte hindurch. Stets lebten einige meines kleinen Volkes hier im Berge als Wächter, ich selbst kehrte später häufig zu den Städten des neuen Kaisers zurück, ich kannte Menelik den Großen, und in Addis Abeba lernte ich auch Lylian Garden kennen, die ich ehrfurchtsvoll verehre. Sie heiratete dann Doktor Turst, aber die Ehe zerbrach an Kleinigkeiten, und eines Tages entfloh Lylian und wollte, da ich ihr gelegentlich hier über diesen heiligen Berg einiges angedeutet hatte, für ihr großes Buch, das sie schrieb, neue unbekannte Dinge ergründen. In Begleitung Hamirus, des Oberhäuptlings der Wollo, der ihr sehr ergeben, langte sie hier an und wurde Herrin des Berges, nachdem sie mir geschworen hatte, die Geheimnisse zu hüten, die mit dem traurigsten Abschnitt der Geschichte Äthiopiens verknüpft sind. Vier Jahre lebte sie hier mit uns und den Affen, gelegentlich besucht von Hamiru und einigen verschwiegenen Wollo. Nach zwei Jahren ereignete sich etwas, das dem stillen Leben der Herrin dieser Unterwelt [187] Unruhe und Pein brachte. – Dies jedoch mag ein anderer berichten …“

Er verneigte sich vor Lylian…

„Sprich du, o Herrin, und gib deine Seele preis, denn die Ohren, die dir lauschen, sind dir zugetan und vertraut.“

Lylian saß in derselben Haltung auf dem Steine wie damals auf dem Thron des Affentanzplatzes.

Sie hatte das Haupt in die Hand gestützt und starrte regungslos vor sich hin. Ihre Worte klangen weich und trostlos und griffen mir ans Herz.

„Meine Ehe,“ sagte sie mit einiger Überwindung, „zerbrach an Torheiten … Ich liebte meinen Gatten, der ein guter Mensch war. Er hatte einen Fehler: Er spürte mein geistiges Übergewicht, und er fühlte sich klein und unbedeutend neben mir und wurde gehässig und zuweilen brutal. Aber meine eigenen Fehler waren größer, ich prunkte mit den Geistesgaben, die mir die Natur verliehen hatte, ich wurde stolz und überhebend und war blind und sah nicht, daß ich das Beste zerstörte: Unsere Liebe! – Als ich erkannte, daß wir uns fremd geworden, floh ich hier in die Einsamkeit. Zwei Jahre lebte ich hier, dann erreichte mich durch Patumengi die Kunde, daß mein Gatte in dieser Gegend aufgetaucht sei. Er verschwand jedoch wieder, und nur zuweilen bewohnte er seine grüne versteckte Hütte in der Hyänenschlucht und … verschwand aufs neue. Ich glaubte, daß sein Herz von [188] Haß erfüllt sei, und ich wagte nicht, mich ihm zu nähern, bis das Schicksal ihn mir als Todwunden zurückgab. Ich fürchtete, er würde sterben, ich brachte ihn hier vor das Antlitz Mennikaras und wollte ihm hier eingestehen, daß ich allein schuld daran gewesen, daß unsere Liebe starb. – Doch diese Höhle, die Affen, – – all dies verschlimmerte nur seinen Zustand, deshalb trug ich ihn zurück zu Ihnen, Abelsen, – zurück in die Sonne und das Licht. Er wurde gesund, und ihr drei, Freund Olaf, erschient hier auf dem Plateau im Norden, ich nahm euch auf, und Vincent tat, als wäre ich ihm eine Fremde. Er liebte mich nicht mehr, ich bedeutete ihm nichts mehr, er verspottet mich noch jetzt, – – und deshalb soll er nie erfahren, daß ich mich nach ihm gesehnt habe, daß ich jedoch zu stolz bin, ihn, der mich verhöhnt, um Verzeihung zu bitten …“

Homra, der Oberzauberer, trat plötzlich näher.

Mit einem raschen Griff warf er den Deckenzipfel von seinem Gesicht, – – aus Lylians Kehle kam ein schriller Ruf, und zwei Menschen, die das Geschick getrennt hatte, lagen sich in den Armen und vergaßen alles ringsum – – auch ihre Freunde Patumengi und Olaf, die leise sich entfernten und im Hintergrunde der Grotte die dort aufgestellten uralten Kostbarkeiten besichtigten.

Der Häuptling der Doko sprach zu mir:

„Tursts Doppelrolle als Doktor Turst und als Homra, der Zauberer, findet eine sehr einfache [189] Erklärung, Mr. Abelsen. Er kam hierher … auf der Suche nach seinem Weibe … Als er durch die Steppen im Süden ritt, traf er den echten Homra, dem ein Löwe das Dromedar geraubt und den ein Büffel dann schrecklich zugerichtet hatte. Turst pflegte den Sterbenden, und Homra, dem eine fressende Flechte das Gesicht zerstört hatte, vertraute ihm alle Geheimnisse der Priesterkaste der heidnischen Guasasso-Galla an, so daß Turst nachher Homras Stelle einnahm und bei den Guasasso als Arzt der Tiere und Menschen größeres Ansehen genoß, als es der echte Homra sich je hatte erwerben können. – Ich allein kannte sein Geheimnis, – mir hat er hier seinen Entschluß mitgeteilt, Gabara zu bestrafen und vielleicht durch die Vertreibung der Feinde Lylians Liebe zurückzugewinnen. Ich habe dann meinerseits getan, was in meinen Kräften stand, die Liebenden wieder zu vereinigen. Es ist mir gelungen, und dieser Tag, diese Nacht betrachte ich als den zweiten Höhepunkt meines langen Lebens, – der erste war die Stunde, als Theodorus, der sich nachher erschoß, gerade mir seine Frau und seine Schätze anvertraute. – Was Sie, Mr. Abelsen, heute vor Gabaras Zelt erlebten, war nur trügerisches Spiel. „Homra“ hat dem Heiitsch, als er ihm die Zaubererde über den Kopf warf, den Saft einer Pflanze in die Augen gespritzt, die nur für einige Tage das Augenlicht trübt. Die Dromedare, die wie tot umfielen, hatte [190] er vorher heimlich mit einem Betäubungsmittel, das in Datteln verborgen war, gefüttert. Die Tiere werden morgen frisch und gesund sein.“

… Als ich mir nun mein erstes Zusammentreffen mit Vincent ins Gedächtnis zurückrief – damals in der Nähe unseres Lagers in den Kugeldisteln, – erkannte ich, wie schlau er gewesen, als er sich dort hinter den Strauch zum Schlafe niedergestreckt hatte. Er war mir heimlich gefolgt, er verwandelte sich in Doktor Turst, – – und er täuschte alle, alle, selbst Gabara, selbst mich.

Patumengi zeigte mir gerade einen alten goldenen Pokal, der noch aus jenen Zeiten stammte, als um das Jahr 1500 die Jesuiten halb Äthiopien beherrscht hatten, bis das koptische Christentum auch sie verdrängte, – da nahten Arm in Arm Lylian und Vincent und dankten Patumengi und mir mit jener warmen Herzlichkeit, die nur aus glücklichen Seelen den Weg über die Lippen findet. –

Wir sind dann wieder zurückgekehrt in die oberen Grotten, aber das Ehepaar Turst nahm nicht teil an dem lärmenden Gelage der Amerikaner, bat mich auch, bis zum Morgen zu schweigen …

Der Zauberberg hat in jener Nacht zwei Glückliche beherbergt – und einen Mann, der am Fenster seines Grottengemaches stand, zum Monde emporblickte, Fenneks Seidenfell streichelte und leise sprach:

„Mein kleiner treuer Freund, – es ist immer, immer das alte Lied von den schimmernden Seifenblasen, [191] die so leicht zerplatzen und nur eine salzige Träne von all ihrer Herrlichkeit zurücklassen …“

Fennek hat mir damals sanft die Hand geleckt und ganz sanft seine Pfötchen mir um die Schultern gelegt.

Der Mond lächelte ebenso sanft …

Das Lächeln jener Weisen, die längst über Erdenwünsche hinaus sind. – –




[192] … Morgen werden wir aufbrechen nach den Urwäldern der Doko …

Freund Patumengi wird mich nach seinem Reiche führen …

Die Bilder hier auf dem Schreibtisch werde ich verbrennen …

Alle …

Auch Lylians Bild …

Von den schillernden Seifenblasen, die nur einen trügerischen Hauch von buntem Leben vortäuschen, bleibt stets nur ein einziges bitteres Tröpflein übrig.

… Eine Träne wehmütigen Erinnerns.

Aber nach einer Stunde werde ich die freie Luft der Berge atmen und werde die Steppen auf flüchtigem Dromedar durchstreifen mit meinen winzigen Begleitern …

Dann – werde ich vergessen … Neues wird kommen, – – der Pfad abseits vom Alltag duldet keinen Stillstand und kein zweckloses Spielen mit zwecklosen Gedanken … –

Patumengi erzählte von einem Manne, der in einem Küstendorfe leben soll … den Mann werde ich besuchen. Malmotta soll er heißen, und er soll …

Aber das ist eine andere Geschichte.


Anmerkungen (Verlag)

  1. Anmerkung des Verlages: Schweinfurth ist im August 1925 in Berlin-Schöneberg verstorben.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Raubz uge
  2. Vorlage: geyorsamer
  3. Vorlage: Wor
  4. Vorlage: Gelahrtheit
  5. Vorlage: sebst
  6. Vorlage: ausgestellt
  7. Vorlage: Stadtpauke
  8. Vorlage: Haßt
  9. Vorlage: Leoparden-pardenfell
  10. Vorlage: anderes. anderes.
  11. Vorlage: …“ (Anführungszeichen entfernt)
  12. Vorlage: snid