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Die Gemälde-Galerie des Grafen Schack − Kapitel 10

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolf Friedrich von Schack
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Titel: Kapitel X.
Untertitel: Architekturmaler. Friedrich Kirchner. Leo von Klenze. Eduard Gerhardt. Karl Werner. Bernhard Stange
aus: Die Gemälde-Galerie des Grafen A. F. von Schack in München
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Dr. E. Albert
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Erscheinungsort: München
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Quelle: Scan auf Commons
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[49]
X.


Von den Landschafts- zu den Architekturmalern leitet uns der unlängst verstorbene Friedrich Kirchner[1] hinüber. In seinem Garten Giusti zu Verona hat er diese prächtige Anlage, sowie die Aussicht, deren man von dort aus geniesst, zu einem Gemälde von ungemeinem Reiz benutzt. Von der Höhe des Gartens, der mit seinen Cypressen, Lorbeeren und Myrten dem von den Alpen Herabgestiegenen den ersten vollen Eindruck des Südens bietet, schweift das Auge auf das Häusermeer, die Zinnen und Türme der weitausgedehnten Stadt des Dietrich von Bern hinab, welche fast noch mehr, als irgend eine andere, das Gepräge des Mittelalters bewahrt hat. In der Präcision, mit welcher die Umrisse der Gebäude hervortreten, wie in der charakteristischen Behandlung der Vegetation, bekundet sich das zwiefache Talent des Künstlers. – Ganz auf dem Boden der Architekturmalerei steht sein grosser, höchst glänzender Prospekt von Venedig.

Die wunderbare Lagunenstadt ist von jeher das Eden der Architekturmaler gewesen: auf keinem Fleck der Erde sind so viele interessante Gebäude, so viele schön gruppirte Häusermassen zusammengedrängt, wie hier; und dabei hat es der Künstler, wie es für ihn nötig, nicht bloss mit den toten, wenn auch noch so schön geformten Steinen zu thun. In ihrer reichen architektonischen Erscheinung mögen die venezianischen Paläste und Kirchen an manchen Bauten der Araber, sowie auch an den gotischen Kathedralen des Nordens, ihresgleichen finden; das jedoch, worin sie einzig dastehen, ist ihre Lage bald an plätschernden, ihre Thorschwellen bespülenden Kanälen, neben Gärten von Immergrün, die, auf Pfählen über dem Wasser schwebend, sich in den Wellen spiegeln, bald an leichtgeschwungenen Brücken, oder neben schlanken Glockentürmen, die über sie emporsteigen. Man kann während ganzer Monate täglich das Labyrinth dieser Gassen durchstreifen, auf allen diesen Plätzen und Plätzchen Umschau halten, und wird gewiss doch immer von neuem malerische Aussichtspunkte entdecken. Fast ein Jahrhundert lang haben Canale und die Canalettos die Dogenstadt in dieser Hinsicht ausgebeutet: allein die Fundgrube ist bei weitem noch nicht erschöpft, und es lässt sich noch eine reiche Nachlese halten. So ist auch der Standpunkt, welchen Kirchner für seine Aufnahme gewählt, von früheren Künstlern, meines Wissens, wenig benutzt worden, obgleich er einer der ergiebigsten ist. Man sieht vor sich die Piazetta mit den sie einschliessenden Seitengebäuden, dem märchenhaften Dogenpalaste, der aus dem Morgenlande herübergeschwommen zu sein scheint, dem zauberhaften Kuppelbau von St. Markus mit den Trophäen Heinrich Dandolos: den ehernen Rossen des Lisippus; auf der anderen Seite den unteren Teil des Campanile und die bewunderungswürdige

[50] Fassade der Markusbibliothek von Sansovino; vor sich den reizenden Uhrenturm und ein Stück der alten Procurazien. – Gewiss war die Wahl dieses Prospektes eine sehr günstige, um gerade die hervorragendsten unter den mannigfaltigsten Prachtbauten auf einem Bilde vorzuführen.

Der freundlichen Gesinnung Leo’s von Klenze, des Schöpfers so vieler trefflicher Bauwerke, verdanke ich ein von ihm selbst mit höchster Sorgfalt ausgeführtes Gemälde, das mir als Andenken an diesen ausgezeichneten Mann überaus teuer ist. Klenze, von jeher ein Meister der Zeichnung, war schon siebenzig Jahre alt, als er in Oel zu malen begann, und das Bild, das ich besitze, hat er, nicht lange vor seinem Ableben, in seinem einundachtzigsten Jahre vollendet. Dasselbe zeigt keine Spur ermattender Kraft; alle Contouren sind scharf und sicher. Wir erblicken die jetzt in ein modernes Gebäude hinübergezogenen Reste eines sarazenischen Palastes in dem Städtchen Ravello, das hoch auf steilem Felsen über Amalfi thront. Die Zeit, aus welcher diese Reste herrühren und ihr Ursprung lassen sich schwer bestimmen. Da jetzt festzustehen scheint, dass auch die bisher für Werke der Araber gehaltenen Schlösser in Sizilien jetzt unter der Normannenherrschaft entstanden sind, so muss wohl vermutet werden, auch sie seien aus jener späteren Periode, um so mehr, als die Araber in Unteritalien nie so festen Fuss gefasst haben, wie auf der Insel. Arabisches Gepräge trägt indessen diese Mauer in ihren reichen Lineamenten, und ich möchte annehmen, dass der Palast, dem sie ursprünglich angehörte, ebenso wie die Cuba und Zisa in Palermo, von sarazenischen Werkmeistern, wenn auch im Auftrage von Christen, aufgeführt worden sei. Allerdings liefert sie nur eine unbedeutende Probe von der Kunst der Araber in Ausschmückung von Wandflächen; aber selbst ein so geringfügiges Spezimen gewann unserem Klenze solch lebhaftes Interesse ab, dass er trotz seines hohen Alters noch ernstlich mit dem Gedanken umging, eine leider nicht zur Ausführung gekommene Reise nach Andalusien zu unternehmen.

Glücklicher als er war der mir durch langjährige Freundschaft verbundene vorzügliche Architekturmaler Eduard Gerhardt, der sich jahrelang in Granada aufhielt und daselbst zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle der inneren Räume der Alhambra aufnahm, die an Feinheit und Vollendung ihresgleichen suchen. An diesen Arbeiten erregt ebenso die erstaunliche Sorgfalt, mit der er die tausendfachen Verschlingungen der Arabesken und die tropfsteinartigen Bildungen des Stucks an Mauern und Decken wiedergegeben hat, die höchste Bewunderung, wie der künstlerische Sinn, durch den das überreiche Detail doch der Totalwirkung des Ganzen untergeordnet ist. Auf einem Oelbilde meiner Galerie, das ich zu deren hervorragendsten Zierden rechne, hat Gerhardt den Löwenhof der Alhambra bei Mondschein dargestellt und dabei die ganze Macht seines seltenen Talents entfaltet. In den Dämmerstrahlen, welche durch die Arkaden hingleiten, sich an den Stalaktiten und Azulejos brechen und zitternd um die Marmorsäulen, wie um den Löwenbrunnen der Mitte, spielen, scheint sich die verödete Halle zu beleben; man glaubt die Wellen des Springquells plätschern, die Cypressen im Nachtwinde rauschen zu hören, und unwillkürlich steigen Bilder eines Märchens aus „Tausend und einer Nacht“ vor unserem Geiste empor. – In zwei anderen Gemälden hat der Künstler seine Meisterschaft zugleich in der Landschafts-, wie in der Architekturmalerei gezeigt. Auf dem einen sehen wir die einstige Sommerresidenz der granadischen Könige, das Generalife, das mit seinen schwebenden Gärten an den steilen Felshang von Feenmacht hingebannt zu sein scheint und auf das selige Thal von Granada hinunterschaut, auf dem anderen den Comaresturm des alten Nassridenschlosses, in stolzer Höhe über der Schlucht des Darro ragend und von der Nacht mit jenem geheimnissvollen Halbdunkel umkleidet, das Ruinen einen so eigentümlichen Reiz verleiht. – Auch in Venedig hat Gerhardt jahrelange Studien gemacht, und zwei überaus wertvolle Bilder meiner Sammlung sind aus den Skizzen, die er dort entworfen, hervorgegangen. Man zeigt in Venedig an einem Kanale nächst der Kirche del Carmine ein Eckhaus, das den Namen „Haus des Othello“ führt. Von wem diese Bezeichnung herrührt und wann sie aufgekommen ist, vermag ich nicht zu sagen; wahrscheinlich hat man sie nur erfunden, um die Nachfrage der Fremden zu befriedigen, wie auf Isle de France das Grab Pauls und Virginias gezeigt wird, und wie bei dem zunehmenden Reiseverkehr bald auch Heilbronn eine Wohnung Käthchens aufzuweisen haben wird. Dem Trauerspiel Shakespeares liegt, so viel bekannt, keinerlei historische Nachricht, sondern nur eine, wahrscheinlich frei erfundene, Novelle des Giraldi Cinthio zu Grunde. An dem in Rede stehenden Hause ist jetzt kaum etwas anderes bemerkenswert, als die in einer Nische befindliche Statue des h. Michael; aber als Gerhardt vor einer Reihe von Jahren in Venedig verweilte, hatte dasselbe noch eine mit reichen Zieraten bedeckte Fassade, die wir, vom Strahle der untergehenden Sonne beleuchtet, auf einem höchst wirkungsreichen Bilde von ihm: Der Palazzo Moro in Venedig, vor uns sehen. – Als Seitenstück dazu dient der gegenüberliegende, von dem Künstler mit gleicher Liebe und gleichem Glücke aufgenommene Palast Vendramin. Statt der Abendbeleuchtung haben wir hier Mondschein, und eine von Figuren in Renaissancetracht belebte Gondel, die vor dem Palaste durch den Kanal hineingleitet, versetzt uns in die Zeiten des alten Venedig.

Ein ganz vorzügliches Bild des berühmten Architekturmalers Karl Werner erwarb ich aus dem Nachlasse des Generals von Heideck, welcher selbst als Künstler verdienten Ruf genoss. In dem Gemälde Werners streiten sich tiefes poetisches Gefühl und feine Detailausführung um den Preis. Wir erblicken das Innere einer verlassenen Kirche in den pontinischen Sümpfen. Wasser ist in dieselbe eingedrungen, und auf dem marmornen Fussboden kriecht eine Schlange. Kanzel und Altar stehen verödet, und wir ahnen bei dem Anblicke der bröckelnden Mauern und Gewölbe, dass sie bald über dem Heiligtum zusammenbrechen werden. – Da Werner meistens nur in Wasserfarben gemalt hat, besitzt das vorliegende als eines seiner wenigen Oelbilder neben dem Kunstwert auch noch das Interesse der Rarität.

Noch muss ich hier zweier Gemälde des jüngst aus dem Leben geschiedenen Bernhard Stange erwähnen, denen ich in keinem der bisher besprochenen Fächer einen Platz anzuweisen wusste. Das eine, die Abendglocke, ist eine vielfach von ihm gemalte Komposition, die grossen Beifall gefunden hat. Man erblickt auf der Höhe eines Turmes eine Glocke, die eben zum Geläut hin- und hergeschwungen wird, und durch die Maueröffnung hindurch das verglühende Rot eines klaren Sommerabends, das seine feurigsten Strahlen durch den Himmel ergiesst. Die Gewalt der Stimmung in diesem Bilde ist ausserordentlich. – Mit Recht gepriesen wurde Stange wegen der Kunst, mit welcher er Mondnächte zu schildern verstand; dies bewährt sich auf dem zweiten der Gemälde, die ich von ihm besitze. Dasselbe ist frei komponirt: durch das Reiterbildnis des Colleoni wird man an den Platz vor S. Giovanni e Paolo erinnert; im übrigen hat der Künstler die Lokalität kaum berücksichtigt. Ueber das Bild ist der ganze Reiz einer italienischen Nacht hingebreitet, und die Transparenz der von Mondlicht getränkten, krystallklaren Luft hat schwerlich eine Palette schöner wiederzugeben vermocht.

Ein jüngerer Künstler, H. L. Fischer in Wien, vortheilhaft bekannt durch seine Darstellungen spanischer, besonders andalusischer Gegenden und Baulichkeiten, hat zu meiner Sammlung die reizende Ansicht eines Gartenhofes des Generalife zu Granada hinzugefügt. Dieses Bild wird gewiss Jeden, der je den entzückenden Sommersitz der Nassriden besucht hat, mit Sehnsucht [51] erfüllen, dort noch einmal einen Frühlingstag verleben zu können. Der Hof, den wir auf unserem Gemälde erblicken, ist schon im Jahre 1526 von Navagero, venetianischem Gesandten am Hofe Karls V. in folgenden Worten geschildert worden: „Das Generalife hat mehrere Patios, alle reichlich mit Wasser versehen, vornehmlich aber einen mit einem fliessenden Kanal in der Mitte und voll von herrlichen Orangen und Myrten; dort ist eine Loggia, welche die Aussicht nach aussen hin gewährt und unter welcher Myrten von einer Höhe emporragen, dass sie fast bis an die Balkone hinanreichen; dieselben sind so dichtbelaubt und alle so gleich hoch von Wipfel, dass sie eine grünende ebne Flur zu sein scheinen. Das Wasser fliesst durch den ganzen Palast und, wenn man will, auch durch die Zimmer, deren einige sich zu einem köstlichen Sommeraufenthalt eignen.“

  1. Anmerkung WS: Gemeint ist wahrscheinlich Albert Emil Kirchner, geboren am 13. Mai 1813 in Leipzig, gestorben am 4. Juni 1885 in München.