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Die Gartenlaube (1889)/Heft 47

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1889
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[789]

No. 47.   1889.
      Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig oder jährlich in 14 Heften à 50 Pf. oder 28 Halbheften à 25 Pf.


Sakuntala.

Novelle von Reinhold Ortmann.
(Fortsetzung.)


6.

Wochenlang kämpfte Astrids zartes junges Leben einen schweren Kampf gegen den erbarmungslosen Würger, der immer von neuem seine Knochenhände ausstreckte, um die liebliche Beute zu empfangen. Mehr als einmal schien das schwache Daseinsflämmchen dem Erlöschen nahe, so nahe, daß der Sanitätsrath selbst die Hoffnung aufgab, es brennend zu erhalten. Und dennoch erwies sich Astrids feine Natur stark und biegsam genug, um dem schweren Angriff zu widerstehen.

Eines Tages durfte der Arzt – nicht ohne eine leise Rührung in der Stimme – Gerhard mittheilen, daß die Gefahr als beseitigt anzusehen sei, und er fügte hinzu, daß er jetzt nichts mehr dagegen einzuwenden haben würde, wenn der Bräutigam seiner Braut einen kurzen Besuch abstatte. Mit klopfendem Herzen überschritt Gerhard die Schwelle des Krankenzimmers. Er hatte ja Zeit genug gehabt, sich auf diesen Augenblick vorzubereiten; aber jetzt, da er wirklich herangekommen war, befiel den sieggewohnten Künstler eine Bangigkeit, wie er sie nicht einmal empfunden hatte, als er zum erstenmal vor ein tausendköpfiges Publikum hingetreten war.

Doch seine Beklommenheit wich, als er dann neben Astrids Lager stand. Wie gewaltig hatten diese letzten Wochen sie verändert – und doch, wie schön und lieblich war sie selbst in dieser durchsichtigen Blässe einer kaum dem Tode Entronnenen!

Sie hatte Gerhards Eintritt nicht sogleich bemerkt, und erst als die Pflegerin ihr einige Worte zuflüsterte, schlug sie die Augen zu ihm auf. Was in diesen schönen, leuchtenden Augen schimmerte, war zugleich Zärtlichkeit und kindlich scheues Zagen. In ihrem Bewußtsein mochten sich Traum und Wirklichkeit noch nicht scharf genug von einander geschieden haben, und wenn die Fieberphantasien jener ersten Nacht in ihrem Gedächtniß überhaupt einen Eindruck zurückgelassen hatten, so waren sie jedenfalls von einem Schleier umwoben, welchen Astrid selber nicht zu heben wagte aus Furcht, daß das ganze herrliche Gebäude bei der leisesten Berührung in nichts zerfließen konnte.

Doch Gerhard war von vornherein entschlossen gewesen, jeder Unklarheit und Ungewißheit ihrer Lage schon mit dem ersten Wort ein Ende zu machen. Er beugte sich auf sie herab, und indem er mit seinen Lippen flüchtig ihre weiße Stirn berührte, flüsterte er so leise, daß ihn die um einige Schritte entfernte Pflegerin nicht mehr verstehen konnte:

„Glück auf zur Genesung, meine geliebte Braut!“

Ein seliges Lächeln ging über Astrids Züge. Ein Hauch jungfräulicher Scham


Ein glücklicher Fund.
Zeichnung von W. Claudius.

[790] färbte ihre blassen Wangen, ihre Lippen aber bewegten sich leise zu der halb beglückten, halb zaghaften Frage: „Mein Gerhard! – Ist es denn wirklich wahr?“

Und nun nahm er an ihrer Seite Platz und sprach mit jener warmen Beredsamkeit, die ihm eigen war, von seiner Freude über ihre Genesung und von ihrem künftigen, gemeinsamen Glück. Ein unbefangener Zuhörer würde vielleicht den Eindruck gewonnen haben, daß bei aller Herzlichkeit doch etwas Hastiges und Gezwungenes in seinem Benehmen sei. Vielleicht wollte er Astrid nur daran verhindern, eine Frage zu thun, die ihm vorerst noch unbequem gewesen wäre, vielleicht auch wollte er damit etwas Störendes und Widerstrebendes niederhalten, das sich in seinem eigenen Herzen regte.

Astrid that bei diesem ersten Wiedersehen keine Frage, die ihn hätte in Verlegenheit bringen können. Noch befand sie sich in jenem Zustand hochgradiger Schwäche, die sich mit demüthiger Ergebung in alles fügt, in das schwerste Leid wie in die höchste Seligkeit. Aber ihre Genesung machte von diesem Tage an stetige Fortschritte, wenn auch ihre körperlichen Kräfte naturgemäß nur langsam zurückkehren konnten. Etwa eine Woche später fand sie Gerhard zu seiner freudigen Ueberraschung eines Nachmittags im Lehnstuhl neben dem Fenster. Die Herrschaft des Winters war zwar noch nicht gebrochen, aber es war ein schöner, sonniger Tag, und die Straße, auf welche Astrid hinabschauen konnte, bot einen heiteren und freundlichen Anblick dar. Die junge Genesende war, wie es schien, in tiefes Nachsinnen versunken, denn als sie Gerhard ihr Gesichtchen zuwendete, fiel ihm der träumerische und nachdenkliche Ausdruck desselben auf.

Zwar duldete sie die zarte Liebkosung, mit welcher er sie begrüßte, aber Gerhard hatte dach die Empfindung, als ob sie sich derselben schneller entzöge denn sonst. Mit erzwungener Unbefangenheit sprach er ihr von diesem und jenem, aber er erhielt nur einsilbige und zerstreute Antworten, so daß es bald ein ziemlich bedrücktes Schweigen zwischen ihnen gab. Plötzlich sagte Astrid, ohne zu ihm aufzusehen:

„Sei mir nicht böse, Gerhard, aber ich vermag diese Ungewißheit nicht länger zu ertragen. Ich bin so unaussprechlich glücklich; aber dies Glück erscheint mir noch immer wie ein Traum, und manchmal erfaßt es mich wie eine namenlose Angst, daß ich daraus erwachen könnte zu einer Wirklichkeit, die nur um so furchtbarer und unerträglicher wäre. Ich kann ja nicht begreifen, wie dies alles zugegangen ist. Das Zimmer, das ich bewohne, die Menschen, die mich umgeben, die Straße, die ich da unten vor mir sehe, sie alle sind mir neu und fremd, und wie ich auch mein Gehirn zermartere, ich finde keinen Zusammenhang zwischen dem, was ich jetzt erlebe, und dem, was früher mit mir geschah!“

Leise und mit bebender Stimme hatte sie gesprochen. Unzweifelhaft hatte sie einen harten Kampf durchkämpfen müssen, ehe sie zu dem Entschluß gekommen war, den bangen Zweifeln, die ihr Herz bewegten, einen Ausdruck zu geben. Aber ihre Befangenheit konnte nicht größer sein als diejenige Gerhards. Das waren Fragen, auf die er die Antwort nicht schuldig bleiben durfte, und doch konnte er vorerst noch nicht daran denken, ihr die volle, rückhaltlose Wahrheit zu sagen.

„Du solltest Dich nicht unnütz bemühen, einen solchen Zusammenhang zu finden, liebe Astrid!“ sagte er zärtlich. „Glaube mir’s immerhin, daß sich alles auf die einfachste Weise von der Welt erklärt und daß Du keine Veranlassung hast, ein Erwachen zu einer schlimmen Wirklichkeit zu fürchten. Aber gerade weil die Gegenwart eine so fröhliche und glückliche ist, wollen wir vor der Hand nicht daran denken, die trübe Vergangenheit wieder lebendig werden zu lassen. Davon zu reden ist Zeit genug, wenn Du ganz kräftig und gesund und mein liebes Weibchen bist. Vorläufig mußt Du mir versprechen, nicht weiter über alle diese Dinge zu sinnen und zu grübeln. Es kann Dir nur Schaden bringen und mich nur traurig machen!“

Ihr Köpfchen sank noch tiefer auf die Brust herab und sie antwortete ihm nicht sogleich. Aber als er nun an ihrer Seite niederknieete, seinen Arm sanft um ihren Nacken legte und ihr zuflüsterte: „Astrid, mein süßes Lieb, – fühlst Du Dich denn nicht glücklich und sicher unter meinem Schutz?“ – da trug doch ihre tiefe und innige Liebe den Sieg davon über alles, was sie an Zweifeln und Sorgen bewegen mochte. Sie lehnte ihre Stirn an seine Wange und schmiegte sich voll hingebender Zärtlichkeit in seine Umarmung.

„Ich glaube an Dich, Gerhard, und ich vertraue Dir! Deine Liebe ist meine Welt und ich will nicht fragen, welchem Wunder ich mein Glück verdanke!“ –

Da war der gefürchtete Augenblick über alle Erwartung leicht und glücklich vorübergegangen; aber schon wenige Tage später wurde Gerhard abermals in die peinliche Nothwendigkeit versetzt, der Ahnungslosen eine bedenkliche Wahrheit zu verheimlichen.

Augenscheinlich von dem Wunsche erfüllt, ihm eine Freude zu bereiten, lenkte Astrid das Gespräch auf Rita Gardini, und sie gab dem jähen Farbenwechsel, der sich bei dem unerwarteten Klange dieses Namens auf dem Antlitz des Künstlers vollzog, eine falsche Deutung.

„Ich weiß wohl, daß Du mir sehr böse gewesen sein mußt wegen des thörichten Briefes, welchen ich Dir damals geschrieben habe,“ sagte sie erröthend, „und auch die gütige Dame hat meine Zurückweisung vielleicht für kindisch und hochmüthig gehalten. Aber ich hoffe, es wird noch nicht zu spät sein, sie zu versöhnen. Ich werde glücklich sein, wenn sie mich ihrer Freundschaft auch jetzt noch für würdig hält, und ich werde sie gewiß liebgewinnen, denn sie muß edel und hochherzig sein, da Du sie Deine Freundin genannt hast!“

Je deutlicher Gerhard herausfühlte, daß sie mit diesem Anerbieten ihrer Liebe zu ihm eigentlich ein schweres Opfer brachte, desto peinlicher war es ihm, ihr mit einer Lüge antworten zu müssen.

Aber auch hier blieb ihm keine Wahl und so brachte er denn einige im Grunde recht wenig stichhaltige Redensarten zu Tage, die von einem kleinen Zwist aus Ursachen künstlerischer Natur und von einer vorübergehenden Entfremdung sprachen. Astrids Vertrauen in die Wahrhaftigkeit seiner Worte war zu groß, als daß ihr die auffallende Hast und Unsicherheit seiner Erwiderung einen Zweifel erweckt hätte, und statt, wie Gerhard es wünschte, das Thema fallen zu lassen, hielt sie dasselbe in der besten und edelmüthigsten Absicht jetzt nur um so hartnäckiger fest.

„Eine Entfremdung? – Wie mußt Du darunter leiden, mein armer Freund! Denn jede Zeile Deines damaligen Briefes athmete ja die höchste Verehrung für diese Frau! Nein, um irgend eines unbedeutenden Mißverständnisses willen darf ein solches Band nicht zerrissen werden, Gerhard! Und wenn es jedem von Euch sein Stolz verbietet, den ersten Schritt der Annäherung zu thun, so ist es ja ein Glück, daß ich da bin, um die Aussöhnung herbei zu führen. Ich werde an Fräulein Gardini schreiben! Ich werde sie bitten –“

„Niemals, Astrid, niemals!“ fiel Gerhard fast heftig ein. „Daran ist unter keinen Umständen zu denken! Und wie dankbar ich Dir auch für Dein edelmütiges Vorhaben bin, so ist es doch meine erste Bitte an Dich, des Namens jener Frau nie mehr zwischen uns Erwähnung zu thun!“

Der Ausdruck seiner Stimme, das Aufblitzen seiner Augen und die fast rücksichtslose Art, mit welcher er dabei aufgesprungen und durch das Zimmer gegangen war, mußten Astrid erschrecken und verwirren.

Sie hatte viel eher einen Ausbruch der Freude erwartet, als solche Heftigkeit, und die einzige Erklärung, welche sie für dieselbe finden konnte, war nur danach angethan, ihre Bestürzung zu steigern.

„So liegt also doch etwas anderes zwischen Euch als eine bloße Meinungsverschiedenheit in künstlerischen Dingen?“ fragte sie in angstvoller Spannung. „Es ist ein ernsthaftes Zerwürfniß – und vielleicht – vielleicht ein Zerwürfniß um meinetwillen?“

Gerhard fand nicht gleich die rechte Erwiderung und Astrid konnte sein Schweigen unmöglich mißverstehen.

„Um meinetwillen!“ wiederholte sie schmerzlich. „Ich also bin es, der Du den Verlust Deiner besten Freundin zuzuschreiben hast, und Du hältst mich nicht einmal für fähig, Dich mit ihr zu versöhnen? Welchen Kummer habe ich Dir bereitet, Gerhard, und wie ist es anders möglich, als daß Du mich denselben früher oder später entgelten lassen mußt!“

Mit Anstrengung nur hielt sie ihre Thränen zurück und Gerhard sah wohl ein, daß er recht unvorsichtig gewesen sei. Der Arzt hatte ihm dringend ans Herz gelegt, jede Gemüthsbewegung trauriger Natur von der Genesenden fern zu halten, und nun [791] hatte er sich durch die Erinnerung an Rita wider seinen Willen hinreißen lassen, diese wichtigste Sorge sträflich zu vernachlässigen. Natürlich bemühte er sich, sein Unrecht wieder gutzumachen, soweit es in seinen Kräften stand.

„Welch’ eine unerhörte Befürchtung, Astrid!“ rief er aus. „Ich schwöre Dir, daß Du Dich in einem Irrthum befindest! Was auch immer die unmittelbare Veranlassung zu meinem Zerwürfniß mit Rita Gardini gewesen sein mag, so giebt es doch nichts, das mich berechtigen würde, Dir, mein süßes Lieb, einen Vorwurf daraus zu machen. Vergiß ihren Namen, Astrid, und vergiß die Aufforderung, welche ich damals an Dich gerichtet habe! Alles Hohe und Edle, was ich einst in jener Frau zu erblicken meinte, war ein Irrthum, und auf einen großen, ungeheuren Irrthum war all meine Verehrung für sie gebaut! Du denkst daran, Dich um die Gunst ihrer Freundschaft zu bewerben, und doch ist sie weit davon entfernt, die Deinige zu verdienen – doch ist sie nicht werth, daß Du mit einer anderen Empfindung als mit Verachtung an sie denkst!“

Wohl gelang es seinen leidenschaftlichen Betheuerungen und Schwüren, Astrid an weiteren Fragen zu hindern, sie vollkommen zu beruhigen aber gelang ihnen nicht. Die Gestalt der Sängerin stand von dieser Stunde an zwischen ihnen wie ein unheimlich gespenstischer Schatten, und in ihrer Einbildung wuchs er nur um so beängstigender und bedrohlicher an, je weniger sie wagten, noch einmal an ihn zu rühren.


7.

Nun neigte der lange harte Winter endlich seinem Ausgang zu. Schon kamen vom Süden her die ersten Frühlingsboten in das deutsche Land, und einzelne linde, sonnenhelle Tage, die etwas vorzeitig auch über die deutsche Reichshauptstadt heraufgezogen waren, erweckten Lenzeshoffnung und Lenzesstimmung in Millionen Menschenherzen.

Astrid war von ihrer schweren Krankheit vollkommen genesen. Sie verweilte nicht mehr in Gerhards Wohnung, sondern sie befand sich jetzt unter dem mütterlichen Schutze der verwitweten Rechnungsräthin Haidborn, bei der sie nach den getroffenen Vereinbarungen bis zum Tage ihrer Hochzeit bleiben sollte. Den Termin für diese bedeutsame Feier aber hatte Gerhard auf einen ziemlich nahen Zeitpunkt gelegt, und die Beweggründe, welche er dafür hatte, waren in der That von schwerwiegender Art.

Bei seinem hohen künstlerischen Rufe und seiner viel beneideten Stellung in der Berliner Gesellschaft hatte es nicht ausbleiben können, daß sich auch die romantische Geschichte von der in seiner Wohnung erkrankten jungen Dame und von seiner in aller Stille erfolgten Verlobung mit außerordentlicher Schnelligkeit und mit allerlei mehr oder weniger frei erfundenen Zuthaten in weiteren Kreisen verbreitete.

Er selbst hatte von dieser Verbreitung allerdings erst Kenntniß erhalten, als er den Versuch gemacht hatte, die vorläufige Aufnahme seiner Braut in einer der ihm befreundeten Familien zu bewirken. Er hatte geglaubt, daß ihm nichts leichter fallen könne als das, denn man hatte ihn vorher mit Auszeichnungen und Freundschaftsversicherungen von allen Seiten überhäuft, und noch vor wenigen Wochen hätte man sich selbst in vornehmen Häusern glücklich geschätzt, ihm einen Dienst zu erweisen. Um so herber und schmerzlicher mußte er die Enttäuschung empfinden, welche er jetzt erfuhr. Man kam ihm zwar überall mit unverminderter Liebenswürdigkeit entgegen; aber man wurde plötzlich eisig kühl, sobald er seinen Wunsch auch nur von ferne anzudeuten wagte.

Nach einer ganzen Reihe von fruchtlosen und demüthigenden Versuchen war Gerhard mit stillem Ingrimm zu der Ueberzeugung gekommen, daß in den Augen der Welt der bloße Schein eines Unrechts hinreichend war, um eine allgemeine und rücksichtslose Verdammung zu rechtfertigen. Grollend zog er sich von den falschen Freunden zurück, und in einer glücklichen Stunde kam ihm die Erinnerung an eine alte, halb vergessene Bekannte aus seiner und Astrids Jugendzeit. Die verwitwete Rechnungsräthin Haidborn war mit der schönen jungen Frau des Musiklehrers eng befreundet gewesen, und Gerhard hatte sie oft im Hause seines Pflegevaters gesehen. Auch hatte er zuweilen die Erlaubniß erhalten, sie in Gesellschaft der kleinen Astrid zu besuchen – und noch lange nachher hatte er sich mit Vergnügen der heiteren Stunden erinnert, die er in dem großen Garten hinter ihrem am Weinbergsweg gelegenen Häuschen zugebracht hatte.

Später freilich, nach dem Tode von Astrids Mutter, war der Verkehr bald gänzlich ins Stocken gerathen; aber Gerhard zweifelte trotzdem nicht, daß er bei der alten Dame, sofern sie überhaupt noch am Leben wäre, eine freundliche Aufnahme finden würde.

Und seine Erwartung hatte ihn nicht getäuscht. Inmitten der hohen Miethskasernen, die während des letzten Jahrzehnts auch draußen am Weinbergsweg emporgewachsen waren, hatte sich die Rechnungsräthin mit dem Eigensinn einer vereinsamten alten Dame ihr unansehnliches, niedriges Häuschen zu erhalten gewußt. Nicht ohne Rührung fand Gerhard selbst die kleinsten Einzelheiten noch genau so wieder, wie sie ihm aus der fröhlichen Knabenzeit ins Gedächtniß geblieben waren, von dem blankgeputzten Messingknopf des Glockenzuges bis zu dem als höchstes Heiligthum behüteten Glasspinde in der besten Stube.

Und – was ihm von besonderer Bedeutung war – auch die Besitzerin all dieser ehrwürdigen Dinge hatte sich ihr goldenes Gemüth und die Zuneigung für die Tochter ihrer einstigen heißgeliebten Freundin unverändert bewahrt. Sie war stolz darauf, daß der berühmte Künstler sich ihrer erinnerte, obwohl sie mit dem natürlichen Scharfblick einer feinsinnigen Frau sofort errieth, daß er nur gekommen sei, weil er in irgend einer Weise ihrer Dienste bedürfe. Sie machte es Gerhard leicht, ihr sein bedrückendes Geständniß abzulegen, und schon in der ersten Viertelstunde ihres Beisammenseins gewann sie sich sein unbeschränktes Vertrauen.

„Welch’ ein wundersamer Zufall! Und welch’ ein Glück, daß sich alles so gefügt hat!“ sagte sie, als er seine einfache und der Wahrheit durchaus entsprechende Erzählung beendet hatte. „Ein Glück wenigstens, wenn Sie Astrid wahr und aufrichtig lieben, und wenn es nicht nur eine Regung des Mitleids war, die Ihre Handlungsweise bestimmt hat.“

Mit Eifer und Wärme verwahrte sich Gerhard gegen einen solchen Verdacht.

Wenn er auch vor seinem eigenen Gewissen nicht in Abrede stellen konnte, daß das Mitleid mit Astrids unglückseliger Lage einen nicht unerheblichen Antheil an seinem mit so großer Raschheit gefaßten Entschlusse gehabt habe, so war er jetzt von der Tiefe und Wahrhaftigkeit seiner Liebe zu ihr doch fest genug überzeugt, um mit reinem Herzen jede Sorge der trefflichen alten Dame beseitigen zu können.

„Nun, wenn es so ist, mein lieber Gerhard –“ die Rechnungsräthin hatte sich die Erlaubniß ausgebeten, ihn wie in den alten Zeiten bei seinem Vornamen zu nennen – „so brauchen Sie sich wahrhaftig um das Gerede der Welt und um die Vorurtheile der Menschen nicht viel zu kümmern! Habt Ihr beide Euch rechtschaffen lieb und spricht Euch Euer eigenes Bewußtsein frei, so werdet Ihr über die kleinen Unannehmlichkeiten, die unter solchen Umständen unausbleiblich sind, mit lachendem Munde hinwegkommen; und die große Gefahr, die im anderen Falle freilich beständig wie ein drohendes Gespenst über Euch schweben würde, die Gefahr der Reue, hat dann ja keine Schrecknisse für Euch. Natürlich bin ich bereit, meine liebe kleine Astrid zu mir zu nehmen; ich betrachte mich von heute an als ihre Mutter, und wenn es Ihnen recht ist, lieber Sohn, werde ich schon morgen kommen, sie mir zu holen. Hier soll das giftige Geschwätz der Lästerzungen sie gewiß nicht erreichen, und aus meinem Munde soll kein unbedachtes Wort kommen, das den unschuldigen Frieden ihres ahnungslosen Gemüths zerstören könnte. Hier soll sie sich von allen Leiden und Kümmernissen gründlich erholen, ehe ich sie Ihnen als Ihr liebes Frauchen übergebe, denn ich denke, in meinem Hause und in meinem Garten weht eine gesunde Luft, zuträglich für Seele und Leib!“

So war allen bangen Zweifeln und Sorgen um die Gestaltung der nächsten Zukunft mit einem Schlage ein Ende gemacht, und niemand war glücklicher über diese unerwartete Wendung als Astrid selbst, die von der ersten Stunde ihres Beisammenseins an die Zuneigung der Rechnungsräthin aufs herzlichste erwiderte. Frau Haidborn hatte vollkommen recht gehabt, als sie der Zuversicht Ausdruck gegeben hatte, daß Bosheit und

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Kaiser Karl V. auf der Flucht vor Moritz von Sachsen.
Zeichnung von A. Cloß.

[793] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt. [794] Verleumdung in das kleine Häuschen am Weinbergsweg keinen Einlaß finden würden. Hier draußen in der Vorstadt wußte man überhaupt nichts von den beliebtesten Gesprächsstoffen der „guten Gesellschaft“, und die Nachbarn, die an und für sich natürlich nicht weniger neugierig waren, als es unsere lieben Nächsten in der ganzen Welt zu sein pflegen, waren vollkommen zufriedengestellt, als sie von dem Dienstmädchen der Frau Haidborn erfuhren, die schöne junge Dame, welche da vor kurzem ihren Einzug gehalten habe, sei eine Verwandte der Rechnungsräthin, und der elegante junge Herr, der an jedem Nachmittag in einer Droschke erster Klasse zu kommen pflegte, sie zu besuchen, sei ihr Verlobter, mit dem sie noch im Laufe des Sommers Hochzeit machen werde.

So vergingen den beiden Liebenden zwischen dem altmodischen Hausrath ihrer freundlichen Beschützerin die ersten sorglos glücklichen Stunden. Aus jedem Winkel dieser bei all ihrer altväterischen Einfachheit so traulichen und anheimelnden Wohnung schienen ihnen liebe Erinnerungen von heiterer oder rührender Art zu winken, und wie sie des armen, im harten Kampfe ums Dasein so frühe unterlegenen Musiklehrers oft in treuer Liebe gedachten, so erzählte ihnen die Rechnungsräthin mit besonderer Vorliebe von ihrer unvergeßlichen Freundin, der schönen Norwegerin Astrid Ulwe, die ihrer eigenen – freilich unausgesprochenen – Ueberzeugung nach nicht an irgend einer Krankheit, sondern an der unerfüllten Sehnsucht nach einer Aussöhnung mit ihrem harten Vater und an gebrochenem Herzen gestorben war. –

Aber gegen das Ende des Winters hin wurden doch alle anderen Gesprächsstoffe verdrängt von den Erörterungen über ein großes Ereigniß, welches nahe bevorstand und an welchem alle drei einen gleich großen und innigen Antheil nahmen.

Ein neues Werk Gerhard Steinaus, zugleich das größte und bedeutsamste von allen, die er bisher geschaffen hatte, ein Oratorium „Sakuntala“, sollte binnen kurzem im vornehmsten Konzertsaale Berlins zur ersten Aufführung gelangen, und es war natürlich, daß von dieser Aufführung, die man in allen musikliebenden Kreisen der Hauptstadt mit großer Wichtigkeit behandelte, nirgends so lebhaft gesprochen wurde als in dem Häuschen der Rechnungsräthin am Weinbergsweg.

Zwei volle Jahre fast hatte Gerhard an dieser Tondichtung gearbeitet, denn zum erstenmal gedachte er, der Welt in vollem Umfange zu zeigen, was er als Komponist zu leisten vermöge. Ein glücklicher Erfolg dieses Werkes mußte seinem Namen nicht nur neuen Glanz verleihen, sondern er mußte den Klang desselben auch weit hinaustragen über die Grenzen seines Vaterlandes, mußte ihm einen unbestrittenen Ehrenplatz sichern unter den ersten aller lebenden Musiker.

Glückliche Sterne hatten über der Entstehung des Oratoriums geleuchtet, glücklich für den Komponisten, auch wenn sie jetzt ihren bestrickenden Glanz für ihn eingebüßt hatten. Diese Sterne waren nichts anderes gewesen als Rita Gardinis leuchtende Augen! Nicht mit Unrecht hatte er sie einst im Rausch der Leidenschaft seine Muse genannt. Bei diesem Werke wenigstens war sie es im vollsten Sinne des Wortes gewesen. Ausschließlich für sie hatte er die Hauptpartie desselben geschrieben, und ihr feines künstlerisches Verständniß, die liebevolle Theilnahme, mit welcher sie das Fortschreiten seines Schaffens begleitete, waren ihm eine stetig erneute Anregung gewesen zu immer höherem und großartigerem Schwunge seiner schöpferischen Phantasie. So war es nur natürlich gewesen, daß sie die Partie der Sakuntala schon damals in allen ihren Theilen innegehabt hatte, und nie war Gerhard darüber im Zweifel gewesen, daß keine andere als sie auch die Trägerin dieser Partie bei der ersten öffentlichen Aufführung sein müsse.

Jetzt freilich konnte davon nicht mehr die Rede sein. Gerhard hatte für immer mit ihr gebrochen, und seit jenem Augenblick, da er das Fenster ihres Wagens zertrümmert hatte, nur um von ihrer Seite hinweg schneller hinaus zu gelangen ins Freie, gähnte zwischen ihnen eine Kluft, die nach Gerhards Ueberzeugung auch dem Künstler keine Annäherung an die Künstlerin gestattete. Seit Monaten studirte eine andere berühmte Sängerin die Sakuntala, und wenn auch der Komponist bei den Proben nicht ohne eine Regung schmerzlichen Bedauerns jenen zauberischen Schmelz der Stimme und jene wundersame seelische Belebung vermißte, die ihn so oft bei Ritas Gesang in Entzücken versetzt hatten, so durfte er doch immerhin auch mit dieser Vertreterin vollkommen zufrieden sein, um so mehr, als sie beim Publikum sehr beliebt war und als ihm auch für die übrigen Solopartien des Werkes die bedeutendsten unter den deutschen Gesangeskünstlern zur Verfügung standen.

Als die großen Proben mit den Chören und dem Orchester begonnen hatten, und als demgemäß auch die Mühen und die begreifliche Erregung des Komponisten, der die Aufführung in eigener Person leiten wollte, wuchsen, äußerte Astrid mit einigem Zagen den Wunsch, ihn in den Konzertsaal begleiten zu dürfen. Aber mit so großer Bereitwilligkeit er sonst auch alles that, was ihr Freude bereiten konnte, so bestimmt lehnte er doch diesmal ihre bescheidene Bitte ab.

„Bei der ersten Aufführung sollst Du das Werk kennenlernen, mein Lieb,“ sagte er, sie zärtlich an sich ziehend, „aber nicht früher! Diese Proben mit ihren Unvollkommenheiten und Mißverständnissen würden Dich zu keinem ruhigen und ungetrübten Genießen kommen lassen, und für mich selbst würde es nur ein bedrückendes und beunruhigendes Gefühl sein, Dich im Saale zu wissen. Bei der Aufführung aber will ich gerade aus dieser Gewißheit, daß Du mir nahe bist, den Muth und die Zuversicht gewinnen, deren ich nur zu sehr bedürfen werde.“

Und Astrid hatte sich seinem Willen gefügt, obwohl sie in ihrem Herzen jeden der Mitwirkenden um das Glück beneidete, den Geliebten bei der Ausgestaltung und letzten Vollendung seiner Schöpfung mit Auge und Ohr begleiten zu dürfen.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Reich – Ein Recht.

Das nationale Lehen bedarf zu seiner vollen Entfaltung des einheitlichen Rechts kaum minder als der einheitlichen Sprache.“ So ging im deutschen Volke neben dem Drange nach politischer Einigung auch immer der Drang nach einer Einheit des Rechts einher, war ja doch auf diesem Gebiete die Zersplitterung eine gleich große wie auf dem politischen. Schon in den ersten Zeiten des auflebenden Germanenthums hatte jeder Stamm sein eigen Recht. Dasselbe trug einen vorherrschend örtlichen Charakter. Wenn der Wanderer durch das mittelalterliche Deutschland in das Thor einer neuen Stadt einzog, so betrat er auch das Gebiet eines neuen Rechts. Zahllos waren neben Gewohnheit und Herkommen die einzelnen „Weisthümer“, die geschriebenen Gesetze in Stadt und Land. Es konnte daher nicht Wunder nehmen, daß das hochentwickelte römische Recht, das auf der Rechtsschule zu Bologna eine gelehrte Pflegstätte besaß, begünstigt von den fränkisch-staufischen Kaisern, die sich als die Nachfolger der römischen Imperatoren betrachteten, über die Alpen herübergetragen wurde. Daneben nahm aber auch die Kirche noch ein eigenes Recht in Anspruch, das sie über die eigenen Angelegenheiten hinaus auch auf die bürgerliche Familie ausdehnte.

Im dritten Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts unternahm es zwar ein anhalter Landgerichtsschöffe, Eike von Repgow, das im Lande der Sachsen geltende Recht in dem „Sachsenspiegel“ zu vereinigen, einem Rechtsbuche, das im deutschen Norden lange als Quelle des Rechts galt; aber das fortgeschrittene römische und kanonische (kirchliche) Recht verdrängte mehr und mehr seine Bedeutung. Ihm folgte mit gleichem Schicksal der „Schwabenspiegel“, welcher eine Sammlung der namentlich in Süddeutschland geltenden Rechtsgewohnheiten bildete. Beide Rechtsbücher beleuchteten damit nur den alten deutschen Gegensatz zwischen Nord und Süd. Mit der Zeit bildete sich nun zwar ein sogenanntes „Gemeines Recht“ in Deutschland, zusammengeschweißt aus römischem, kanonischem und deutschem Rechte, aber dasselbe holte sich seine Weisheit meist erst vom Katheder und aus den Lehrbüchern der deutschen Professoren und trug in sich eine Summe von Unklarheiten und zweifelhaften Bestimmungen.

Um dieser Unsicherheit zu steuern, unternahmen es einzelne Staaten kraft ihrer Selbstherrlichkeit besondere Gesetzbücher aufzustellen, unter denen namentlich das preußische Landrecht ein [795] weites Gebiet beherrscht; aber es waren doch nur wieder so viel Gesetzbücher, so viel Rechte. Das erste Gesetzbuch von allgemeiner Geltung war die „Allgemeine deutsche Wechselordnung“ vom Jahre 1849. Ihr folgte zwanzig Jahre später das „Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch“, ein Gesetz, in welchem man die feinen Unterscheidungen des römischen Rechtsverstandes mit dem altdeutschen Gefühle für Treu und Glauben ins Einvernehmen zu setzen suchte.

Als dann die politische Einheit auf blutiger Wahlstatt erkämpft war, wurde die Schaffung eines gemeinsamen bürgerlichen Rechts zu einer der vornehmsten Aufgaben, welche das junge Reich zu lösen hatte. So betraute auf Grund des Reichsgesetzes vom 20. Dezember 1873 der Bundesrath im Juni des folgenden Jahres eine aus elf Juristen, Männern von Kenntniß und Erfahrung, gebildete Kommission unter Vorsitz des Geheimrathes Dr. Pape mit der Ausarbeitung eines bürgerlichen Gesetzbuches für das ganze Deutsche Reich, und nach einer mühevollen Arbeit von dreizehn Jahren lag der Entwurf dieses deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs mit seinen 2164 Paragraphen und fünf Bänden Motiven fertig auf dem Tische des Reichskanzleramtes: ein Werk rastlosen Fleißes, gewissenhafter Gründlichkeit, reicher Kenntniß, tiefsinniger, aber den Anforderungen des praktischen Lebens dabei in erster Reihe Rechnung tragender Erwägung.

Die Aufgabe war eine ungewöhnlich schwere, denn die Kommission konnte sich nicht darauf beschränken, das bereits im Volke lebende Recht zusammenzufassen und nur hie und da mit den Bedürfnissen der neuen Zeit in Einklang zu bringen; hier „handelte es sich,“ wie die Motive sagen, „vielmehr darum, nach einer jahrhundertelangen politischen Zersplitterung und einer der selben entsprechenden verschiedenartigen Entwicklung des Rechtes in den verschiedenen Theilen Deutschlands ein einheitliches Recht erst wieder zu gewinnen.“

Es galt also vielfach, wenigstens für einzelne Landestheils neues Recht zu schaffen, von dem man hoffen konnte, daß es nach einer wenn auch anfangs vielleicht unfreundlichen Aufnahme doch mit der Zeit in das allgemeine Rechtsbewußtsein eindringen werde. Die Kommission war sich dieser undankbaren Seite ihrer Aufgabe wohl bewußt, aber die drängende nationale Forderung, dem deutschen Volke ein einheitliches Recht in jedem Falle zu schaffen, gab ihr den zu ihrer Aufgabe nothwendigen Muth.

So wie es vorliegt, trägt das Werk durch und durch ein echt deutsches Gepräge schon in der Form des sprachlichen Ausdrucks, obwohl die leidige Fremdwörterei unter dem Einflusse des römischen Rechts kaum auf einem Gebiete so ins Kraut geschossen ist als auf dem des Rechts, ein Umstand, der nicht wenig dazu beigetragen hat, das Recht dem Volke zu entfremden.

Im Ausbau des Innern aber weht durch das neue Gesetzbuch ein frischer, freier, aller Verknöcherung feindlicher Hauch. Ueberall tritt das Bestreben hervor, die Rechtssätze den Anforderungen des praktischen Lebens anzupassen. In diesem Sinne macht der Entwurf es dem Richter zur Pflicht, bei der Auslegung von Willenserklärungen nicht an dem buchstäblichen Ausdrucke zu haften, sondern den wirklichen Willen der Parteien zu erforschen; in diesem Sinne steht ihm das materielle Recht jeder Zeit höher als das formelle und entkleidet er überhaupt die Form ihrer alten schrankenlosen Macht. So schreckt z. B. das Gesetz nicht davor zurück, jemand den Gebrauch der Selbsthilfe zu gestatten, sobald er in Gefahr kommt, durch den Mangel bereiter obrigkeitlicher Hilfe die Verwirklichung seines guten Rechts vereitelt zu sehen. So mildert es auch sonst die mancherlei Härten des alten Rechts und hütet sich, schnöder Uebervortheilung Handhaben zu bieten. Es achtet die Freiheit der Person und schützt sie in der Bethätigung ihres Handelns, so lange sie damit nicht einen andern schädigt. Da aber, wo dieser andere Schaden erleidet an seiner Gesundheit, Freiheit oder Ehre, gewährt sie ihm die weitestgehende Entschädigung.

Den Grund und Boden, der in der Entwickelung des deutschen Rechts unter dem Drucke der mannigfachsten, oft widersinnigsten Lasten stand, will der Entwurf, wozu ihm die neuere Gesetzgebung schon vielfach den Weg gebahnt hat, möglichst unabhängig und nur mit solchen Beschränkungen belegt sehen, welche die allgemeinen Bedürfnisse und nicht der Bequemlichkeit des einzelnen entsprechen. In den Reibungen, in welche die neuzeitliche Industrie und ihre Fabrik- und Dampfanlagen oft mit dem nachbarlichen Eigenthum gerathen, Verhältnisse, mit denen das alte deutsche und das römische Recht nicht zu rechnen hatten, nimmt der Entwurf den Standpunkt des „Leben und Lebenlassens“ ein. „Eine Ueberspannung des Eigenthumsbegriffs,“ heißt es in den dem Entwürfe beigegebenen Motiven, „würde hier die nothwendigen Vorbedingungen des Lebens und Verkehrs beeinträchtigen, insbesondere dem Gewerbebetriebe schnöde Fesseln anlegen und die Entwicklung der Industrie in nicht zu übersehender Weise lähmen.“

Der Entwurf stellt demnach fest, daß der Grundstücksnachbar die nicht durch unmittelbare Zuleitung erfolgende Zuführung von Gasen, Dämpfen, Rauch, Ruß, Gerüchen, Wärme, Erschütterungen und dergleichen insoweit zu dulden habe, als solche Einwirkungen entweder die regelmäßige Benutzung des Grundstücks nicht in erheblichem Maße beeinträchtigen oder die Grenzen der Ortsüblichkeit nicht überschreiten.

In Würdigung der großen Bedeutung, welche der Grundbesitz für die Erlangung flüssiger Geldmittel oder laufenden Kredits im heutigen Verkehrsleben erlangte, nahm die Kommission in den Entwurf alle diejenigen Rechtseinrichtungen auf, welche sich in dieser Richtung neu gebildet haben; neben der alten Hypothek mit oder ohne Dokument (Brief) die Grundschuld, bei welcher nur das Grundstück, nicht aber zugleich die Person des Schuldners haftet, die Sicherungshypothek und die Eigenthümer-Hypothek, bei welcher durch Tilgung der Pfandschuld der Eigenthümer selbst in die Hypothek eintritt.

Von hoher Bedeutung sind die Bestimmungen des Entwurfs in betreff der Ehe und Familie. Nach der Anschauung des älteren Rechts galt der Ehemann als das Haupt, als der unumschränkte Herrscher im Hause. Die Frau hatte nichts voraus vor der Haustochter. Auch das kanonische Recht hielt sich noch streng an das alte Bibelwort, das dem Weib sagt: „Dein Wille soll deinem Manne unterthan und er soll dein Herr sein.“ Das spätere deutsche Recht stellte jedoch die Frau nicht mehr unter die Herrschaft, sondern unter die Vormundschaft des Mannes. Er wurde ihr Pfleger, Verwalter und Berather; sie aber stieg in Erstarkung ihrer gesellschaftlichen Stellung mehr und mehr empor zur gleichberechtigten Genossin. So stellt der Entwurf, als leitenden Grundsatz für das Ehe- und Familienrecht auf, daß die Ehegatten untereinander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet und berechtigt sind, wie es schon in einer alten Schöffengerichtssatzung heißt:

„Mann und Weib
Sollen sein in Wahrheit wie ein Leid.“

Dem Ehemann gebührt die entscheidende Stimme in allen Angelegenheiten des ehelichen Lebens. Er bestimmt Wohnort und Wohnung. Die Frau hat das Recht und die Pflicht, dem Hauswesen vorzustehen, ein Recht, das, würde es ihr entzogen, sie sogar klagbar verfolgen kann. Dem bestimmenden Worte des Mannes braucht sie aber dann nicht zu folgen, wenn es mit der rechten ehelichen Gesinnung unverträglich ist. Wohl aber ist sie verpflichtet, neben den rein häuslichen Arbeiten dem Manne auch in dem von ihm betriebenen Geschäfte Hilfe zu leisten, soweit solche Verrichtungen nach dem Stande des Mannes für sie üblich sind. Innerhalb ihres häuslichen Wirkungskreises schaltet und waltet sie rechtlich ganz frei. Sie besitzt, wie es in alten Rechten heißt, die Schlüsselgewalt. Für das, was sie hier thut, haftet der Mann mit seinem eigenen Vermögen. Das gleiche ist der Fall, wenn sie eheliche Lasten bestreitet, z. B. nothwendige Kleider für sich und die Kinder anschafft. Wie weit sie in dieser Richtung gehen kann, bestimmt sich nach den socialen Verhältnissen der Eheleute, nach Stand und Sitte. Dieser edlen Auffassung der Ehe entstammt auch die Bestimmung, daß die vermögende oder erwerbsfähige Frau den kranken oder in Noth und Armuth gerathenen Mann unterhalten muß.

Ungemein vielgestaltig ist in Deutschland die Rechtsbildung gewesen in bezug auf das den Ehegatten gehörende Vermögen. Die Zahl der in Deutschland geltenden ehelichen Güterrechte beziffert sich auf hundert. Römisch- und deutschrechtliche Grundsätze haben sich in bunter Mischung und in den weitest auseinanderliegenden Formen nach- und nebeneinander ausgestaltet. Mit deutscher Gründlichkeit hat die Kommission diese vielseitigen Systeme geprüft und „sich bemüht, aus der Vielgestaltigkeit des bestehenden Rechts diejenigen Rechtssätze auszuwählen, welche unter Berücksichtigung aller Verhältnisse am meisten zur Geltung in ganz Deutschland geeignet erschienen.“

[796]

Stickerei auf gemalter Seide von H. Mankiewicz.

Als die idealste Form des ehelichen Güterrechts würde sich diejenige ergeben, in welcher die volle Vereinigung des ganzen Vermögens beider Ehegatten zu einem untrennbaren Ganzen, zu gemeinsamem Gedeihen und Verderben festgesetzt wird. Hier fände sich die volle Lebensgemeinschaft der Ehegatten auch in gemeinsamer Tragung von Ueberfluß und Entbehrung ausgesprochen. Aber dieses Ideal des Systems der allgemeinen Gütergemeinschaft trifft auf ein ihm feindliches Leben. Seine Durchführung verlangt auch ideale Ehegatten, welche eine strenge Verwendung des gegenseitigen Guts im Sinne des ehelichen Zwecks gewährleisten. In der Wirklichkeit würde das äußere und innere Gleichgewicht durch die Haftung des Gesammtguts für die vom Manne einseitig gemachten Schulden leicht eine Störung erleiden. Das aus dem französischen Rechte herübergenommene und daher in den linksrheinischen Gebieten Deutschlands noch giltige System der Mobiliargemeinschaft beschränkt die Gemeinschaft auf die bewegliche Habe der Ehegatten und schließt den Grundbesitz davon aus. Ein weiteres in Deutschland ziemlich verbreitetes System des ehelichen Güterrechts ist das der Errungenschaftsgemeinschaft. Hier wird an den vorehelichen Besitzverhältnissen nichts geändert. Jedem Ehegatten verbleibt das Seine, aber alles, was die Eheleute nach ihrem Eintritt in die Ehe mit ihren körperlichen, geistigen und materiellen Kräften erwarben, wird als gemeinsames Eigenthum betrachtet; die Lasten der Ehe werden aus dem Errungenen gemeinschaftlich bestritten und bei Ueberschuß gleichmäßig getheilt: ein System, für das man sich gemächlich wohl erwärmen kann, das aber vor der rauhen Wirklichkeit ebenso wenig Stand hält, theils wegen der Verwickeltheit der beiderseitigen Erwerbsverhältnisse, theils wegen des auch hier sich geltend machenden natürlichen Uebergewichts des Mannes.

Das System des römischen Dotalrechts, das an dem Eigenthum der Ehegatten nichts ändert und dem Ehemann nur den Nießbrauch und die Verwaltung an dem Heirathsgute der Frau einräumt, hat in Deutschland von Haus aus wenig Sympathien gehabt. Es widersprach zu sehr dem germanischen Ehebegriffe. Einen vermittelnden Standpunkt zwischen beiden Extremen nimmt das System der Verwaltungsgemeinschaft ein, welches ohne Aenderung des eigentlichen Vermögensbestandes den Ertrag des beiderseitigen Vermögens und der beiderseitigen Arbeit zur Bestreitung der ehelichen Lasten verwendet und zu diesem Zwecke das Vermögen in der Hand des Mannes als des Herrn und Hauptes vereinigt wissen will.

Dieses System nimmt nun auch der Gesetzentwurf als Grundlage seines ehelichen Güterrechts an. Er unterstellt das Vermögen der Ehefrau, das sie zur Zeit der Eheschließung besessen und während der Ehe erworben hat, unbeschadet ihres Eigenthums der Nutznießung und Verwaltung des Ehemanns und nimmt davon nur diejenigen Sachen aus, die ausschließlich zum persönlichen Gebrauche der Ehefrau dienen, insbesondere Kleidung und Schmuck. Daneben erlaubt er aber auch der Ehefrau, einen Theil ihres Vermögens von der Verwaltung und dem Nießbrauche des Mannes freizumachen (sog. „Vorbehaltsgut“). Dies kann geschehen durch einen Vertrag unter den Ehegatten, durch Zuwendungen von außen mit diesem Vorbehalte, sowie in betreff dessen, was die Ehefrau durch ihre besondere, nicht bloß häusliche Arbeit oder durch selbständigen Geschäftsbetrieb erwirbt.

Um aber den seitherigen Gewohnheiten und Gepflogenheiten einzelner Landstriche Rechnung zu tragen, läßt es der Entwurf den Ehegatten offen, im Wege des Ehevertrags eins der genannten Systeme für ihre Verhältnisse ganz oder theilweise anzunehmen und damit den strengen Boden des gesetzlichen Rechts zu verlassen. Auf diese Weise kann auch noch der „Allgemeine deutsche Frauenverein“ zur Befriedigung seiner Wünsche kommen, der in einer an den deutschen Reichstag gerichteten Eingabe zu gunsten der Selbständigkeit der Frauenwelt die [797] Einführung der vollständigen Gütertrennung und die gesonderte Verwaltung des Eheguts beantragte. Es bedürfte dann bloß der weiblichen Ueberredungskunst, jene Zugeständnisse dem Manne in den Flitterwochen abzuschmeicheln.

So wenig der Gesetzentwurf sich der Thatsache verschließt, daß die Auflösung einer Ehe zu einer Forderung der Gerechtigkeit werden kann, wenn im Einzelfalle die sittlichen Grundlagen untergraben und Voraussetzungen einer innigen Lebensgemeinschaft unter den Ehegatten nicht mehr vorhanden sind, so fern hält er sich von einer Begünstigung der Ehescheidung. Er tritt vielmehr für möglichste Erhaltung des geschlossenen Lebensbundes ein. So schließt er jede Scheidung auf Grund einer bloßen gegenseitigen Einwilligung der Eheleute streng aus, obwohl neuere Gesetze dieselbe wenigstens bei kinderlosen Ehen zulassen, verwirft ebenso körperliche Gebrechen, eingetretene Geisteskrankheit, unüberwindliche Abneigung und Religionswechsel als Ehescheidungsgründe und beschränkt die letzteren auf Ehebruch, Nachstellung nach dem Leben und böswillige Verlassung, sowie auf einige mit den Verhältnissen wechselnde Gründe, deren Beurtheilung dem Ermessen des Richters im einzelnen Falle anheimgestellt ist. Auch einer Trennung auf Zeit erweist sich der Entwurf abhold, da eine solche mit dem Wesen der auf Lebensdauer abgeschlossenen Ehe nicht im Einklang zu stehen scheint. Den aus der Scheidung schuldigen Theil belastet er mit Pflichten und Vermögensnachtheilen.

Die Pflicht der Unterhaltung von mittellosen Verwandten dehnt der Entwurf auch auf die Geschwister aus, um die stark in Anspruch genommene öffentliche Armenunterstützung zu entlasten.

Die elterliche Gewalt über das minderjährige Kind, welche dem Vater und nach dessen Tode der Mutter zufällt, faßt der Entwurf nach deutschrechtlicher Anschauung mehr als eine fürsorgende Vormundschaft auf. Der Vater muß das Kind erziehen und erhalten, ist dasselbe aber zufällig reich und er arm, so ist er nicht verpflichtet, ihm eine über seinen, des Vaters, Stand hinausgehende Erziehung zu geben. Eine Pflicht zur Ausstattung der Töchter erkennt das Gesetz nicht an. Das Kind kann durch Zuwendung von außen oder eigne Arbeit freies Vermögen erwerben, das dem väterlichen Nutzungsrecht entzogen ist.

Eine Bevormundung des minderjährigen Kindes im eigentlichen Sinne tritt erst ein, wenn es nicht mehr der väterlichen oder mütterlichen Gewalt unterstellt ist (sowie im Falle des Mißbrauchs dieser Gewalt). Die obervormundschaftliche Leitung legt der Entwurf in die Hände des Gerichts. Eine Uebertragung derselben an die Gemeinde, für welche neuere Gesetze sich aussprechen, schien nicht angemessen; ebensowenig die Einführung des französischen Instituts des Familienraths an Stelle des Vormundschaftsgerichts. So bestechend und natürlich es auch schien, der organisirten Familie den maßgebenden Einfluß auf das Vormundschaftswesen zu überlassen, so sprachen doch praktische Gründe dagegen. Dies hindert indeß nicht, daß im einzelnen Falle, z. B. wo es sich um die Leitung großer industrieller Unternehmungen handelt, auf Wunsch der Betheiligten ein Familienrath unterstützend herangezogen werde. Ebenso empfiehlt der Entwurf die Bildung von Gemeindewaisenräthen, wie sie hie und da bestehen als Hilfsorgane der Gerichte. Neben der elterlichen Gewalt und der Vormundschaft über Minderjährige kennt der Entwurf auch die Einrichtung der Pflegschaften für einzelne Fälle, wo jene Institute, ausgeschlossen sind, gleichwohl aber eine vormundschaftliche Fürsorge angezeigt ist.

In bezug auf das Erbrecht entscheidet sich das neue Gesetz für das System der sogenannten

Stickerei auf gemalter Seide von H. Mankiewicz.

[798] Lineal-(Parentel-)Folge, indem es nach der Reihe die Kinder, die Eltern, die Großeltern, Urgroßeltern mit ihren Abkömmlingen und Stämmen zur Erbfolge beruft. Natürlich wahrt es auch das Erbrecht des überlebenden Ehegatten und spricht ihm in menschenfreundlicher Weise neben den Verwandten der zweiten und dritten Linie die gemeinsam gebrauchte Hauseinrichtung und die Hochzeitsgeschenke als ein Voraus zu. Ein Abkömmling muß sich in sein Erbe alles das aufrechnen lassen, was er bei der Verheirathung, Errichtung eines eignen Hausstands, Uebernahme eines Amts, Begründung eines Geschäftes oder einer sonstigen Lebensstellung vom Erblasser erhielt, nicht aber die Kosten seiner Vorbildung zu einem Lebensberufe.

Diese kurzen Andeutungen dürften immerhin geeignet sein, einen Ueberblick über die Größe und den Umfang der von der Kommission gelösten Aufgabe zu verleihen. Im Verein mit den bereits erschienenen Justizgesetzen ist mit diesem Werke die auf die Schaffung eines einheitlichen Rechts und einheitlichen Gerichtsverfahrens gerichtete gesetzgeberische Thätigkeit abgeschlossen. Neben den Errungenschaften kriegerischer Tüchtigkeit und der Schaffung äußerer Macht handelt es sich hier um eine Errungenschaft des durch den Krieg erlangten Friedens, um eine That des Geistes, wie sie in der langen Geschichte unseres Volkes selten in solcher Größe und Tiefe hervorgebracht worden ist. Nach mehr als tausendjährigem Ringen, Kämpfen und Zweifeln sind wir nun an dem Ziele angekommen, daß wir sagen können: Wir haben nun endlich Ein Reich – Ein Recht! Fr. Helbig.




November.

Es dampft mein Athem, die Lüfte schneiden,
Entblättert im Garten strecket ihr Bäume
Die nackten Glieder
Und schauet hernieder

5
Auf röthliches Laub,

Das dem Staub sich gesellte.

Nicht mehr die Windsbraut
Weckt eurer Stimme
Rauschenden Wohllaut,

10
Kaum noch dem Grimme

Des Sturmes entgegen
Mögt ihr die Arme zum Widerstand regen:
Bald bändigt ganz euch Winters stummer,
Gliederumspinnender Todesschlummer.

15
Wie seid ihr noch im Sterben schön!

Vom blauen Himmel mit goldenem Glanz
Umschimmert die Sonne Stamm und Gezweig:
Ihr scheint zu lächeln, froh und zufrieden,
Dem Menschen gleich, dem nach mühvollem Sein

20
Ein sanftes Ende das Schicksal beschieden.


In treuer Arbeit
Ein selbstlos Weben
War euer Leben.
Aus feinsten Fäden Blätter zu wirken

25
Zu schattenspendendem, schützendem Schirme,

Aus Schnee und Morgenroth Blüthen zu blasen,
Zu wonniger Weide dem Menschenauge,
Mit zartem Stoff goldwangige Hüllen
Und duftigen, süßen Säften zu füllen,

30
Dem Menschenherzen zu lieblicher Labe:

Das war euer Leben,
In treuer Arbeit
Ein selbstlos Weben.

Du aber, o Mensch, erhebe dein Herz

35
Zu selbstvergessenem Werk der Liebe,

Zu unverdrossener, fröhlicher Arbeit;
Treib Blüthen und Früchte
Zu Freud’ und Frommen
Dem darbenden Bruder!

40
Und wird dereinst im eignen Herbst

Nach rüstigem Schaffen die Hand dir sinken,
Dann möge so ein himmlisch Blinken,
So freundlich grüßender Sonnenschein
Dem brechenden Auge beschieden sein.

Otto Sievers.




Eine kleine Vergnügungsreise.

Humoreske von Hans Arnold.
(Fortsetzung.)


Während Helene und Anna beschäftigt waren, den Feind des Inkognitos von dem Rücken ihres Herren und Gebieters loszulösen, fand Aennchen Gelegenheit, ihrer Schwester zuzuflüstern: „Das ist Kurt!“

„Ach Thorheit!“ rief Helene überrascht und sah nun den Peiniger erst genau an, der vergeblich bemüht war, den zornigen Karl zu besänftigen, leider, wie zu vermuthen steht, mehr aus Interesse an dem reizenden Mädchen als aus allgemeiner Menschenliebe. Karl wollte aber nichts von Verzeihen hören, und selbst das Anerbieten des Unbekannten, ihm den Weg nach seinem doch entschieden verlornen Ziel zu weisen, hatte nur ein sehr mürrisches „Meinetwegen!“ zur Folge.

„Wir wollen nach dem R.-Hotel,“ fügte der Amtsrichter widerwillig hinzu, „wenn Sie wissen, wo das ist!“

Der andre lachte wieder.

„O ja, das weiß ich ganz genau,“ sagte er, „es liegt mir durchaus nicht aus dem Wege, wenn ich die Herrschaften begleiten darf!“

„Nein, ich danke,“ stieß Karl unfreundlich hervor, „sagen Sie uns nur die Richtung – ich habe sonst sehr viel Ortssinn, aber in diesem verwünschten Berlin finde sich einmal einer zurecht!“

„Darf ich mich Ihnen wenigstens bekannt machen?“ sagte der Fremde, nachdem er in Kürze den Weg beschrieben hatte, und zog schon den Hut.

„Ich danke auch dafür,“ murrte der Amtsrichter, „ich pflege Bekanntschaften nicht auf der Straße zu machen! Kommt, Kinder!“

Und nach einem kurzen, nicht gerade sehr liebenswürdigen Gruß an den jungen Mann bot er jeder seiner Damen einen Arm und zog sie mit sich fort. Der so kurz Abgefertigte sah den drei Gestalten einen Augenblick nach, pfiff unhörbar vor sich hin und ging, noch immer lachend, seiner Wege.

Inzwischen hatte Helene, durch das niedergeschlagene Gesicht ihrer Schwester gerührt, dem Gatten lebhafte Vorwürfe gemacht, daß er den Fremden so unhöflich behandelt habe.

„Ich begreife Dich gar nicht, Karl,“ sagte sie, „wie Du den jungen Mann so anfahren konntest! Es war ja zu natürlich, daß er unter diesen Verhältnissen sich den harmlosen Spaß erlaubte, Dich anzureden!“

„Dummheiten – Unverschämtheiten!“ stieß Karl ärgerlich hervor.

„Und im Grunde mußt Du ihm noch dankbar sein,“ fuhr Helene unbeirrt fort, „denn ohne ihn und seine Aufklärung liefst Du noch immer mit dem Zettel auf dem Rücken umher, wie ein Buch aus der Leihbibliothek. Der Mann sah so nett aus!“

Karl blieb stehen.

„Wißt Ihr, Kinder,“ sagte er mit Energie, „laßt mich mit Eurem unbekannten Freunde ungeschoren! So sind alle Frauen – danach bilden sie ihr Urtheil! Sah nett aus! Und solche Wesen wollen gleichberechtigte Stellung mit den Männern haben! Wenn Ihr Geschworne seid und ein überführter Mörder hat ein paar blaue Kalbsaugen, so sprecht Ihr ihn alle zusammen frei! Der Mann war entschieden ein Bauernfänger, daß Ihr’s wißt!“

„Aber Karl!“ rief Anna, vor Empörung ihre Schüchternheit vergessend. – Ihr Ideal ein Bauernfänger – das war zu viel!

Ihr Schwager sah sie scharf an.

„Was geht denn das Dich an, wenn ich fragen darf?“

„Aennchen kennt ihn ja aus D. . . !“ kam Helene der tief beschämten Schwester zu Hilfe.

„Was?“ frug Karl mißtrauisch, „Du kennst den Monsieur? Wie heißt er denn?“

Das war nun, wie wir wissen, eine unangenehme Frage! Daß der Unbekannte Kurt hieß, konnte schwerlich genügen, um den Amtsrichter über dessen Personalien zu beruhigen, und weiter [799] wußte ja Anna nichts von ihm! Sie schwieg daher und wurde nur wieder roth, was zwar sehr hübsch aussah, aber nicht als genügende Auskunft gelten konnte, – wenigstens nicht einem prosaischen Schwager und Amtsrichter gegenüber.

„Aha!“ meinte Karl überlegen, „die Bekanntschaft ist also so genau, daß Du nicht ’mal seinen Namen weißt! Nein, Kinder, da verlaßt Euch auf mich – ich sage Euch, der Mann war ein Bauernfänger – dabei bleibe ich! Die sehen immer am feinsten und anständigsten aus! Und jetzt basta!“

Sie waren inzwischen glücklich nach ihrem Hotel gelangt und man konnte dem allgemeinen Bedürfniß nach Schlaf und Ruhe Rechnung tragen. Allerdings wurde dies nicht lange befriedigt, denn die Aufregung und der Wunsch, Berlin nun auch ganz zu genießen, trieb unsere Vergnüglinge bald wieder empor.

Im Speisesaal wurde die Frage: „Was nun?“ von dem Ehepaar erörtert, während Anna mit entschiedener Gleichgültigkeit alle Vorschläge anhörte. Für sie war Berlin nur noch ein einziger, großer Rahmen um das Bild des Unvergleichlichen geworden, der heute morgen in so überraschender Weise ihren Lebensweg wieder gekreuzt hatte, und – o Schmerz! – keine Ahnung zu haben schien, daß er sie je vorher gesehen hatte.

Der Unbekannte, den wir unsern Lesern hier gleich als Doktor Rüdiger vorstellen wollen, hatte inzwischen auch das R.-Hotel erreicht, in dem er, wie es der Zufall nun einmal wollte, gleichfalls seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Er ging an der halbgeöffneten Thür des Speisesaals vorbei, sah seine Bekannten von heute morgen am Tische sitzen und faßte den Entschluß, dem jungen Mädchen da drin unter allen Umständen bekannt zu werden. Es lockte ihn gar zu sehr, die in so eigenartiger Weise angeknüpften Beziehungen weiter zu spinnen, wobei noch dazu kam, daß ihm Aennchens Gesicht so bekannt erschien, als hätte er es schon irgendwo gesehen, ohne daß er sich genaue Rechenschaft zu geben vermocht hätte, daß und wo dies der Fall gewesen sei.

Selbst unbemerkt, beobachtete er, wie der Amtsrichter und seine Damen nach kurzer Rücksprache mit dem Portier das Hotel verließen, und kaum waren sie um die nächste Ecke gebogen, als er sich gleichfalls dem Portier näherte.

„Ist Herr Amtsrichter Schwarz schon ausgegangen?“ frug er nachlässig.

„Jawohl, mein Herr – eben sind die Herrschaften fort,“ erwiderte der Portier, der die Würde eines spanischen Granden mit aalglatter Verbindlichkeit zu vereinigen wußte.

„Das ist ja ärgerlich!“ bemerkte Rüdiger unbefangen, „wir wollten zum Abend etwas verabreden!“

„Die Herrschaften haben auf morgen abend Billette zur Oper bestellt,“ sagte der Portier.

„Ah – vortrefflich!“ erwiderte Rüdiger, „besorgen Sie für mich doch einen Platz in derselben Loge – ich hole ihn mir dann bei Ihnen ab.“

Er entfernte sich sehr vergnügt und lief die besuchtesten Sehenswürdigkeiten Berlins ab, in der stillen Hoffnung, das Glück werde ihm günstig sein und er die Familie irgendwo treffen. Aber dem war nicht so!

Museum und Nationalgalerie, Aquarium und Panoptikum wurden vergebens von ihm durchsucht – nirgends sah er das reizende, blonde Gesicht wieder, dem zuliebe er Berlin mit all’ seinen Herrlichkeiten erst in zweiter Linie genoß.

Unsere Amtsrichtersfamilie hatte inzwischen auch ihre Vergnügungswanderung angetreten. Zuerst waren verschiedene Läden abpatrouillirt worden und man war mit Ah und O dahin übereingekommen, daß Berlin doch der einzige menschenwürdige Aufenthalt sei! Dann jagte man keuchend hinter zwei geschlossenen, kaiserlichen Wagen her und versuchte, sich gegenseitig glauben zu machen, daß jeder etwas von den Insassen erspäht habe. Schließlich, nachdem noch das Museum, in Anbetracht der bereits eingetretenen Müdigkeit mit vieler Andacht und mäßigem Verständniß, durcheilt war, fühlten alle den entschiedensten Hunger und traten mit der Absicht, ein gemüthliches Mittagsmahl einzunehmen, in ein zu ebener Erde gelegenes höchst elegantes Restaurant ein.

Eine wahre Schar von beispiellos vornehmen Frackträgern begrüßte unsere Kleinstädter mit jener Mischung von Selbstbewußtsein und Verbindlichkeit, durch die der richtige Kellner sofort sein Verständniß für die Gäste an den Tag legt, für die ihm jede Abstufung im Betragen von kriechender Unterwürfigkeit bis zu herablassender Unverschämtheit zu Gebote steht.

Der Amtsrichter führte seine Damen nach einem einladend gedeckten Tischchen am Fenster, von dem aus man die Straße mit ihrem lebhaften Treiben übersehen konnte – allerdings auch nicht die Wohlthat des bekannten Liedes für sich in Anspruch nehmen durfte: „Wir sehn in die weiten Lande und werden doch nicht gesehn“ – denn jeder Schluck Wein und jede Gabelspitze voll Braten konnte von den Vorübergehenden aufs genaueste festgestellt werden.

Aber der für den Amtsrichter so erfreuliche Grundsatz: „Hier kennt einen ja kein Mensch!“ beruhigte über diese Schattenseiten eines Aufenthalts, der sonst mit seinem „Tischlein deck’ dich“ in jeder Weise befriedigte.

Die Frage des Kellners: „Was befehlen die Herrschaften zu speisen?“ hätte der Amtsrichter bei seiner Vorliebe für die Diskretion allerdings übelnehmen können, da ihn aber hungerte, so verzieh er sie großmüthig, und man vertiefte sich in das Studium der Speisekarte, die eine Menge von Namen trug, bei denen sich schlechterdings alles denken ließ, so daß man beim Erscheinen des betreffenden Gerichts einer frohen Ueberraschung jedenfalls sicher war.

Bald stand auch eine Flasche mit vielversprechendem, silbern überzogenem Kork in zierlichem Eiskübel auf der Tafel, und der Amtsrichter hob sein Glas, um den Damen zuzutrinken: „Kinder, wie wohl mir ist, daß wir hier mal ohne gute Freunde und getreue Nachbarn sind, das kann ich nicht sagen! Es lebe das Inkognito!“

Da klopfte es schalkhaft ans Fenster. Der arme Karl erstarrte, als sähe er ein Gespenst – ja, wer weiß, ob ihm solches nicht noch ein erwünschterer Anblick gewesen wäre, als das lächelnde Gesicht des Herrn Lebermann, der mit dem unverkennbaren Bewußtsein, Amtsrichters eine große und unverhoffte Freude zu machen, seine Nase an die Glasscheibe preßte.

Unserem Amtsrichter sank die Gabel aus der Hand. „Alle guten Geister – Lebermann!“ brachte er mühsam hervor.

Eine weitere Kritik des unerwünschten Zuwachses zu der Gesellschaft mußte unterbleiben, denn der gute Bekannte stand schon schmunzelnd vor unseren Vergnüglingen.

„Nun, das hätten Sie wohl auch nicht gedacht, daß Sie mich hier treffen würden?“ sagte er voller Seligkeit.

„Nein – nichts lag mir ferner!“ erwiderte Karl tonlos, „was machen Sie denn hier?“

„Das will ich Ihnen gleich erzählen,“ entgegnete Herr Lebermann, nachdem er die Damen ritterlich begrüßt und sich über Anna mit der Frage: „Ah, das ist wohl der Besuch, der vorgestern zu Ihnen kam?“ als durchaus unterrichtet erwiesen hatte.

Er zog sich einen Stuhl zum Tisch und bestellte sich bei dem Kellner ein Beefsteak.

Der Amtsrichter sah mit wilden Blicken umher und war allem Anschein nach so nahe am Grobwerden, daß Helene, um den Sturm abzuwenden, die Unvorsichtigkeit beging, den Apotheker an die verheißene Erzählung zu erinnern.

„Nun sehen Sie,“ begann der interessante Ankömmling, „ich bemerkte schon lange, daß die Plombe in meinem einen Backzahn – dem dritten oben,“ setzte er hinzu, um jeden Zweifel zu verscheuchen – „nicht mehr so recht fest sitzt. Ich glaube, ich sprach schon einmal mit Ihnen davon, Herr Amtsrichter?“

„Möglich!“ seufzte Karl ganz gebrochen.

„Ja, ja, ich weiß es noch ganz gut! Wir saßen bei König in der Weinstube – es ist sogar noch nicht lange her! Na einerlei! Also vorgestern abend fängt es mir an, in dem Zahn wehzuthun –“

„O!“ machte Helene bedauernd, um der Höflichkeit zu genügen.

„Nicht gerade sehr!“ beruhigte Herr Lebermann, „aber es machte sich doch bemerklich! Gestern früh aber – der Provisor hatte die Hinterthür in der Apotheke offen gelassen, und das giebt jedesmal einen Zug – nein, davon machen Sie sich keine Vorstellung! Zum Wegfliegen! Wie oft hab’ ich’s ihm schon gesagt: ‚Herr Schemmler,‘ sag’ ich, ‚lassen Sie mir nicht immer die Hinterthür offen‘, er kann sich’s aber nicht abgewöhnen! Sie werden sagen: ‚Warum lassen Sie sich’s denn gefallen?‘“

Er sah seine Opfer erwartungsvoll an.

„Ach, fällt mir ja gar nicht ein!“ knurrte Karl, aufs äußerste erbittert, „eßt Kinder – wir müssen weiter!“

[800] „Ich bin gleich zu Ende,“ sagte Herr Lebermann, „ja – wo war ich doch stehen geblieben? Ich weiß schon! Also der Provisor! Auf gütliches Zusprechen hört er nicht, und zu sehr mag ich ihn auch nicht anfahren; er ist ein ordentlicher Mensch, und man kann sich heutzutage einen mit der Laterne suchen, auf den man sich so verlassen kann! Etwas Vermögen hat er auch –“

„Ja, aber Herr Lebermann,“ unterbrach Helene, die ihren Mann schon im Geist mit dem Messer auf den Erzähler losgehen sah, „Sie wollten ja erzählen, warum Sie nach Berlin gekommen sind!“

Herr Lebermann zerschnitt mit Behagen sein Beefsteak.

„Ich komme eben dazu,“ sagte er mit einer liebenswürdigen Verbeugung gegen die Frau Amtsrichter, „na – gestern ist die Thür wieder offen – ich, etwas erhitzt – ich hatte einen dickeren Ueberzieher an – war auch wohl etwas rascher gegangen als gewöhnlich – ich nehme es wenigstens an! – komme an die Apotheke – der Zug! Sie machen sich keinen Begriff – und in dem Augenblick – au – da fühle ich’s im Zahn! – Ich, ganz außer mir, gehe hinauf zu meiner Frau – es ist doch sehr angenehm, daß wir die Wohnung jetzt im selben Hause haben. – ‚Emma,‘ sag’ ich, ‚mein Zahn!‘ ‚Der plombirte?‘ schreit sie auf – ‚ja,‘ sag’ ich. – Sie kennen meine Emma, Frau Schwarz!“ – Helene neigte zustimmend den Kopf – sie fühlte, wie ihre Augenlider schwer wurden. Karl trommelte nervös und donnernd auf die Tischplatte, und Anna war die einzige, die sich nicht langweilte, da sie mit fieberhafter Erregung auf die Straße sah, ob sich der unbekannte Kurt nicht zeigen werde, und gar nicht auf den Sprecher hörte.

„Na,“ fuhr Lebermann fort, „meine Frau, herzhaft, wie sie ist, sagt: ‚Lebermann‘ – sie nennt mich jetzt immer Lebermann, seit unser Robert nicht mehr Dicker, sondern Robert genannt wird – Sie wissen ja, ich heiße auch Robert, und da gab es ewig Verwechselungen – Robert – Robert – ja, wer ist gemeint? Nun, um es kurz zu machen – sie sagt: ‚Lebermann, damit ist nicht zu spaßen – geh’ bald vor die rechte Schmiede!‘ Ich, kurz entschlossen, nehme mir ein Retourbillet – fahre her – heut morgen gleich zum Zahnarzt – und nun bin ich vogelfrei und muß Sie hier treffen! Das ist ja ein einziger Zufall – wirklich einzig!“

„Na ja,“ sagte Karl, der an der äußersten Grenze menschlichen Erduldens angelangt war, „und wir müssen weiter! Gesegnete Mahlzeit, Herr Lebermann!“

„Wo wohnen Sie denn?“ frug der Apotheker.

„Noch gar nicht,“ log Karl mit dreister Stirn, sein Gewissen damit beschwichtigend, daß man ja noch keine Nacht im Hotel gewesen war, „wir sind eben auf der Suche! Kellner – zahlen!“

„Und wo treffen wir uns zunächst wieder?“ frug der Nachbar weiter, der durchaus gewillt schien, sich als furchtbares Gespenst der Nacht an die Sohlen seiner Landsleute zu heften.

„Nun, weiter fehlte mir nichts – ich meine, ich habe noch keine bestimmten Pläne,“ sagte Karl und nahm seinen Hut vom Nagel, während die Damen, recht niedergeschlagen über die Entwickelung ihrer so glücklich begonnenen Reise, sich auch fertig machten. Anna konnte mit ihrem Mäntelchen nicht so ganz zurecht kommen, als plötzlich ein sehr verbindliches: „Erlauben Sie mir, gnädiges Fräulein,“ ihr ans Ohr schlug und der soeben auch in dieses Restaurant eingetretene Doktor Rüdiger mit seinem vergnügtesten Gesicht vor der Gruppe stand.

Des Amtsrichters Miene in diesem Augenblick konnte nur bedauern lassen, daß kein Augenblicksphotograph zur Stelle sei! Er sah den ungebetenen Helfer niederschmetternd an, gab seiner Frau den Arm, winkte Aennchen an seine Seite und verließ, ohne ein Wort zu sprechen, nach kurzem Abschiedsgruß an Lebermann das Lokal, während Rüdiger etwas verlegen zurückblieb, weil er sich ohne wirkliche Aufdringlichkeit doch nicht anschließen konnte.

Es war hart! Nach stundenlanger Jagd war es ihm endlich gelungen, das reizende Mädchen von heut früh wieder zu finden, und im selben Augenblick mußte sie ihm auch schon wieder einführt werden! Als einzigen Strohhalm der Rettung griff er nach Herrn Lebermann, der mit der Familie zusammen gesessen hatte, also doch entschieden Näheres über sie wissen mußte.

„Die Herrschaften hatten es sehr eilig,“ wandte er sich mit etwas erzwungener Heiterkeit an den Apotheker, der, erfreut, einen Ableiter für seine Unterhaltungsgabe zu haben, sofort seinen Stuhl rückte und dem neuen Ankömmling Platz am Tische machte.

„Ja, so ist mein guter Freund Schwarz,“ sagte er behäbig, „immer ein bißchen hitzig – ein bißchen ungestüm! Ich bin nun nicht so! Ich bin ruhiger, und da gleichen wir uns so hübsch aus! Meine Frau sagt manchmal: ‚Lebermann‘ – ich heiße nämlich Lebermann, Apotheker Lebermann aus Solau –“

„Doktor Rüdiger!“ erwiderte sein neuer Freund mit einer Verbeugung.

„Sehr angenehm! – Also meine Frau sagt immer: ‚Lebermann, Du bist nicht aus Deiner Ruhe zu bringen!‘ Und Sie kennen meinen Freund Schwarz also auch, Herr Doktor Rüdiger? Dr. juris? oder medicinae?“

„Das letztere, Herr Lebermann,“ erwiderte Rüdiger, dem mit Entsetzen klar wurde, an welch’ tödlich langweiligen Gesellen ihn der tückische Zufall geschmiedet habe.

„I sehen Sie mal – da sind wir ja beinah Kollegen!“ fuhr Herr Lebermann mit einem Tone freudigster Erregung fort, „Sie kennen den Amtsrichter schon länger?“

„Ich hatte heut morgen durch einen Zufall Gelegenheit, den Herrschaften den Weg nach ihrem Hotel zu weisen,“ sagte der junge Arzt und sah sich ungeduldig nach einer Gelegenheit zu entschlüpfen um.

„So? – Da fällt mir eben ein – ich habe Schwarz nicht recht verstanden, ob er schon ein Hotel gefunden hätte – welches war es denn?“ frug Herr Lebermann.

„Das R.-Hotel,“ erwiderte der ahnungslose Rüdiger, der damit allerdings der Familie, der er sich so gern angenehm gemacht hätte, den denkbar teuflischsten Dienst erwies.

„Ach, das ist mir sehr lieb – da werde ich mich auch einquartieren,“ sagte Lebermann erfreut, „da hat er gleich einen Anschluß! Sind Sie nur vorübergehend in Berlin, Herr Doktor? Ich nur auf zwei Tage – denken Sie mal!“

„Jawohl,“ sagte Rüdiger und stand auf, „und soeben fällt mir ein, daß ich weiter muß – ich habe eine Verabredung – ich empfehle mich, Herr Lebermann!“

Er stürzte eilig davon und ließ den armen Lebermann abermals in seiner Einsamkeit zurück, der aber nun doch wenigstens wußte, wo er Amtsrichters wieder finden werde, und sich, wie wir gesehen haben, auch sofort entschloß, im R.-Hotel einzukehren.

Der Amtsrichter und seine Damen hatten indeß ziemlich verstimmt ihre Wanderung wieder angetreten. Die Thatsache, daß die Welt rund ist, war ihnen noch nie ärgerlicher entgegengetreten als hier, wo ihnen vermittelst dieser verhängnißvollen Rundheit Herr Lebermann so unerwartet entgegengerollt kam.

„Bei unserem Pech,“ bemerkte der Amtsrichter bitter, „wird uns wohl der Kerl überall in den Weg laufen – nach dieser Erfahrung bin ich überzeugt, ich könnte auf den Vesuv steigen, um dem Menschen zu entgehen, und wenn ich oben angelangt wäre, würde der Vesuv den Lebermann ausspeien. – Na, wo sind wir denn hier wieder?“ setzte er mißvergnügt hinzu, „ewig verläuft man sich in diesem Berlin! Darin ist mir Solau wirklich beinah noch lieber!“

Er verschwand wieder hinter seinem großen Plan und suchte mit gespanntester Aufmerksamkeit nach seinem Hotel, oder besser, nach der Straße, wo dieses gelegen war.

Ein kleiner Straßenjunge mit einem frechen, pfiffigen Gesicht kam in diesem Augenblick singend und tänzelnd den Weg entlang. Beim Anblick der planstudierenden Familie flog ein Zug seliger Freude über sein Gesicht, und mit dem Ausruf: „Dahinter wohnt wohl jemand?“ fuhr er mit ausgestrecktem Zeigefinger mitten durch den Plan; dann ergriff er unter einem wahrhaft kreischenden Gelächter die Flucht, ehe der Amtsrichter sich so weit von seiner Erstarrung erholt hatte, um ihm mit einiger Aussicht auf Erfolg nachjagen zu können.

Helene und Anna sahen mit größter Besorgniß auf ihren Beschützer, in der bangen Erwartung, er würde vor Aerger außer sich gerathen – aber das Gegentheil begab sich! Herr Schwarz, der seine Blicke noch immer auf den beschädigten Plan gerichtet hatte, sah merkwürdigerweise ganz befriedigt aus und sagte mit einem tiefen Athemzug: „Na, das ist mir sehr lieb – der Junge hat gerade an der Stelle ein Loch in den Plan gebohrt, die ich immer so mühsam suchen mußte – das erleichtert die Sache bedeutend.“

[801]

G'schichten von der Alm.
Nach einem Gemälde von E. Rau.
Photographie von Franz Hanfstaengl Kunstverlag A.-G. in München.

[802] Diese unerwartete Auffassung des Unfalls belustigte alle drei aufs äußerste, und in wieder hergestellter Seelenharmonie bestieg man eine Pferdebahn und kehrte nach dem Hotel zurück, da die durch Herrn Lebermann unterbrochene Mahlzeit nicht genügend gewesen war, um die table d’hôte im Hotel verschmähen zu lassen.

Am unteren Ende der langen, blumengeschmückten Tafel waren noch einige Plätze frei und die Familie Schwarz nahm diese ein. Der Amtsrichter, der sich für die Seelenruhe seiner Schwägerin verantwortlich fühlte, sah mit ärgerlicher Besorgniß, wie sich allseitig bewundernde Blicke mit mehr oder weniger Bescheidenheit auf das reizende Mädchen richteten, und fuhrwerkte mit einer großen Blumenvase wie mit einem Rangierzuge vor seinen Damen herum, um sie bald vor diesem, bald vor jenem ihrer Tischgenossen zu verbergen.

Bei dieser Beschäftigung konnte es ihm entgehen, daß ein etwas verspäteter Ankömmling sich in der Thür zeigte und mit einem verbindlichen und erfreuten Gruß den leeren neben Aennchen befindlichen Platz einnahm, dessen Ungefährlichkeit den Schwager schon höchlichst beruhigt hatte.

Als er sich befriedigt umwendete und halblaut zu seiner Frau sagte: „So, nun habe ich Aennchen wohl glücklich versteckt!“ erschrak er aufs heftigste, denn der Unbekannte von heut morgen saß, bereits in die Anfänge einer eifrigen Unterhaltung vertieft, neben dem jungen Mädchen, das, glückselig und verlegen, es kaum wagte, die Augen zu erheben, da sie mit Recht befürchten mußte, daß ihr Schwager als „Schicksal rauh und kalt“ sie aus ihrem Glückstraum reißen würde.

Der Amtsrichter aber flüsterte nur mit hohler Stimme: „Der Bauernfänger!“ und ergab sich ins Unvermeidliche! Er konnte ja auch füglich nichts weiter thun, denn ein Versuch, seine kleine Schwägerin glauben zu machen, daß ihr Platz der Zugluft ausgesetzt sei, mißlang gänzlich. Anna versicherte mit plötzlich erwachter Löwenkühnheit, sie merke nichts, und blieb sitzen. Zum Ueberfluß raunte ihm seine Frau noch ins Ohr: „Karl, thu’ mir die einzige Liebe und gieb jetzt Ruhe – die Leute merken ja alle sofort, daß wir aus einer kleinen Stadt sind, wenn Du Dich so auffallend benimmst!“

Einigermaßen beschämt versuchte denn Karl, sich einen Anschein von Gelassenheit und Seelenruhe zu geben, wie er für Berlin paßt – ja, er ließ es sogar mit leidlicher Fassung über sich ergehen, daß Rüdiger sich ihm vorstellte, und zwang sich ein allerdings etwas säuerliches Lächeln ab bei der gegenseitigen Verbeugung. Anna und ihr Nachbar aber waren bald in das vergnügteste Plaudern versunken.

„Ich habe bisher gar nicht gewußt,“ sagte Rüdiger halblaut und ernsthaft, „daß ich einen so mächtigen Gönner besitze!“

Sie blickte erstaunt auf.

„Wen meinen Sie denn?“ frug sie.

„Den Zufall!“ erwiderte er lachend. „Denken Sie doch, wie allerliebst sich dieser brave Gesell heut schon gegen mich benommen hat! Sogar meinen dummen Schuljungenstreich von heut morgen wendete er zu meinen Gunsten – und brachte mich sodann wieder zweimal mit Ihnen zusammen – er muß es wirklich besser mit mir im Sinn haben, als ich bisher geglaubt habe!“

Anna war bei aller inneren Seligkeit doch etwas kurz und kühl. Ihr sechzehnjähriger Stolz empörte sich bei dem Gedanken, daß sie die Nudelteig-Initiale eines Mannes in der Kapsel trug, der sich nicht einmal zu besinnen schien, daß er sie je gesehen hatte!

Da nahm er wieder das Wort:

„Ich zerbreche mir seit heut früh immerfort den Kopf, gnädiges Fräulein, wo ich Ihnen schon einmal begegnet bin! – Aber das Ergebniß ist, daß es wohl im Traum geschehen sein mag – trotzdem ich,“ fügte er mit gesenkter Stimme hinzu, „einen so schönen Traum wohl nicht vergessen hätte!“

Die Sache ließ sich gut an für die kurze Bekanntschaft, das mußte man sagen! Der Amtsrichter, zu dem immer nur einzelne Silben der halblauten und unverkennbar „courmachenden“ Unterhaltung drangen, litt wahre Qualen der Angst und genoß nur bewußtlos die Tafelfreuden. Er machte seiner Frau die sich in ihrer Nähe anbahnende dramatische Verwicklung beständig durch drohende Blicke bemerklich, und da diese nicht verfangen wollten, trat er sie zur Erregung ihrer Aufmerksamkeit so beständig auf den Fuß, als wenn er eine Nähmaschine vor sich gehabt hätte.

Helene stellte sich aber blind, taub und gefühllos – sie war auch einmal sechzehn Jahre alt gewesen und hatte das tiefste Verständniß für die Sachlage.

Anna führte indessen das Gespräch munter fort. Man war schon zu dem Uebereinkommen gelangt, daß Rüdiger wirklich den verhängnißvollen Backfischball besucht hatte, eine Feststellung, die ihn zu der Wendung bewog, daß man ein Knöspchen wohl übersehen und sich erst beim Anblick der erblühten Rose klar werden könne, daß man ihm schon begegnet sei! Aus diesem Gebiet der Blüthen- und Frühlingsredensarten gelangte man dann mit einiger Mühe wieder zur Prosa, und Anna wunderte sich im Stillen über sich selbst, daß ihre Schüchternheit so ganz verschwunden sei.

Rüdiger, dessen Muth und Neigung während der Tischunterhaltung bedeutend gestiegen waren, machte sich unmittelbar nach Tische sehr niedlich um den Amtsrichter, bot ihm eine Cigarre an und setzte sein Hofmachen mit ungeschwächten Kräften bei ihm fort, nach dem Grundsatz, daß es ja in der Familie bleibe!

Der Amtsrichter thaute bei der wirklich liebenswürdigen Art des jungen Mannes etwas auf, und man entdeckte sogar einen gemeinsamen guten Bekannten in der Person von Rüdigers Onkel, so daß der Amtsrichter seine schwarzen Gedanken an den „Bauernfänger“ nun wirklich aufgeben mußte. Alles war in guter Laune, und die mit so viel wechselnden Geschicken gesegnete Reise schien nun in die erfreulichste Bahn gelenkt.

Da, während die Herren in eifrigster Unterhaltung im Fenster standen, öffnete sich wieder die Thür zum Speisesaal und zu Helenens und Annas Schrecken tauchte mit den Worten: „Die schönen Seelen finden sich zu Wasser und zu Lande“ die Gestalt des Herrn Lebermann auf und kam freudeglänzend auf seine Bekannten zu. Karl hatte ihn, da er der Thür den Rücken wandte, noch nicht gesehen.

Helene und Anna begrüßten den wackern Mann etwas kühl, was er in seinem unzerstörbaren Selbstbewußtsein nicht zu merken schien. Er erging sich wenigstens sofort in einer langathmigen Schilderung alles dessen, was er seit dem unerwarteten Zusammentreffen im Restaurant gesehen, gegessen, getrunken und gesagt habe, mit der tiefsinnigen Bemerkung schließend: „Und wie ich die Siegessäule sah, da sagte ich: ‚Ah – allen Respekt!‘“

„Und wie kommen Sie denn in dieses Hotel?“ frug Helene mit schlecht verhehltem Abscheu.

Herr Lebermann wies freudig auf Rüdiger.

„Unser junger Freund dort hat mir erzählt, wo Sie wohnen,“ sagte er, „ja, sehen Sie, man findet sich immer wieder, – auch in dem großen Berlin! Und Berlin ist wirklich groß, – das muß wahr sein – sogar sehr groß! Ich sagte noch in Solau zu meiner Frau: ‚Emma, Berlin ist sehr groß!‘ – ich dachte mir’s schon! Aber ich muß sagen, ich bin überrascht! Allein die Friedrichstraße – nehmen Sie mal an!“

Während Herr Lebermann eine „kurze und gedrängte“ Uebersicht von Berlin gab, flüsterte Anna ihrer Schwester zu:

„Wenn Karl das nur nicht herausbekommt, daß Rüdiger Herrn Lebermann unser Hotel genannt hat – dann ist er gleich wieder so böse auf ihn!“

„Auf wen?“ frug Helene, sich verständnißlos stellend.

„Ach, Helene – sei doch nicht so häßlich!“ bat Anna, „Du weißt doch ganz gut –“

„Nun, laß nur, Kleine!“ lachte Helene; „aber wie willst Du verhindern, daß Rüdiger sich verräth?“

„Ich verbiete es ihm!“ meinte Anna einfach.

Helene sah sie groß an.

„Sieh mal an, was Du für Muth bekommst!“ bemerkte sie bedächtig; „die Berliner Luft scheint Dir wirklich gutzuthun!“

Karl hatte inzwischen Lebermann entdeckt, dessen Anblick bereits auf ihn wirkte wie ein rothes Tuch auf einen Stier. Er legte sofort die Cigarre weg – der Geschmack daran war ihm vergangen.

„Wir müssen fort!“ sagte er, nach der Uhr sehend, „wir haben noch allerlei vor.“

„Was denn?“ frug Lebermann.

„Das kann Ihnen gleichgültig sein!“ bemerkte der Amtsrichter, „Sie müssen doch erst zu Mittag essen!“

„Alles schon besorgt,“ lächelte der Apotheker, „ich habe in dem netten Restaurant, wo ich Sie traf, ganz gründlich gespeist – nach dem Beefsteak mit Bratkartoffeln – Sie erinnern sich doch, Herr Amtsrichter! – noch ein Viertel Gans, dann –“

[803] „Na ja – das ist mir ganz gleichgültig!“ unterbrach ihn der Amtsrichter unhöflich, „denken Sie, ich bin nach Berlin gereist, um zu hören, was Sie zu Mittag essen?“

Der unerschütterliche Lebermann lachte herzlich.

„Nein, hört ihn bloß an! Immer muß er mich necken! Ja, ja, Herr Schwarz – wir kennen uns, – was sich liebt, das neckt sich!“

„Da haben Sie recht!“ sagte Karl ausdrucksvoll, „aber nun adieu – wir gehen jetzt!“

„Wo wollen Sie denn hin?“ erkundigte sich Lebermann abermals.

„O – so ziellos bummeln!“ meinte Karl leichthin – nicht wahrheitsgetreu, da er nur auf einen Vorwand sann, seine beiden Herren loszuwerden – beide – denn vermöge des männlichen Egoismus wollte er auch nicht mit einem liebenden Paar spazieren gehen, auf das er beständig acht geben mußte.

„Ziellos bummeln,“ wiederholte Lebermann erfreut, „das ist mein Fall – ich komme mit!“

„Ich schließe mich, mit Erlaubniß der Damen, auch an,“ sagte Rüdiger hinzu.

Ueber des Amtsrichters Gesicht flog ein Zug boshafter Freude.

„Sehr schön!“ sagte er mit plötzlicher Liebenswürdigkeit, „wir gehen nur nach unserem Zimmer, um uns mit einigen Tüchern gegen die Abendkühle zu versehen – die Herren erwarten uns vielleicht an der nächsten Pferdebahn, und wir fahren dann alle zusammen nach dem Zoologischen Garten hinaus.“

Er zog seine Damen mit sich fort; statt sie aber nach ihrem Zimmer zu geleiten, lud er sie freundlich ein, ihm nur immer nachzukommen, und ging ihnen voran, die Hintertreppe des Hotels hinunter und durch einen zweiten Ausgang ins Freie.

„Aber Karl, was soll denn das?“ Hier finden uns ja die Herren nie wieder!“ rief Helene vorwurfsvoll.

„Das ist mir außerordentlich lieb,“ sagte Karl gemüthlich, „wir amüsieren uns jetzt auf eigene Hand, und der Doktor Rüdiger kann die Cour schneiden, wem er will – meinethalben dem Lebermann! Kommt, Kinder!“

Und ohne den langen Gesichtern seiner Damen irgend welche Beachtung zu schenken, zog Karl mit ihnen ab.

Die beiden Herren, die er in so hinterlistiger Weise verlassen hatte, standen indeß mit einiger Ungeduld an der Pferdebahnhaltestelle. Schon ein Wagen war vorbeigefahren und noch immer schienen die Erwarteten nicht mit ihren Toilettenvorbereitungen fertig zu sein. Endlich verlor Rüdiger die Geduld, ging nach dem Hotel zurück und erfuhr dort, daß die Herrschaften nicht auf ihrem Zimmer seien. So blieb denn nur der Gedanke, daß man sich verfehlt hätte, und Rüdiger mußte wohl oder übel zu Lebermann zurück und diesem die Nachricht bringen.

„Die letzte Gelegenheit, sich wieder zu finden, bleibt nun der Zoologische Garten,“ sagte er etwas verstimmt, „wir wollen doch da hinaus fahren!“

Und mit einigem Unwillen bestieg er mit dem Apotheker die Pferdebahn und hatte das Vergnügen, mit diesem im Zoologischen Garten von Käfig zu Käfig zu wandern und sich zwei Stunden lang die merkwürdigen Geschichten aller Menagerien erzählen zu lassen, die sein Begleiter je gesehen hatte, und deren Insassen er mit grauenhafter Ausführlichkeit mit den anwesenden Bestien verglich; als einzige Abwechslung ward etwa dreißigmal eingefügt: „Nein, aber wo Schwarzens bleiben, ist mir unerklärlich!“

So endete dieser Tag in Berlin für Rüdiger, der den Abend nichts mehr vornehmen mochte, sondern sich, durch Aerger und Langeweile abgespannt, einsam in eine Bierstube setzte und zornig alle Lobsprüche auf den Zufall widerrief, der ihm statt des reizendsten Mädchens einen entsetzlichen Apotheker an die Seite geführt hatte.

Amtsrichters waren indeß im Wintergarten des Centralhotels und unterhielten sich mehr oder weniger vortrefflich, obwohl Anna ein bedeutendes Herzweh bei der Erinnerung an ihren treulos verlassenen Helden nicht unterdrücken konnte.

Helene und Karl genossen aber den Abend voll und ganz; Karl sogar ruchlos erfreut und auch nicht von den leisesten Gewissensbissen angefochten, daß er Lebermann abgeschüttelt und jemand anderm aufgebürdet hatte! Mit befriedigtem Gefühl kehrte man spät ins Hotel zurück und gedachte den morgigen Sonntag für Potsdam zu verwenden.

Im Augenblick, als der Amtsrichter mit den Seinigen die Treppe hinaufstieg, um sich zur Ruhe zu begeben, erlebte er allerdings noch den Schmerz, sich überzeugen zu müssen, daß Lebermann sein Haus- und Flurgenosse geworden war, denn Lebermann steckte sein Haupt zur Thür heraus und rief ihm vorwurfsvoll zu: „Aber wo haben Sie denn gesteckt?“

„Wo anders!“ gab Karl kurz und vieldeutig zur Antwort und schlug die Thür seines Zimmers zu.

Von Rüdiger war nichts zu sehen und zu hören – er schlief wohl seinen Groll aus!

(Schluß folgt.)




Blätter und Blüthen.


Zwei deutsche Gelehrte †. Der grimme Meister Tod reißt schwere Lücken in die stolzen Reihen unserer deutschen Geistesstreiter. An einem Tage hat er zwei Opfer abgefordert, Gustav Rümelin und Richard Gosche.

Der Name Gustav Rümelins, in seiner engeren Heimath der ersten einer, ist zum letztenmal in weite Kreise unseres deutschen Volkes gedrungen im Zusammenhange mit einer Frage, die ja heute die Geister lebhaft beschäftigt, der Fremdwörterfrage. Er trat vor einigen Jahren mit einer Schrift hervor, in welcher er gegen die Uebertreibungen in der Verdeutschungssucht seine Stimme erhob und eine Reihe von Fremdwörtern als zulässig, ja unentbehrlich gegen die Bestrebungen der Sprachreiniger zu decken suchte. Es gab viele, die Rümelin diese Stellungnahme verargten, und doch ist gerade diese Schrift charakteristisch für die Eigenart des Mannes. Eine seltene Selbständigkeit des Denkens zeichnete ihn aus und es gab für ihn weder Mode noch Vorurtheil, weder den Strömungen der öffentlichen Meinung noch dem Glauben an große Namen gestattete er einen bestimmenden Einfluß auf Ziel und Richtung seines forschenden Verstandes. Diese Eigenschaft begründete seine Größe als Gelehrter, er verleugnete sie aber auch nicht als Politiker. Und selbständig wie in dem Gang seines Denkens war er auch in der Wahl der Gebiete, die er in den Kreis seiner wissenschaftlichen Betrachtung zog. Wenn man seine „Reden und Aufsätze“ durchblättert, so erstaunt man vielleicht weniger noch über die verschiedenartigen Wissenszweige, denen er den Stoff zu seinen Abhandlungen entnimmt, als über die Entdeckerkühnheit, mit der er ganz neue, von den gewohnten Pfaden der Wissenschaft kaum gestreifte Gefilde betritt, um goldene Schätze der Erkenntniß auf ihnen zu heben. So verliert an dem Manne, der nach kurzem Krankenlager am 28. Oktober zu Tübingen dahinschied, die Tübinger Hochschule einen geistreichen, tief wirkenden Lehrer, der württembergische Staat einen treuen, besonnenen, unerschrockenen Berather, Deutschland aber, ja die Menschheit eine Leuchte der Wissenschaft und einen vorbildlichen Charakter.

Gustav Rümelin ist am 26. März 1815 in Ravensburg geboren. Seine amtliche Laufbahn begann er als Lehrer an verschiedenen württembergischen Unterrichtsanstalten, sie führte ihn durch das Mittelglied des Oberstudienraths zu der wichtigsten staatsmännischen Stellung, die er im Laufe seines Lebens eingenommen hat: im Jahre 1856 wurde ihm die Leitung des Departements des Kirchen- und Schulwesens übertragen, die er fünf Jahre lang beibehielt, bis unheilbare Meinungsverschiedenheiten mit der Kammer der Abgeordneten ihn zum Rücktritt veranlaßten. Er trat dann an die Spitze des statistisch-topographischen Bureaus (des heutigen statistischen Landesamtes), habilitirte sich aber 1867 als Dozent für Statistik, Völkerkunde etc. an der Universität Tübingen. Das Jahr 1870 brachte ihm die Würde eines Kanzlers der Universität und als solcher wirkte er – unter gleichzeitiger Fortsetzung seiner Lehrthätigkeit bis zu seinem Tode.

In seiner Eigenschaft als Kanzler war er Mitglied der württembergischen Kammer der Abgeordneten, aber auch vorher hatte er mannigfache politische Vertrauensstellungen übertragen erhalten. Hervorgehoben sei nur, daß er im Jahre 1848 in die deutsche Nationalversammlung nach Frankfurt gewählt wurde; als einen der hervorragendsten Anhänger der erbkaiserlichen Partei sandte ihn das Frankfurter Parlament im Frühjahr 1849 mit jener bekannten Abordnung nach Berlin, die dem Könige Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die deutsche Kaiserkrone anzubieten hatte. Mannigfache Ehrenerweisungen wurden ihm von seinem König wie von seiten der Universität zu theil, er bekleidete die Würde eines Geheimraths mit dem Titel Excellenz und vereinigte mehrere Doktorhüte auf seinem Haupte. Aber alle diese Ehrenzeichen erscheinen fast als etwas Unwesentliches neben dem Denkmal, das er sich selbst errichtet, – dem Andenken eines echten Mannes der Wahrheit.

Fast zu derselben Zeit wie Rümelin hat noch einen zweiten deutschen Gelehrten ein jähes Schicksal dahingerafft. Richard Gosche ist in der Nacht zum 29. Oktober zu Halle verschieden. Mit Rümelin hat er die Vielseitigkeit seines wissenschaftlichen Strebens gemein, orientalische, klassische und neuere Philologie hat er mit gleichem Eifer umfaßt und als Litteraturkenner und Litterarhistoriker sich einen glänzenden Namen gemacht. Er war am 4. Juni 1824 zu Neundorf bei Crossen a. d. O. geboren, wurde 1847 Bibliothekar an der königlichen Bibliothek in Berlin und habilitirte sich einige Jahre darauf an der dortigen Hochschule. Das Jahr 1863 führte ihn als ordentlichen Professor an die Universität Halle, [804] wo er bis zu seinem Tode als Lehrer und Schriftsteller thätig war und insbesondere auch durch gemeinverständliche öffentliche Litteraturvorträge einen weitreichenden Einfluß übte. Von seinen Werken haben wohl die neueren, „Richard Wagners Frauengestaltcn“ und seine Ebersbiographie, seinen Namen in die weitesten Kreise getragen; aber von den Fachgenossen werden nicht minder seine strengwissenschaftlichen Arbeiten, vornehmlich seine „wissenschaftlichen Jahresberichte über die morgenländischen Studien“ hochgeschätzt. Um die deutsche Litteratur und ihre Geschichte hat er sich als Lessingherausgeber und Bearbeiter der Schlegel-Tieckschen Shakespeareübersetzung, sowie durch Begründung des „Archivs für Litteraturgeschichte“, das später durch Schnorr von Carolsfeld fortgesetzt wurde, wesentliche Verdienste erworben. Die ihn gekannt haben, rühmen auch die freimüthige, dabei maßvolle und duldsame Gesinnung und das freundlich gewinnende Wesen des Mannes, den mit ihnen die deutsche Wissenschaft betrauert. =

Stickereien auf gemalter Seide. (Zu den Bildern S. 766 u. 797.) Wir haben in Nr. 26 dieses Jahrgangs auf die eigenthümliche und unschwer zu erlernende Art der Herstellung von „Smyrna-Knüpfteppichen“ hingewiesen. Jetzt macht abermals eine Erscheinung auf dem Gebiete der weiblichen Handarbeit von sich reden, welche eine weitgreifende Beachtung gefunden hat und in der That eine reiche Zukunft zu haben scheint, so daß wir nicht versäumen möchten, unsere Leserinnen etwas näher mit derselben bekannt zu machen. In der österreichisch-ungarischen Abtheilung der Pariser Ausstellung haben sechs von schöner Hand auf Seide gemalte und gestickte Bilder ein gerechtfertigtes Aufsehen erregt. Schon durch seine ungewöhnliche Größe mußte dieser für hohe schloßartige Räume gedachte Wandschmuck jedermann in die Augen fallen; sodann war es der volle Reiz der Eigenart dieser Kunst, welcher die Berichterstatter des amtlichen Ausstellungsberichts und maßgebender öffentlicher Blätter in begeisterte Lobsprüche ausbrechen ließ; zuletzt aber waren es der blendende Farbenschmuck und die großen, angeborenen Formensinn verrathende kühne Zeichnung, welche um so mehr Bewunderung bei allen Beschauern hervorriefen, als man erfuhr, daß diese Bilder von einer noch jugendlichen Dame, der Gattin des Generalkonsuls Mankiewicz zu Dresden, einer geborenen Wienerin, herrührten. Ein einheitlicher Gedanke liegt den Einzeldarstellungen zu Grund: das Wasser in landschaftlichem und architektonischem Rahmen als elementare in das Menschenleben eingreifende Naturkraft erscheinen zu lassen. Wir haben von diesen Bildern zwei unsern Lesern im Holzschnitt wiederzugeben versucht: „Die Bucht“ (S. 796) und den „Bach“ (S. 797). Zu beiden muß man sich freilich die starke Farbenwirkung hinzudenken, wie sie beispielsweise bei der „Bucht“ durch feurigrothe Fingerhutgruppen und die gefiederten Blüthen der Silberdistel im Gegensatz zu der im Tagesglanz schimmernden Meeresfläche erzielt wird, während den Hauptfarbenreiz bei dem „Bach“ die verschiedenartigen Abstufungen des herbstlichen Laubes hervorbringen. Das Ganze ist im Ton Lenauscher Todesklage gehalten und stimmt zu dem Muttergottesbild, welches zu dem Gebirgsbach zum Gedächtniß eines Verunglückten als ein „Marterl“ gestiftet zu sein scheint. Wir können nicht länger bei der Betrachtung der Bilder verweilen, zu deren ersten Anfängen Hans Makart, ein Freund des Hauses, der Künstlerin in den schmeichelhaftesten Ausdrücken Glück wünschte und auf deren glücklichen Fortschritt sein Vorbild sichtbarlich nicht ohne Einfluß geblieben ist.

Obgleich nun die Schaustücke auf der Pariser Ausstellung schon vermöge ihrer räumlichen Ausdehnung zunächst auf eine gewisse großartige Pracht angelegt sind, so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß die dabei in Anwendung gebrachte Technik sich auch in kleinere Verhältnisse übersetzbar erweise, und aus diesem Grunde mag es unseren Leserinnen nicht unerwünscht sein, wenn wir noch ein Wort über dieselbe beifügen. Eine erschöpfende Belehrung ist in diesem Falle freilich an dieser Stelle nicht möglich, obgleich das technische Verfahren vielleicht einfacher ist, als man denken sollte. Der Atlasgrund bleibt vollkommen unpräparirt und wird nur mit einem englischen Fixirmittel stark getränkt. Die einfachste deutsche Aquarellfarbe giebt Schatten und Mittelton, Gouache erhöht die Lichter. Dabei wird an dem Grundsatz festgehalten, aus einem Ton herauszumalen. Mit dicken Anstreicher-, nicht Aquarellpinseln werden die Farben aufgetragen. Im Halbton wird das Licht durch Auftrocknen vermittelst Löschblattes, nicht durch aufgesetzte Farben erzielt. Das Stickmaterial besteht aus Seide, sogenannter Cordonetseide, Chenille, Altgold u. dgl. m. Für die feineren Schattirungen muß man weiße Seide eben selbst färben. Man nimmt die dickste Sticknadel, deren Oehr gestattet, die gröbste Chenille aufzunehmen. Das alles hört sich natürlich leicht an und klingt wie ein Küchenrezept aus der seligen Löfflerin Kochbuch. Die Künstlerin selbst konnte uns ihr technisches Verfahren nicht allgemeinverständlicher beschreiben, aber hier wie überall heißt es eben: die Uebung macht den Meister. Unzählige Schwierigkeiten haben sich Frau Henriette Mankiewiez anfangs in den Weg gestellt; sie hat sie auf ihre Weise überwunden, andern mag auf andere Art mehr oder weniger leicht dasselbe gelingen. Eines wird aber überall dasselbe bleiben müssen, als das einzige, was, Talent und eine gewisse Vorbildung vorausgesetzt, zum Ziel führen kann: eiserner Fleiß, der von den ersten Skizzen und Entwürfen bis zu den letzten Strichen niemals ermattet, und jene künstlerische Sammlung, die, wie Schiller sagt, „unerschlafft im kleinsten Punkt die größte Kraft“ zu vereinigen vermag.

Karl V. flieht vor Moritz von Sachsen. (Zu dem Bilde S. 792 und 793.) Dies stimmungsvolle Bild von G. A. Cloß ist der Zeit tiefster Demüthigung entnommen, welche der mächtige Kaiser, in dessen Reich die Sonne nicht unterging, zu überstehen hatte. Sein Schützling, Moritz van Sachsen, wandte auf einmal die Waffen gegen ihn, nachdem er mit dem König Heinrich II. von Frankreich, mit Johann von Brandenburg-Küstrin, Albrecht von Brandenburg-Culmbach und Wilhelm von Hessen ein Bündniß geschlossen hatte. Es galt den Schutz des Augsburgischen Bekenntnisses und den Kampf gegen die Spanier; der Landgraf von Hessen und der Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen sollten aus ihrer Gefangenschaft befreit werden. Moritz hatte die Ehrenberger Klause, die Pforte zum Innthal und dem tiroler Land, erobert; dem ohne Heer in Innsbruck verweilenden Kaiser drohte die Gefahr, in die Hände des rebellischen Fürsten zu gerathen. Nur einer Meuterei der Moritzschen Truppen hatte er es zu danken, daß ihm noch Zeit blieb, sich in eiliger Flucht über die Pässe des Gebirgs nach Villach in Kärnten zu retten.

Der Kaiser mußte sich in einer Sänfte tragen lassen; zu Roß und zu Fuß geleitete ihn ein kleines bewaffnetes Gefolge. Es war Ende Mai des Jahres 1552 – aber mühselig war der Weg durch die verschneiten Pässe; der Kaiser selbst war krank und von Schmerzen gequält. So sehen wir ihn in seiner Sänfte sitzen; das Unbehagen der erzwungenen Flucht, körperliche Pein und Pein der Seele spiegeln sich in seinen Zügen. Diesen Kurfürsten Moritz hatte er hoch erhoben, ihm sein volles Vertrauen geschenkt – und nun wandte sich der Undankbare gegen ihn, noch dazu so plötzlich, so heimtückisch! Was mag in der Seele des alternden Fürsten vorgehen? Denkt er seiner Glanztage, als der Landgraf Philipp vor ihm knieete, als der Kurfürst Johann Friedrich, ein verwundeter Gefangener, vor ihn geführt wurde? Oder sieht er im Geiste schon die enge Klosterzelle, in der er sein müdes Haupt betten will? Immer vorwärts, ihr Träger, durch die mit Schnee verschütteten Pässe, durch den Frost der Alpenregionen! Bald vielleicht wird ein milderer Hauch aus Süden den starren Schmerz des über seinem Schicksal brütenden Kaisers lösen, dessen Haupt, wie Platen singt, mit mancher Krone „bediademt“ war.

Aus den Kindheitstagen einer Weltmacht. Ein englischer Minister, wenigstens ein gewesener, war das erste Opfer der Eisenbahn. Sir Huskisson, zuletzt 1828 Staatssekretär der Kolonien, wurde von einer ihre Künste im Vor- und Rückwärtsfahren zeigenden Lokomotive überfahren mitten in dem Festesjubel bei Eröffnung der ersten größeren englischen Lokomotivbahn von Liverpool nach Manchester am 15. September 1830. Der höheren Kreise bemächtigte sich infolge dessen eine solche Furcht vor einer Eisenbahnfahrt, daß Prinz Albert in Fürsorge für das Leben seiner Gemahlin, der Königin Viktoria, derselben erst 12 Jahre später, im Jahre 1842, auf der Eisenbahn zu fahren gestattete. Friedrich Wilhelm III. von Preußen benutzte die Bahn Berlin-Potsdam (1838 erbaut) erst zwei Jahre nach deren Fertigstellung. Dagegen wohnte Herzog Wilhelm von Braunschweig in einem hierzu eigens angefertigten Salonwagen – man hatte zu diesem Zwecke eine Hofequipage auf einem vierrädrigen Plattformwagen befestigt – der ersten Festfahrt von Braunschweig nach Wolfenbüttel im Dezember 1838 in Person bei. Kaiser Wilhelm I. und Gemahlin, damals noch Prinz und Prinzessin von Preußen, fuhren zum erstenmal auf der Eisenbahn Nürnberg-Fürth am 9. August 1836 – 8 Monate nach deren Eröffnung.




Kleiner Briefkasten.

N. Sch. in St. Paul. Besten Dank für Ihre freundliche Zuschrift und für die Anhänglichkeit, welche Sie unserem Blatte fünfundzwanzig Jahre hindurch bewiesen haben! Wir wissen indessen in Amerika zahlreiche Abonnenten, welche die „Gartenlaube“ von ihrer Begründung an bis heute ununterbrochen gehalten haben.

Eine Einsame. Wir bitten um gefl. Angabe Ihrer genauen Adresse, damit wir Ihnen brieflich antworten können.

M. S. Wenden Sie sich an einen Arzt.


Inhalt: Sakuntala. Novelle von Reinhold Ortmann (Fortsetzung). S. 789. – Ein glücklicher Fund. Illustration. S. 789. – Ein Reich – Ein Recht. Von Fr. Helbig. S. 794. – November. Gedicht von Otto Sievers. S. 798. – Eine kleine Vergnügungsreise. Humoreske von Hans Arnold (Fortsetzung). S. 798. – G’schichten von der Alm. Illustration. S. 801. – Blätter und Blüthen: Zwei deutsche Gelehrte †. S. 803. – Stickereien auf gemalter Seide. S. 804. Mit Abbildungen S. 796 u. 797. – Karl V. flieht vor Moritz von Sachsen. S. 804. Mit Abbildung S. 792 und 793. – Aus den Kindheitstagen einer Weltmacht. S. 804. – Kleiner Briefkasten. S. 804


In dem unterzeichneten Verlage ist soeben erschienen und durch die meisten Buchhandlungen zu beziehen:

Romeos Tochter. – Lenz im Herbst. – Speranza.
Italienische Geschichten von A. Schneegans.
Elegant broschirt M. 4.50. Elegant in Leinen gebunden M. 5.50.

In den „Italienischen Geschichten“ von A. Schneegans spiegeln sich die Farben des Südens, das eigenartige Naturell des lebhaften Südländers ist mit markigen dichterischen Zügen erfaßt und die Handlung in den einzelnen Erzählungen wirkungsvoll verschlungen. Glühende Farbenmischung, Kraft und Spannung sind Vorzüge, welche den „Italienischen Geschichten“ einen ungewöhnlichen Beifall sichern. „Speranza“ und „Romeo’s Tochter“ (letztere unter dem Titel „Sicilische Rache“) fanden denselben bereits bei ihrer Veröffentlichung in der „Gartenlaube“ und „Lenz im Herbst“ reiht sich ihnen vollkommen gleichwerthig an.

Verlagshandlung von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.

Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.