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Die Gartenlaube (1886)/Heft 45

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum: 1886
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 45.   1886.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt. — Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 2 bis 2½ Bogen. – In Wochennummern vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig oder Halbheften à 30 Pfennig.


Die Insel der Seligen.
Von Helene Pichler.


Die Insel liegt im Norden, weit vorgeschoben: ein Wachtposten in den deutschen Meeren. Einst hing sie mit dem Festlande zusammen, aber in einer Sturmfluth riß das Meer dies Stückchen Land von der Muttererde los, fluthete darüber hinweg, als wolle es dasselbe verschlingen, begnügte sich aber schließlich, mit gewaltigen Armen es zu umfassen und mit der alten Melodie von Werden und Vergehen langsam, ganz langsam an der Vernichtung des Landfleckchens zu arbeiten.

Die von Norden heranwälzenden Nebel treffen zuerst das kleine Eiland, welches oft mehrere Tage unter ihnen begraben liegt, und sendet der Hochsommer seine Gluthen, so liegt es braun, dürr und schmachtend da. Wahrlich, nichts weniger als eine Glück und Glückseligkeit verheißende Insel. Seltsamer Weise gab es zwei Menschen, welche meinten, gerade die öde Insel sei der rechte Platz, um den Frieden und damit das Glück zurückzuerobern. Das waren der Lootse Karle Nieboom und sein junges Weib Weika, die mit ihrem siebenjährigen Knaben Ede das Lootsenhaus, das einzige Gebäude, welches auf dem sturmumtosten Eilande liegt, bezogen hatten. Freilich hatten Karle Nieboom und sein Weib gar seltsame Ansichten von Glückseligkeit. Sie meinten, aus Arbeit, Frieden und ein bischen Liebe ließe sich jenes goldene Fabelland aufbauen, von welchem so viele Menschen träumen, aber es nie erreichen. Ein kindlicher Glaube! Doch Karle Nieboom und Weika hatten ernsten guten Willen zu der Sache. Kaum aber kräuselte sich der erste Rauch über dem Dache des langgestreckten einsamen Hauses, so mußten die Beiden einsehen lernen, auch diese Sandscholle sei nicht der rechte Boden für den kostbaren Bau. Bald nach ihnen hielt der zweite Lootse seinen Einzug, Oluf Nieboom, den die Welt den Bruder nannte von Karle Nieboom: denn beide hatten an einer Mutterbrust zu gleicher Zeit gelegen: sie waren Zwillinge. Als Oluf sein Boot anlegte und sich anschickte, die Habseligkeiten seiner Junggesellenwirthschaft in die für ihn bestimmte Dienstwohnung zu schaffen, die mit der des Bruders unter einem Dache lag und einen Eingang mit dieser gemein hatte, da war Karle ihm entgegen gekommen, hatte ihm die Rechte geboten und gesagt: „Bruder, gute Fahrt allwegen! Dir und mir! Laß vergeben und vergessen sein, was hinten liegt. Eine Mutter hat uns getragen; einem Beruf gehören wir beide; ein Haus, ein Herd, ein –“

Er kam nicht zu Ende, denn obwohl Oluf’s Hand gezuckt hatte, als suche sie den Weg zur Hand des Bruders, sank sie doch schlaff herab und ballte sich. Unter der Thür des Hauses war die schlanke Gestalt Weika’s erschienen. Die eine Hand schützend über die Augen gelegt, winkte sie mit der anderen den Brüdern am Strande zu. Oluf, als er sie sah, biß die Zähne zusammen, daß sie knirschten. Aber er faßte sich und erwiderte: „Wüßt’ nicht, daß etwas zu vergessen wär’. Daß der Kommandeur grad’ Karle


Fritz August von Kaulbach.
Nach dem Gemälde seines Vaters Friedrich Kaulbach.


[790] Nieboom die Lootsenstelle neben mir auf diesem elenden Sandhaufen gegeben hat, ist ein Fehler in der Rechnung, der mit durchgeschleppt werden muß.“

Der kleine Ede, welcher auf der Mutter Geheiß dem ankommenden Oheim zu Ehren seine deutsche Flagge an einem Pfahl aufgehißt hatte, die nun zu des Knaben Ergötzen im Winde klatschte und flatterte, kam gelaufen, um dem Oheim, der ja wieder gut und freundlich mit ihm sein würde, guten Tag zu sagen. Wie dieser aber, die Mütze tief in die Augen gedrückt, dem Vater die Hand weigerte, rief der Knabe: „Onkel, willst Du doch grimmig bleiben?“ Und Karle sagte: „Komm, Ede, wir wollen zur Mutter gehen!“ während hinter ihnen her Oluf die Faust ballte.

Das blieb so. Der blühende Geranienstock, welchen Weika zum stillen Willkommen in Oluf’s Stube gestellt hatte, ließ nach wenigen Tagen die Blätter hängen, weil ihn durstete. Nach kurzer Zeit stand er verdorrt. Wenn die Brüder sich begegneten, drückten sie die Mützen in die Stirn und setzten fester die Füße auf. Nur Weika ward nicht müde, durch tausend kleine Fürsorglichkeiten, wie sie nur dem guten Frauenherzen gelingen, das Eis zu brechen. Ein freundlicher Blick, ein Gruß, eine mild helfende Handbewegung können so viel erreichen. Aber, ach, der Bau eines so närrischen Dinges wie die Insel der Glückseligkeit ist eine schwere Sache! Zwar versuchte es Weika immer wieder, dazu den Grund zu legen in der Brust des großen blonden Mannes, der da Oluf hieß und der Bruder von Karle Nieboom war. Indeß kam sie nicht über das Grundlegen hinaus; wahrscheinlich weil der Baugrund nichts taugte.

Abwechselnd gingen die Brüder ihrem Berufe nach. Der Schiffsverkehr in den Gewässern um die Insel ist nur schwach und beschränkt sich hauptsächlich auf das, was den einige Meilen ostwärts gelegenen kleinen Hafen angeht. Darum auch genügten zwei Lootsen auf der Station; die mußten aber „stramm“ sein, um allzeit und bei jedem Wetter, jedem Ereigniß selbständig handeln zu können. Der Doppelposten war sehr gesucht, denn er war besser bezahlt, als jene an belebten Stationen; man sah darin eine besondere Vergünstigung, daß die Brüder Nieboom ihn erhielten.

Nach stillschweigend getroffener Uebereinkunft wechselten die Brüder im Berufe ab. Oluf ging zuerst hinaus, als das erste Schiff durch Flaggensignal Lootsenhilfe forderte. Beim zweiten Ruf ging Karle. Für den Fall, daß beide Lootsen unterwegs waren, hatte Weika die Anweisung, durch ein bestimmtes Signal dem fordernden Schiffe zu sagen: kein Lootse auf der Station.

Wieder hatte Oluf ein schwedisches Schiff geleitet, und bei schaurigem, nassem Wetter kam er heim. Das Wasser rann vom Südwester herab und troff aus dem langen Barte. Oluf schauderte. Trotz des guten Grogs, dem er reichlich auf dem Schwedenschiff zugesprochen, fühlte er sich frostig und mürrisch. Er schüttelte sich, wenn er an sein kaltes unwirthliches Zimmer dachte. Ueber der Insel hingen tiefgehende Wolken wie ein Grabmantel; wo seine Füße hintraten, sammelte sich das Wasser.

Aber was war das? Statt der markdurchschauernden Kälte unbewohnter Mauern wallte in Oluf’s Zimmer eine köstliche Wärme, und ein lieblich Gesumm vom Ofen her, bald in hohen, bald in tiefen Tönen, begleitet von süßfestlichem Dufte, legte sich schmeichelnd um Nase und Ohren des fröstelnden Mannes, und – wahrlich – neben der mit dürftigem Immergrünkränzlein geschmückten Tasse lag ein Kuchen! Vor fünf Minuten erst konnte er der heißen Pfanne entnommen sein, denn er dampfte und duftete.

Ein schrilles Gelächter trat auf Oluf’s Lippen. Heut war ja sein Geburtstag! Er hatte ihn vergessen. Auch „Andere“ sollten ihn vergessen!

Oluf ging in Weika’s Küche – seine eigene Küche war kalt, hier konnte der Kuchen nicht gebacken worden sein – und sagte: „Frau Schwägerin, ich verbitte mir solche Eingriffe in mein Hauswesen. Soll’s in Frieden gehen, dann ist da die Grenze zwischen uns. Verstanden?“ Er hatte mit dem Fuß einen Strich in der Mitte des Flurs angedeutet. Dröhnend flog die Küchenthür ins Schloß, daß Töpfe und Pfannen rasselnd an einander schlugen.

„Oluf! Oluf!“ schrie mit Entsetzen das junge Weib und sank dann, das Gesicht in der Schürze bergend, weinend auf einen Schemel nieder.

Drüben, beim Gesumm des Theekessels, beim Knistern der Flamme setzte sich Oluf nieder und machte eine Eingabe an den Herrn Regierungspräsidenten, es möge ihm verstattet werden, auf seine Kosten die Fenster seiner Dienstwohnung nach Süden zu verlegen und daselbst auch einen besonderen Hauseingang anzulegen, da der Bittsteller zur Erhaltung seiner Gesundheit des Sonnenlichtes dringend bedürfe.

Die Herren von der Regierung schüttelten allerdings die Köpfe und konnten nicht begreifen, wo es bei dem hünenhaften Lootsen an der Gesundheit fehlen sollte. Aber da Oluf einer der kecksten Schiffer, einer der Tüchtigsten in seinem Beruf war, so wurde sein Gesuch bewilligt.

Oluf baute, und damit war die Trennung bis auf den Grund vollzogen. Mancher Tag ging hin, ohne daß die nach Norden Schauenden etwas von dem einsamen Manne, der nach Süden blickte, gewahrten. Nun herrschte Ruhe auf der Insel, aber jene Kirchhofsruhe, unter welcher das Bischen Himmelslicht Liebe vollends erlöschen muß.

Und doch wohnten sie unter einem Dache, und ihre Berufspflicht rief sie tagtäglich zum Wohlthun, Helfen, Schützen gegen Sturm und Wind aufs ungestüme Meer hinaus. Mit allen Schrecken der entfesselten Naturdämonen nahmen die Brüder Nieboom es auf; aber mit den Unholden im eigenen Busen? – das war etwas Anderes!

Eines Tages forderte ein Schiff Lootsenhilfe. An Karle war die Reihe. Von Nordost kam die See in schweren Wogen und machte es dem einzelnen Manne schwierig, allein mit dem Boot durch den Seegang an Bord des Schiffes zu gelangen. Karle wollte dennoch allein gehen, denn er mochte dem Bruder kein bittendes Wort gönnen. Wer weiß, welche höhnende Antwort er erhalten hätte!

Mit flinken Fingern nähte Weika noch die Bänder an Karle’s Südwester fest, daß der treibende Wind ihn nicht entführen könne; ein Tüchlein knüpfte sie über das eigene Haar und dann begleiteten sie und das Kind Karle zum Strande. Schon war das Boot flott gemacht, die heranrollende Brandung stieß es in rhythmischen Pausen auf den Sand. Ede, als echtes Seemannskind auf der salzigen Fluth sich heimisch fühlend, machte sich nach Knabenart mit Wichtigkeit im Boote zu schaffen. Der Lootse aber ließ seine Augen über das unruhige Meer schweifen, und darnach umfaßte er das Inselchen, das einsame Haus, sein Weib und die graue, freudlose Himmelsdecke mit einem einzigen Blick seiner ernsten blauen Augen. Es hielt ihn nicht im Boot. Nochmals sprang er aufs Trockene, faßte Weika in seine Arme und küßte ihr voll Ungestüm Mund und Augen, wieder und wieder.

Ganz erschrocken blickte Weika zu Karle empor, der unter freiem Gotteshimmel einem Gefühlssturm unterlag, und sie las in dem braunen, bärtigen Antlitz nur Liebe, Liebe, aber auch ein wenig Sorge. Sie lächelte glückselig. Für wenige Sekunden ward die graue Insel zum Paradiese, denn auch Ede sprang nun herbei und verlangte seinen Theil an der Zärtlichkeitsverschwendung, und Karle küßte auch sein Kind.

Obgleich Karle und Weika sich unbeachtet wähnten, hatte dennoch ein Augenpaar die Scene am Strande erspäht, ein wildes, neidisches Augenpaar.

Oluf war sinnend in seinem Zimmer auf und ab gegangen. Ob Karle wohl nicht kommen würde mit der Bitte: Bruder, geh mit? Gerade heut befand sich Oluf in der Verfassung, daß er auf ein gutes Wort hin mitgegangen wäre. Aber das gute Wort mußte gesprochen werden. Natürlich! Eigentlich war es gar keine Möglichkeit, daß bei der See ein Mann allein an Bord kommen konnte. Hm, ob Karle ’s wagt? will doch schauen. Nur um den Giebel ’rum. ’s kann ja von ungefähr sein, daß Oluf dort geht! Wenn Karle dann was will, kann er ja reden.

Eben wollte Oluf um den Hausgiebel biegen, als er die Thür im Norden knarren hörte. Er hielt zurück. Er sah den Bruder mit Weib und Kind heraustreten und zum Strande gehen.

Er sah die Abschiedsscene und – fort waren die milden Geister der Verträglichkeit, der Brüderlichkeit, die eben ganz schüchtern an dies harte Herz gepocht. Wieder streckten Groll und Haß ihre Häupter empor. Trotzig blickte Oluf zum Himmel auf, aus dessen jagenden Wolken die ersten Schneeflocken zur todten Erde wirbelten. Der Bruder fuhr ab. Weib und Kind sandten ihm einen Abschiedsgruß nach und wateten durch den feuchten Sand dem Hause zu. [791] Auch Oluf war wieder ins Haus gegangen und saß finster brütend in seinem Zimmer.

Draußen aber fielen immer dichter die Flocken. Das weiße Geflimmer legte sich über Stein und Sand, schmiegte sich zu Klumpen in die Ecken der Hausmauern und suchte unter dem First sogar Eingang in das Innere zu gewinnen. Einen Tag ging es so, noch einen Tag. Es gab keinen Ausguck auf das Meer, weil die Wolken noch immer Schnee ausschütteten. Dann kam von Nordosten der Sturm herangebraust, fegte das dichte weiße Tuch an jeder Erhöhung zum Wall auf und trieb die grausamsten Spiele. Bald lag das Lootsenhaus im Schneewall vergraben. Dann blies der Sturm mit eisigem Hauch so lange, bis der Wall zur Mauer und die weiße Decke über der Insel zu Eis erstarrte. Ja, selbst das Meer, das unzähmbare Meer, ward geduldig. Der schmale glänzende Streif an der Küste wuchs und wuchs, und eines Morgens suchten die bangen Augen eines einsamen Weibes vergebens nach einem Streifen köstlich blauen Wassers. Starr, fest, unwegsam ruhten Meer und Land. Nun blieben auch die Möven und Krähen weg, die bis dahin aus Ede’s mildthätigen kleinen Händen manches Bröckchen empfangen. Sie hatten sich weit aufs Festland zurückgezogen; nicht einmal wildes Gevögel mochte rasten auf der Stätte des Todes.

Als echte Seemannsfrau setzte sich Weika mit ihrem Geschick aus einander. Ob auch Morgen für Morgen trostlose Oede sie anstarrte, warm und freundlich loderte Weika’s Feuer. Sie schaffte im kleinen Hauswesen, saß beim Spinnrad und lehrte ihren Knaben, der mit süßem Geplauder über manche Stunde hinwegtäuschte. Endlich mußte Karle doch zurückkommen: nicht ewig konnte das Begrabensein dauern. Ihre Gedanken umfassten auch den bösen Mann. der in der anderen Hälfte des Hauses das Brechen des Eises abwartete. Wie gerne hätte sie ihn gebeten, die Behaglichkeit ihrer Behausung zu theilen: wie gern hätte sie gesprochen: Oluf sei mild, sei gut! Ich kann ja nichts dafür, daß ich deinen Bruder mehr liebte als dich, mehr als mich selbst, als das Himmelslicht, als meine Seligkeit. Oluf, sei gut! verzeih dem Weibe, was das Mädchen an dir verbrochen, jenen einen unseligen Kuß den die Glückliche, die Uebermüthige auf deinen Mund drückte. Oluf, sei gut, laß uns zusammenhalten in Freundschaft und Eintracht, und siehe, unsere Insel wird die Insel der Seligen sein, trotz Bann und Tod!

Weika seufzte zum Geschnurr der Spindel. Sie konnte, sie durfte so nicht sprechen, weil Karle jeden Annäherungsversuch verboten hatte, ihr und dem Kinde. Sie wagte nicht, so zu sprechen, weil ihr davor graute, jene rauhe, grimmige Sprache noch einmal zu hören, die sie nach ihrem ersten Liebesbeweis an dem Geburtstage erschreckt hatte. – –

Seit vier Tagen herrschte der Nordsturm bei klarem Himmel, er rüttelte an Fenstern und Giebeln und trieb Wirbeltänze mit klirrenden Eisnadeln, die er zu Pyramiden auffegte. Die in Fesseln liegende See stöhnte.

Zum ersten Mal legten sich um das Herz des jungen Weibes die Krallen der Furcht. Bei jedem Windstoß fuhr Weika zusammen. Sie vermied den Blick zum Fenster, weil ihre erregte Phantasie auf dem unter dem Fenster sich dehnenden Schneewall allerlei seltsame Lichter und dunkle Schreckgestalten vermuthete. Sie zog den Tisch, auf dem die Lampe friedlich leuchtete, dicht an den glühenden Ofen und kauerte in einem Sessel nieder. Ede kam mit seinem Bilderbuch, doch vermochte sein holdes Kindergeschwätz diesmal nicht, die trüben Geister zu bannen. Es lag auf ihr wie die Gewißheit eines kommenden Schrecknisses. „Karle! Karle!“ stöhnte sie. Der Knabe schaute auf und kletterte dann auf der Mutter Schoß. Er tröstete: „Der Vater kommt bald, warte nur, der Vater kommt bald.“ Unversehens legte das Kind bei seinen Liebkosungen das Händchen auf der Mutter Antlitz.

„O, wie heiß bist Du, Mutter!“

„Nein, Ede, mich friert.“ und schauernd drückte sie den Knaben fest an sich. Ihre Hände umschlossen krampfhaft den theuren kleinen Menschen, der ihr einziger Trost in dieser Noth war. Er lag ganz still an ihrer fieberhaft athmenden Brust.

Immer toller, immer wilder schien das nächtliche Sturmkoncert das einsame Haus zu umtoben. Bald tönte es wie Gebrüll, bald wie Gelächter. Jetzt kam es langsam herangekrochen mit eisigem Athem und glühenden Augen, sie und ihr Kind in ewige Nacht zu begraben. Da, da, o entsetzliches Gesicht! laß ab!

Mit kreischendem Laut ließ sie das Kind los und streckte abwehrend beide Arme nach dem Fenster aus. Dort kauerte es, eine dunkle zusammengeballte Gestalt; ein bärtiges Gesicht mit verzerrten Zügen drückte sich gegen die Scheiben. Weika floh mit ihrem Knaben in das Schlafgemach.

Was weiß ein Weib von Kampf und Noth, die in der Brust des Mannes wüthen? Das Weib liebt, und das ist ihm genug. In der Liebe ruht des Weibes Vollendung. Wie sollte ein der Liebe geweihtes Geschöpf die Abgründe einer Mannesseele ahnen?

Diese Abgründe sind aber da; trotz der Brücke des festen Gleichmuths und der kalten Kraft sind sie da. Sie reißen um so tiefer in die Seele, je mehr der Mann in Unthätigkeit seine Spannkraft und damit den angeborenen Widerspruchsgeist einbüßt. Der fürchterlichste Feind des Mannes ist der Müßiggang; in ihm geht das bessere Theil verloren und – der trübe Bodensatz bleibt zurück.

Es giebt auch einen unfreiwilligen Müßiggang. Diesem war Oluf Nieboom, der Lootse, verfallen. Das Eis stand. Die Schifffahrt war gehemmt. Außerdem lag die Lootseninsel tief unter Schnee, jede Arbeit im Freien wurde unmöglich. Und drinnen im Hause Arbeit sich schaffen? Für wen sollte Oluf arbeiten? Doch nicht für sich selbst? Du lieber Gott, es lohnte wahrlich nicht der Mühe, dies elende Stück Dasein zu verbessern! Für Andere? Es war ja Niemand sonst auf diesem todten Stück Erde.

Die Weika und der Ede?

Hahaha! leben die auch noch, sogar mit ihm, dem verschmähten Oluf, unter einem Dache? allein, ohne Karle's Schutz, Oluf’s Gnade anheimgegeben? Hahaha! wäre der Oluf nicht ein so tüchtiger kreuzbraver Kerl, du könntest was erleben, du vertrauensseliger Karle! Hattest du wirklich keine Ahnung, wie es unter Oluf's Jacke rumort, rumoren muß? Oluf ist ja dein Zwillingsbruder, und er liebt dasselbe Weib. welches dein eigen; ist aber von ihr verschmäht worden!

Er kämpfte mannhaft. Er erkannte auch wohl, was seine innere Qual, vermehrte und suchte dagegen anzukämpfen.

Karten, Zirkel und Lineal her, auch die Tagebücher und Aufzeichnungen der letzten Fahrten. Vor allen Dingen aber ein Glas steifen Grogs, die Lebensgeister flüssig zu machen. So, wie’s behaglich wallt und zischt, wie das schmeckt! Dem Manne ist wohl bis aufs innerste Mark – die Arbeit kann beginnen. Ist sie vollendet, wird sie dem Herrn Lootsenkommandeur eingereicht. Wird der sich wundern. daß Oluf Nieboom, der einfache Schiffer, der Lootse, die von der Regierung geplanten neuen Vermessungen der Ostsee ganz allein und privatim ausgeführt hat, ehe die Regierung nur mit den Vorbereitungen fertig war! Der Herr Regierungspräsident bekommt die Musterarbeit in die Hände; von ihm geht sie nach Berlin, natürlich mit einem Empfehlungschreiben. Geht dann nach Recht und Billigkeit, wird die beste Kommandeurstelle an den deutschen Küsten ihm, Oluf Nieboom, zu Theil werden. Vielleicht auch etwas Höheres. Gut! dann kommen die Brüder aus einander. Das Elend hat ein Ende. Elend? wer ist denn elend? Oluf Nieboom doch nicht? Hahaha, der fühlt sich so mollig wie noch niemals, der tauscht mit keinem König. Nur das lachende strahlende Mädchengesicht, welches zwischen seinen Zahlen und Berechnungen umherhüpft, möchte er fort haben. Es kommt aber immer wieder. Besonnen, bedächtig! Oluf, alter guter Junge, mach’ keinen Fehler in der Rechnung! Lieber noch ein heißes Glas trinken, dann wird's besser gehen.

Während der Mann Strich um Strich, Zahl um Zahl aufs Papier setzte, suchte er den Stachel in seiner Brust abzustumpfen: vergeblich! derselbe drang immer wieder durch. Zwischen Zahlen, Linien und mathematischen Formeln hüpfte das reizende Mädchengesicht umher, winkte und nickte vertraut.

Mehr als acht Jahre sind verflossen, seit Oluf’s mächtige Arme zum ersten und einzigen Male die süße Mädchengestalt umschlossen, die er bis zum Wahnwitz liebte. Diese Brust, dieser Mund, diese Hand, die in fernen und nahen Landen den lockendsten Versuchungen widerstanden, um den lebendigen Hort der Liebe unverkürzt einer Einzigen zu Füßen legen zu können - sie hatten diese Einzige gefunden. Beim Schifferball war es, in einer mäßig dämmerigen Ecke des überfüllten [792] Saales, da trat Weika zu ihm und schlang ihre Hände um seinen Nacken. Er fühlte ihren Kuß wie einen Blitzschlag. Seine bebende Brust verlangte weiter nach dem Schlag ihres Herzens, sein heißer Mund nach ihren Lippen. Aber mit hochrothen Wangen entschlüpfte ihm das Mädchen und wiegte sich im nächsten Augenblick mit Bruder Karle im Tanz.

Worte hat ein Seemann im Sturm solcher Gefühle nicht zur Hand. Oluf mußte hinaus, um nicht mitten im Tanzgewühl einen lauten Schrei auszustoßen. Draußen am Meeresstrande lief er auf und ab, hielt wortlose Zwiesprach’ mit der rollenden Brandung und dem sausenden Sturm. Er jauchzte in stummem Entzücken und vermeinte mit vollen Segeln dahinzurasen den Inseln der Seligen zu.

Am andern Tag schon kam der Schlag, der alles Gute in ihm vernichtete.

Beim Tagesgrauen kam Karle an Bord des „Herkules“, auf dem die Brüder dienten. Mit glänzenden Augen ging er zu dem vor Erregung nicht schlafenden Oluf: „Weika ist meine Braut; sie selbst verkündete es Dir schon mit einem Kuß, wie sie mir gestanden hat.“

Der Rest war Haß und Qual.

(Schluß folgt.)

Pflege des Gehörs.

Von Dr. Joh. Hermann Baas (Worms).
(Schluß.)

Das Verständniß des Folgenden können wir dem Laien nur vermitteln, wenn wir vorher mit einigen Worten auf die wunderbare bauliche Einrichtung des Gehörorgans hinweisen und dabei die nebenstehende bloß schematische, also nicht naturgetreue, sondern nur einen allgemeinen Ueberblick gewährende Abbildung zu Hilfe nehmen.

Die Ohrmuschel, die äußere Ohröffnung und eine kurze Strecke des äußeren Gehörgangs (bis a) kann Jedermann ohne Weiteres sehen; der Rest des letzteren bis zum Trommelfell dagegen (von a bis b) ist nur mit Hilfe von Ohrspiegeln sichtbar zu machen. Das zuletzt genannte Gebilde ist ein papierdünnes Häutchen von der Größe eines Zwanzigpfennigstückes, das bei jedem Schall, der es trifft, hin- und herschwingt, wie das Fell einer Trommel. Dasselbe schließt das verhältnißmäßig weite Mittelohr, die sogen. Trommelhöhle (cc), welche die zierlichen Gehörknöchelchen (f) enthält, nach außen hin ab. Die letztere „Höhle“ ist wiederum ihrerseits nach dem Munde, respektive Rachenraum hin offen (d); sie steht durch die etwa rabenfederstarke, hohle Eustach’sche Röhre oder Ohrtrompete (l) mit diesem in Verbindung. Ganz in Knochen eingebettet liegt das innere Ohr (i) mit seinen halbcirkelförmigen Kanälen und der Schnecke, welche die Ausbreitung des Gehörnerven enthält, auf den sich die Schalleindrücke mittelst der Gehörknöchelchen übertragen.

Schematische Darstellung des Baues des Gehörorgans.
a Aeußerer Gehörgang. b Trommelfell. c Trommelhöhle (mittleres Ohr) mit dbe Gehörknöchelchen (f) und Eingang in die Eustach’sche Röhre (l). d Oeffnung dieser im Nasenrachenraum. i Inneres Ohr mit der Schnecke und den 3 halbzirkelförmigen Kanälen.
k Felsenbein.

Daß das Ohr mit dem inneren Mundraum wirklich in offener Verbindung steht, kann man sich leicht zum Bewußtsein bringen, wenn man Mund und Nase schließt und dann nach hinten zu blasen strebt oder, noch leichter, wenn man, während die Lippen fest zugepreßt und die Nasenöffnnngen mit Daumen und Zeigefinger zugehalten werden, einen ordentlichen Mund voll Luft nach hinten schluckt: es fahren dann, wie es gewöhnlich heißt, die Ohren zu, und es entsteht ein dumpfes Druckgefühl im Ohre selbst, welches daher rührt, daß Luft mit einer großen Gewalt ins Mittelohr durch die Eustach’sche Röhre hindurch getreten ist und das Trommelfell nach außen wölbt. Noch deutlicher wird die Sache, wenn das letztere, was in seltenen Fällen von Geburt aus der Fall ist, eine feine Oeffnung hat; dann dringt die eingetriebene Luft durch diese und den äußeren Gehörgang nach außen und verursacht ein blasendes Geräusch, welches ziemlich weit hörbar wird; die hervorströmende Luft vermag auch eine vorgehaltene Flaumfeder in Bewegung zu versetzen.

Jene offene Verbindung des Ohrs mit dem Nasen-Mundraum (bei d) ist nun nicht allein für das Hören an sich von großer Wichtigkeit (denn auch von der Eustach’schen Röhre aus gehen Schallwellen ins Ohr), sondern sie ist auch für die Schwingungen des Trommelfells (b), für die Existenz des letzteren von großer Bedeutung, mit einem Worte, sie ist zugleich ein Schutzmittel für dasselbe. Von einem starken Schall getroffen, spannt sich das Häutchen nämlich so, daß es nach innen ausgebogen wird; dadurch wird zugleich die Luft in der Trommelhöhle zusammengedrückt. Kann nun ein Theil davon durch die offene Ohrtrompete nach dem Munde entweichen, so ist die Gefahr der Zerreißung für gewöhnlich vermieden; könnte sie aber nicht austreten, so würde von innen her ein starker Gegendruck entstehen, der das Trommelfell zerreißen müßte. Die Existenz der Ohrtrompete ist also wieder einer jener zahlreichen Beweise, wie die Schöpfung beim Aufbau der Organe des Körpers mit wunderbarer Fürsorge auf deren Erhaltung bedacht war!

Die angeborenen Oeffnungen im Trommelfell, deren wir oben erwähnten, sind meist sehr fein und haben deßhalb wenig Einfluß auf die Gehörschärfe. Anders verhält sich die Sache dagegen, wenn solche durch Krankheiten des Ohrs oder durch Zerreißung in Folge plötzlicher, aus nächster Nähe kommender überstarker Schalleindrücke entstanden sind. Vor letzteren sollte das Gehör stets bewahrt bleiben! Und doch geschieht das bei Weitem nicht immer mit der nöthigen Sorgfalt, ja man ruft nicht selten aus Leichtsinn und Uebermuth solche geradezu hervor! Reißt in Folge davon das Trommelfell ein, so sind die Risse meist groß und heilen nur selten wieder vollkommen zu, so daß dauernde Verminderung der Hörfähigkeit zurückbleiben muß; ja es kann diese sogar durch nachfolgende Entzündung im Mittelohr ganz verloren gehen. Muthwillig herbeigeführte Zerreißungen ereignen sich z. B. nicht selten bei sogen, „festlichen Gelegenheiten“, bei denen es ja, besonders auf dem Lande, aber auch in Städten, immer noch aus meist überladenen Böllern heut zu Tage so knallen muß, wie wenn das Schießpulver erst gestern und bloß zur Freude der Menschheit erfunden worden wäre; auch dem Unfuge des Neujahranschießens fällt außer mancher Hand noch so manches Trommelfell zum Opfer. Seltener geschieht das in Folge einer „kräftigen“ Ohrfeige, die außer durch starken Schall auch noch durch plötzliche Luftverdichtung im Gehörgange gefährlich wird. Vor derartigen Züchtigungen sind besonders Lehrer zu warnen, ebenso wie vor dem vielfach beliebten Aufschlagen eines langen spanischen Rohres auf die Schultafel, um durch den plötzlichen Knall sich augenblickliche Ruhe zu verschaffen. Verfasser hat aus beiden Veranlassungen entstandene große Trommelfellrisse beobachtet. Was ist aber zum Schutze des Gehörs zu thun, wenn ein Trommelfellriß nicht mehr ganz verheilte? In der Regel beschränkt

[793]

Der Kronprinz des Deutschen Reichs und seine Jagdgesellschaft.
Nach einer Moment-Photographie von M. Ziesler in Berlin.

[794] man sich am besten darauf, einen kleinen, erbsengroßen Pfropf entfetteter, ganz reiner Baumwolle in den vorderen Theil des Gehörgangs einzubringen und ihn täglich zu erneuern; denn künstliche Trommelfelle – die ersten erfand der Arzt Marcus Banzer im Jahre 1640, der berühmte englische Ohrenarzt Toynbee aber konstruirte das heute gebräuchlichste – sind viel beschwerlicher zu tragen, nützen durchaus nicht mehr, ja oft weniger, und sind überhaupt nur bei völligem Verlust des natürlichen zu versuchen.

An dieser Stelle möchten wir zugleich ernstlich davor warnen, bei jeder geringen Veranlassung, wie leichtem Ohrenschmerz, bei Zahnweh, bei sog. rheumatischem Kopf- resp. Ohrenweh u. dergl., sofort, was allzuoft geschieht, einen dicken Wattepfropf, dazu von oft zweifelhafter Reinheit, in den gar nicht selten auch noch ein Korn Kampher eingewickelt wird, in den Gehörgang zu stopfen; denn ziemlich häufig gleiten diese Pfropfen tiefer und werden im Glauben, sie seien herausgefallen, dann im Ohr belassen, bis ein Ohrenfluß entsteht und der behandelnde Arzt sie entdeckt und entfernt, oder sie bringen auch durch ihre Größe allein schon einen Ausfluß zu Stande. Ist aber ein solcher als selbständige Krankheit vorhanden, so bilden sie, zumal, wenn sie nicht oft genug erneuert werden und nicht aus gereinigter Medicinalbaumwolle bestehen, nur ein Unterstützungsmittel der Eiterung. In diesen Fällen ist einfaches, leichtes Zubinden des Ohres mit einem dünnen Leinen- oder Seidentuche entschieden viel vortheilhafter für die Heilung, weil dabei der Eiter nicht zurückgehalten, zersetzt und schließlich übelriechend wird, wie durch Tragen von Wattepfropfen gar nicht selten geschieht. Jedenfalls muß bei deren Verwendung der Gehörgang um so öfter und gründlicher ausgespritzt werden.

Es bleibt uns jetzt noch übrig, die häufigsten Ursachen dauernder Schwerhörigkeit zu besprechen, und das muß um so mehr geschehen, als der Laie in der Regel gar nicht daran glauben will, daß sie, zu theilweisem, ja allmählich zu völligenn Verlust des Gehörs, dies freilich meistens erst nach langer Vernachlässigung, führen können und thatsächlich oft genug dazu führen. Wir meinen den Schnupfen und die Halsentzündung.

„Wie? ein ganz gewöhnlicher Schnupfen soll das Gehör gefährden? Und was kann erst eine Halsentzündung dem Ohre schaden?“ hört man in der Praxis oft voreilig ausrufen, und so denkt vielleicht auch der Leser.

Wenn derselbe aber gewohnt ist, sich selbst in Krankheiten genau zu beobachten, so wird er gewiß, da er jedenfalls so wenig, wie irgend Jemand, von den zwei genannten Uebeln ganz frei geblieben ist, schon bemerkt haben, daß dabei stets auch eine gewisse Schwerhörigkeit auftritt, sowie daß diese erst völlig verschwindet, wenn jene günstig abgelaufen sind. Und wir wollen hoffen, daß er nicht zu denen gehört, die selbst nach ganz gutem Verlaufe derselben einen geringen Grad von Schwerhörigkeit zurückbehalten haben – ohne es zu wissen.

Leider ist aber die Zahl derer, bei welchen dies der Fall, nicht gerade klein; doch erst, wenn ein Dutzend oder mehr Schnupfen- und Halsentzündungsattacken überstanden sind, kommt ihnen schließlich zum Bewußtsein, daß auch am Ohre viele Wenig ein Viel machen, mit anderen Worten, daß jede noch so kleine Gehörstörung, die nach Schnupfenanfällen zurückbleibt, sich zuletzt zu einer empfindlichen Behinderung der Hörfähigkeit summirt. Das kommt sowohl bei Erwachsenen, wie ganz besonders häufig bei Kindern vor: nicht wenige jener Kinder, die zu Schnupfen und Halsentzündung „Anlage“ haben, in erster Linie also die skrofulösen, hören in der That schlecht, ja oft schon sehr schlecht, bevor das die Eltern beunruhigt, weil die allmähliche Abnahme des Gehörs sich über Jahre erstreckte und man sich daran gewöhnt hatte, immer etwas lauter mit ihnen zu sprechen, „weil die Kinder mit den Jahren bekanntlich immer zerstreuter werden.“ Ja manchmal bekommen sie Strafen zudiktirt, eben weil sie so zerstreut sind, in der Schule aber, weil sie „deßhalb“ so schlecht lernen, im Grunde aber mit Unrecht, weil ja alles das nur Folge schlechten Hörens ist, wie neuere Untersuchungen in zahlreichen Fällen bewiesen haben: es wird ihnen als Unachtsamkeit oder gar als Beschränktheit angerechnet, was doch auf Rechnung ihrer Schwerhörigkeit kommt!

Wie diese Schädigungen des Gehörs in Folge von Schnupfen und Halsentzündung zu Stande kommen, wird auch der Laie sehr leicht einsehen, wenn er unsere obige Abbildung nochmals ansieht und bedenkt, wie leicht jene Krankheiten durch einfache Fortwanderung auf die Eustach’sche Röhre und das Mittelohr übergehen können, weil ja der Weg dahin ganz offen steht. Die Röhre wird dabei entweder vorübergehend durch Schleimabsonderung bei der Oeffnnng d verstopft, die „Ohren fahren zu“, was sich auf kurze Zeit durch das oben beschriebene Luftschlucken oder Blasen nach hinten beheben läßt, oder dieselbe wird in ihrem ganzen Inneren verstopft und verdickt, oder es entsteht selbst schwere Entzündung des Mittelohres, (cc), was alles dann nur sehr langsam oder gar nicht mehr der ärztlichen Kunst weicht, die an sich, wie leicht begreiflich, in solch versteckten Theilen nicht sehr mächtig ist.

Aus diesen Darlegungen ergiebt sich in Bezug auf das Ohr unschwer die hygieinische Regel: man taxire mit Rücksicht auf die leicht mögliche Schädigung des Gehörs Schnupfen und Halsentzündung, namentlich, wenn sie öfters wiederkehren, und ganz besonders bei Kindern, nicht gering, sondern fasse sie als Leiden auf, die leicht ernste Folgen fürs ganze Leben nach sich ziehen können durch Herabsetzung der Hörfähigkeit: man kurire sie richtig aus, wie man zu sagen pflegt.

Zum Schlusse wollen wir noch mit wenigen Worten andeuten, wie gerade das Gehör von allen unseren Sinnen hygieinisch am ungünstigsten gestellt und am ununterbrochensten angestrengt ist; denn selbst im Schlafe wird dasselbe, zumal in Städten, bis zu einem gewissen Grade in Thätigkeit erhalten. Während das Auge in der Nacht durch natürliche wie künstliche Dunkelheit und die Lider völlig gegen die Erregung durch Licht abgeschlossen wird, Geruch, Geschmack und Gefühl aber ohnedies während derselben vollkommen ausruhen, bleibt das Gehör auch des Nachts für seine specifischen Sinneseindrücke halb wach; denn die Geräusche der Straße, der Eisenbahnen und wie sie alle heißen, die Lärmmacher des heutigen Lebens, wirken selbst im Schlafe auf dasselbe, wenn sie auch nicht immer so stark sind, daß wir dadurch erwachen, was übrigens oft genug der Fall ist. Eine Hauptregel der Ohrpflege ist daher auch die, daß man das Schlafzimmer so viel wie irgend möglich von der Straße weg in den allerstillsten Theil des Hauses verlegt, damit auch das Gehör seinen Schlaf möglichst vollkommen genießen kann. Warum haben wohl die Bewohner „der schweigsamen Wüste“, der Prairieen, mit einem Worte die von dem ununterbrochenen Lärm der Civilisation verschonten sogenannten Wilden anerkanntermaßen schärferes Gehör? Unter Anderem gewiß auch deßhalb, weil ihr Gehör nicht fort und fort von Geräuschen getroffen wird, sondern zeitweise ausruhen, und vor Allem, weil es wenigstens ungestört schlafen kann!


Ein Friedhof ohne Gleichen und vierzig auferstandene Könige.

Von Georg Ebers.
(Fortsetzung.)

Königin Hatschepsu war ein Kind jener großen Epoche der ägyptischen Geschichte, für die wir mit Recht den Namen der „Ritterzeit“ gewählt haben; kam doch während der Kriege gegen die Hyksos und der großen Eroberungszüge, welche die ägyptischen Truppen zum ersten Male nach Asien und bis über den Euphrat hinaus führten, zur vollen Geltung, was der Einzelne in der Schlacht – sei es auf dem Kriegswagen, sei es auf dem Schiffe – an Heldenthaten verrichtete. Das Roß, ein vor der Hyksoszeit am Nil unbenutztes Thier, wird in diesen Tagen der Stolz und Genosse des Streiters, der seinen edlen Liebling mit hoch klingenden Namen und das Haupt desselben mit prunkenden Federn schmückt. Später hören wir nur noch erzählen, welche Siege der König mit Hilfe der Götter erfochten; in Hatschepsu’s Zeit werden auch die Großthaten einzelner Helden gepriesen, und wir erfahren, wie [795] sich der Schiffsführer Aahmes auf den Gewässern bei Avaris auszeichnete; wir sehen auf einem geschnittenen Steine im Louvre, wie sich der Bruder der großen Königin, Thutmosis II., den Namen des Tapferen beilegt und einen Löwen bändigt; wir hören von einem Feldherrn des Stiefbruders derselben Fürstin, Thutmosis’ III., einen märchenhaften Heldenstreich berichten. Amen em heb, einer der tüchtigsten Kriegsobersten desselben Monarchen, giebt in seiner Biographie nähere Kunde über die Thaten, welche er auf den Feldzügen gegen die Semiten des westlichen Asien verrichtet, und er vergißt dabei nicht zu erzählen, ein wie kühner und glücklicher Elephantenjäger er war. Die Dame Hatschepsu selbst versucht, sich ein männliches Ansehen zu geben, indem sie sich den Kriegerhelm auf das Haupt setzt und sich auf mehreren ihrer Bildnisse einen künstlichen Bart an das glatte Kinn heften oder auf Dekreten von sich selbst mit den grammatischen Formen für das männliche Geschlecht reden läßt.

Ließen wir eine moderne Königin eine Schrift im gleichen Sinne verfassen, so würde es heißen: „Königin Viktoria wollte den Frieden. Er schrieb nach Rußland etc.“

In der That muß ein kräftiges Herz in der Brust dieser Frau geschlagen haben.

Männlichen Sinnes wußte sie mit alten Vorurtheilen zu brechen, und wenn man vor ihr das unbeständige, salzige Meer für eine Domäne des feindlichen Seth-Typhon gehalten, es zu befahren gefürchtet und nur größere und kleinere Barken für friedliche Reisen und kriegerische Unternehmungen auf dem Nil hergestellt hatte, so überwand Hatschepsu die alte Scheu, ließ stattliche Seeschiffe auf neuen Werften am Rothen Meere herstellen und drang mit ihnen bis zum südlichen Arabien, der Arabia felix und der Aromatifera regio der Römer vor, um aus den Küstenländern des kuschitischen Punavolkes, welches mit röthlicher Haut und scharf geschnittenem Profil – seltener dunkelhäutig – abgebildet wird, Elfenbein und Gold, Gewürze, Weihrauchkerzen, Gummi und edle Hölzer, Affen und andere kostbare und seltsame Dinge in das Nilthal zu bringen und den königlichen Schatz sowie die Heiligthümer, besonders des Amon, zu bereichern.

Kriegswagen mit Köcher und Bogenhalter.

Die Erbauerin des Tempels von Der el-bahri war die älteste Tochter Thutmosis’ I., und dieser muß ihre Tüchtigkeit und ihren unternehmenden Geist früh erkannt haben; denn obgleich er einen legitimen männlichen Erben und einen Sohn von einem seiner Nebenweiber besaß, erhob er sie dennoch in seinen letzten Lebensjahren zur Mitregentin. Sobald er die Augen geschlossen, wußte sich Hatschepsu des Thrones für sich allein zu bemächtigen, und wenn sie zunächst auch nur als Vormünderin ihres jüngeren Bruders Thutmosis II. die Regierung geführt haben mag, so stellte sie diesen doch so tief in den Schatten, daß sie während einer Reihe von Jahren unumschränkt über das Reich ihres Vaters herrschte. Aber aus dem Knaben ward ein Mann; die Königin mußte dem Volljährigen die Hälfte des Thrones einräumen, und Thutmosis II., der dem edlen Waidwerk sehr ergeben, sonst aber von geringer Bedeutung gewesen zu sein scheint, hat doch der schwesterlichen Macht Widerstand zu leisten verstanden. Gemeinsam und, wie es scheint, in guter Harmonie begannen Beide während dieser Zeit der Theilung der Krone die Anlage ihrer Doppelgruft in dem schönen Felsenamphitheater von Der el-bahri. Für jeden wird zunächst eine Grabkammer in den Kalkstein gehauen und an der Façade der zu diesen Grotten führenden Eingänge links und rechts je eine gleichlautende Inschrift angebracht, die sich nur dadurch von einander unterscheiden, daß die eine der Hatschepsu, die andere Thutmosis II., ihrem Mitregenten, gewidmet ist.

Königssohn, der als Wagenkämpfer mit seinem Rosselenker in die Schlacht jagt.

Diese Felsenkammern, welche zur Aufnahme der Mumien des königlichen Geschwisterpaares hergestellt worden zu sein scheinen, sind zugleich als Sanktuarien des Memnoniums zu betrachten, und mit der Anlage des Allerheiligsten begann der Bau jedes ägyptischen Tempels. Bevor sich die Anlage der Terrassen dem Abschluß näherte, segnete Thutmosis II. das Zeitliche, und dieser Umstand ermuthigte Hatschepsu’s illegitimen Stiefbruder, Thutmosis III., den sie als Knaben aus der Nähe von Theben entfernt und als Verbannten in den Marschdistrikten bei Buto im Delta zurückgehalten hatte, sie zu zwingen, ihn an der Regierung theilnehmen zu lassen.

Die Expedition nach Pun-t ward von ihr auf eigene Hand unternommen, und nur ungern überließ sie dem Halbbruder einen Theil des Ruhmes und Reichthums, der ihr aus derselben erwuchs. Von der anderen Seite war Thutmosis III. keineswegs dazu angethan, sich dem Willen eines Weibes geduldig zu unterwerfen, und so zeigte er seiner Stiefschwester, an deren Liebe er mit gutem Rechte zweifeln durfte, bald, daß er mehr und Größeres vermöge als sie. Kein Pharao vor und nach ihm hat so kühne, großartige und glückliche Feldzüge gegen die Asiaten unternommen, wie dieser – seine nun aufgefundene Mumie lehrt dies – an Wuchs kleine Mann, in dem eine große Heldenseele wohnte.

Wir wissen nichts über das Ende Hatschepsu’s, wohl aber lehren die Denkmäler, daß sie in argem Unfrieden mit ihrem gewaltigen Bruder gelebt hat; denn dieser, welcher sich Getreuen dankbar und mit echt fürstlicher Freigebigkeit zu benehmen gewohnt war und sich – Vieles deutet darauf hin – die Liebe des Volkes im höchsten Maße zu erwerben verstand, ließ den Unwillen und Haß, welche ihn bei Lebzeiten der Schwester gegen sie erfüllt hatte, auch die Verstorbene fühlen und ordnete an, daß man – eine unter den Pharaonen häufig gegen Vorgänger, deren Andenken man zu verunglimpfen suchte, geübte Unsitte – ihren Namen selbst auf den von ihnen gemeinsam erbauten Denkmälern auskratze und den seinen über die halb zerstörten und doch noch kenntlichen Lettern des ihren hinschrieb. Im Andenken der Aegypter hat Thutmosis’ III. Name den Hatschepsu’s lange überlebt.

Die Herstellung der Terrassen, welche zu den Felsenkapellen führten, ist ihr allein zuzuschreiben; denn sie sind der Hathor, ihrer Lieblingsgöttin, gewidmet, aus deren Eutern wir sie auf einem köstlichen Basrelief in der von ihr und für sie vollendeten Felsenkammer die Milch des Lebens trinken sehen, und viele der polygonalen Säulen, welche sich auf den Plattformen des Terrassenbaues zu Kolonnaden gesellten, zeigten an den Kapitälen das Antlitz dieser himmlischen Frau, welche als Todtengöttin in der Nekropole von Theben schon früh verehrt ward.

Der Grundplan des Memnoniums der Hatschepsu hat für Denjenigen, welcher weiß, mit wie geringen Abweichungen die priesterlichen Architekten sich an die vorgeschriebene Anordnung der Heiligthümer zu halten verpflichtet waren, etwas sehr Ueberraschendes; denn er weicht durchaus von demjenigen aller Tempel oder Memnonien, welche früher oder später in Aegypten hergestellt worden sind, ab; aber wenn man auch am Nil vergeblich nach etwas Aehnlichem sucht, so hat es doch schon früh an einer andern Stelle Denkmäler gegeben, welche dem Tempel von Der el-bahri gleichen, und zwar in Assyrien. Dorthin waren die siegreichen Heere des Vaters der drei Geschwister gelangt; dahin hatte sie wahrscheinlich Thutmosis II. und jedenfalls zu wiederholten Malen Hatschepsu’s Stiefbruder Thutmosis III. geführt, ja vielleicht war die unternehmende Königin, welche wir auch mit dem Kriegerhelme abgebildet sahen, der ägyptischen Armee bis an den Euphrat oder noch weiter nach Osten gefolgt, und so will es uns scheinen, als habe diese merkwürdige Frau, welche sich das Fremde auch auf anderen Gebieten, wo es ihr eben genehm war, zu benutzen nicht scheute, bei der Herstellung ihres Memnoniums ein assyrisches Vorbild herangezogen, es im Ganzen nachahmen lassen, sich im Einzelnen aber der ägyptischen Kunstformen und mit Vorliebe der polygonalen Säule und anderer älterer unter ihnen bedient.

Dieser Prachtbau war so angelegt, daß Processionen zu Schiff aus dem Reichsheiligthum im östlichen Theile Thebens [796] gradewegs zu einer Landungsstelle in der Nekropole hinüberfahren konnten, von der aus eine stattliche Doppelreihe von Sphinxen zu ihm hinführte. Nur wenige Löwenleiber und Pflasterstücke deuten noch an, welche Richtung die alte Wallfahrtsstraße innegehalten, und einzelne Fundamentsteine bestätigen die Vermuthung, daß man einst ein hohes Phylonenthor zu passieren hatte, um Einlaß in das Memnonium zu gewinnen. Durch die geöffneten ehernen Pforten desselben war es dann gestattet den Riesenbau zu überschauen, in dem breite Stufenreihen von einer Terrasse auf die andere und endlich zu den Felsengemächern führten, deren Façade das von außen her sichtbare Menschenwerk abschloß, während die größer bildende Natur das Auge einlud, zu dem herrlichen Halbrund hochragender Felsen hinter und über dem Tempel aufzuschauen.

Unzerstörbar sind die Unterbauten von wohlbehauenen Quadern, welche den Terrassenbau stützen, und Küustlerhände haben ihre Seitenflächen mit mächtigen Sperbern, den Vögeln des Horus, des Gottes der Auferstehung, würdig geschmückt.

Befrachtung der in das Punaland ausgesandten Schiffe der Hatschepsu.

Säulenhallen dienten jeder Terrasse zur Zier und boten den Processionen, welche hier zu rasten und Ceremonien vorzunehmen hatten, Schutz vor dem Brande der Sonne oder dem seltenen, aber, wenn er eintritt, heftigen Regen dieser Breiten.

An der Hinterwand der Plattformen, welche die erwähnten Treppen verbinden, sind die Bilder und Inschriften angebracht worden, welche die kühnste der Unternehmungen Hatschepsu’s im Gedächtnisse der Nachgeborenen lebendig zu erhalten bestimmt sind. Unser Straßburger Kollege und Freund Dümichen war es, der sie zuerst durch eine großartige Publikationsarbeit in die Wissenschaft einführte. Da sehen wir die Schiffe der Königin, wie sie ausfahren, wie sie befrachtet werden und mit voller Ladung die Heimfahrt antreten. An diesen höchst sorgfältig ausgeführten Bildern, welche uns jeden Theil der Takelage und Ausrüstung aufs Deutlichste und bis ins Kleinste vor Augen führen, hat sich zum Theil noch die Farbe erhalten, und die begleitenden Inschriften lehren, daß sie belastet worden sind „mit einer unerhörten Menge von Kostbarkeiten des Landes der Puna, allen edelen Holzarten des ‚heiligen Landes‘, Haufen von Weihrauchharzkörnern, grünen Weihrauch spendenden Nehabäumen, Ebenholz, reinem Elfenbein, Gold aus dem Amu- (Semiten-)Lande, Theas und Chesi-t-Holz (Kassiarinde?), (mineralischen) Ahemstücken, Weihrauch und Mestem (Spießglas), Anau- und Kefu-Affen, Thesemthieren (Windhunden), bunten Fellen der Panther des Südens, Eingeborenen und Kindern (als Sklaven).“ Außer den Pfauen hat diese Expedition Alles nach Aegypten gebracht, womit die Ophirfahrten Salomo’s den Schatz des jüdischen Königshauses bereicherten.

Transport eines Nehabaumes auf die Flotte der Hatschepsu.

Wie das Heer Alexander’s des Großen oder die französische Expedition unter dem General Bonaparte ist die Flotte der Hatschepsu von gelehrten Naturfreunden begleitet worden; denn unter den Bildern der Schiffe finden sich Borten, welche mit den gebrochenen Linien erfüllt sind, die unter den ägyptischen Begriffszeichen das Wasser bedeuten, und auf diesen Zickzackstreifen sieht man alle ins Auge fallenden Gattungen der Fische des Rothen Meeres abgebildet, und zwar in so charakteristischer Weise (wir zeigen dem Leser Proben derselben), daß es unseren Zoologen leicht gelingen konnte, jede einzelne Species wieder zu erkennen und sie zu bestimmen.

Thierarten des Rothen Meeres.
(Der el-bahri.)

Die geschuppten Bewohner des Rothen Meeres sind ihm sicher über 3000 Jahre lang treu geblieben, und die Gelehrten Hatschepsu’s haben sie so genau beobachtet, daß sie z. B. bei einer Scholle, deren Augen in der That verschiedene Größe zeigen, diesen auffallenden Umstand bemerkt und in ihrer Zeichnung wiedergegeben haben. – Sie sind auch bestrebt gewesen, neue Pflanzen in das Nilthal einzuführen, und so sehen wir sie grünende Nehabäume in großen Kübeln auf die Schiffe schleppen; später haben es auch die Botaniker Thutmosis’ III. nicht versäumt, Abbildungen von einigen der ihnen bekannten Blumen zu geben.

Daß dies merkwürdige Bauwerk ein Königsgrab, an welches sich ein Erinnerungsmal schloß, werden sollte, unterliegt keinem Zweifel. Ob aber Hatschepsu und Thutmosis II. hier in der That bestattet worden sind, wissen wir nicht. Jedenfalls haben sich weder von ihnen noch von ihrem Stiefbruder Thutmosis III. anderwärts Grüfte gefunden. Dem Letzteren scheint es durchaus nicht genehm gewesen zu sein, den eigenen Ruhm mit dem seiner Schwester vermischt zu sehen, und er ließ sich gewiß darum ein besonderes Memnonium errichten, welches gegenwärtig einen Theil des Erinnerungsmales von Medinet Habu bildet.

Welchen Zwecken eine Säulenhalle gedient hat, die sich an die Nordseite der Terrassen der [797] Hatschepsu schließt, wagen wir nicht zu bestimmen; dagegen haben Mariette’s und frühere Untersuchungen ergeben, daß man von der zweiundzwanzigsten Herrscherreihe an nicht nur den erwähnten Nordbau, sondern jeden Theil des Tempels, welcher einigen Raum bot, und so auch die oberhalb der Terrassen gelegenen Felsenkammern und die hohlen Räume unter den Unterbauten benutzt hat, um sie im eigentlichen Sinne des Wortes mit Mumien vollzustopfen.

Bis in die römische Kaiserzeit hat man dies Memnonium zur Unterbringung und vielleicht zum Versteck von balsamirten Leichen benutzt, und wenn wir nun hören, daß die große Felsenhöhle, in welcher vierzig Mumien von verstorbenen Mitgliedern des Pharaonenhauses gefunden worden sind, am oberen Theile des Felsenamphitheaters gelegen war, das den Terrassenbau Hatschepsu’s stolz überragte, so wirft sich die Frage auf, welche Gründe die Thebaner veranlaßt haben können, ihre Todten gerade hierher in Sicherheit zu bringen. Indem wir der Aufklärung dieses räthselhaften Umstandes näher treten, machen wir den Leser darauf aufmerksam, daß die jüngsten der vierzig neu entdeckten Leichen fürstlicher Pharaonen zur Zeit derselben Dynastie gelebt haben, in der Der el-bahri anfing, eine Ablagerungsstätte für die Mumien nicht nur geringer, sondern auch sehr vornehmer Bürger von Theben zu werden, und laden ihn weiter ein, davon abzusehen, die Nekropole der Amonsstadt mit unseren Friedhöfen zu vergleichen.

Herstellung der Mumien. (Sargfabrik in der Todtenstadt).

Statt der wohlthuenden Stille, welche auf diesen herrscht und ihre Besucher zu freundlichen Rückerinnerungen und zu stiller Sammlung ladet, herrschte in der Todtenstadt zwar mehr Ruhe als in der Wohnstadt Theben, es muß aber dennoch lebendig genug in derselben hergegangen sein; denn da gab es Balsamirungshäuser, wo allerlei Ceremonien, die wir bis ins Einzelne kennen, an den zu mumifirenden Körpern vorzunehmen waren, da wohnte die zahlreiche zu den Memnonien gehörende Priester- und Schülerschaft, da hausten in einem besonderen Viertel die Kvachyten oder Leichenbesorger, die eine wirkliche Kaste bildeten und deren trauriges Geschäft von dem Vater auf den Sohn überging, während Kasten im indischen Sinne den Aegyptern sonst unbekannt waren. Da wohnten die Klageweiber und Sargfabrikanten, da gab es Verfertiger von Amuletten, mit denen die Mumien ausgestattet werden mußten, und große Webereien, in denen die Binden hergestellt wurden, von denen man viele hundert Ellen gebrauchte, um eine einzige Leiche zu umwickeln. Da schlug der Hammer der Bildhauer und Steinmetzen auf den Block, aus dem es Statuen der Verstorbenen sowie Grabsteine herzustellen galt. Die letzteren wurden mit bescheidenen Darstellungen und Inschriften bedeckt und wie die Bildsäulen und Opferlisten in den Grüften aufgestellt.

Bei der großen Menge von Blumen und Kränzen, mit denen die Särge und Grüfte auszuschmücken waren, muß es viele Gärtnereien in der Nekropole gegeben haben, und neben manchem alten pyramidenförmigen Grabe in dem heute el-Assassif genannten Theile der Nekropole, der sich dicht an das Gebiet des Terrassentempels von Der el-bahri schließt, wurden, wie auch ein Bild, welches dem unteren Viertel einer zu Bulaq konservirten Stele (Grabsäule) entnommen ist, lehrt – wir zeigen es hier unseren Lesern – Gärtchen gehalten und sorgsam gepflegt.

Gärtchen bei einem Grabe in dem heute el-Assassif genannten Theile der Nekropole von Theben.
Vom unteren Theile einer Stele im Museum zu Bulaq.

Zahlreiche Fleischer, Bäcker, Bierbrauer und Weinhändler waren nöthig, um die große Menge von Opferthieren oder Fleischstücken, Braten und Kuchen, Bier und Wein zur Verfügung zu halten, welche Sitte und Glauben den Manen des Verstorbenen darzubringen geboten.

Auf den heiligen Seen neben den bedeutendsten Memnonien, von denen der größte im Süden der Todtenstadt fluthete, wurden nächtlicher Weile im Zusammenhang mit gewissen Festen mysteriöse Spiele in dramatischer Form zur Darstellung gebracht, und man hatte in der Ptolemäerzeit – wahrscheinlich weil es damals auf dem schmalen von Straßen und Plätzen überfüllten östlichen Nilufer an Platz gebrach – da, wo sich die äußerste Mittagsgrenze der Nekropole an das benachbarte Hermonthis schloß, einen großen Hippodrom angelegt, in dem noch unter den römischen Kaisern Wettfahrten abgehalten wurden.

Zu jeder Tageszeit kamen Leichenzüge über den Nil und zogen, je nach der geselligen Stellung des zu Bestattenden, in größerer oder geringerer Länge und Pracht dem Sargberge entgegen, wo sie bei der Menge der Ceremonien, welche mit der Mumie vorzunehmen waren, oft bis zum Einbruch der Nacht zu verweilen hatten.

Die Häfen der Nekropole müssen stets voll von Schiffen gewesen sein; denn keine Brücke verband beide Ufer von Theben und, wie wir wissen, gebot die Pietät, die Grüfte lieber Verstorbener zu besuchen.

Oft kamen Angehörige der hier Bestatteten aus weiter Ferne, um an ihrer Ruhestätte zu beten und auf ihren Opfertisch fromme Gaben niederzulegen. – An gewissen Tagen des Jahres füllte sich, wie namentlich die Inschriften in der östlichen Säulenhalle des Tempels von Qurna lehren, die Nekropole mit Abgesandten aus allen Gauen und Haupttempeln des Landes, um den Memnonien besonders heilig gehaltener Pharaonen Geschenke zuzuführen und den Ka vergöttlichter Herrscher durch Opfer und Gebet günstig zu stimmen. Diesen priesterlichen Gesandtschaften schlossen sich auch viele Laien an, und für diejenigen, denen der Tag zu kurz gewesen war, um das Geschäft, welches sie in die Nekropole geführt hatte, zu beenden, gab es Herbergen, an die sich Wein- und Bierhäuser schlossen, denen nicht nur von Arbeitern, Gräberbesuchern, Schiffsführern und Matrosen, die auf die heimkehrenden Leidtragenden Stunden lang warten mußten, sondern auch von Soldaten, Schülern und Priestern fleißig zugesprochen wurde.

Wie viele Arbeiter nöthig waren, um neue Grüfte in den Stein zu meißeln und in Stand zu halten, läßt sich leicht denken; die Maurer und Schmiede unter ihnen werden in Papyrusakten besonders erwähnt, und ebenso die Aufseher und Kontrolleure, welche sie und die zahllosen Gräber diesseit und jenseit des Sargberges zu überwachen hatten.

Je menschenreicher das Memnonienviertel und je kostbarer die Ausstattung war, welche viele Tempel und Grüfte auf diesem Riesenfriedhofe empfangen hatten, und an je entlegeneren Stellen endlich manche Königs- und Königinnengräber gelegen waren, desto eifriger mußte für eine gute Bewachung der Todtenstadt gesorgt werden, und so war denn auch ein Gendarmeriekorps, welches von einem hochgestellten Befehlshaber kommandirt ward, die sogenannten Mazain, in der Nekropole stationirt.

(Fortsetzung folgt.)

[798]

Der neue Direktor der Münchener Akademie.

Fritz August von Kaulbach, Sohn des Portraitmalers Friedrich Kaulbach in Hannover und Großneffe des berühmten Wilhelm von Kaulbach, wurde vor Kurzem durch die Gunst des Prinzregenten Luitpold von Bayern zum Direktor der Münchener Akademie der bildenden Künste ernannt. Derselbe wird gewiß wie sein ausgezeichneter Vorgänger Piloty mit jenem Wohlwollen, das einem jeden feingebildeten Künstler und einem jeden guten Lehrer eigen ist, bei den Schülern der Akademie nicht bloß auf die freie, selbständige Entwickelung ihrer Eigenart, sondern auch auf jene Zucht und genaue Ausbildung des Form- und Farbensinnes sehen, welche ihn selbst auszeichnet.

Man merkt es den mit kühler Ruhe vorgebrachten Urtheilen dieses Künstlers über Werke neuer und alter Meister an, wie klar er über die Ziele seiner Kunst denkt, wie fein erzogen sein Geschmack ist, wie richtig er die ästhetischen Verpflichtungen des Malers auffaßt. Das sind Eigenschaften, welche er in seinem neuen Amte vortrefflich verwerthen kann.

Achtzehn Jahre alt trat Fritz August Kaulbach 1868 in die von Kreling geleitete Nürnberger Kunstschule und malte unter Prof. C. Raupp, dessen liebliche Chiemsee-Jdyllen so vortheilhaft bekannt sind, meist Bildnisse. Nach München gekommen, trat er nicht in die Akademie ein, deren Lenker er jetzt geworden, sondern entwickelte seine Maltechnik nach den besten Mustern alter und neuer Zeit und erwarb sich, gefördert auch durch wiederholte Studien in Paris, bald den Ruf eines gewandten Malers von Frauenportraits sowie von Figurenbildern. Es beweist Einsicht, wenn ein Künstler, dessen Phantasie nicht beweglich und erfinderisch genug ist, sich auf die Behandlung des dankbarsten Malvorwurfs verlegt, welchen es giebt: der schönen Frau. Ist doch die weibliche Schönheit des Sieges im Leben, im Lieben und in der Kunst immer sicher. Fritz August Kaulbach hat sich auf dieses dankbare Darstellungsgebiet beschränkt und schuf eine Reihe von weiblichen Kostümfiguren und von Frauenbildnissen, welche durch Korrektheit und edle Harmonie der Linien sowie durch ihren gefälligen und eleganten Farbenvortrag den Kunstfreund gefangen nehmen. Die Frauengestalten Fritz August Kaulbach’s würden noch günstiger wirken, wenn in ihren holden Köpfen auch immer der Ausdruck einer edlen, weichen, liebenswürdigen Innerlichkeit läge. Meist blicken jedoch die schönen Edel- und Burgfräulein Fritz August Kaulbach’s etwas kalt, ablehnend, brunhildenhaft vor sich hin und scheinen sich damit zu begnügen, Trägerinnen prächtiger Kleider zu sein. Es ist übrigens ein Vorzug mancher Frauenbilder Fritz August Kaulbach’s, daß er sie in ernstes Sinnen oder in Andacht versunken darstellt, daß sie sich nicht in eine kokette Beziehung zum Beschauer setzen und sich nicht lächelnd um die Gunst desselben bewerben. Wenn dieser Künstler seine anmuthigen Mädchen in einen Wald stellt und sie Blumen pflücken läßt, bringt er einen genreartigen Zug in seine Gemälde; er nennt dann Bilder, welche solche Blumenfreundinnen vorführen, entweder: „Der Mai ist gekommen!“ oder die „Waldeinsamkeit“; in beiden ist der Durchführung desselben schlichten Motivs ein feiner poetischer Duft nicht abzusprechen.

Stellt ein Maler weiches menschliches Empfinden im Bilde dar, so kann er des Mit- und Nachempfindens des Dargestellten, also einer günstigen Wirkung beim Beschauer sicher sein. Das Glück einer jungen Mutter, welche ihr Kind bei Sonnenschein und Blüthenduft zärtlich an sich schmiegt, hat Fritz August Kaulbach zweimal in wenig veränderter Weise verbildlicht. Die Gemälde „Herzblättchen“ und „Im Sonnenschein“ gehören auch zu den gelungensten Werken des Künstlers. Ein allerliebstes Familienidyll ist außerdem Fritz August Kaulbach’s Gemälde „Beim Förster“, welches die Annäherung von zahmen Rehen an die hübschen Kinder einer glücklichen Mutter in einnehmender Weise vor Augen stellt.

Alle Bilder jedoch, in welchen das Glück des Familienlebens von unserem Künstler dargestellt wurde, übertrifft das prächtige Gemälde „Ein Sommertag“, wo Jugendlust, Blumenreiz, Sonnenschein und Elternglück mit der anmuthigsten Beredsamkeit des Pinsels versinnlicht werden.

In einer Reihe von Gemälden stellte Fritz August Kaulbach Liebespaare in dem Augenblicke dar, in welchem sie sich das süße Geheimniß ihres Herzens offenbaren. Besonders reizend charakterisirt dieser Maler in dem Bilde: „Im Boudoir“ die Verlegenheit eines Jünglings, welcher gern der Herzgeliebten seine Neigung erklären möchte, wenn ihn nicht soeben Muth und Beredsamkeit ganz und gar verlassen hätten. Die reizende Urheberin dieser Verlegenheit blickt ihn jedoch mit ihren dunklen Gluthaugen so fest und ermuthigend an, daß man das Beste von der nächsten Viertelstunde hoffen darf. Die Ruhe des schönen Fräuleins und die Blödigkeit des Jünglings bilden einen köstlichen Kontrast. Auf einem anderen Bilde Fritz August Kaulbach’s ist sie verlegen und er muthig im Bekennen seiner Gefühle.

Fein und beredt im Jndividualisiren ist das 1873 gemalte Bild: „Kavalier und Zofe“. Hier versteht der „Kavalier“ dreist und zielbewußt seine Herzenssache zu vertreten, während die Zofe, ein liebliches Mädchen, die Betheuerungen desselben mit anmuthiger Befangenheit vernimmt. Die Farbenkontraste wirken auf diesem Bilde eben so reizvoll wie die Gegensätze im Ausdruck der beiden Liebenden. Ein viertes Liebespaar wird von Fritz August Kaulbach in tiefster Waldeinsamkeit vorgeführt.

Ein eigenartiger Zug der Begabung Fritz August Kaulbach’s ist dessen Ausgestaltung satirischer und heiterer Einfälle. Die populäre „Schützenliesel“ ist ein Beweis dafür, eben so die kürzlich erst geschaffene allegorische Darstellung des unverdienten Glücks beim Kegelspiel: ein lächelndes Mädchen lenkt da ein Borstenthier, welches ungestüm alle neun Kegel vom Plane niederfegt. Gleichsam eine Sühne für solche allzu weltliche Vorwürfe bietet das Bild der heiligen Cäcilia, welches in der Berliner Jubiläumsausstellung die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat.

Der Stoffkreis, welchen Fritz August Kaulbach beherrscht, ist, wie man sieht, zwar ein enggezogener; allein fast in Allem, was dieser Maler schafft, gewinnt die stilvolle Form- und Farbengebung unsere Theilnahme. Dieser Umstand bürgt auch dafür, daß der neue Leiter der Münchener Akademie den Auswüchsen der sich in Frankreich immer ungeberdiger gestaltenden sogenannten Pleinair-Malerei, welche dem Formrohen, Gemeinen, Häßlichen und Saloppen die Kunstfähigkeit zuspricht, überall dort kräftig entgegentreten werde, wo jungen deutschen Künstlern die Ansteckungsgefahr droht.

Man sieht dem Einflusse, welchen Fritz August von Kaulbach auf die Zustände der Münchener Akademie der bildenden Künste ausüben wird, mit begreiflicher Spannung entgegen. Möge die Lehr- und Direktionsthätigkeit dieses Malers derselbe Erfolg begleiten, welcher bisher seinem künstlerischen Schaffen treu geblieben ist! Dr. Adalbert Svoboda. 


Sankt Michael.

Roman von E. Werner.
(Fortsetzung.)

Die Anzeichen, die dem geübten Auge schon den ganzen Abend hindurch sichtbar gewesen waren, hatten nicht getäuscht. Gegen Mitternacht brach der Sturm in der That los, mit einer Heftigkeit und Wildheit, die selbst in diesen Bergen zu den Seltenheiten gehört. Das kleine Alpendorf war hinreichend vertraut mit den Herbst- und Frühlingsstürmen, und die Bewohner schliefen meist ruhig und sorglos, wenn es über die niedrigen, steinbeschwerten Häuser hinbrauste und an Thüren und Fenstern rüttelte. Diesmal aber war das Heulen und Toben so arg, daß es sie aus ihrer Ruhe aufschreckte. Sie schlugen ein Kreuz und blieben wach für alle Fälle. Schien es doch, als sollte das ganze Sankt Michael vom Boden weggefegt werden.

Auch im Pfarrhause schimmerte Licht. Der Pfarrer hatte sich gleichfalls erhoben und stand völlig angekleidet am Fenster, als er Michael’s Schritt auf der Treppe hörte.

„Ich sah Licht in Ihrem Zimmer, deßhalb kam ich herunter,“ sagte dieser eintretend. „Der Sturm hat Sie auch aus dem Bette gejagt; ich dachte es mir.“

„Und Du bist wohl überhaupt gar nicht zu Bett gewesen?“ fragte Valentin. „Ich habe wenigstens fortwährend Deinen Schritt im Giebelzimmer gehört. Du scheinst stundenlang auf- und niedergegangen zu sein.“

„Ich konnte nicht schlafen und dachte wirklich nicht daran, daß ich Sie stören würde.“

„Nicht doch, ich schlief ohnehin unruhig, weil ich fortwährend an Gräfin Hertha und ihre Bergfahrt denken mußte. Gott sei Dank, daß der Sturm erst gegen Mitternacht ausbrach! Sie muß schon um elf Uhr im Schlosse gewesen sein.“

„Nehmen Sie das mit solcher Bestimmtheit an?“ fragte Michael hastig und gepreßt.

„Gewiß, die Niederfahrt ist selbst bei aller Vorsicht in drei Stunden zu machen: so lange war der Himmel noch ziemlich klar, und überdies haben wir Vollmond. Was ich fürchtete, war ein zu frühes Ausbrechen des Sturmes, der die Gräfin auf dem Wege hätte überfallen können. Wenn sie erst im Thal angelangt ist, giebt es überhaupt keine Gefahr mehr.“

Wenn sie angelangt ist – wer sich darüber Gewißheit verschaffen könnte!“ murmelte Michael. Er mußte dem Pfarrer Recht geben: aller Wahrscheinlichkeit nach war Hertha längst schon in Sicherheit. Aber die verzehrende Unruhe, die ihm den Schlaf geraubt und ihn rastlos umhergetrieben hatte, wollte nicht weichen, Es lag auf ihm wie eine unbestimmte Angst, wie die Ahnung irgend eines Unheils.

Er war gleichfalls an das Fenster getreten, und Beide blickten eine Weile schweigend hinaus in die Sturmnacht, die ein ungewisser [799] Dämmerschein erfüllte. Der Mond leuchtete selbst durch den Wolkenschleier hell genug, um auf einige Entfernung hin die Gegenstände zu unterscheiden; plötzlich tauchte die dunkle Gestalt eines Mannes auf, der vom Eingange des Dorfes zu kommen schien und, kraftvoll gegen den Sturm ankämpfend, gradewegs auf das Pfarrhaus zuschritt. Michael’s scharfes Auge entdeckte ihn zuerst; er machte den Pfarrer darauf aufmerksam, der verwundert den Kopf schüttelte.

„In solchem Wetter? Da kann es sich nur um einen Kranken handeln, der das Sakrament verlangt; aber ich weiß augenblicklich von keinem einzigen Krankheitsfall im Dorfe. Der Mann kommt wirklich hierher; da werde ich ihm wohl öffnen müssen.“

Er ging in der That hinaus, um selbst zu öffnen, und gleich darauf hörte man draußen Wolfram’s Stimme.

„Ich bin’s, Hochwürden! Ich komm’ wie ein Gespenst um Mitternacht, aber es hilft nichts. Wenn Sie nicht wach gewesen wären, so hätte ich Sie herauspochen müssen.“

„Was giebt es denn? Was bringt Ihr?“ fragte Valentin besorgt, indem er mit dem späten Gast wieder in das Zimmer trat.

„Nichts Gutes, Hochwürden! Lassen Sie mich nur erst zu Athem kommen – der verwünschte Sturm – er hat mich fast umgerissen auf dem Wege! Ich komm’ wegen der jungen Gräfin –“

„Gräfin Steinrück? Wo ist sie?“ fiel Michael ihm heftig in das Wort.

„Ja, das weiß der Himmel! In das Pfarrhaus ist sie doch nicht zurückgekommen?“

„Um Gotteswillen, nein!“ rief Valentin erschrocken. -„Die Gräfin wollte ja nach dem Schlosse.“

„Ja, aber sie hat umkehren müssen. Dies verdammte Pferd scheute vor einem Wildwasser! Ich möchte der Kreatur, die das ganze Unglück angerichtet hat, den Hals dafür umdrehen. Und der Kutscher, anstatt die Zügel festzuhalten, fliegt vom Bock; nun liegt er da, mit einem zolltiefen Loch im Kopfe. Der Diener hat ihn mit Mühe und Noth zum Wirthshaus geschleppt, und die junge Gräfin ist verloren gegangen auf dem Rückwege. Kein Mensch weiß, wo sie ist – und das gerade in dieser Nacht, wo alle Teufel los sind!“

Er hielt inne, um Athem zu schöpfen; Michael war leichenblaß geworden. So unklar und verworren der Bericht auch klang: er sah doch, daß seine Unheilsahnung ihn nicht getäuscht hatte.

„Ist die Gräfin unverletzt geblieben? Wo hat der Unfall stattgefunden? Zu welcher Stunde? So antworten Sie doch!“

Er stürmte mit all diesen Fragen so leidenschaftlich auf den Förster ein, daß Valentin ihn trotz seiner Angst befremdet anblickte. Wolfram bemühte sich augenscheinlich, mehr im Zusammenhange zu erzählen, und es gelang ihm auch einigermaßen, aber sein Bericht lautete darum nicht tröstlicher.

„Zu Anfang ist es ganz gut gegangen,“ berichtete er. „Die Straße war im Mondlicht hell wie am Tage und sie kamen ziemlich schnell vorwärts. Da scheut die Bestie, das Pferd, vor einem Wildbach, der inzwischen losgebrochen ist und vom Felsen tobt; es setzt in blinder Angst seitwärts hinein in das Steingeröll, kommt dabei zu Fall und reißt im Sturze den ganzen Wagen mit sich.“

„Und die Gräfin ist wirklich nicht verletzt worden?“ Die Frage klang ebenso stürmisch wie die vorhergehenden.

„Nein, sie stand gleich wieder auf den Füßen, aber der Kutscher lag da und blutete und am Wagen war ein Rad gebrochen. Die Diener haben natürlich den Kopf verloren; solches Volk macht ja nur Dummheiten, wenn es einmal anders hergeht, als in seinem Schlosse. Die junge Gräfin scheint die einzig Vernünftige gewesen zu sein, und sie brachte mit ihren Befehlen denn auch Ordnung in die Geschichte. Mit dem zerbrochenen Wagen konnten sie nicht weiter; also blieb nichts übrig, als umzukehren. Der Kutscher, der nicht von der Stelle konnte, wurde in die Wagenkissen gesetzt und der eine Diener blieb bei ihm, während die Gräfin mit dem anderen sich auf den Rückweg nach Sankt Michael machte und versprach, sofort Hilfe zu schicken – seitdem hat man nichts wieder von ihr gesehen und gehört.“

„Um welche Stunde ist das gewesen?“ unterbrach ihn Michael.

„So etwa gegen neun Uhr.“

„Dann hätte sie um zehn Uhr hier sein müssen – und jetzt ist es eine Stunde nach Mitternacht!“

Er stieß die Worte mit einer solchen Todesangst hervor, daß der Pfarrer ihm wieder jenen halb fragenden, halb bestürzten Blick zusandte. Aber Michael hatte jetzt nur Augen und Ohren für den Bericht des Försters und drängte in bebender Ungeduld:

„Weiter, weiter!“

„Ja, weiter ist nicht viel zu sagen,“ erklärte Wolfram. „Die Beiden auf der Straße warteten zwei Stunden lang; als aber die Hilfe noch immer nicht kam und das Wetter immer drohender wurde, waren sie gescheit genug, auf eigene Hand aufzubrechen. Der Kutscher, der wieder etwas zu sich gekommen war, wurde auf das Pferd gesetzt, das der Andere am Zügel führte, und so langten sie denn endlich beim Rainwirth an, kamen aber nicht weiter, weil der Sturm gerade ausbrach; sie glaubten jedoch steif und fest, die Gräfin sei schon längst im Pfarrhause. Nun kam es freilich heraus, daß sie gar nicht ins Dorf zurückgekehrt war; sie hätte ja beim Wirthshaus vorbei gemußt, aber Niemand hat sie zurückkehren sehen. Der Diener jammert um seine junge Herrschaft und lamentirt wie ein altes Weib; aber er war nicht dazu zu bringen, in dem Sturm auch nur bis zum Pfarrhause zu gehen. Da hab’ ich es übernommen, denn wissen müssen Sie die Geschichte doch, Hochwürden. Was machen wir nun?“

„Da ist ein Unglück geschehen!“ rief der Pfarrer, der mit steigender Angst zugehört hatte. „Ich ahnte es ja, als diese unselige Bergfahrt angetreten wurde. Sie sind unterwegs irgendwo abgestürzt.“

„Ich glaube eher, daß sie sich verirrt haben,“ sagte Michael; aber seine Stimme bebte, trotz seines Bemühens, sich zu beherrschen. „Die beiden Zurückkehrenden haben keine einzige Spur der Vermißten gefunden?“

„Nein, nicht die-geringste,“ versetzte Wolfram mit Bestimmtheit.

„Dann ist auch kein Absturz erfolgt. Zwei Menschen mit zwei Pferden können auf der verhältnißmäßig sicheren Fahrstraße nicht so spurlos verschwinden – sie haben den Weg verfehlt.“

„Aber er ist ja gar nicht zu verfehlen,“ wandte der Pfarrer ein.

„Doch, Hochwürden, beim Almenbach, wo es aufwärts nach der Bergkapelle geht. Die Wege gleichen sich nur zu sehr; das Mondlicht täuscht, und wenn die Gräfin den Irrthum nicht rechtzeitig bemerkt hat, dann ist sie – in die Klüfte der Adlerwand gerathen!“

„Gott steh’ uns bei!“ rief der Pfarrer. „Das wäre ja fast so schlimm wie der Absturz!“

Michael biß die Zähne zusammen; er wußte, daß es keine Uebertreibung war; er kannte die Klüfte und Abgründe der Adlerwand noch von seiner Knabenzeit her.

„Es ist die einzig denkbare Möglichkeit,“ entgegnete er. „Jedenfalls ist keine Minute mehr zu verlieren; es sind schon Stunden darüber hingegangen. Wir müssen sofort hinaus!“

„Jetzt? In dieser Nacht?“ fragte Wolfram, den Hauptmann anstarrend, als glaube er, dieser sei nicht recht bei Sinnen, und der Pfarrer rief erschrocken:

„Michael, was fällt Dir ein? Du willst doch nicht etwa –?“

„Die Gräfin suchen! Gewiß, das ist doch selbstverständlich. Soll ich vielleicht ruhig hier im Hause bleiben, während sie draußen all den Schrecken der Sturmnacht preisgegeben ist?“

„Du sollst nur warten und nicht versuchen, das Unmögliche zu erzwingen; denn für den Augenblick ist das unmöglich. Du kennst ja unsere Berge und mußt es wissen, daß nichts zu unternehmen ist, so lange der Sturm mit solcher Wuth tobt. Sobald er nachläßt, sobald der Morgen graut, werden wir aufbieten, was Menschenkräfte nur vermögen. Jetzt hinauszugehen wäre mehr als Tollkühnheit, das wäre offenbarer Wahnsinn.“

„Wahnsinn oder nicht! Es muß versucht werden!“ brach Michael aus. „Glauben Sie, daß ich mein Leben achte, wenn es das ihrige gilt? Und müßte ich ihr folgen bis auf die Gipfel der Adlerwand und drohte dort zehnfacher Tod – ich entreiße sie der Gefahr oder gehe mit ihr unter!“

Valentin faltete entsetzt die Hände. Der jähe, verzweiflungsvolle Ausbruch verrieth ihm das lang behütete Geheimniß, das er freilich in den letzten Minuten geahnt hatte, und leise sagte er:

„Steht es so? Allmächtiger Gott!“

Michael achtete nicht darauf, er hatte sich wieder zu Wolfram gewandt und sagte hastig:

„Ich brauche Gefährten; wir müssen in verschiedenen Richtungen suchen – werden Sie mich begleiten?“

[800] „Ich?“ rief der Förster zurückweichend. „Jetzt, wo alle Höllengeister los sind da draußen in den Bergen? So hat die wilde Jagd ja nie getobt in all den Jahren, wo ich auf der Bergförsterei war!“

„Verwünschter Aberglaube!“ murmelte Rodenberg, mit dem Fuße stampfend. „So schaffen Sie mir den Rainwirth her; der ist ein tüchtiger Bergsteiger und ein unerschrockener Mann.“

„Mag sein, aber hinausgeht er doch nicht bei solchem Wetter. Er hat es schon vorhin verschworen, als die Red’ davon war, und gesagt, wenn man ihm eine Tonne Goldes bieten wollte, er thät’ es doch nicht probiren, er müßt’ an Weib und Kinder denken.“

„Wohl, so gehe ich allein!“ sagte Michael entschlossen. „Schickt mir Hilfe nach, sobald der Morgen graut. Der Rainwirth mit seinen Leuten soll den Weg nach der Bergkapelle einschlagen, den ich nehme, und ihn nöthigenfalls bis an die Adlerwand verfolgen. Wolfram, Sie durchforschen mit den Anderen die Waldungen der Bergförsterei, Ihr ehemaliges Revier; Hochwürden, lassen Sie die ganze Fahrstraße noch einmal absuchen, bis zu der Stätte des Unfalls, vielleicht findet sich doch noch eine Spur – bieten Sie das ganze Dorf auf! Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren.“

Er hatte trotz seiner furchtbaren Erregung in jenem energischen, befehlenden Tone gesprochen, in dem er mit seinen Untergebenen zu verkehren pflegte, und jetzt stürmte er hinaus. Der Förster blickte ihm ganz verdutzt nach, aber der Ton imponirte ihm augenscheinlich.

„Das Kommandiren hat er gelernt. Das sieht man!“ sagte er halblaut. „Er thut ja, als ob das ganze Dorf zu seiner Kompagnie gehörte und Ordre pariren müßte. Merkwürdig! Genau so hat mein gnädiger Herr Graf es gemacht. Der Michel hat wahrhaftig denselben Ton und Blick, als ob er es ihm abgelernt hätte oder als ob es sein Sohn wäre. Hochwürden, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu, das ist Hexerei.“

Der Pfarrer antwortete nicht, er war wie betäubt. Hertha’s Gefahr, Michael’s tollkühner Entschluß, ihr zu folgen, die Entdeckung, welche er soeben hinsichtlich der Beiden gemacht hatte: das Alles stürmte mit vollster Heftigkeit auf den Greis ein, der an leidenschaftliche Erregungen nicht mehr gewöhnt und ihnen auch nicht mehr gewachsen war; er fühlte etwas wie Schwindel.

Schon nach wenig Minuten kam Michael zurück, vollständig ausgerüstet für den nächtlichen Gang, im Lodenmantel, mit dem Bergstock und bot seinem alten Lehrer die Hand.

„Leben Sie wohl, Hochwürden, und wenn wir uns nicht wiedersehen sollten – behüt’ Gott!“

Valentin faßte krampfhaft seinen Arm; die Angst, seinen Liebling zu verlieren, überwog bei ihm den Gedanken an Hertha’s Gefahr.

„Michael, so nimm doch Vernunft an. Höre nur, wie es da draußen tobt! Du kommst nicht hundert Schritt weit vorwärts. Warte wenigstens noch eine halbe Stunde!“

Rodenberg machte sich mit einer ungeduldigen Bewegung los.

„Nein, hier kann jede Minute verhängnißvoll werden – leben Sie wohl!“

Er schritt nach der Thür; dort stand Wolfram regungslos, aber es arbeitete seltsam in seinen harten Zügen, und jetzt fragte er zögernd:

„Herr Hauptmann, Sie wollen also wirklich hinaus und noch dazu ganz allein?“

„Ja, da doch Keiner den Muth hat, mit mir zu gehen!“ sagte Michael herb.

„Oho! Feiglinge sind wir auch nicht!“ rief der Förster beleidigt. „Ein Christenmensch, der wie der Rainwirth Weib und Kinder hat, kann es freilich nicht probiren. Ich hab’ nichts dergleichen, und wenn es durchaus nicht anders geht, meinetwegen – ich geh’ mit!“

Valentin athmete auf bei den Worten; ihm war es schon eine Beruhigung, daß Michael nicht allein ging; dieser aber sagte nur kurz:

„So kommen Sie! Zwei sind immerhin besser als Einer.“

„Es kommt drauf an,“ meinte Wolfram trocken. „Vielleicht denkt die wilde Jagd das auch und holt uns alle Beide.“

„Behüt’ Gott, Hochwürden, es kann nicht schaden, wenn Sie indeß recht kräftig beten für uns. Sie sind ein HeiligerMann, und wenn Sie ein gutes Wort einlegen bei Sankt Michael, hat er vielleicht ein Einsehen und bannt den Teufelsspuk da draußen; es thäte noth!“

Michael war bereits in der Thür, er winkte dem Pfarrer noch einen Abschiedsgruß zu; Wolfram folgte ihm, und nach wenigen Minuten waren Beide draußen verschwunden.

*               *
*

Die Adlerwand hatte in der That einen jener Frühlingsstürme herabgesandt, die mit Recht in der ganzen Umgegend gefürchtet waren. Wer abergläubisch war, wie der Förster, konnte immerhin meinen, es sei eine ganze Schar von Höllengeistern losgelassen, die nun verderbenbringend über die Erde hinrase. Es tobte durch die Lüfte, brauste in den Wäldern, und der Mond, halb verschleiert durch das Sturmgewölk, hüllte Erde und Himmel in ein fahles, gespenstiges Dämmerlicht, das noch unheimlicher war als selbst die Dunkelheit. Wolfram schlug verschiedene Male ein Kreuz, wenn das Toben gar zu arg wurde; aber er kämpfte sich trotzdem tapfer vorwärts durch das Unwetter; es gehörte freilich seine kraftvolle, mit der Bergwelt und ihren Schrecken vertraute Natur dazu, um hier überhaupt vorwärts zu kommen.

Den Weg bis zur Bergkapelle hatten die beiden Männer gemeinsam gemacht, ohne irgend eine Spur aufzufinden, und sich dann getrennt.

Michael war trotz alles Abmahnens weiter vorwärts gedrungen, nach der Adlerwand hin, deren Gebiet hier begann, während Wolfram die Richtung seitwärts nahm, in die Waldungen der Bergförsterei, die er als sein ehemaliges Revier genau kannte. Es war verabredet worden, daß, wer zuerst auf die Vermißten stieß, mit ihnen nach der Bergkapelle zurückkehren solle, um dort den Anbruch des Tages abzuwarten. In jedem Falle aber wollten die beiden Männer beim Morgengrauen dort zusammentreffen, um, wenn ihr Suchen erfolglos gewesen war, die Hilfsmannschaften aus Sankt Michael abzuwarten und dann bei Tageslicht die Nachforschungen fortzusetzen. So hatte es Hauptmann Rodenberg angeordnet.

„Wenn er überhaupt zurückkommt!“ brummte Wolfram, der eben mitten im Walde Halt machte, um auf einige Minuten zu rasten. „Es ist ja die bare Tollheit, in solcher Nacht in die Klüfte der Adlerwand zu gehen; aber er geht doch hinauf, wenn er die Gräfin unten nicht findet, darauf verwette ich meinen Kopf! Dreinreden läßt er sich ja nicht, im Gegentheil, er befiehlt, als wäre er mein Herr und Meister. Wenn ich nur wüßte, warum ich mir das eigentlich gefallen lasse und warum ich überhaupt mit ihm gegangen bin! Hochwürden hat Recht: es ist heller Wahnsinn, in solcher Höllennacht in den Bergen herumzusteigen, wo kein Ruf gehört wird, kein Zeichen möglich ist. Wir wissen ja nicht einmal die Richtung; aber das kümmert den Michel alles nicht! Und den habe ich für feig gehalten! Freilich, er wollte ja schon als Bube mitten in die wilde Jagd hinein, um sich den Spuk einmal in der Nähe anzuschauen; nur vor den Menschen lief er davon. Jetzt scheint er nicht mehr vor ihnen davon zu laufen, aber kommandiren thut er sie, daß es nur so eine Art hat. Man parirt auch, es geht eben nicht anders – grade wie bei meinem gnädigen Herrn Grafen!“

Er stieß einen Seufzer aus und wollte seinen Weg fortsetzen. Der Sturm machte grade eine Pause, und der Förster stieß wieder einen lauten, lang gezogenen Ruf aus, wie er das schon unzählige Male umsonst gethan hatte. Diesmal aber stutzte er und horchte auf, denn etwas wie der Laut einer menschlichen Stimme ließ sich vernehmen. Wolfram rief noch einmal mit aller Kraft seiner Lunge, und jetzt kam auch deutlich die Antwort zurück; in nicht allzuweiter Entfernung klang es in kläglichem Tone: „Hier! Hierher!“

„Endlich!“ rief der Förster, indem er sich schleunigst nach jener Richtung wandte. „Die Gräfin ist’s nicht, das hör’ ich an der Stimme, aber wo der Eine ist, wird auch wohl die Andere sein, also vorwärts.“

Er drang, von Neuem rufend, weiter vor. Die Antwort klang jetzt schon näher, und nach etwa zehn Minuten stieß er denn auch in der That auf den Begleiter Hertha’s, der kaum an seiner Seite war, als er sich auch an ihn anklammerte, wie der Ertrinkende an die rettende Planke.

[801]

Aus der Biedermayerzeit. 1820. 0 Von R. Beyschlag.
Nach einem Lichtdruck im Verlag von F. A. Ackermann in München.

[802] „Nun, reißt mich nur nicht um!“ brummte Wolfram. „Habt Ihr denn mein Rufen nicht früher gehört? Seit zwei Stunden schreien wir nach allen Windrichtungen hin. Wo ist die Gräfin?“

„Ich weiß es nicht – ich habe sie verloren – wohl schon seit einer Stunde.“

Der Förster machte unsanft seinen Arm frei, den Jener noch immer umklammert hielt.

„Was? Verloren? Da schlag’ doch der Donner drein! Ich denk’, endlich die Gräfin zu haben, und nun hab’ ich nur den Bedienten! Unglücksmensch, warum habt Ihr Eure junge Herrin im Stich gelassen? Warum seid Ihr nicht bei ihr geblieben, wie es doch Eure verfluchte Schuldigkeit war?“

„Es war nicht meine Schuld,“ jammerte der Diener. „Der Nebel – der Sturm – und die Pferde sind auch davon!“

„Hier handelt es sich um die Menschen und nicht um die Pferde!“ fuhr ihn Wolfram mit seiner ganzen Derbheit an. „Ich kann überhaupt aus Eurem Gejammer nicht klug werden. Erzählt doch ordentlich, der Reihe nach!“ (Fortsetzung folgt.) 


Hingerichtete und bestrafte Thiere.

In der alten Zeit, die man auch die gute nennt, begnügte man sich nicht, die Menschen wegen mehr oder minder schwerer Verbrechen zum Theil auf die grausamste Weise, oft nach Vornahme unerhörter Martern vom Leben zum Tode zu befördern, sondern man verfuhr auch so mit unzurechnungsfähigen Thieren, welchen manchmal in ganz regelrechter Weise der Proceß gemacht wurde. Dies Verfahren steht im Zusammenhange mit den Anschauungen des Alterthums und den ältesten germanischen Gesetzen, welche dem Hausthiere gewisse menschliche Rechte einräumten.

Der älteste uns bekannte Fall der Bestrafung eines Thieres wird uns aus Paris gemeldet, woselbst 1266 ein Schwein, das ein Kind gefressen, verbrannt wurde. Ein anderer Fall hat sich zu Falaise in Frankreich im Jahre 1386 zugetragen: dort hatte ein Mutterschwein dem anderthalbjährigen Söhnchen des Tagelöhners Jacet das Gesicht und einen Arm weggefressen. Auf Befehl des Richters wurden dem verbrecherischen Schweine die entsprechenden Körpertheile durch den Henker, öffentlich, in Gegenwart des Richters, ebenfalls weggeschnitten und dasselbe dann aufgehenkt. Zuvor hatte man dem Thiere Hose, Weste und Handschuhe angezogen und am Kopfe eine Maske mit einem Menschenantlitze befestigt. Diese Exekution kostete der guten Stadt Falaise nach altem Gelde 10 Sols 10 Deniers Tournois[1], und der Henker erhielt für die Handschuhe, welche er dem Schweine geliefert, noch 10 Sols extra.

Solche Exekutionen waren in Frankreich keine Seltenheit. Auch in Deutschland kamen derartige Hinrichtungen vor, doch nicht so häufig. Zwei Schweine wurden 1456 in Oppenheim lebendig begraben, weil sie ein Kind gefressen hatten, und 1553 wurden zu Frankfurt Schweine durch den Züchtiger „hingerichtet“ und in den Main geworfen, weil sie sich des gleichen Verbrechens schuldig gemacht hatten. In Schweinfurt kam 1576 ein ähnlicher Fall vor: ein Schwein hatte einem Kinde ein Ohr ab- und die Hand angefressen, worauf es dem Scharfrichter übergeben wurde. Um der Stadt „Schand’ und Nachtheil“ zuzufügen, hing der muthwillige Henker dasselbe öffentlich auf. Ueber diese Profanirung des Galgens waren die Schweinfurter höchst entrüstet; der Henker mußte sich ob dieser Verhöhnung der Stadt aus dem Staube machen und ließ sich nicht mehr blicken; den Schweinfurtern aber wurde von liebenswürdigen Nachbarn der Spottname „Schweinfurter Sauhenker“ zu Theil.

Ein Seitenstück zu den „Schweinfurter Sauhenkern“ bilden die „Ansbacher Wolfshenker“. Im Jahre 1685 hatte ein Wolf in der Umgegend Ansbachs Weiber und Kinder zerrissen, das Vieh angefallen und hierdurch die ganze Gegend in Angst und Schrecken versetzt. Man sah in dem reißenden Thiere daher nicht einen gewöhnlichen Wolf, sondern glaubte, der jüngst verstorbene Bürgermeister und Kastner von Ansbach, der die Leute mannigfach bedrückt hatte und seinem eigenen Leichenbegängnisse aus einem Dachfenster seines Hauses zugesehen haben sollte, sei zur Strafe in einen Wolf verwandelt worden. Als man das Thier endlich erlegt hatte – es war aus Unvorsichtigkeit in einen Brunnen gesprungen – wurde es nach Ansbach gebracht, daselbst mit Kleidung, Bart, Perrücke und Larve versehen, ganz wie sie der Bürgermeister gehabt, und vor der Stadt auf dem Nürnberger Berg an den Schnellgalgen gehängt. In der Ansbacher Gegend war also damals offenbar die Sage vom Werwolfe noch lebendig.

Auch anderen Thieren erging es nicht besser als diesen Schweinen und dem Wolfe. Ein Pferd, das 1389 einen Menschen erschlagen, wurde zum Tode verurtheilt. Ein Ochse mußte 1405 für sein Verbrechen den Tod am Galgen erleiden; das gleiche Schicksal traf 1499 einen andern, der ein Mädchen von 14 bis 15 Jahren ums Leben gebracht hatte. Noch im Jahre 1621, als eine Frau zu Machern bei Leipzig von einer Kuh zu Tode gestoßen worden, wendete sich der Junker Friedrich von Lindenau an die juristische Fakultät zu Leipzig, welche aussprach, daß die Kuh als abscheulich Thier an einen abgelegenen öden Ort geführt, daselbst erschlagen oder erschossen und unabgedeckt begraben werden solle. Pünktlichst wurde dieser Spruch am 5. August desselben Jahres vollzogen.

Als sich zu Wien der Hund eines „Drummelschlägers“ erfrecht hatte, einen hochwohllöblichen Rathsherrn in die Wade zu zwicken, stellte dieser Strafantrag gegen den Drummelschläger; der letztere aber stellte den Thäter selbst, den Hund, dem Gerichte, worauf jener losgesprochen, der Hund wegen seines großen Verbrechens zwar nicht zum Tode verurtheilt, aber auf Jahr und Tag im Narrenkötterlein eingesperrt wurde. Dieses Narrenkötterlein oder Narrenhäuschen war ein Käfig, in welchem namentlich Unruhestifter und Ruhestörer wie am Pranger ausgestellt und dem Spotte des Pöbels preisgegeben wurden. Etliche rasende Hunde, welche 1610 einen Novizen, Franziskaner Ordens, angegriffen und zerrissen, wurden gefangen und aus Urthel und Recht des Gerichts von den Henkersknechten erschlagen.

Sogar die Mäuse wurden nicht verschont; am St. Ursula-Tage des Jahres 1519 erschien Simon Fliß vor Wilhelm von Haßlingen, Richter zu Glurns und Mals (Tirol), wegen der Gemeinde St. Stilfs und zeigte an, daß dieselbe Willens sei, gegen die Mäuse, so genannt sind die Lutmäuse (Feldmäuse), ein Recht zu führen. Von dem Richter wurde den Mäusen ein Prokurator in der Person eines Bürgers zu Glurns gesetzt und auch die Gemeinde Stilfs stellte einen solchen auf. Es wurde sodann ein Tag zur Verhandlung gegen die unvernünftigen Thierlein, genannt „Lutmäuse“ angesetzt, auf demselben verschiedene Zeugen vernommen, die bekundeten, welchen Schaden die Mäuse seit Jahren der genannten Gemeinde zugefügt, und es wurde auf „Klag und Antwort, Red und Widerred“ mit Urtheil und Recht erkannt, daß die schädlichen Thierlein die Aecker und Wiesen von Stilfs binnen vierzehn Tagen verlassen und zu ewigen Zeiten nicht mehr dahin zurückkommen sollen. Auf Antrag ihres Fürsprechs wurde denjenigen Thierlein, die sich noch des zartesten Alters erfreuten oder Mutterfreuden entgegensahen, vierzehn Tage lang freies sicheres Geleit gewährt; dem weiteren Antrage, es möge allen Mäusen solches Geleit vor ihren Feinden, Hund, Katzen oder anderen, zugesichert werden, entsprach das Gericht jedoch nicht. Sehr diplomatisch verfuhr das Gericht dadurch, daß es sich nicht äußerte, welche Strafe diejenigen treffen solle, die dem Urtheile nicht nachkamen.

Die Kirche wollte hinter den weltlichen Behörden in dieser Beziehung nicht zurückbleiben; der heilige Pirmin pflanzte im 8. Jahrhundert das Kreuz auf der bis dahin unbewohnbaren Insel Reichenau auf und verbannte in Folge dessen die Schlangen, Kröten und giftigen Würmer, die in ganzen Scharen die Insel verließen. Noch nach 1000 Jahren hatte sich in dieser Gegend der Glaube an die Kraft solcher Beschwörungen erhalten. Als 1732 zu Sursee im Kanton Luzern die Engerlinge Alles verheerten, wurde aus dem Kloster Füßen der Stab des heiligen Magnus zur Vertreibung des Ungeziefers verschrieben. In feierlicher Procession wurde das Heiligthum durch die Felder getragen und damit Benediktionen und Exorcismen vorgenommen. Alte Beschwörungsformeln, die den Namen Segen führen, z. B. Wolfssegen, sind in ziemlicher Anzahl auf unsere Zeit gekommen.

Die geistlichen Herren leiteten gegen schädliche Thiere aber auch ganz regelrechte Processe ein; als im Bisthum Chur Engerlinge und Maikäfer große Verheerungen anrichteten, wurden sie dreimal vor Gericht geladen. Da sie aber wegen Minderjährigkeit nicht erscheinen konnten, bestellte ihnen der Richter einen Kurator, der auf die Klagen der Landleute entgegnen und die Interessen der Käfer wahren mußte. Er machte geltend, daß die letzteren ebenfalls Geschöpfe Gottes seien, seit unvordenklichen Zeiten ihre Wohnung und Nahrung dort gehabt hätten, deren man sie nicht, mir nichts, dir nichts, berauben dürfe. Sie wurden schließlich in irgend einige Thäler Graubündens verbannt; ob sie aber hingingen, wissen wir nicht. In gleicher Weise hat der hochwohlweise Rath der Stadt Bern 1479 die räuberischen Inger (Engerlinge), Käfer und Würmer vor das geistliche Gericht zu Lausanne citirt und ihnen als Fürsprech vor demselben Johannes Perrodetus von Freiburg beigegeben. Nach eingehendem Verhöre der beiden Parteien durch die geistlichen Väter, nach Rede und Gegenrede und Erwägung aller Umstände, wurden sie vom Bischof von Lausanne in den Bann gethan. Der Bischof hat dieses Geschäft wohl besonders gut verstanden, denn auch gegen die Blutsauger, welche die Fische im See tödteten, processirte er. Sie werden sich jedoch wohl kaum viel daraus gemacht haben. Auch ein protestantischer Geistlicher that einmal Thiere in den Bann, wie aus einem interessanten Briefe hervorgeht, den Kurfürst August von Sachsen unterm 18. Februar 1559 seinem Sekretäre Thomas Nebel schrieb: „Lieber Getreuer, Welchergestalt, und aus was Ursachen und christlichem Eifer, der würdige, Unser lieber andächtiger Hr. Daniel Greyßer, Pfarrer allhier in seiner nächst getanen Predigt, über die Sperlinge etwas heftig bewegt gewesen und dieselbe wegen ihres unaufhörlichen, verdrüßlichen, großen Geschreis, so sie unter der Predigt, zu Verhinderung Gottes Worts und christlicher Andacht, zu thun und begehen pflegen, in den Bann gethan und männiglich preisgegeben, dessen wirst Du Dich … zu erinnern wissen.“ Dieser Bann war für die Dresdener Sperlinge ein sehr gefährlicher; denn der Kurfürst gab seinem Sekretär den Auftrag die Sperlinge wegzufangen, da dieser „durch mancherlei visirliche und listige Wege und Griffe“, wie dem Kurfürsten wohl bekannt, dem kleinen Gevögel nachstelle.

Schlimm ging es aber einst einem Hahne in Basel: er wurde zum Ketzer gestempelt und im Jahre 1474 auf dem Kolenberge bei Basel lebendig verbrannt, weil er sich hatte beikommen lassen, ein Ei zu legen; allerdings ein todeswürdiges Verbrechen, da aus solchen seltsamen Eiern das grausame Unthier Basilisk ausschlüpft! Es wurden zwar auch später noch merkwürdige Eier gelegt, so 1569 in Lothringen eines, dessen Dotter die Gestalt eines Türkenkopfes hatte, der anstatt der Bart- und Haupthaare Schlangen und Ottern trug, während das Eiweiß der Katze den Tod brachte, welche dasselbe gefressen; aber nur die Hennen legten solche Eier; den Hähnen ist seit dem grausamen in Basel statuirten Exempel die Lust zum Eierlegen ganz gründlich vergangen. H. B. 


  1. Sol Tournois, eine französische Kupfermünze, wurde in 15 Deniers eingetheilt und hatte den Werth von etwa 5 Pfennig. D. Red. 

[803]

Blätter und Blüthen.

Das Berliner Hoftheater. Kurz vor seiner Säkularfeier ist das Berliner Hoftheater in eine neue Aera getreten. Botho von Hülsen, welcher seit 1852 Generalintendant desselben gewesen, ist am 30. Sept. gestorben. Als junger Lieutenant nahm er das Steuerruder desselben in die Hand, nachdem er vorher bei Liebhaberaufführungen durch geschickte Arrangements und gewandtes Spiel seine Theaterlust bewährt und die Aufmerksamkeit des Königs Friedrich Wilhelm IV. auf sich gelenkt hatte; reich an Ehren und Würden ist er geschieden. Sein Vorgänger, Herr von Küstner, war ein Fachmann, der schon mehrere Theater geleitet hatte, ehe er nach Berlin berufen wurde: Küstner war ein Förderer der neuen litterarischen Bestrebungen, und er hatte das Glück, daß diejenigen Stücke der jüngeren Schule, die sich bis heute auf dem Repertoire erhalten haben, die Dramen von Gutzkow, Laube, Freytag während seiner Intendanz zuerst auf die Berliner Hofbühne kamen. Herr von Hülsen übernahm die Leitung des Hoftheaters, ohne sich vorher in irgend einer dramaturgischen Thätigkeit bewährt zu haben; auch durfte man bei ihm kein besonderes Interesse für die Litteratur, aber auch keine Parteinahme für irgend eine litterarische Richtung voraussetzen. Er faßte alsbald seine Bühnenleitung von der praktischen Seite auf: als pflichttreuer Beamter, als ein Kavalier, dessen Wort stets zuverlässig war; voll Herzensgüte und Mitgefühl wußte er sich die Liebe seiner Untergebenen und die Achtung der weitesten Kreise von Hause aus zu sichern. Und seine lange Wirksamkeit hat nur dazu gedient, diese gute Meinung zu befestigen. Der Litteratur gegenüber hat er sich wenigstens dadurch Verdienste erworben, daß er die neufranzösische Komödie von der Hofbühne fernhielt, daß er einzelne deutsche Talente wie Brachvogel, Lindau, Hugo Bürger mit Erfolg in die Theaterwelt einführte. Doch sein Hauptverdienst liegt auf der Seite der Verwaltung: als die Hoftheater von Hannover, Kassel, Wiesbaden nach der Annexion von 1866 der Berliner Generalintendanz unterstellt worden, trat die Bedeutung derselben als erste Instanz für das ganze norddeutsche Theaterwesen immer mehr zu Tage. Herr von Hülsen wurde der Vorsitzende des Bühnenkartellvereins, welcher Recht und Ordnung im Theaterleben durch gemeinsames Vorgehen der Bühnenvorstände zu begründen und aufrecht zu halten suchte. Wie er schon früher durch Gründung der „Perseverantia“ der Noth der Bühnenmitglieder bei ihrer Erkrankung und nach ihrem Abgang vom Theater zu steuern suchte, so kam er auch später allen Bestrebungen der Schauspieler selbst, nachdem diese die deutsche Bühnengenossenschaft geschaffen, mit seinem ganzen Ansehen fördernd entgegen. So ist der Name Hülsen’s mit der ganzen Neugestaltung des deutschen Theaterwesens eng verknüpft.

Hülsen’s Nachfolger, Graf Bolko von Hochberg, Bruder des Fürsten Pleß, ist ein schlesischer Aristokrat, der durch eigene künstlerische Bestrebungen auf dem Gebiete der Musik und durch die Förderung musikalischer Interessen die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Im Jahre 1843 auf dem romantisch gelegenen Schloß Fürstenstein in Schlesien geboren, befindet er sich noch im kräftigsten Mannesalter. Eine von ihm komponirte Oper, „Die Falkensteiner“, ist am Dresdener Hoftheater aufgeführt worden; außerdem hat er Symphonien und Lieder komponirt. Auf seinem Schlosse Rohnstock hielt er sich für musikalische Aufführungen ein eigenes Orchester; seit 1876 hat er die schlesischen Musikfeste ins Leben gerufen.

Allem Anscheine nach wird Graf Hochberg den Schwerpunkt seiner künstlerischen Leitung auf die Förderung der Oper legen; und so mag die Mittheilung der Zeitungen vielleicht nicht unbegründet sein, daß ihm für das Schauspiel ein litterarisch-dramaturgischer Rathgeber an die Seite gestellt werden soll. Jedenfalls thut es noth, das Berliner Hoftheater, welches Herr von Hülsen an die Spitze der deutschen Bühnen gestellt, was die musterhafte Verwaltung und die Leitung aller Reformbestrebungen anbetrifft, nun auch in künstlerischer Hinsicht auf eine höhere Stufe zu heben und über Aeußerlichkeiten die idealen Ziele der deutschen Schaubühne nicht aus dem Auge zu verlieren. †      

Ein Volk von Zwergen in Südafrika. Immer neue Entdeckungen machen die Reisenden im Süden des schwarzen Erdtheils: jenseit des Schauplatzes der frühern berüchtigten Kriege zwischen Engländern und Kaffern, seitlich vom Zulu- und Transvaallande, wo die Engländer noch vor wenig Jahren gegen Zulu und Boers fochten, liegt eine Gegend im Norden des Gebiets der Kapkolonie, wohin allerdings die Entdeckung reicher Diamantlager seit 1867 eine ziemlich zahlreiche weiße Bevölkerung gezogen hat; aber über 29 bis 30 Grad südlicher Breite hinaus beginnt selbst auf den neuesten Karten eine nur mit spärlichen Namen und Reiserouten bezeichnete Fläche, welche noch so wüst aussieht wie vor acht Jahren das seitdem durch Stanley aufgeschlossene Centrum des dunklen Erdtheils; sie hat den doppelten Flächenraum des Deutschen Reichs und war bis jetzt nur als die der Sahara vergleichbare „Kalahariwüste“ bekannt. Ein tapferer Jäger aus Amerika, Farini, hat sie jetzt durchstreift bis nach dem Ngami-See und das Resultat dieser Streifzüge in einem Reisewerke: „Durch die Kalahariwüste“ veröffentlicht, das soeben in autorisirter deutscher Uebersetzung erschienen ist (Leipzig, F. A. Brockhaus).

Wir erfahren aus dem Werke viel Interessantes über die unbekannte Wüste; Abenteuer von der Jagd, der Löwen- und Elefantenjagd werden erzählt. Als der Reisende nach großen Beschwerden in der unmittelbaren Nähe des Ngami-Sees angekommen war, wurde er aufmerksam auf eine Gruppe kleiner Verstecke, welche dadurch hervorgebracht wurden, daß sich die Spitzen zweier Grasbüschel zusammenbogen. Sie bildeten eine Art von Thurm mit dem bloßen Sand als Flur darunter. Das waren die Wohnungen der hier hausenden Zwerge, aber sie entschwanden ebenso plötzlich wie durch Zauberei, indem sie sich so vollständig hinter den Grasbüscheln verbargen, daß das Versteck nur mit großer Mühe ausfindig gemacht werden konnte. Am ersten Abend ließen sie sich durch die Geschenke von Taschentüchern und Taschenmessern nicht bewegen, aus ihrem Verstecke hervorzukommen; doch am andern Morgen näherte sich ein Trupp von sieben bis acht kleinen, braunen, fast nackten Wesen dem Wagen. Aus der Entfernung hätte man sie ihrer Größe nach für Kinder halten können; als sie aber näher kämen, verriethen ihre runzeligen Gesichter, welche denen der Buschmänner glichen, daß es erwachsene Männer und Weiber waren. Auf den Backen, Armen und Schultern waren sie mit kurzen, geraden, blauen Strichen tätowirt, und Allen, bis zum Säugling herunter, war zum besonderen Kennzeichen des Stammes das erste Glied des kleinen Fingers jeder Hand abgeschnitten. Der Stamm nannte sich M’kabba; der Häuptling war ein kleiner Geselle von 125 Centimeter Höhe, seine Frau etwas größer, seine Töchter ebenso groß wie er; eine derselben hatte zwei Kinder. Diese sahen mit ihren zierlichen braunfarbigen Gesichtern und großen, hellen, funkelnden Augen ganz niedlich aus und wären wirklich ganz hübsch gewesen, hätten sie nicht im Gehen ihren stark vortretenden Bauch gerade wie so viele der Zwergältesten der Wüste gezeigt. Der kleine Häuptling war in seinen Augen ein großer Herr und ließ den Fremden die Unterthanen nicht zu nahe kommen.

Diese kleinen Leute haben weniger Bedürfnisse, als irgend ein anderes Volk: sie leben von Mangetan oder Wassermelonen und werden fett von dem ölhaltigen Samen, den sie zu einem Kuchen backen und braten. Giebt es keinen Mangetan, so leben sie von Wurzeln, welche die Frauen sammeln, während die Männer Jagd auf kleines Wild machen. Eine besonders beliebte Speise sind bei ihnen Trüffeln, welche zu Tausenden vorkommen, deren Fundgrube sich durch eine Schwellung im Sande verräth und welche denselben Wohlgeschmack haben, wie die französischen. Zur Jagd gebrauchen die Zwerge Bogen und vergiftete Pfeile. Jeder Theil eines von ihnen erlegten Thieres wird gegessen und selbst Haut und Knochen dabei nicht verschont. Sie sind gefräßig wie die Buschmänner. Bei einem Gegenbesuch in ihrem Lager fand Farini die kleinen Leute schlafend, die Kniee bis ans Kinn in die Höhe gezogen und unter einem Busch oder Grasbüschel liegend. Selbst die Wohnung des Häuptlings bestand nur aus einem in die Erde gegrabenen Loch, über welchem die Zweige zweier Gebüsche das Dach bildeten: kein besonders ausreichender Schutz gegen die kalte Nachtluft und die schweren Regengüsse; gegen die wilden Thiere aber schützen sie sich durch eine Reihe kleiner Feuer, um welche sie liegen oder knieen und in welche sie im Schlaf oft hineintaumeln, so daß viele verbrannte Gesichter, Hände und Füße haben.

Farini müßte kein Amerikaner sein, wenn er in den kleinen schwarzen Leuten nicht bald geeignete Objekte für Schaustellungen erkannt hätte: er knüpfte mit ihnen darüber Verhandlungen an, und die Zwerge vom Ngami-See werden wohl bald in Amerika und Europa ihre Aufwartung machen. †      

Der Kronprinz des Deutschen Reiches und seine Jagdgesellschaft. (Mit Illustration S. 793.) Auf der Südseite Berlins liegt ein königliches Feldjagdgehege, welches, unmittelbar vor dem Halleschen und dem Potsdamer Thore einsetzend, sich mit einigen Unterbrechungen bis über Königs-Wusterhausen hinaus erstreckt.

Dieses Revier ist mit 100 bis 120 Trappen, einigen wenigen, etwa 50 bis 60 Rehen, im Uebrigen aber mit Hasen und Rebhühnern reichlich besetzt und dient vornehmlich zur Abhaltung größerer und kleinerer Treibjagden auf Hasen, außerdem aber auch dem Sport der Feldhühnersuche.

Ihrer großen Nähe wegen und weil in Folge der hohen Bodenkultur, deren die genannten Feldmarken sich durchweg erfreuen, die niedere Jagd für märkische Verhältnisse eine sehr gute ist, sind die erwähnten Hasenjagden, auf denen in wenigen Stunden durchschnittlich 300 bis 400, in günstigen Jahren auch 500 bis 600 Hasen und darüber erlegt werden, sehr beliebt; aber nicht nur seitens der Schützen, sondern, wie die Jägerei es oftmals zu großem Schaden erfährt, auch seitens des schaulustigen Publikums, welches namentlich zu der größten, alljährlich bei Buckow stattfindenden Hofjagd, an welcher auch die höchsten Herrschaften ziemlich regelmäßig Theil zu nehmen pflegen, in unglaublichen Massen zuströmt.

Das vorstehende, von dem durch seine Moment-Aufnahmen bekannten Photographen Ziesler in Berlin hergestellte Bild giebt den Augenblick wieder, in dem die Jagdgesellschaft, nachdem sie auf der Jagd, die am 16. Januar auf diesem Revier stattgefunden, das Déjeuner eingenommen hatte, zum zweiten Treiben aufbrach. Es war ein unfreundlicher Tag, aber die Stimmung der Gesellschaft war durch die bereits beim Frühstück hervorgetretene liebenswürdige Laune des Kronprinzen eine außerordentlich animirte.

Neben dem Prinzen Wilhelm, der stets auf den Jagden den kleinen eingekniffenen Hut trägt, dem Prinzen Heinrich, der von Kiel eingetroffen war, und dem hier zum Besuch weilenden jungen Prinzen Ludwig von Baden, nahmen insbesondere Herren aus der nächsten Umgebung des Kaisers und des Kronprinzen, die Flügeladjutanten und die persönlichen Adjutanten, theil.

Wir sehen auf dem Bilde zur Rechten den Grafen Lehndorff, von Albedyll und den Grafen Brandenburg, den Prinzen Reuß (Heinrich XVIII.) und den Oberst-Lieutenant von Plessen, ferner den Major von Kessel, sowie den Ober-Ceremonienmeister Grafen zu Eulenburg und den Major von Kroitzsch.

Neben dem Prinzen Heinrich erscheint, eigenthümlich durch Hut und Pelz gegen die übrigen im Jagdkostüm erschienenen Herren abstechend, der russische Botschafter Graf Schuwaloff mit dem geistvollen Gesicht, und ihm zur Rechten in der vorderen Reihe steht mit schmunzelnder Miene Fürst Salm-Dyck, eine in der Lebewelt sehr bekannte Persönlichkeit.

Der Kronprinz selbst, mit der historisch gewordenen Pfeife im Munde – ein echter Waidmann in seiner Erscheinung – ragt, der Wirklichkeit entsprechend, in diesem Gruppenbilde über alle Herren seiner Umgebung empor, und in den schönen, männlichen Zügen spiegelt sich auch heute jenes freundliche Wohlwollen wieder, welches bei dem hohen Herrn bekannt ist, und welches alle Diejenigen nicht genug zu rühmen wissen, die jemals mit ihm in Berührung treten durften. Hermann Heiberg.     
[804] Die Anhänger der Feuerbestattung dürfen auf die letztverflossenen Jahre nicht ohne Befriedigung zurückblicken. Es ist ihnen zwar nicht gelungen, allgemein für die Frage zu interessiren, sie haben aber in einigen Ländern principielle Erfolge errungen. In England wurdcn die gesetzlichen Hindernisse für diese Art der Bestattung beseitigt, und vor zwei Jahren wurde in dem Londoner Crematorium zu Weking die erste Verbrennung eines menschlichen Leichnams vorgenommen. Auch in Frankreich wurde durch das Gesetz vom 30. März dieses Jahres die Feuerbestattung erlaubt, und der Bau der Verbrennnngsöfen geht in Paris der Vollendung entgegen. Die interessantesten Nachrichten erhalten wir jedoch in dieser Beziehung aus Südamerika. Wir lesen in einem Feuilleton Professor Reclam’s, des Verfechters der Feuerbestattung in Deutschland, welches derselbe in der Zeitschrift „Gesundheit“ veröffentlicht: Kaiser Dom Pedro von Brasilien habe ein Dekret erlassen, wonach die Leichen der am Gelben Fieber Verstorbenen verbrannt werden müssen, und in Buenos Ayres habe der Magistrat am 11. März dieses Jahres verordnet, daß alle Begräbnisstätten im Innern dieser Stadt geschlossen werden und die Leichen derjenigen Personen, welche an epidemischen, das heißt ansteckenden Krankheiten gestorben sind, durch Feuer eingeäschert werden müssen. Die neuesten wissenschaftlichen Forschungen über die Lebensdauer der Bakterien, der sichtbaren Erkrankungskeime, bilden in der That ein wichtiges Moment, welches zu Gunsten der Feuerbestattung spricht und ihr zu den letzten Erfolgen verholfen hat; denn diese Erkrankungskeime, welche in vielen Fällen bei der Begrabung der Leichen den Boden verunreinigen, werden durch die Feuerbestattung vollständig zerstört. *      

Aus der Biedermayerzeit. (Mit Illustration auf S. 801.) Ein Köpfchen aus Großmutters Jugendtagen; für unsere heutige Jugend sind es schon Urgroßmutters Jugendtage. Da ist der ungeheuerliche Hut, der gar keinen unvortheilhaften Hintergrund für solch ein Köpfchen gebildet haben mag, mit der Riesenschleife; da ist der Fächer, und der „Pompadour“, und der Tituskopf mit dem Lockengewirr. Aber Mädchenanmuth, wie sie uns aus dieser Beigabe entgegenblickt, ist eine Zeitlose. Der volle Sonnenschein liegt auf dem klaren Gesichtchen, und ein Gedanke wie Sonnenschein spricht hinter der lockenversteckten Stirn; die glänzenden Augen und der lächelnde Mund erzählen davon. Ein unschuldiger Gedanke! Es lohnt nicht, ihn zu kennen, aber es lohnt, seine Wirkungen zu sehen.

Ausbildung der Krankenpflegerinnen. Vielen unserer Leserinnen, welche früher bei uns anfragten, ob es Anstalten giebt, in welchen Frauen zu Krankenpflegerinnen systematisch ausgebildet werden, können wir heute die erfreuliche Nachricht bringen, daß ein solches dankeswerthes Unternehmen von dem Badischen Frauenverein zu Karlsruhe ins Leben gerufen worden ist. Die Schülerinnen erhalten in den Kursen theoretischen und praktischen Unterricht in Allem, was von einer Oberwärterin im Spital gefordert wird. Die Kurse schließen mit einer Prüfung ab, über welche ein Zeugniß ertheilt wird. Dasselbe gewährt zwar keinen Anspruch auf Verwendung im Dienst des Badischen Frauenvereins, wird aber wohl geeignet sein, die Bewerbung um Oberwärterinnenstellen im Allgemeinen zu erleichtern. Die Schülerinnen haben zunächst ein Honorar von 50 Mark zu zahlen und bei ihrer einige Wochen nach Beginn des Unterrichts erfolgten Einweisung in die Spitäler eine tägliche Gebühr von 3 Mark zu entrichten. Die letztere gilt zugleich als Vergütung für die im Spital gewährte Wohnung und Verköstigung. *      


Sprechsaal.


Maschinen im Hauhalt. Die Maschine, welche auf dem großen Arbeitsmarkte längst über die menschliche Hand den Sieg davongetragen hat, schickt sich in unserer Zeit an, auch in den einfachsten Haushalt ihren Einzug zu halten. Die Nähmaschine kann als die Vorkämpferin der neuen Wandlung gelten. Die Vortheile, welche sie uns gebracht, sind allgemein bekannt und werden heut zu Tage von Niemand bestritten.

Aber wie treffliche Dienste sie auch leisten mag, die höchste Stufe der Vollkommenheit scheint sie noch nicht erreicht zu haben. Von Jahr zu Jahr wird sie verbessert, mit neuen Hilfsapparaten ausgestattet. Erst vor Kurzem hatten wir Gelegenheit, an dieser Stelle auf eine derartige Erfindung hinzuweisen: auf den trefflichen Knopflochapparat von Seidel und Naumann in Dresden, mit dessen Hilfe eine einzige Arbeiterin in einem Tage 1000 Knopflöcher zu nähen vermag.

Neuerdings hat diese Nähmaschinenfabrik eine Nähmaschine konstruiren lassen, welche mit einem Stopf- und Stickapparat in Verbindung gesetzt werden kann. Die Leistungsfähigkeit derselben ist eine wahrhaft überraschende. In kürzester Zeit vermag eine geübte Arbeiterin mit diesem Apparat Buchstaben, Arabesken etc. zu sticken oder auch schadhafte Stellen in der Wäsche in sauberster Weise zu stopfen. Der Apparat stellt in dem schadhaften in einem Rahmen eingespannten Wäschestück ein vollständig neues Gewebe her, welches nach dem Waschen und Plätten kaum von den ursprünglichen Gewebslagen zu unterscheiden ist.

Der Apparat ist als ein kleiner Triumph der Industrie zu betrachten.

Waschmaschine von G. C. Warnstorff.

Die anderen Maschinen für hauswirthschaftliche Zwecke erfreuen sich keineswegs einer so günstigen Aufnahme. Ihnen gegenüber sind die Meinungen noch getheilt. Namentlich die Waschmaschinen werden vielfach angefeindet; zum Theil aber mit Unrecht, da der Scharfsinn der Erfinder und Techniker die Uebelstände, welche bei den ersten Apparaten dieser Art sich bemerkbar machten, so gut wie gänzlich beseitigt hat. Unsere nebenstehende Abbildung veranschaulicht uns eine derartige praktische Waschmaschine, welche von der Firma G. C. Warnstorff in Leipzig-Lindenau in den Handel gebracht wurde. Auf einem starken Gestell ruht ein länglichrundes Gehäuse, welches innen mit Waschleisten ausgelegt ist. In diesem Gehäuse befindet sich eine gleichfalls mit Waschleisten besetzte rotirende Trommel, welche mit Hilfe des rechts sichtbaren Schwungrades in Bewegung gesetzt wird. Die Wäsche wird mit heißem Seifenwasser in das verschließbare Gehäuse gelegt. Darauf dreht man die Kurbel am Schwungrad abwechselnd nach rechts und links. Durch diese Bewegung der Waschleisten wird das Reiben der Wasche mit der Hand ersetzt und dabei so viel Arbeitskraft erspart, daß man eine bestimmte Menge Wäsche, zu deren Bewältigung mit der Hand eine Person mindestens einen ganzen Tag brauchen würde, in nur drei Stunden sauber waschen kann.

Heussi’s Brat- und Back-Apparat. Angebrannter Braten! Ein recht unangenehmes Wort für die Hausfrauen! Aufmerksamkeit und Uebung schützen uns zwar vor diesem Unglück, aber absolute Sicherheit wird durch diese Tugenden keineswegs geboten. Es scheint uns darum am Platze zu sein, unsere Leserinnen auf einen seit Kurzem in den Handel gebrachten Apparat aufmerksam zu machen, welcher in jede Küchenmaschine eingeschoben, auf jeden offenen Herd gestellt werden kann und in welchem der Braten braun und knusprig wird, ohne jemals anzubrennen. Der Brat- und Back-Apparat der Firma P. Heussi in Leipzig besitzt diese Vorzüge, und da sein Preis ein verhältnißmäßig billiger ist, so verdient er gewiß die allerweiteste Verbreitung. Der Apparat kann auch zum Kuchenbacken benutzt werden; seine Handhabung ist in beiden Fällen äußerst einfach. –


Inhalt: Die Insel der Seligen. Von Helene Pichler, S. 789. – Pflege des Gehörs. Von Dr. Joh. Hermann Baas (Worms). Schluß. Mit Abbildung. S 792 – Ein Friedhof ohne Gleichen und vierzig auferstandene Könige. Von Georg Ebers (Fortsetzung). S. 794. Mit Illustrationen S. 795, 796 und 797. – Der neue Direktor der Münchener Akademie. Von Dr. Adalbert Svoboda. S. 798. Mit Portrait S. 789. – Sankt Michael. Roman von E. Werner (Fortsetzung). S. 798. – Hingerichtete und bestrafte Thiere. S. 802. – Blätter und Blüthen: Das Berliner Hoftheater. S. 803. – Ein Volk von Zwergen in Südafrika. S. 803. – Der Kronprinz des Deutschen Reiches und seine Jagdgesellschaft. Von Hermann Heiberg. S. 803. Mit Illustration S. 793. – Die Anhänger der Feuerbestattung. S. 804. – Aus der Biedermayerzeit. S. 804. Mit Illustration S. 801. – Ausbildung der Krankenpflegerinnen. S. 804. – Sprechsaal: Maschinen im Haushalt. Mit Abbildung S. 804. – Heussi’s Brat- und Back-Apparat. S. 804.



In unserem Verlage ist erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben:

„Gartenlaube-Kalender“

für das Jahr 1887.
Mit zahlreichen Illustrationen.
Elegant gebunden Preis 1 Mark.

Der Kalender bringt neben einem ausführlichen Kalendarium, verbunden mit Haus-, Garten- und landwirthschaftlichen Notizen und einem Jagdkalender, zahlreiche praktische Nachweise und Tabellen, populär-wissenschaftliche, belehrende und unterhaltende Artikel, besonders auch gute Erzählungen, Humoresken, Gedichte und eine Menge vorzüglicher Illustrationen.

Leipzig. Ernst Keil’s Nachfolger. 



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig. Druck von A. Wiede in Leipzig.