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Die Gartenlaube (1882)/Heft 51

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1882
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[837]

No. 51.   1882.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich bis 2 Bogen. 0 Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



 Weihnachtlied.

Nun ist die liebe Weihnachtzeit
     Mit ihren Wundern kommen:
Durch alles deutsche Land ist weit
     Ein heller Glanz erglommen:
Das ist der Glanz vom Weihnachtbaum,
Im Schnee ein Sommersonnen-Traum,
Der Kindheit sel’ger Wonnen-Traum –
     Nie sei er uns genommen! –

Die Kindheit flieht; die Jugend flieht:
     Der Weihnacht-Traum soll dauern.
Wie süß er Mannesbrust durchzieht
     Mit tannenduft’gen Schauern!
Es schmückt den Baum in fernem Land
Des Kriegers waffenmüde Hand:
Wie hat er doch so hell gebrannt,
     Paris, vor deinen Mauern!

Denn was die Weihnacht wahrhaft weiht,
     Ihr Mädchen und ihr Knaben,
Ist nicht die bunte Herrlichkeit
     Der hochgehäuften Gaben:
Das ist die Reinheit, kindlich wahr,
Der Gier, des Neids, der Lüge bar,
Die sich an Lichtglanz still und klar
     Als höchstem Glück kann laben.

Solch reiner Sinn – er bleib’ uns treu –
     Auf allen Lebensbahnen:
Dann wird uns rühren immer neu
     Der Weihnacht hehres Ahnen:
Dann wird der Glanz vom Weihnachtbaum,
Nicht nur ein flücht’ger Wonnentraum,
Im Alters-Schnee ein Sonnentraum
     Uns sel’ger Jugend mahnen.

Königsberg, Weihnachten 1882.   Felix Dahn.




Im Banne der Musen.

Alle Rechte vorbehalten.
Novelle von W. Heimburg.
(Fortsetzung.)


„Conradus aber legte nunmehro das Büchlein auf seine Kniee und erzählete mit leuchtenden Augen, wie arg verfeindet die Sippe der Capuletti und Montague gewesen, und wie Romeo und Julietta sich ganz von ohngefähr bei einer Lustbarkeit gefunben und allsogleich in Liebe für einander entbrannt waren; was der vielliebe Genesende las, das wogete klangvoll und gleichwie Musik durch das Gemach, als schwebeten die Worte schier auf Flügeln.

Noch niemalen hatten mich Menschenworte also durchschauert; wie unter eines Zaubers Bann horchte ich auf und wagete kaum Athem zu schöpfen, und dennoch spürete ich wohl, daß mir das Blut heiß in die Wangen stieg, und ich senkete die Augen. War nicht tausendmal schöner als all das, welches Conradus las, das Wort der Heiligen Schrift, so meine Mutter in die Bibel geschrieben, allwelche ihr erstes Präsent war an den Vater: ,Wo Du hingehest, da will ich auch hingehen; wo du bleibest, da bleibe ich auch; Dein Volk ist mein Volk und Dein Gott ist mein Gott!’

War das nicht herrlicher in seiner Einfachheit denn Julietta’s Liebesworte? Dahinein vermocht ich mich zu denken, nimmermehr aber in solchen Ueberschwang, bei dem mir so lebendig das Liedlein von der Nachtigall vor der Seele stund, das Liedlein von Schuld und Sünde.

Ich folgete nicht mehr des theueren Jünglings Worten und verlor mich schier in tiefes Sinnen. Erst da er verstummte, schreckte ich jach empor und sah Hedwiges blasses Angesicht, aus dem die großen Augen gar geisterhaft zu ihm hinüber schaueten; da sah ich seine Blicke den ihren begegnen, als sei es ein stumm Fragen und Antworten.

,Verstehet Ihr, wie schön es gesaget und gesetzet?’ fragte Conradus endlich.

Hedwige aber sprang auf, ein glühend Roth färbete ihre Wangen, und mit der Hand fuhr sie zum Herzen. Als wollte sie sprechen, stund sie einen Augenblick regungslos da; dann setzete sie sich wieder.

,Und Du, Christel?’ forschte er, und sein begeistert Antlitz wendete sich mir zu. ,Hat es Deinen Beifall, lieb Schwesterlein?’

Ich weiß nimmer, warum ich so abwehrend die Hände ausstreckete und herbe sagte:

,Mit nichten, Conrade, es bedrücket mich und schaffet mir Pein.’

,Nun, so gehe!’ rief er, trutziglich emporspringend, ,lies den Catechismum mit der Base und studire Dein Kochbüchlein!’ Das mag Dir besser taugen.’

Da sah ich, daß er sehr zurnig war, ich wollt’ meine Arme um seinen Hals schlingen, aber er wehrete mir und fing an im [838] Gemache gar heftig auf und abzugehen, gleichwie der Hirsch, den sie im Zwinger des Schloßgartens gefangen halten. Hedwige aber war still hinaus gegangen.

Dann plötzlich blieb er stehen:

‚Es ist Zeit, daß ich mit dem Vater spreche, Christel,‘ hub er an, ‚ich kann nimmer mehr lange hier weilen; das enge Haus drücket mich gleichwie ein Gefängniß, und die Wände wollen mich schier zerquetschen, ich muß nunmehro hinaus, zur Arbeit, wenn ich nicht –‘

‚Conrade!‘ bat ich erschreckt, ‚Du bist heut zum ersten Mal von dem Bette aufgestanden, und Deine Wunde ist annoch kaum verheilet –‘

‚Es wird nicht besser allhier,‘ erwiderte er; ‚wollt nur, es wäre überstanden; denn der Vater lässet mich nicht ziehen ohn‘ ein scharf Examen, dieweil ich auf die Mensur gegangen. Und was ich ihm zu melden habe, würd’ ihn arg betrüben. Wäre schon das Allerbeste, ich ging ohn’„Ade!“, Christel.‘

Da stund mir mit einem Mal die Nacht wiederum vor Augen, wo er heimlich fortgewollt, und wo mein brünstig Bitten ihn erweichet, also daß er geblieben. Dazumalen war ich noch schier ein Kind, und ich bat den Bruder – ach, heut war er es nicht mehr; ein heiß Schamgefühl hielt mich zurücke, daß ich nicht die Arme noch einmal um seinen Nacken warf. Als er aber wiederum anhub:

‚Es muß sein, Christel, es muß ja sein!‘ und er wieder vor mir stund und meine Hände erfaßte, sagte ich nur:

‚Du magst billig wissen, was Dir tauget, Conrade.‘

‚Christel!‘ rief er und zog mich an sich, ‚Du meinest, ich sei undankbar und schlecht, aber ich suche doch meine Pflichten zu üben; – Du vermagst nicht zu erfassen, welch’ ein Kämpfen in meiner Brust ist!‘

Ich schwieg; denn Solches zu hören, that mir wehe.

‚Woher solltest Du es wissen?‘ fuhr er fort. ‚Wenn Du nur eine Ahnung hättest von dem, so ich gelitten seit Jahren, seit dazumal, Christel, als mir der Vater sagte, daß ich hinfüro ein Fremdling sei zwischen Euch, ein Fremdling, der nicht Vater kennet noch Mutter – ach, wenn Du es ahntest, Du würdest Dich erbarmen. Verrath mich itzo nicht! – Ich ziehe morgen davon, vielleicht auch heut noch; kann nicht reden mit dem Vater, sintemal es nimmer gut gehet –‘

‚Und wohin willst Du, Conrade?‘

Er lachte gar bitter auf.

‚Wohin? Ei nun, gen Helmstädt, hinter meine Bücher; – nur fort, hinaus! Mein Examen will ich machen allda, wie ich dem Vater gelobet. Und dann –‘

‚Und dann?‘ wiederholete ich, ‚und dann, Conrade?‘

Er schwieg.

‚Frage nicht, Christel,‘ sagte er endlich.

Mir aber war es, als gerinne all mein warmes Blut zu Eis.

‚Conrade!‘ schrie ich auf, ‚Du kommst nicht wieder, so Du gegangen sein wirst!‘ Und da waren sie schier hinweg, mein Stolz und meine Scham. ‚Conrade,‘ bat ich flehend und faßte ihn bei der Schulter, ‚sag, daß Du wieder heim kommst! Sag, daß Du nicht auf ewiglich die verlassen willst, so Dich lieb gehabt haben gleichwie ihr eigen Kind! Gelten wir Dir nichts mehr? Kannst Du jede Erinnerung verwischen an das Haus, so Dein Vaterhaus gewesen, jede Erinnerung an die friedvolle, glückliche Zeit, so Du mit uns verlebet?‘

Er trat hastiglich einen Schritt zurück, aber antwortete nicht. Es ward ein banges, langes Schweigen zwischen uns, und ich meinete die Schläge meines eigenen Herzens zu hören, Todtenstill war es im Hause; nur die Lampe knisterte ganz leis allhier im Gemach, und dann scholl draußen ein leichter Frauentritt, eine Hand tastete fein behutsam über das Getäfel der Stubenthür, gleichwie suchend nach dem Griff der Thür, Conradus aber fuhr jach herum, und sein blaß Gesicht färbete sich purpurn.

‚Ich komme, Christel, ich kehre wieder heim dereinst,‘ flüsterte er.

Da flog es in mir empor wie jauchzend Freuen, und meine Hände faßten ungestüm nach den seinen; als ich mich aber umwandte, stund Hedwige unter der Thür, daß es ließ, als wäre die plumpe Wölbung eigens zum Rahmen geschaffen für ihr anmuthig Bild.

‚Ich komme!‘ sagte Conradus abermals, ‚wie vermochtest Du daran zu zweifeln?‘

Nun wußte ich, daß er dermaleinst kommen würde, und dennoch – mir war das Freuen schier vergangen.

War gar früh am andern Morgen, als ich erwachte, und da ich an das Fensterlein trat und in den Garten schauete, gewahrete ich auf dem weißbereiften Laub, so herbstlich die Wege deckte, Tritte, fein und schmal, aber es waren nicht die Tritte eines Frauenfußes. Da sprang ich jählings in meine Kleider und pochte an Conradus Thür – nichts rührete sich darinnen, und als ich in das Gemach trat, in dem annoch das Morgengrauen lag, da fand ich es leer, und nur einen Brief an den Vater schauete ich auf dem Tischlein am Bette liegen; lag auch noch ein Zettel dabei, aber mir waren die Augen gar trüb worden von heißen Thränen. Als ich endlich dennoch zu lesen vermocht, was da geschrieben stund auf dem Zettel, da war es ein Gruß an mich und ein Dank für die Pflege, so ich ihm gethan, darunter aber stund, dreimalen unterstrichen:

‚Auf Wiedersehen, hab’ keine Bange! Dein treuer Bruder Conradus.‘




Der Vater schalt, da er Conradus Flucht vernahm, aber ich merkte doch, daß er ihm nicht zürnete. ‚Es ist einem jungen Manne wohl zu verzeihen, so er aus Eifer und Lernbegier eine schuldige convenance verletzet,‘ sagte er, da die Mutter jammerte. ‚Möge dem Jünglinge auch nicht paßlich gewesen sein, noch eine Auskunft über seine Rauferei geben zu müssen,‘ meinte er sodann, sei besser, er gehe so; ein flüchtig Lächeln verschönte des Vaters ernst Gesicht bei der Erinnerung an die eigne Jugend, auch er, sagte er, habe einmal auf der Mensur gestanden und sei darob hart angelassen worden von seinem Vater, und also habe er auch mit Conradus thun müssen, wären sie noch auf diesen Punkt mitsammen zu reden gekommen.

So war denn Alles gut. In Bälde schrieb auch Conradus, er sei zwar gar matt, aber doch gesund in seinem Musenorte angelangt und habe begonnen, emsiglich das nachzuholen, was er des Siechthums halber versäumet. Wünsche uns Allen ein gar frohes Weihnachtsfest, wie auch er es fröhlich zu verleben hoffe, da er von einem Freunde aus fürnehmer Familie von sächsischem Adel invitiret worden, nach Dresden zu kommen, um die Weihnachtsvacanz dorten zu verleben; er freue sich um so mehr darob, als man ihm in Aussicht gestellet habe, das Komödienspiel bei Hofe mit anzusehen, allwo einige Singspiele, sowie auch deutsche und engelländische Komödien agiret werden sollten.

Wir waren sämbtlich im Gemache meines Vaters versammelt, als er dies Brieflein empfing; Hedwige stund am Fenster und sah hinüber, wo man bei den letzten spärlichen Sonnenblicken noch rüstiglich an dem Komödienhause arbeitete, die Mutter aber, Base Wieschen und ich hatten uns um den Vater geschaaret und verlangeten zu wissen, wie es dem Conrado ergehe.

Das ward eine böse Stunde. Der Vater hieß Alle hinaus gehen bis auf mich; er wolle mir allsogleich eine epistola dictiren, sagte er, an den ungerathenen Sohn; nunmehro mußte ich mich setzen, und des Schreibens gewärtig, hielt ich geduldiglich die Feder in der zitternden Hand, hatte dennoch lange zu warten, ehe er begunnete zu dictiren. Seine linke Hand lag schwer zur Faust geballet auf der Platte des Tischleins, und auf seinem Gesichte stund bös eine Falte zwischen den dichten Brauen.

‚Also!‘ sagte er dann und hub zu dictiren an.

‚Indem ich Dir dieses schreiben lasse, Conrade, ist mein Herze schwer betrübet, dieweil ich Dich auf Wegen gewahre, so Dich weitab führen von dem Ziele, welches Du allein zu verfolgen die Pflicht hast. Ich verbiete Dir hiermit, kraft der Gewalt, so mir über Dich gegeben, Deine Augen auf so leichtfertig Thun zu richten, wie das Komödienspiel es ist; es bringet schier Schaden jeglicher Menschenseele und ist eine Versuchung des Teufels. Ich sage Dir: Die, so sich itzo daran freuen, werden es dereinsten herzlich zu bereuen haben. Dir aber als einem studioso theologiae steht es doppelt schlecht zu Gesichte, Deine Augen auf Solches zu richten, und wär’ es Dir besser, sie würden blinde. als daß sie diese Narrethei mit anschauen. Ich hoffe vielmehr, wenn Du dermaleinst allhiero im Priesterrocke auf der Kanzel stehest, Du werdest alsdann es noch unserem hochfürstlichen Herrn geziemend vorstellen, daß auch Er solch unchristlich Treiben einzuführen gesonnen ist, und sollest ihm sagen 1. Cor. 7, 31.: Denn [839] das Wesen dieser Welt vergehet – lasse ab hiervon! Wie denn hier wieder Eva spuket, da, so ich gehöret, sein zukünftig Gemahl ihn hierzu animiret, um es anderen leichtsinnigen Höfen nachzuthun.

Habe Dir anitzo gesagt, was ich begehre, und verlange, daß Du darnach handelst als gehorsamer Sohn Deines allezeit getreuen Vaters.

Falkerode, M. Decembris 1669.

Sebastian Ehrentraut, 
fürstl. Hofprediger.’ 

Hätte gar gern noch ein freundlich Wörtlein hinzugefüget, aber wußte nicht es zu beginnen; sintemal der Vater noch einmal den Brief durchlas. Aber als er ihn mir dann zu falten gab und das Sigulum darauf zu thun, schrieb ich eilig noch darunter:

,Viel tausend Grüße! Betrübe Dich nicht, Conrade!‘

Die Base aber winkete mir, als ich nachher in die Wohnstube gehen wollt’, nach der Küche, allwo sie am Tische stund und Pfefferküchlein auf Weihnacht rührte.

‚Was sagte ich Dir, Christel?‘ flüsterte sie gar heimlich, und ließ die Kelle im Teige stecken, ‚der Vogel singet, wie ihm der Schnabel gewachsen, und wenn man ihm schier alle Tage ein ander Liedlein pfeifet, er bleibet dennoch bei seiner Weise.‘

‚Ich wollt’, er wär’ erst ganz daheim,‘ seufzete ich.

Die Alte aber schauete mich listig an aus ihren hellen Augen.

‚Glaub’s, glaub’s, Töchterlein!‘ neckete sie, ‚oder meinst Du, die Base sei blind? Blaß siehst Du aus wie ein Wachs, und lachen kannst Du auch nicht mehr, hast auch Herzschlagen und schläfst nicht gut – ist es nicht so? Weiß mir das Alles gar wohl zu deuten; will Dir ein Tränklein richten von rothem Frankenwein, eisernen Nägelein und Hollunderlaub, am Pfingstsonntage vor Sonnenaufgang gepflücket; davon trinkst Du jeglichen Tag ein Gläslein voll, das soll wohl helfen.‘

,O Base, was denkest Du!‘ schalt ich, und fühlte dennoch, wie mir jäh das Blut in die Wangen stieg. Eilends ging ich hinein in die Stuben der Mutter und nahm mein Spinnrädlein. Der Mutter Hände ruheten gefaltet im Schooß, und um ihre lieb treuen Augen zogen sich rothe Ränder wie vom Weinen; Hedwige aber saß am Fenster; ihr feiner Kopf hub sich scharf ab gegen den hellen Grund, und sie sang gar leise beim Spinnen, wie es ihre Art so war; das klang, als habe sie stillheimliche Sehnsucht nach Frühling und Maienluft, nach etwas Vielsüßem, unsagbar Holdem, also daß es mir heiß in das Herze zog und mein Fuß stockte auf dem Trittbrette. Ich meinete die Nachtigall zu hören und sah das junge Laub an der Linden und ein blaß Antlitz mit zwo glänzend blauen Augen, und die Worte klangen mir in die Ohren:

,Bleib bei mir, Christel, daß ich nicht verkomme in meines Herzens Zerfahrenheit und Unrast! Wir haben uns ja immer so herzlich geliebet.‘

‚So viele Blättlein im Walde wehn,
So viele Sternlein am Himmel stehn,
So viele Blümlein im kühlen Grund,
So oft denk ich Dein zu jeder Stund –‘

sang Hedwige. – Ei, war es denn nicht also?

Dann fuhr sie empor.

,Was sinnet Ihr, Mädchen? Schlafet ein am hellen Tage?‘ schalt die Mutter freundlich. Da ich aber Hedwige ansah, war ihr bleich Gesicht purpurn erglühet; wir schaueten einander in die Augen und sie fragte:

,Warum bist Du so roth, Christiane?‘

‚Und Du?‘ gab ich zurücke, um Etwas zu sagen. ‚Hast wohl gar einen Schatz dort oben gelassen in den Bergen?‘

Da hub sie stolz den Kopf aufrecht:

‚Hätt manch einen Tölpel haben können, so von weiter nichts wußte, denn von Jagen und Hunden, – war nicht nach meinem gusto.‘

Die Mutter aber verwies ihr solch Reden und warnte: ‚Wer zu hoch hinaus wolle, stoße gemeiniglich an die Decke.‘

Da schwieg Hedwige und spann weiter, aber auf ihrem jungen Gesichte lag Trutz und Stolz, und sie antwortete nicht, so oft ich zu ihr sprach. Draußen aber tanzeten lustig die Schneeflocken vor den Fenstern, und fern war annoch Frühling und Glück.


War ein gar strenger Winter, der vorüberzog; schier eingeschneit steckten wir hier oben in den Bergen, und manch ein stiller Abend ging dahin, an dem kaum ein Wörtlein geredet wurde; nur die Spinnräder liefen leise, und von draußen war das Rütteln des Sturmes an den kräftiglich schützenden Fensterläden vernehmlich. Es hatte heuer gar viel der Noth gegeben an allen Enden: Schneebruch in den Wäldern; das Wild war verhungert und in den Häusern der Menschen viel bös Gebreste, Krankheit und Jammer.

Als aber die ersten Veilchen blüheten im April, führte Serenissimus sein jung schönes Weib heim. Die Hochzeit war zu Dijon gefeiret worden im fernen Frankenland; nun wartete der Neuvermählten auch allhier noch eine Reihe von Lustbarkeiten, zu denen man gar viele fürstliche Herrschaften invitiret hatte. Wußte solches Alles von der Hedwige, die schier wie hingebannet war zu der alten Hexe, der Silberbeschließerin; hatte ihr Logement im Schloß droben und wußt alleweil Bescheid über jeglich Ding, so dorten passirete. Ihre Luchsaugen spüreten überall umher, und die Hofbediensteten waren ihr nicht sonderlich gewogen, sintemal und alldieweil ihre spitzen Ohren mehr höreten, denn erlaubt war.

Da der feierliche Einzug geschah, stunden Hedwige und ich auf der Treppen vor unseres Hauses Thür. Auf dem großen Platz aber drängete und schob sich schier das ganze Ländchen; viel prächtige Ehrenpforten aus grünem Gezweig waren errichtet; auch jeglich Haus hatte sich geschmücket, und jeglich Fensterlein starrte von neugierigen Gesichtern. Vom Schloß wehete das Wappenbanner des jungen Paares, und da sich der Zug nahete, krachten die Stücke, daß es gar feierlich donnernd von den Bergen wiederhallte. Die Soldaten im stattlichen Aufzuge bildeten Spalier, die fürstlichen Diener aber in prächtiglich verposamireten Libereien, Etliche zu Fuß, Andere zu Pferde, marschierten voran; kamen sodann die Adjutanten; darnach der Hofmeister, so in einem ganz über und über mit Gold chamarirten Rocke war, auf reich geziertem Rosse; endlich aber die mit vier Pferden bespanneten Hofcaretten, in denen die Ehrenfräulein saßen, anzuschauen wie die Tulpen, so Base Wieschen in ihrem Kammerlein aus den kostbaren holländischen Zwiebeln zu ziehen wußte. Viele Cavaliers ritten in großer Pracht daneben, also daß wir meineten, die Frühlingssonne habe noch niemalen solch ein farbenreich Bild geschauet.

Holdselig nach allen Seiten grüßend, lehnte ein schlank bräunlich Weib neben unserem Fürsten in den goldstoffenen Kissen des Prunkwagens; gar fröhlich blitzten ihre dunklen Augen, wetteifernd mit dem Edelgestein, so verschwenderisch ihr silberstucken Gewand schmückte. Ich meinete, itzo müsse sie auch unseres Hauses Fenster streifen, allwo mein Vater sich in vollem Schmuck seines Amtes postiret, den er unter viel Schmerzen heute angelegt. Schon flog ihrer Augen Leuchten herüber – da wendete sie rasch das Haupt, und ihre Blicke folgten einem Fingerzeig des hohen Gemahls nach dem Comoedien-Hause, an dessen Giebelfelde die stolze Inschrift funkelt: ‚Apollini et Musis‘, und männiglich konnte nunmehro sehen, wie das junge Weib itzt die schlanken Händlein zusammenschlug in hellen Freuden.

Da ich nach meinem Vater schauen wollt, war er vom Fenster zurückgetreten, und als ich in sein Gemach eilete, da saß er finster in dem Siechenstuhl und antwortete mir nicht, so viel ich auch frug. So wandte ich denn den Fuß zurücke und ging trübsälig, gerade rechtzeitig, um annoch den Wagen zu erblicken, in dem Prinzeß Liselotte saß; nun mischete in den Hochruf des Volkes sich Musik und der Knall der Geschütze, und Hedwige stund an dem eisernen Geländer und schauete mit zitternder Lust dem Zuge nach, so sich den Schloßberg hinauf wand. Schier wie trunken blickten ihre Augen aus dem blassen Antlitz, als begehrete sie sich hinab zu schwingen, hinein in solch verlockend fremde Herrlichkeit.

Wunderhold und lieblich war sie anzusehen unter dem frischfeinen Veilchenkranz, mit dem sie sich heut früh vor dem Spiegelein behutsam geschmücket und lang beschauet hatt’, und manch ein Blick flog hinauf zu ihr von den fremden Cavaliers, so den Zug beschlossen.

Und da es die Mutter gewahrete, rief sie, wir sollten allsogleich hinein kommen und in den Garten gehen; es zieme sich nicht für ehrbare Jungfern also am Pranger zu stehen, da es doch nichts mehr zu schauen gäbe. Hedwige schrak auf, als erwache sie jach aus tiefen Träumen, folgte mir aber ohn’ Widerrede in das Gärtlein. Allda war es still, so still! Die Sträucher schimmerten im ersten Grün des Lenzes, nur undeutlich scholl unterweilen ein Laut des Jubels zu uns herüber.

[840] Hedwige flog vor mir den Weg hinunter, so zur Laube führet; ihr schwarz Gewand wehete um die zartfeine Gestalt. Ich folgte ihr langsam und blieb hie und da vor einem Beetlein stehen, auch vor dem, das Conradus einsten zugehöret; das hatte ich seither immer gewartet, und in diesem Jahr hatt’ ich seinen Namen darauf gesäet mit Kressen, und freute mich nun, daß die grüne Saat zu sprießen begunnete, und deutlich in zarter Schrift der Name ,Conradus‘ prangete. Zupfte auch noch rasch ein Unkraut hinweg; da ich aber in die Laube trat, fund ich Hedwige; die hatt’ den Kopf in den Händen geborgen; der Veilchenkranz lag am Boden, und sie weinte laut und gar bitterlich.

,Was fehlet Dir, Hedwige?‘ fragte ich erschreckt.

Sie aber hub das Gesicht, und die Thränen hingen ihr an den dunklen Wimpern.

,O Christiane,‘ gab sie zurücke, ‚es sehnt sich mein Herze.‘

‚Wonach, Hedwige?‘

Da stund sie auf und reckte die Arme empor, als wollt sie hinauffliegen in den klaren blauen Himmel, hinweg aus dem engen stillen Gärtlein – in unbekannte Fernen.

‚Wonach – ich weiß es schier selbst nicht,‘ sagte sie dann, und ihre Blicke verfolgten einen Weihen, der rasch und königlich in die Lüfte stieg, also daß er nach wenigen Minuten kaum noch wie ein Pünktelein im Aether schwam.

Hedwige war von Stund’ an wie verwandelt. Oft stund sie nachdenklich am Fenster und spähete nach Allem was geschah. Gab auch gar viel zu schauen auf den Straßen; denn ungleich prächtiger war itzo die Hofhaltung, als sonsten; viel fremde Herrschaften kamen und gingen, so großen Dienertroß mit sich führeten, und solcher trieb sich meistentheils umher auf dem Platz vor unserem Hause; auch ward Abends unter den Linden vor des Castellans Logament mehr Jubel laut, denn oben in des Schlosses Prunksälen, mit Dirnen, Tanz und Bier, also daß es bis in die Nächte hinein tobete, wie am ersten Maien auf dem Blocksberg.

Auch das Völklein der Komödienspieler war einlogieret in unsrer Nachbarschaft; allerhand fremd Gesindel, und manch Mädchen fernher aus Italia, schwarz von Aug’ und Haaren und von bräunlicher Gesichtsfarbe. Die wandelten fleißig vorüber an unserem Haus, und unterweilen flog wohl das kecke Funkeln eines Auges herauf nach unserem Fenster, so Hedwige darinnen lehnte; dann lächelte sie gar holdselig und beugte sich vor, also daß ich mich schämte und nimmermehr am Fensterlein schaffen mocht. Verbot auch bald die Mutter, daß sie nicht mehr hinaussehen durfte, noch mit Nähzeug oder Spinnrad alldort sitzen, und Base Wieschen hielt streng Obacht darob.

Da aber eines Tages Serenissimus den Vater sowie uns huldvoll invitirete, ein französisch Schauspiel mit anzusehen, betitult: ,Der scheinheilige Mann Tartuffe‘, von einem Msr. Molière, gerieth mein Vater in argen Zorn und verstund sich nur mit Mühe und auf der Mutter sanftes Zureden, geziemend zu danken für Serenissimi Gnade; er ließ Serenissimo unterthänigst vermelden: es sei nicht paßlich für seinen geistlichen Stand, derlei Kurzweil mit anzuschauen; er ziehe mit gnädigster permission vor, zu Hause zu bleiben nebst seiner Familie. War auch tagelang noch arg böse und setzte das Fenster seines Gemaches zu, so ihm das verhaßte Gebäude zeigte.

Ich fragte nimmer viel nach solchen Aergernissen, zählete ich doch jeglichen Tag und jegliche Stunde, da Conradus wiederkehren mußt; auch war ein gnädig Handschreiben von Serenissimo gekommen, daß Conradus als am ersten Pfingstsonntage seine Probepredigt halten solle in der Hofkirche. Prinzeß Liselotte hatt’ ihrem ‚Pathenkind‘ einen Amtsanzug verehret aus köstlichem Brabanter Tuch und die Halskrause vom feinsten Linnen. Solches hing vor Staub wohl geschützet in seinem Stüblein, und alltäglich ging ich hinauf und öffnete die Fenster, nahm den Staub von den Geräthen und hantierete dort umher; dann ward mein Herz ach! so voll heimlichen Glückes Erwartung, und oftmalen blieb ich verträumet darinnen sitzen, sah den Sonnenstrahlen zu, die längs der Wand hinglitten, und malte mir aus, wie sich dorten über die Schreiblade bald ein dunkellockig Männerhaupt beugen werde in ernstem Studio; ich meinete allbereits sein klangvoll Sprechen zu hören: ‚so ist denn noch Alles gut worden, mein vielliebes Schwesterlein.‘

Dann aber hielt ich inne.

‚Nicht Schwester! nicht Schwester!‘ rief es in mir, und ich sprang empor. ‚Nein süßer noch, zu tausendmalen süßer!‘ und ich dankete Gott inbrünstiglich, daß Conradus nicht mein Bruder; ich faltete die Hände zum Segen für die hohe Dame, so ihm das Leben gegeben, die einsam geblieben, ob sie gleich ein Recht auf Liebe hatte, auf heilige Kindesliebe – arme Liselotte! Ich konnt ihr nun und nimmermehr zürnen – um seinetwegen!

Und er kam. Ei, fraget mich nicht, wie es war, da ich ihn wiedersah – ihn, an den ich allstund gedacht in scheuer Sehnsucht. Weiß nur noch, daß ich, da er erwartet wurde, mir ein Sträußlein Vergißmeinnicht an mein braun Gewand heftete und ein blau Band in den Zopf flocht – weiß nur noch, daß die Base lachend mich angesehen, und daß ich Abends im Garten auf- und abschritt und endlich, mir selbsten unbewußt, das Pförtlein öffnete und am Waldesrande entlang wanderte, da er kommen mußt.

Am Himmel stund purpurn das Abendroth, und weit hinaus lag über das Land ein duftiger Hauch; fein leise athmete der Wind mir entgegen und machte die junggrünen Blätter sich flüsternd bewegen. Unter der Buche am Wegesrand that ich mich setzen und schauete aus nach ihm, den ich so inniglich lieb hatte, über mir aber flogen die Vögelein zu Neste, und vom Schloßthurm verhallten itzo gerade die letzten Klänge des Geläutes; kein Laut, ringsum kein Ton, denn einzig das Zirpen der Grillen – heiliger Abendfriede allenthalben!

Da bog eine hochschlanke Gestalt um die Waldecke; das leichte Ränzlein über dem Rücken, den Wanderstab in der Hand, also schritt er einher, fürnehm und sicher, wie je Einer gegangen.

,Conrade!‘ wollt ich ihm entgegenrufen, und vermocht’ es doch nimmer; rasch eilte ich auf ihn zu; dann ward mein Schritt allgemach langsamer, und endlich blieb ich stehen; ein seltsam Bangen war über mich kommen. Er aber hatt’ mich auch erkannt, und nun faßten zwo Hände die meinen, und eine Stimme sprach, wie ich sie gehöret im Wachen und im Träumen immerdar: ‚Gott grüß’ Dich, Christiane!‘

Ich wagte nimmer zu ihm aufzusehen, und da schlang er den Arm um mich und sagte scherzend:

,Ei, bist mir entgegenkommen, und hast kein Wörtlein für mich?‘

Da schauete ich ihn an, und es waren die blauen ernsten Augen wieder, und das liebe Gesicht; aber blaß war es, gar so blaß – und seine Linien erzähleten von Arbeit viel und viel Leid.

‚Du bist noch immer nicht gesund, Conrade,‘ sagte ich, ‚aber itzo ruhest Du aus bei uns – möge es Dir wohlgefallen!‘

Er drückte mir herzinniglich die Hand.

,So helfe Gott dazu!‘

Und wir gingen mitander, und unterweilen schauete ich ihn an, wie er so still neben mir schritt; und ich meinete, die Welt sei noch niemalen so schön gewesen denn heute im erbleichenden Abendroth.

Er war wieder kommen; was schuf mir annoch weiter Noth?“

(Schluß folgt.)




Deutsche Weihnachtspiele.

Verklärt vom Glanz der reinen Liebe, ist uns die Weihnacht wohl noch immer das höchste Fest des Jahres. Die Alles verwandelnde Zeit hat zwar die äußeren Formen desselben vielfach geändert, seine innere Bedeutung aber ließ sie unberührt, und nach wie vor feiern wir in den langen Nächten des Mittwinters den symbolischen Sieg des Lichtes über die Finsterniß, den wahren Sieg der Nächstenliebe und Barmherzigkeit über die finsteren Mächte des Hasses und Neides. Wenn wir daher in alte Zeiten zurückschauen und die vielfachen Bräuche, die zahlreichen Spiele und Umzüge uns noch einmal vergegenwärtigen, welche einst diesem Feste besonderen Glanz verliehen, so empfinden wir wohl kaum einen Schmerz darüber, daß heute all dieser äußerliche Prunk fast spurlos verschwunden ist; genügt uns doch der einfache Glanz des strahlenden Christbaumes und das lautere Gefühl, welches die

[841]

Weihnachtbilder aus Deutsch-Ungarn. Nach der Natur für die „Gartenlaube“ gezeichnet.
1. Der ungläubige Hirt Crispus. – 2. Die heiligen drei Könige. – 3. Obsthändlerin. – 4. Der Stern- und Baumträger. – 5. Maria, den Erzengel Gabriel an der Hand führend, Herodes und im Hintergrunde der Lakai. – 6. Kirchgang zur Mette. – 7. Csikos-Weihnachten. – 8. Der Teufel. – 9. Die Pharisäer und die gläubigen Hirten. – 10. Der Wirth. – 11. Der Hauptmann.

[842] Herzen der um ihn Versammelten durchdringt. Und finden wir in irgend einem entlegenen Dorfe noch Ueberreste jener alten Weihnachtspiele, so ist es nur ein äußeres Interesse, welches ihr Anblick in uns erweckt, fern aber bleibt uns dabei das Verlangen, dieselben in unserer Heimath wiederzubeleben.

Sie würden auch in unsere Zeit gar nicht hineinpassen, diese alten Weihnachtspiele, wenngleich sie in Süddeutschland und Deutsch-Ungarn noch dann und wann aufgeführt werden. In dem naiven Glauben des Volkes hatten sie einst ihre beste Heimstätte, da uns aber dieser verloren gegangen, so sind auch sie unrettbar dem Untergange geweiht. Schon heute, da wir uns anschicken einen flüchtigen Blick auf jene alten Weihnachtspiele zu werfen, beschleicht uns das Gefühl, als wäre es nicht leicht, einem Gegenstande Glanz und Farbe zu leihen, der doch längst nicht mehr dem Leben der Gegenwart, sondern nur noch der Geschichte angehört. Aber vielleicht liegt doch gerade darin ein besonderer Reiz; denn:

Es trägt den Heil’genschein das zeit- und räumlich Ferne,
Und wären sie dir nah’, nicht glänzten dir die Sterne.“

Die Benennungen der alten Weihnachtspiele, wie „Christkindspiel“ und „Paradiesspiel“, deuten darauf hin, daß sie im Christenthum fußen und die biblische Legende zu ihrer Grundlage haben. Die geschichtliche Forschung bestätigt auch in vollem Umfange diese Vermuthung; denn bereits im vierten Jahrhundert wurde die Feier der Geburt Christi in der abendländischen Kirche eingeführt und gestaltete sich bald zu einem großartigen Kirchenfeste. Man begnügte sich dabei nicht mit Predigten und Messelesen, sondern führte einzelne Abschnitte der heiligen Schrift dramatisch auf, da solche Darstellungen tiefer als Predigten auf das Gemüth des Volkes einwirken mußten.

So wurde beispielsweise in den Gotteshäusern eine Krippe hinter dem Altare erbaut und darauf das Bild der heiligen Jungfrau gestellt. Vor dem Chor auf einer Erhöhung stand ein Knabe, welcher den Engel darstellte und die Geburt Christi verkündete. Dann aber erschienen die Hirten; sie begrüßten Maria und beteten das Kind an. Ihnen folgten die drei Könige etc.

Anfangs wurden diese Darstellungen nur von Geistlichen aufgeführt, später aber auch Laien zu diesem Zwecke verwendet, bis die Spiele zu argen Ausschreitungen führten und aus den Gotteshäusern verbannt wurden. Da gab es z. B. ein Fest der Unterdiaconen, auch das Fest der Narren und das Eselsfest genannt, bei welchem sich die Schuljugend einen Bischof wählte und die kirchlichen Ceremonien nachahmte. Durch Einmischung älterer Personen artete jedoch dieser Brauch bald in so hohem Grade aus, daß die Baseler Kirchenversammlung ihn untersagte, „weil die Einen, in bischöfliche und priesterliche Gewänder gekleidet, den Segen ertheilten, Andere sich als Könige und Fürsten verkleideten, Andere verlarvt Schauspiele, wieder Andere Tänze und Gelage abhielten, und zwar alles in der Kirche.“

Ungebundener entwickelte sich in den späteren Jahrhunderten das Weihnachtspiel auf dem weltlichen Boden. Privathäuser und Gastwirthschaften bildeten seine Zufluchtsstätte. Weltliche dichteten es in verschiedenen Variationen, und Weltliche führten es auf. Eine Sammlung der noch erhaltenen Texte dieser Dichtungen finden wir in dem K. Weinhold’schen Werke „Weihnacht-Spiele und Lieder“ und ersehen aus derselben, daß solcher Spiele Werth tief unter dem der verwandten Passionsspiele steht.

Das gebräuchlichste unter ihnen war das Christkindspiel, welches die Verkündung des Engels Gabriel, die Geburt Christi, die Hirtenanbetung und die Huldigung der drei Könige, sowie den Bethlehemitischen Kindermord behandelte. Einige Proben aus diesem Spiele werden den Lesern einen Einblick in die Composition des Ganzen gestatten. In einem „geistlichen Gespiel“ aus Obersteiermark singt der Chor im Anfange des Stückes:

„In Galiläa ein Jungfrau wohnt
Von großen Qualitäten,
Zu Nazareth ganz wohl bekannt
Von hohen Dignitäten –
Regalisch war sie anzuseh’n etc.“

In einem anderen Christkindspiel lesen wir bei der Darstellung des Kindermordes:

„Hesel der dritt trabant hat ains am Spieß,
Kumbt getreten und spricht:
Ir lieben gselln, wol her wol her,
Zu würgen steet nur mein beger
Die Kinder, so ich han bekummen.

Ich hab ir viln das Leben gnumen,
Darvon trag ich ains an meim Spieß.
Haut drauf, stecht tot, poz peul, poz drües[1]!
Und laßt bei leib gar kaines leb’n.“

Nicht seltener wurde gegen Weihnachten das „Paradiesspiel“ aufgeführt, welches in einigen Texten gleichfalls bis auf den heutigen Tag erhalten blieb. Das eine führt den Titel: „Comedia vom Fahl Ade und Eve biß auf den verheißenen Sahmen Christum, auß fünff Historien zusammen gezogen und in eine kurtze ordnung gefaßt durch Georgium Roll.“

In diesen Paradiesspielen werden die Erschaffung des ersten Menschenpaares, sein Fall und seine Vertreibung aus dem Paradiese dargestellt. Die Sündigen werden dann von den Teufeln vor Gott gebracht, und es erfolgt ein Proceß, in welchem die Gerechtigkeit gegen und die Barmherzigkeit für die Menschen sprechen etc.

Diese allgemeinen Andeutungen dürften wohl genügen, um unseren Lesern das Verständniß für die Weihnachtspiele der Deutschen in Ungarn zu ermöglichen – die einzigen Weihnachtspiele, welche neben den steirischen sich bis jetzt im Volke erhalten haben.

Oberufer bei Preßburg, Zürndorf, Wiesen und Pötschen bei Oedenburg, hart an der nieder-österreichisch-ungarischen Grenze, zumeist nur von Deutschen bewohnte kleinere Dörfer, feiern alljährlich Weihnachten durch „heilige“ Spiele, durch welche die Geburt Christi verherrlicht wird und an welchen sich Alles, was laufen und stehen kann, betheiligt. Die handelnden Personen sind: die heilige Mutter Maria, der heilige Nährvater und Zimmermeister Joseph von Nazareth, ein Stern- und ein Christbaumträger, der Erzengel Gabriel, der Beelzebub, auch Satanas genannt, die drei gläubigen Hirten, Wittak, Richus und Gallus, dann Crispus, der ungläubige Hirt, die Rechtsgelehrten und Pharisäer, ferner die heiligen drei Könige Caspar, Melchior und Balthasar, der römische Reichsverweser Herodes, ein Hauptmann nebst Lakai, und der Wirth. Mithin handeln im Ganzen zwanzig Personen, ausnahmslos junge Burschen oder ledige Männer, die in ihrer charakteristischen Vermummung auf unserm umstehenden Bilde dargestellt sind.

Lange Zeit vor Weihnachten, oft schon zu Ende des Monats September werden die hierzu befähigten Personen gewählt, dürfen jedoch nur dann „mitspielen“, wenn sie sich verpflichten, während der Zeit der Vorbereitung bis zum Schlusse der Spiele allerorts ein frommes tadelloses Leben zu führen. An der Einhaltung dieses Versprechens wird derart strenge festgehalten, daß nicht selten Dawiderhandelnde aus der Reihe der Spieler gestoßen werden, auch dann sogar, wenn der Ersatzmann nicht mehr im Stande ist, die ihm übertragene Rolle vollinhaltlich zu lernen. In einem solchen Falle ist die Stellung des Ausgestoßenen unter den Dorfinsassen keine angenehme; denn er bleibt lange Zeit die Zielscheibe für Hohn und Spott der Jugend, und oft, selbst bei Nacht, wenn er müde unter wärmenden Federn die Glieder streckt, dringt es an sein Ohr:

„Sixt’, warst du schön brav g’west,
Häst’ heuer mit g’macht,
So aber ist’s nix g’west,
Und a no ausg’lacht.“

Nach Erforderniß, oder je nachdem es die Arbeit gestattet, versammeln sich die handelnden Personen bei ihrem Instructor, der entweder der Herr Pfarrer oder der Schulmeister ist, um ihre Rollen dort zu lernen, was nach ihrer Meinung bei einem „g’studirten Mann“ leichter geht, und so lange die Bewegungen des Körpers zu üben, bis sie dieselben tadellos inne haben. Ist der Tag des Festes gekommen, so jagt Satanas, die kurzweiligste Figur des Spieles, durch das Dorf und ladet die Insassen zum Besuche des Spieles ein, indem er, auf einem Kuhhorn tutend, einen ohrenzerreißenden Lärm macht, mit schweren eisernen Ketten rasselt, mit Allen scherzt, Viele schreckt und ängstigt. Bald darauf beginnt der Auszug: Voran geht der Sternträger und ihm zur Linken ein kräftiger Mann, welcher einen mächtigen mit bunten Papierstreifen, Rauschgold, vergoldeten Aepfeln und Nüssen reichgeschmückten Tannenbaum trägt. Ihnen folgen in der Reihenfolge der Hauptmann, Maria, den Erzengel an der Hand führend, Joseph, Herodes und der Lakai, dann die heiligen drei Könige, die drei gläubigen Hirten, die Pharisäer und Gelehrten, diesen zunächst der Wirth und schließlich weit hinter dem Zuge, den Blick auf den Boden gerichtet, Crispus. Der Zug bewegt sich lautlos durch die Dorfstraßen nach [843] dem „Gmoandehaus“, in dessen Saale gespielt wird. Vor demselben angelangt, bleiben Alle stehen und singen den sogenannten Sterngesang ab, der folgendermaßen beginnt:

Ihr liab’n, meine Sänger, fangt’s tapf’r an,
Zu gruaßen woll’n wir’s heben an;
Wir gruaß’n alles, was am Himmel ist,
Vor allen andern unsern Herrn Jesu Christ.“

Sie grüßen im Verlaufe des Liedes Gott Vater und den heiligen Geist, die heiligen Engel, die Gestirne und enden:

So gruaß’n wir Dich durch den Fürewagen,
Der durch den Himmel thuat herum foahren.“

Unmittelbar darauf betreten Alle den Saal. Nun beginnt das Spiel, das in seiner Einfachheit drastisch wirkt und vom Passionsspiele in Oberammergau sich nur dadurch unterscheidet, daß die Bühne, ohne jeden Schmuck, nur ein enger, von Bänken abgegrenzter Raum, während dieselbe dort mit hübschen Decorationen ausgestattet ist. In früheren Jahren erschienen die Mitwirkenden der Weihnachtspiele in ihren Alltagskleidern, wogegen sich heute Einzelne charakteristischer Costüme bedienen. Den Prolog und Epilog spricht der Erzengel Gabriel, ein Kind, das beim Declamiren fast immer stecken bleibt. Die handelnden Personen bewegen sich in der Mitte der Bühne, während alle nicht Agirenden abtreten. Tritt ein Scenenwechsel ein, so erscheint das ganze Personal auf der Bühne und singt ein darauf bezughabendes Lied.

Wir haben in dem Vorstehenden das Wichtigste über die Weihnachtspiele der Deutschen in Ungarn kurz mitzutheilen versucht und bemerken nur noch, daß der Geschmack für derartige Aufführungen auch in jenen stillen Dörfern immer mehr schwindet.




Preßgeschichten aus der Rheinbundszeit.

Von Karl Braun-Wiesbaden.

Die Geschichten, die ich erzählen will, liefern einen kleinen Beitrag zu der großen Frage: Wie war es vor siebenzig Jahren in Deutschland, in dem Deutschland des Rheinbunds, kurz vor der nationalen Erhebung? Unsere Geschichtswerke, so gut sie sind, geben darauf keine Antwort. Sie haben die großen Ereignisse der Völker und Staaten im Auge, nicht die kleinen Leiden der Einzelnen und der bürgerlichen Gesellschaft.

Ich aber halte es für gut, zuweilen auch von den letzteren zu reden. Man erkennt daraus, wie die Staatsumwälzungen auf innere Verhältnisse einwirken. Man kann auch allerlei nützliche Vergleichungen ziehen, z. B. zwischen dem jetzigen deutschen Reiche und dem vormaligen Rheinbund. Oder man kann das jetzige Verfahren Deutschlands in den wiedergewonnenen Reichslanden Elsaß-Lothringen vergleichen mit der Art, wie die Franzosen in der Zeit von 1806 bis 1813 diejenigen deutschen Gebiete behandelten, welche sie gar nicht erobert oder durch Vertrag erworben, sondern zu einem Bündniß veranlaßt und denen sie ihre Freundschaft und Protection zugesagt hatten, indem sie sogar den betreffenden Landesherren „volle Souverainetät“ verliehen.

Hier spielen die Preßverhältnisse, die Handelspolitik und das Tabaksmonopol die erste Rolle, und so kann es denn auch an anderen Parallelen und Warnungen vor Rückfällen nicht fehlen.

Doch genug der Einleitung! Gehen wir zur Sache!

Als 1810 Napoleon der Erste das bekannte Decret über die Continentalsperre und die Verbrennung der ausländischen Waaren erließ, gab er zugleich dem Fürsten von Eckmühl, im gewöhnlichen Leben Marschall Davoust genannt, der damals in Hamburg ein unerhörtes Schreckensregiment führte, den Ausweg an die Hand, Deutschland auf militärischem Wege „von gefährlichen Menschen zu reinigen“. Der Auftrag zielte vorzugsweise auf die Herausgeber deutsch- und freigesinnter Zeitungen, in welchen Napoleon die Hauptgegner seines Despotismus sah.

Für die deutschen Zeitungen hatte er auch in Paris ein Specialpreßbureau errichtet. Dort wurden alle in Deutschland erscheinenden Zeitschriften und Zeitungen durchgemustert. Dann wurde eine Zusammenstellung alles Gefährlichen und Bedenklichen angefertigt und sowohl an den Polizeiminister in Paris, wie auch an den Napoleonischen Dictator in Deutschland, den Fürsten von Eckmühl, nach Hamburg gesendet. Der Buchhandel und der Zeitungs-Debit waren durch allerlei polizeiliche Nörgeleien gehemmt oder wenigstens verlangsamt. Dagegen mußten dem gedachten Preßbureau – leider waren es Deutsche, die sich zu diesem Schergendienste hergaben – auf dem directesten und eiligsten Wege alle jene Drucksachen zugeschickt werden, zunächst damit ein Verbot allemal der Verbreitung zuvorkommen könnte.

Allein in Deutschland erschienen damals schon sehr viele Zeitungen, und das alles zu lesen, wurde den Lectoren des französischen „Centralpreßbureaus für Deutschland“ etwas unbequem. Wozu hat man aber die despotische Gewalt, wenn man sich nicht Unbequemlichkeiten vom Leibe halten sollte? Wozu sind wir denn die von dem Beherrscher Europas eingesetzte Behörde, welche berufen ist, zu entscheiden, was den Deutschen gut ist zu lesen und was nicht? Handeln wir also, statt zu disputiren!

Kurz danach, als die scharfen Continentalsperre-Decrete ergangen, scheint auch das Blokus-System gegen die deutsche Presse von Paris aus empfohlen worden zu sein. Denn um diese Zeit sprachen die französischen Gesandten bei den „Souverainen“ des Rheinbundes den betreffenden Regierungen den Wunsch aus, eine vollständige Statistik der gesammten in den betreffenden Rheinbund-Staaten erscheinenden periodischen Presse zu erhalten. Nur ein Bischen Statistik!

Ein solcher Wunsch war damals einem Befehl gleich zu achten. Denn ein französischer Gesandter bei einem „souverainen“ Fürsten des Rheinbundes hatte damals ungefähr dieselbe Machtstellung, wie heute die englischen Residenten bei einem anglo-indischen Regenten, oder wie ein französischer Regierungscommissar bei dem Bey von Tunis, ein englischer bei dem Khedive von Aegypten.

Kaum war die französische Regierung im Besitze der vollständigen, exacten und getreuen Rheinbunds-Staaten-Zeitungs-Statistik, als von Paris aus der Befehl erging, es wuchere da viel zu viel des Zeitungsunkrautes; es sei die Absicht Seiner Majestät des Kaisers der Franzosen, Protectors des Rheinbundes, Mediators der Schweiz etc., daß man die Sache vereinfache, daß von nun an in jedem Rheinbundsstaate nur ein einziges Blättlein erscheine. Das war schon etwas mehr als Statistik.

Dieser Absicht wurde natürlich Folge geleistet. Eine Menge von deutschen Blättern wurde unterdrückt, ohne daß man dafür irgend einen anderen Grund angab, als das Belieben des Kaisers der Franzosen. Man legte diesen Zeitungen nichts zur Last; man machte ihnen keinen Vorwurf. Man sagte ihnen einfach: „Hebet Euch weg! Ihr gefallt mir nicht; Ihr seid mir unbequem; ich habe keine Zeit, Euch zu lesen, was ich aber nicht zuerst selbst lese, das hat kein Recht für das Publicum zu existiren.“ Durch diesen Willküract der Preßpolizei wurde eine Menge Bürger völlig unverschuldet ihres Besitzstandes, ihres Gewerbebetriebes, ihrer Existenzmittel beraubt. Wenn sie Entschädigung verlangten, lachte man sie aus und machte die „Staats-Raison“ geltend.

In Frankfurt am Main, wo ein rheinbündlerisches Großherzogthum unter Dalberg, dem bekannten Fürst-Primas, vegetirte, erschienen damals folgende Blätter: Das „Ristretto“, das „Frankfurter Journal“, die „Oberpostamts-Zeitung“ und das in französischer Sprache erscheinende „Journal de Francfort“. Nur das letztgenannte Blatt fand, weil es in der Sprache der Fremdherrscher geschrieben, die volle Gnade. Halbe Gnade wurde der „Oberpostamts-Zeitung“ zu Theil, jedoch nur unter der Bedingung, daß sie sich mit dem „Journal de Francfort“ zu einer einzigen Zeitung verschmelze, welche in demselben Blatte sowohl deutsch wie französisch erschien. Das paßte aber keinem dieser beiden Blätter. Beide suchten um das Recht der abgesonderten Existenz nach. Aber sie mußten lange betteln, bis ihnen diese gewährt ward. Und auch dann geschah es nur unter der Bedingung, daß ihr Inhalt stets genau derselbe sein müsse.

Auch diese grausame Maßregel entsprang in erster Linie dem Bequemlichkeitsbedürfniß. Die Herren in Paris wollten absolut nicht mehr als eine Zeitung aus diesem halbfranzösischen deutschen Großherzogthum lesen müssen, und zu diesem Zwecke gestattete [844] man zwar aus besonderer Gnade zwei Blätter, aber beide mußten, unbeschadet der Verschiedenheit der Sprache, genau den nämlichen Inhalt haben; dann brauchte man eben nur eines zu lesen.

Daß dieser Gesichtspunkt maßgebend sei, daß man sich weder um die Rechte der Herausgeber und der Eigenthümer, noch um die Interessen des Publicums kümmere, daß die bloße Bequemlichkeit einer hohen Polizei hocherhaben stehe über allen Rechten und Interessen der Einzelnen und der bürgerlichen und wirthschaftlichen Gesellschaft, sowie über allen Bedürfnissen der Belehrung und Aufklärung der Massen, das hielt man gar nicht nöthig zu vertuschen. Nein, man proclamirte rückhaltslos als obersten Grundsatz, daß vor Allem die hohe Polizei nicht incommodirt werden dürfe.

Die übrigen in der Stadt Frankfurt erscheinenden Blätter, desgleichen alle diejenigen, welche außerhalb der Stadt, aber innerhalb des großherzoglichen Gebietes erschienen, wie die Hanauische, die Wetzlarische Zeitung etc., wurden einfach todtgeschlagen. Man verschmähte damals die Umwege und die raffinirteren Unterdrückungsmodalitäten, welche späterhin aufkamen, wie die ewig wiederholten polizeilichen Beschlagnahmen und Confiscationen einzelner Nummern, die endlose Kette von Verurtheilungen oder wenigstens von Anklagen und Verfolgungen, die tendenziöse Entziehung von Inseraten, das Verbot des Haltens, abhängigen Leuten gegenüber, das Verbot des Auflegens in Gastwirthschaften etc. Man hatte die Gewalt. Man war entschlossen, einen möglichst brutalen Gebrauch von derselben zu machen. Also schlagen wir einfach todt. „Todte Hunde beißen nicht mehr,“ sagt Sancho Pansa.

Um aber vor aller Welt klar und offenkundig zu machen, wie es mit der „Souverainetät“ bestellt war, welche Napoleon der Erste den Rheinbundsfürsten aus eigener Machtvollkommenheit verliehen, indem er sie von Kaiser und Reich gewaltsam loslöste, gingen alle jene Gewaltacte und Unterdrückungen in dem Gebiete des Großherzogthums Frankfurt über den Kopf des Großherzogs hinweg, direct von den Pariser an die Frankfurter Behörden, gerade als wenn das gedachte deutsche Großherzogthum eine französische Präfectur wäre und von Paris aus regiert würde. Der Fürst-Primas, der ein gut- und schwachmüthiger Herr war und dem solche Mißhandlungen seiner Unterthanen gar nicht gefielen, reclamirte dagegen. Er erhielt keine Antwort. Man gab ihm zu verstehen, er thue besser, zu schweigen.

In Hamburg erschienen drei, nach damaligem Maßstabe große Zeitungen: der „Correspondent“, die „Neue Zeitung“ und die „Börsenhallen-Liste“. Die beiden letzteren wurden ohne Weiteres unterdrückt. Dem „Correspondent“ wurde zwar das Leben geschenkt, jedoch nur unter der Bedingung, daß er zweisprachig erscheine, das heißt daß er neben seinem deutschen Text eine vollständige französische Uebersetzung abdrucke – natürlich auch das nur, um einer hohen französischen Obrigkeit das Lesen zu erleichtern. Dadurch wurden die Kosten des Blattes mehr als verdoppelt, seine Abonnenten aber vermindert, sodaß es eine Zeitlang vorzog, gar nicht zu erscheinen. Und der „Hamburger Correspondent“ war doch schon seit etwa hundert Jahren ein sehr angesehenes Blatt, das in ganz Europa gelesen wurde, besonders um seiner Handels- und Schifffahrtsnachrichten willen.

In Hamburg, wo, wie bemerkt, Davoust sein Schreckensregiment aufgerichtet hatte, erschien damals unter Anderem auch ein nicht politisches Blatt, betitelt: „Fahnenberg’s Magazin für die Handlung“. Der Herausgeber stand unter dem Druck der verhängten Maßregeln. Vielleicht war er auch persönlich bedroht worden. Kurz, er hielt sich und sein Blatt für gefährdet und glaubte etwas thun zu müssen, um den Neid der Götter zu versöhnen. Gerade damals spielte ihm der Zufall die Schrift Luther’s „von Kaufhandlung und Wucher“ in die Hand, die, sich an die bisherige canonische Weltanschauung anlehnend, in lebhafter Weise gegen den Ankauf ausländischer Artikel und Waaren ankämpft.

– „Ah,“ dachte der Herausgeber, „das wäre Wasser auf die Mühle der jetzigen Gewalthaber, welche die ausländischen Artikel verbieten, verfolgen und verbrennen. Das entspricht dem herrschenden System; bringen wir also Luther’s Worte in einem hübschen Artikel! Damit werden wir uns Ablaß für vergangene und zukünftige Sünden erwerben und unsere gefährdete Existenz wieder sichern.“

Gesagt, gethan! Aber in der Eile des Anstreichens der zum Abdruck bestimmten Stelle aus der Schrift Luther’s hatte der gute Mann übersehen, daß jene Strafpredigt mit den Worten schließt: „Wir Deutsche müssen Deutsche bleiben. Wir lassen nicht ab, wir müßten denn.“

Hätte er bedacht, daß es damals, 1811, in Deutschland verboten war, von Deutschland oder von Deutschen zu sprechen, dann hätte er die Schlußwendung gestrichen. In dem Wiederabdruck dieser Worte Luther’s wurde, obwohl sich die Stelle im Uebrigen recht wohl zu einer Beschönigung der Continentalsperre hätte verwenden lassen, „ein Aufruf zur Rebellion“ erblickt, und das Blatt wurde gemaßregelt aus Anlaß seines Bestrebens, durch Befürwortung der Napoleonischen Handelsfeindseligkeiten sich bei dem herrschenden Systeme einzuschmeicheln.

In Gotha lebte 1810 der alte Rudolf Zacharias Becker (geb. 1751, gest. 1822), damals in ganz Deutschland bekannt als Verfasser des „Noth- und Hülfsbüchleins für Bauersleute“ und des „Mildheimischen Liederbuches“, als ein Mann, der unermüdlich und mit gutem Erfolge durch Schrift und That sich bestrebte, für die Aufklärung und das Wohl der unteren und mittleren Schichten des Volkes zu sorgen. Politiker war er eigentlich nicht, und daß er überhaupt, auch nach damaligen Begriffen, kein „gefährlicher Mensch“ war, dafür bürgen zwei Thatsachen: Erstens war er schon 1786 fürstlich schwarzburg-rudolstädter Rath und dann 1802 auch desgleichen Hofrath geworden. Zweitens hatte ihn im October 1806 Seine Königliche Hoheit, der Fürst-Primas Großherzog von Frankfurt am Main, jener gegen Napoleon stets bis zum Uebermaße dienstbeflissene Präsident des Fürsten-Collegiums des Rheinbundes, dessen ich schon oben gedachte, zu seinem Geschäftsträger an den herzoglich-sächsischen Höfen ernannt. Allerdings hat der gute Becker von diesem „Charakter“ thatsächlich keinen Gebrauch machen können. Denn kurz darnach verbot Napoleon – von seinem Standpunkte aus mit gutem Grunde – seinen Rheinbundsfürsten jede diplomatische Vertretung bei und unter einander. Sie sollten ihm gehorchen und nicht unter einander conspiriren. Natürlich mußte sich der Fürst-Primas dieser Anordnung fügen.

Becker gab in Gotha drei Blätter heraus.

Erstens die „Nationalzeitung der Deutschen“. Diese wurde unterdrückt, nachdem sie eine Zeit lang ihr Dasein durch die Behauptung gefristet, sie sei keine politische Zeitung, sondern eine „moralische Wochenschrift“.

Zweitens den „Allgemeinen Anzeiger der Deutschen“. Dieser wurde – er war in der That nicht politisch – geduldet, unter der Bedingung der Streichung der Worte „der Deutschen“.

Er unterwarf sich natürlich dieser Bedingung.

Drittens eine Zeitschrift, betitelt „Jason“. Der wirkliche Redacteur und Hauptmitinhaber dieser Zeitschrift war Christian Ernst Graf von Benzel-Sternau, vormals in kurmainzischen und dann in badischen Diensten, auch damals Vertrauensmann des Fürst-Primas. Er hat sehr viel geschrieben, darunter auch zwei lange Romane „Das goldene Kalb“ und „Der alte Adam“; sie zeigen viel Witz, Welt- und Menschenkenntniß, werden aber dadurch etwas ungenießbar, daß der Verfasser zu sehr nach Jean Paul’scher Originalität hascht. In Folge dessen sind sie heute, vielleicht mit Unrecht, gänzlich vergessen.

Genug, in diesem „Jason“, Jahrgang 1811, erschien eine Abhandlung unter dem anspruchsvollen Titel: „Ansichten eines Reisedenkers“. Sie enthielt eine Lobrede über den Tabak und eine tadelnde Kritik der Art, wie unter König Ludwig dem Vierzehnten die Verpachtung des Tabaksgeschäfts betrieben wurde.

Der Aufsatz gab sich als Original. Er war es aber nicht, sondern nur eine Uebersetzung aus dem französischen Buche von Robin, das unter dem Titel „Reisen im Innern von Louisiana“ 1807 in Paris erschienen und von der kaiserlichen Censur nicht beanstandet worden war, im Gegentheil dem Verfasser Lob und Ehren Seitens der Regierung eingebracht hatte. Am 20. December 1811 gelangte ein Schreiben des Napoleonischen Polizeiministers an den „souverainen“ Herzog von Gotha, in welchem derselbe in der Weise, wie ein französischer Präfect an seinen Maire schreibt, ersucht wurde, den etc. Becker zu arretiren, seine sämmtlichen Papiere mit Beschlag zu belegen und gegen denselben wegen dieses den allerhöchsten kaiserlichen Interessen zuwiderlaufenden Aufsatzes in der in seiner Buchhandlung erscheinenden Zeitschrift „Jason“ das strafrechtliche Verfahren einzuleiten.

Diesem Ersuchen konnte jedoch nicht mehr entsprochen werden, weil der Generalgewaltige Napoleon’s, der Fürst Eckmühl, schon am 30. November durch ein Aufgebot von mehreren Hunderten

[845]

Juleneg – Spatzenweihnachten in Norwegen.
Nach einer Skizze auf Holz gezeichnet von Emil Schmidt.

[846] französischer Kürassiere, mit roßschwanzumwehetem Helme und blinkendem Harnisch sowie mit geladenen und gespannten Pistolen, den armen alten, gebrechlichen Becker in seiner friedsamen Hütte hatte aufheben und fortführen lassen.

Als der Herzog von Gotha, dem man auch hier wieder die äußerste Geringschätzung und die schnödeste Mißachtung seiner landesherrlichen Rechte zu erkennen gegeben hatte, nach dem Schicksale und dem Aufenthalte seines Unterthanen fragte, gaben ihm die Franzosen zur Antwort, Becker sei auf Befehl des Kaisers verhaftet worden; er werde als Gefangener „au grand secret“ behandelt, und folglich sei von nun an seine Existenz, sein Aufenthalt etc. für Jedermann, und also auch für seinen deutschen Herzog, das größte Geheimniß. In der That hat der gute alte Becker als „höchst gefährliches Subject“ vom 2. December 1811 bis zum 29. April 1813 in französischer Gefangenschaft in Magdeburg geschmachtet. Er war zum „Oublié“ geworden, und nur einem günstigen Zufalle verdankte er seine endliche Befreiung, freilich erst zu einer Zeit, da das Napoleonische Regiment schon sichtbarlich wankte.

Vielleicht werde ich ein anderes Mal über diese seine höchst interessante Leidensgeschichte berichten. Becker beklagt sich in seiner naiven Weise über die Wandelbarkeit der Ansichten des Kaisers über den Tabak.

„Weil der Kaiser 1810,“ schreibt er, „sich zum alleinigen Tabaksfabrikanten des ganzen Reichs erklärt hatte, so waren Robin’s Ideen vom Tabake falsch und anstößig geworden, indem die Wahrheit in despotischen Staaten nicht durch die Natur und das Verhältniß der Dinge, sondern durch den Willen des Herrschers bestimmt wird. Ich wäre also wegen einer nicht von mir gemachten, ohne mein Wissen gedruckten Uebersetzung einer Stelle eines französischen, in Paris mit kaiserlicher Censur und Genehmigung gedruckten Buches einer rechtsförmlichen Untersuchung unterworfen worden, wenn nicht der Marschall Davoust dem rechtlichen Verfahren durch seine widerrechtliche Gewaltthat zuvorgekommen wäre.“

Die Davoust’sche Gefangenschaft bewahrte ihn also vor der gothaischen Untersuchung. Da war denn doch am Ende die Arznei schlimmer als die Krankheit, die Hülfe schlimmer als das Uebel.




Wie erzeugt die Sonne ihre Wärme?

Ein Bericht über neuere Erklärungen und Vermuthungen.
Von Carus Sterne.


Von allen Vorgängen im Weltenraume, die das Erdleben und den Menschen als höchsten Inbegriff desselben näher angehen, trägt wohl keiner mehr den Charakter einer „brennenden Frage“ als der Ursprung der ungeheuren Wärmemenge, welche die Sonne Tag und Nacht, ohne jede Unterbrechung in den weiten Weltenraum hinausstrahlt. Wir dürfen die Sonne nicht etwa blos als eine Art von Central-Heizungs-Einrichtung unseres Planetensystems betrachten, sondern müssen sie uns vielmehr wie eine ungeheure Kraftmaschine vorstellen, von der die Erde, ebenso wie die andern Planeten, ihren gesammten Kraftbedarf bezieht und seit undenklichen Zeiten bezogen hat.

Nicht blos im gegenwärtigen Pflanzen- und Thierleben oder in den Strömungen der Luft und des Wassers, welche unsere Segelschiffe, Mühlen und Turbinen treiben, sondern auch in unsern Dampfmaschinen und elektrischen Apparaten wirkt die Sonnenkraft mittel- oder unmittelbar; denn alle Brennstoffe, mit denen wir die letztere in Betrieb setzen, mögen sie nun Holz, Steinkohle, Petroleum oder wie sonst heißen, sind organischen Ursprungs und von der Sonne erzeugt. Nur ganz vereinzelte und für das Gesammtleben wenig in Betracht kommende Kraftentfaltungen auf unserem Erdball, wie z. B. die Ebbe und Fluth, sind von dem großen Kraftübertragungsmittel der Sonnenstrahlen unabhängig.

Aber trotz des ungeheuren Kraftbetrages, der uns täglich und stündlich mit dem Sonnenlichte zuströmt, ist die von der Erde bezogene Licht- und Wärmemenge natürlich doch nur ein fast verschwindender Bruchtheil der von der Sonne im Ganzen und nach allen Richtungen des Weltraumes ausgestrahlten Kraftsumme, die man auf jährlich dreitausend Quintillionen Wärme-Einheiten[2], oder auf achtzehn Millionen Wärme-Einheiten für jede Stunde und jeden Quadratfuß ihrer Oberfläche berechnet hat.

Woher stammt diese unfaßbare Gluthmenge? Dürfen wir uns mit Stokes, W. Thomson und andern englischen Physikern die Sonne als einen unerschöpflichen Feuerbrunnen vorstellen, aus dessen Tiefe immer neue Gluthströme an die Oberfläche emporquellen, ohne sich je zu erschöpfen, oder doch wenigstens im Laufe der Jahrtausende an wärmender und leuchtender Kraft merklich nachzulassen? Schwerlich. Denn so hoch auch die Anfangstemperatur der Sonne angenommen werden mag, so ergiebt doch eine einfache Rechnung, daß die gesammte ungeheure Sonnenmasse, durch den oben abgeschätzten Betrag ihrer beständigen Wärme-Abgabe, sich schon in zweitausend Jahren um ungefähr viertausend Grad abgekühlt habe müßte, was offenbar der geschichtlichen Erfahrung widerspricht. Wir müssen demnach einen wenigstens annähernden Ersatz der beständig ausgestrahlten Wärmemenge voraussetzen. Wie können wir uns denselben vorstellen?

Die Physik der Sonne und aller Himmelskörper hat in den zwanzig Jahren, welche seit Entdeckung der Spectralanalyse verflossen sind, unendliche Fortschritte gemacht. Bis dahin herrschte in der Wissenschaft die im vorigen Jahrhundert von Wilson und Herschel aus der Beobachtung der Sonnenflecken abgeleitete Annahme, daß nur die äußere Hülle der Sonne Licht und Wärme ausstrahle, daß hingegen ihr Kern, den man öfter durch Risse der Hülle (in den Sonnenflecken) hindurch zu erblicken glaubte, ein dunkler, vielleicht gleich der Erde von Wesen unserer Art bewohnter Weltkörper sei. Durch die neue Beobachtungsmethode wurde diese ihrerzeit von Arago, Humboldt und den ersten Naturforschern getheilte Ansicht, die uns heute recht naiv vorkommen will, alsbald mit Entschiedenheit widerlegt, und die Sonne als ein Gluthball erkannt, dessen Temperatur nach den neueren Rechnungen von Rosetti (1878) mit einiger Wahrscheinlichkeit auf zehn- bis zwanzigtausend Grad Celsius geschätzt wird, während die älteren Schätzungen zwischen zwei- bis dreitausend Grad (Vicaire und Violle) und ein bis zwei Millionen Grad (Erikson und Pater Secchi) schwankten.

Welche dieser Schätzungen nun aber auch der Wahrheit näher kommen mag, jedenfalls machten es die neuen Beobachtungen unabweisbar, den Ersatz der beständig ausgestrahlten Sonnenwärme von den kolossalen Verbrennungsprocessen herzuleiten, welche man mittelst verbesserter Spectroskope beständig an der Sonnenoberfläche beobachtet. Aber selbst wenn der Sonnenkörper durchweg aus brennbaren Stoffen bestünde, z. B. einen einzigen Steinkohlenblock darstellte, so würde er doch nur etwa fünftausend Jahre lang die Unsumme von dreitausend Quintillionen Wärme-Einheiten liefern können, die er heute im Jahre ausstrahlt, und dann verzehrt sein. Man muß demnach wohl mit Bestimmtheit annehmen, daß in irgend einer Weise ein beständiger Ersatz der ausgestrahlte Sonnenwärme stattfindet, und in diesem Sinne sind verschiedene namhafte Physiker der Ansicht beigetreten, daß eine unaufhaltsam fortschreitende Verdichtung oder Zusammenziehung der Sonnenmasse beständig eine dem Verluste entsprechende Wärmemenge frei werden lasse. Helmholtz hat eine Rechnung aufgestellt, nach welcher der Sonnenkörper, wenn er durch plötzliche Zusammenziehung eines Urnebels von der Ausdehnung unseres Planetensystems auf seinen jetzigen Umfang entstande wäre, eine Temperatur von achtundzwanzig Millionen Celsiusgraden erlangt haben müßte. Dieselbe Wärmemenge würde nun aber auch bei der allmählichen Zusammenziehung der Sonnenmasse, wie sie die Kant-Laplace’sche Weltbildungstheorie voraussetzt, frei werden, und so würde diese Ansicht zugleich mit der Wahrscheinlichkeit in Einklang zu bringen sein, daß der Erde in früheren Perioden von einem damals noch ausgedehnteren Sonnenballe mehr Licht- und Wärmestrahlen zugeflossen sind, als heute, eine Annahme, die unter Anderem durch das Vorhandensein eines üppigen Pflanzenwuchses um den Nordpol bis in die Tertiär-Epoche hinein unterstützt wird.

[847] Eine andere Vermuthung über einen beständigen Ersatz der verbrauchten Sonnenwärme hat Robert Mayer von Heilbronn, der geniale Begründer der mechanischen Wärmetheorie, aufgestellt, indem er annahm, daß der Sonnenbrand eine beständige Nahrung durch die Schwärme von Meteoriten fände, die im Raume umher kreisen und, von der Sonne angezogen, in sie hineinstürzen, doch hat diese Ansicht bei den Fachgenossen verhältnißmäßig nur geringen Beifall finden können, da man wohl an einen ununterbrochenen Meteoritenregen denken müßte, um den verlangten Wärme-Effect zu erzeugen. Außerdem läßt diese, wie alle übrigen älteren Sonnentheorien, die unbefriedigende Annahme bestehen, daß eine ungeheure, völlig nutzlose Verschwendung der Sonnenwärme im Weltenraume stattfinde, sofern höchstens einige Procente derselben von den gesammten Planeten sammt ihren Monden erhascht würden, die weitaus größte Menge aber gerade für die nähern Angehörigen des Systems völlig verloren ginge.

Obwohl wir nun nicht behaupten können, daß die im Weltenraume zerstreute, für uns verlorene Sonnenwärme nicht auch da noch unbekannte kosmische Zwecke erfüllen könnte, und obwohl es uns nichts anginge, wenn sie auch gar keine erfüllte, so bleibt uns eine solche Annahme zugestandenermaßen unbehaglich, weil sie im Widerspruche steht mit den sonst im Naturgetriebe zu beobachtenden Regeln der Harmonie und Sparsamkeit, und man versteht darnach leicht die günstige Aufnahme einer neuen Sonnentheorie, welche der deutsche Physiker C. W. Siemens in London vor einigen Monaten aufgestellt hat, um alle die erwähnten Schwierigkeiten zu beseitigen. Diese Theorie geht darauf hinaus, eine Art Kreislauf der Wärme im Wirkungsbereiche der Sonne wahrscheinlich zu machen, indem sie zu zeigen sucht, daß die Sonne die von ihr in den freien Raum ausgestrahlte Wärme in einer andern Form (als Brennmaterial) zurückempfange, womit, wenn diese Ansicht endgültig begründet werden kann, einer nicht unerheblichen kosmologischen Schwierigkeit abgeholfen sein würde.

W. Siemens geht in seiner neuen Sonnentheorie von einer Annahme aus, die auch schon von mehreren anderen deutschen Physikern, namentlich von Zöllner, aufgestellt worden ist, daß nämlich der Weltraum nicht, wie man früher annahm, blos von einem sogenannten Lichtäther, sondern durchweg mit höchst verdünnten Luftarten (Gasen) erfüllt sei, und zwar mit Gasen von derselben Art, wie sie sich in den Atmosphären der Erde und der übrigen Planeten finden, nämlich Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Kohlensäure, Kohlenwasserstoff und noch mehreren anderen Wasserstoffverbindungen, sowie auch staubartig in diesen verschiedenen Gasen schwimmenden festen Massen. Unsere Atmosphäre würde demnach nicht, wie es sonst wohl hieß, in einer Höhe von zehn Meilen aufhören oder plötzlich an einen leeren Raum grenzen, sondern sich allmählich verdünnen und unmerklich in die sehr dünne Luft des sogenannten „leeren“ Raumes übergehen; ja man ist vielleicht gezwungen, anzunehmen, daß jeder Weltkörper eine seinen Massenverhältnissen entsprechende Atmosphäre aus diesem unerschöpflichen Vorrath an sich zieht. Dabei liegt der Schluß nahe, daß die schwereren Luftarten, wie Sauerstoff, Stickstoff und Kohlensäure, meist, wie bei uns, den Hauptbestandtheil dieser Atmosphären bilden werden, während die leichteren, namentlich der Wasserstoff und seine Verbindungen, in ihnen (selbst einen Luftballon tragend) emporsteigen und demnach jenseits der Atmosphäre, im Weltraum, vorherrschen müssen. Aber nicht allein die Planeten als Einzelwelten, sondern auch das Planetensystem als Ganzes wird im Vergleiche zu dem weiten Sternenraum eine Art dichterer Gesammtatmosphäre festhalten.

Diese Annahme von dem Vorherrschen gewisser in unserer Atmosphäre nur spärlich vertretener Gasarten (die sich durch Leichtigkeit und großes Verbreitungsvermögen auszeichnen) im Weltenraume findet eine Art unmittelbarer Bestätigung durch den auffallend großen Gehalt an solchen Gasarten, welcher Meteorsteinen eigen zu sein pflegt, die aus dem äußern Raum auf die Erdoberfläche niederfallen. Die Meteorsteine enthalten häufig in ihrer inneren Masse so viel aufgesaugte Gase, daß diese nach ihrer Austreibung durch Hitze mehr als den fünf- bis sechsfachen Raum des Steines einnehmen, und ein solcher in jüngster Zeit von Dr. Flight unmittelbar nach seinem Niederfallen analysirter Meteorstein enthielt ein Gasgemisch, dessen Gehalt an Wasserstoff und Kohlenwasserstoff über fünfzig Procent stieg, wozu noch zweiunddreißig Procent Kohlenoxydgas und siebenzehn Procent Stickstoff kamen, die beide etwas leichter als atmosphärische Luft sind.

Man nimmt allgemein an, daß diese Gase keineswegs erst beim Durchkreuzen unserer Atmosphäre von dem Meteoriten aufgenommen wurden, da letztere von Wasserstoff und seinen Verbindungen nur Spuren enthält, sondern daß er durch sein Erglühen in der Atmosphäre eher einen Theil seiner im Weltraum aufgesaugten Gase verlieren mußte. Ebenso hat bekanntlich die spectroskopische Untersuchung der Kometen ergeben, daß diese den Weltraum in allen Richtungen durchkreuzenden „Zigeuner“ besonders reich an Kohlenwasserstoffverbindungen sind, sodaß auch dadurch die Annahme von dem Vorherrschen des Wasserstoffs und seiner Verbindungen im Weltenraume bestätigt wird.

Suchen wir uns nunmehr das Verhalten des glühenden Sonnenballes zu dieser hauptsächlich aus brennbaren Gasen bestehenden Weltenluft vorzustellen. Ungleich den Planeten, welche an ihrer Oberfläche vorzugsweise nur die schwereren Gase verdichten können, vermag der Sonnenkörper vermöge seiner so viel größeren Masse auch das Wasserstoffgas zu fesseln, das wir häufig in ungeheuren Sprühstrahlen an seiner Oberfläche brennen sehen.

Siemens geht nun ferner davon aus, daß die Drehungsgeschwindigkeit eines Punktes am Sonnenäquator mehr als viermal so groß ist, wie bei der Erde, was nach seiner Meinung hinreichen muß, eine beträchtliche Erhebung der Sonnenatmosphäre über dem Aequator zu erzeugen, wie eine solche bereits im vorigen Jahrhundert durch den Astronomen Mairan vermuthet und zur Erklärung des Zodiakallichtes verwendet wurde (vergl. „Gartenlaube“ 1879, S. 177). Unter diesen Umständen muß nach Siemens die Sonnenrotation am Aequator ventilatorisch wirken, und die Gase der Atmosphäre dort in einer an den Saturnring erinnernden Form wegtreiben, während in den der Fliehkraft entbehrenden Polargegenden dafür andere Gase aus dem Raume angezogen würden, welche den beständigen Verlust am Aequator decken müssen. Es wäre somit ein einfacher Kreislauf hergestellt, fast wie der Kreislauf des Wassers auf der Erde, welches am Aequator in Dampfform aufsteigt und an den Polen in flüssiger Gestalt wieder niedergeschlagen wird, nur mit dem Unterschiede, daß die verbrannten Gase am Sonnenäquator in den weiten Planetenraum hinausgetrieben würden, um sich dort immer weiter auszubreiten und damit der Sonnenatmosphäre nicht gänzlich verloren zu gehen. Nicht selten mag es dabei vorkommen, daß in Folge der in der Sonnenatmosphäre wüthenden kolossalen Wirbelstürme zum Theil auch schwerere Dämpfe aus dem unteren Theile der Sonnenhülle in den Raum hinausgerissen werden, um dann vielleicht jenen Eisenstaub zu erzeugen, welcher häufig als meteorischer Niederschlag, namentlich auf Schneefeldern, beobachtet worden ist, und seine Entstehung aus Eisendampf dadurch verräth, daß seine Körnchen, wie die kleinsten Theile unseres Nebels, die Gestalt winziger hohler Bläschen besitzen.

Von den in der geschilderten Weise in den Planetenraum hinausgetriebenen Verbrennungsproducten der Sonne, das heißt in erster Linie der gasförmigen Verbindungen des Kohlenstoffs, Sauerstoffs, Wasserstoffs und Stickstoffs, muß man nun annehmen, daß sie sich im Planetenraum immer weiter ausdehnen und unendlich verdünnen werden. Nun ist es aber nach den Untersuchungen verschiedener Chemiker, namentlich Saint-Claire Deville’s, festgestellt, daß chemische Verbindungen um so leichter wieder in ihre Bestandtheile zerfallen, je mehr sie sich in einem anderen Mittel ausbreiten, z. B. mit großen Mengen von Luft oder Wasser aufgelöst und verdünnt werden. Mancherlei neue Versuche und Erscheinungen machen es außerdem sehr wahrscheinlich, daß das Licht die Zersetzung solcher in großer Verdünnung ihm ausgesetzter Stoffe erheblich befördert. So findet bekanntlich die Zersetzung der Kohlensäure in der Pflanzenzelle nur unter dem Einflusse des Sonnenlichtes statt, und es werden dabei als Endproducte stets sauerstoffärmere (brennbare) Stoffe, wie Holz, Harze, fette und ätherische Oele etc. gebildet.

Nach diesen und anderen Erwägungen erscheint es sehr begründet, mit Siemens anzunehmen, daß das in den Raum hinausstrahlende Sonnenlicht die darin im höchsten Zustande der Verdünnung befindlichen Verbrennungsproducte der Sonne und anderer Quellen wieder in ihre brennbaren Bestandtheile zurückverwandele, und sodann würde man nicht mehr sagen können, daß die in den Raum hinausstrahlende Sonnenkraft irgendwie nutzlos vergeudet würde. [848] Die Sonne würde sich vielmehr auf diese Weise beständig ein neues Brennmaterial selber erzeugen, wie sie es unter erschwerenden Umständen auch an der Erdoberfläche thut, indem sie den vorzugsweise aus Kohlensäure und Wasser bestehenden Dampf unserer Feueressen und Lungen wieder in Brenn- und Nahrungsstoff zurückverwandelt. Jenes im Raume durch Lichtzersetzung erzeugte Brennmaterial würde die Sonne an ihren Polen wieder an sich ziehen, um es von Neuem zu verbrennen und so einen beständigen Ersatz der ausgestrahlten Hitze und Helligkeit zu erhalten. Diese Verbrennung der Gase an der Sonnenoberfläche können wir stündlich beobachten und zugleich feststellen, daß dabei brennender Wasserstoff, wie es nach dieser Theorie der Fall sein muß, die Hauptrolle spielt. Auf diese Weise würde sich ein Kreislauf von bewunderungswürdiger Einfachheit vollziehen, den wir im Kleinen auch auf der Erde nachahmen können, wenn wir bei elektrischem Lichte Pflanzen wachsen lassen, um mit deren Holze die Maschine zu heizen, welche das elektrische Licht erzeugt.

Wir brauchen nicht nochmals besonders hervorzuheben daß es sich bei dieser Erklärung der gleichbleibenden Sonnenwärme nur um eine Theorie, wenn auch eine recht geistreiche und einleuchtende Theorie, handelt. Sie hat sich trotz mannigfacher Einwendungen, welche namhafte Gegner wider sie erhoben haben, bisher behaupten können, und man darf zu ihrer Unterstützung anführen, daß sich noch mancherlei andere kosmische Erscheinungen in ihrem Lichte besser verstehen lassen als bisher, besonders das räthselhafte Zodiakallicht, welches sich, wie wir früher (vergl. „Gartenlaube“ 1879, S. 177) beschrieben, als Lichtring über dem Sonnenäquator erhebt und uns die dort stattfindende Abschleuderung der Gase unmittelbar zeigt. Der am häufigsten gemachte Einwurf, daß eine wenn auch noch so dünne Gaserfüllung des Raumes den sich darin bewegenden Weltkörpern einen meßbaren Widerstand leisten müßte, ist durchaus unhaltbar; denn man müßte sich diese Weltluft natürlich, ebensowohl wie die Erdatmosphäre, mit dem Planetensystem kreisend denken, sodaß sie höchstens den fremden, in abweichender Richtung eindringenden Weltkörpern Widerstand bieten würde. Als eine solche Widerstandserscheinung hat man in neuester Zeit die Kometenschweife zu deuten gewußt.

Auch die sonstigen Erscheinungen an den Kometen bieten, wie schon angedeutet, gewisse bemerkenswerte Anhaltspunkte zur Stützung der Siemens’schen Sonnentheorie. Wie den Lesern der „Gartenlaube“ aus den Kometenartikeln des vorigen Jahrgangs (Nr. 30)[WS 1] erinnerlich sein wird, haben es die Untersuchungen des italienischen Astronomen Schiaparelli über die Ähnlichkeiten der Bahnen von Kometen und Meteoritenschwärmen wahrscheinlich gemacht, daß zwischen beiden Classen von Weltkörpern gewisse engere Beziehungen bestehen, ja daß die Kometenkerne vielleicht gar nichts anderes sind als Meteorschwärme. Nimmt man nun an, daß solche Meteorschwärme gleich den einzelnen auf die Erde herabfallenden Meteorsteinen bei ihren Wanderungen durch den Weltraum erhebliche Mengen von Wasserstoff und seinen Verbindungen aufgesaugt hatten, so würde man sich ihre Schweifbildungen in der Sonnennähe leicht durch die Austreibung der flüchtigen Wasserstoffverbindungen in Folge der dort herrschenden Hitze erklären können. So erleuchtet die neue Sonnentheorie gleichzeitig mehrere kosmische Erscheinungen und gewinnt dadurch ihrerseits an Unterstützung und innerer Wahrscheinlichkeit.




Von den ganz Kleinen.
Pädagogische Winke und Rathschläge.


Endlich, endlich! Er hat ihn im Arm gehalten, der glückliche Vater; er hat ihm das kleine Gesicht geküßt – und ein stolzes Gefühl durchfluthet sein Herz; es ist ein Junge, der erste Junge!

Und nun sitzt er in seinem Studirzimmer am offenen Schreibtisch, links die brennende Kerze, rechts die Flasche Wein mit dem Glase, aus dem er abwechselnd die Gesundheit des Kindes und der Mutter trinkt.

Vor ihm liegt eine Liste der Personen, die eine besondere Anzeige erhalten müssen; die Hand ermüdet nicht, wieder und wieder die Worte zu schreiben: „durch die glückliche Geburt eines kräftigen Jungen wurden erfreut N. N. und Frau.“

„Ich schnitt es gern in alle Rinden ein!“ Die alte Melodie, welche das Herz des Mannes bewegte, als seine Lippen den Mund der Geliebten im ersten Liebeskuß gefunden, klingt auch jetzt durch seine Seele, indem er der Welt die Geburt des ersten Kindes mittheilt. Nur das Leid preßt die Lippen zusammen, das Glück öffnet uns Herz und Mund. Vaterglück und Vaterstolz schwellen die Brust des schreibenden Mannes.

Er sieht seinen Knaben, strahlend in der Kraft der Gesundheit, allen Andern voran, als König im Spiel; er sieht ihn, hoch über den Andern, als König der Geister. Am Ziel, das er sich selbst gesteckt, das er selbst nicht erreicht, sieht er den Sohn. Nein, es ist nicht der Sohn, den er sieht: er ist es selbst. Er selbst ist’s, der, vergnügt und neu geboren, auf’s neue zu ringen beginnt um den Preis, der ihn einst gelockt und begeistert – er selbst erfaßt ihn; denn der Sohn ist er selbst; er selbst lebt weiter im Sohne.

Glücklicher, träumender Vater! So wie du, träumte vor Jahren dein Vater, träumt nach dir einst dein Sohn. Und mit dir träumen Tausend und Abertausend der Andern; Tausend und Abertausend der Andern werden sich irren wie du.

Ja, wenn alle die Träume Wahrheit würden, die wir an der Wiege unserer Kinder träumen! Es ist das ewige Vorrecht des Menschen, zu irren, und in diesem Fall kommt die Erkenntniß des Irrthums so allmählich, so spät und so selten ganz, daß sie schließlich nicht eigentlich unglücklich macht. Und das ist ein Glück. Wenn alle Könige würden, was bliebe da noch zu regieren? Es ist schon ein Vorzug, sich einer gesunden Mittelmäßigkeit zu erfreuen.

So verzeihlich diese Träume an sich sind, sie werden gefährlich, wenn sie, was leider sehr oft geschieht, Einfluß auf die Lebensgestaltung der Kinder gewinnen, wenn sie dieselben in Bahnen drängen, die ihrem Geist und ihren Neigungen fern liegen. Es gehört eine gewisse Entsagung dazu – und nicht alle Eltern besitzen sie – in dem Kinde ein eigenartiges Individuum zu sehen, ihm das Recht auf individuelle Entwicklung zuzugestehen. Es soll und muß das Kind nun einmal eine unveränderte Ausgabe ihrer selbst sein; es soll und muß ihre Wege wandeln, ihre Neigungen theilen, ihre Ziele erstreben. Die Folge davon ist eine arge Vernachlässigung des Studiums der Kindesnatur überhaupt, der Natur des eigenen Kindes im Besondern.

Und doch hat jede vernünftige Erziehung diese Kenntniß zur Voraussetzung. Wo will der Erzieher den Hebel ansetzen, wenn er die Natur des zu Erziehenden nicht kennt? Die Unwissenheit in Bezug auf das Wesen der Erziehung erhellt am besten aus der oft gehörten Redensart: Laßt das Kind erst älter, laßt es vernünftiger werden, dann geht es mit der Erziehung besser! Ist es nicht Aufgabe der Erziehung, das Kind vernünftig zu machen? Es soll doch durch die Erziehung zur Vernunft, nicht durch die Vernunft zur Erziehung kommen. Kinder durch Vernunft erziehen wollen, heißt nichts anderes, als erst die Früchte pflücken und dann den Baum pflanzen.

Die Erziehung muß sogleich nach der Geburt ihren Anfang nehmen, gewöhnlich aber beginnt man damit erst in einem Alter, in welchem sie, wenn nicht beendet, doch wenigstens sicher fundamentirt sein muß. Ein guter Gärtner wartet nicht, bis der Stamm sich gekrümmt hat; er bindet das gerade Stämmchen, damit es nicht krumm wird.

Es mag ja sonderbar scheinen, daß die Erziehung sogleich mit dem Leben beginnen soll, da der flüchtige Blick kaum eine Handhabe erkennt, um auf das junge Geschöpf einzuwirken. Es ist wahr, Moralpredigten verfehlen bei Neugeborenen ihren Zweck, sie helfen aber auch bei größeren Kindern nicht. Aber an Handhaben fehlt es dennoch nicht: woher nimmt denn die Natur die Mittel, durch welche sie den Säugling im Laufe eines Jahres dahin führt, daß derselbe seine Glieder mit ziemlicher Sicherheit gebrauchen, sich in der gewohnten Umgebung orientiren, Angenehmes und Unangenehmes sehr gut unterscheiden kann? Wie jeder weiß, bedarf es dazu besonderer Mittel nicht. Die Natur regt die im Kinde schlummernden Kräfte an – übt und leitet sie! Das ist alles.

Die Außenwelt mit ihren Erscheinungen und ihren Veränderungen, das eigene körperliche Befinden mit seinem angenehmen und unangenehmen Wechsel weckt den Geist des Kindes zur Thätigkeit, zur Beobachtung, zum Bewußtsein, zum Wollen, zur Selbstbestimmung. Zu der erst regellosen, unwillkürlichen Bewegung gesellt sich die Absicht; sie wird zum Versuch, und durch tausend und abertausend Versuche lernt das Kind seine Hände zum Greifen, seine Füße zum Gehen benutzen. Und ob der Versuch noch so oft mißlingt, er wird wieder und immer wieder gemacht, bis er gelingt, bis die Glieder dem Impuls des Geistes folgen. Von der planlosen Bewegung der Hände bis zum bewußten Greifen ist ein weiter Schritt. Dazwischen liegt das Bewußtsein von allen einzelnen Momenten der Bewegung und das Bewußtsein ihrer Aufeinanderfolge. Die fortgesetzte Übung führt dann zur Fertigkeit, zum unbewußten, automatischen Thun, wie wir es bei den Erwachsenen beobachten können. Ähnliches findet sich bei angehenden Schlittschuhläufern und Tanzschülern. Sie sind sich jeder Bewegung in ihren einzelnen Momenten bewußt. Der ABC-Schütze sieht jeden Buchstaben an, der fertige Leser hat nur den Gesammteindruck des Wortes.

Noch ist das Kind kein halbes Jahr alt, und schon wendet es den Kopf genau nach der Seite, woher der Schall kommt; es unterscheidet genau Fremdes und Bekanntes, Angenehmes und Unangenehmes; es giebt schon Zeichen eigenen Wollens. Allerdings, Worte kann das Kind in diesem Alter noch nicht sprechen; denn von allen Bewegungen sind diejenigen der Sprechwerkzeuge die schwierigsten, weil complicirtesten. Aber das Kind von einem Jahre versteht schon viele, das Kind von zwei Jahren die meisten Wörter des täglichen Verkehrs; es verbindet

[849]

Die Weihnacht des alten Junggesellen.
Originalzeichnung von R. Grützner.

[850] mit denselben den Sinn, den wir Erwachsene ihnen unterlegen, und ist im Stande, seine Gedanken und Wünsche mit den Worten der Sprache auszudrücken.

Sind das nicht untrügliche Zeichen einer vorhandenen, einer thätigen starken Geisteskraft? Sollte sich mit weiser Benutzung dieser Geisteskraft, welche das Kind in kaum zwei Jahren durch sich selbst zum Verständniß und theilweisen Gebrauch der Sprache führt, die Erziehung nicht anbahnen und bedeutend fördern lassen?

Das Kind nimmt die Welt, wie sie sich ihm bietet; es betrachtet und versteht sie, wie es dieselbe findet. Man führe das Kind in die wirkliche Welt, und es wird sich daran gewöhnen, wird es um so leichter, da es nie eine andere Welt gekannt hat. Ist dem aber so, dann arbeitet man an der Erziehung, und die erste Erziehung ist thatsächlich nichts anderes als Gewöhnung.

Man hört im Leben so oft und so viel von der Macht der Gewohnheit sprechen, daß man eigentlich erwarten sollte, alle Eltern ohne Ausnahme würden die Gewohnheit, deren Bedeutung sie kennen und von deren Macht sie sprechen, der Erziehung dienstbar zu machen suchen. Weit gefehlt; das Gegentheil geschieht. Man unterläßt nicht nur die Gewöhnung an das, was man später wünschen muß, sondern man duldet, ja man befördert Angewöhnungen, die später mit ganzer Autorität nicht selten vergeblich bekämpft werden. – Die Nacht ist zum Schlafen bestimmt; die Zeit zum Wachen und Wirken ist der Tag. Nun gehe man einmal des Nachts zwischen elf und zwölf Uhr durch die Straßen! In wie viel Häusern ertönt hinter matt erleuchteten Vorhängen klägliches Kindergeschrei! Es läßt sich mit Sicherheit behaupten, daß von hundert schreienden Kindern kaum eines gegründete Veranlassung dazu hat, und doch beunruhigen die schrecklichen Töne die ganze Familie und stören die Nachbarn im Schlaf.

„Was haben wir doch für ein unruhiges Kind!“ klagt dann am andern Morgen die Mutter der Nachbarin, „heut hat es wieder die ganze Nacht geweint, und ich habe kein Auge geschlossen. Wenn ich nur etwas dagegen thun könnte!“

„Sie können sehr viel dabei thun, Frau Nachbarin, Sie können die Sache fundamental ändern. Gewöhnen Sie nur das Kind zur rechten Zeit an Ordnung, und es wird Sie nicht zur Unzeit stören.“

Wer dafür sorgt, daß seine Kinder am Tage die nöthige Zeit wach sind und Wartung finden, kann mit Sicherheit darauf rechnen, daß sie in der Nacht schlafen und ihn schlafen lassen. Wer aber, vielleicht in Folge häuslicher Verrichtungen, gestattet, daß die Kinder den größten Theil des Tages schlafend im Bett verbringen, soll sich nicht wundern, wenn sie des Nachts unruhig sind und aufstehen wollen.

Vom ersten Tage an müssen sich die Kinder daran gewöhnen, zur bestimmten Stunde für die Nacht gebettet oder umgebettet zu werden. Ist das geschehen, dann bleiben sie unweigerlich sich selbst und dem Schlaf überlassen. Häusliche Verrichtungen, gesellschaftliche Verpflichtungen dürfen daran nichts ändern. Ja, sie mögen Gelegenheit bieten, die Kinder daran zu gewöhnen, daß sie auch von Jemand anders als der Mutter gebettet werden können. Wer Ruhe haben will, sorge zuerst und vor Allem für Regelmäßigkeit! Wer Gewicht darauf legt, daß auch die kleinsten Kinder vor der Nachtruhe entsprechende Zeit außerhalb des Bettes zubringen, wird bewirken, daß sie zur rechten Zeit müde sind und gut und ununterbrochen schlafen.

Selbstverständlich soll man die Kinder kurz vor der Nacht nicht aufregen. So pläsirlich und herzerfrischend es ist, die Kleinen im Nachthemdchen herumspringen zu lassen und mit ihnen zu scherzen, so wenig förderlich ist es der Nachtruhe. Jeder weiß, wie schwer es ist, in aufgeregtem Zustand einzuschlafen.

Immer muß das Kind von dem Augenblick an, in welchem es in’s Bett gelegt wird, allein bleiben, und zwar im finstern Zimmer. Es ist recht rührend, wenn die Mutter am Bettchen sitzt, bis die kleinen Augen, vom Schlaf bezwungen, sich schließen. Allein, was für die junge Mutter anfangs ein süßes Herzensbedürfniß ist, wird bald eine Last. Nur zu bald wird das Kind nicht einschlafen wollen, wenn die Mutter nicht bei ihm ist; nur zu bald wird es angstvoll die Mutterhand festhalten und bei dem leisesten Versuch, frei zu werden, erschrocken aus dem Halbschlummer aufwachen und flehentlich bitten:

„Mama, hierbleiben!“

Dann heißt es ausharren, stundenlang, oder das Ende ist langes, klägliches Weinen. Wacht ein so verwöhntes Kind in der Nacht auf, so ruft es alsbald nach der Mama; es weint, wenn sie nicht sogleich kommt, und mit der Nachtruhe der Familie ist es auf Stunden vorbei, besonders dann vorbei, wenn man das Kind daran gewöhnt hat, mitten in der Nacht auf den Armen in Schlaf getragen zu werden. Alle diese Dinge sind rührende Beweise selbstvergessener und aufopferungsvoller Mutterliebe, aber klug gethan sind sie nicht. Auch das Kind hat keinen Gewinn davon. Ist es daran gewöhnt, allein im Dunkeln im Bettchen zu liegen, so wird es, auch für den Fall, daß es mitten in der Nacht aufwacht, ganz von selbst wieder einschlafen. Die gleichen Gründe sprechen auch gegen das Schaukeln und Wiegen der Kleinen.

Der Erwachsene verbringt die Nächte schlafend und nimmt keine Nahrung zu sich; auch die Kinder müssen so schnell wie möglich an diese Lebensweise gewöhnt werden. Neugeborene Kinder kennen den Wechsel von Tag und Nacht nicht. Sie werden daher anfangs unruhig sein. Mit einiger Consequenz kann man sie aber bald dahin bringen, daß sie sich in das Nothwendige und Unabänderliche fügen.

Wir sagten vorhin, die Kinder müßten allein und im Dunkeln einschlafen. Das ist leicht gethan; denn man braucht sie nur nicht an das Gegentheil zu gewöhnen. Das Schlafzimmer soll dunkel sein; die brennende Nachtlampe ist keine gute Erfindung. Hat man ein Licht und Feuerzeug zur Hand, so kann man in jedem Augenblicke die erforderliche Beleuchtung herstellen, und das ist genügend. Aber abgesehen davon, daß der Schlaf im Dunkeln ruhiger und tiefer, also auch erquickender ist, als in einem wenn auch nur matt erleuchteten Raume, abgesehen selbst davon, daß Dunkelheit im Schlafzimmer den Augen zweifellos zuträglicher ist als Licht, müssen wir der Gewöhnung an Einsamkeit und Dunkelheit einen bedeutenden erziehlichen Werth zuerkennen. Es giebt nichts Lächerlicheres, als einen furchtsamen Menschen, der überall Gespenster sieht, in der Dunkelheit angstvoll auf jedes Geräusch horcht und erschrickt, wenn sich etwas regt. Dieser Furchtsamkeit entzieht man den Boden am besten dadurch, daß man die Kinder vom zartesten Alter an mit Einsamkeit und Dunkelheit vertraut macht.

Leider giebt es Eltern, und ich glaube es sind ihrer nicht wenige, welche die Furchtsamkeit in den Kindern wachrufen und systematisch pflegen, „Der schwarze Mann kommt und nimmt Dich mit,“ ist ein oft gehörtes Wort, wenn die Kinder nicht schlafen wollen. Die geheimnißvollen Furchtgestalten, die man aufruft, mögen in den verschiedenen Gegenden verschieden heißen, aber aufgefunden werden sie – Gott sei’s geklagt – fast überall. Und sie setzen sich fest im Herzen der unschuldigen Kinder; sie wachsen und quälen dieselben, und lassen sie nimmer und nimmer.

Der Effect bleibt denn auch nicht aus. Der eben noch lachende Kindermund verstummt; das Antlitz erstarrt; das strahlende Auge richtet sich angstvoll auf die Thür, an der dann auch, um das Maß der Thorheit voll zu machen, eine dumpfe Stimme oder ein geheimnißvolles Pochen ertönt. Das Kind schmiegt sich an Vater und Mutter, und der Keim zum Gespensterglauben ist gelegt. Tanten und Großmütter sorgen dann fleißig dafür, daß er auch die erforderliche Nahrung findet. Es ist leider nicht wegzuleugnen, daß die Quelle der Furchtsamkeit in der Kinderstube zu suchen ist.

Hilft gegen die Unarten des Kindes nicht ein ernstes Wort, so helfe die Ruthe. Aber Mittel, die das Kind für’s Leben schwach, lächerlich und sich selbst verächtlich machen, sollten nimmer und nimmer angewendet werden. Es ist doch wahrlich kein Ruhm, ein Kind gefügig zu machen dadurch, daß man ihm Grauen erregt.

Überhaupt sollten die Eltern viel vorsichtiger sein in Dem, was sie den Kindern erzählen. „Der Hund hat’s genommen.“ „Die Katze hat es geholt.“ „Der schwarze Mann hat es fortgetragen,“ hört man gar oft, wenn den Kindern etwas abgeschlagen wird. Warum sagt man nicht einfach: „Nein, Du sollst es nicht haben!“? Wie bald erkennen die Kinder die Unwahrheit der erwähnten Aussprüche!

Es ist sicherlich besser, die Kinder werden von vornherein mit dem Gedanken vertraut gemacht, daß es Dinge giebt, die uns versagt werden. Daraus ergiebt sich gar leicht die Erkenntniß, daß es Dinge giebt, die man sich versagen muß. Die beste Form des Versagens heißt: Nein! Weder Bitten noch Thränen dürfen das einmal ausgesprochene Nein erschüttern, wenn die Kinder nicht auf den Gedanken kommen sollen, es habe mit den Worten der Eltern überhaupt nicht viel auf sich. Einmal werden sie doch versagen müssen, einmal wird das Nein doch unerschütterlich feststehen, dann aber wird das Kindesherz sich kalt von den Eltern wenden, von denen es nun glaubt, daß sie grund- und planlos, ganz nach ihrer Willkür versagen und gewähren. Das Kind versteht nun einmal Gründe nicht. Es fühlt nur, daß die Mittel, welche bisher immer geholfen haben, plötzlich nicht mehr zum Ziele führen; es verstockt sein Herz, wird trotzig und zweifelt an der Eltern Liebe. Darum täuscht nicht, sondern versagt! Und habt ihr versagt, so soll es dabei bleiben.

Wer das Glück hat, kleine Kinder zu besitzen, weiß auch, daß jeden Augenblick eins davon fällt, sich stößt, klemmt, kurz sich in irgend einer Weise Schmerzen bereitet. Es ist natürlich, daß Vater und Mutter dabei Bedauern empfinden. Unnatürlich und schädlich aber ist es, wenn sich dieses Bedauern in übertriebener Weise kund giebt. Durch Bedauern, durch erschrockenes Zuspringen lindert man keine Schmerzen. Dadurch werden die Kinder nur aufgeregt und bestürzt, und ein an sich vielleicht ganz unbedeutender Unfall bekommt in ihren Augen eine Wichtigkeit, die er nicht hat. Stärkeres Weinen und Schreien sind die Folge.

Erfahrung macht klug. Mögen Kinder durch kleine Unfälle belehrt werden, wie man sie durch Vorsicht vermeiden und sich Schmerzen ersparen kann; mögen sie früh lernen, daß man Schmerzen ertragen muß!

Es ist ungemein lehrreich, zu beobachten, wie selbst schon kleine Kinder, die immer bedauert und getröstet, auch wohl beschenkt werden, wenn ihnen etwas zugestoßen ist, auf’s Neue und stärker zu weinen beginnen, wenn sie eine Person erblicken, von der sie ihren Tribut an Mitleid und trostreichen Worten noch nicht eingeheimst haben. Und Muttersöhnchen, die im Spiel Schläge bekommen haben, weil sie, um ihren Willen durchzusetzen, Spielverderber waren, schreien um so lauter, je näher sie dem elterlichen Hause kommen. Ja, man kann die Beobachtung machen, daß sie auf einem langem Wege erst eine Zeit lang pausiren, um dann bei „Sicht“ mit ganzer Lungenkraft Zeter zu schreien.

Lehrt die Kinder Schmerzen ertragen! Unzeitiges und übermäßiges Bedauern macht sie nur empfänglicher für dieselben. Sinnlos und moralisch verderblich aber ist es, den Kindern zum Trost Tische und Stühle zu schlagen, an denen sie sich gestoßen haben. Dabei lernt das Kind seinen ohnmächtigen Grimm an Leblosem und Unvernünftigem kühlen; dadurch kommt es zu der wahnsinnigen Überhebung, es müßte sich ihm Alles, Alles fügen.

Die Reihe dieser Rathschläge ließe sich noch weiter ausspinnen. Wir begnügen uns jedoch mit dem Obengesagten; denn es dürfte hinreichen, um den Leser zu überzeugen, daß die Erziehung der Kinder schon in der frühesten Zeit beginnen muß und daß sie, in dieser Zeit vernünftig geleitet, die besten Erfolge verspricht.

Th. Kabelitz.     


[851]
Blätter und Blüthen.


Spatzenweihnachten in Norwegen. (Dazu die Illustration auf S. 845.)

„Ich bin wohl ein gemeiner Wicht;
Das Singen gar versteh ich nicht;
In schönen Kleidern geh’ ich nicht –
Es sieht mich auch kein Mensch nicht an;
Nur böse Buben dann und wann –
Die werfen mich mit Steinen.“
  Julius Rodenberg.

Sprechen sie nicht laut genug zu uns, diese armen gefiederten Proletarier, welche doch nicht nur die frohe Sommerszeit, nein, auch den schlimmen Winter getreulich mit uns theilen? Sollten wir sie wohl umsonst bitten lassen? Vielleicht, daß Jemand noch mit ihnen abzurechnen hätte, mit jenem da wegen des kecken Kirschenraubes, und mit diesem hier wegen des dreisten Stibitzens der vollsaftigen Weinbeeren. All diese gestrengen Richter mögen Gnade für Recht ergehen lassen und dem armen Schelm verzeihen, auf den jetzt Hunger und Kälte eindringen. Seht doch nur: da sitzt der Aermste, geduckt im Kreise der Seinen, die Federn ringsum aufgeblasen, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, sodaß nur Schnabel und Auge aus dem Pelze hervorlauern. Jener hockt einsam im geschützten Winkel, sucht einen Fenstersims, einen Schornstein, um den Strahl der Wintersonne oder den Hauch des Herdfeuers aufzufangen; hier klopft gar einer mit kläglicher Miene an unser Fenster und fleht um ein Almosen. Ach, die Aermsten!

Wir wissen ein Land, wo die Spatzen es besser haben, als bei uns, wo ihnen im Winter auch einmal der gedeckte Tisch lacht, daß das sonst so lustige, in der Kälte aber so bekümmerte Vogelherzchen aufgeht vor eitel Lust und Freude.

Wohl sind wir in deutschen Landen mit Recht stolz auf unsere Weihnachtsfeier, die keine Nation in gleich innig sinniger Weise zu einem Feste der frohen Freude und Dankbarkeit zu gestalten weiß. Aber heute wollen wir von einem germanischen Brudervolk erzählen, das jenseits der Baltischen See wohnt, wo die Küste hoch aufsteigt, wo der Waldfinne seine Renthiere auf den Schnee-Alpen treibt und den hungrigen Wolf, den grimmigen Bären jagt, daß donnernd der Knall seiner Büchse aus düsteren Meeresbuchten widerhallt; im fernen Norwegen giebt es eine gute alte Sitte: Am Weihnachtsabend, wo Jeder besser lebt, als gewöhnlich, gedenkt man dort liebreich der armen Spatzen, die nicht gleich den Zugvögeln von dannen ziehen können. An jenem Abende nimmt in Norwegen jeder, auch der ärmste Mann, aus dem Erntevorrath ein volles Garbenbündel und befestigt dasselbe, wie unsere Abbildung zeigt, hoch auf einer Stange am Wohnhause. Es ist, als ob zu einer Zeit, wo die Schneedecke den armen Spatzen nur kümmerlichen und spärlichen Vorrath bietet, jeder dazu beitragen wollte, die schönen Trostesworte zu verwirklichen: „Sehet die Vögel unter dem Himmel an! Sie säen nicht; sie ernten nicht; sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater nähret sie doch.“

Diese Vogelfreude selbst heißt auf nordisch „Juleneg“, das heißt Weihnachtsbüschel. In weiter Entfernung schon wird man aufmerksam auf den Jubel, auf den Lobgesang des frohen Vogelhaufens in einem solchen Weihnachtsbüschel. So läßt Henrick Wergeland die Vogelschaar sich folgendermaßen über den Weihnachtsbüschel aussprechen:

„Ein Käthner, der arm im Walde wohnt,
Gab uns den Büschel, der am Pfahle thront.

Er hatte nur drei, gab einen uns hin:
Das Jesuskind regt ihm den stillen Sinn.

Der Schnee stürzt über das niedrige Dach –
Wir hausen im Büschel, bewahrt und gemach.

Kein Körnchen geht unserem Schnabel verloren,
Auch uns ist hier der Erlöser geboren.

Gott segne den Geber, sein Herz und sein Handeln,
Möcht’ ihm dieser Büschel in Gold sich verwandeln!“

Man möchte glauben, daß die auf- und abkletternden, hin- und herhüpfenden, kopfunter und kopfüber purzelnden Thierchen bei ihrer Seelenfreude ganz vergäßen, auch ihren Leib zu laben: jedenfalls ist es sicher, daß sie nicht darnach fragen, ob wir uns in mythologische Forschungen vertiefen, woher diese hübsche, uralte Sitte ihren Ursprung habe. Wahrscheinlich ist es hiermit, wie bei manchem der norwegischen Volkslieder, in denen es heißt:

„Das Lied, das hat sich selber gemacht;
Hoch vom Gebirge haben’s die Stürme gebracht.“

Im ganzen Norwegen und auch in Schweden bringt man, wenn Waldungen in der Nähe sind, die zusammengebundenen Garben von Hafer und Gerste, der Sonne zugewandt, auf 1,9 bis 2,5 Meter hohen Stangen an, um in Fall von Regenwetter geringerer Gefahr ausgesetzt zu sein. Von diesen Garbenbündeln giebt dann auch der, dem nicht viel gegeben ist, ab, sodaß es mit Hebel von der hungrigen Vogelwelt heißen darf:

„Sie seihe nit un ernte nit;
Sie hen kei Pflueg un hen kei Joch,
Un Gott im Himmli nährt sie doch.“


Der sogenannte Trompeter in den Hummelnestern. Vor nun bald zweihundert Jahren (1685) berichtete der holländische Maler und tüchtige Insectenbeobachter Van Goedart, er habe in den Hummelnestern einen Trompeter beobachtet, der jeden Morgen in den Giebel des Nestes steige und daselbst durch anhaltendes Summen die übrigen Hummeln zur Arbeit rufe. Da wir bei den andern gesellig lebenden Hautflüglern, namentlich bei Bienen und Ameisen, so viele den menschlichen Einrichtungen ähnliche sociale Errungenschaften kennen gelernt haben, so könnte uns dieses Seitenstück zu dem wachsamen Trompeter unserer Casernenhöfe durchaus nicht in Erstaunen setzen, aber merkwürdiger Weise waren bis heutigen Tages alle Bemühungen der späteren Beobachter, den Trompeter wieder einmal zu vernehmen, vergeblich, und man begann nach dem Beispiele Réaumur’s die Erzählung Goedart’s bereits ziemlich allgemein zu den Fabeln zu rechnen. Allein wiederholte neuere Beobachtungen von Professor Dr. Eduard Hoffer in Graz haben erwiesen, daß die Thatsache vollkommen begründet ist, sofern verschiedene unterirdische Nester bauende Hummelarten ihren mit Hingebung seines Amtes wartenden Wächter und Wecker haben, der die Bewohner des Morgens zur Arbeit ruft. In seinem zur Zeit im Erscheinen begriffenen, an anziehenden Lebensschilderungen sehr reichen Werke über „Die Hummeln Steiermarks“ (erste Hälfte, Graz 1882) erzählt dieser ausgezeichnete Hummelbeobachter, wie er im vorigen Jahre ein dreistöckiges und circa hundertfünfzig Arbeiter enthaltendes Nest der Sandhummel (Bombus argillaceus) geschenkt bekommen und in einem Kasten mit Flugloch und verfinstertem Glasdeckel aufgestellt habe, wobei die Hummeln, ungestört durch eine mehrstündige Reise, unverweilt ihre Bau- und sonstigen Arbeiten fortsetzten.

Gleich am nächsten Morgen hörte Professor Hoffer um dreieinhalb Uhr ein eigenthümliches, starkes Summen im Kasten und sah, nachdem er vorsichtig den das Glasdach verdunkelnden Holzdeckel hinweggeschoben, ganz oben auf der Wachshülle des Nestes ein sogenanntes „kleines Weibchen“ hoch aufgerichtet, mit dem Kopfe jedoch nach abwärts stehen und mit aller Macht gleichmäßig die Flügel schwingen, wobei der Ton anscheinend noch durch aus den Athemlöchern ausgestoßene Luft verstärkt wurde; das Thierchen fuhr mit dieser Musik fort, bis gegen viereinhalb Uhr, also circa drei Viertelstunden, während nach und nach die Hummeln hervorkamen und auf die Weide flogen. So ging es in der Folge alle Morgen: um dieselbe Zeit entstieg der Trompeter dem Neste und summte mitunter ununterbrochen eine ganze Stunde lang, bis er, völlig erschöpft, zusammensank; er erholte sich erst, nachdem er mehrere Minuten still gelegen, so weit, um wieder in das Nest kriechen zu können.

Der natürlich nicht wenig erfreute Beobachter konnte an den folgenden Tagen die Hausgenossen und verschiedene befreundete Hummelkenner zu dem wundersamen Frühconcert einladen, von denen dann der Eine (Herr Firtsch) den Trompeter auch bei der Steinhummel (Bombus lapidarius) vernahm. Wahrscheinlich haben nur die unter der Erde nistenden Hummeln einen solchen Trompeter, und vielleicht auch bei diesen nur die stärkeren Nester. So war der alte Insecten-Beobachter glänzend gerechtfertigt, und Professor Hoffer beschloß nun, ferner zu erproben, was geschehen würde, wenn er den Trompeter wegfinge. Er spießte ihn also für seine Sammlung auf, und am nächsten Morgen blieb Alles ruhig bis acht Minuten nach Vier, um welche Zeit schon einige Hummeln, müde des langen Wartens auf das gewohnte Signal, außen umherkrochen.

Zur gedachten Zeit aber stieg dann wieder ein „kleines Weibchen“ an der Wand des Kästchens empor und sang gerade so laut und anhaltend wie der vorige Trompeter, dessen Pflichten das Thierchen nun regelmäßig allmorgentlich erfüllte. Man ersieht hieraus, daß die Hummeln etwas mehr Aufmerksamkeit für ihr Leben und Treiben verdienen, als sie bisher gefunden haben, und ebenso wohl wie die Ameisen, für welche Sir John Lubbock jetzt Freunde wirbt, der Aufnahme in unsere Studirzimmer werth sind. Sie erscheinen ja in ihrem ganzen Benehmen höchst drollig und sind gar nicht so bösartig, wie ihre heißblütigen Schwestern, die Wespen oder gar die Hornissen; ja Huber versichert uns, mit eigenen Augen gesehen zu haben, daß sie ihre Gutmüthigkeit so weit treiben, sich von befreundeten Bienennachbarn, die sich ihnen schmeichelnd und bittend näherten, den letzten Tropfen Honig abbetteln zu lassen. Gerade im Hummelleben läßt sich gewiß noch viel Neues beobachten, und das oben erwähnte neue Buch Hoffer’s giebt die besten Fingerzeige dafür.


Die Dreiunddreißiger Gilde zu Parchim (in Mecklenburg) ist wohl in Deutschland eine der ältesten Gesellschaften ihrer Art; an ihre Entstehung und ihr Wesen knüpft sich viel des Eigenthümlichen, das einer kurzen Mittheilung wohl werth sein dürfte, dies um so mehr, als derartige dem Mittelalter entstammende Gesellschaften heute mehr und mehr auf den Aussterbe-Etat gesetzt werden.

Ueber die Entstehung dieser Gilde fehlen uns authentische Nachrichten; sie nannte sich vormals Corpus Christi und soll nach „Kleemann’s Parchimscher Chronik“ aus Veranlassung des schwarzen Todes, der um’s Jahr 1346 im Norden Deutschlands besonders stark wüthete und auch der Stadt Parchim tiefe Wunden schlug, zu mildthätigen Zwecken gegründet worden sein. Die Zahl 33 ist vermuthlich auf eine symbolische Anknüpfung an die Jahre zurückzuführen, die Christus auf Erden gewandelt hat. Es wurden ihr bei ihrer Entstehung bedeutende Liegenschaften verliehen. Ob die Einkünfte aber im Laufe der Zeit immer dem Zwecke entsprechend verwendet worden sind, ist zu bezweifeln; denn nach Kleemann’s „Parchimscher Chronik“ hat 1563 eine Visitation durch fürstliche Herren stattgefunden, bei der es an Monituren nicht gefehlt zu haben scheint.

Die Dreiunddreißiger Gilde ist beritten und trägt eine sehr kleidsame Uniform: grüne Schooßröcke mit gelben Knöpfen und Epauletten, grünes Beinkleid, an der äußern Naht ebenfalls mit gelben Knöpfen besetzt, einen dreieckigen Filzhut mit grünem Federbusch, Patrontasche mit schwarzem Bandelier und einen Schleppsäbel in gelber Scheide.

Die Abhaltung des alljährlichen Gildenfestes hat manches Eigenthümliche und nahm in früheren Jahren fast zwei Tage in Anspruch. Am ersten Tage wurden einige Straßen des Städtchens durchzogen und dann im Bruch’schen Hôtel ein Frühstück eingenommen. Am zweiten [852] Tage, dem Haupttage, holte, wie auch jezt noch, die Gilde die ihr von dem Großherzoge Friedrich Franz dem Ersten verliehene sehr werthvolle Standarte ab und zog hierauf nach dem nahe in schönstem Holze gelegenen Brunnen. Hier wurde zunächst das Frühstück eingenommen, und dann folgte ein Sport der eigenthümlichsten Art. Ein Theil der Gilde begab sich, mit Schußwaffen versehen, zu Fuß nach dem dem Brunnen nahe gelegenen Dorfe Slate. Hier wurde nun alles lebende Vieh, das in den Dorfstraßen zu erreichen war, erbarmungslos niedergeschossen: Hühner, Enten, Gänse und selbst Schweine führte man als Jagdbeute heim. Natürlich wurde alles erlegte Vieh gut bezahlt.

Nach diesem Jagdabenteuer hielt man auf dem Brunnen Tafel, bei der es immer sehr heiter herging, am Nachmittage aber wurde ein anderer Sport ausgeführt: Die Gildenbrüder nahmen auf dem Felde, mit Flinten versehen, in einem großen Kreise Aufstellung, in dessen Mitte eingefangene Hasen ausgesetzt und geschossen wurden.

Von diesem Vergnügen nach dem Brunnen zurückgekehrt, hielt man Appell und Revision des Anzugs ab, und wurden die hierbei vorgefundenen Mängel des Anzugs etc. fast immer mit dem Ausspruch: „Wir fehlen Alle mannigfaltig“ humoristisch abgethan.

Nun erfolgte der Rückmarsch, abwechselnd durch das Wecker- und Neue Thor, in die Stadt nach dem Bruch’schen Hôtel, wo die am Morgen in Slate gemachte Jagdbeute verzehrt wurde. Die Häuser an den hierbei zu durchziehenden Straßen waren auf das Glänzendste mit sinnreichen Transparenten versehen und illuminirt.

Wenn nun auch heute noch die Gilde einige liegende Gründe als Eigenthum besitzt und hieraus kleine Einkünfte bezieht, so ist doch, wie aus dem Mitgetheilten erhellt, die Mitgliedschaft mit bedeutenden Kosten verknüpft. Daher können denn auch nur die besser situirten Einwohner der Stadt diese Mitgliedschaft erwerben; es sind übrigens meist ältere Herren, die der Gesellschaft angehören; denn da die Zahl 33 nicht überschritten werden darf, müssen die Aufnahme Suchenden immer so lange warten, bis ein Mitglied ausgeschieden ist.

Zu dem Eigenthum der Gilde gehört unter Anderem auch eine kleine Baumgruppe von 33 Linden, unmittelbar vor dem Kreuzthore gelegen und Herzogslinden genannt. Jedes Mitglied hat seine eigene Linde, und jede dieser Linden ist mit einem Blechschilde versehen, welches den Namen ihres Besizers trägt. Bei Beerdigung eines verstorbenen Gildenbruders geleiten die Brüder in voller Uniform die Leiche zu den Herzogslinden, wo der Todte unter seine Linde getragen wird; hier wird alsdann die Weihrede gehalten.

Trotz ihrer theilweise rohen Gebräuche, haben die alten Gesellschaften, in deren Reihe die oben besprochene gehört, für uns moderne Menschen etwas um so Fesselnderes und Rührenderes, und so dürfte auch das hier über die Parchimsche Dreiunddreißiger Gilde Gesagte nicht ganz des Interesses entbehren.


Die Weihnacht des alten Junggesellen. (Abbildung Seite 849.) So weit kann es kommen, daß Hund und Katze an Kindesstatt angenommen werden, wenn ein Einsamer unter den Menschen keinen Freund mehr findet. Das Bild, das uns diesen Ausspruch abnöthigt, wurde nicht zum Scherze aufgestellt; es kann mit recht ernsten Augen betrachtet werden. Unwillkürlich legen wir uns die Frage vor: Ist es nicht eine Gedankenlosigkeit, in jedem „alten Junggesellen“, in jeder „alten Jungfer“ eine lächerliche Erscheinung zu sehen? Ja, ist es nicht geradezu herzlos, Menschen, die vom ersehnten Erdenglücke ausgeschlossen sind, ohne Prüfung, ob sie’s verschuldet oder nicht verschuldet, durch das ganze Leben mit dem Allerschwersten, mit Verhöhnung im Unglück, zu verfolgen? Wer selbst noch kein Trennungsweh erfahren, oder wer sich sicher in seinem Kreise fühlt, vergißt zu leicht, daß das Lebensglück schon so oft den beiden unerbittlichsten Feinden zum Opfer fiel: der Untreue und dem Tode unserer Lieben. Und Menschen, die, wie unser Junggeselle, durch so bitteres Weh in liebeleere Ehelosigkeit getrieben worden sind, verfolgt man mit dem Niederdrückendsten und Verbitterndsten: mit dem Fluche der Lächerlichkeit. Kein Wunder, wenn ein so Verfolgter endlich das Thier, das seine Wohlthat mit Treue und Anhänglichkeit lohnt, den Menschen vorzieht.

Aber der Christbaum, brennt er auf unserem Bilde nur für Hund und Katze? Sicherlich nicht! Solche Einsame schmücken sich ernste Stunden oft gar sinnig aus. Wir kannten einen solchen Alten – der feierte, seit den Tagen seiner Abgeschlossenheit, die Weihnacht still für sich getreu fort, wie einst in seinem Elternhause. Am Baume brannten so viel Lichter, wie er todte Lieben beweint hatte. Wenn er nun so allein vor dem leuchtenden Bäumlein saß, stiegen die Bilder seiner theuern Todten alle vor ihm auf; alle standen sie wieder um den Tisch, und alles Weh zwischen einst und jetzt war verschwunden vor den Freudenstrahlen all der lieben Augen. Wie aber dann ein Lichtlein um das andere erlosch, so versank ihm eine Gestalt um die andere, und war das letzte Licht verglommen, dann umgab ihn wieder die alte Einsamkeit, und die Weihnacht des alten Junggesellen hatte ein Ende.



Kleiner Briefkasten.

L. L. in Sydney. Eine Reihe illustrirter Artikel über das bisher wenig besuchte Yellowstonegebiet von Nordamerika gedenken wir unsern Lesern im nächsten Jahrgange unseres Blattes zu bieten.

Langjährige Abonnentin in Ungarn. Ihre Anfrage, die Seidenraupencocons betreffend, werden wir gern beantworten, bitten Sie jedoch um Wiederholung derselben mit voller Angabe Ihrer Adresse.

Z. in Magdeburg. Den von Ihnen gesuchten Artikel „Der tolle Platen“ werden Sie im Jahrgang 1864 auf Seite 552 finden.

Allein. Wir bedauern: Nein!

Lesekränzchen zu H. in L. Stefanie Keyser ist kein Pseudonym, sondern der wirkliche Name der durch ihre treffliche Erzählung „Der Krieg um die Haube“ bei unsern Lesern so schnell und so allgemein beliebt gewordenen Verfasserin.

W. S. in Z. Sie wünschen zu wissen, wo das Papier zur „Gartenlaube“ angefertigt wird? Das ist kein Geheimniß: in Bautzen und in Einsiedel bei Chemnitz. – Die von Ihnen genannte Fabrik hat uns nie auch nur einen Bogen geliefert.

C. M. in A. Besten Dank für Ihr freundliches Schreiben! Für das Manuscript haben wir leider keine Verwendung.

F. H. in L. Dritte Auflage 1880!

Amaryllis aus Athen. Wir sind in der angenehmen Lage, Ihnen die gewünschte Auskunft ertheilen zu können, und bitten Sie, Ihre Anfrage unter Angabe der vollen Adresse wiederholen zu wollen.

Rettung N. N. Wenden Sie sich persönlich an einen erfahrenen Arzt! Die von Ihnen namhaft gemachten Personen sind Curpfuscher und Schwindler.

Ein alter Abonnent in Kieferstädtel. Redactionsgeheimniß!

Alter Abonnent aus Hessen in New-York. Die gewünschten Auskünfte und Notizen über Ihre Heimath finden Sie am besten in dem jetzt bei C. Hoffmann in Darmstadt in zweiter Auflage erscheinenden Werke von Dieffenbach: „Das Großherzogthum Hessen in Vergangenheit und Gegenwart. 28 Hefte à 60 Pfennig.“



Für die Wasserbeschädigten des Rheingebietes!

Schwer vom Unglück betroffen wurden die Thäler des Rheins und seiner Nebenflüsse. Die über Mensch und Thier hereinbrausenden Fluthen wuchsen, wie die Zeitungen inzwischen aller Welt gemeldet, in wenigen Tagen zu der Höhe eines Wasserstandes an, wie ihn dieses Jahrhundert in jenen Gegenden noch nicht gesehen. Fast eine Woche lang standen die an den Ufern der Flüsse belegenen Ortschaften und Gemarkungen unter Wasser, sodaß deren Bewohner des schützenden Obdachs beraubt gewesen wären, wenn nicht nachbarliche Fürsorge wenigstens über die erste Noth hinweggeholfen hätte. Noch läßt sich die Größe des durch die Ueberschwemmungen angerichteten Schadens gar nicht überblicken; nur so viel steht fest: die Verheerungen an Gebäuden, Feldern, Vorräthen und Geräthschaften sind ungeheuer; Wein- und Kartoffelernten, die Haupteinkommensquellen der Bewohner jener Flußthäler, sind zu einem großen Theile völlig vernichtet, und so ist der Winter in die durchfeuchteten Wohnungen zahlreicher armer Familien eingezogen als ein unheilvoller Gast; denn Hunger und Elend, Krankheit und Verzweiflung werden ihm auf dem Fuße folgen, wenn nicht wirksame und andauernde Hülfe geschafft wird.

Um diese Hülfe, so viel an uns ist, zu bieten, erklärt sich die mitunterzeichnete Verlagshandlung hiermit zur Empfangnahme von Gaben für die schwer heimgesuchten Brüder am Rhein und seinen Nebenflüssen gern bereit. Ihr Deutsche alle, in Nord und Süd, in Ost und West, gebt mit vollen Händen und freudigen Sinnes!

Die Redaction und die Verlagshandlung der Gartenlaube. 




Nicht zu übersehen!

Mit nächster Nummer schließt das vierte Quartal des laufenden Jahrgangs. Wir ersuchen die geehrten Abonnenten, ihre Bestellungen auf das erste Quartal des neuen Jahrgangs schleunigst aufgeben zu wollen.

Die Postabonnenten machen wir noch besonders auf eine Verordnung des kaiserlichen General-Postamts aufmerksam, laut welcher der Preis bei Bestellungen, welche nach Beginn des Vierteljahrs aufgegeben werden, sich pro Quartal um 10 Pfennig erhöht (das Exemplar kostet also in diesem Falle 1 Mark 70 Pfennig statt 1 Mark 60 Pfennig). Auch wird bei derartigen verspäteten Bestellungen die Nachlieferung der bereits erschienenen Nummern eine unsichere. Die Verlagshandlung. 



Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

  1. Beule und Drüse.
  2. Als Wärme-Einheit bezeichnet man bekanntlich diejenige Wärmemenge, die man einem Kilogramm Wasser zuführen muß, um seine Temperatur um einen Grad zu erhöhen.

Anmerkungen (Wikisource)