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Der gegenwärtig mit freiem Auge sichtbare Komet

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Textdaten
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Autor: Ladislaus Weinek
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Titel: Der gegenwärtig mit freiem Auge sichtbare Komet
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 30, S. 501–502
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Der gegenwärtig mit freiem Auge sichtbare Komet.

Von Dr. L. Weinek, erstem Observator der Leipziger Sternwarte.

Zu den interessantesten Gebilden des Weltenraumes gehören die Kometen. Während der Verfolg ihres scheinbaren Laufes am Himmel uns wichtige Aufschlüsse giebt über die Gesetze, welche das Weltall beseelen, offenbart die Betrachtung ihres wechselnden Anblickes manches Räthsel über das Leben und Pulsiren in demselben. Der Besuch eines solchen Gastes in unserem Sonnensystem erscheint daher dem Astronomen hoch willkommen der Geheimnisse wegen, die dieser zu enthüllen verspricht. Und so richten sich plötzlich Hunderte von Fernröhren nach einer Stelle des Firmamentes, um über diesen schnellen Wanderer während der kurzen Zeit seiner Sichtbarkeit möglichst viel zu erfahren.

I. Der neue Komet in der Nacht vom 25. zum 26. Juni 1881.
Beobachtet und gezeichnet von Dr. L. Weinek.

Naturgemäß zerfällt die Beobachtung eines Kometen auf Sternwarten in zwei Arten, in die fortlaufende genaue Fixirung seines Ortes unter den Sternen für bestimmte Zeitmomente und in das Studium seines Wesens, sei es durch Analyse des Lichtes nach der wunderbar feinen, von Kirchhoff begründeten Methode, sei es durch Zeichnen oder Photographiren dieser Objecte in Verbindung mit allen Wahrnehmungen, betreffend die Veränderlichkeit derselben.

Auch auf der Leipziger Sternwarte ist der jetzt erschienene Komet so oft, als es die Witterung gestattete, gezeichnet worden. Das benutzte Fernrohr ist das große Aequatoreal dieses Instituts von 3,9 Meter Focallänge mit einer Objectivöffnung von 215 Millimeter (8 Zoll). Obwohl bei demselben die Vergrößerung bis zur siebenhundertundzwanzigfachen gesteigert werden kann, wurde doch die schwächste, die zweiundsiebenzigfache, gewählt, um nicht durch zu starke Ausbreitung des matten Kometenlichtes ein zu blaß nüancirtes Bild zu erhalten. Beide hier gegebene Abbildungen stellen den Kopf des Kometen nach oben, den Schweifansatz nach unten dar, also umgekehrt zur Wirklichkeit, wie dies allgemein durch astronomische Fernröhre, von welchen große Lichtstärke verlangt wird, geschieht. Sie sind um Mitternacht aufgenommen, damit die Dunkelheit des Himmelsgrundes das Erkennen von Details im Kopfe unterstütze. Die erste Zeichnung gehört der Nacht vom 25. zum 26. Juni, die andere der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli an.

II. Der neue Komet in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli 1881.
Beobachtet und gezeichnet von Dr. L. Weinek.

Bild I zeigt einen deutlichen, fast kreisrunden und gut begrenzten Kern, aus welchem drei eigenthümliche Lichtstrahlen nach unten (Nord), rechts (West) und oben (Süd) treten. Der lichte Bogen über dem Kerne, welcher in den Schweif übergeht, ist zur Sonne gerichtet. Imteressant erscheint dabei, daß derselbe nicht symmetrisch um den Kern liegt, sondern gleichsam nach rechts verschoben über demselben lagert und nach dieser Seite hin eine Zweitheilung aufweist. Diese Lichthaube ist im Sinne von Zöllner’s Hypothese (vergl. S. 498 dieser Nummer) über die Natur der Kometen als das Product einer vom Kerne ausgegangenen Dampfstrahlung zu betrachten, welche, zuerst nach der Sonne, der erregenden Wärmequelle, gerichtet, alsbald durch elektrische Abstoßung in der Richtung von der Sonne weg hinter den Kern getrieben wird und derart den Schweif bildet.

Sieht man eine vom Kerne entfernter abstehende Lichthülle als das Ergebniß einer in Zeit weiter zurückliegenden Ausströmung an, so würde aus dieser Zeichnung folgen, daß jene Ausströmung aus dem Kerne nicht in der Richtung der Achse des Kometen, sondern nach rechts hin stattgefunden habe. Den erwähnten Lichtbogen umhüllt noch, wie man sieht, ein feiner, in den Himmelsgrund verlaufender Dunst. Die deutlich erkennbare dunklere Partie in der Mitte des Schweifes, welche nahe unter dem Kerne ansetzt, ist so zu erklären, daß wir im Schweife einen hohlen Kegel schwach leuchtender Materie vor uns haben, der an den Rändern heller als in der Mitte erscheinen muß.

Während das Bild I einen vollzogenen Verdampfungsproceß und den Kern in zeitweiliger Ruhe zeigt, ist Bild II besonders geeignet, die Dampfstrahlung aus dem Kerne selbst in Form eines steilen, sich nach oben erweiternden Büschels oder Fächers mit eclatanter Abbiegung nach links vor Augen zu führen. Ueber diesem lagert ebenfalls eine Lichtwolke, welche einer früheren Ausströmung aus dem Kerne angehört, während sich weiter hinaus wieder feiner Dunst verbreitet. Diesmal war der Kern auffällig verlängert in der Richtung des Büschels und zeigte nach unten einen feinen, sich ansetzenden Lichtstrahl, ähnlich den dreien im ersten Bilde.

Vergleicht man eine fortlaufende Reihe von Zeichnungen des Kopfes dieses Kometen, so nimmt man deutlich die Unbeständigkeit der Lage des Ausströmungskegels wahr. Während z. B. dessen Achse am 27. Juni und 5. Juli völlig in die Schweifachse fiel, hatte diese am 4. Juli eine Neigung von nahe 30 Graden nach rechts gegen letztere. Auch diese pendelartige [502] zuerst von Bessel entdeckte Schwingung des Ausströmungkegels findet befriedigende Erklärung durch die Zöllner’sche Hypothese.

Widmen wir dem gegenwärtigen Kometen noch einige allgemeine Betrachtungen. Die erste Nachricht in Deutschland über einen in der südlichen Hemisphäre von Gould, dem Director der Sternwarte in Cordova (in der Argentinischen Republik), entdeckten Kometen erfolgte durch ein Telegramm von Gould selbst an die Redaction der „Astronomischen Nachrichten“ in Kiel und datirt aus Buenos-Ayres vom 1. Juni dieses Jahres. Der Komet wird darin als der Komet von 1807 bezeichnet, was darauf schließen ließ, daß Gould aus eigenen Positionsbestimmungen dieses Kometen bereits eine Bahn berechnet und die Aehnlichkeit ihrer Elemente mit jenen der Bahn des Kometen von 1807 constatirt habe. Da der Komet mit bedeutender Geschwindigkeit in nördlichere Breiten eilte und auch dem freien Auge sichtbar zu werden versprach, erwarteten die Sternwarten Europas lebhaft dessen Ankunft. In Leipzig konnte er wegen ungünstiger Witterungsverhältnisse erst in der Nacht vom 25. zum 26. Juni wahrgenommen werden, während ihn Kiel schon am 22. Juni beobachtete. Im Kopfe des Kometen war jetzt ein deutlicher sternartiger Kern zu erkennen, dessen Helligkeit jene des Polarsterns noch etwas übertraf. Der Schweif, welcher einfach erschien, konnte um Mitternacht bis auf 20 Grad Länge mit Sicherheit geschätzt werden. Jener Komet von 1807 dagegen wird geschildert als einer der schönsten und prachtvollsten Kometen, der an Glanz Sterne zweiter Größe überbot, mit hell leuchtendem, gut begrenztem Kerne und einem Doppelschweife.

Da das Aussehen der Kometen sehr variabel sein kann, indem dieselben großen physikalischen Veränderungen unterworfen sind, wird natürlich nicht dieses, sondern nur die Rechnung über die Identität der Bahnen beider Kometen zu entscheiden haben. Und diese, mehrfach unabhängig geführt, bestätigt in der That die nahe Gleichheit der beiderseitigen Bahnelemente. Doch fällt hier ein Umstand zu Ungunsten der Identität dieser Weltkörper bedeutend in die Wagschale. Der Komet von 1807 soll nämlich nach der sehr scharfen Rechnung des berühmten Königsberger Astronomen Bessel erst um das Jahr 3350 von seiner weiten Reise um die Sonne zu uns zurückkehren, und wir stehen vor dem Räthsel, wodurch diese Umlaufszeit von 1543 Jahren in eine von 73 oder 74 Jahren verwandelt worden wäre? – Als Bessel die sämmtlichen Beobachtungen jener Zeit von Ende September 1807 bis Ende März 1808 seiner Bahnbestimmung zu Grunde legte, erkannte er unzweifelhaft, daß jener Komet in einer geschlossenen Linie einhergehe – in einer sehr gestreckten Ellipse mit dem Längsdurchmesser von 286 Entfernungen der Sonne von der Erde – und fand die Umlaufszeit von 1713 Jahren mit einer Unsicherheit von etwa einem Jahrhundert, was der der Ungenauigkeit von Kometenbeobachtungen überhaupt und der Nothwendigkeit, aus einem sehr kleinen beobachteten Stücke der Bahn auf eine ungeheuer große zu schließen, sehr wohl erklärlich ist. Er zeigte aber, daß diese Bahn auf dem Wege des Kometen aus unserem Planetensysteme hinaus noch modificirt würde, und ermittelte überschlagsweise die Störungen, welche die großen Planeten Jupiter, Saturn und Uranus auf ihn noch üben könnten. Es ergab sich, daß diese die Umlaufszeit um 170 Jahre verkürzten, weshalb Bessel schließlich dieselbe aus 1543 Jahre festsetzte. Damals war aber der Planet Neptun noch nicht entdeckt, sodaß dessen Störungen nicht in Rechnung gezogen werden konnten. Wesentlich dieser Planet wird also demnächst als Störenfried in’s Auge zu fassen und vor Abschluß der betreffenden Untersuchung kein definitives Urtheil über Identität oder Nichtidentität zu fällen sein.

Schließlich sei noch bemerkt, daß der gegenwärtige Komet am 16. Juni Abends 8 Uhr 10 Minuten mittlerer Berliner Zeit der Sonne am nächsten stand, wobei die Entfernung beider Himmelskörper 14,7 Millionen geographischer Meilen betrug. In diesem Punkte seiner Bahn eilte er mit der Geschwindigkeit von 6,6 geographischen Meilen in der Secunde an der Sonne vorüber, während die Erde in gleicher Zeit nur 4,0 geographische Meilen zurücklegt. Hier also fand die lebhafteste Einwirkung der Sonne auf den Kometen und dessen größte Schweifentwickelung statt.

Verfolgen wir die weiteren Bahnverhältnisse des Kometen bis Ende Juli, so ergiebt eine einfache Rechnung folgende Daten:

Ende Juni Mitte Juli Ende Juli
Um Mitternacht des: 29. bis 30. 14. bis 15. 29. bis 30.
Entfernung des Kometen von der Sonne in Mill. g. M. 15,6 18,4 22,2
Entfernung des Kometen von der Erde in Mill. g. M. 07,8 13,8 19,6
Geschwindigkeit des Kometen in seiner Bahn um die Sonne in g. M. 06,4 05,9 05,4

Wir sehen daher, daß der Komet sich nunmehr schnell von der Sonne und Erde entfernt, weshalb er schon in kurzer Zeit dem freien Auge entschwunden sein wird. Hoffentlich ist er aber dann noch länger mit dem Fernrohre zu verfolgen, um eine möglichst genaue Bahnbestimmung desselben zu erhalten.