Die Gartenlaube (1882)/Heft 28
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No. 28. | 1882. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
Bob Zellina.
Die Casernenwohnung des Lieutenants von Hollfeld hätte recht gut als Typus der echten preußischen Officierswohnung bis zu den letzten siebenziger Jahren gelten können. Von dem eisernen Bettgestell mit seiner harten Matratze und den in grobes Leinen gehüllten Wolldecken in der Schlafkammer an, am schlichten, roth angestrichenen Kleiderspinde und dem wahrscheinlich behufs freundlichen Gegensatzes weiß gestrichenen Waschtische vorüber – bis in die Vorderstube hinein, wo sich durch die bereitwillige, gegen eine monatliche Vergütung von zwei Thalern erschwingbare Hülfe des braven Fribourg fast eine Art von Comfort breit machte. Nur der runde eiserne Ofen und die mächtige Kohlenmulde dahinter erinnerten hier an von Staatswegen Geliefertes – das weit ausladende Schlafsopha in seinem grün und violett gestreiften Bezuge, die beiden Armsessel davor, der eine in mildschwarzem Kleide, der andere im frischesten Cardinalroth mit ganz jugendlichen Troddelbehängen an den Lehnen – und vor Allem die beiden großen Bilder in ihren schweren Barockrahmen (eins über dem Sopha, eins über dem Schreibtisch) brachten diesen für ein Casernenzimmer „wohlhabenden“ Eindruck hervor. Besonders zu dem Schreibtischbilde – jenes andere war nur die Lachtaube aus Sue’s „Geheimnissen von Paris“ – sah der alte Fribourg (wenn er sich pünktlich am zweiten des Monats sein Geld holte) denn auch stets voll der Genugthuung empor – ein solches Kunstwerk bei so geringer Miethe geliefert zu haben. Es stellte eine Kleopatra dar.
Momentan lagen auf dem Cardinalrothen allerlei Kleidungsstücke, und ein größerer Koffer stand geöffnet neben dem Schreibtisch. An diesem saß Hollfeld und blätterte in einem geschriebenen Hefte, das beinahe wie ein Tagebuch aussah.
Er horchte jetzt auf und rückte die kleine Lampe weiter fort.
Da klopfte es. Unwillig kehrte er sich um und rief nicht gerade einladend. „Herein!“
Doch kaum erkannte er in dem Eintretenden den Regierungsrath Ruland, als er freudig aufsprang und denselben mit feinster Verbindlichkeit willkommen hieß.
Nach ein paar allgemeinen Gesprächsthemen, die Hollfeld immer mit einer gewissen Beharrlichkeit ausgesponnen hatte, sagte der Rath plötzlich, während er eine ihm angebotene Cigarre ungenirt über den Cylinder der Lampe hielt:
„Mein Kommen, Herr Baron, sollte aber keine bloße Gegenvisite sein – mir liegt Etwas auf dem Herzen, was Sie nun zu berühren gestatten müssen.“
Der junge Officier, welcher dunkelroth wurde und den Rath einen Augenblick durchdringend ansah, erwiderte nichts, zeigte nur durch eine Verbeugung an, daß er zu hören bereit sei.
Ruland blickte auf die Cigarre und folgte scheinbar sinnend einem Paar der grauen Ringel, die auffallend lange vereint blieben, dann sagte er in seiner kühl über Allem und Jedem stehenden Weise:
„Es betrifft natürlich meine Tochter! Sie waren während dieses ganzen Sommers so gütig, dieselbe in jeder Beziehung auszuzeichnen, haben ihr – wenn ich Alma recht verstanden, selbst von Ihrem Hoffen gesprochen, durch Ihre Einberufung zur Kriegsakademie – wozu ich übrigens sehr gratulire!“ – der Officier verbeugte sich von Neuem – „den Lauf Ihrer Carrière beschleunigen zu können. Ist mein Schluß zu kühn, wenn ich annehme, daß Sie zu dieser Aeußerung kein bloßes pour parler antrieb, sondern ein Gedanke, den Ihr offenes – ich muß das Wort wohl brauchen! wenigstens für Vater und Tochter offenes Bewerben –“
„Und Sie, Herr Rath,“ unterbrach Hollfeld hastig. „Sie billigen – wollen mein Bewerben gestatten? O Sie sind mir blos zuvorgekommen! Morgen bei meinem Abschiedsbesuche wollte ich fragen, Sie recht herzlich bitten – mir die Erlaubniß zu geben, daß ich mich Ihrem Fräulein Tochter gegenüber erklären dürfe. Ich brauche es doch nur zu versichern, wie zwischen uns noch kein bindendes Wort gefallen ist? Für Gedanken, wohl gar Blicke – ein Meer von Hoffnungen, dafür könnte ich nicht einstehen. Doch Sie selbst haben uns, wenn auch nur durch Stillschweigen –“
„Gewiß!“ fiel der Rath schneidend ein, „das ist ein Fehler gewesen. Ich habe leider zu lange geschwiegen.“
„Leider?“ rief Hollfeld, als hoffte er noch mißverstanden zu haben.
„Herr Baron!“ fuhr Ruland jedoch trocken fort, „ich fragte eben schon meine Tochter, ob sie etwa an einen Brautstand dächte, der sich – wählen Sie selbst die Jahre! – vielleicht zwölf, fünfzehn hinauszöge. – Ich hatte mich selbstverständlich ein wenig über Sie, respective Ihre Verhältnisse informirt und habe übrigens bis auf die prosaische, für uns Väter aber nun einmal den Ausschlag gebende Geldfrage blos Gutes, ja Vorzügliches gehört.“
„Wäre es also wirklich nur diese Geldfrage?“ versetzte Hollfeld warm, „in eine Wartezeit müssen sich so Viele finden und halten sie dann auch aus. Warum sollte unsere Treue hinter der Anderer zurückbleiben? Ich fühle mich zu Allem stark, weil ich [458] weiß, daß ich nie ein anderes Mädchen als Fräulein Alma lieben könnte.“
„Aehnliches hat wohl Jeder einmal gesagt,“ antwortete der Rath, indem er eine Wolke Rauchs vor sich hinblies. „Ich bin später doch anderer Ansicht geworden, habe nicht meine erste Liebe, sondern einfach eine tüchtige Frau genommen, wurde glücklich mit ihr und denke sogar, nebenbei gesagt, bald nochmals zu heirathen. Ueber Sie, Herr von Hollfeld, möchte ich mir natürlich kein Urtheil erlauben – es soll ja Menschen geben, denen die Treue sozusagen im Blute liegt; über meine Tochter habe ich eine ganz bestimmte Ansicht, welche ich mir nicht fortdisputiren lassen würde. Sie ist nur ein Mädchen, wie es Gott sei Dank viele giebt: im Grunde häuslich, schlicht, ein wenig passiv – jedenfalls ohne irgend einen Zug des Heroinenthums. Das Einzige, was sie zu einer Ausnahme stempeln könnte, wäre, daß sie uns so unter den Händen – wie es gekommen, haben wir Eltern nie ganz ergründen können – eine Art von Schönheit geworden ist. Schönheit, wissen wir aber Beide, ist eine zweischneidige Mitgabe: in unserem Fall erschwert sie jede Treue bedeutend, da sie immer von Neuem dazu anreizt, dieselbe auf die Probe zu stellen. Habe ich darin Unrecht?“
„Wenn ich so geliebt würde, wie ich liebe – sicherlich!“ entgegnete Hollfeld, ohne sich zu besinnen. „Wirkliche Liebe läßt eine Versuchung gar nicht aufkommen.“
„Und Sie meinen,“ fragte Ruland zweifelnd, „daß auch meine Tochter eines so ausschließlichen Gefühls fähig wäre?“
„Gewiß! Sie unterschätzen Fräulein Alma.“
„Vom Vater würde das allerdings unverzeihlich sein,“ erwiderte der Rath ironisch. „Es handelt sich aber eigentlich gar nicht darum; wir sind von meinem Thema abgekommen, also – wenn Sie gestatten, zum Ausgangspunkte zurück! Ich würde mich nämlich unter keinen Umständen dazu bereit finden lassen, eine so weit aussehende Brautschaft zuzugeben. Leider lassen sich ja Väter dazu herab: doch wenn Sie sich zwingen könnten, meinen Gründen gerecht zu werden, dürften Sie mir einräumen, daß dergleichen eine menschenunwürdige Quälerei protegirt oder gar gut heißt. Sehen Sie sich heute einmal die beiden Paare an, welche die Stadt von dieser Species besitzt: ich brauche Ihnen keine Namen zu nennen. Das eine Paar ist sieben Jahre verlobt, das andere, denke ich, fünf. Sie haben wohl beide Mädchen nicht jung gekannt?“
Hollfeld schüttelte den Kopf.
„Nun ich kann Sie versichern – Beide waren frisch, anmuthig, voller Reize. Heute sind Beide, Herr Baron, abgehärmt, älterhaft, gleichsam erblichen in Sehnsucht. Die Natur läßt sich einmal nichts Aberwitziges gefallen. Dabei ist für beide Paare noch kein Ende abzusehen, ja der eine der Herren Bräutigams ist wohl eben erst Premier geworden.“
Hollfeld sprang jäh auf, ließ sich aber mit den Worten: „Verzeihen Sie!“ wieder in seinen Sessel fallen.
„Könnten Sie diese ganz ungeschminkte Betrachtung widerlegen?“ fragte der Rath mild.
„Nein!“ knirschte der Officier mehr, als er sprach.
„Und selbst das ist noch nicht Alles,“ fuhr Ruland in demselben Tone fort. „Seit etwa drei Wochen ist der Sohn meines Jugendfreundes, des Commerzienraths Zellina, nachdem er auf Wunsch des kränklichen Vaters seine Stellung bei dem Wiener Bankhause seines Schwagers aufgegeben hat, ganz hierher übergesiedelt. Dieser hatte Alma, glaube ich, nie gesehen oder nur als Kind: in den drei Jahren wenigstens, seit ich hierher versetzt bin, ist er zufällig mit ihr nicht mehr zusammengetroffen. Einen um so rascheren und stärkeren Eindruck scheint sie darum jetzt auf ihn gemacht zu haben – da er bereits um ihre Hand angehalten hat.“
„Und Alma?“ rief der Officier erbleichend.
„Alma werden Sie mir helfen vollends zur Vernunft zu bringen,“ versetzte der Rath wieder schroffer. „Deshalb kam ich her. Außerdem freilich halte ich auch Nichts davon, wenn Zwei ohne Abschied aus einander gehen: es bleibt allzu leicht Etwas zurück, das in einem sensiblen Gemüthe gleichsam nicht sterben kann. Die Erfüllung dieser Wünsche erwarte ich aber von einem Ehrenmann, der es nicht erträgt, daß der leiseste Makel an dem Namen ihm theurer Personen haften bleibt.“
„Wie soll das zusammenhängen? was verlangen Sie?“ fiel Hollfeld empört ein.
„Für mich hängt das insofern zusammen“ setzte Ruland mit besonderem Nachdruck hinzu, „daß ein Mann, welcher es mit der Familien-, der eigenen Ehre so genau nimmt, nicht an fremdem Wohl rütteln, oder gar den Gegenstand seiner Liebe mit in die eigene Misere – Vergebung für das landläufige Wort! – herabzerren kann. Glauben Sie es nur, wenn Alma Ihnen auch das Gegentheil versichert hätte – sie ist nicht für Dulden oder Entbehren und noch viel weniger für dieses schier hoffnungslose Warten geschaffen – über Kurz oder Lang würde sie das bitter machen oder müde. Und wie wollte es eine edle Natur dann tragen, schuld daran gewesen zu sein, daß der Geliebten Glück zerstört worden? Denn für uns ist Bob Zellina’s Antrag ein Glück, das überhaupt mit nichts Anderem aufzuwiegen wäre. Ich gebe zu – nach menschlich irdischem Ermessen.“
Der Rath erhob sich.
In Hollfeld, der mechanisch gleichfalls aufstand, wogte es von den widersprechendsten Gefühlen: ein heißer Schmerz hatte momentan die Oberhand. Zerrinnen, verdämmern fühlte er Alles, was er als sein Heiligstes geachtet hatte. Groll über sie stieg dabei in ihm auf, die ihn schon hingegeben haben mußte, Groll über sich, daß er die Blicke auf Unmögliches gerichtet – bald freilich wieder eine Liebe, ein so innig Umfassen und in sich Aufnehmen, als müßte noch ein letztes Mal ganz empfunden werden, was ihm doch gehört hatte in selig unvergeßlichen Stunden.
Ihr Glück aber? – durfte er ihrem Glücke im Wege stehen? Bob’s Erscheinung, sein Wesen, das ihn neulich selbst so sympathisch berührt hatte, trat noch wie fürbittend vor ihn hin. Auch der liebte, und was konnte er dagegen einsetzen? War es keine Misère, in welche er die Geliebte herabzerren wollte?
Mit einem Blick des Mitleids, halb über sich, halb über das Aermliche seines Heims, dieses getreuen Abbildes von seinem ganzen Sein, streifte er das Zimmer – sah dann nach den dunklen Fenstern hinüber. Fern schrie Etwas: wieder das Käuzchen drüben im Ahorn auf dem Wallgange! Und als müßten die Gedanken etwas haben, das sie von dem Andern ablenkte – so dachte er an gestern Abend, wo er sich vergeblich an dieses Käuzchen herangeschlichen hatte.
Der Rath, welcher einmal durch’s Zimmer gegangen war, blieb aber ungeduldig stehen, und Hollfeld wußte wieder Alles: was eben zu Grabe getragen worden und was von ihm gefordert wurde. Auch erinnerte er sich plötzlich, daß der Rath von einer Wiederverheirathung gesprochen habe: daran knüpfte er an und fragte:
„Natürlich weiß Fräulein Alma, daß sie eine neue Mutter bekommt? Und sie verehrt und liebt die Dame?“
„Das weiß ich nicht,“ entgegnete Ruland achselzuckend. „Als ich ihr eben davon sprach –“
„Eben erst?“
„Ich pflege bei Dingen. die mich allein angehen, selten vorher die Einwilligung der Meinigen nachzusuchen.“
„In einem solchen Fall, wo es sich auch um das Glück – –“
„Selbst nicht in einem solchen Fall!“ unterbrach der Rath kalt. Er wollte dieses Thema damit augenscheinlich erledigt wissen.
Hollfeld durchfuhr ein heftiger Gedanke – dieser Mann hatte etwas beleidigend Gewaltsames in seiner Art! es war aber Alma’s Vater – somit Beherrschung! Und im Recht, in seinem Recht wenigstens, war er auch, so sehr sich das Herz dagegen aufbäumte. Wenn es eine Schuld hier gab – nicht der Vater Alma’s, nicht er selbst oder Alma trugen die Schuld, allein das Verhängniß, ihr Schicksal – wie sie es nennen wollen – das sie zusammengeführt hatte. Die Ehre mußte rein bleiben. Nichts aus Anderer Leid Erwachsenes durfte er sich zu eigen machen. Das ertrüge er nicht – der Mann dort hatte in Allem Recht!
Und Hollfeld richtete sich hoch auf und sagte ohne ein Beben in der Stimme, als beträfe es irgend etwas Gleichgültiges:
„Also wie Sie befohlen haben, Herr Rath – ich werde morgen mein Heil versuchen.“
Ruland sah ihn forschend an, doch in dem umschleierten Blicke des Officiers war nichts zu lesen. Mit einem schweren Händedruck trennten sich die Männer.
[459] Auf den leuchtenden Sonnenuntergang war ein bedeckter Tag gefolgt. Etwas gewissermaßen Stillendes hatte sich über die ganze Natur gebreitet, und obgleich kaum ein Lufthauch ging, fielen zahllose Blätter, verdorrte, doch auch gelbe und rothe. Nur höher, elastischer freilich, schienen die ihres Blattschmuckes entkleideten Stämme der Bäume emporzustreben.
Das bemerkte selbst Alma, die schon eine ganze Weile am Fenster gestanden hatte, ohne an Bestimmtes denken zu können, und sie fragte sich im Stillen: ob es den Menschen wohl ähnlich erginge? Wenn aller Schmuck, alle Freude des Lebens fiele, ob auch der Mensch edler würde – höher strebte? Es war für sie wie das Ende, ein Resultat der Gedanken, welche sie über Nacht bestürmt und sie gleichsam reifer – trauriger gemacht hatten. Sie fand aber auch darauf keine rechte Antwort – und so wollte sie sich, müde geworden, wieder zu einer Arbeit niedersetzen, als ihr der Lieutenant von Hollfeld gemeldet wurde. Nur ein stummer Wink gab dem Mädchen die Erlaubniß, ihn hereinzuführen. Sie drückte die Hand auf’s Herz; die Lider senkten sich halb über die Augen; sonst wartete sie, an dem Pfeilertische lehnend, bewegungslos das Eintreten des Officiers ab.
Hollfeld, den Kopf erhoben, kam anfangs rasch auf sie zu, dann verhielt er plötzlich den Schritt und blieb ein Stück vor ihr stehen. Alles, was er sich zurecht gelegt, der feste Vorsatz, es leicht zu nehmen, da sich, trotz der gegentheiligen Andeutungen des Rathes, nach und nach die Ansicht in ihm befestigt hatte, daß die Trennung auch Alma nicht unwillkommen sein könne – das Alles kam ihm bei dem ersten Blick in ihre matten Augen, diese überwachten Züge abhanden. In denen lag nichts als Schmerz – er brauchte also nicht zu heucheln; jede Maske durfte fallen.
Ein paar Augenblicke stand er wenig gefaßter als Alma da, stützte sich sogar einen Moment lang auf die Lehne eines Stuhles – bald hob er jedoch wieder das Haupt, trat der Geliebten näher und sagte mit seiner sonoren, auch jetzt nur weich gedämpft klingenden Stimme:
„Man hat anders über uns bestimmt, als wir gedacht – gehofft hatten! Ein bloßer Traum soll es gewesen sein? Und doch! Wird uns der Traum nicht bleiben? Muß nicht etwas Unvergeßliches davon in uns Beiden weiter leben? – Ihr Vater wollte nichts davon wissen, und er meinte Sie auch zu kennen. O, nun ich Sie gesehen habe, erschien es selbst mir wie Wohlthat, wenn es so wäre.“
Alma erwiderte nichts. Sie hatte wohl kaum auf den Sinn seiner Worte, nur auf die Stimme gelauscht: auf die Stimme, welche sie fortan nie mehr hören sollte. Die Augen weit öffnend, sah sie Hollfeld mit einem Blicke an, in dem sich innigste Liebe und Ergebenheit mit einer Trauer mischte, welche etwas Starres, Verzweiflungsvolles hatte. Bald sich aber gleichsam besinnend, sagte sie eintönig und als wäre es Eingelerntes:
„Mein Vater hat mir ja keine Ausbildung geben lassen, die mich zu etwas Anderem, als zur Hausfrau befähigte. Jedes Verlangen danach schalt er thöricht – da ich heirathen würde.“
„Erlassen wir uns doch jede Entschuldigung,“ wollte Hollfeld abbrechen „die kargen Minuten, welche uns noch –“
„Nein, nein!“ unterbrach ihn Alma mit schmerzlicher Heftigkeit, ich muß von Ihnen hören, daß Sie – wenn auch nicht billigen, was ich nicht einmal hören möchte, daß Sie nur begreifen, warum ich gerade so und nicht anders handeln kann. Mein Vater mag Ihnen das Aeußere gesagt haben, von dem, was es entschieden hat, kann er nichts wissen, sonst hätte er mir nicht so viel angethan. Sie wird meine Mutter – ich habe nicht mehr das Recht zu klagen; dennoch fühle, weiß ich klar, daß hier an meines Vaters Seite gerade für uns Beide kein Platz ist. Ihr ist mein Wesen unsympathisch, wie sie es mir immer gezeigt hat, und ich – ich vermöchte ihre Kühle nicht zu ertragen, nicht dieses ewig Abgemessene. Und ich muß weichen, habe ich mich doch geirrt – mein Vater liebt mich nicht. Ohne ein wenig Liebe von Anderen kann ich aber nicht leben. Es war ja von jeher so! Die Mutter erst, später Freundinnen und dann – Sie.“
Eine Sanftmuth, eine Hingabe hatte in der Art ihres Sprechens gelegen; voll tiefer Erschütterung rief Hollfeld:
„Meine Alma!“
Vergessen war sein Versprechen, vergessen Alles, was er sich abgerungen hatte, um ihrem Glücke nicht im Wege zu stehen. Gab es hier denn ein Glück ohne ihn? Bewiesen nicht ihre Blicke, jedes ihrer Worte, daß sie ihm und nur ihm gehöre?
Doch ehe die paar Schritte bis zu ihr gethan waren, ehe sich die Hand nach der ihrigen ausstrecken konnte, sah er sie zittern und in den Augen wieder das Starre hervortreten, dabei etwas gleichsam Verängstigtes. Und ein unbezwingbares Empfinden wehrte ihm plötzlich jede weitere Annäherung. Erschien Alles auch nur wie Unwillkürliches, gerade daraus meinte er zu ersehen, daß sie sich im Herzen trotz aller Worte ihm nicht mehr zu eigen fühle, von ihr doch wohl bereits überwunden sei, was ihm noch jeden Nerv zucken machte. In einer Nacht überwunden!
Alma begann, zu Boden blickend, von Neuem:
„Nicht mehr Ihre Alma! Bin ich das überhaupt gewesen? Wohl haben Sie sich zu mir herabgelassen, doch an meiner Statt hätte eine Edlere, eine Stärkere stehen müssen, nicht ich armes schwaches Geschöpf.“
Wie im Schluchzen fuhr sie fort:
„Solche Starke hätte wohl auch hier ausgehalten oder wäre in die Fremde gegangen, dienend um ihr Glück – für Sie! Ertragen hätte sie die Vorwürfe, den Kummer des Vaters, seine Bitten verlacht und nur auf das Ende gesehen. Ich – ob ich seit gestern auch gedacht und mich zerquält habe, gebettelt um einen einzigen Ausweg – ich fand nichts. – Aber Sie!“ rief sie plötzlich, wie von neuer Hoffnung belebt, „Sie wissen einen. Ihr Blick sagt es mir! O mein Gott – wäre dieses noch möglich?“
Doch nur Hollfeld’s Liebe hatte sich nochmals emporgerungen. Erschien Alma doch beinahe noch rührender in ihrem Kleinmuth, dieser Schwäche, die einer Stütze so bedürftig war!
Schon faßte er sich aber und sagte mit höchster Selbstüberwindung:
„Auch ich weiß von keinem anderen Auswege, als dem, welcher für Sie der einfachste, der Ihrer Natur allein gemäße ist. Ihr Herr Vater wußte wohl, was er mit dem Abschiednehmen forderte. Hätten wir uns nicht mehr gesprochen, wäre auch in uns vielleicht Etwas zurückgeblieben, das uns immer geklagt: der Andere hätte einen Ausweg gewußt. Und das wäre uns wie ein stetes Weh im Herzen geblieben. Jetzt ist davon nichts möglich: Sie fragten schlicht und klar, und ich muß als Ihr Freund – der darf ich doch bleiben? – ebenso klar antworten: thun Sie nach Ihres Vaters Willen! Es ist so für Sie das Rechte.“
Er mußte bitter lächeln; mehr als solches Zusprechen hätte selbst Ruland nicht fordern können; das würde über eines rechten Mannes Kräfte gehen.
Es drängte ihn nun aber wahrhaft fort; so setzte er hastig hinzu:
„Ihr Herr Vater hat sich so tief in mein Gedächtniß gegraben, daß ich ihn niemals vergessen kann – es bedarf also keines persönlichen Abschieds mehr. Von Ihnen,“ er fuhr sich mit der Hand über Stirn und Augen, „doch ich will und kann mit nichts als Dank scheiden – für Alles, was so schön und hold gewesen. Es mag wohl in jeder Liebe so sein, daß wir viel von uns selbst dazu thun und die Geliebte dann gerade in dieser Gestalt sehen. Bald – bald werde ich Sie auch wieder so sehen; – im Augenblicke nur vermöchte ich wohl gar nicht, Allem gerecht –“
„Auch Sie denken nun klein von mir,“ fiel Alma mit zuckender Lippe ein, „ich fühle es. Doch wie ich dem Vater gesagt habe, daß ich Sie nie vergessen könnte, dieser einzige kurze Sommer mein Sommer gewesen ist, so darf ich es Ihnen sagen, trotzdem ich Bob Zellina – heirathen werde, weil ich muß, wie es so Viele von uns müssen. – Und es mag ja dann auch zum Guten werden, da ich weiß, wie ich dort geliebt bin und man Nachsicht mit mir haben, nichts anderes von mir fordern wird, als daß ich eine getreue Gattin werde. Das ist mein Hoffen.“
„Alma!“
„O haben Sie tausendmal Dank! Das war er ja noch, der alte unvergeßliche Ton.“ Sie faltete die Hände über die Brust. „Jetzt nichts mehr – nichts! Ich weiß nun doch, daß Sie mich trotz all meiner Schwachheit lieb behalten werden.“
„Nur lieb behalten?“ Hollfeld schien sie stürmisch an sich reißen zu wollen – sie hatte aber das Gesicht in den Händen verborgen.
So wandte er sich mit einem Schmerzenslaut ab und verließ, ohne sich noch einmal umzukehren, das Zimmer.
[460] Ueber eine Woche war vergangen. Eine Woche, die draußen in der Natur mit Sturm und Regen begonnen hatte, nach ein paar Uebergangstagen aber gleichsam durch einen neuen Sommer überraschte. Es war eine Wärme in der Luft – ganz wundersam: Schwärme von Mücken tanzten wieder; verspätete Schwalben jagten und Schmetterlinge, weiße, matte, sonnten sich ein letztes Mal.
Nicht sonderlich anders war es in Alma’s Gemüthsleben ergangen. Sie hatte sich in den ersten Tagen nach Hollfeld’s Abschied immer von Neuem in’s Gedächtniß zurückgerufen, was dabei gesprochen worden: und seltsamerweise war ihr gerade der Ausdruck seiner Mienen bei dieser und jener Wendung des Gesprächs gleichfalls mit erschreckender Deutlichkeit gegenwärtig gewesen. Nicht seine Worte ängstigten sie darum so, wie das, was er trotz seiner Weichheit in den letzten Augenblicken jetzt über sie denken möchte. Schon hatte sie deshalb beschlossen, ihm noch einmal Alles zu schreiben, was nur angedeutet, was gar nicht berührt worden, ihre ganze Schwäche, aber auch ihre Stärke – doch wozu? wozu noch? Die Frage gab schließlich den Ausschlag, es nicht zu thun. Und war es denn überhaupt etwas so Unverzeihliches – vor solchem sich Herumstoßen in der Fremde, wie vor dem Zusammenleben mit dieser Stiefmutter ein völlig unbezwingliches Grauen zu haben?
Thränen waren ihr immer Erleichterung. Nur an dem Morgen von Hollfeld’s Abreise hatte sie keine gefunden: da war sie ruhelos durch Garten und Haus geirrt und hatte ihr einziges Genügen daran gehabt, ihn zu geleiten von Station zu Station. Und als ihre Gedanken am Abend gleichsam still standen, er an Ort und Stelle sein mußte, da war es erst über sie gekommen – das Gefühl des Geschiedenseins auf ewig.
Doch die erschöpfte Seele verlangt nach ihrem Gleichmaß, nimmt darum das Geringste, was dazu verhilft, mit doppelter Dankbarkeit hin: und Alma’s Vater, sobald er fühlte, daß sein Zweck erreicht war, die Liebe zu Hollfeld seinen Plänen – mindestens nicht mehr hindernd im Wege stand, hatte der Tochter gegenüber sofort wieder die alte joviale Weise angenommen, die ihn so liebenswürdig und Alma zufrieden und ruhig machte. Er schien ihr dann ja nur ein älterer Freund und sogar ein milder, kein strenger. Besonders jetzt that er ihr durch wahrhaft freie, jedoch wie ganz selbstverständliche Zuvorkommenheit zu Liebe, was er wußte, und hatte wohl auch Frau von Lossen bewogen, sich ihr mehr zu nähern. Diese holte sie an zwei Tagen hinter einander zu Morgenspaziergängen ab und plauderte dabei so ungezwungen und heiter, daß Alma diesem Grundzuge ihrer eigenen Natur um so weniger besonderen Widerstand entgegensetzte, als keinerlei Anspielung auf Vergangenes fiel. Eine solche konnte aber nicht fallen, da Ruland zu Niemand, selbst zu Frau von Lossen nicht, über Alma’s Neigung gesprochen hatte, um derselben so wenig als möglich Gewicht beizulegen und, wenn Vermuthungen oder Klatschereien bis zu Zellina’s dringen sollten, diese mit einem Scherzworte beseitigen zu können. Doch nicht einmal der Abwehr bedurfte es: der Geheimrath, welcher bereits den ganzen Sommer über gekränkelt, darum viel an’s Zimmer gebunden war, hatte keine Beziehungen nach Misdroy unterhalten, Bob war erst kürzlich angekommen, und vor Allem – der Verkehr zwischen Alma und Hollfeld hatte sich bisher nur in den einfach galanten Formen bewegt, die zwischen einem schönen Mädchen und einem feurigen jungen Officiere so natürlich sind.
Am Ende jenes zweiten Spaziergangs waren die Damen scheinbar zufällig Bob begegnet. Er schloß sich denselben an und machte auf Alma durch sein gehaltenes, wie unter leise Schwermuth gebanntes Wesen den günstigsten Eindruck. Selbst seine hohe Figur hatte, wenn er sinnend vor sich hinsah, etwas Gebeugtes, was Alma früher nicht bemerkt zu haben glaubte: dabei trat aber in keiner Weise Gesuchtes oder Forcirtes hervor; man ahnte nur, daß ihm etwas angethan sein müsse – daß er leide. Und Alma war immerhin junges Mädchen genug, es nicht quälend zu empfinden, daß sie die wahrscheinliche Ursache davon sei. Dieses Bewußtsein gab ihr nur etwas Befangenes – was freilich ihre noch ein wenig matte Erscheinung auf’s reizendste hob und Bob schließlich trotz aller Vorsätze wieder offen zeigen ließ, wie jeder seiner Gedanken von ihr beherrscht würde. So nahm man vor dem Hause, wo Ruland’s wohnten, einen verhältnißmäßig langen Abschied und Alma vergaß auf der Treppe, wer hier auch gegangen war – zum ersten Mal seit Hollfeld’s Scheiden. Sie sprach Bob dann nochmals und zwar auf längere Zeit; der Geheimrath besuchte wiederholt ihren Vater, wobei die Herren besonders herzlich gegen einander waren – bis der Pathe einmal wieder vorfuhr und in aller Form den Freiwerber für den Sohn machte. Ihr Vater stand leuchtenden Blickes dabei; der Pathe wußte so warme Worte für seinen Bob zu finden – und für den neuen Sonnenschein, der mit ihr auch für ihn, den Alten, Kranken in’s Haus und Leben dringen müsse. Kurz ihr Ja kam ihr gar nicht so schwer an, als sie sich das gedacht hatte.
Natürlich bestand der Geheimrath, schon damit sich sein bekannter Ruf, die beste Küche und die gewähltesten Weinkeller in der Stadt zu besitzen, wieder glänzend bewähre, auf einem solennen Verlobungsdiner. Alma hatte sich in so viel mehr gefügt – von ihrer Seite fiel kaum eine Einwendung.
So kam und ging denn auch dieser Tag, und Bob hatte mit tiefster Genugthuung gehört, wie sich Alma durch ihre Anmuth und ihr unter der Last des Glückes gleichsam erliegendes Wesen die Herzen aller Gäste erobert hatte. Das mußte er ihr noch sagen und noch viel mehr – so zog er, als die letzten fremden Equipagen fortgerollt waren, ihren Arm unter den seinigen und trat mit ihr auf jenen Balcon heraus, wo sie damals gestanden, als Alma vor ihm geflüchtet war. Mit glücklichen Augen erinnerte er sie daran.
Die Zigeuner.
Es giebt Menschen, die unter allen Umständen, an allen Orten und in jeder Gesellschaft durch ihre Persönlichkeit und die scharf ausgeprägte Eigenart ihres Wesens die Aufmerksamkeit auf sich lenken und auf Alle, mit denen sie in Berührung kommen, einen eigenthümlichen entweder anziehenden oder abstoßenden Eindruck machen. Die Stelle solcher absonderlicher Einzelindividuen vertritt in der europäischen Völkergesellschaft der wunderbare Stamm der Zigeuner, deren Eigenart, deren Lebensumstände, deren Charakter nun schon seit Jahrhunderten das Interesse nicht nur der Völker Europas, sondern auch der gelehrten Welt auf sich gelenkt haben.
Die rapide Culturentwickelung der letzten Jahrzehnte hat ja nun allerdings der civilisirten Welt eine völlig neue Physiognomie gegeben, die frühere Weltanschauung völlig umgestaltet und selbst an den Zigeunern schon theilweise mit Erfolg ihre unfehlbare Kraft erprobt, trotzdem aber erweckt auch heute noch das Erscheinen von Zigeunern selbst bei manchen Gebildeten Regungen, bald von Verachtung, bald von Mitleid, hier von Scheu, dort von Furcht, und das einfache Wort Zigeuner beschwört heute noch – in der Hauptsache natürlich nur in den niederen Schichten der Gesellschaft – alle jene thörichten Vorstellungen von Kinderraub, von der Kraft des „Besprechens“, von Zauberei etc. herauf, die man früher damit verband und die noch in der Kindheitsperiode des jetzigen Geschlechts die herrschenden waren.
Das Verfahren, das man heute noch in manchen Culturländern den wandernden Zigeunern gegenüber beobachtet, die rücksichtslose Vertreibung der armseligen Banden, trägt freilich auch nicht gerade dazu bei, die Anschauungen von den Zigeunern zu bessern, wie diese strengen Maßnahmen auch nicht geeignet sind, auf diese Leute erziehlich und wohlthätig zu wirken; sie machen im Gegentheil die Heimathlosen, für kurze Zeit Obdach und Unterhalt Suchenden zu Dieben, zu verstockten Lügnern; sie fordern dieselben auf, alle Schattenseiten ihres Wesens hervorzukehren. Nachdem wir durch die Völkerkunde und Culturgeschichte hinlänglich über das Wesen der Zigeuner und die Ursachen desselben aufgeklärt worden sind, sollte man nach dem Satze: „Alles verstehen, heißt Alles dulden“ annehmen, daß die Gebildeten und in erster Linie die Behörden veraltete Vorurtheile und die Anwendung falscher und veralteter Mittel zur Besserung der Zigeuner aufgeben würden –
[461][462] in dieser Beziehung aber muß man wieder die Erfahrung machen, daß Vorurtheile leichter geschaffen, als beseitigt werden.
Allerdings haben ja die gegen die Zigeuner gehegten Vorurtheile auch heute noch einen Schatten von Berechtigung, insofern als der Zigeuner von heute noch völlig dem des fünfzehnten Jahrhunderts gleicht, wenn er nicht etwa schon durch Culturländer gewandert und von der Civilisation berührt worden ist. Ueberall zu Hause, wo sie die Bedingungen für eine kurze Rast, für ihre anspruchslose Existenz fanden, aber vor der Niederlassung, vor der Begründung eines festen Heims zurückschreckend und daher stets auf der Wanderschaft, ihren Empfindungen in Tönen Ausdruck gebend, ohne andere Habe, als die der kleine Wagen birgt, vor den der Familienvater sich, in Ermangelung eines Pferdes, selbst spannt, ohne andere Kleidung und Kostbarkeiten, als die jeder tragen kann, bald sorglos und heiter, bald melancholisch und ernst, stets ruhig und gemessen und meist nur durch den Zauber ihres Blickes wirkend, unempfindlich gegen die Unbill des Wetters, gegen den heftigsten Temperaturwechsel: so werden uns diese fahrenden Leute, als sie zuerst europäischen Boden betraten, in alten Urkunden geschildert – so zeigen sie sich uns noch heute.
Die Voraussetzungen sind also die gleichen geblieben; der Unterschied in der Beurtheilung liegt nur darin, daß das im Aberglauben befangene Mittelalter die ihm entsprechenden Eigenschaften und Charakterzüge in’s Auge faßte und die Zigeuner wegen der von ihnen betriebenen Wahrsagekunst zu einem Volke von Zauberern stempelte, während die kühle, verstandesmäßig denkende Gegenwart sie als Diebe, Heuchler, Lügner und Betrüger betrachtet, behandelt und – schließlich dazu macht.
Das geheimnißvolle Dunkel aber, das über der Herkunft dieses ohne Gleichen dastehenden, im Grunde harmlosen Wandervölkchens ruht, umgiebt es mit einem Nimbus, der ja in jedem Falle dem Gegenstande, dem er anhaftet, besonderen Reiz verleiht. Wohl hat die moderne Sprachwissenschaft auch hier, wie in so vielen anderen Fällen, Pionnierdienste geleistet und mit Sicherheit erwiesen, daß die Sprachen aller Zigeuner der verschiedensten Länder der Erde – und man unterscheidet in Europa allein dreizehn Mundarten – aus demselben Boden erwachsen, in dem Aufbau alle gleich und sehr nahe mit dem Indischen verwandt sind, woraus sich weiter schließen läßt, daß die Zigeuner ein arischer Stamm sind, der seinen Ursprung in Indien hat; wohl hat die Völkerkunde in dem Stamme der Tschangar, die im Pendschab und im Sindh leben, genau dasselbe Wanderleben führen, wie die europäischen Zigeuner, auch denselben physischen Typus aufweisen, ihre nächsten Verwandten ermittelt, aber noch ruht ein undurchdringliches Dunkel über der Zeit, wann, über den Ursachen, in Folge deren einzelne Familien und Sippen den heimischen Boden verließen. Die Zigeuner selbst aber haben keine historischen Erinnerungen, keine nationalen Dichtungen aus der fernen östlichen Heimath mitgebracht, nichts, was einen zweifellosen Anhalt für den Historiker böte. Wie bei allen ihren indischen Verwandten ist der Sinn für die Geschichte bei ihnen nie entwickelt worden; die ihrem Wesen einzig und allein entsprechende natürliche Ausdrucksweise ist zu allen Zeiten die Musik gewesen, die ja unter allen Umständen am ehesten im Stande ist, dem instinctiven Naturgefühl Ausdruck zu verleihen, und wer, der den Zigeuner auf seiner Geige die nationalen Melodien spielen und phantasiren hörte, hätte nicht die Macht seiner Beredsamkeit, die Tiefe seiner Empfindungen kennen gelernt und bewundert!
Daß die Zigeuner in Indien zur Kaste der Parias gehörten, deren Berührung, ja deren Anblick die Angehörigen der höheren Kasten für verunreinigend hielten, und die, von den letzteren nicht als Menschen anerkannt, wie unreine Thiere verfolgt wurden, ergiebt sich weiter aus der Vergleichung mit ihren nächsten indischen Verwandten, die sich immer noch in derselben Lage befinden.
Als Ursache der Auswanderung von Zigeunerstämmen kann also das zu irgend einer Zeit auch im Geknechtetsten einmal erwachende Bewußtsein verletzter Menschenwürde angesehen werden. Die Culturgeschichte lehrt uns ferner, daß indische Wanderstämme von den kriegführenden Völkern und in moderner Zeit noch von den Engländern benutzt worden sind, die Gebiete der Gegner zu verwüsten, das Vernichtungswerk der Kriegführenden zu vollenden, und dieser Umstand giebt Veranlassung zu der Vermuthung, daß die Zigeuner zuerst im Gefolge solcher Kriegsvölker und Helden, hauptsächlich der muhammedanischen, dann später Dschingis-Khan’s und der Türken ihre Heimath verlassen und auf diese Weise wohl schon zur Zeit der Kreuzzüge nach Europa gekommen seien; ihre Sprache deutet ebenfalls auf jene Zeit hin, in der das Sanskrit in Indien nicht mehr lebende Sprache, sondern den Dialekten gewichen war.
So entzieht sich selbst das erste Auftreten der Zigeuner in Europa der Kunde der Menschheit und wird wohl kaum jemals sicher zu ermitteln sein; denn da dieses Volk sich nie in die Politik, in die inneren Angelegenheiten der Staaten mischte, in denen seine Sippen sich vorübergehend niederließen, da die Zigeuner nie eine Rolle in der politischen Geschichte Europas spielten, so hatten die Chronisten keine Veranlassung, der Fremdlinge Erwähnung zu thun. Die ersten Nachrichten über sie datiren daher aus verhältnißmäßig später, aus einer Zeit, die unzweifelhaft weit jünger als die ihres thatsächlichen ersten Auftretens ist; da war denn natürlich nichts mehr über ihr frühestes Erscheinen zu ermitteln.
Wenn man von den Athinganoi absieht, die unter Kaiser Nicephoros um 810 im byzantinischen Reiche erschienen, traten die Zigeuner nach den historischen Urkunden zuerst im Anfang des vierzehnten Jahrhunderts auf und verbreiteten sich während des fünfzehnten und sechszehnten über ganz Europa, in Ungarn und Bulgarien aber sind sie offenbar schon im zwölften Jahrhundert aufgetaucht, und zwar wird ihrer von vornherein als vorzüglicher Musiker Erwähnung gethan, in welcher Eigenschaft sie später bei Hoffesten und anderen feierlichen Gelegenheiten stets Dienste leisten mußten. Ungarn ist überhaupt von jeher ihr Lieblingsaufenthalt gewesen, und dort haben sie auch am meisten und besten ihre natürliche musikalische Begabung entfalten können, weil die Ungarn ihnen volle Gastfreiheit gewährten.
Der Dank, den die Zigeuner den Ungarn dafür zollten, war die Schöpfung der ungarischen Musik, die im Grunde nur zigeunerischen Ursprungs ist und den Typus der Zigeunermusik durchweg aufweist. In allen übrigen Ländern, mit Ausnahme der maurischen Reiche, wurden die dunkelfarbigen fremdländischen Wanderer jedoch kaum anders behandelt, als die Parias Indiens, und die Gesetzsammlungen aller übrigen Staaten haben zahlreiche Verordnungen der schrecklichsten Art gegen die armen Fremdlinge aufzuweisen.
Ueber das erste Erscheinen der Zigeuner an gewissen Orten werden uns ganz sonderbare Mittheilungen gemacht; es heißt darüber in alten Schriften, es seien im ersten Drittel des fünfzehnten Jahrhunderts fahrende Leute nach Deutschland, Frankreich und Italien gekommen, die sich als ägyptische Büßer ausgegeben hätten und deren Beschreibung genau auf die Zigeuner paßt. So seien am 17. August 1427 zwölf Fürsten, aus einem Grafen, einem Herzog und zehn Rittern bestehend und in phantastische Tracht gekleidet, vor Paris erschienen und hätten sich als Aegypter und zwar als Nachkommen Derer bezeichnet, die der heiligen Familie bei ihrer Flucht nach Aegypten und dem Aufenthalte daselbst jede Unterstützung verweigert hatten. Sie seien nun deshalb von den Saracenen vertrieben worden und hätten vom Papst unter der Bedingung Absolution erhalten, daß sie sieben Jahre in allen Landen umherirren sollten, ohne inzwischen in Betten oder festen Häusern zu schlafen. Der Bischof von Paris duldete diese Fremden, die durch ihre Physiognomien und ihr Aeußeres ganz Paris in Erstaunen und Aufregung versetzten, nicht lange in Chapelle, wo man ihnen Aufenthalt gewährt hatte, sondern vertrieb sie, weil er in ihnen Zauberer und Diebe vermuthete, und excommunicirte sogar alle Diejenigen, die mit diesen fahrenden Rittern in Beziehung getreten waren, sich hatten wahrsagen lassen u. dergl. m.
Die gleiche Fabel finden wir in mehreren alten Urkunden wieder, und das europäische Mittelalter glaubte natürlich, was einige schlaue Zigeuner, die im Verkehr mit den Christen gewitzigt worden waren und den herrschenden religiösen Zeitgeist zu benützen verstanden, über sich und ihre Stammesgenossen verbreiteten. Der Umstand, daß die Zigeuner sich als ägyptische Büßer ausgaben, verlieh ihnen dem Volke gegenüber Ansehen und gewährte ihnen Schutz, lenkte aber gleichzeitig auf sie das Auge des Clerus, der in ihnen Verkörperungen des Antichrist sah, um so mehr, als sie sich von Anfang an mit allen Gattungen von Zauberei befaßten und daraus eine Einnahmequelle machten, die in jener Zeit sehr ergiebig war und den Säckel der Kirchendiener schädigte – und das zog natürlich Verfolgungen nach sich.
Die Annahme, daß die Zigeuner ägyptischen Ursprungs seien, erhielt sich zum Theil bis in dieses Jahrhundert hinein, und die [463] Namen, die man ihnen z. B. in England und in Spanien gab: Gipsy und Gitano, deuten auf diesen Glauben hin.
Das spätere Mittelalter suchte die Zigeuner auch mit den Juden und Mauren zu identificiren. Nachdem nämlich der Maurenherrschaft in Spanien durch die Einnahme von Granada 1492 ein Ende gemacht worden und die Zigeuner damit ihre Beschützer verloren, nachdem vollends die furchtbaren Maßnahmen der Christen gegen die Mauren und Moresken, Juden und Maranos in großem Stil betrieben wurden, die unerhörten Massenaustreibungen begannen, flüchteten auch zahllose Zigeunerfamilien, ehe noch die strengen Verordnungen gegen sie erlassen wurden, und dann in Folge derselben, in die angrenzenden Länder Europas, in denen man sie nun vielfach für Mauren und Juden hielt.
Die Folgen dieser Verwechslung wurden ebenfalls verhängnißvoll; denn nun wurden die Glieder des armen Bettelvolkes nicht allein als Verkörperungen des Teufels, als Zauberer, sondern auch als Ketzer verfolgt; wie den Juden, wurde auch ihnen die Fähigkeit zugeschrieben, durch den Blick, durch die Berührung Pest und andere ansteckende Krankheiten zu erzeugen. Nebenbei machten sie sich durch ihre diebische Natur in empfindlicher Weise bemerkbar, und weil endlich alle Mittel, sie des Umherirrens in den Ländern, des Lebens vom Hab und Gut Anderer zu entwöhnen, fehlschlugen, so wurden auch aus diesen Gründen harte Gesetze gegen sie erlassen, die freilich keine andere Folge hatten, als daß die Zigeuner sich denselben auf jede nur mögliche Weise zu entziehen suchten und sich immer wieder auf Irrfahrten begaben.
Wenn man die ungeheure Reihe von Gesetzen, die gegen dieses Wandervolk erlassen wurden, überblickt, wenn man sieht, mit welcher Strenge dieselben im Allgemeinen gehandhabt wurden, so kann man nur erstaunen, wie die Zigeuner sich und ihre Unabhängigkeit bis in die neuesten Zeiten hinein haben bewahren können und daß sie nicht völlig ausgerottet wurden. Einer der hauptsächlichsten Gründe für diese Thatsache ist jedenfalls die Ausübung der Wahrsagekunst von Seiten der Frauen, die in ihrer Blüthe so viele Reize, so viel Anmuth besitzen, daß sie Jeden für sich einnehmen und wohl durch ihre Schönheit hohe und mächtige Gönner gewannen, welche die Strenge der Gesetze zu mildern wußten.
Die außerordentlich feine und scharfe Beobachtungsgabe, eine gewisse Kenntniß der Welt und der Menschen befähigten die Zigeunerin, mit erstaunlicher Sicherheit aus den Mienen der die Zukunft Erforschenden ihre Vergangenheit und ihre Hoffnungen auf die Zukunft abzulesen, und da sie ihre Aussprüche meist mit geheimnißvollen Ceremonien begleitete, die auf die im religiösen Mysticismus erzogenen mittelalterlichen Menschen einen ungeheuren Eindruck machen mußten, so konnten Anklagen wegen Schwarzkunst, Hexerei etc. leicht genug erhoben werden.
Dabei blieb es aber natürlich nicht, und sobald sich die Inquisition mit den Zigeunern befaßte, mußten diese noch für vieles Andere herhalten: sie sollten wie die Juden ihre Freude daran haben, Kinder zu stehlen, sich an ihrem Blut zu berauschen; sie sollten Menschenfresser sein, und mit Hülfe der Tortur wurden selbstverständlich auch entsprechende Geständnisse, die Alles als unzweifelhaft wahr bestätigten, den unglücklichen Opfern entlockt. So wurde durch Anwendung der Tortur z. B. erwiesen, daß 1629 einige solche cannibalische Zigeuner Reisende, hauptsächlich Mönche, überfallen, getödtet und gehörig gebraten und gewürzt und unter großen Ceremonien verspeist hätten. Im Jahre 1782 wird von Frankfurt am Main berichtet, daß fünfundvierzig Zigeuner und Zigeunerinnen wegen Menschenfresserei hingerichtet, hundertfünfzig andere in Kerkern gefangen gehalten wurden. So weit ging die Verblendung noch am Ende des vorigen Jahrhunderts.
Daß den Zigeunern in den verschiedenen Ländern der Gebrauch ihrer eigenen Sprache und Tracht verboten wurde, ist hiernach kaum des Erwähnens werth, aber auch die auf die Sprache bezügliche Verordnung hatte keinen dauernden Erfolg: die Zigeuner haben bis auf diesen Augenblick noch ihre Mundarten beibehalten; nur wurden in den einzelnen Ländern viele Wörter aus den Sprachen derselben in die ihrige aufgenommen, der Art jedoch, daß z. B. das Caló der spanischen Zigeuner weit davon entfernt ist, spanischer Dialekt geworden zu sein, sondern immer noch die ursprüngliche grammatikalische Structur des Indischen bewahrt hat.
Der Charakter und das Wesen des Zigeuners mußten im Mittelalter noch um so mehr Anstoß erregen, als jene Zeit keine Entschuldigung für das Abweichende im Wesen des Zigeuners hatte. Der Ungebildete mißt eben Alles nur an sich, erkennt als richtig und gut nur das ihm Bekannte, von den Vätern Ererbte, von den Priestern Vorgeschriebene an. Die Hinterlist, die Neigung zum Diebstahl, der Trieb zum Vagabondiren, der Widerwille gegen jede bestimmte Thätigkeit sollten durch Gesetzesmacht ausgetrieben, die freien Kinder der Natur sollten zur Stetigkeit gezwungen, ihre Eigenart mit Gewalt vernichtet werden. Durch die Macht des Glaubens und des Schwertes vermeinte man Alles wirken zu können. Wie sehr man aber in der Wahl der Mittel gegenüber den Zigeunern irrte, hat selbst die hochgebildete Maria Theresia bewiesen, die, von lebhaftestem Interesse für die Fremdlinge erfüllt, die Aufbesserung ihrer Existenz auf das energischste erstrebte.
Als Mittel dazu erkannte sie die zwangsweise Ansiedelung, die dem Wesen des unruhigen Wandervolkes durchaus entgegenstand. So blieb denn nicht aus, daß die gutgemeinten humanitären Maßregeln der Kaiserin die entgegengesetzte Wirkung ausübten, den passiven Widerstand der Zigeuner steigerten und diese endlich zur Flucht zwangen, was die Kaiserin natürlich als Undank betrachtete. Karl der Dritte von Spanien war in seinen Maßnahmen glücklicher: Er verordnete zunächst, daß die Zigeuner, wenn sie irgend ein Gewerbe trieben, als spanische Staatsbürger betrachtet und in der Ausübung ihrer selbsterwählten Thätigkeit in keiner Weise gestört werden durften; er schrieb also den Zigeunern nicht bestimmte Gewerbe vor, sondern überließ dieselben ihrer eigenen Wahl. Sie konnten somit die ihnen inwohnenden Fähigkeiten nach ihrem Belieben entwickeln und daneben alle Rechte der spanischen Staatsbürger und viel größere Freiheiten als diese genießen, da der Glaubenszwang, der sich an ihnen als völlig nutzlos erwiesen, nicht streng gehandhabt wurde.
Aehnlich waren auch die Verhältnisse, unter denen die Zigeuner in Ungarn lebten. In allen übrigen Ländern aber setzten sie dem Drucke, der gegen sie ausgeübt wurde, zähe Passivität und unüberwindlichen Indifferentismus entgegen und suchten das Wenige, was sie zu ihrer Existenz brauchten, zu erlangen, wo und wie es möglich war. Der Zigeuner ist seinem Wesen nach ein zügelloses Naturkind, das keine Fessel ertragen kann, die ihm den Genuß der unbeschränktesten Freiheit beeinträchtigt. Er ist im Grunde von der größten Harmlosigkeit und Gutmüthigkeit; wie überall der Ohnmächtige dem ungerechten Drucke des Mächtigen erst passive Duldung, dann Hinterlist und endlich Rachsucht entgegensetzt, so that und thut es unter den gegebenen Verhältnissen auch der Zigeuner; er wurde und wird gerade so wie der Indianer schlecht in Folge der schlechten Behandlung. Viele der Vorwürfe, die gegen seinen Charakter erhoben werden, fallen daher Denjenigen zur Last, die mit ihm im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende verkehrten; die meisten der an ihm gerügten Charaktereigenschaften haben ihren Ursprung allerdings in der Paria-Existenz, die seine Vorväter ungemessene Zeiten hindurch in Indien zu erdulden hatten. Der an ihm getadelte Leichtsinn ist freilich allen Naturkindern eigen; sie wissen den Besitz nicht zu schätzen; sie leben von Augenblick zu Augenblick und folgen lediglich den Eingebungen ihres momentanen Empfindens. Wenn man dem Zigeuner Treulosigkeit zur Last legt, so trifft dies nur da zu, wo man ihn durch falsche Behandlung treulos gemacht hat. Die Feigheit liegt nicht von Natur in seinem Wesen, sondern ist durch jahrhundertelange unwürdige Unterdrückung erzeugt worden; so findet man z. B. in Spanien und Ungarn viele sehr bemerkenswerthe Ausnahmen; der spanische Stierfechter kann, wenn er Feigling ist, nie Ruhm erlangen; es gehört dazu die größte Unerschrockenheit, Ruhe und Kaltblütigkeit, Eigenschaften, die mit der Feigheit unvereinbar sind – unter den spanischen Stierfechtern sind aber manche der namhaftesten zigeunerischen Ursprungs.
Die Neigung zum Diebstahl ist dem Zigeuner nicht abzusprechen; auch sie wie die Heuchelei, die scheinbare Demuth und die Rachsucht sind die Folgen des indischen und europäischen Pariathums. Seine Abgeschlossenheit gegen alles Fremde ist ebenfalls nur die Reaction gegen die Behandlung, die ihm von den Mitmenschen zu Theil geworden ist. Er lebt nur sich, seiner Familie, seinem Stamme und meidet die Berührung mit andern als seinen Rassegenossen. Dies gilt besonders von den Zigeunerinnen, und da wieder vorzugsweise von denen Spaniens; eine granadinische Zigeunerin würde es für ein Verbrechen an ihrem [464] Stamme, für eine Entehrung desselben halten, einen Spanier zu heirathen; so zahlt sie, die das Herz des Spaniers unfehlbar zu fesseln und zu entflammen weiß, dem Volke die Behandlung, die unwürdigen Verfolgungen heim, denen ihr Stamm dort so lange ausgesetzt worden ist. Bis vor wenigen Jahrzehnten galt dies als völlig unverbrüchlich; bis dahin lebten die Zigeuner überall nach ihren ungeschriebenen, althergebrachten einfachen Satzungen, und besonders die Sittengesetze waren sehr streng; nichts vermochte sie zu bestimmen, dem Wanderleben zu entsagen, Boden und Besitz zu erwerben.
Was die Gefühle der mittelalterlichen Menschen, den Zigeunern gegenüber, besonders verletzen und manche Verordnungen gegen dieselben hervorrufen mochte, war vornehmlich auch der völlige Mangel an Religiosität bei den Letzteren. Schon die Orientalen bezeichneten frühzeitig die Religion der Zigeuner als eine halbe; in der That kann man im günstigsten Falle nur von einem wenig entwickelten Naturcultus sprechen; hier und da zeigen sich Spuren buddhistischen Einflusses; auch solche eines Gestirncultus sind bemerkbar, von einer ausgebildeten selbstständigen Religion kann aber bei den Zigeunern nicht die Rede sein.
Ueberall, wohin die Zigeuner kamen, nahmen sie äußerlich – zum Theil dazu gezwungen, zum Theil, weil sie darin ihren Vortheil erkannten – den herrschenden Glauben und Cultus des Landes an, lebten darum aber doch in alter Weise, in absoluter Glaubenslosigkeit und nur die Moralgesetze ihres Stammes anerkennend, fort; sie dürfen trotzdem, z. B. in Spanien, als entschieden sittlich betrachtet werden, und auch in manchen anderen Beziehungen stehen sie höher als die vom orthodoxesten Glauben erfüllten niedern Schichten der spanischen Gesellschaft.
Woher die eigenthümliche Erscheinung, daß dieses wunderbare Volk im Allgemeinen keine der Religionen annahm, mit denen es in Berührung kam?
Auch dies ist auf die Existenz ihrer indischen Vorväter zurückzuführen. Ausgestoßen aus der menschlichen Gesellschaft, durften sie keinen Glauben haben; der innige Anschluß an die Natur machte ihnen das Product priesterlicher Speculation überflüssig; überall, wohin sie kamen, fanden sie anderen Glauben vor, Vorstellungen, die ihnen fremd waren, und die sie, weil eben nicht zigeunerisch, verachteten; so lebten sie, auf ihre alten Satzungen vertrauend, ruhig hin, unbekümmert um die Culte, die sie sahen, und an denen ihnen höchstens der Glanz imponiren konnte, da sie wie alle Naturmenschen an bunter Farbenpracht, an Putz und Schmucksachen Gefallen finden und solche zu besitzen streben.
Wie die Sprache, so waren auch die Gewerbe, die sie betrieben, allen Zigeunern gemein; überall finden wir die Männer als Pferdehändler, als Schmiede, Kesselflicker, Verfertiger von hölzernem Hausrath, als Bärenführer und Goldwäscher, wozu in Spanien noch die Stierfechter und Wollscheerer kommen. Die Frauen traten überall als Wahrsagerinnen, als Zauberfrauen, als Sängerinnen in Rußland, als Tänzerinnen in Spanien auf; an sie wandte man sich, wenn man heilsame Zauber- und Liebestränke, wenn man Medicamente verschiedenster Art brauchte. Die musikalische Befähigung war und ist das Gemeingut aller Zigeuner und kommt bei jedem in irgend welcher Form zum Ausdruck. Aus den ungarischen Zigeunern sind viele Geigenvirtuosen, aus den russischen berühmte Sängerinnen, aus den spanischen die besten Tänzerinnen hervorgegangen.
Was nun endlich ihre physische Beschaffenheit anbetrifft, so ist dieselbe in Folge des Umstandes, daß in vielen Ländern die Zigeuner nur unter sich heirathen, daselbst noch so rein erhalten worden, wie sie war, als ihre Ahnen von Indien auswanderten, so rein, wie wir sie heute noch an ihren Verwandten finden. Die dunkle Hautfarbe, die großen lebhaften, von langen Wimpern beschatteten, meist dunklen Augen lassen auf den ersten Blick den fremdländischen orientalischen Ursprung erkennen.
Die Gestalten sind stets wohlproportionirt, mittelgroß, die Füße und Hände fein und zierlich, und so lange die Körperkräfte noch nicht durch schwere Arbeit, durch klimatische Einflüsse geschwächt sind, darf man die Zigeuner für schön erklären, und wenn auch die körperlichen Reize nicht lange andauern, so bleiben doch selbst dem Alter noch die hohe geistvolle Stirn, die schön geschnittenen Gesichtszüge und das feurige Auge eigen.
Ihre Eigenart haben die Zigeuner auch heute noch in vieler Beziehung am reinsten in Spanien bewahrt, wie auch die Verhältnisse, unter denen sie daselbst leben, zu den eigenthümlichsten gehören, die der Reisende auf dem Boden des europäischen Continents finden kann. Besonders Granada, wo sie sich in großer Zahl aufhalten und wo sie wie Troglodyten in unterirdischen Höhlen hausen, bietet in dieser Hinsicht des Interessanten sehr viel, wie auch die granadinischen und sevillanischen Zigeunerinnen als die schönsten und als die vorzüglichsten Tänzerinnen gelten können. Aber selbst dort fangen die charakteristischen Stammeseigenthümlichkeiten an, unter dem nivellirenden Einfluß der Civilisation zu schwinden, und es wird vielleicht nicht mehr lange dauern, bis in Spanien und Ungarn wie in allen anderen Ländern die Zigeuner sich völlig mit den Nationen amalgamiren, deren Feindschaft sie lange genug empfunden haben, deren Dichtern, darstellenden und bildenden Künstlern sie so vielen dankbaren Stoff geboten haben, der auch in ergiebigster Weise ausgenutzt worden ist.
Spuren und Fährten.
„Jeder Jäger soll genau wissen, wie viel und welches Wild auf seinem Revier sich aufhält; vom Hochwild soll er wissen, wie viel Stück nach Alter und Geschlecht es sind, und er soll sich bemühen, die einzelnen Glieder dieser seiner wilden Heerde alle zu sehen und kennen zu lernen.“
Wenn man diesen wichtigen Grundsatz der Jagdpflege einem Laien mittheilt, so umspielt seinen Mund wohl ein ungläubiges, überlegenes Lächeln, aus welchem spricht:
„Ach sieh mal, also du hältst mich für naiv genug zum Glauben an deine Lügen und dein Jägerlatein, doch du kommst bei mir nicht an; ich kenne das Verslein:
‚Der Jäger nur die Wahrheit spricht.
Daher das Wörtlein: Jagdgeschicht‘!“
Aber der Ungläubige hat hier, wie nur gar zu oft, Unrecht, der Waidmann ist, bezüglich der Wahrheitsliebe, viel besser als sein Ruf, und so widersinnig es klingen mag, man müsse sein Wild nach Alter und Geschlecht kennen, ohne es gesehen zu haben, so richtig ist es; freilich muß man dies nicht vom Sonntagsjäger verlangen, vom Jagdonkel, der, nachdem er wohlhabender Rentier geworden ist, „es haben kann“, eine Jagd zu pachten, Hunde und Gewehre anzuschaffen und im vollsten Glanze Nimrod’s, mit schöner Joppe, geschmücktem Hut und großem Frühstücksmaterial, der Residenz den Rücken zu kehren; denn dieser Jagdfreund wird manchmal sein Wild noch nicht kennen, selbst wenn er es gesehen hat; es gehört zu diesem Können und Wissen doch etwas mehr, was Einem nicht so ohne Weiteres anfliegt; es kostet manchen Schweiß, manchen Gang, manche schlafgestörte Nacht, wenn man die Zeichen verstehen lernen will, welche das Wild hinterläßt, mit anderen Worten: wenn man der Spuren und Fährten des Wildes kundig, wenn man ein „fährtengerechter Jäger“ sein will.
Versuchen wir im Nachstehenden, den Laien, wenn auch nur flüchtig, mit der Bedeutung dieser geheimnißvollen Zeichenkunde vertraut zu machen!
Aus dem von Alters her gebräuchlichsten Ausdruck „hirschgerecht“ ergiebt sich, daß die Fährtenkunde vom Hirsch, das heißt vom Edelhirsch, als die vornehmste, edelste und schwierigste galt. Die Hirschjagd blühte Jahrhunderte hindurch neben der ihr ebenbürtigen Falkenbeize, und wenn es schwer zu sagen ist, welche von beiden Jagdarten im Mittelalter über der andern stand, und wir dies der Falkenbeize zugestehen, über welche selbst Kaiser Friedrich der Zweite ein noch heute werthvolles Lehrbuch schrieb, so trat doch nach ihrem Erlöschen die Hirschjagd die Erbschaft voll an und wurde zu einer staunenswerthen Technik entwickelt, in welcher die Fährtenkunde die Hauptrolle spielte.
Der Jagdherr wollte ja nicht nur überhaupt Wild schießen, sondern auch eine gewisse Art: heut starke Hirsche, ein anderes [465] Mal starke und geringe unter einander; von diesen mußte ihm der Jäger genau den Stand, das heißt ihren Aufenthalt angeben, und wer die Schwierigkeit im Allgemeinen zu würdigen weiß, welche mit dem Beschleichen des überaus hellhörigen Wildes verknüpft ist, der wird einräumen, daß andere Mittel zu diesem Zweck dienstbar gemacht werden mußten, und diese waren und sind lediglich die Fährten; sich selbst kann das Wild vor dem Jäger wohl verbergen, aber nicht seine Fährten.
In der Jägerspräche versteht man unter „Tritt“ den im Erdboden sichtbaren Abdruck von einem Fuße des Wildes, unter „Fährte“ die auf einander folgenden „Tritte“, und zwar bezeichnet man mit diesem Ausdruck besonders die im Erdboden abgedrückten Zeichen des Wildes, welches auf Hufen geht oder, wie der Jäger sagt, „auf Schalen zieht“, und die des Bären, während man bei dem kleineren Wilde und dem Raubzeug von der „Spur“ spricht. Beide Ausdrücke pflegt man auch im Allgemeinen statt „Tritt“ zu gebrauchen. Im weichen Schnee und im feuchten Sande drückt sich die Fährte natürlich am deutlichsten ab, und als so vollkommene wollen wir die hier abgebildete Edelhirschfährte ansehen.
Wenn wir die Sohle eines Zweihufers und des Wildschweins betrachten, so finden wir an der hinteren Seite zwei vorstehende Theile, die Ballen, und in deren Verlängerung nach vorn die beiden Theile des gespaltenen Hufs, die Schalen, deren Ränder scharf hervortreten, während ihre inneren Theile sich nach innen leicht wölben. Da die hervorragenden Theile, also Ballen und Schalenränder, sich in den Boden hineindrücken, sind sie dunkel dargestellt im Gegensatz zu dem durch die Wölbung der inneren Sohle anfgequollenen Erdboden, welcher heller hervortritt, wie auch der schmale Raum zwischen den beiden Schalen.
Gilt zwar im Ganzen diese Beschreibung von allen Fährten dieser Wildarten, so zeigt uns doch ein eingehender Vergleich gewisse Unterschiede; denn während die Hirschfährte ein Oval darstellt, der Fährte eines Kuhkalbes nicht unähnlich, ist die des Damwilds schmäler und gestreckter, ziegenartiger, und die Ballen nehmen fast die Hälfte der Sohle ein, während sie beim Edelwild etwa nur ein Viertel der Sohle ausmachen; der Abdruck des Rehs ähnelt mehr dem des Edelwilds, unterscheidet sich aber außerdem von der, je nach dem Alter, etwa gleichgroßen Damwildfährte durch die Ballengröße, welche etwa ein Drittel der Sohle ausfüllt.
Nun hat es der Jäger, abgesehen von dem selten vorkommenden Elchwild, noch mit dem Wildschwein zu thun, dessen Tritt dem des Edelwildes zwar sehr ähnlich sieht, immer aber die Oberrücken, das heißt die beiden hornigen Auswüchse an der Hinterseite des Laufes (Fußes) im Boden abdrückt, was das vorher genannte Wild nur in der Flucht (im schnellen Lauf) thut; bei ersterem drücken sich die Oberrücken nur als rundliche Vertiefungen [466] aus, bei den Wildschweinen als seitwärts verlängerte. Es kann also der Jäger aus diesen Kennzeichen schon genau beurtheilen, von welcher Wildart sie herrühren, er soll aber auch wissen, ob er sie von einem starken oder schwachen, männlichen oder weiblichen Individuum („Hirsch“ oder „Thier“) vor sich hat, und welchen hohen Werth man auf diese Wissenschaft früher legte, ersehen wir daraus, daß die alte Jägerei zweiundsiebenzig solcher „Zeichen“ hatte, den „edlen Hirschen“ aus der Fährte sicher zu erkennen und nach Alter und Stärke „anzusprechen“ (zu schätzen).
Es sei hier gleich bemerkt, daß eine so specielle Fährtenkunde wie beim Edelwild sich bei keiner anderen Wildart feststellen läßt; bei diesen kann man nur aus der Größe des Tritts oder der Länge der Fährte auf Stärke und Geschlecht des Urhebers schließen; der Jäger prägte sich aus der Praxis das Bild der verschiedenen Stärkeclassen ein und sprach die von ihm gefundenen darnach an, zumal es ihm zu wissen genügte, daß die betreffende Fährte von einem starken oder geringen Damhirsch oder Damthier, Elchhirsch, Rehbock oder Rieke etc. herrührte.
Unsere Jägerei, soweit sie noch Gelegenheit hat Hirschfährten zu studiren, begnügt sich mit viel weniger Zeichen, von denen wir die interessantesten hier schildern wollen.
Der Hirsch unterscheidet sich vom Thier (weiblichem Individuum) erstens durch den Schritt; denn da er viel größer als das Thier ist, so schreitet er auch länger aus; ein etwa erst vierjähriger Hirsch (Achtender) schreitet schon weiter aus, als ein altes Thier. Findet also der Jäger eine Fährte, bei der er zweifelhaft sein könnte, ob sie von einem Hirsch oder Thier herrührt, und die, wie z. B. im Grase, keinen genauen Abdruck hinterläßt, so hat er auf folgende Regeln zu achten: erstens, er braucht nur die innere kenntliche Schrittweite zu beurtheilen; beträgt dieselbe etwa siebenzig bis achtzig Centimeter, so muß sie von einem Hirsch von acht bis zehn Enden herrühren, da ein Thier so weit nicht schreiten kann; zweitens: der Hirsch schreitet auswärts — „gleich einem französischen Tanzmeister“ — wie Altmeister Flemming sagt — das Thier dagegen stellt die Schalen gerade aus; drittens: der Hirsch macht seine Fährte, das heißt er hinterläßt in Folge seiner Körperschwere einen deutlicheren Abdruck im Boden, als das leichtere Thier; viertens: deshalb stumpft er auch die Schalen an der Spitze eher ab, als das Thier, und zeigt die Stümpfe; fünftens: je stärker der Hirsch ist, desto mehr schränkt er, das heißt er setzt die Läufe nicht so, daß ihre Abdrücke im Zusammenhange eine mehr gerade Linie bilden, sondern seitwärts von einander abstehen; das Thier schränkt nur gelegentlich und auch nur stellenweise, wenn es hochbeschlagen (tragend) geht, unregelmäßig; sechstens: der starke Hirsch setzt die Hinterläufe nicht bis an die Vorderläufe: er bleibt zurück; siebentens: der schwache setzt sie häufig vor die Vorderläufe: er übereilt, oder der Hirsch macht achtens den Kreuztritt, indem er mit dem Hinterlauf den Tritt des Vorderlaufs kreuzt, oder neuntens den Beitritt, indem er den ersteren neben den letzteren setzt, oder zehntens den Schloßtritt, indem er beim Aufstehen aus dem Bette (Lager) stets in dessen Mitte tritt, oder elftens den Abtritt dadurch, daß er mit seinen scharfen Schalen das Gras abschneidet, während das Thier es nur quetscht; zwölftens: das Fädchen oder Fädlein ist die obere Kante der zwischen den Schalen durchgepreßten Erde; dreizehntens: der Burgstall, die durch die Höhlung der Schalen aufgequollene Erde, die beim Thiere viel flacher liegt; vierzehntens: durch sein schweres Auftreten hebt der Hirsch ganze Fladen weichen, nassen Bodens empor, welche beim Gehen abfallen und Insiegel heißen; fünfzehntens: durch die Himmelsspur verräth sich der Hirsch sicher, indem er mit dem Geweih Zweige in einer Höhe abknickt, zu welcher das geweihlose Thier nicht reichen kann, und endlich giebt es sichere Kennzeichen an der Losung (dem Koth), welche den Hirsch vom Thiere unterscheiden.
Um dem Laien, für welchen diese Abhandlung geschrieben ist, ein Bild von der Bedeutung der Fährten- und Spurenkunde zu geben, mußten wir uns beim Edelhirsch, wie geschehen, länger verweilen, da sie bei keiner anderen Wildart auch nur annähernd so ausgebildet ist. Zum Ansprechen der anderen Wildarten dienen lediglich die Größenverhältnisse der Tritte und die Weite des Schrittes, wie man sie auch beim Edelhirsch ausprobirt hat, und zwar in der Art, daß, wenn man in einen Tritt die drei Vorderfinger einer mittelstarken Männerhand legen kann, der Hirsch nicht unter zwölf Enden, also ein Kronenhirsch ist.
Aber noch andere Hülfsmittel kennt der Jäger: spürt er hinter einem Trupp Edelwild eine einzelne starke Fährte, so rührt sie stets vom stärksten Hirsch des Trupps her, der immer in einiger Entfernung demselben folgt, während ein altes Thier (Kopfthier) denselben führt; ebenso zieht der Rehbock stets hinter der Rieke drein, und eine vereinsamte starke Wildschweinsfährte rührt meist von einem starken Keiler (Eber) her, da Bachen und geringere Schweine in einer Rotte beisammen zu sein pflegen.
Freund Lampe, der viel begehrte und verfolgte Hase, bildet mit seiner Spur eine Art Dreieck, dessen Spitze die Richtung anzeigt, von welcher er gekommen ist.
Wenden wir uns den Raubthieren zu, so wird die Bärenfährte kaum einer Erklärung bedürfen; selbst eine rohe Abbildung würde dem Jagdonkel zum Verständniß solcher Spur verhelfen, und vom Menschen kann sie trotz einer gewissen Aehnlichkeit füglich nicht herrühren, da selbst der Vater Struwwelpeter’s solche lange Krallen nicht gehabt haben kann. Ihr ähnlich, aber selbstverständlich viel kleiner, sieht die Spur des Dachses aus, an welcher die langen Nägel gleichfalls charakteristisch sind.
Viel Kopfzerbrechen haben dem Jäger die Spuren des Wolfes und des Hundes gemacht, und in der That sind sie keineswegs leicht zu unterscheiden, strandet doch mancher Waidmann daran, welcher keine Gelegenheit hatte, beide Spuren oft neben einander vergleichen zu können. Die Spur des Wolfes unterscheidet sich von der eines gleich starken Hundes durch länglichere Form, sowie durch tieferen Eindruck der Ballen und besonders charakteristisch durch das nähere Zusammenstehen der Mittelzehen, respective der Nägel, die beim Hunde sich viel gespreizter zeigen. Auch schnürt der Wolf beim Traben, das heißt die Abdrücke der Läufe stehen in einer geraden Linie, was beim Hunde nur unregelmäßig geschieht, und wenn ein Rudel Wölfe auf der Wanderschaft ist, so tritt der hintere genau in die Spur des vorderen, in Folge dessen ihre Anzahl nie sicher festgestellt werden kann.
Meister Reinecke schnürt gleichfalls sehr regelmäßig, und ist sein Tritt von der Größe des eines Spitzes; in weichem Schnee bemerkt man zwischen der schleichenden Fährte schwache, absetzende Furchen, die von der nachschleifenden Standarte (Schwanz) herrühren.
Der Abdruck der Katzenspur erweist sich rundlich, und ihr fehlen die Abdrücke der Krallen, welche die Katze beim Gehen bekanntlich einzieht. Die Spur der Fischotter ähnelt, in Folge der breiten Schwimmhäute, der einer Gans, doch hat sie vier Vorderzehen, während letztere nur drei hat. Auch wird man da, wo die Otter ihr Wesen treibt, eine Gans schwerlich vermuthen.
Zum näheren Verständniß sei noch bemerkt, daß man unter „vertrauter“ Fährte die von ruhig und langsam gehendem Wilde, unter „flüchtiger“ dagegen die versteht, welche schnell laufendes Wild hinterläßt.
Aus dem Vorstehenden wird man ersehen, daß die Fährtenkunde für einen Jäger unentbehrlich ist, und auf ihr beruht das sogenannte Kreisen, durch welches man den Bestand an Wild nach Art und Stärke feststellt. — Nach einer Reue (frisch gefallenem Schnee) umgehen die Jäger gleichzeitig die verschiedenen Jagddistricte und notiren sich die hinein- und hinausführenden Fährten; die letzteren von den ersteren abgezogen, ergeben alsdann den Wildbestand in dem Districte und die Summe der Resultate der gekreisten Districte den Gesammtwildstand des Reviers.
Der Jäger muß aber auch ein geübtes Auge haben, die von ihm verfolgte Fährte oder Spur festzuhalten, wenn sie von anderen gekreuzt wird — es hat eben jedes Fach seine Wissenschaft, und die Fährtenkunde so inne zu haben, um als „gerechter Jäger“ sich legitimiren zu können, ist keineswegs ganz leicht.
Wir konnten hier nur ein gedrängtes Bild dieses umfangreichen Stoffes entwerfen, wollen aber doch noch einer Spur gedenken, die der Jäger zum Raubzeug, unter welchem er alles raubende Wild versteht, rechnet und mit zornglühendem Auge mustert; sie gehört dem gefährlichsten Feinde des Wildes und Jägers an, dem Wilddiebe oder Raubschützen. Oft weiß er nicht, daß sein Todfeind, der Jäger, seine Spur genau gemessen und nach Stellung und Gang kennt, ahnt auch nicht, daß der dem Jäger zugethane Schuster durch die Stellung der Sohlennägel zu besonderen Kennzeichen verholfen hat — mit besonderer Sorgfalt wird auf dieser Spur das Gewehr geprüft, Auge und Ohr sind zu verdoppelter Schärfe gespannt; denn nur gar zu oft heißt es nunmehr: „Auge um Auge, Zahn um Zahn!“ Die romantische Jägerei hat auch recht düstere Schattenseiten!
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Der Londoner Silbermarkt.
Wer sich in unserem rasch lebenden Jahrhundert, da Zeit Geld und Geld Zeit ist, den Luxus gestatten kann, zu Schiff und bei Tage in London anzukommen, den sollte die Furcht vor einer längeren Seefahrt, vor Schmutz, Unbequemlichkeit und auswandernden Schafen und Hämmeln als Mitpassagieren nicht bewegen, sich in einem Eisenbahncoupé der Hauptstadt des britischen Reiches zu nähern; denn nur wenn der Reisende an den zahllosen flachen Kähnen, imposanten Segelschiffen, gewaltigen Dampfern, an den ungeheuren Werften und den schier endlosen Waarenlagern vorbei die Themse hinaufdampft, dann empfindet er mit der Schärfe und Frische des ersten Eindrucks, daß er in die gewaltigste Handelsmetropole der Welt einfährt, daß er am Markte steht, wo vier Welten ihre Schätze tauschen. Ist er gelandet, hat er sich einer Droschke anvertraut, die in Reih und Glied mit den unübersehbaren Reihen von Karren, Kutschen und Omnibus vorwärtsstrebt und sich mit wunderbarer Geschicklichkeit durch den Wagen- und Menschenknäuel bewegt, dann führt ihn der Schwager in nicht allzulanger Zeit an einem viereckigen, einstöckigen, fensterlosen, rauchgeschwärzten Gebäude vorbei, welchem er wahrscheinlich keine Beachtung schenken würde, wenn ihm nicht wohlgenährte Portiers in einer ehrfurchterweckenden Livrée und mit unbeschreiblich würdevollen Gesichtern die Frage nach den Einwohnern desselben nahe legten. Wendet er sich an einen prosaischen Menschen, so wird er unfehlbar die Antwort erhalten: Das ist die Bank von England. Vielleicht führt ihn sein Schicksal an eine poetische Natur, und dann wird ihm die Erwiderung, daß dort König Mammon wohne, der entweder der Vater, Sohn oder Milchbruder des Gottes Mercur sei und bei dem geräuschvollen Leben in der Stadt und im Hafen seine Hand im Spiele habe. Besagter Poet meint damit zweifellos nicht, daß König Mammon nur eine Residenz besitze. Wie jeder große Fürst hat er mehrere Hoflager, aber nur eine officielle Hauptstadt; denn Niemand kann leugnen, daß der große König überall loyale Unterthanen zählt, obwohl uns Allen seit unserer frühesten Jugend gelehrt worden ist, Schätze zu sammeln, welche der Rost und die Motte nicht verzehren, obwohl wir in unseren Schulaufsätzen die Menschen beschworen haben, ihr Herz nicht an die Güter zu hängen, welche das Leben vergänglich zieren, und obwohl wir schon in Quarta dargelegt haben, daß alle Uebel und Leiden aus dem menschlichen Golddurste stammen.
Unter Golddurst verstanden wir natürlich die ungeregelte Begier nach Geld, mochte sich dieser Trieb auf Kupfer, Silber, Gold, schäbige Fünfgroschenstücke oder nagelneue Vereinsthaler richten. Hätte Jemand der strengen Anklage gegen unser Jahrhundert dadurch zu entgehen versucht, daß er behauptet hätte, er empfinde nur den Durst nach Silber, so würden mir ihm unfehlbar erwidert haben, daß wir den Ausdruck Golddurst gewählt, weil es der edlere, und daß auch der Silberdurst verwerflich sei.
Nebenbei bemerkt, war es in der That nöthig, das Streben nach dem Besitz edler Metalle Silberdurst zu nennen, wenigstens so weit das letzte Jahrzehnt in Frage kommt, da die Goldproduction in jener Zeit gesunken ist (ein berühmter Gelehrter in Wien, Professor Süß, hat sogar die düstere Prophezeiung ausgesprochen, daß die Tage des Goldes gezählt seien), während die Production des Silbers in demselben Grade stieg.
Während die Goldausbeute in den fünf Jahren von 1866 bis 1870 etwa 2700 Millionen Mark betrug und von 1871 bis 1875 auf etwa 2400 Millionen Mark herunterging, stieg die Silberproduction von 1200 Millionen Mark in dem Quinquennium 1866 bis 1870, auf 1700 Millionen Mark in dem Jahrfünft 1871 bis 1875. Wenden wir uns daher mit der Treulosigkeit, welche nun einmal in der von Grund aus verderbten und bösen Menschennatur liegt, von der sinkenden Größe ab und heften wir unsern Blick auf das steigende Gestirn!
Noch immer werfen Central- und Süd-Amerika große Mengen Silber auf den Londoner Silbermarkt. In den letzten Decennien haben die Gruben von Comstock in Nevada reiche Erträge geliefert, die jedoch nicht bestimmt abzuschätzen sind. Die amerikanischen Delegaten der letzten Pariser Münzconferenz gaben sie auf 33 Millionen Dollars für das Jahr 1870 an. Statistiker und Edelmetallhändler haben sie auf das Vierfache dieser Summe berechnet.
Die Aufnahme der Baarzahlungen in Nordamerika hat einen guten Procentsatz des dort gewonnenen Silbers absorbirt, und bedeutende Mengen werden von San Francisco direct nach Ost-Asien verschifft, aber ein großer Bruchteil dieses Silbers verläßt den neuen Erdtheil noch immer mit dem Bestimmungsorte London, nachdem es in den Minenländern geschmolzen und in Barrenform gegossen worden ist. Nehmen wir von dem auf dem Oceane hoffentlich sicher herüberschwimmenden Silber für einen Augenblick Abschied und fragen wir uns, welche Umstände gerade London zum Sitze des Silbermarktes gemacht haben, ist es doch so weit von den Fundstätten des Erzes entfernt!
Schon die geographische Lage bestimmt England zum Zwischenhändler zwischen Ost und West und London zum Weltmarkte. Der sich über jeden Platz der Erde erstreckende Handel Englands, die zahlreichen, in allen fünf Welttheilen zerstreuten Colonien führten natürlich zu mannigfachen finanziellen und commerciellen Beziehungen mit der Hauptstadt. Ueber sechszig coloniale und fremde Banken haben ihre Filialen in London, und außerdem werden manche Bestellungen und Zahlungen durch Londoner Kaufleute und Banken vermittelt, da Niemand gern im directen Handelsverkehr mit wenig bekannten ausländischen Firmen steht und sich lieber eines Londoner Hauses als Mittelsperson bedient.
So ist London der große Markt wie für jeden Handelsartikel, so auch für Silber, und ein Ort für große internationale Zahlungen, das clearing-house der Welt geworden. An keinem Orte sind so bedeutende Summen verleihbaren Capitals vorhanden. Vielleicht hat ihm auch die größere Sicherheit vor Kriegsgefahr eine unvergleichliche Stellung schaffen helfen. Gesetzt, Paris wäre im Jahre 1870 der große Geldmarkt der Welt gewesen, welche furchtbaren Folgen müßte die Einschließung der Stadt gehabt haben!
Doch kehren wir zu unseren Edelmetallsendungen zurück!
Sobald ein Westindienfahrer im Londoner Hafen oder in Southampton oder Liverpool angekommen ist und in Kisten und Kästchen wohlverpackte Edelsteine, Gold- und Silberbarren an die englische Küste geführt hat, sendet die Bank von England einige ihrer Beamten ab, um die Schätze in Empfang zu nehmen. Alle Edelmetallsendungen aus überseeischen Ländern werden nämlich zur größeren Sicherheit an die Bank von England adressirt, und die Händler und Agenten können sie erst dort in Empfang nehmen. Wer in der City einem der mit zwei oder vier Pferden bespannten Wagen begegnen sollte, welche die wenig umfangreichen, aber schweren Edelmetalle zur Bank transportiren, der wird, ohne zu wissen, was für Waaren an ihm vorüberrollen, keine Ahnung von den ungeheuren Werthen haben, welche an das Bullion-Office[1] der Bank abgeführt werden. Das Bullion-Office liegt auf der Rückseite der Bank in Lothbury Street. Nachdem sich eins der großen Thore geöffnet hat, wandern Edelsteine, Gold- und Silberbarren und Silberdollars in die Bankkeller hinab.
Besagtes Bullion-Office möge man sich nicht etwa als ein schönes, mit allem modernen Comfort ausgestattetes Zimmer vorstellen! Mit seinem gewölbten Dache, einigen Pulten und Wagen bietet es einen durchaus ernsten und fast ärmlichen Anblick dar. Nur nach der Ankunft eines Westindienfahrers erheitert sich seine düstere Physiognomie, soweit sich die Physiognomie eines solchen Gemaches erheitern kann. Dann erscheinen die Empfänger der Edelmetalle, und die Bedienten sind eifrig damit beschäftigt, die Barren und Münzen aus den Kellern heraufzuholen. Die Bank übernimmt es gegen eine mäßige Provision, die angekommenen Sendungen zu wägen. Dann erklingt den ganzen Tag über das Gerassel der Geldstücke, welche in die kupfernen Wagschalen geschüttet und wunderbar rasch gewogen werden. Zum Zählen ist natürlich keine Zeit.
Aber, wird man fragen, genügt denn das Wägen, um den Werth zu ermitteln? Könnte ein Barren nicht inwendig von Eisen sein und nur eine dünne Silberschicht auf der Oberfläche enthalten? Allerdings! Aber darum wird auch jeder Barren, wenn er nicht von einer Firma geliefert wird, die sich eines durchaus ehrlichen Namens erfreut, noch einmal umgeschmolzen. Darauf wird er mit den feinsten Instrumenten auf seinen Feingehalt untersucht. Die Wissenschaft ist heutigen Tages so weit fortgeschritten, daß die Untersuchung eines kleinen Stückchens, welches vom Barren abgeschlagen wird, zur Prüfung genügt. Erst wenn diese Probe den [468] Grad der Feinheit des Metalls festgestellt hat, wird der Betrag ausbezahlt oder auf Rechnung gestellt.
Die Herren, welche im Bullion-Office die Schätze fremder Welttheile in Empfang nehmen und ganz so wie andere Sterbliche aussehen, sind Kaufleute und Agenten, welche die Edelmetalle entweder auf eigene Rechnung oder gegen Provision importiren. Selbst große Häuser können das Gold und Silber nur mit Schwierigkeiten beziehen und verschicken; denn erstens erfordert dieses Geschäft eine eigenthümliche Waaren- und Marktkenntniß, und außerdem muß der Händler Lagerräume besitzen; auch setzt das Verpacken und Versenden der Edelmetalle Leute voraus, welche sich berufsmäßig damit beschäftigen. Es giebt Kaufleute in der City, die Millionen erhalten und versenden, ohne einen Pfennig davon zu Gesicht zu bekommen. Daß die Edelmetallagenten im Rufe makelloser Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit stehen müssen, ist nach dem Vorhergehenden kaum erwähnenswerth.
Soviel über die Producenten und Händler! Nun zu den Consumenten!
Die Edelmetalle werden bekanntlich zu Schmucksachen verarbeitet und dienen, geprägt und in bestimmten Gewichtsgrößen, als Geld. Es ist leicht zu.verstehen, daß, wenn der Wohlstand eines Landes in gleichem Schritte mit seiner Bevölkerung wächst, der Bedarf nach Schmucksachen steigen wird. Auch eine größere Menge von Käufen und Verkäufen wird abzuschließen sein, was größere Mengen Geld nöthig macht. Dazu kommt, daß sich Geld und Schmucksachen allmählich abnutzen und durch neue Schmucksachen und neue Geldstücke ersetzt werden müssen. Daher ist in normalen Zeiten fortwährender Bedarf nach Edelmetallen vorhanden. Man folgere aber daraus nicht, daß der größte Theil des in London angekauften Silbers in Fabriken und Münzen wandere! Es dient hauptsächlich zu internationalen Zahlungen.
Wenn der Bäcker A. dem Fleischer B. das ganze Jahr hindurch Brod und wenn B. dem A. während derselben Zeit Fleisch liefert und am 31. December Beide das Guthaben mit einander vergleichen, mögen die Beträge gleich hoch sein. Ist diesem Falle haben Beide fortwährend Geschäfte mit einander gemacht, ohne daß ein Geldstück hin- oder hergewandert wäre. Sind aber die Forderungen von verschiedener Höhe, so muß derjenige, welcher die geringeren Forderungen hat, dem Anderen die Differenz ausbezahlen. Nun stehen aber ganze Nationen in denselben Schuldverhältnissen zu einander, wie Individuen.
Wenn ein Land dem andern z. B. Kohle, Baumwolle und Tuch liefert und das andere z. B. nicht so viel Vieh, Getreide, Wein etc. exportiren kann, daß die Rechnung aufgeht, so muß von dem letzteren die Differenz in baarem Gelde ausgeglichen werden. In diesen internationalen Zahlungen wird das Edelmetall in Barrenform gewählt; denn die Münzen eines Landes haben nur in seltenen Fällen in fremden Ländern Cours. Es ist also nöthig, sie einzuschmelzen und umzuprägen, bevor man sich ihrer zu Zahlungen bedienen kann. Zweitens nutzt sich das Edelmetall in Barrenform nicht so leicht wie in Münzform ab, weil es in jener Gestalt eine geringere Oberfläche als in dieser hat.
In den ersten siebenzig Jahren unseres Jahrhunderts wurde das Silber sehr viel zu diesen internationalen Transactionen verwandt. Damals hatten Deutschland und die skandinavischen Reiche die Silberwährung, und die Staaten des lateinischen Münzbundes (Frankreich, Italien, Schweiz, Belgien, Spanien, Rumänien und Griechenland) waren Anhänger der Doppelwährung. Es bestand ein lebhafter Verkehr in Silber zwischen Hamburg und London. Seitdem jedoch Deutschland die Goldwährung einführte, die skandinavischen Reiche unserem Beispiele mit Entschiedenheit, Holland mit einiger Lauheit folgten und der lateinische Münzbund die Prägung des Silbers beschränkte, sind nur noch Indien, China und Japan treue Abnehmer des entthronten Metalles. Es ist der Mühe wert, bei den Ursachen des beständigen Silberabflusses nach Indien, der sicher schon ist den Zeiten der Phönicier und Römer beträchtlich war, einen Augenblick zu verweilen.
Es lebt dort eine Bevölkerung von etwa 200 Millionen Menschen, die zu ihren Einkäufen eine Menge kleiner Silbermünzen bedarf und eine ausgeprägte Neigung zu Schmucksachen aus Edelmetall besitzt. Die ärmeren, zahlreichen Classen Indiens tragen Silberschmuck, die reicheren Goldschmuck. Die große Mehrheit der Bewohner Indiens hat zudem die schädliche Gewohnheit, das Geld, welches sie nicht unmittelbar gebrauchen, zu verbergen und es so dem Verkehr zu entziehen. Es ist somit leicht verständlich, daß ein fortwährender Zufluß von Edelmetall in dieses Land nothwendig wird, obwohl es ungeheure Mengen von Edelmetall in Schmuck- und Geldform besitzt. Man ist nur zu leicht geneigt, diese Sitten barbarisch zu finden, und bedenkt nicht, daß die unteren und mittleren Classen eines hochcivilisirten Landes, nämlich Italiens, dieselbe Vorliebe für Schmucksachen und Bergung von Geld an den Tag legen.
Als die italienische Regierung vor nicht langer Zeit eine Anleihe abschloß, um Metallgeld an die Stelle seines entwertheten Papiergeldes zu setzen, wurde von einem Kenner Italiens, dem belgischen Nationalökonomen Emile de Lavéleye, behauptet, daß Italiens dem Verkehr entzogene Geldsummen und seine überflüssigen Schmucksachen zur Deckung der Anleihe vollauf genügen würden. Die Millionen Franken, welche das schöne Land jährlich seinen Gläubigern an Zinsen zu bezahlen hat, müssen daher als eine Ausgabe für die Befriedigung von unproductivem Vergnügen betrachtet werden.
Dem Bedürfnisse der Indier nach Edelmetallen kommt die Natur nicht durch Gewährung von Silberminen, sondern durch die Verleihung anderer Vortheile entgegen. Das Volk ist im Ganzen noch bedürfnißlos; wenigstens ist dort nur eine schwache Nachfrage nach Producten des Auslandes vorhanden. Dagegen begehrt Europa lebhaft seine Producte, z. B. Thee, Reis, Baumwolle. Die europäische Nationen können bei der Bedürfnißlosigkeit der Indier ihre Schulden nicht in Waaren berichtigen; sie müssen sie folglich mit Edelmetallen bezahlen. Aus diesem Grunde verlassen jährlich so viele Silberbarren den Londoner Hafen und verschwinden auf Nimmerwiedersehen in Calcutta, Bombay und Madras. Der stärkste Silberabfluß nach Ostindien wurde zur Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges verspürt, da der größte Theil alles Baumwollenbedarfs in jenen Jahren von Indien gedeckt werden mußte. Sobald in Indien eine schlechte Ernte eintritt, sobald europäisches Capital dort nutzbringend angelegt wird, verlangsamst sich der Silberabfluß natürlich. Dies war begreiflicherweise im Anfange der siebenziger Jahre der Fall; Indien litt damals unter einer Reihe schlechter Ernten.
Wer uns bisher gefolgt ist, wird leicht verstehen, warum Silber bald reichlich, bald spärlich an den Londoner Silbermarkt strömt. Wenn die Gruben einen großen Ertrag bei geringer Mühe oder geringen Productionskosten liefern, wenn Silber nicht stark begehrt wird, dann ist es in großen Mengen vorhanden und darum billig. Fangen aber die Silbergruben an nachzulassen, wird im Welthaushalt das Bedürfniß nach Silber lebhaft, dann schmelzen die Vorräthe dahin und die Preise des Silbers steigen. Von 1862 bis 1872 schwankte der Preis einer Unze (etwa 31 Gramm) Silber zwischen 62 und 60 Pence[2]. Aber von 1873 bis 1879 ging es auf 59, 58, 57, 54, 52, 50 Pence herab. Am 5. Juli 1876 stand es sogar auf 48¼ Pence. Die Gründe für diese Erscheinung waren einfach. Während in Amerika reiche Silberminen entdeckt wurden, waren die Ernten Indiens schlecht und führte Deutschland die Goldwährung ein. Ueber sieben Millionen Pfund Silber, die vorher in unserem Vaterlande als Münze gedient hatten, mußten nun auf den schon überfüllten Markt geworfen werden. Frankreich, welches uns die Einführung der Goldwährung durch die Zahlung der Kriegsentschädigung möglich gemacht hatte und als ein Land, in dem die Doppelwährung besteht, der größte Abnehmer unserer Silbervorräthe gewesen war, machte, nachdem über 600 Millionen Mark über die Vogesen gewandert, einen weiteren Einfluß unseres Silbers durch die Beschränkung der Silberprägung unmöglich.
Zu derselben Zeit erkannte man, daß man die Mengen der in Deutschland umlaufenden Silbermünzen unterschätzt hatte; die Phantasie der Londoner Händler und Agenten vergrößerte den Rest des unverkauften Silbers in’s Maßlose, und nun drückte die Furcht auf die schon fallenden Preise. So bewirkte ein Zusammenwirken verschiedener Factoren ein Sinken des Silberwerthes, wie er in der Geschichte noch nicht dagewesen ist.
Viel Angebot, wenig Nachfrage: das ist noch immer die Signatur des Londoner Silbermarktes. Wir glauben uns nicht zu täuschen, wenn wir auf Seiten des freundlichen Lesers eine ebenso geringe Nachfrage nach weiteren Nachrichten über den Londoner Silbermarkt vermuthen, und wir erlauben uns daher, von ihm Abstand zu nehmen.
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Aus der Samariterschule.
Die Thatsache, daß nicht blos in England, sondern auch in allen Ländern der Welt alljährlich unzählige Unglücksfälle vorkommen, in denen die Betroffenen eines elenden Todes sterben, weil Niemand da ist, der die nothwendige erste Hülfe zu leisten versteht, hat mich veranlaßt, die Samariterschulen in’s Leben zu rufen.
Wie jede gute und große Idee, so wird auch die der Samariterschulen ihre Anfechtungen erfahren, und schon erheben sich Stimmen von verschiedenen Seiten, um den Werth derselben herabzusetzen. Es fehlt mir an Zeit und Lust, auf diese Angriffe eingehend zu antworten. Ist die Idee gut, so wird sie sich schon selbst Bahn brechen; ist sie nicht lebensfähig, so wird sie alsbald wieder von der Tagesordnung verschwinden.
Es müßte auffallen, daß besonders von ärztlicher Seite gegen die Samariterschule Front gemacht wird, wenn man nicht wüßte, daß an vielen Orten die ärztliche Thätigkeit durch zahlreiche Pfuscher und Ouacksalber eingeengt wird, denen die unwissende Menge oft den Vorzug giebt vor den wirklichen Aerzten, während diese durch die Gesetze nur unzureichend geschützt sind. Und so fürchtet denn auch Mancher, daß in jedem Samariter ein solcher Afterarzt erstehen werde, der ihm gefährliche Concurrenz machen könnte.
Wohl aber ist es möglich, daß auch der Name „Samariter“ von einigen gewissenlosen Pfuschern dazu mißbrancht wird, um Unwissenden Sand in die Augen zu streuen. Wer aber meinen „Leitfaden für Samariterschulen“ und die „Satzungen des Samaritervereins“ mit entsprechender Aufmerksamkeit liest, der wird finden, daß es sich hier nur um die erste Hülfe vor Ankunft des Arztes handelt, daß fast auf jeder Seite des erwähnten Leitfadens der Rath ertheilt wird, zuerst nach ärztlicher Hülfe zu schicken, und endlich, daß die examinirten Samariter ausdrücklich verpflichtet werden sollen, ihre Hülfe unentgeltlich zu leisten.
Es ist aber auch gegen die Samariterbewegung von ärztlicher Seite geltend gemacht worden, daß dieselbe eigentlich ganz unnöthig sei, da es im Ganzen doch gar zu selten vorkomme, daß Menschen aus Mangel an schleuniger ärztlicher Hülfe zu Grunde gehen. Ja ein alter Arzt[3] hat sogar drucken lassen, es seien ihm z. B. in seiner dreiunddreißigjährigen Praxis im Ganzen nur zwei Fälle vorgekommen, wo er vielleicht hätte das entfliehende Leben zurückhalten können, wenn er rechtzeitig zur Stelle gewesen wäre. Der erste Fall war ein Sensenhieb, der die Hauptschlagader am Oberarm trennte, der zweite ein geplatzter Blutaderknoten am Unterschenkel, aus dem sich eine alte Dame verblutete.
„Dies,“ sagt er, „waren die einzigen Fälle, in welchen ich mir mit einiger Wahrscheinlichkeit einbilden konnte und auch wirklich einbildete, daß ich hätte helfen können, wenn ich rechtzeitig zur Hand gewesen, aber das als absolut gewiß zu behaupten, kann mir nicht einfallen.“
Hätte der alte College, ehe er sein „Mahnwort in der Samariterfrage“ schrieb, meinen Leitfaden gelesen, so würde es ihm zur Gewißheit geworden sein, daß er in beiden Fällen das mit dem Blut entfliehende Leben hätte aufhalten können, in dem ersten Falle dadurch, daß er oberhalb der Wunde eine feste Einschnürung gemacht, in dem zweiten dadurch, daß er das einschnürende Strumpfband gelöst und das Bein in die Höhe gerichtet hätte.
Um aber derartige Stimmen von „alten Praktikern“ ein für alle Mal zum Schweigen zu bringen in einer Sache, welche doch wirklich für eine so oberflächliche Behandlung zu ernst ist, will ich hier auf ein Capitel aus der Samariterschule etwas näher eingehen und an Beispielen zeigen, von welch unermeßlicher Wichtigkeit es sein kann, daß sachverständige Hülfe augenblicklich zur Hand sei, wenn ein Arzt nicht in der Nähe ist, und nachzuweisen suchen, daß auch Laien in den Stand gesetzt werden können, solche „sachverständige“ Hülfe zu leisten.
Wie Jedermann weiß, ist es gerade die Verletzung großer Adern, welche den Betroffenen mit raschem Tode durch Verblutung bedroht, und daß in sehr vielen Fällen dieser Art der Tod erfolgt, ehe ärztliche Hülfe zur Hand ist, davon wissen nicht blos die Chirurgen von Fach zu berichten, davon erzählen ja fast täglich die Polizeiberichte der Zeitungen, wenigstens in den größeren Städten. Und gerade über die Art der Hülfe, welche in solchen Fällen zu leisten ist, herrscht noch ganz allgemein die größte Unwissenheit und zwar nicht blos in den unteren Classen der Gesellschaft.
Aus eigener Erfahrung könnte ich von vielen Fällen dieser Art berichten. Ich will hier nur den letzten erzählen, der sich im vorigen Winter in Kiel ereignete und der meinen Entschluß, eine Samariterschule zu eröffnen, zur Reife brachte.
Der Besitzer eines kleinen Landgutes in der Nähe von Kiel, ein Mann in den besten Jahren, hatte das Unglück mit seinem Bein in eine Dreschmaschine zu gerathen, wodurch der Fuß und der Unterschenkel bis zur Mitte der Wade auf das Entsetzlichste zermalmt wurde. Da von den Seinigen Niemand es verstand, die erste Hülfe zu leisten, so packten sie den Unglücklichen so, wie er war, auf einen mit Stroh gefüllten Wagen und fuhren ihn langsam nach Kiel zur chirurgischen Klinik, wo er gegen Abend eintraf. Da ein Verband nicht angelegt, auch keinerlei Maßregel getroffen war, die Blutung zu hemmen, so war während des schmerzhaften Transportes das Blut aus den zerrissenen Adern unaufhaltsam in das Stroh geflossen, und so kam der Arme fast ganz verblutet im Hospitale an, wo ich sofort das gräßlich zerfleischte Glied durch die Amputation entfernte. Obwohl er nun durch diese Operation selbst kaum einen Theelöffel voll Blut verlor, auch in Folge der Chloroformnarkose keine Schmerzen dabei empfand, so waren doch durch den vorhergegangenen enormen Blutverlust und durch den schrecklichen Transport die Aussichten für die Erhaltung des Lebens äußerst gering geworden; es trat denn auch bald ein Wundstarrkrampf hinzu, der ihn unter großen Oualen dahinraffte.
Gleich darauf ging durch die Zeitungen die Erzählung von dem traurigen Tode des bekannten Bergführers Egger aus Grindelwald. Derselbe war mit dem Ingenieur Anderfuhren und dem Führer Kaufmann zum Mönchsjoch hinaufgestiegen, um einen Plan zum Neubau der dort befindlichen Berghütte des Alpenclubs zu entwerfen, und dann allein wieder zurückgekehrt, um den wegen Unwohlseins eine halbe Stunde unterhalb zurückgebliebenen Führer Schlegel ebenfalls heraufzuholen. Da die Nacht schon hereingebrochen und die Laterne der Hütte unerwarteter Weise weggenommen war, so machte Egger sich eine Flaschenlaterne, indem er einer Flasche den Boden ausschlug und inwendig in den Hals ein Kerzenstümpfchen steckte. Als er bei dem zurückgebliebenen Schlegel angekommen war, sich neben ihn gesetzt hatte und dieser sich anschickte, seine eigene Laterne anzuzünden, stieß Egger plötzlich den Ruf aus. „Herr Jesus, jetzt habe ich mich gehauen!“ Der Unglückliche scheint sich bei irgend einer hastigen Bewegung eine scharfe Spitze des Flaschenrandes gerade an der gefährlichsten Stelle in die Pulsader der rechten Hand hineingestoßen zu haben. Das Blut sprang in Strömen hervor, Schlegel eilte eine Strecke aufwärts und rief die Andern; Egger rief ihn aber sogleich zurück; er müsse verbluten, sagte er. Das Verbinden der Wunde half nichts, und den Arm weiter oben zu umschnüren, kam leider Keinem von ihnen in den Sinn. Die Beiden droben in der Hütte kamen erst gegen drei Uhr Morgens herab. Inzwischen war Schlegel erfolglos bemüht gewesen, Egger vor dem Tode zu bewahren; dieser war schon ganz schwach, und es würde beschlossen, Kaufmann solle mit Anderfuhren so schnell wie möglich zu Thal eilen und dort von dem Unglück Nachricht geben. Nun war Schlegel wieder allein mit dem sterbenden Egger. In edler Aufopferung blieb er bei ihm, bis der Arme — erst um sechs Uhr Morgens; so zäh war seine Lebenskraft — ausgerungen hatte, und dann noch eine ganze Stunde, um seines Todes sicher zu sein. Egger hinterläßt eine Frau und vier unmündige Kinder. Hätte er oder einer von den Anderen das einfache Mittel gekannt, die Pulsader am Oberarm mit einem Tragband, einem Knebeltuch oder einem Alpstock zusammenzudrücken, so wäre der Verblutungstod sicher zu verhindern gewesen.
Ich veröffentlichte diese beiden Fälle in unserer Zeitung und suchte dadurch das Publicum auf meine Samariterschule vorzubereiten, [471] welche ich bald darnach eröffnete. Vielleicht hat dies nicht wenig dazu beigetragen, daß sich eine so unerwartet große Zahl von Zuhörern zu meinen Vorträgen meldete.
Ehe ich aber mit diesen begonnen, erhielt ich von meinem Freunde Capitain Furley aus London ein kleines interessantes Buch, betitelt: „First aid to the injured“, worin sich ein Auszug aus den beglaubigten Listen von Unglücksfällen, in denen von examinirten Schülern der Ambulanceschulen die erste Hülfe in zweckmäßiger und erfolgreicher Weise geleistet worden, befindet.
Das Centralcomité in London sendet nämlich an alle Zweigvereine in ganz England Listentabellen aus, in denen alle derartige Samariterdienste, welche von den Schülern geleistet wurden, beschrieben und von den hinzugerufenen Aerzten beglaubigt werden.
Aus diesen Listen werden alljährlich vom Centralcomité die Resultate zusammengestellt und in kleinen Heften unter obigem Titel veröffentlicht.[4]
Unter der großen Menge von interessanten Fällen, welche in diesem Hefte erzählt werden, befinden sich achtzehn, in denen lebensgefährliche Blutungen durch rasche zweckmäßige Hülfe gestillt wurden, und zwar zum Theil von einfachen Arbeitern, von Polizei- oder Bahnbeamten, einige auch von Damen höherer Stände.
Ich will einen Theil derselben so kurz wie möglich hier wiedergeben, da sie auf manche Einwände, die gegen die Samariterbestrebungen gemacht worden, ein grelles Licht werfen.
Mr. Roß, Chirurg in Lavender Hill, schreibt:
„Ich hörte gestern von einem Unglücksfall, bei welchem sich einer unserer Schüler nützlich gemacht hatte. Es war gerade am Tage nach der letzten Vorlesung, daß einem Manne die Hand zwischen zwei Eisenbahnwagen zerquetscht wurde. Die Pulsader war zerrissen; unser Schüler, der zugegen war, improvisirte mit Hülfe eines Eisenbahnschlüssels eine Aderpresse und verband den Arm so gut, daß bei der Ankunft des Verletzten im Hospital der Arzt sich erkundigte, wer ihn verbunden habe, und erklärte, daß das Leben desselben durch den Verband gerettet worden sei. Nach drei Wochen konnte der Mann als geheilt entlassen werde.“
In dem „Kentish Mercury“, vom 13. März 1880 finden sich folgende Mittheilungen:
„Mr. Austen, Arbeiter in den Eisenwerken zu Greenwich, hemmte die heftige Blutung aus einer zerschnittenen Armpulsader bis zur Ankunft des Arztes und rettete so vermuthlich das Leben seines Mitarbeiters. Derselbe schiente zu der völligen Zufriedenheit des Chirurgen in dem Hospital, wohin der Patient gesendet wurde, mit improvisirten Mitteln einen gebrochenen Vorderarm.
Ein kleines Mädchen in Blackheath zerschnitt sich die Pulsader in der Handfläche beim Zerbrechen einer Glasscheibe. Ihr Vater, der die Ambulancevorlesungen in Blackheath besucht hatte, stillte die starke Blutung durch einen Druckverband auf die Oberarmpulsader.“
Der folgende Geschworenenbericht über die Leichenschau des Körpers eines Landmannes, Namens Grainger aus Darlington, der sich nach einer schweren Verletzung aus Mangel an richtiger Behandlung verblutete, kann besser als irgend etwas die Nothwendigkeit der „ersten Hülfe“ illustriren.
„Nach dem Bericht des ,Durham North Star‘ vom 18. September 1881 sagte der Dr. Middlemiß aus Darlington aus, daß er zwischen acht und neun Uhr nach dem Ochsenmarkt geholt worden sei, um den Verstorbenen zu sehen. Er habe ihn verblutend, pulslos, ohnmächtig gefunden. Er hatte einen complicirten Bruch des Oberschenkelknochens erlitten und blutete stark aus der zerrissenen Hauptpulsader in der Kniekehle. Man hatte den Versuch gemacht, die Blutung dadurch zu stillen, daß man ein Taschentuch unterhalb der Wunde um das Bein band. Dies konnte wohl die venöse (aus der Blutader), aber nicht die arterielle (aus der Pulsader) Blutung stillen; letztere hätte einzig dadurch gestillt werden können, daß man oberhalb der Wunde eine feste Umschnürung gemacht hätte.
Der Verletzte stand aufrecht an einem Pfahl (das wirksamste Mittel, um die Blutung zu unterhalten), unterstützt von zwei oder drei Mann, obgleich man in zwei Minuten Stroh vom North-Eastern-Hôtel hätte herbeischaffen können.
Er (Zeuge) habe sofort nach Stroh gesendet, den Verwundeten darauf gelagert und sich der Wunde angenommen. Nach seiner Meinung würde schon der Tod erfolgt sein, wenn er zwei oder drei Minuten später gekommen wäre. Die Maßregeln, welche man vor seiner Ankunft getroffen hatte, um die Blutung zu stillen, entsprachen durchaus der Unwissenheit der Leute, welche keine Kenntniß von den Anfangsgründen der Anatomie hatten. Wäre Jemand dagewesen, der auch nur die gewöhnlichste Kenntniß von dem Verlaufe der Pulsader besessen hätte, so würde das Leben des Verunglückten wahrscheinlich gerettet worden sein. Ein Schüler der Ambulancegesellschaft würde sofort dadurch die Blutung gestillt haben, daß er den Stamm der Ader an der geeigneten Stelle zusammengedrückt hätte. Dadurch aber, daß man den Verletzten so lange aufrecht stehen ließ, habe er eine enorme Quantität Blut verloren, und dieser Blutverlust habe seinen Tod verursacht. Es könne kaum angenommen werden, daß man den Verwundeten hätte stehen lassen, wenn man die schreckliche Art der Verletzungen erkannt hätte; denn der Oberschenkelknochen war in sechs Stücke zerbrochen und der Unterschenkelknochen sah aus, als ob er von einem Ende bis zum anderen mit einem Beile zerhackt worden wäre. Da so viele Schüler der St. John Ambulancegesellschaft sich in der Stadt befänden, so sei es sehr auffallend, daß Niemand daran dachte, einen von diesen zur Hülfe zu rufen. Von den Angestellten der Eisenbahnstation, welche sich kaum eine Minute vom Markte entfernt befindet, seien viele durch die Ambulancegesellschaft ausgebildet, und da er selbst einer von den Examinatoren gewesen, so könne er nur Rühmliches berichten über die Kenntnise, welche diese und andere Bewohner der Stadt gezeigt hätten, und doch habe man Niemanden zur Hülfe gerufen. Er habe sich selbst diesen Morgen auf der Station erkundigt und habe erfahren, daß die Hülfe von wenigstens einem halben Dutzend vollkommen ausgebildeter Helfer zu haben gewesen wäre.
Der Todtenschauer erklärte, daß er niemals bei einer Leichenschau gegenwärtig gewesen sei, welche solche Belehrung gegeben hätte, und er hoffe, der Vertreter des ‚North Star‘ werde das gewichtige Zeugnis des Dr. Middlemiß in Betreff der Wichtigkeit und auch der Nothwendigkeit den Unterrichtes der Ambulancegesellschaft zu verwerthen wissen.
Die Jury erklärte, daß der Tod durch den Shock der Verletzung erfolgt, aber beschleunigt worden sei durch den Blutverlust, und sprach den Wunsch aus, daß der ,North Star‘ die Bemerkungen des Dr. Middlemiß veröffentliche.“
Die folgenden Fälle wurden berichtet von Herrn Barrington Kennett, Vorsitzendem der Metropolitandistricte I und II:
„Im Skating Rink zu Nizza wurde Lady Borthwick gebeten, einem amerikanischen Seemann beizustehen, der gefallen und seinen Arm gebrochen hatte. Einige Herren unter den Zuschauern, welche herbeigelaufen waren, hatten mit ihren wohlgemeinten, aber unkundigen Bemühungen, dem verletzten Manne beizustehen, ihm nur noch mehr Schmerzen bereitet, als Lady Borthwick ankam und nach genauer Untersuchung des Armes den Knochen gebrochen fand. Sie verband ihn sorgfältig mit einer Pappschiene und mit des Seemanns seidenem Taschentuch, legte ihm mit einem zweiten Taschentuch eine Armschlinge an und sendete den Mann in ihrem eigenen Wagen zu dem nächsten Arzte.“
„Miß S. Forster hielt sich im vorigen Sommer in Down House, Audower, auf, als ein Knabe, der ein Fenster reinigte, eine Scheibe zerbrach und sich dabei einen tiefen Schnitt in den Vorderarm zuzog. Die eine große Pulsader war durchschnitten, und der Knabe blutete entsetzlich, obwobl ein Diener die Wunde fest verbunden hatte. Er war fast schon bewußtlos, als Miß Forster zum Glück zur Hülfe kam. Sofort machte sie aus alter Leinewand, die sie zerriß, eine Binde, mit der sie den Arm oberhalb den Ellbogens fest umwickelte, und so gelang es ihr, die Pulsader zusammenzudrücken und die Blutung in dieser Weise zu stillen, wie sie es in unserer Schule gelernt hatte. Dann machte sie ein dreieckiges Tuch aus einer zerschnittenen Serviette und legte den Arm des Knaben mit erhobener Hand in eine Schlinge. Die Zuschauer waren sehr erstaunt, als sie sahen, daß die Blutung stand, obwohl sie gegen das, was die Dame vornahm, protestirt hatten. Die Wunde des Knaben heilte, und wenn Miß Forster ihn auch nicht gerade vor dem Verblutungstode gerettet hatte, so verhütete sie wenigstens, daß er eine sehr große Menge Blut verlor, was seine Gesundheit vielleicht dauernd würde geschwächt haben.“
Diese Damen hatten beide an den St. John-Ambulanceschulen Theil genommen.
Auszug aus einem Briefe des Predigers E. Pophan Miles, eines der ältesten und eifrigsten Freunde unserer Gesellschaft.
„Monkwearmouth Vicarage, Sunderland, 17. Octaber 1881.
Lieber Major Duncan!
Hier ist ein guter Fall. Während des letzten Sturmes am Freitage wurde hier ein Pferdebahnwagen umgeworfen, und ein fünfzehnjähriger Knabe erlitt dabei einen Oberschenkelbruch. Er wurde in ein naheliegendes Haus getragen, und Mr. Swan, der das letzte Examen unserer Ambulanceschule bestanden hat und zufällig in der Nähe war, hatte den Knaben auf einen Tisch gelegt, hatte Stücke Holz, die er als Schienen und Bandagen gebrauchen konnte, geliehen und das Bein so sorgfältig und so sachgemäß verbunden, daß der Chirurg unseres Hospitals, wohin der Knabe gebracht wurde, mich versicherte, daß der vorläufige Verband des gebrochenen Beines auch von einem Arzte nicht besser hätte angelegt werden können. Der Patient wurde gleich in eines unserer Betten gelegt, und es ging ihm außerordentlich gut.
Der Fall wird dadurch noch interessanter, daß, während Mr. Swan mit dem zerbrochenen Gliede beschäftigt war, man eine Locomotive bis zu unserem Hospital laufen ließ, welche alsbald mit unserem Chirurgen Dr. Chalmes zurückkehrte. Derselbe kam zeitig genug, um den Knaben auf eine Matratze lagern zu helfen, die man in dem Hause borgte, und dieselbe auf die Locomotive zu bringen, welche dann den Patienten unter Aufsicht des Chirurgen und des examinirten Ambulanceschülers nach dem Hospital brachte.
Nun, was sagen Sie dazu?
Für mich ist es die Krönung aller meiner Thätigkeit während fünfundvierzig Jahren als Diener der christlichen Kirche gewesen, daß ich helfen konnte mit Ihrer ganz besonderen Hülfe einen Verein zu organisiren, um Schüler zu unterrichten und die Ambulancebewegung zu fördern.“
So spricht und schreibt man in England über den Nutzen der Ambulanceschulen.
Dr. Schleich hat nun zwar (Seite 10) die Behauptung aufgestellt, [472] daß in England die Verhältnisse ganz anders liegen, als bei uns, hat aber diese Behauptung zu begründen vergessen. Wir haben in Deutschland ebenso gut Fabriken, Eisenbahnen, Bergwerke, große Städte, Flüsse und Seen, unvorsichtige Menschen und Unkundige, wie in England, und somit wird sich das Bedürfniß nach einer solchen Belehrung des deutschen Volkes auch wohl nicht leugnen lassen.
Wenn nun aus den oben angeführten Beispielen unleugbar hervorgeht, daß das Capitel von den Blutungen und der ersten Hülfe bei denselben eins der wichtigsten für den Samariter sein muß, so dürfte es nicht unpassend sein, wenn ich an dieser Stelle auseinandersetze, wie ich dasselbe in meiner Samariterschule behandelt habe.
Ein Fürst unter den Musikern der Gegenwart, erregt Franz Liszt im hohen Greisenalter dieselbe Bewunderung, erweckt die gleiche Verehrung und Anhänglichkeit, wie er schon in jungen Jahren allgemeinster Sympathien sich erfreute. An diesem außergewöhnlichen Manne erscheint Vieles seltsam und wunderbar, und nicht am wenigsten ist es sein reichbewegtes Leben, was vor tausenden und aber tausenden Sterblicher ihn ganz und gar auszeichnet.
Aber wer für den „König der Pianisten“, für den muthigen und phantasiereichen Schöpfer der „symphonischen Dichtungen“, für den Componisten der großartigen Oratorien „heilige Elisabeth“, „Christus“ und so mancher Kirchemnusikwerke Interesse fühlt, sollte der nicht mit Spannung die Einzelheiten seiner persönlichen Entwickelung verfolgen wollen und nicht mit innerer Antheilnahme beachten, wie eine hohe und edle Künstlernatur aus kleinen Verhältnissen sich emporarbeitet und siegreich sich durchkämpft durch die Brandungen des Lebens, die so oft sie umschlangen und sie hinabzureißen drohten? Was Liszt als reproducirender Musiker und als Virtuose geleistet hat, davon sprach und sagte die staunende Welt, wie von den Thaten eines Orpheus; seine bedeutungsvollen Compositionen aber erringen sich, wenn auch nicht ohne Kämpfe, immer mehr Anerkennung und werden noch in späten Zeiten tönendes Zeugniß geben von seiner geistreichen und eigenthümlichen exceptionellen Schaffenskraft.
Fast wie ein Roman, nur daß Nichts auf Erfindung, sondern Alles auf wohl untersuchten Thatsachen beruht, liest sich der erste Band von L. Ramann’s Schrift „Franz Liszt. Als Künstler und Mensch“. (Breitkopf und Härtel, 1880.) Wer diese Biographie einmal zu studiren angefangen hat, wird sie nicht aus den Händen legen, bis er sie zum Schluß gelesen. Aus diesem ersten Bande schon kann der Leser ersehen, was jetzt noch von dem greisen Meister gilt, daß er als Mensch jenen bereits in der Jugend besonders angezogenen Ausspruch des Thomas a Kempis zur Signatur seines Lebens machte:
„Niemand kann zum Frieden gelangen als der, welcher sich selbst entäußert und nicht sich, sondern Anderen lebt[WS 1].“
Die Idee des Mittlerdienstes des Künstlers zwischen dem Göttlichen und der Welt kam ihm früh zum Bewußtsein, ward ihm ein bleibendes Gesetz. „Er war ein Priester der Kunst sein Leben hindurch. Nie hat ein Eigennutz seine Seele befleckt; nie geschah es, daß er seine künstlerischen Dienste einer edlen Sache, seine künstlerische Hülfe Andern entzogen hätte!“
L. Ramann verfügt über einen gewandten und blühenden Stil und hat den inhalt- und farbenreichen Stoff mit aller Hingabe und Sorgfalt behandelt, sodaß die Lectüre ihres[WS 2] obenerwähnten Werkes ebenso viel Genuß wie Belehrung und Erhebung gewährt.
Wir wollen nur bemerken, daß die S. 432, Anmerkung 2, gebrachte Notiz, Liszt sei Präsident des allgemeinen deutschen Musikvereins,[5] auf einem Irrthum beruht. Niemals ist Liszt Präsident des Vereins gewesen. Diese Correctur mag nebensächlich erscheinen, aber der Verfasser, mit Recht (S. 27) auf das „biographische Gewissen“ sich berufend, wird dafür nur dankbar sein.
Bilder und Studien aus dem Thierreich. Für Unterrichtszwecke gezeichnet und herausgegeben von Heinrich Leutemann. In Lichtdruck ausgeführt von A. Naumann und Schröder. Leipzig 1882.
Unsere Leser werden sich erinnern, daß wir im vorigen Jahre (vergl. Nr. 27) ein treffliches Hirschbild brachten, welches wir als die letzte „Gartenlauben“-Gabe unseres langjährigen und allbeliebten Mitarbeiters, Heinrich Leutemann’s, bezeichneten. Damals mußte schon der Künstler wegen eines schweren und unheilbaren Augenleidens seiner Kunst, Illustrationen für den Holzschnitt zu zeichnen, dauernd entsagen. Unterstützt durch einen großen Theil deutscher Maler, welche ihm ihre Naturstudien zur Verfügung stellten, wandte er sich nunmehr dem Unterrichtgeben zu und suchte mit Hülfe des reichhaltigen, in seinem Besitz befindlichen Materials seine Schüler und Schülerinnen vor Allem darauf hinzuweisen, wie der Künstler die Natur sieht. Da aber die meisten Heinrich Leutemann von den deutschen Malern überlassenen Naturstudien die Darstellung von Köpfen, Figuren und Landschaften bilden und nur wenige zur Thierdarstellung gehören, so beschloß er, einen Theil seiner eigenen seit dreißig Jahren gesammelten Thierstudien als gedruckte Zeichenvorlagen vervielfältigen zu lassen und seine eigenen Erfahrungen und Beobachtungen auf diese Weise auch Anderen, Lehrern und Schülern, zugänglich zu machen. Das erste Heft dieser Sammlung ist vor Kurzem erschienen und enthält fünf schön ausgeführte Blätter, welche eine Löwin mit Jungen, eine Tigerin, Hundeköpfe, eine Katzengruppe und einen ruhenden Hirsch darstellen. Diese Bilder, welche wir hiermit der allgemeinen Beachtung warm empfehlen, eignen sich auch vortrefflich als Wandschmuck.
Das von uns heute im Holzschnitt reproducirte Bild „Morgentoilette“, das eine Tigerin mit Jungen darstellt und einer näheren Erklärung nicht bedarf, ist der erwähnten Sammlung entlehnt worden und zeugt von der Sorgfalt und Lebenstreue, mit welcher diese Thierstudien Leutemann’s gezeichnet worden sind.
„O alte Burschenherrlichkeit“ Ueber den 1880 zu Eschwege in der Provinz Hessen verstorbenen Sanitätsrath Dr. Höfling, den Dichter des Liedes: „O alte Burschenherrlichkeit“, wurde Anfangs Juni dieses Jahres in einer namhaften deutschen Zeitung eine Korrespondenz aus
Bonn veröffentlicht, welche in einigen Punkten der Berichtigung und Vervollständigung bedarf. Gestützt auf einen Brief, den die in Fulda lebende Wittwe des Dichters, Wilhelmine Höfling, geb. Geiße, am 17. Juni dieses Jahres an ein Mitglied der Straßburger Burschenschaft „Germania“ gerichtet hat, vermögen wir über Höfling folgende authentisch sichere Angaben zu machen:
Höfling wurde am 5. October 1808 zu Fulda geboren. Nachdem er das dortige Gymnasium und Lyceum absolvirt, studirte er in Marburg und Würzburg von 1826 bis zum Schluß des Jahres 1830 Medicin. Sodann besuchte er noch die Universitäten Wien und Prag, um sich darauf in Heidelberg, wo er Assistent bei Professor Nägele ward, als Privatdocent zu habilitiren. Er gab jedoch die akademische Laufbahn nach einigen Jahren wieder auf und zog sich nach seiner hessischen Heimath zurück, um dort als praktischer Arzt zu wirken.
Wann das betreffende Lied entstanden ist, vermag Frau Höfling mit Bestimmtheit nicht anzugeben, doch glaubt sie sich zu erinnern, daß ihr Gatte das Jahr 1826 als das Geburtsjahr desselben bezeichnet habe.
Höfling bewahrte sich bis in sein Alter eine seltene Jugendfrische, und er war als geistvoller Gesellschafter nicht minder beliebt, wie er als wissenschaftlich tüchtiger Arzt hochgeschätzt wurde.
Da Höfling’s köstliches Lied unter jungen wie alten Studenten so volles Bürgerrecht erlangt hat, daß kein Stiftungsfest, geschweige denn ein Commers „alter Herren“ ohne dasselbe denkbar erscheint, so ist es erklärlich, daß die Frage, welche studentische Corporation das Recht habe, Höfling den Ihrigen zu nennen, oft aufgeworfen und ventilirt worden ist. Frau Höfling giebt hierüber Aufschluß; sie schreibt nämlich:
„Mein Mann war ein treuer Anhänger der ‚deutschen Burschenschaft‘, bei der er in seinen Studienjahren activ gewesen.“
Vermißte – gefunden!
Ueber Dolezal (1882, S. 272, Nr. 11) kam die Nachricht, daß der Vermißte bei seinem Vater in Kuttenberg wohne.
Paul Mundt (1880, S. 437, Nr. 6) soll, nach einer Notiz vom Auswanderungsbeamten H. Bein in Bern, am 21. April 1879 über Havre nach Chicago abgereist sein.
Der Schlossergeselle E. Jul. Porzig (1882, S. 271, Nr. 2) soll nach einer Nachricht als dritter Maschinist auf dem norddeutschen Lloyddampfer „Hermann“, nach einer andern als Geselle beim Schlossermeister A. Ullrich zu Sprendlingen in Rheinhessen arbeiten.
Eine Postkarte aus Zawadzki meldet uns, daß der „so lange Jahre vergeblich gesuchte“ August Zucker (1881, S. 584, Nr. 69) aus Elberfeld geschrieben, wo er in einer Brauerei angestellt ist.
Unsere Vorsicht, von den Einsendern der vom vorigen Jahre datirenden Zuschriften wegen Vermißter die Erneuerung ihrer Wünsche zu begehren, hat den Erfolg gehabt, daß wir aus der Liste über zwanzig Namen streichen konnten, deren Träger indessen theils gefunden und heimgekehrt, theils gestorben waren. Zu bedauern bleibt es immer, daß zu einer großen Anzahl dieser Abmeldungen unsere besondere Aufforderung erst hat antreiben müssen.
Nicht in unsere Liste einzureihen ist der folgende Fall: Eine holländische Postkarte benachrichtigt uns, daß in den Mühlwerken der Herren Barry, Arnold u. Comp, zu Rondebosch (Cap der guten Hoffnung) ein Deutscher verunglückt sei, der lange an einer Herzkrankheit gelitten, dessen Namen man aber nicht genannt habe. Vielleicht vermißt eine deutsche Familie einen Anverwandten dort und kann diese Notiz benutzen.
Eine Verehrerin Friedrich Rückert’s in Gotha. Zu Beisteuern für das Rückert-Denkmal in Schweinfurt hat die „Gartenlaube“ aufgefordert, aber nicht selbst gesammelt und deshalb auch nicht quittirt. Unseres Wissens ist die erforderliche Summe noch nicht vollständig aufgebracht. Trotz mancher Ungunst der Zeit verdiente das Andenken an den Sänger des „Liebesfrühlings“ und den deutschen Erschließer der Poesie des Morgenlandes wärmere Theilnahme.
D. Z. Abonnent in Berlin. Jahrgang 1878, Seite 569 u. f.
M. L. in Gl. Schwindel!
N. in N. Nicht verwendbar.
Redacteur: Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
- ↑ Bullion nennt man ungemünztes Gold oder Silber. Früher hieß Bullion die königliche Münze, in welche Gold und Silber, das nicht probehaltig war, eingeliefert wurde.
- ↑ 1 Penny (Mehrzahl Pence) = 8½ Pfennig.
- ↑ Dr. Schleich: „Ein Mahnwort in der Samariterfrage“. (Stettin, 1882)
- ↑ Das Comité des deutschen Samaritervereins in Kiel beabsichtigt diesem Beispiel zu folgen.
- ↑ Geraume Zeit nach Erscheinen dieses Ramann’schen Bandes hat der „Allgemeine deutsche Musikverein“ Liszt zu seinem „Ehrenpräsidenten“ ernannt, in Anerkennung der vielfachen und großen Verdienste, welche Liszt um dieses Institut sich erworben hat, als dessen „Seele“ man ihn füglich bezeichnen könnte. Der kaiserlich deutsche Botschafter in Rom, Baron von Kendell, war es, der im October 1881 Liszt das Diplom überreichte.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Andere lobt. Wurde in Berichtigung berichtigt.
- ↑ Vorlage: seines, es handelt sich um die Autorin Lina Ramann. Wurde in Kleiner Briefkasten berichtigt.