Die Gartenlaube (1880)/Heft 41
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No. 41. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
„Wir brauchen vielen Raum,“ erklärte Schwester Agathe im Vorwärtsschreiten, „da wir, außer für die Zöglinge, auch Platz haben müssen für alle die ledigen Schwestern unserer Gemeinde, die nicht Glieder einer Familie sind und hier alle beisammen leben und arbeiten. Ja selbst die, welche einer Familie angehören, kommen zu uns, ihre freien Stunden hier zu verbringen.“
So sprechend, geleitete sie ihre Gäste aus dem Erdgeschosse in das obere Stockwerk hinauf, aus einem Raume in den andern. Alle waren schlicht und einfach eingerichtet. Die bescheidene Tracht der Schwestern mit dem weißen Häubchen, ihr fleißiges, ruhiges Beschäftigtsein, trotz des Festtagsmorgens, ihr leiser Gang, ihre gedämpfte Sprache, die tiefe Ruhe im Hause – all dies hatte beinahe etwas Klösterliches.
Schwester Agathe führte auch in ein gemeinsames Arbeitszimmer. Es war ein weiter, saalartiger Raum. An langen Tischen saß eine Menge von Mädchen mit theilweis fremdartigen Physiognomien, ganz junge und nahezu erwachsene in bunter Reihe, mit Handarbeit oder Schreiben beschäftigt. Die Aelteren schienen die Jüngeren zu beaufsichtigen und in den Arbeiten zu unterweisen; unter jenen befand sich das junge Mädchen, welches die Fremden hergeführt hatte.
Alle erhoben sich bei dem Eintritte der Gäste von ihren Plätzen und setzten sich dann schweigend wieder nieder.
„Hier finden Sie unsere lieben Zöglinge und die Kinder unserer Gemeindeglieder beisammen. Aus den fernsten Colonien und Missionen werden sie uns zur Erziehung hergesendet und lernen schnell, sich bei uns heimisch zu fühlen, so fern ihr Elternhaus auch ist. Liebe Schwester Marie,“ wendete sich die Chorälteste jetzt an eines der Mädchen, „willst Du einmal Frau von Trautenau sagen, wo Du geboren bist?“
Die Angeredete, ein kleines Mädchen mit olivenfarbiger Haut und schwarzen, stechenden Augen, erhob sich bei diesem Anrufe, als sei sie an einer Schnur emporgezogen worden, und antwortete: „Aus Paramaribo in Surinam;“ dann sank sie wieder auf ihren Stuhl zurück.
„Und Du, liebe Schwester Geneviève?“
„Aus St. Jean in Westindien.“
„Liebe Schwester Sascha?“
„Aus Sarepta in Rußland, Gouvernement Saratow.“
„Liebe Schwester Jacobe?“
„Aus Batavia auf Java.“
„Liebe Schwester Carmen?“
Wie alle Vorhergenannten erhob sich auch Carmen, als Schwester Agathe ihren Namen aufrief, von ihrem Platze – aber nur ein wenig, als geschähe es in unwillkürlicher Regung des Gehorsams, nur dann, wie zufolge von Ueberlegung, sofort sich wieder niederzulassen. Sie hatte bei der ganzen vorhergegangenen Scene mit peinlicher Aufmerksamkeit bald Frau von Trautenau, bald deren ältesten Sohn betrachtet und auf dem Gesichte des Letzteren gelesen, wie höchlich ihn dieses Aufstehen, Hersagen und Zurücksinken der genannten Mädchen amüsire. Jetzt, als ihr Name genannt wurde, übergoß eine dunkle Röthe das schöne Antlitz Carmen's, und sie blieb die Antwort schuldig.
„Liebe Schwester Carmen?“ wiederholte die Chorälteste, als habe Jene das erste Mal den Ruf nicht verstanden.
„O bitte –“ kam da Frau von Trautenau begütigend zu Hülfe, als sie die peinliche Verlegenheit des Mädchens sah. Sie strich ihr freundlich mit der Hand die krausen Löckchen aus der Stirn zurück, die sich so eigenmächtig unter dem Rande des weißen Häubchens hervorgedrängt hatten. „Lassen Sie es gut sein! Ich höre schon an dem lieblichen Namen, daß ihre Wiege in Spanien, wenn nicht in einem noch ferneren, schönen Himmelsstriche gestanden hat. Ist es nicht so, liebes Kind?“
Es lag so viel zarte Schonung für das durch diese Art von Schaustellung verletzte Gefühl des Mädchens, so viel mütterliche Güte in dem Tone und der Art, womit Frau von Trautenau zu ihr sprach, daß Carmen, tief ergriffen davon, sich schnell auf die freundliche Hand herabbeugte und einen Kuß darauf drückte.
„Ja, so ist es,“ sagte sie, die Dame mit ihren dunklen Augen voll kindlicher Demuth anblickend, „ich bin im schönen Westindien, auf der Insel Jamaica geboren.“
„So weit sind Sie von der Heimath entfernt?“ fragte Frau von Trautenau. „Sind Sie schon lange hier in der Colonie?“
„Ja, sehr lange. Mit dem neunten Jahre bin ich von meinem Vater zur Erziehung hierher gesendet worden; denn meine Mutter war schon vorher gestorben, und mein Vater hat ein Jahr nach mir Jamaica auch verlassen, um nach Ostindien zu gehen – ich habe ihn nicht wieder gesehen, ja nicht einmal wieder von ihm gehört.“
Carmen hatte dieses leise gesagt, und ihre Stimme zitterte wie unter verhaltenen Thränen.
„Armes Mädchen, wie sehr beklage ich Sie deshalb!“ entgegnete [666] die Dame theilnehmend, und erfaßte wieder Carmen 's Hand, dieselbe herzlich drückend. Sie empfand so große Sympathie für das Mädchen, daß sie plötzlich noch hinzufügte: „Da Sie wissen, was Getrenntsein bedeutet, wollen Sie sich da Adele's ein wenig annehmen? Vielleicht wird sie sich im Anfang nicht gleich in das neue Leben zu finden wissen.“
„Von Herzen gern, wenn Ihr Töchterchen Vertrauen zu mir haben kann,“ antwortete Carmen froh bewegt.
Da ertönte laut ein Glockenschlag durch die Stille des Hauses, das Zeichen zum Mittagsmahle gebend. Die Mädchen erhoben sich sofort von ihren Plätzen, und Frau von Trautenau verabschiedete sich von Schwester Agathe, die Tochter jetzt noch einmal mit sich nehmend. Nachdem die Gäste gegangen waren, verließen auch die Mädchen das Zimmer, als aber Carmen an Schwester Agathe vorüberschritt, legte diese die Hand auf deren Schulter und sagte ernst, aber nicht unfreundlich:
„Liebe Schwester, ich möchte mit Dir sprechen – komm heute Abend auf mein Zimmer, wenn Du vom Liebesmahl, das wir diesen Nachmittag feiern, wieder heimgekehrt bist!“
Carmen blickte ruhig in die ernsten Augen der Sprechenden, in denen sie recht gut heimliche Unzufriedenheit las.
„Ja, Schwester Agathe, ich werde kommen.“ – – –
Es kann kaum etwas Einfacheres geben, als das Zimmer Schwester Agathe's. Als wolle sie den Anderen an Einfachheit vorangehen, ist hier alles vermieden, was über das Nothwendige hinausgeht. Drei Stühle, ein Tisch, ein altväterisches Sopha, ein Schreibpult und ein Schrank ist das kärgliche Mobiliar; die Wände sind nur weiß getüncht, und über die Fenster ist eine kurze Krause weißer Gardinen gesteckt. Ueber dem steifbeinigen, geradlehnigen Sopha mit verblichenem Zitzüberzug hängt als einziger Schmuck, der aber nicht als solcher gelten kann, die gedruckte Losung des heutigen Tages. Diese „Losungen“ sind biblische Sprüche, die, jedesmal auf ein Jahr voraus für jeden Tag bestimmt und gedruckt, an alle Glieder der Brüdergemeinen vertheilt werden, damit Jeder den Tag hindurch über einen Spruch nachdenke und sein Thun und Lassen nach ihm richte. Heute war es der Spruch: „Weide Du Dein Volk mit Deinem Stabe, die Heerde Deines Erbtheils, wie vor Alters!“ Mich. 7, 14.
Schwester Agathe saß an einem der beiden Fenster, und bei ihr, den Stuhl vor der freundlich hereinscheinenden Nachmittagssonne in den Schatten gerückt, saß Bruder Jonathan Fricke, in seiner ruhigen, überlegten Weise zu ihr sprechend.
„Mir scheint, liebe Schwester, daß die Gesunde Dir heute mehr Sorge macht, als die Kranken.“
„Weil hier schwerer zu helfen ist, als bei diesen, und obschon Du um der Kranken wegen hergekommen bist, lieber Bruder, möchte ich Dir, als dem Freund ihres Vaters, meine Sorge um sie anvertrauen,“ sagte bekümmert Agathe.
„Du klagst über Carmen's weltlichen Sinn, aber solltest Du, liebe Schwester, nicht milde bedenken, daß die ersten Eindrücke des Kindes in ihr noch fortklingen mögen, und sie deshalb entschuldigen?“ sprach er im Tone frommer Nachsicht. „Bruder Mauer war ja aus der Mission hinweg auf seine Plantage gezogen, wo, obgleich er sich auch hier noch zu der Brüdergemeine hielt, doch nicht viel von dem ernsten Leben in unserem Heiland zu verspüren war; denn seine dritte Frau, eine heißblütige Creolin, konnte nicht wirklich als seine Gehülfin im christlichen Hause gelten. Sie schwang sich gern in den Sattel ihres Pferdes und jagte über die Savannen dahin, sie sang zur Mandoline ihre glühenden spanischen Lieder; ihr Fuß tanzte flüchtig, als berühre er kaum den Boden, über die Matten des Estrichs hin, wenn sie, gewandt wie eine Lacerte, aus der Hängematte auf die Veranda schlüpfte und ihre alte Schwarze am Abend wieder einmal das oft verbotene Tambourin schlug. Sie war zu schön, wenn sie ritt, wenn sie tanzte, als daß er je ernstlich sie hätte daran verhindern mögen. Zu schön!“ wiederholte er, immer lebhafter werdend. „Ich habe es ja mit angesehen, wenn ich hinauskam, als Arzt zu helfen, wo es in der Hacienda oder auf der Plantage noth that. Und da schwebte die kleine Carmen der zärtlich geliebten Mutter nach, wie der Zipfel ihres Kleides, und wenn sie Jener nachahmte, so viel sie konnte, tanzte und sang nach spanischer Art, ist das zu verwundern? Es war ja doch so schön und zu verlockend.“
Er schwieg plötzlich und senkte die Augen, als werde er sich seiner Lebhaftigkeit bewußt, da der Blick der Schwester verwundert an ihm hing. Dann holte er tief Athem; seine Finger stäubten wieder an dem sauberen Anzug herunter, und er fuhr in alter, gelassener Weise fort:
„Es war sündhaft für ein Glied der Gemeine, ja, und Bruder Mauer hätte dem wehren sollen; ich habe es ihm oft genug mahnend in die Seele gerufen. Aber er vermochte es nicht über sich. Er war in der Liebe zu diesem Weibe wie in Sünde verloren. Und darum war es zu seinem Heile und zu dem Carmen's, daß die Spanierin starb und das Kind hierher in die Zucht der Gemeine kam, auf daß sie für ein kirchlich Leben gewonnen werde,“ schloß er, die Augen mit demüthig frommem Blick zu Agathen aufschlagend.
„Warst Du dort, als die Frau starb?“ fragte diese.
„Nein. Sie ist vor ungefähr zehn Jahren gestorben, und ich hatte schon mehrere Jahre früher Jamaica verlassen, da ich das Klima nicht länger aushielt. Ich ging nach dem Norden der Vereinigten Staaten. Von Bethlehem, wo ich eine längere Reihe von Jahren blieb, zog mich dann die alte Welt zurück, und als ich hier ankam, war Carmen schon da, und ich hörte nun erst, daß auch Bruder Mauer Jamaica verlassen habe, um nach Ostindien zu gehen.“
„Jawohl, der Herr hatte ihn zu seinem Werkzeug berufen,“ fiel Schwester Agathe ein. „Es war wunderbar, daß so plötzlich der heiße Drang über ihn kam, als Heidenbekehrer Schafe für des Heilands Heerde zu sammeln. Und rastlos hat er für die Kirche unter den Heiden gearbeitet – plötzlich blieb alle Kunde über ihn aus. Und sage selbst, Bruder Jonathan, ist es nicht sonderbar, daß er nie wieder Geldmittel verlangt hat, da er doch nur wenig für seinen frommen Zweck mitnahm und das große Vermögen, welches er aus dem Verkauf seines Besitzthums in Jamaica gelöst hatte, in der Bank unseres Landes niederlegte?“
„Hat er denn davon nichts für Carmen bestimmt gehabt?“
„Das wohl, wir bekommen einen gewissen Theil der Einkünfte aus dem Vermögen für ihre Erhaltung und Erziehung regelmäßig ausgezahlt,“ entgegnete Agathe, „aber es ist das doch verhältnißmäßig nicht viel. Wie muß inzwischen dieses Vermögen gewachsen sein! Carmen ist eine reiche Erbin, wenn ihr Vater wirklich todt sein sollte – eine Verlockung mehr für ihren weltlichen Sinn! Daß auch gar nichts über Bruder Mauer zu erfahren ist! Ich glaube gewiß, er ist todt, in der frommen Arbeit für seines Herrn Sache gestorben.“
Ein eigenthümliches Licht war, während sie sprach, in Jonathan's Augen aufgeleuchtet, und er hob den Kopf jäh empor. Aber, als erschrecke er selbst darüber, senkte er ihn sofort wieder in die gewohnte gebeugte Haltung herab, und da jetzt Agathe schwieg, sagte er mit dem Anklang eines Seufzers:
„Er war mein Freund.“
Wieder eine Pause; er schien zu überlegen.
„Ja, fast scheint es, daß wir ihn verloren haben,“ fuhr er fort, „und dann ist Schwester Carmen eine Waise. Das arme Kind! Um so mehr ertrage sie mit Geduld, liebe Schwester, und klingt es noch immer von ehedem in ihr nach und reißt sie's zuweilen fort, über das hinweg, was sich jetzt für sie geziemt, so gieb ihr einen Führer zur Seite, der sie den rechten Weg zu ihrem Heil geleite!“
„Wie bist Du doch noch immer der treue Freund des Vaters, daß Du Dich stets so liebevoll und fürsorglich des Kindes annimmst!“ sagte Agathe gerührt. „Glaube mir nur, lieber Bruder, auch ich habe das Mädchen von Herzen lieb und betrübe mich deshalb um so mehr, wenn ich fürchten muß, daß ihre Natur sie auf Irrwege drängt. Wen aber soll ich ihr als Führer geben, wenn nicht der Heiland es ist, den ich ihr immer zu Gemüthe führe?“
„Darum eben soll sie einen Gehülfen beständig zur Seite haben, der sie an ihren frommen Beruf erinnert,“ entgegnete Jonathan sehr ernst. „Sie wird in nächster Woche achtzehn Jahr, tritt nun in die Reihe der erwachsenen Schwestern und ist alt genug, eine Heirath zu schließen. Ich denke, das soll das Beste für sie sein. Suche ihr einen Führer, Schwester Agathe, und kennst Du keinen besseren für sie, und findet ihr, Du und die Aeltestenversammlung, es für gut, so will ich, um des Vaters willen, meinen ledigen Stand aufgeben, die Tochter in christlicher Ehe zu mir nehmen und treulich ihr Gatte und Führer werden zu des Herrn Preis.“ [667] Er war unruhig von seinem Platze aufgestanden, und den Arm auf die Lehne des Stuhles stützend, hatte er die letzten Worte hastiger gesprochen, wie in innerer Erregung eines schnellen Entschlusses; seine Augen suchten dabei den Fußboden, nur hin und wieder einmal flüchtig aufblickend, als ob er die Wirkung seiner Worte auf Schwester Agathe's Gesichte erlauschen wolle.
In den Zügen der Schwester aber schimmerte eine freudige Bewegung. „Ein Opfer zu des Herrn Preis, das Du für Schwester Carmen bringen willst!“ rief sie gerührt aus. „Wie könnte ich anders, als es billigen, lieber Bruder? Du, der fromme, weise, erprobte Mann, voll Liebe und Duldung für sie und doch voll der rechten Erkenntniß – wo in der Welt könnte sie einen besseren Berather und Führer finden, als Dich?“
„Sprich nicht also, Schwester Agathe!“ unterbrach er sie verweisend. „Keine sündhafte Creatur verdient solches Lob, am wenigsten ich. Wir sind alle nur demüthige Werkzeuge Gottes, und mangeln des Ruhms, den wir vor ihm haben sollen.“
„Nicht doch, lieber Bruder! Das Gute im Andern anzuerkennen, ist recht,“ erwiderte sie sanft, „und ich sage nicht mehr, als was in Wahrheit ist. Wären doch Alle so bescheiden, wie Du bei so vielem Verdienst es bist! Die Kranken verlangen nach Dir und rühmen Dich als ihren Helfer; den Gesunden bist Du überall ein liebevoller Freund und Berather. Laß Dir danken für das, was Du Carmen in Liebe und Güte bietest! Nach dem Liebesmahl will ich den Aeltesten Dein Anerbieten mittheilen, und stimmen auch diese ihm bei, so werde ich heute Abend mit Carmen über unseren Plan sprechen; ich habe sie ohnedies zu mir beschieden, sie wegen ihres Verhaltens von heute Morgen zu vernehmen. Jetzt aber wird es Zeit, nach dem Betsaal zu gehen.“
Sie erhob sich und reichte Jonathan die Hand hin, deren herzlichen Druck er erwiderte. Er war nie demüthiger in Miene und Gang gewesen, als da er jetzt das Zimmer verließ. Aber als er hinter sich die Thür in das Schloß gedrückt hatte, blieb er einen Augenblick stehen und warf den Kopf zurück. Der unangenehme, frivole Zug um seinen Mund trat lebhafter denn je in einem lüsternen Lächeln der Befriedigung hervor.
„Ah!“ flüsterte er, „Schönheit und Reichthum, wenn sie nun doch mein würden, das wäre eine süße Entschädigung für Vergangenes.“
Als Frau von Trautenau mit ihrer Familie den großen, freundlichen Betsaal betrat, um dem Liebesmahl beizuwohnen, war die Gemeinde schon bei Gesang, zu dem die Orgel ertönte, versammelt; der Raum war beinahe gefüllt. Frau von Trautenau erhielt von Schwester Agathe für sich und Adele noch Plätze angewiesen, während Alexander ein paar leer stehende Stühle nahe am Eingang mit seinem Bruder Hans theilen mußte.
Der Raum bietet für eine Kirche ein eigenthümliches Bild dar. Auch er entbehrt jeglichen Schmuckes, der Altar ist nur ein grün behangener Tisch, auf welchem das Crucifix steht. Die Brüder und Schwestern saßen an langen, weiß gedeckten Tafeln, aber wie gewöhnlich von einander getrennt, und Jedem von der andächtig singenden Gemeine wurde Thee in Tassen nebst kleinen weißen Brödchen gereicht.
Jetzt schwieg der Gesang; die Orgel verstummte, und es erfolgte nun ein längeres Gebet, worauf der Lehrer den Brief eines Missionärs, Joseph Hübner, aus dem Kaffernlande vorlas.
Es war ein rührendes Bild demüthiger Selbstentsagung und treuen Ausharrens, das dieser Brief entrollte; Alexander fühlte sich mächtig ergriffen, sodaß er darüber ganz vergaß, welche seltsame Zusammenstellung von religiösen Betrachtungen mit leiblichem Genuß dieses Liebesmahl doch darbot. Auch hatte er im aufmerksamen Zuhören nicht bemerkt, daß in seiner nächsten Umgebung eine eigenthümliche Unruhe herrschte und die frommen Brüder, leise flüsternd, mit staunenden Blicken ihn und seinen Bruder betrachteten.
Der Vorleser schwieg gerade, und die Orgel intonirte zu einem neuen Gesang; da stieß Hans seinen Bruder an:
„Was finden sie nur Merkwürdiges an uns? Sie betrachten uns so eigenthümlich.“
Alexander besah sich und seinen Bruder genau – er konnte nichts Auffälliges an ihnen Beiden entdecken; auch hatten sie still dem Gang der Feier beigewohnt und ihre empfangene Tasse Thee und das Brödchen pflichtschuldigst genossen. Aber es mußte doch etwas Besonderes an ihnen sein, was Störung verursachte. Er wendete sich daher an seinen Nachbar mit der Frage:
„Wir nehmen doch nicht etwa Jemand hier die Plätze weg?“
„O nein, lieber Herr,“ entgegnete der Angeredete.
„Um so besser! Wir möchten nicht Störung verursachen, und ich fing schon an zu fürchten, daß dies geschehen sei.“
„Bitte, entschuldigen Sie, lieber Herr,“ stammelte der Bruder verlegen. „Es war gewiß unbescheiden von uns, Sie so viel zu betrachten, und doch, es war nur aus Mitgefühl – ein so junges Blut, wie der liebe Bruder ist, und doch schon Wittwer!“
Alexander maß den Sprechenden mit prüfenden Blicken, ob der Mann wohl fasele. Hans – Wittwer! Dieser sah doch trotz seiner aufgeschossenen Länge noch völlig wie ein unreifer Schulknabe aus.
„Wittwer, mein Herr?“ fragte Alexander gedehnt. „Mein Bruder ist sechszehn Jahre alt und besucht noch die Schule; da heirathet man bei uns noch nicht.“
„Dann freilich, lieber Herr – es wollte mir auch seltsam scheinen,“ stotterte der gute Mann in äußerster Befangenheit. „Aber – Sie haben sich unter das Chor der Wittwer gesetzt.“
Fast hätten Alexander und Hans laut aufgelacht; es war ein gar zu drolliges Mißverständniß.
„Da sind wir Beide am falschen Platze, mein Bruder sowohl wie ich; entschuldigen Sie unsere Unkenntniß Ihrer Einrichtungen! Ich sah wohl die Männer und Frauen getrennt sitzen, konnte aber nicht ahnen, daß auch die Wittwer ihre eigenen Plätze haben. Sagen Sie mir gefälligst, wohin wir uns zu begeben haben, beide unverheirathete Bursche, die wir sind.“
„Nein, bitte, lieber Herr,“ meinte sein Nachbar. „Bleiben Sie, wo Sie sind! Das Liebesmahl wird ohnedies gleich zu Ende sein, und es wird nur noch Bruder Daniel von den Brüdern und Schwestern Abschied nehmen; denn er geht als Missionär in das Capland, Bruder Joseph zu Hülfe, und wird morgen abreisen.“
Indem erhob sich auch schon die Gemeine, und ein Mann schritt langsam vor. Er ging zuerst zu den versammelten Schwestern, jeder die Hand zu reichen; dann kam er zu den Brüdern herüber und gab jedem den Scheidekuß. Und der da Abschied nahm, um von den Bequemlichkeiten des civilisirten Lebens hinweg dem fernen Bruder zu folgen in dessen Ringen und Ausharren – es war derselbe linkische, unmännlich aussehende Bruder, der am Morgen in seinen Reitversuchen so unglücklich gewesen war.
Es ist immer das unleidliche Gefühl einer moralischen Niederlage, welches uns überkommt, wenn wir plötzlich einen Menschen an Bedeutung vor uns emporwachsen sehen, den wir eben noch geringschätzig betrachten zu dürfen glaubten. Ein gerechter Sinn weiß sich schnell in diese Anerkennung zu finden; ein kleinlicher, eingebildeter trägt aus solcher Niederlage nur Groll und Mißgunst hinweg.
Alexander überkam es mit Beschämung, daß er vermocht hatte, geringschätzig ob des unbeholfenen Mannes zu lachen, der ihm doch jetzt wie ein Held erschien.
An der ihnen gegenüberstehenden Tafel hatten die jungen Schwestern und die Zöglinge der Erziehungsanstalt ihre Plätze, unter ihnen Adele und nicht fern von ihr Carmen. Als Alexander jetzt sinnend aufsah, begegnete er plötzlich den glänzenden Augen Carmen's, die ihn mit einem Ausdrucke sieghaften Stolzes und fast gebietender Hoheit maßen, als fühle sie mit Genugthuung die Demüthigung, welche ihm der Augenblick für sein geringschätziges Lächeln am Morgen gebracht. In ihrem Gesichte, so ausdrucksvoll wie es war, glaubte er deutlich zu lesen: „Du kannst vielleicht gut reiten – der Mann da kann es nicht; Du fürchtetest Dich nicht, das Kind zu retten, indem Du das wilde Thier aufhieltest – der Mann wagte es nicht; aber würdest Du den Muth zu leiden haben, den er besitzt?“
Wie so ihre Blicke sich maßen, hielt sie ruhig und sicher den seinigen aus, ihm aber war es, als müsse er die Augen niederschlagen.
Inzwischen war der Bruder demüthig, bescheiden bis in seine Nähe gekommen, um den Bruderkuß beim Abschiede von den Nachbarn Alexander's zu empfangen. Und jetzt stand der Mann vor diesem; unschlüssig hielt er an – er mochte seinen Helfer vom Morgen wiedererkennen, und das Roth der Beschämung überzog die sanften, fast weibischen Gesichtszüge, als er zu dem aufsah,
[668] der ihn um mehr denn Kopfeslänge überragte. Da beugte sich Alexander schnell herab, drückte einen Kuß auf des Mannes Wange und sagte herzlich:
„Leben Sie wohl und recht glücklich! Glauben Sie mir, ich bewundere aufrichtig Ihren Muth!“
Der Mann blickte ihn voll Erstaunen an und stammelte: „Ich danke, lieber Herr.“ Dann ging er demüthig weiter.
In Carmen's Augen aber lag, als Alexander wieder aufblickte, ein sanfter, feuchter Schimmer und derselbe Ausdruck der Abbitte, mit dem sie ihm heute Morgen gedankt.
„Wie wunderbar schön ist doch dieses Mädchen!“ dachte Alexander. „Wie viel selbstständiger, freier Geist spricht aus diesen Augen, wie viel Anmuth schwebt um ihren lieblichen Mund! Sie ist wie ein leuchtender Stern unter diesen stillen, sanften Lichtern; als habe sie ihre Bahn am Himmel verlassen und auf die Erde sich verirrt, so wenig paßt sie in die einengenden Kreise, in denen sie sich hier bewegt. Ob sie sich darin wohl und heimisch fühlen kann? Ein freier Geist, der seine eigenen Bahnen beschreibt, kann er in dieses aufgezwungene Formenwesen sich einengen lassen und sich fügen? Nein, sie wehrt sich dagegen, das habe ich heute Morgen gesehen – aber wird sie nicht endlich doch werden wie die Anderen und still beglückt an der Seite eines Mannes, wie Bruder Daniel, hinleben?“
Der Rundgang des scheidenden Bruders war beendet; nach gemeinsamem Gebet und dem Segen des Presbyters verließen die Versammelten den Betsaal wieder.
Jetzt war auch die Zeit des Scheidens von Adelen für Frau von Trautenau und ihre Söhne gekommen. Wie viele Thränen flossen bei diesem Abschied! – –
Es war inzwischen Abend geworden. Die Lampe brannte auf Schwester Agathe's Tisch; da klopfte es an die Thür, und Carmen trat ein. Sie zauderte eine Weile auf der Schwelle, da sie die Chorälteste lesend fand, doch diese hob alsbald die Blicke von ihrem Buche auf, und das Mädchen erkennend, nahm sie die Brille von den Augen hinweg, legte sie zwischen die Blätter, schloß das Buch und sagte freundlich:
„Komm nur näher, liebe Schwester! Du störst mich nicht; ich las nur, während ich Deiner harrte.“
Sie zog einen Stuhl zu sich heran, Carmen aber schob ihn zurück, und neben der Chorführerin niederknieend, sagte sie:
„Nein, Schwester Agathe, laß mich lieber so hören, was Du mir zu sagen hast; denn Du willst mich schelten – ich weiß es.“
Agathe blickte gütig auf das junge Mädchen.
„Carmen, glaubst Du, daß ich Dich lieb habe?“ fragte sie.
„Gewiß, mehr als sonst Jemand hier,“ entgegnete sie schnell.
„Dann weißt Du auch, daß es Liebe ist, die sich betrübt, wenn ich unzufrieden mit Dir sein muß,“ fuhr Agathe fort. „Warum richtest Du Deine Gedanken immer auf weltliche Dinge und lässest Dich von der Eitelkeit verlocken, anstatt daß Du an den Heiland denkst und darin Deine Person gering achtest?“
„Du zürnst mir, Schwester Agathe, weil ich heute Morgen nicht gleich kundgab, von wie weit her in der Welt ich doch bin. Das ist wahrlich nicht so schlimm,“ rief Carmen lebhaft.
Das würdevolle Gesicht der Chorältesten verfinsterte sich, und ein strenger Blick traf die Knieende.
„Ist denn die Losung des heutigen Tages nicht mit Dir gegangen, wie sie es sollte?“ mahnte sie. „Wie heißt sie doch?“
Carmen erröthete bis an die Schläfe, wo die schwarzen Löckchen sich unter der Haube hervordrängten. Sie besann sich, aber sie wußte wirklich im Augenblick den Spruch nicht zu nennen. Es war ja heute so Vieles durch ihre Gedanken gezogen, Neues ihr entgegengetreten, wo sonst der Tag so gleichförmig und still dahinging.
Schwester Agathe wartete geduldig, daß Carmen's Gedanken sich sammeln möchten; endlich, als der Spruch sich doch nicht in dem widerspenstigen Köpfchen finden wollte, sagte sie:
„Geh, hole die Losung her!“
Doch jetzt, als die Augen des Mädchens nach dem bekannten Platz der Losung über dem alten steifbeinigen Sopha hinflogen, kehrten auch die Gedanken auf den rechten Fleck zurück: sie erinnerte sich des Spruches und sagte ihn schnell her.
„Weide Du Dein Volk mit Deinem Stabe!“ wiederholte nachdrucksvoll Agathe. „Hast Du bedacht, liebe Schwester, was das bedeutet? Dein Volk, das heißt: die welche Dir angehören; mit Deinem Stabe, das heißt: mit der Stütze Deines Willens. Carmen, wie kann der Heiland Dich mit seinem Stabe leiten, wenn Dein eigner Wille sich nicht unter den eines Anderen beugen will und die Eitelkeit Dich regiert?“
Carmen hatte in ihrer knieenden Stellung die Ellenbogen auf Schwester Agathe's Schooß gestemmt und den Kopf auf ihre Hände gestützt; ihre Augen sahen nachdenklich zu der Sprechenden auf, als sinne sie über das, was jene sagte.
„Eitelkeit nennst Du das,“ sprach sie erregt, „und zürnst mir darum, weil ich Fremden nicht gleich erzählen wollte, wonach sie doch gar nicht verlangt und was ihnen ganz gleichgültig, ja lächerlich war, da man es ihnen vorerzählte? O Schwester Agathe, ist es denn nothwendig, daß wir uns zum Gespött der Welt hergeben? Damit wird Gott doch nicht gedient. Und wenn Du über meine Eitelkeit klagst, ist es denn nicht auch eine solche, die Euch dazu verlockt, mit unseren entfernten Geburtsstätten wichtig zu thun? Wollt Ihr damit nicht zeigen, wie Ihr die Fühlfäden überall hin in die Welt gestreckt? Das ist denn doch auch Eitelkeit bei all Eurer Demuth.“
Betroffen blickte Agathe nieder und schwieg einen Augenblick. Dann raffte sie sich auf und sagte streng:
„Vermenge Nichtigkeiten nicht mit dem Ernsten! Das, was jedes schwache Glied der Gemeine zur Verbreitung von des Herrn Kirche thut, geschieht zu seinem Preis und nicht zu dem eignen; wir rühmen uns um des Heilands willen, nicht um uns arme Sterbliche. Was thut es uns, wenn die Welt unser spottet? Sind wir mit dem Heiland und er mit uns, ficht uns die Welt nichts an! Gehe in Dich, liebe Schwester, auf daß Du also das Heil Deiner Seele nicht verlierest! Nimm Dir einen Helfer zur Seite, der Deinen Fuß leitet, wenn er straucheln will! Und siehe, es bietet sich Dir einer an, wie Du treuer und fester keinen finden kannst. Bruder Jonathan Fricke, der treue Freund Deines Vaters, ehrt Dich hoch, indem er Dich zur Gefährtin nehmen will. Er hat mir heute seine Absicht darüber bekundet, und die Aeltesten, mit denen ich darüber gesprochen habe, geben ihre Zustimmung zu diesem Bunde.“
Carmen hatte todtenbleich, mit weit geöffneten Augen, die Worte Agathe's angehört; als diese jetzt schwieg, sprang sie empor und sich von ihr hinwegkehrend, stieß sie rauh und heftig heraus:
„Ich aber will ihn nicht zum Manne haben.“
Kufstein ist eine frühere Landesfeste und zugleich ein feines, nahrhaftes Städtchen in der Grafschaft Tirol. Die Feste liegt auf einem freistehenden Felsen, den im Sommer viele grüne Büsche umflattern, und besteht aus einem mächtigen runden Thurme und einem langen Hause, in welchem etliche hundert Mann Besatzung lagern. In den Schießscharten schlummern einige Geschütze. Von dieser Festung giebt nun unser Bild (5) einen ganz guten Begriff, aber von dem Städtchen, das ihr zu Füßen liegt, läßt es nichts bemerken. Letzteres ist indessen für den germanischen Wanderer viel wichtiger, da es ihm freundliche Aufnahme und treffliche Verpflegung bietet, was jene selbstverständlich nicht gewähren kann. Das Städtchen erscheint zwar an Umfang nicht bedeutend, aber in seinem Aussehen so stattlich und vornehm, daß ihm das Land Tirol in diesem Stücke wohl kein zweites an die Seite stellen könnte, wenn man, wie sich von selbst versteht, die beiden Hauptstädte Innsbruck und Trient wegdenkt.
Wie uns die Landkarten und der Augenschein belehren, liegt dasselbe an dem mächtigen Innstrome, welcher stolz vorbeirauscht. Auf dessen linkem Ufer breiten sich die weitläufigen Gebäude des Bahnhofs aus, und ist hier immer viel Leben und Verkehr. Mehr
[669][670] als die Hälfte aller Nordländer, die sehnsuchtsvoll nach Italien pilgern, spricht da zu; durch den deutschen Grundbaß klingt schon manch süßes italienisches Wort, namentlich im Sommer, wo sich hier immer viele welsche Arbeiter aufhalten, und somit läßt sich der Bahnhof zu Kufstein als ein Vorhof Hesperiens betrachten.
Eine lange Brücke führt über den Strom und in die Stadt. Letztere besteht allerdings nur aus einer Straße, welche aber sehr breit und von hohen erkerreichen Gebäuden eingerahmt ist. Sie zieht einen gelinden Abhang hinan, was dem malerischen Reize des Bildes keinen Eintrag thut. Ein hoher eherner Brunnen schmückt sie. Während andere Landstädte an der Brennerbahn einer traurigen Verödung entgegengehen, hat das freundliche Kufstein durch dieses neue Verkehrsmittel unbedingt gewonnen. So wächst denn sein Wohlstand von Jahr zu Jahr, und in seinem Aeußeren zeigt sich allenthalben ein erfolgreiches Streben nach Reinlichkeit und Glanz. Auch an guten Gasthöfen fehlt es nicht. Der Auracherbräu hat einen wohlbegründeten Ruf im ganzen Lande und darüber hinaus. Zu ihm gehört auch ein schattiger Garten am Ufer des Innstroms. Dort sitzen an schönen Sommerabenden die Wanderer und die Sommerfrischler.
Kufstein, Stadt und Festung, haben auch eine Geschichte, aber da wir jetzt selber so viele Geschichten erleben müssen, so haben wir wenig Zeit und Lust, uns in alte Jahrhunderte zu versenken, und sind um so dankbarer, je kürzer die betreffende Historie, wenn sie uns nicht ganz geschenkt werden kann, gefaßt wird. Also nur wenige Worte!
Die Kirche von Kufstein wird schon im achten Jahrhundert erwähnt. Damals gehörte das Unterinnthal bis zum Zillerbache noch zum Herzogthume Baiern und blieb bei diesem bis zum landshutischen Erbfolgekriege, welchen Kaiser Max der Erste austrug; er sprach sich dafür 1504 die Gerichte Rattenberg, Kitzbühel und Kufstein zu. In jenen Tagen belagerte der Kaiser auch die Festung Kufstein.
Als der Kurfürst Max Emanuel von Baiern 1703 in’s Land Tirol einfiel, nahm er zuerst unser Kufstein vor, das sich auch schnell ergab, nur daß dabei die ganze Stadt in Flammen aufging. Anno Neune lag eine baierische Besatzung in der Festung, und der Platz wurde lange von den tirolischen Helden belagert, aber nicht eingenommen. Jetzt ist die Festung als solche aufgelassen und dient eigentlich nur noch als Caserne.
Kufstein liegt in herrlicher Gegend – am Inn, wie bereits gesagt. Dieser läuft hier noch zwischen hohen Bergen, welche aber in wenigen Stunden abbrechen und sich in’s baierische Hügelland verlieren. Zur Rechten erhebt sich das wilde, menschenfeindliche Kaisergebirge, zur Linken der ragende Pendling, zu dessen Füßen die Thiersee liegt, ein kleines, hellgrünes, liebliches Thal, in dem ein dunkelblauer See sich ausspannt. Wer nicht nach Arkadien gehen will, der soll hier ein sprechendes Bild jenes berühmten, von so vielen Dichtern besungenen Landes finden können. Zwischen der Thiersee und dem Innstrom erhebt sich der lange, doch nicht sehr hohe Thierberg, welcher Wald und Wiesen, schmucke Bauernhöfe, zierliche Villen und eine alte verlassene Burg trägt. Unter dieser, in großer Klemme zwischen der Bergseite und dem Strome, wo nur für Straße und Eisenbahn Raum ist, findet sich die nicht mehr ganz unbekannte Clause, ein Wirthshäuslein mit blumenreichem Garten, der eine treffliche Ansicht des Kaisergebirges und der Festung Kufstein bietet. Hier wird im Sommer mancher Becher rhätischen Weins getrunken, und zwar betheiligen sich daran nicht blos die Landeskinder, sondern noch ungleich mehr die baierischen Nachbarn. Da nämlich das Wirthshäuslein dicht an der Grenze des Königreichs Baiern liegt, also auf tirolischem Boden das erste und wegen seines guten Kellers sehr beliebt ist, so fahren jene Nachbarn an Sonn- und Feiertagen oft in großen Gefolgschaften heran, bleiben beim Glase, bis der Mond aufgeht, und wenden sich dann in heiterster Laune wieder der Heimkehr zu.
Auf dem andern Ufer des Stromes möchten wir namentlich die unferne Kienbergklamm einer näheren Betrachtung empfehlen. Dort rauscht ein frischer Alpenbach aus waldiger Schlucht, an deren Eingange sich eine neue Curanstalt erhebt, ein elegantes Wohnhaus und ein feiner Speisesaal, daneben auch eine zierliche Trinkhalle oder Veranda auf hohen Pfeilern mit erfreulichem Blicke in die Nähe und Ferne.
An den schattigen Halden der Kienbergleite schlängeln sich bequeme, von verlässigen Geländern begleitete Pfade in die Höhe; hier zeigt sich ein schmaler Steg, dort eine schwindelnde Brücke. Oben ladet ein offenes, leichtbedachtes Sommerhäuschen zum Besuche ein, den es auch mit prachtvoller Aussicht in das grüne Innthal, auf den ragenden Pendling und in die Stubeierferner dankbar vergilt.
Sagen wir auch einige Worte über die Bildchen, welche das Festungsstück umkränzen! Sie sind nicht besonders idealisirt und mögen daher der Wirklichkeit ziemlich nahe stehen. Das erste oben links (1) zeigt uns einen Arbeiter, der sich mit einer Botin unterhält und ihr ein Gläschen Schnaps abkauft. Er ist sicher Einer von Denen, welche in den seit etwa dreißig Jahren in diesen Thälern ausgebeuteten Cementbrüchen arbeiten.
Der Cement ist ursprünglich Mergelkalk, der in großen Oefen ausgebrannt und dann unter jenem Namen (jährlich circa zwei Millionen Centner) als hochgeschätztes Baumaterial in die weite Welt versandt wird. Er geht zu Schiffe nicht allein nach Wien und Pest, sondern auch bis an’s goldene Horn zu Stambul. Die Oefen, in denen er gebrannt wird, geben übriges einen dicken Rauch von sich, der einen höllischen Gestank verbreitet und so manchen Wanderer, der sich nach reiner Luft und feinen Blumendüften sehnt, aus diesen stillen Thälern völlig hinausräuchert. Zu diesen verhaßten Cementöfen nimmt der mit Mergelkalk beladene „Rädelkarren“ unseres Bildes (4) seinen Weg.
Neben den prosaische Mergelkalk stellt unser Maler die vielbesungenen Sennerinnen (2, 8 und 9). Die Nachrichten, welche über diese Alpenhirtinnen umlaufen, sind sehr schwer unter einen Hut zu bringen. Man hört mitunter, sie seien ganz eingegangen und die Almen würden jetzt allenthalben mit „Schweizern“, das heißt mit käsekundigen Männern besetzt, die aber nur selten noch aus der Schweiz kommen, sondern meistentheils im Inlande aufgewachsen und geschult worden sind.
Nach andern Angaben sollen die Sennerinnen zwar noch vorhanden, aber garstige Trampeln sein, welche leinene Hosen tragen und die Touristen mehr verblüffen, als bezaubern, eine Anschauung, welche durch unsere Bildchen nur unterstützt wird. – Wieder nach anderen Quellen sind es aber liebliche Huldinnen, deren blaue Augen mit ihrem minniglichen Blicke allein schon den jungen Wanderer auf der freien Höhe für alle seine Anstrengungen entschädigen können. Wenn die Wahrheit in der Mitte liegt, so wäre nach allem diesem etwa anzunehmen, daß es wirklich noch Sennerinnen und darunter auch solche gebe, denen man Jugend und Schönheit keineswegs absprechen dürfte. Milch, Butter und Käse erfordern nämlich in ihrer Behandlung große Reinlichkeit, und diese will man am ersten von jugendlichen Mädchen erwarten. Die Melkerei ist beschwerlich und verlangt junge Arme; mehr Anstrengung noch als diese bringt aber die Hut und die Bewachung des Viehes mit sich, welches oft bei Hochgewittern durch Blitz und Donner weit versprengt und dann nur durch beschwerliche Hetze über Stock und Stein wieder zusammenbracht werden kann. Aus allen diesen Gründen schickt man im baierischen Gebirge und im tirolischen Unterinnthal noch immer die jungen, kräftigen Mädchen, ob sie schön oder garstig sind, auf die Alm. Dort wird dann allerdings auf Citherklang und Liedersang oft mehr Werth gelegt, als auf die Predigten des Vicars, der tief unten im Dorfe über die leichten Sitten der Almerinnen zetert.
Im übrigen Tirol dagegen hat man die Mädchen schon längst von den Almen heruntergezogen, um dafür die ledigen Burschen, mitunter schon ganz angejahrte, hinaufzuschicken. Damit ist denn auch sofort ein principieller Gegensatz eingetreten. Während die Almerinnen nämlich stolz sind auf ihre Reinlichkeit, findet man bei den Sennen oft genug das Gegentheil.
Damit auch das Touristenvolk auf unserem Bilde nicht fehle, führt uns der Zeichner zwei Touristinnen, freilich der ältlichen Gattung (3) vor, welche zu Pferde auf die hohe Salve pilgern. Möge ihnen schönes Wetter beschieden sein, damit sie die schöne Aussicht genießen können, und gebe Gott, daß sie sonst nichts zu genießen brauchen; denn das braune Hüttlein dort oben vermag kaum die bescheidensten Ansprüche zu befriedigen.
Einen Rattenfänger lernen wir auch kennen (6), so einen, der Maulwürfe und Feldmäuse in seinen Wirkungskreis zieht und von jedem Schwänzchen, das er seinen Auftraggebern abliefert, eine Belohnung von zwei Kreuzern erhält.
Außer zwei Gewitterscenen (10 und 11), die sich selbst erklären, führt uns unser Bild noch ein Marterl (von Martyrium [671] so genannt) (7) vor. „Ein Marterl?“ höre ich den Leser fragen, „was ist ein Marterl?“ Nun, ein auf Holz gemaltes Angedenken an einen Unglücksfall, der einem Menschenkinde das Leben gekostet. Die alte Frau auf unserem Bilde erklärt dem neugierigen Touristen die traurige Begebenheit.
Neben solchen Bildern stehen gewöhnlich etliche kunstlose Verse, deren Verfasser aber immer im Dunkeln bleiben. Die städtischen Aesthetiker ergötzen sich oft lächelnd an ihrer Naivetät, und es wäre gerade nicht schwer, von solchen Versen mehrere classische Beispiele zusammenzustellen; im Augenblick aber fällt mir kein anderes ein, als dieses:
„Hier ward vom Blitz erschlagen
Ein Ochs, ein Bua, eine Kuh.
Herr, gieb ihnen die ewige Ruh!“
Nunmehr noch einen Sprung in’s Kaisergebirge! Dieses also bildet auf einem Raum von vier Quadratmeilen eine steinerne Runde, welche von einem rüstigen Wanderer in zwei Tagen kaum umgangen werden kann. Es ist ein Knäuel von schauerlichen Zacken, die zwar nicht zu den höchsten, aber zu den wildesten und zerrissensten des Landes gehören. Zwischen diesen findet sich kein Dörflein und kein Weiler, aber doch die und jene grüne Alm und braune Sennhütte. Die höchsten Gipfel sind früher wohl manchmal von Gemsenjägern oder Wildschützen, systematisch aber zum ersten Mal von Professor Thurwieser aus Salzburg in den vierziger Jahren erstiegen worden. Später, im Jahre 1869, folgte ihm Karl Hofmann aus München, ein vielversprechender junger Mann, der bei Bazeilles als baierischer Lieutenant sein Leben lassen mußte. Dieser scheute keine Beschwerde, um des Gebirges unbetretene Irrsale alle auszuforschen. Er erkletterte den Treffauer Kaiser und die Haltspitze nebst anderen nachbarlichen Ungethümen und legte dann seine Beschreibung in der Zeitschrift des deutschen Alpenvereins nieder. Es erhellt daraus, daß die Besteigung dieser Höhen sehr gefährlich und nur ganz schwindelfreien Waghälsen anheimzustellen ist.
Im Kaisergebirge gehen auch verschiedene Sagen um, aber sie handeln nicht von seligen Fräulein, sind überhaupt nicht anmuthig, sondern durchaus unheimlich wie diese Riffe selbst. Noch geistert da die Huberbäuerin aus dem Baierlande, die wegen ihres Geizes hierher verbannt worden ist und verwegenen Wildschützen, um sie zu schrecken, mitunter polternde Steine nachsendet. Es ist noch nicht so lange her, daß in der Elmau eine Hexe spukte, welche, da alles häusliche Gebet nicht fruchtete, endlich von einem frommen Klosterbruder in diese Schluchten verwiesen wurde, aus denen sie bisher nicht zurückgekehrt. Als einst drei unfriedliche Bauern von Lauterbach während der heiligen Messe über die Grenzen ihrer Felder stritten, erfaßte sie plötzlich ein Windstoß und entrückte sie auf die Haltspitze, welche daher auch die Geisterspitze heißt. Wenn die Berge von schauerlichen Donnerschlägen widerhallen, sagt man noch jetzt: die Lauterbacher schelten.
Wer aber ohne große Beschwerde und ohne alle Lebensgefahr dem wilden Kaiser seine Ehre erweisen und die Schauer dieser Bergwelt aus einiger Nähe betrachten will, dem ist die gütige Natur dadurch entgegengekommen, daß sie das schmale Kaiserthal eingesprengt hat. Wer in dieses hinaufsteigen will, der geht zuerst von der Stadt Kufstein in die Sparchen, die er in einer halben Stunde erreicht. Dort findet er einige Mühlen und eine finstere Klamm, aus der ein starker Bach herauskommt, um über malerische Mühlwehren hinunterzustürzen. Ist der Wanderer über die Brücke gegangen, so hat er einen steilen Felsensteg hinanzuklimmen, bis sich ihm jenes Thal aufthut; eine unabsehbar lange, jäh abfallende Wiese, deren unterer Saum sich in der dunklen, von mächtigen Fichten beschatteten Bachrinne verliert, während der obere an schroffen Kämmen endet. Mitten durch diese Wiese zieht sich ein schmaler Fußpfad, der den Wanderer an fünf wohlhabenden Bauernhöfen vorbeiführt, bis er die Antonius-Capelle und nach dieser den sechsten und letzten der Kaiserbauern erreicht. Dort mag er sich zur Ruhe niederlassen und den Anblick genießen, den ihm Püttner’s Bild, das diese Nummer der „Gartenlaube“ (S. 677) schmückt, eröffnet.
Aber wer sind diese wilden „Schrofen“ und wie heißen sie?
Der nächste also, die kahle Wand zur Rechten, ist das Sonneck; ihm folgt gegen die Mitte zu die Haltspitze, dieselbe, die auch als Geisterspitze bekannt ist. Karl Hofmann stellt ihre Höhe auf 7520 Pariser Fuß und giebt sie für den erhabensten Gipfel des Kaisergebirges aus.
Von diesem Kamme durch eine tiefe Schlucht getrennt, zeigt sich die Gamskarlspitze. Ihr zur Linken ragt aus dem abwärts streichenden Grate eine kleine pyramidale, bisher noch nicht erstiegene Felsenzacke empor, welche die Todtenkirche genannt wird, weil sich da jede Nacht die im Kaisergebirge hausenden Geister versammeln. Nebenan liegt des Teufels Wurzgärtlein; da soll einst ein mächtiger Zauberer den Teufel gezwungen haben, ein Gärtlein mit seltsamen, köstlichen, herrlich duftenden Wurzeln und Kräutern anzulegen. Leider ist es später wieder eingegangen.
Wenn sich nun der wohlmeinende Wanderer beim letzten Kaiserbauern (aus eigenen Vorräthen) angenehm erquickt und die wilde Schau zur Genüge genossen, mag er wieder zur Sparchen zurückkehren, von dort durch schöne Auen nach dem gastlichen Kufstein wandeln, sich in dem Schatten des Auracher Gartens zur Rast setzen, die großen Eindrücke des Tages noch einmal an sich vorübergehen lassen und dabei des Zeichners und des Schilderers, die ihn im Geiste dahin begleitet haben, freundlich gedenken.
Mitternacht ist längst vorüber; die Straßen sind öde und menschenleer; nur hier und da begegnet man noch einem taumelnden Nachtschwärmer oder einem verdächtigen Strolche. Auch der Wächter des Reviers läßt sich nicht blicken und ruht von seiner Runde unter irgend einem geschützten Thorwege oder in einem befreundeten Bierkeller aus. Am nächtigen Himmel lagert dichte Finsterniß; die spärlichen Gaslaternen leuchten so düster, daß man kaum auf zehn Schritte eine menschliche Gestalt erkennen kann; auf der Spree liegen die schwarzen Schiffe so ruhig, als ob sie schliefen, und in den angrenzenden Häusern träumen die schlummernden Bewohner in den warmen Betten. In dem entlegenen Stadttheile herrscht eine tiefe, unheimliche Stille. Selbst der Hofhund ist verstummt und bellt nicht mehr.
Nur in einem nach dem Wasser zu gelegenen Keller wacht der arme Budiker Piefke mit seiner Frau voll ängstlicher Spannung. Von dem unnachsichtigen, wegen seiner Hartherzigkeit verrufenen Wirthe des Hauses mit Exmission bedroht, sannen die Ehegatten schon seit mehreren Tagen darauf, sich und ihre Habe den Händen ihres unbarmherzigen Gläubigers zu entziehen. Aber Herr Spieseke war ein „Geriebener“ und kannte den „Rummel“. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend stand er abwechselnd mit seiner würdigen Gattin auf der Lauer und bewachte wie ein Cerberus die Thür seines Schuldners. Selbst in der Nacht löste er sich mit seiner besseren Hälfte ab, und Beide lauschten vor dem offenen Fenster, um das Ausrücken des Budikers zu verhindern.
Umsonst versuchte der arme Piefke, den Argus zu täuschen und durch falsche Nachrichten aus dem Hause zu locken, um in der Zwischenzeit seine heimliche Flucht zu bewerkstelligen. Umsonst speculirte er bald auf die Neugierde, bald auf die Vergnügungssucht seiner Wirthsleute. Selbst die anonyme Zuschickung zweier Billete für das entfernt liegende Vorstadttheater verfehlte ihren Zweck, da Herr Spieseke der Versuchung tapfer widerstand und nur seine Frau mit der ältesten Tochter in’s Theater schickte. Der unglückliche Budiker bedauerte das hinausgeworfene Geld und gab bereits alle Hoffnung auf, doch die resolute Frau tröstete ihn und richtete seinen gesunkenen Muth wieder auf.
„Bestelle auf morjen Nacht die Rück-Compagnie!“ sagte sie entschlossen.
„Die Rück-Compagnie?“ fragte er verwundert.
„Na ja! Vater Brendel mit seinen Leuten.“
„Und können die uns helfen, wenn Spieseke und sein alter Drache den janzen Tag und auch zur nachtschlafenden Zeit wie die Schießhunde aufpassen und uns nicht fortlassen?“
„Thu’ nur, was ich Dich heiße!“ [672] „Aber wenn Spieseke's etwas merken, kommen wir in Teufels Küche. Der Kerl läßt nicht mit sich spaßen, und mit Jewalt ist da nichts zu machen. Er wird die Polizei rufen und dann muß ich wenigstens meine vier Wochen brummen.“
„Wie kann man nur ein solcher Hasenfuß sein! Ich stehe Dir jut dafür, daß er nicht die Probe merken soll.“
„Du kannst Dir doch nicht unsichtbar machen und unsere Schränke und Kommoden, das janze Jeschirr in der Luft fortschaffen, während Spieseke's vor der Hausthür Wache stehen?“
„Laß sie man stehen, bis sie schwarz werden! Schadet nichts.“
„Wie sollen wir denn mit unseren Sachen fortkommen?“
„Du bist doch jar zu dämlich,“ versetzte die schlaue Frau mit überlegenem Lächeln. „Die Hausthür jeht auf die Straße und unser Keller nach der Spree. Hast Du mir bejriffen?“
„Nicht janz; denn das Wasser hat keine Balken. Wie sollen wir denn die Sachen 'nüberbringen?“
„Mit dem Kahn.“
„Jetzt jeht mich ein Seifensieder uff,“ rief Herr Piefke entzückt. „Karline! Ich muß Dich einen Kuß jeben. Du bist die klügste Frau, die ich kenne. Aber woher sollen wir den Kahn nehmen?“
„Davor wird schon Vater Brendel sorgen. Mach man, daß Du fortkommst und die Rück-Compagnie bestellst!“
Ohne Zeit zu verlieren, begab sich der folgsame Budiker zu dem bekannten Vater Brendel, der an der Spitze einer sogenannten nächtlichen Rück-Compagnie stand. Er und seine Leute, verwegene Gesellen, bildeten eine von allen Hauswirthen Berlins gefürchtete Bande, die gegen eine angemessene Belohnung mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit und Kühnheit verschuldeten Miethern bei ihrem heimlichen Auszug halfen und den gefährlichen Transport der Habseligkeiten besorgten, bevor die geprellten Wirthe eine Ahnung davon hatten.
Da die Letzteren nach dem Gesetz bei schuldiger Miethe das Recht haben, das bewegliche Eigenthum des Miethers zurückzuhalten, so lange sich dasselbe in ihrem Hause befindet, ist es hauptsächlich die Aufgabe der Rück-Compagnie, so heimlich und rasch wie möglich die Möbel und Geräthschaften auf die Straße zu schaffen, wo dieselben vor jeder Pfändung sicher sind. Dagegen wird ihre gewaltsame Entfernung aus dem Hause nach erfolgtem Einspruch mit mehrwöchentlichem Gefängniß bestraft.
Für ein derartiges gewagtes Geschäft war Vater Brendel ganz der geeignete Mann, ein wahrer Riese mit dem Nacken eines Stiers, mit Fäusten wie Bärentatzen und mit den breiten Schultern eines Hercules, dabei schlau wie ein Fuchs und schnell wie ein Windhund. Wie ihm die schwerste Last nur ein Kinderspiel war, wie er im Handumdrehen einen centnerschweren Wäscheschrank forttrug, so verstand er es, dem geriebensten Wirth eine Nase zu drehen, und er that dies mit wahrer Begeisterung.
„Was jemacht werden kann,“ sagte er lachend auf den Antrag Piefke's, „wird jemacht. Verlassen Sie sich janz auf mich. Spieseke soll nicht einen Kochlöffel von Ihnen zurückbehalten. Nur sorgen Sie für einen juten Gilka! Meine Jungens haben einen fürchterlichen Durst und müssen sich stärken.“
„Daran soll es nicht fehlen,“ versetzte Piefke. „Auf ein paar Flaschen kommt es mir nicht an. Also nach Mitternacht! Wir werden unterdessen Alles vorbereiten und zusammenpacken, damit wir keine Zeit versäumen. Der Keller liegt dicht an der Spree, nicht weit von der Brücke. Nehmen Sie sich nur in Acht, daß Spieseke's nichts merken!“
„Nur nicht ängstlich!“ entgegnete der Riese. „Jeschwindigkeit ist keine Hexerei. Mit dem alten Schneesieber werden wir schon fertig werden. Halten Sie nur Alles parat und passen Sie auf das Zeichen auf! Ich klopfe dreimal in die Hände; dann lassen Sie uns ein. In zehn Minuten ist die Bude bis auf den letzten Strohhalm ausjeräumt, und Spieseke kann sehn, wo er bleibt.“
„Der Kahn wird doch jroß jenug sein, um die janze Wirthschaft fortzuschaffen?“
„Dadrum brauchen Sie nicht zu fragen. Ich stehe Ihnen gut davor, daß nicht ein Schmortopf zurückbleiben soll.“
Nachdem der Budiker dem Vater Brendel noch einmal Vorsicht eingeschärft und ihm das übliche Draufgeld eingehändigt hatte, eilte er nach seiner Wohnung, um im Stillen mit seiner Frau die nöthigen Vorbereitungen für ihren heimlichen Auszug zu treffen. Schnell wurden Schränke und Kommoden geleert, die Betten zusammengeschnürt und Töpfe und Gläser in Körbe gethan und mit dem vorräthigen Stroh bedeckt. Mit ängstlicher Spannung erwarteten Beide die Dunkelheit der Nacht, da sie von den wachsamen Wirthsleuten bei ihrer verdächtigen Beschäftigung überrascht zu werden fürchteten.
Zur bestimmten Stunde glitt ein großer Kahn geräuschlos wie ein Schatten auf dem Wasser und legte unbeobachtet unter der bezeichneten Brücke an. Aus demselben stiegen sechs kräftige, bis an die Nasenspitze vermummte Männer und näherten sich, vorsichtig nach allen Seiten sich umschauend, dem an der Spree gelegenen Keller, den ein matter Lichtschimmer erhellte. An ihrer Spitze schritt Vater Brendel schweigend wie ein Feldherr, der einen nächtlichen Ueberfall leitet. Auf das gegebene Zeichen öffnete sich still die zuvor eingeölte Kellerthür und ließ einen Theil der Gesellschaft hinein, während die andere Hälfte draußen stehen blieb.
Mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit und Ordnung wurde in wenigen Minuten der Keller geleert. Auf ihren breiten Schultern trugen die riesigen Männer Schränke und Tische, Stühle und Kommoden, Kisten und Kasten, Betten und Geschirr in den bereitstehenden Kahn. Der Schweiß rann ihnen von der Stirn, und unter der schweren Last rötheten sich die purpurnen Gesichter, schwollen die blauen Adern um Stirn und Nacken. Sie gönnten sich keine Rast, da Vater Brendel zur Eile trieb. Nur zuweilen hielten sie inne, um sich durch einen mächtigen Zug aus den Flaschen zu stärken, welche Frau Piefke bereit hielt und fortwährend neu füllen mußte.
Unterdessen stand Herr Spieseke an dem geöffneten Fenster und blickte mit seinen Luchsaugen wachsam auf die menschenleere Straße hinaus, unbekümmert um die nach dem Wasser gelegene Seite, da er eine Flucht seines Miethers über die Spree für unmöglich hielt. Nichtsdestoweniger konnte er sich einer leichte Befürchtung nicht erwehren, als er den bisher stillen Hofhund plötzlich laut bellen hörte und aus der Ferne ein verdächtiges Geräusch, ein Rücken und Rutschen, ein Krachen und Rasseln, ein Flüstern und Lachen zu vernehmen glaubte.
„Guste!“ rief er bestürzt, seine süß schlummernde Gattin weckend. „Guste, hörst Du denn nicht?“
„Na, was giebt's denn?“ versetzte sie verschlafen. „Ist die Reihe schon wieder an mir? Hab' mich ja kaum in's Bett gelegt.“
„Gusteken! Mir kommt es vor, als ob der Budiker ausrücken wollte. Es rumort so unten im Keller.“
„Du träumst wohl, und es rumort allein in Deinem Kopfe. Laß mich mit Deinen Dummheiten in Frieden!“
„Mir kommt die Geschichte nicht richtig vor.“
„Mit Dir scheint es mir nicht ganz richtig zu sein. Piefke's wissen, daß wir ihnen aufpassen. Denkst Du denn, daß sie über die Spree fliegen können? Damit hat es gute Wege.“
Die Worte der würdige Gattin beruhigten den mißtrauischen Wirth um so leichter, als auch das Geräusch wieder schwieg und das Bellen des durch einen rechtzeitig ihm gereichten Bissen bestochenen Hundes verstummt war. Während dieser Zeit hatte auch die Rück-Compagnie ihr Geschäft beendet, keinen Scherben im Keller und keinen Tropfen in der Flasche zurückgelassen. Unter Führung des Vater Bredel eilte die ganze angeheiterte Gesellschaft nach dem Kahn.
„Einjestiegen!“ commandirte der Riese.
„Nur noch einen Augenblick!“ rief Frau Piefke. „Ich habe noch etwas verjessen.“
„Was denn?“ fragte ärgerlich der Budiker, dem das Feuer unter den Sohlen brannte.
„Meine Juitarre,“ versetzte die poetische Dame.
„Wegen des Barbierflügels dürfen wir uns nicht aufhalten. Und was soll Dir der alte Klimperkasten?“
„Ohne meine Juitarre und unsere Zieh-Harmonika jeh' ich nicht fort. Musik erheitert das Leben.“
„Hat man je eine so närrische Frau jesehen! Du wirst so lange trödeln bis Spieseke's aufwachen und dann haben wir die Bescheerung.“
„Sie können uns nichts mehr thun, auch wenn sie aufwachen. Unsere Sachen liegen im Kahne, und sie dürfen nicht mucksen. Nicht wahr, Vater Brendel?“
„So is es!“ brummte der Riese. „Sobald die Sachen aus dem Hause sind, kann der Wirth nichts mehr machen.“
„Aber der Skandal!“ mahnte der ängstliche Budiker; „wenn Spieseke's Unrath wittern.“
[673] „Je toller, desto besser,“ entgegnete die fidele Gattin, „und je mehr sie sich boßen, desto mehr freu' ich mir. Wir wollen ihnen ein Ständchen auf dem Wasser bringen und dazu auf meiner Juitarre und der Ziehharmonika spielen.“
Der Vorschlag der muthwilligen Frau wurde von der lustigen Gesellschaft mit allgemeiner Acclamation angenommen und trotz der Protestation des vorsichtigen Budikers ausgeführt, indem Vater Brendel die an der leeren Kellerwand hängende Guitarre holte und der Sängerin mit komischer Galanterie überreichte.
„Nu kann es losjehn!“ sagte er lachend. „Das jiebt einen Ulk, wie er noch nicht dagewesen ist. Wollen Sie nicht anfangen, Frau Lucca?“
Im nächsten Augenblick intonirte zur Guitarre Frau Piefke die bekannte Melodie: „O du lieber Augustin!“ mit lauter Stimme, begleitet von den gellenden Tönen der Ziehharmonika und dem dröhnenden Baß des angeheiterten Chores, daß die Fenster in dem ganzen Hause klirrten und Herr Spieseke erschrocken zusammenfuhr.
„Guste, Guste!“ schrie der entsetzte Hauswirth. „Die Budikersleute rücken aus. Hörst Du denn nicht den Spectakel?“
„I! da möchte doch Einen gleich der Schlag rühren!“ rief sie, aus dem Bette springend. „Schnell, nur schnell, daß sie uns nicht entwischen!“
Im tiefsten Negligé stürzten Beide die Treppe hinab, über den Hof nach dem Keller, dessen offene Thür und leere Wände ihnen keinen Zweifel ließen, daß die losen Vögel ausgeflogen waren. Ein Blick auf die Spree zeigte ihnen, welchen Weg die schuldigen Miether eingeschlagen hatten, um sich und ihre Sachen dem drohenden Schicksal zu entziehen.
„Wie kann man nur,“ grollte die erzürnte Gattin, „ein solcher Esel sein!“
„Wer hätte auch daran denken sollen, daß die Spitzbuben im Kahne ausrücken werden!“
„Du hättest daran denken sollen.“
„Ich sage Dir, Guste, es giebt keinen Menschen in ganz Berlin, den sie nicht auch auf so eine niederträchtige Art und Weise hätten prellen können.“
„So was kann nur Dir passiren.“
„Du hast auch nicht die Weisheit mit Löffeln gegessen. Hinterdrein kann man leicht klug schmußen.“
Während Beide mit einander zankten und sich fast in die Haare geriethen, schaukelte der Kahn lustig ihnen gegenüber auf dem Wasser. Auf einer großen Kiste saß Frau Piefke mit der Guitarre in der Hand und sang: „Das Schilf streicht durch die Wellen, Fridolin!“
„Fridolin!“ brüllte der tolle Chor und schwenkte die mitgenommenen Flaschen.
Knirschend vor Wuth raunte der Wirth sammt Gattin am Ufer auf und nieder, in ohnmächtigem Zorn die Fäuste ballend.
„Diebe, Räuber! Zu Hülfe! Constabler, Nachtwächter!“
„Incommodiren Sie sich nicht!“ höhnte Vater Brendel. „Sie werden sich noch die Schwindsucht an den Hals schreien. Die Nachtwächter schlafen, und die Polizei kann Ihnen auch nicht helfen. Legen Sie sich jefälligst in's Bett, sonst werden Sie sich noch einen jründlichen Schnuppen holen. Leben Sie wohl, Herr Spieseke. Jute Nacht!“
„Gute Nacht, liebste Anna Dorothe!“ sang Frau Piefke zur Guitarre.
„Hülfe! Diebe, Räuber!“ schrie Herr Spieseke, „Constabler, Nachtwächter!“ kreischte seine Gattin unter dem schallenden Gelächter der im Kahn dahintreibenden Rück-Compagnie.
Endlich zog der Lärm die Polizei herbei; auch die Nachbarn erschienen an den Fenstern und in den Thüren ihrer Häuser. Zitternd vor Aufregung erzählte der betrogene Wirth sein Mißgeschick und verlangte den Beistand des Constablers und die Verfolgung der Flüchtlinge.
„Thut mir leid,“ entgegnete der Beamte, „aber ich kann da nichts thun. Warum haben Sie nicht besser aufgepaßt?“
„Ich habe bei Tag und Nacht gewacht, aber das ist mir nicht eingefallen, daß man auch zu Wasser ausrücken kann.“
„Ich kann Ihnen nur den Rath geben, sich an das Gericht wegen der schuldigen Miethe zu wenden.“
„Dabei wird auch nichts herauskommen.“
„So weit ich den Budiker kenne, halte ich ihn für einen ehrlichen Mann, der ohne sein Verschulden in Noth gerathen ist. Wenn es ihm wieder besser gehen sollte, wird er Ihnen gewiß die schuldige Miethe bezahlen.“
„Er wird mir den Teufel thun. Ich kenne die Art besser; die lebt blos davon, daß sie ehrliche Leute um ihr Bischen Geld bringt.“
„Beruhigen Sie sich, und warten Sie's ab!“
Piefke bezahlte richtig. In dem neuen Stadttheil, wo sich der Budiker niederließ, blühte sein Geschäft auf, und schon nach einigen Monaten erhielt Herr Spieseke eine Postanweisung mit der ganzen Summe. Seitdem ist Letzterer auch nachsichtiger gegen seine Miether geworden und drückt nicht mehr die armen Leute, wenn sie mit der Zahlung im Rückstande bleiben. Er hat den größten Respect vor der Rück-Compagnie bekommen.
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In Brüssel spielte sich am folgenden Tage die Hauptfeier der ganzen Jubiläumstage ab: das patriotische Fest, das Fest des Vaterlandes! Verzeihen Sie, wenn ich bei der Erinnerung etwas dithyrambisch werden sollte, es war zu unvergeßlich schön.
Das Fest fand im Garten der Ausstellung statt; auf allen Wegen strömte eine zahllose Menge festlich gekleideter Menschen, mit Cocarden und Schleifen geschmückt, dorthin. Die Straßen waren mit Fahnen decorirt. Hier der Friedensengel! Die Fahnen aller Nationen der Welt umgeben wie eine Strahlenkrone das Bild der Göttin; rechts und links die vergoldeten Medaillons Leopold's des Ersten und seines würdigen Sohnes und Nachfolgers. Weiterhin der zum Andenken an die großen Männer von 1830 errichtete Triumphbogen, sowie ein andrer, welcher der Verherrlichung der Künste, der Wissenschaft, der Industrie und des Ackerbaues gewidmet ist. Und immer weiter dringen wir vor inmitten dieser unendlichen Volksmenge, die das „Heute“ ganz vergessen zu haben und nur der Erinnerung an 1830 zu leben scheint. So finden wir der Reihe nach das Gedächtniß an die provisorische Regierung, an den Nationalcongreß, an Leopold den Ersten und an die Kämpfer des großen Jahres gefeiert.
Nunmehr gelangen wir, begleitet von Kanonensalven, die vom frühen Morgen an den hohen Tag begrüßt, zum Festplatz, den auf der einen Seite wohl an hunderttausend Zuschauer besetzt halten, während auf der anderen die reich drapirte königliche Tribüne strahlt; zwanzig andere Tribünen, rechts und links davon, sind für die geladenen Gäste bestimmt, und eine der besten gehört der Presse.
Nachdem der gewaltige Festzug sich geordnet und seine Plätze eingenommen, verkündete ein Kanonenschuß die Ankunft der königlichen Familie; die Musikcorps stimmen die Nationalhymne an, Alles erhebt sich – und plötzlich durchbraust der Ruf aus hunderttausend Kehlen die Luft: „Es lebe der König! Es lebe die Königin!“
Es war ein überwältigender Augenblick!
Sichtlich ergriffen nahm der König seinen Platz ein; um ihn reihten sich die Fahnen und Banner. Darauf trat der Senatspräsident heran, hielt eine Anrede und überreichte eine Adresse; ihm folgten der Präsident des Hauses der Abgeordneten und der Minister des Innern, der einen kurzen geschichtlichen Ueberblick der frühern Zeiten Belgiens, seiner Kämpfe gegen die Fremden, seiner Leiden gab und damit in begeisterten Worten die letzten fünfzig Jahre verglich, den Congreß und die provisorische Regierung um ihre Weisheit und Mäßigung preisend. Nach ihm sprach der Präsident des Cassationshofes, sowie der des Provinzialrathes, und zuletzt der Bürgermeister von Brüssel. Und dann antwortete der König in begeistert aufgenommener Rede, welche mit den Worten schloß: „Mein einziger Ehrgeiz ist, meinem Vaterlande zu dienen, wie ich es von ganzem Herzen und ganzer Seele liebe.“
Nun begannen die vorher erwähnten Körperschaften vorüberzuziehen an der königlichen Estrade, ein Zug, wie er wohl niemals vor den Augen eines Fürsten sich entfaltet hat: Zuerst fünf- bis sechstausend Vertreter aller Gemeinden Belgiens, dann die Freiheitskämpfer von 1830, vor denen alle Häupter sich entblößten und alle Hände Beifall klatschten; es folgten Hunderte von Gilden, Turn- und Sangesgenossenschaften und alle Deputationen der Bürgergarden und des Heeres.
Aber mitten in dieser Pracht, dieser Begeisterung dürfen wir zweier interessanter Momente nicht vergessen, die noch vor der Ankunft des Königs sich ereigneten. Seines hohen Alters wegen konnte Mr. Rogier nicht am Aufzuge theilnehmen; er kam allein an, auf den Arm eines Freundes gestützt – da drängte sich die ganze Masse der Umstehenden, Officiere, Würdenträger des Hofes, um ihn, die den König erwartete; man führte ihn zu seinem Ehrenplatze, und hier mußte sich dieser berühmte Staatsmann und Patriot sagen: das Volk ist doch dankbar und treu in seiner Liebe.
Und mit gleichem Jubel wurde der greise Abbé de Haerne empfangen (übrigens der einzige Geistliche, der am Feste Theil nahm!); sein edles Gesicht strahlte das Glück wieder, das er empfand, diesen Tag erlebt zu haben, nachdem er wie Rogier 1830 dieses Belgien gründen geholfen. Und als er neben Rogier seinen Ehrenplatz einnahm, weihte das Volk den beiden geliebten Veteranen neue, brausende Huldigungen.
Nach dem Vorbeizug ertönte, von großem Chor ausgeführt, die Festcantate, gedichtet von Hymans, componirt von Lassen, deren einzelne Verse und namentlich der Schluß:
Es stirbt kein Volk von freiem Sinn.
O Freiheit, unsre Führerin,
O Königthum, du Schirm und Wehr –
Ihr macht uns stark, nichts Andres mehr.
Frei Belgien, du sollst leben!
einen unendlichen Jubel und einen Beifallssturm hervorriefen, der endlich in der unwillkürlich aus den vielen Tausenden herausbrechenden Nationalhymne, der Brabançonne, gipfelte.
Und dann verließ die königliche Familie, nämlich der König, die Königin, die anmuthige Prinzessin Stephanie, der Graf von Flandern (der künftige Thronfolger) und dessen Kinder, den Festplatz, wieder geleitet von den Zurufen des Volkes, worauf die Massen sich verliefen – so schloß das patriotische Fest, das Fest des Vaterlandes, das Fest der fünfzigjährigen Freiheit.
Am folgenden Tage besuchte ich die internationale Ausstellung, die nichts eben besonders Hervorragendes enthielt, dann aber das Parlamentsgebäude, in dem namentlich der Senatssaal durch die von Gallait und den Bièfve gemalten lebensgroßen Bilder der belgischen Regenten sich auszeichnet, sowie die herrliche Kathedrale St. Gudula, die ihres edlen Baues, ihres in Holz geschnitzten Altars und ihrer kostbaren Glasmalereien wegen berühmt ist, auch den Justizpalast nahm ich in Augenschein, und endlich das Museum Wiertz. Ein wunderbares Museum, ganz den Werken eines einzigen, vor wenigen Jahren gestorbenen Künstlers gewidmet! Und diese Werke selbst! Bilder voll Kühnheit des Entwurfes, an Michel Angelo erinnernd, gewaltig gemalt, aber vielfach in erschreckend kolossalen Dimensionen – so ein Sturz der Dämonen, prachtvoll, aber einige sechszig Fuß hoch! – und dabei zum Theil grausig, abstoßend, in Entsetzen schwelgend und philosophisch gedacht, sodaß man oft sagen muß: welche Verirrung eines kühnen Geistes und eines großen Künstlers!
Abends war die ganze Stadt strahlend und großartig illuminirt, wenig mit den kalten Gasflammen, desto mehr mit bunten Lampions, farbigen Lämpchen, chinesischen Ballons etc., aber wunderbarer Weise sah man nirgends Transparente, Bilder, Sprüche. Besonders schön war der Park, dem Palaste des Königs gegenüber, mit seinen Ehrenpforten für Leopold den Ersten und Zweiten, für den Congreß etc., erleuchtet. Man sah nirgends Polizei, und doch herrschte überall die größte Ruhe und Ordnung. In mancher deutschen Stadt wäre das undenkbar.
Die vergangenen Zeiten tauchten feenhaft vor unseren Augen auf, als am nächsten Festtage die historische Cavalcade sich vor unsern Augen entfaltete, getreu und zugleich künstlerisch schön, ein lebendes Bild nach dem andern bietend.
Zuerst die alte vlamländische Standarte; dann zehn berittene Trompeter mit reichen Wappenschildern, kriegerische Fanfaren blasend; sie trugen das Costüm des dreizehnten Jahrhunderts. Das vierzehnte Jahrhundert schließt sich an: Ritter und Pferd in glänzendem Waffenschmuck; die Wappen ihrer Gemeinden sind nicht auf ihre Schultern gestickt, aber in ihrer Fahne glänzen sie. Die Leiber stecken in reichen Tuchtuniken, mit dem Stahlhelm auf dem Haupte, zur Seite das mächtige Schlachtschwert.
Es folgen vierzig Reiter, die alten belgischen Gemeinden darstellend, das Banner mit dem Wappen jeder Stadt in der Hand; ihre vier Gruppen stellen das dreizehnte, vierzehnte, fünfzehnte und sechszehnte Jahrhundert dar. Bei den Rittern des fünfzehnten Säculums ändert sich die Tracht; sie wird fast ganz eisern; nur unter ihrem Harnisch tragen die Mannen ein Gewand von Tuch, und auf der Brust das Wappen ihrer Gemeinde, deren Farben auch die Schabracken ihrer geharnischten Pferde zeigen. Reicher gekleidet, mit sammetnen, goldgestickten Gewändern und wallenden Federbüschen erscheinen die Vertreter des sechszehnten Jahrhunderts. Nun ein Herold, zwölf Trompeter in weißen, rothen, violetten Gewändern, mit Schnabelschuhen; eine zahlreiche Truppe Bewaffneter; ein Sängerchor in weißer Tunika mit Löwenköpfen [675] geziert, an ledernem Gürtel einen stählernen Dolch tragend – die historischen „Klauwärts“. Hierauf die Fahnenträger der beiden berühmten Genossenschaften der communalen Kämpfe, der von St. Georg und der von St. Sebastian, Jener im Scharlachgewand mit goldenem Kreuz auf der Brust, der Zweite blau mit rothem Kreuz. Dann ihre Trompeter mit dem großen Capuchonmantel, und hiernach die tapferen Bürger in weißen, blau gestreiften Gewändern, die Helme mit der Nackenberge auf dem Haupt und in den Händen den schrecklichen „Goedendag“, ihr Schwert. Nun folgen, in der Tracht der Gewerke der Zeit, die Bannerträger der vereinigten Gilden von Gent, Brügge und Lüttich, auf diese die Banner der Corporationen und hierauf fünf stattliche Ritter, deren Standarten die Bilder der fünf tapferen Bürger zeigen, welche die Macht der fremden Fürsten gebrochen: Jacob und Philipp von Artevelde, de T’Jerclaes, de Breydel und de Coninck. Ihnen folgt der „Wagen der Gemeinden“, majestätisch gezogen von zehn kräftigen Pferden, die von geharnischten Kriegern geführt werden; der Wagen trägt einen der alten Wachtthürme der Zeit mit seinen Schießscharten und seinen Thürmchen; zu seinen Füßen lagern Löwen, von seinen Zinnen wehen die Standarten.
Jetzt naht sich die Epoche der Provinzen. Zinkenbläser ziehen voran, hinter ihnen siebenzehn Amazonen, die siebenzehn unter dem Hause Burgund vereinigten Provinzen darstellend, beritten, in Gewänder von Sammet, Goldstoff, Seide und Hermelin gekleidet, goldene Kränze auf dem Haupte, die Wappen ihrer respectiven Provinzen auf der Brust. Dann zahlreiche Schaaren von Trompetern, Paukenschlägern, Sängern in der Tracht des fünfzehnten Jahrhunderts; Armbrustschützen; Ritter, auf den Fahnen die Portraits berühmter Belgier. Endlich Philipp der Gute mit seinem Hofe und den Rittern des von ihm gestifteten Ordens des goldenen Vließes.
Wir treten in das Zeitalter der Maria Theresia ein, deren Andenken noch jetzt in Belgien geehrt wird; Pfeifer, Trommler erscheinen, in weißen Uniformen mit der Zopfperrücke und dem goldbordirten Dreimaster, nach ihnen die Geistlichkeit im priesterlichen Gewande, der Adel im goldgestickten Kleide, der dritte Stand in bürgerlicher Tracht, dann zu Pferde der Träger der österreichischen Fahne im blauen, silbergestickten Gewande, in rothseidenen Strümpfen und Schuhen mit goldenen Schnallen. Reichgekleidete Pagen gehen der Kaiserin voran, die in goldbrokatenem Kleide, den Kaisermantel um die Schultern, das kaiserliche Diadem auf dem Haupte, den Scepter in der Hand, hoch zu Roß unter einem Baldachin einherreitet, hinter sich kaiserliche Dragoner in weißer Uniform.
Nun kommen wir zur neueren Zeit, zu Leopold dem Ersten und dem Ruhm und dem Glück Belgiens. Ein Waffenherold eröffnet den Zug; mit ihm ein Musikcorps in der Tracht der berühmten Kosaken der Maas; eine Schaar Patrioten kommt zu Fuße im Costüm von 1830, und dann auf einem großen Wagen das kolossale vergoldete Standbild Leopold’s des Ersten, dem ein Genius einen Kranz auf das Haupt setzt.
Die Chasseurs von Chasteleer, die unsterbliche Phalanx von 1830, folgen in ihren historischen blauen Blousen mit der dreifarbigen Schärpe, am Hute grüne Federn.
Dann naht der Ackerbau, vor sich ein berittenes bäuerliches Musikcorps. Reiter in grüner Seide mit Silberstickerei, einen Lorbeerkranz um den grünen Filzhut, stellen die Acker- und Gartenbauschulen des Staates vor; die Repräsentanten der Botanik und der Forstwissenschaft, des Gemüsebaues, der Viehzucht erscheinen in passenden Anzügen; von kräftigen, derben vlämischen Bauern und Bäuerinnen im Nationalcostüm umgeben, von vierundzwanzig Rindern gezogen, von Hirten in Schaffellen geleitet, folgt der Wagen des Ackerbaues, die Statue der Ceres tragend.
Acht Pferde ziehen den Wagen der Brauerei; auf einem mächtigen Fasse thront König Gambrinus, einen gewaltigen schäumenden Krug in der Hand. Das darauf folgende Musikcorps spielt natürlich das belgische – Bierlied.
Bergknappen, musicirend, gehen dem Wagen der Industrie voran; ihre Fahne trägt ein überaus reich gekleideter Ritter, im Gewande von goldgesticktem und mit Spitzen besetztem Sammet, Helm und Panzer von Silber und mit Edelsteinen besetzt. Sechs allegorische Reiter verkörpern die Zink-, Schmiede-, Glas-, Steinbruch- und Minen-Industrie. Der Wagen selbst, auf dem, hochoben auf dem Amboß, die Göttin des Fleißes thront, ist mit allen Insignien der Gewerbthätigkeit geschmückt und von Bannerträgern umgeben.
Reich costümirte Truppen folgen diesem bis zu dem weithin strahlenden Wagen der Waffenschmiede von Lüttich; derselbe zeigt vorn eine Statue, welche diese Stadt vorstellt, an den vier Ecken Kanonen; der Aufbau selbst ist eine zu schönen Trophäen zusammengestellte Sammlung von blitzenden Waffen und ganzen Rüstungen.
Wagen auf Wagen folgt. Zunächst derjenige der Glasfabrikation; dann, nach Reitern, welche die Seemannsschulen von Antwerpen und Ostende vertreten, der Wagen des Handels und der Schifffahrt, ein mächtiges Schiff darstellend mit vollen Segeln und aller Takelage, mit Matrosen und Mannschaft. Gleich dahinter, wieder unter passender Begleitung von bezüglichen Arbeitern, der Wagen der Eisenbahnen, mit vier dampfenden Locomotiven nach allen Himmelsgegenden, in seinem Gefolge die Schaaren, welche die Post und die Telegraphie darstellen.
Ein herrlicher Wagen, ein wahrer Triumphwagen, folgt: der der Künste und Wissenschaften; obenauf das ganz vergoldete Standbild Rubens’, rings allerlei Embleme; hinten ein Triton mit seiner Muschel und Verkörperungen der Conservatorien und Akademien, welche auf Goldgrund die Bilder der bedeutendsten belgischen Künstler und Schriftsteller zeigen.
Dem Wagen der Presse gehen Bannerträger mit den Portraits von Thierry, Maertens und Plantin, den alten berühmten Druckern, voran; eine brennende Fackel ist an der Vorderseite des Wagens angebracht; die Rückseite ziert ein fackelschwingender Engel, obenauf steht eine wirkliche Handpresse, die während der Fahrt arbeitet und von der aus fortwährend kleine Gedichte, frisch gedruckt, in’s Publicum geworfen werden. Und ganz oben über dem Geräth, auf einem Globus, der Genius der Presse.
Nun endlich der letzte Wagen, derjenige der belgischen Freiheit selbst. Neun Gruppen, die einzelnen Provinzen bedeutend, voran; dann der gewaltige Aufbau. Vorn ein Genius, der mit ausgebreiteten Flügeln eine Krone über die Medaillons Leopold’s des Ersten und Zweiten hält; in der Mitte das Vaterland, Kränze vertheilend und die gebändigten Löwen zu den Füßen, und hochoben eine herrliche, reichgekleidete Frau, Belgien selbst, welche die Zügel in der Hand hält.
Das ist die leider unvollständige Beschreibung des Festzuges, zu dem 2500 Menschen und 1500 Pferde gebraucht wurden, und der in seiner Präcision und vor Allem in seiner wahrhaft künstlerischen Gestaltung von unvergleichlicher Wirkung war. –
Am folgenden Nachmittag fand im Rathhause das Fest der Municipalitäten statt, das heißt das Banket, welches die Stadt den fremden Magistraten gab, und hieran schloß sich ein Concert auf dem Platze vor diesem Hause. Derselbe war wieder strahlend hell illuminirt, diesmal mit lauter Gasflämmchen, welche die barocken Formen der umstehenden Gildhäuser prächtig hervortreten ließen, während elektrische und bengalische Flammen den Thurm des Rathhauses mit seinen Flaggen phantastisch beleuchteten. Einen eigenen Eindruck machte es, als uns gegenüber plötzlich aus einem Fenster ein mächtiger Lichtstrahl hervordrang, und zwar aus demselben Fenster, durch welches die Grafen Egmont und Hoorn zum Schaffot hinausgestiegen waren. Das Concert bestand übrigens aus Vocal- und Instrumental-Musik, der die Tausende, welche auf dem Platze sich zusammengedrängt, in athemloser Ruhe lauschten. Unterbrochen wurde dieselbe nur durch begeisterte Zurufe, als Mr. Rogier das Haus verließ; die Damen reichten ihm Bouquets und die Masse drängte sich so um ihn, daß dem alten Herrn ein Geleit gegeben werden mußte.
Der folgende Tag brachte uns zwei Einladungen; zuerst nach Séraing zur Besichtigung der gewaltigen Cockerill’schen Maschinenbau-Anstalt. Wir fuhren mit der Bahn bis zur betreffenden Station, wo uns die Privatsalonwagen des Etablissements aufnahmen und auf interessantem Wege an vielen Werkstätten vorbei zum Schlosse führten.
Hier empfing uns der Generaldirector, Mr. Samoine, und nach einem reich ausgestatteten Gabelfrühstück führte uns derselbe durch die Fabrikanlagen. Die sind nun allerdings die größten des Festlandes, 9000 Arbeiter sind hier beschäftigt. Als Herr Cockerill im Jahre 1817 die Fabrik gründete, lebten hier etwa 1900 Seelen kümmerlich, jetzt leben ihrer 50,000, und zwar gut! Das riesige Etablissement wäre wohl einer eigenen, eingehenden Besprechung werth; hier gebricht mir zu Mehrerem der Raum.
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Nach der Rückkehr zum Schloß bestiegen wir einen bereit liegenden Dampfer, um der zweiten Einladung, derjenigen der Stadt Lüttich, zu folgen. Die reizenden, malerischen Ufer der Maas fuhren wir entlang und legten dann an der Lütticher Landungsbrücke an, wo uns der Bürgermeister mit einer Anrede empfing, in der er unter Anderem sagte: „Drei Dinge sind es, welche das fröhliche Volk von Lüttich liebt, die Arbeit, den Gesang und das Lesen. Letzteren Genuß bereite ihm die Presse, und darum heiße er uns gern im Namen der dankbaren Einwohner willkommen.“ In bereit gehaltenen Equipagen fahren wir dann, unter Leitung des Bürgermeisters, durch diese alte, jetzt zum großen Theil im Neubau begriffene Stadt, sahen vor dem Theater das Standbild Grétry’s, des berühmten Componisten, der hier geboren, und begaben uns dann zum Rathhaus, das zu unserem Empfange festlich geschmückt war und wo ein opulentes Diner unser wartete. Ein im Nebenzimmer abgestelltes Musikcorps spielte indeß die Nationalhymnen aller hier vertretenen Nationen, und es machte einen feierlichen Eindruck, wenn stets die Angehörigen des betreffenden Landes sich erhoben und stehend ihre Heimathshymne anhörten, worauf Alle lebhaft applaudirten.
Als das Diner beendet (gegen neun Uhr), führten die Equipagen uns zum Bahnhof, und wir schieden.
Ich aber nahm zugleich Abschied von den Jubiläumsfestlichkeiten, die im Ganzen auch nun beendet waren. Zwar hatten uns die Städte Dinant und Namur noch eingeladen, und Antwerpen veranstaltete noch ein venetianisches Nachtfest, das, wie Theilnehmer berichten, ganz wunderbar gewesen sein soll; ich aber hatte genug gesehen und genossen; ich wollte mir den Eindruck frisch bewahren. Und so sagte ich denn meinen mir lieb gewordenen Collegen aus allen Himmelsgegenden Lebewohl und fuhr heim, mit mir nehmend die Erinnerung an eine große, herrliche Zeit, die ich verlebt, an ein freies, glückliches Volk, das ich gesehen, an viele prächtige Menschen, die ich kennen gelernt, das Gefühl des Dankes gegen Diejenigen, die uns so viel Schönes und Liebes geboten.
Gott segne Belgien und erhalte ihm sein Glück, seine Freiheit!
Gegenwärtig handelt es sich um die Freihafenstellung von Hamburg und zugleich um die Einverleibung von St. Pauli und Altona in die Zolllinie, oder um Verschiebung der Zolllinie nach Cuxhaven und um die Freiheit der Elbschifffahrt.
Hamburg und Altona sind zwar politisch und communal getrennt, aber wirtschaftlich und social bilden sie eine einzige Stadt.
Welche Folgen eine Zolllinie hat und haben muß, die durch eine Stadt schneidet, darüber Betrachtungen anzustellen ist schon deshalb überflüssig, weil uns in dieser Richtung die Vergangenheit bereits zur Genüge praktisch belehrt hat. Unsere Bauern haben ein Sprichwort „Probirt geht über studirt“, und es ist gut, wenn wir uns dessen zuweilen erinnern.
Am 20. December 1810 wurde Hamburg, gleichzeitig mit den beiden anderen Hansastädten, dem französischen Kaiserreich einverleibt. Altona wurde nicht mit demselben vereinigt. Die hierdurch in das Leben gerufene Zolllinie mitten durch das städtische Terrain hat einige Jahre bestanden. Ueber die Erfahrungen, welche man damals gemacht hat, will ich hier eine Aufzeichnung wiedergeben, welche vor mehr als vierzig Jahren gemacht wurde, also lange vor der Erörterung der jetzt schwebenden Fragen, und danach wohl als ein unbefangenes Zeugniß zu betrachten ist. Sie findet sich in Dr. J. G. Gallois’ „Geschichte der Stadt Hamburg“, Band II, Seite 6 u. 7, und lautet wie folgt:
„Nachdem Hamburg eine französische ,bonne ville’ geworden, wurde die Douaneneinrichtung wegen der Nähe Altonas verschärft; starke Pfahlwände an den Thoren gestatteten den Passirenden nur einzeln den Ein- und Ausgang; Männer und Weiber wurden auf die brutalste Weise durchsucht, da man in Altona die Colonialwaaren fünfzig Procent billiger kaufte als hier, weshalb der kleine Schmuggelhandel sehr einträglich war. Altonaer Krämer ließen ihn gegen bestimmten Tagelohn von dem geringen Manne, der nichts zu erwerben wußte, systematisch betreiben. Umhertreiber, Hausknechte, Dienstmädchen, halbwüchsige, der Armenschule entlaufene Buben und Dirnen, selbst kleine Kinder schmuggelten täglich erfindungsreicher und billiger, als sogenannte Kaffeeträger, zwischen beiden Städten, selbst Hunde wurden zu diesem Zwecke besonders abgerichtet. In Strümpfen, Schuhen, Stiefeln, Halsbinden, Kleidern, Hüten, Kappen, Mützen, Haarwülsten verbarg man Tabak, Zucker, Kaffee, Thee, Gewürze und Gewebe, und das Confiscirte wurde den Absendern durch förmliche Assecuranzcompagnien ersetzt. Das glücklich Hereingebrachte nahmen auf dem Walle oder dem Zeughausmarkte dazu Bestellte in Empfang, und die Träger gingen sofort wieder nach Altona, neue Ladungen zu holen. Oft waren die Douanen mit einem Theil des Raubes zufrieden und so bildete sich allmählich ein unmoralischer Handelsverkehr, welcher die nachteiligsten Folgen auf die Sinnesart der unteren Volksclassen ausübte, zumal das Gesindel am Abend das Erworbene in Branntwein- und Bierkneipen zu verprassen pflegte. Im Hafen verfaulten ungenutzt dreihundert Seeschiffe, welche einen Werth von zwölf Millionen repräsentirten.“
Soweit Gallois. Fügen wir hinzu, daß, sobald die Hiobsbotschaften aus Rußland eintrafen, diese Zollgrenze überhaupt nicht mehr aufrecht zu erhalten war.
Wenn nun damals Napoleon der Erste, der doch für allmächtig und unüberwindlich galt und der sich in einem eroberten Lande Manches erlaubte, was eine deutsche Regierung in einer deutschen Stadt sich nicht erlauben kann und nicht erlauben will – wenn die französische Douane, deren eiserne Faust damals beinahe das ganze europäische Festland umkrallte, nicht im Stande war, jene binnenstädtische Zollgrenze aufrecht zu erhalten: dann ist es wohl auch heute noch einem loyalen deutschen Reichsbürger erlaubt, einige bescheidene Zweifel darüber auszusprechen, ob der preußische Finanzminister Bitter in seinen verwandten Bestrebungen größeren Erfolg haben und ob er Lorbeeren ernten wird auf einem Gebiete, auf welchem selbst das Genie eines Napoleon des Ersten und das rücksichtslose Dreinfahren des „Prinzen von Eckmühl“ nur Niederlagen erlitten.
Heute freilich, in dem Augenblicke, da ich dies schreibe, gilt die Ausrichtung der binnenstädischen Zolllinie für eine wenn nicht vollendete, dann doch definitiv feststehende Thatsache. Nicht das „Ob?“ sondern nur noch das „Wann?“ soll einem Zweifel unterliegen. Allein schon der Umstand, daß, nachdem man nun schon so lange über die Sache verhandelt, selbst die obersten staatlichen Autoritäten gänzlich außer Stande sind, den Termin, an welchem die beabsichtigte Maßregel in Kraft tritt, auch nur annäherungsweise zu bestimmen, beweist uns zur Genüge, wie zahlreich die Schwierigkeiten sind, wie groß der erforderliche Aufwand an Zeit und Geld ist, und daß wohl noch mancher Tropfen Wasser elbabwärts rinnt, bevor wir vor einer unanfechtbaren vollendeten Thatsache stehen werden. Ohne Zweifel wird daneben auch noch die Freihafen-Frage im Reichstage und die Altona-Frage (letztere schon als Budgetfrage) im preußischen Landtage einer gründlichen Erörterung unterzogen werden. Wir befinden uns daher noch in dem bekannten Stadium „zwischen Mund und Bechersrand“. Ein gutes Wort wird also wohl immer noch eine gute Stätte finden, und man wird eingedenk sein der Vorschrift der mehr als drei Jahrhunderte alten Gerichtsordnung der berühmten westfälischen Stadt Soest, die vormals auch ein tapferes und erleuchtetes Mitglied der Hansa gewesen, in welcher „Ordnung“ geschrieben steht:
„Der Richter soll, bevor er spricht, die Sache ein-, zwei- und dreimal überlegen und soll gedenken an das strenge Urtheil und das Gericht, so Gott über ihn selber zu richten gedenkt an dem letzten der Tage.“
Nun hört man freilich oft die Redensart: „Wenn und weil eine Zolllinie zwischen Hamburg einerseits und Altona oder
[677][678] St. Pauli andererseits nicht möglich ist, muß gerade deshalb gleich ganz Hamburg herein in die Zolllinie.“
Die Reichsverfassung hat allerdings im Artikel 34 die Möglichkeit vorgesehen, daß die Hansastädte Bremen und Hamburg den Einschluß ihres jetzt außerhalb der gemeinsamen Zollgrenze befindlichen Gebiets oder eines Theiles desselben in die Zollgrenze beantragen, und mancher aufrichtige Anhänger der wirthschaftlichen Freiheit sah schon diesen Zeitpunkt der freien Entschließung von Bremen und Hamburg sich immer mehr nähern, so lange unsere Handelspolitik während der Zeiten des Zollvereins und des Norddeutschen Bundes, nicht weniger aber auch in dem ersten Lustrum des wiederaufgerichteten Deutschen Reichs (1871 bis 1876) consequent und beharrlich auf der Bahn eines maßvollen Fortschritts blieb, welcher durch den Abschluß von Handelsverträgen den internationalen Verkehr förderte, die Schutzzölle allmählich in Finanzzölle verwandelte und so nach und nach die Ursachen beseitigte, welche verhinderten, daß sich im Zollgebiete große Centren des Welthandels bildeten.
Allein diese Möglichkeit ist wieder in weite Ferne gerückt, seitdem wir im Jahre 1879 mit unserer seit den Zeiten eines Stein, eines Hardenberg, eines Schön, eines Motz, Maaßen und Kühne beobachteten Handelspolitik so schroff gebrochen haben. Die Sonne der wirthschaftlichen Freiheit würde den Wanderer veranlaßt haben, den Mantel abzulegen – in der jetzigen Zeit der Stürme, der Ueberraschungen und der Ueberstürzungen unserer sogenannten „Wirthschafts- und Steuerreform“ welche alltäglich Neues und Unerhörtes ausbrütet und über Nacht in Vollzug setzt, muß er sich nur noch fester in denselben einhüllen.
Im gegenwärtigen Augenblick die Freihafenstellung der Hansastädte, und insbesondere die Hamburgs, aufheben, wäre in wirthschaftlicher Beziehung ein großes Unglück, ja ein wahres Verhängniß nicht etwa blos für Hamburg, sondern für ganz Deutschland, und zwar für Industrie wie Handel.
Fassen wir das Ergebniß aller geschichtlichen Erinnerungen, volkswirthschaftlichen Untersuchungen und finanziellen Erwägungen in kurzen Worten zusammen, so besteht es in Folgendem:
Die jetzige Freihafenstellung Hamburgs hat für das gesammte, unter Kaiser und Reich geeinigte Deutschland eine große Bedeutung. Dadurch, daß sie unsere mercantile Kraft unter freier Bewegung concentrirt, gewährt sie Deutschland eine günstigere Position im internationalen Handel. Durch Einbeziehung in die Zolllinie wird der Antheil Deutschlands am internationalen Verkehr geschmälert und verringert. Dieser Antheil ist in dem Laufe der letzten Jahrzehnte gewachsen, wie uns namentlich z. B. die Statistik des Baumwollenverkehrs darthut. Derselbe ist insbesondere auf Kosten Englands gewachsen. Einen beträchtlichen Theil dieser Stellung, welche wir Deutschen uns in dem Welthandel errungen haben, würden wir verlieren in dem Augenblicke, wo das Hamburger Gebiet seine Freihafenstellung einbüßte und einem Zolltarife und einer Zollbehandlung unterworfen würde, welche dem Welthandel nicht günstig sind und nach den Erklärungen ihrer eifrigen Anhänger nicht günstig sein wollen, indem Letztere bekanntlich den Handel überhaupt, und namentlich den internationalen Handel, für „egoistisch“ erklären. Mit dem Welthandel Deutschlands würde gleichzeitig auch die Schifffahrt zurückgehen. Die Handelsmarine aber ist der Vorläufer, die Schwester, die Stütze, die Grundlage der Kriegsmarine. Die eine ist ohne die andere nicht denkbar. Dieser Zusammenhang der Dinge, und namentlich der großen Dinge, wird nur zu leicht übersehen von Denjenigen, welche sich in den engen Kreis von kleinen Sonder-, Classen- und Kasten-Interessen einpferchen und darauf aus sind, alle Machtmittel des Staates für letzteren, und zwar auf Kosten der minder besitzenden Classen, in die Wagschale zu werfen, während sie doch nur für das Gemeinwohl Aller, zum Schutz und zum Nutzen des Ganzen, verwandt werden dürfen.
Was ist denn der Freihafen? Er ist ein großer Lagerplatz unmittelbar vor unserer Hausthür – ein Lagerplatz, auf welchem sich alle Befriedigungs- und Productionsmittel reichlich ansammeln, um uns die Auswahl des Zweckmäßigsten, des Besten und des Wohlfeilsten zu erleichtern. Und wir sind es, welche dabei den Löwenantheil beziehen. Wir haben nicht nur die erste Auswahl, das heißt die Auswahl des Besten, sondern auch die letzte Auswahl, das heißt die Auswahl des Billigsten. Nachdem nämlich wir, die Deutschen, gewählt haben, wählen dort die anderen Nationen, und dann kommen schließlich wir wieder zum zweiten Male und kaufen zu ausnahmsweise billigen Preisen, zu welchen das von Andern weniger Gesuchte nunmehr uns zu Gebote steht, und zwar uns deshalb, weil wir, wie es bei Fritz Reuter heißt, „die Nächsten dazu sind“. Diese billigen Preise aber machen eine industrielle Ausnutzung möglich, welche sonst ausgeschlossen wäre.
Hieraus ergiebt sich denn eine Verbesserung der Lage auch der deutschen Industrie, namentlich der exportirenden Industrie in dem Inlande, deren Exportfähigkeit ja gerade dadurch erhöht wird, sowie ferner die Möglichkeit industrieller Beschäftigung deutscher Arbeitskräfte in Productionszweigen, welche nur im deutschen Küstengebiete möglich sind und die, wenn man sie hier durch Neuerungen oder Umwälzungen unterdrückt oder unmöglich macht, ihren Platz im Auslande suchen werden. Ich habe das an einer anderen Stelle am Bremer Tabakshandel nachgewiesen, dessen Geschichte und Statistik in dieser Beziehung außerordentlich lehrreich ist für Jeden, der des guten Willens ist, etwas zu lernen.
Der Hauptvortheil der Freihafenstellung für Deutschland aber ist die dadurch gegebene Förderung des Exportes für Producte der Landwirthschaft und des Gewerbfleißes, und da unsere Industrie weit mehr producirt, als das Inland zu verbrauchen im Stande ist, so kommt dieser Vortheil in hervorragender Weise dem industriellen deutschen Binnenlande zu gute, und die Angriffe, welche im vermeintlichen Interesse des letzteren von dem Verfasser des „Manuscripts aus Süddeutschland“ (siehe unsern ersten Artikel in der vorigen Nummer der „Gartenlaube“) gegen Hamburg und die übrigen Hansastädte erhoben wurden und selbst heute, sechszig Jahre später, nachdem zwischenzeitig die in jenem „Manuscript“ behandelten Dissonanzen jeden thatsächlichen Anhalt verloren haben, noch hin und wieder ein verspätetes Echo wachrufen – diese Angriffe würden schwer zu begreifen sein, wenn man nicht wüßte, wie zu allen Zeiten an die Unwissenheit und die Leidenschaft appellirt wird, und selten ohne allen Erfolg.
Dagegen verdient eine Ausstellung, welche ein angesehener historisch-politischer Schriftsteller im Juniheft der „Preußischen Jahrbücher“ gemacht hat, eine Erwähnung und Widerlegung. Er meint, „daß die neue auf Begünstigung des Exports gerichtete Handelspolitik dringend wünschen muß, die Bildung von großen Lagern inländischer Fabrikate in den Seeplätzen zu erleichtern, und daß die Hansastädte mit diesem berechtigten Wunsche des deutschen Reiches zu rechnen haben.“ Er feindet die Freihafenstellung an, „weil die trennende Zollschranke jene großen permanenten Ausstellungen der Export-Industrie, wie sie der ausländische Kunde in einem Welthandelsplatze zu finden hoffte, erschweren.“
Diese Worte haben auf den ersten Blick etwas Bestechendes, ja etwas durch ihre Klangfärbung Blendendes. Aber in Wirklichkeit enthalten sie eine Kette von schweren Irrthümern. Zunächst ist es nicht die „neue“ Handelspolitik, welche den Export begünstigt. Im Gegentheil, dies that die alte, welche dem System der westeuropäischen Handelsverträge beigetreten und dadurch den Export deutscher Fabrikate – darüber läßt auch die officielle Statistik keinen Zweifel – mächtig gehoben, indem sie die Nachbarstaaten veranlaßte, ihre Tarifsätze zu ermäßigen, die Differentialzölle zu beseitigen und uns das Recht der meistbegünstigten Nationen einzuräumen. Die neue Handelspolitik dagegen hat durch Erhöhung der Zollschranken den internationalen Austausch erschwert, und zwar nicht nur den Import, sondern folgeweise auch den Export; sie hat die Handelsverträge erlöschen lassen und nicht wieder in ihrem alten Bestande erneuert; sie hat durch ihr Verhalten auch andere Staaten ermuthigt, zu der veralteten Politik der Handelsfeindseligkeit gegen Deutschland zurückzukehren. Man würde der deutschen Reichsregierung schweres Unrecht zufügen, wenn man an der Aufrichtigkeit der von ihr wiederholt kundgegebenen Absicht zweifelte, auch auf volkswirthschaftlichem Gebiete ein engeres und intimeres bleibendes Verhältniß mit der österreichisch-ungarischen Monarchie wieder herzustellen. Allein trotz allen guten Willens ist bei Aufrechterhaltung der „neuen Handelspolitik“ ihr dies gänzlich unmöglich. Es ist die unerbitliche Logik der Thatsachen, die es verhindert. Dies ist der erste Irrthum.
Der zweite Irrthum hat seinen Grund darin, daß der gedachte Gegner der Hamburger Freihafenstellung offenbar nicht weiß, was er freilich, wenn er über einen solchen Gegenstand schreibt, wohl wissen sollte, daß in Hamburg bereits eine seinen Wünschen entsprechende Zollvereinsniederlage existirt, deren [679] Güterverkehr sich im letzten Jahre auf etwa 37 Millionen Kilo belaufen, sodaß sie der Export-Industrie Gelegenheit zu jeder beliebigen, auch zu einer „permanenten“ Ausstellung bietet.
Wenn aber unsere binnenländische Industrie bis jetzt hiervon nicht den „dringend gewünschten“ Gebrauch gemacht hat, so darf man deshalb gegen sie keinen Vorwurf erheben. Vielmehr hat sie für dieses Verhalten ihre triftigen Gründe. Und damit kommen wir an den dritten und auffallendsten Irrthum. Vielleicht hätte man vor länger als einem Menschenalter behaupten können, solche Exportlager oder Ausstellungen seien ein Bedürfniß. Heute sind sie es nicht mehr. Damals kaufte man wohl noch „vom Lager“, heute kauft man „nach Probe“. Früher war der überseeische Verkehr auf Segelschiffe angewiesen, welche von der Jahreszeit, von den Monsun- und Passatwinden abhingen und nur in bestimmten regelmäßigen Intervallen fahren konnten. Jetzt gehen überall und zu jeder Zeit zahlreiche Dampfer, welche die Fahrt in einem Monat zurücklegen, zu der das Segelschiff ein halbes Jahr gebrauchte.
Früher war der Markt im überseeischen Binnenlande mit dem Hafen nicht durch Eisenbahnen, sondern nur durch sehr mangelhafte Transportmittel, durch Wagen, Pferde oder Kameele verbunden; zu diesen Unzulänglichkeiten kamen dann noch in der heißen Jahreszeit der Wassermangel, in der Regenzeit die Unwegsamkeit und tausend andere Hindernisse.
Früher war der Handel auf den gewöhnlichen langsamen Nachrichtenverkehr angewiesen. Jetzt operirt derselbe, statt mit der Thurn- und Taxis’schen Postkutsche, mit dem elektrischen Telegraphen, namentlich auch mit den oceanischen Kabelverbindungen. Früher konnte sich der überseeische Abnehmer alljährlich nur einmal versorgen, und zwar für das ganze Jahr. Jetzt können Bestellungen und Waarensendungen jeden Tag „effectuirt“ werden. Man kann jeder „Nouveauté“ sofort nachrennen.
Früher war das Geschäft ein außerordentlich schwerfälliges und stand vielfach noch auf der primitiven Stufe des Tausches. Es erforderte großes Capital, endlose Creditfristen, war mit großem Risico verbunden etc. Heute sind die Schwierigkeiten von Raum und Zeit durch Dampf und Elektricität in einem solchen Maße überwunden, daß Bestellungen und Sendungen rascher, die Vorräthe kleiner, der Umsatz häufiger, die Zahlungsfristen kürzer, kurz das ganze Geschäft ein anderes geworden. Die Aufträge vollziehen sich immer mehr direct zwischen Abnehmern und Fabrikanten durch Vermittelung von Proben und Mustern. Bei dieser Art des transatlantischen Verkehrs, wie er sich heute gestaltet, haben diese „großen Lager“, diese „permanenten Ausstellungen“ in den Seehäfen weder Sinn noch Bedeutung. Wir finden sie denn auch in Constantinopel, in Odessa, in St. Petersburg, in Marseille, in Bordeaux und in London ebenso wenig, wie in Hamburg und Bremen. In allen diesen großen Seeplätzen sind die Producenten des Binnenlandes nur durch ihre Agenten mit Proben vertreten. Was Deutschland anlangt, so finden wir die großen Lager inländischer Industrie-Erzeugnisse in Berlin und Leipzig, und nicht in Bremen und Hamburg. Das ist so wenig eine Folge der Freihafenstellung, wie daß die Waarencentren für England in Sheffield und Manchester sind, statt in London, daß sie für Frankreich in Paris sind, statt in Havre oder Marseille. Eine Verkümmerung oder Unterdrückung der Freihafenstellung unserer Seeplätze würde allerlei schwerwiegende Folgen haben, aber hieran würde dadurch nicht das Geringste geändert.
Es scheint wirklich in Deutschland noch einige alte stubengelehrte Landratten zu geben, welche glauben, der überseeische Handel mit deutschen Producten mache sich etwa in der Art, wie im „Pariser Leben“, wo der „fesche Brasilianer“ über den Ocean herüber gebummelt kommt, um sich die Waarenlager der „kleinen Handschuhmacherin“ anzuschauen.
In Wirklichkeit aber vollzieht sich die Sache ganz anders. Die Träger des Absatzes deutscher Industrie-Erzeugnisse in überseeischen Ländern sind vorzugsweise die deutschen Handlungshäuser in diesen Märkten. Die Handlungshäuser studiren ebenso sehr die Leistungen des Gewerbfleißes in Deutschland, wie die Bedürfnisse und den Geschmack des fremden Landes, in welchem sie wohnen, und suchen mit Erfolg zwischen diesen und jenen zu vermitteln. Ihnen verdanken wir unseren Absatz. Gerade Hamburg und Bremen sind es, welche ihre Söhne zu diesem Zwecke nach allen Welttheilen schicken, dort Filialen gründen und deren Verbindung mit dem deutschen Vaterlande hegen und pflegen. Dieser Bestand ist aber nur bei wirthschaftlicher Freiheit in den Seeplätzen aufrecht zu erhalten. Wer sich überzeugen will, was auf dieser Grundlage, und nur auf dieser, Bremen und Hamburg für den Export deutscher Waaren leisten, der nehme die mit größter Sorgfalt geführte amtliche Statistik dieser Staaten zur Hand und für die ältere Zeit das bewährte Buch des Professors Dr. Soetbeer „Ueber Hamburgs Handel“ (Hamburg, Hoffmann und Campe, 1840).
Was endlich die finanziellen Interessen des Deutschen Reichs anlangt, so stehen dieselben mit den wirthschaftlichen Interessen der deutschen Reichsbürger glücklicher Weise durchaus nicht im Widerspruch, und wenn etwa das Aversum, welches Hamburg der Reichscasse nach Artikel 38, Absatz 3 der Reichsverfassung, anstatt der Zölle, zu entrichten hat, zu niedrig befunden werden sollte, so liegt nicht das geringste Hinderniß vor, dasselbe den Verbrauchsverhältnissen richtig anzupassen und dem entsprechend zu erhöhen, ohne an der Freihafenstellung das Geringste zu ändern.
Vom finanziellen Standpunkte des Deutschen Reiches also kann die Freihafenstellung nicht angegriffen werden.
Die Gegner derselben sind vielmehr nur zu suchen:
Erstens unter jenen Schutzzollinteressenten, welche zur Zeit ihre Producte dem Auslande billiger verkaufen, als dem Inlande, und welche daher das Gebiet, in welchem sie unter dem Schutze des gegenwärtigen Tarifs die Consumenten besteuern können, erweitert sehen möchten. Sie setzen sich freilich dabei mit sich selbst in einen seltsamen Widerspruch. Denn wenn die alte Zollvereinspolitik des Fortschreitens in gemäßigt-liberalem Sinne sich nach und nach rationell weiter entwickelt hätte, so wäre das Freihafensystem immer entbehrlicher geworden, während die Beseitigung der Freihäfen desto schwieriger und gemeinschädlicher wird, je mehr sich das Schutzzollsystem steigert.
Zweitens sind die Gegner der Freihafenstellung zu suchen unter den mit Bremen und Hamburg concurrirenden Hafenplätzen. Die vernünftigen Concurrenten freilich sind einsichtig genug, zu erkennen, daß die auf der Freihafenstellung beruhende Förderung des Antheils Deutschlands an dem Welthandel auch ihnen zu gute kommt.
Drittens sind es Diejenigen, welche den Zoll als eine Art Selbstzweck betrachten, die ihn gleichsam zu einem „nationalen Dogma“ erhoben haben und ihren Sport damit treiben, wie es z. B. der Befürworter der Surtaxe d’entrepôt thut.
Deutschland aber darf wohl erwarten, daß seine wahren Interessen, wenn auch erst in elfter Stunde, noch Berücksichtigung finden und daß ihm seine maritimen Mittelpunkte des Weltverkehrs erhalten bleiben.
„Fern auf der Rhede ruft der Pilot; es warten die Flotten,
Die in der Fremdlinge Land tragen den heimischen Fleiß.
Andere ziehen frohlockend dort ein mit den Gaben der Ferne,
Hoch vom ragenden Mast wehet der festliche Kranz.
Da gebiert das Glück dem Talente die göttlichen Kinder;
Von der Freiheit gesäugt, wachsen die Künste der Lust.“
Obige Distichen hat nicht irgend ein „egoistischer“ Kaufmann, sondern – Friedrich Schiller, der große Idealist, gedichtet.
Nachfragen nach Vermißten. (Fortsetzung von Nr. 26, Seite 427.) An die Spitze dieser neuen Verschollenen-Liste setzen wir ausnahmsweise – denn die Aufrufe für die in den Vereinigten Staaten vermißten Deutschen werden der Regel nach nur auf den Umschlägen der Heftausgabe der „Gartenlaube“ für das Unionsgebiet veröffentlicht – zwei Väter in Nordamerika. Wir benutzen zugleich diese Gelegenheit, um darauf aufmerksam zu machen, daß es dort, und überhaupt, weit weniger Vermißte geben würde, wenn man es nicht so oft unterlassen wollte, die Briefadressen möglichst richtig und deutlich zu schreiben. Kommt die Unbestellbarkeit vieler Briefe und sogar Werthsendungen aus derselben Ursache schon in Deutschland oft genug vor, so vervielfältigt dieses Uebel in Amerika sich in’s Ungeheuerliche in Folge der zahlreich gleichlautenden Ortsnamen, die nur bei genauester Angabe von Staat oder Territorium, County, Parish (Kirchspiel) oder District aufzufinden sind. Nun kommen viele Adressen schon in verwahrloster Weise von Amerika herüber, indem die Briefschreiber dort die Orts- und Countiesnamen oft so schreiben, wie sie sie aussprechen hören; hier malt man diese Art von Adressen nach, läßt auch wohl Unleserliches beliebig weg, und so kommen die Briefe bei den amerikanischen Posten nur an, um zu dem großen Haufen der unbestellbaren gelegt zu werden. Und da endlich Verwandte [680] nicht ihre Adresse anzugeben, sondern sich nur mit den Vornamen zu unterzeichnen pflegen, so ist auch eine Zurückbeförderung solcher Briefe unmöglich. Der amerikanische Verwandte hat geschrieben und erhält keine Antwort; die deutschen Verwandten haben geschrieben und bekommen auch keine Antwort – und ein Vermißter ist fertig. Werden doch selbst in den an uns gerichteten Bitten um Nachforschung nach Verschollenen Orts- und Personennamen oft so undeutlich geschrieben, daß wir sie nicht entziffern können und die Briefe, als nicht verwendbar, in den Papierkorb werfen müssen. Fast möchte man wünschen, unsere Reichspost verweigerte die Annahme von Briefen mit offenbar unzulänglichen Adressen, um die Absender zu zwingen, endlich Ordnung und Gewissenhaftigkeit in der Adressirung zu üben. Damit geschähe dem Publicum selbst der größte Gefallen.
Wir fahren in der Numerirung der Vermißten fort:
19) Ein Sohn sucht seinen Vater – ein Stück deutsch-amerikanischer Kriegsromantik. Ein Tischler aus Würzburg wanderte in der Mitte der fünfziger Jahre nach New-York aus; um dieselbe Zeit landete dort ein schwäbisches Mädchen aus Stuttgart. Beide heiratheten sich; am 18. October 1857 wurde ihnen ein Sohn geboren, und sie lebten zu New-York in Frieden, bis der Secessionskrieg ausbrach und Präsident Lincoln 75,000 Mann Milizen unter die Waffen rief. Der Trommelschall fuhr auch dem tapfern Franken in die Glieder; er folgte dem Rufe und zog in den Krieg. Im Verlaufe desselben fand seine Frau mit dem Kinde Zuflucht bei einem Arzt Dr. Schulze, dem sie das Hauswesen führte. Als aber die Kämpfer heimkehrten, warteten Frau und Kind vergeblich auf den Gatten und Vater; man zählte ihn zu den Todten, und nachdem fünf Vierteljahr vergangen waren, wählte Dr. Schulze die junge Wittwe zur Frau. Er war Besitzer von zwei Häusern im „Blumenthal“ (Avenue 8 und 9, Street 36). In dem einen derselben saß die Familie eines Abends, als die Thür aufging und – der Todtgeglaubte eintrat. Er suchte sein armes Weib – es trat ihm als stattliche Frau Doctorin entgegen. Welch ein Wiedersehen! Wie hatte das Schicksal mit diesen Menschen gespielt! Der unglückliche Mann blieb aber auch in diesem Kampfe Sieger – über sich selbst: er sah, daß die Seinen wenigstens im Glück lebten, und schied von ihnen auf Nimmerwiedersehen. Dr. Schulze zog mit seiner Familie 1866 nach Deutschland, zunächst nach Gera, dann nach Stuttgart, Ludwigsburg und endlich nach Eisenberg bei Jena, von wo er allein nach New-York zurückreiste. Die Frau kehrte mit dem Kinde nach Stuttgart zurück, wo sie 1874 starb. Der Sohn, der nun in Amerika zwei Väter hat, steht in Deutschland allein da. Seine Sehnsucht zieht ihn nach seinem rechten Vater. Dieser, Heinrich Karl Schmidt, soll erst in Californien Gold gegraben haben und jetzt zu Milwaukee im Staate Wisconsin in guten Umständen leben. Der Sohn, Julius Schmidt, ist jetzt in der optischen Industrie-Anstalt zu Rathenow beschäftigt. Werden Vater und Sohn sich wiedersehen?
20) Der zweite gesuchte Vater ist Michael Lang, 1810 in Brombach im Amte Lörrach geboren. Er heirathete zu Anfang der vierziger Jahre zu Sitzenkirch im Amte Müllheim, verließ aber seine Frau und seinen sechsjährigen Knaben 1847, um in Amerika sein Glück zu suchen. Erst spät kam an seinen Sohn Christian Lang, der jetzt Bäckermeister zu Kandern im Amte Lörrach ist, die Nachricht, daß sein Vater noch lebe, und zwar als wohlhabender Farmer in Ohio. Sollte das der Fall sein, so kommen ihm diese Zeilen vielleicht als Mahnung an seine Vaterpflicht vor die Augen. Man vermuthet, daß dem Sohne absichtlich seine Adresse bis jetzt vorenthalten wurde.
21) Der Handschuhmacher Otto Bleimann reiste aus Bunzlau in Schlesien 1871 mit dem Hutmacher P. Födsch nach Brisbane (Queensland) in Australien und hat seit circa drei Jahren nichts von sich hören lassen. Seine alte Mutter bittet um Nachricht über ihren Sohn.
22) Max Böhme aus Ronneburg war im Frühjahr 1870 an Eisenbahnbauten in der Nähe von Breslau beschäftigt und schrieb zuletzt im Juni aus Klein-Tschansch bei Breslau, daß er nach Rumänien gehen und dort beim Eisenbahnbau Stellung suchen wolle. Seitdem verschollen.
23) Dem Matrosen Friedrich Borgwardt, genannt Fred-Smith, der 1869 vor seiner Militärdienstzeit nach Australien entwich, dafür aber später mit Geld büßte, haben seine Geschwister 1877 unter seiner Adresse (Victoria bei Melbourne in Australien) die Nachricht über den Tod seines jüngsten Bruders, des Steuermanns Heinrich B., gemeldet, den Brief aber, und zwar erst in diesem Frühjahr, als unbestellbar zurückerhalten. Vielleicht finden diese Zeilen den Vermißten selbst oder Personen, die sein Schicksal kennen.
24) Zu Pedasi in Panama (Centralamerika) lebte um 1867 der zu Wolmirstedt bei Magdeburg geborene Leopold Paul Buschold, damals etwa dreiunddreißig Jahre alt und seines Zeichens Bildhauer. Auch über ihn bittet die Mutter um Kunde.
25) Friedrich Ehrhardt oder Friedrich Dieckmann (denn der Vermißte führt beide Namen) aus Mülheim an der Ruhr hat 1867 als Matrose in England auf einem Schiffe Dienste genommen, das nach Aden bestimmt war, aber auf hoher See verunglückt zu sein scheint. Neuerdings kam aus Sumatra die Nachricht, daß Ehrhardt dort als Herr Dieckmann in Diensten der holländischen Regierung stehe. Um nähere Kunde bittet seine Mutter, die jetzt zu Mishawaka, St. Indiana, St. Joseph County in den Vereinigten Staaten Nordamerikas lebt.
26) Friedrich Wilhelm Frömmig, praktischer Arzt und Geburtshelfer, geboren am 23. März 1817 in Leipzig, seit 1847 in Amerika, und zwar zuerst in Buffalo. Die letzten Nachrichten von ihm kamen in der Mitte der fünfziger Jahre aus Potosi in Bolivia (Südamerika), wo er sich am längsten aufgehalten zu haben scheint. Um nähere Kunde bittet sein in Leipzig lebender Bruder.
27) Zwei Brüder Franke aus Kreidelwitz, Kreis Glogau, werden von der Schwester derselben seit Jahren vergeblich gesucht: von Gustav Hermann, einem Schneider, kennt man nur als letzten Aufenthaltsort 1865 Berlin – und der Andere, Ernst Oswald, ein Tapezierer, schrieb das letzte Mal aus Schleiden im Regierungsbezirk Aachen 1870.
28) Wie wir aus einer Zuschrift des kaiserlich deutschen Consuls in Melbourne ersehen, ist von ihm, sowie auch von dem kaiserlich deutschen Consul zu Sidney nach dem jetzigen Aufenthalte des Knopfmachers Wilhelm Frenzel aus Eythra bei Leipzig vergeblich gesucht worden. Er war schon im Jahre 1856 (an seinem zwanzigsten Geburtstage, am 8. October) nach Amerika abgereist, erwarb sich erst als Goldsucher, dann als Photograph in Australien Vermögen genug, um sich Pferde und Wagen zu halten, verweilte oft in Melbourne, Sidney und anderen Orten und ist seit nahezu drei Jahren, zum schweren Leid seiner hochbetagten Mutter, verschollen.
29) C. D. Arnaldo Friedlein aus Leipzig reiste 1852 in Begleitung seiner beiden in Portugal gebornen Kinder, eines Knaben und eines Mädchens von sechs bis acht Jahren, nach Melbourne, um in Australien ein Geschäft zu begründen. Seitdem ist seinen Verwandten keine Kunde weder von ihm noch einem der Kinder zugekommen. Jede Notiz über sie würde sehr dankbar begrüßt werden.
Gefunden. Von den in Nr. 26 unter den „Vermißten“ als 12) eingereiheten Brüdern Mackrodt aus Kappeln in Schleswig ist der Eine als Arbeiter in einer Fabrik zu La Salle in Illinois gefunden und von der Sorge seines achtzigjährigen Vaters um ihn unterrichtet worden. Wir verdanken diese Nachricht einem Agenten und Collector der „Deutschen Gesellschaft“ in Chicago, Herrn John H. Moeller, dem wir hiermit unsern Dank aussprechen.
Auch der Sohn des Herrn Ed. Daelen in Düsseldorf, den wir als seit dem 24. April spurlos verschwunden anzeigten, ist gefunden, aber leider als Leiche. Der Vater desselben berichtet uns, daß die entseelte Hülle seines Sohnes am 9. Mai im Rhein bei Uerdingen zu Tage gekommen und dort begraben worden sei, und fügt hinzu: „Alle, die meinen Sohn gekannt, sind mit mir der Ansicht, daß nur ein Unfall den Tod desselben herbeigeführt haben kann.“
Die lichten Nächte. Die Mittheilungen eines unserer Leser über leuchtenden Nebel in mondfreien Nächten (S. 512 des laufenden Jahrgangs) hat uns eine Anzahl von Berichten über ähnliche Erfahrungen eingetragen. Erwähnenswerth ist vielleicht, daß mehrere dieser Beobachtungen sich auf Novembernächte mit milder ruhiger Luft beziehen. Eine Leserin, unweit des Bodensees, die, wie der erstere Einsender, durch Krankheit genöthigt ist, viele Nachtstunden am offnen Fenster zu verbringen, schreibt uns, daß sie die Erscheinung für die Durchleuchtung eines sehr dünnen Nebels durch Sternenschein halten müsse. „Lange Zeit,“ berichtet sie, „glaubte ich, das Zodiakallicht verursache diese jeweilige Erhellung des Nebels, bis ich vor ganz kurzer Zeit einmal an das Fenster trat und eine phosphorartig leuchtende, leichte Nebelwolke über den untern Theil des Pegasus und die Fische ziehen sah. Erstaunt blieb ich stehen, bis sie weiterziehend den Jupiter hellstrahlend hervortreten ließ, und ihr Leuchten verlor. Damit habe ich die oben ausgesprochene Ueberzeugung gewonnen. Auf diese lichten Nächte folgte immer Süd- oder Südweststurm.“ So weit unsre Correspondentin, deren Erklärung gewiß auf manche Fälle der lichten Nächte Anwendung finden mag. Da man aber bei Sternen- und Planetenschein, selbst im Hochgebirge und in Italien, wenn die Luft noch so klar ist, nicht lesen kann, so findet dieser Deutungsversuch des Räthsels schwerlich auf die Fälle Anwendung, bei denen man – so gut lesen konnte, wie der heilige Antonius bei seinem Heiligenscheine.
Mariette F. in Hamburg. Sie wünschen eine Titelangabe der sämmtlichen Erzählungen von E. Werner. Hier das Verzeichniß in chronologischer Reihenfolge: „Gartenlaubenblüthen“ (Inhalt: „Ein Held der Feder“ – „Hermann“). 2 Bände. 2. Auflage. 6 Mark.– „Am Altar.“ 2 Bünde. 2. Auflage. 6 Mark. – „Glückauf!“ 2 Bände. 2. Auflage. 7 Mark 50 Pfennig. – „Gesprengte Fesseln.“ 2 Bände. 2. Auflage. 7 Mark. – „Vineta.“ 2 Bände. 7 Mark 50 Pfennig. – „Um hohen Preis.“ 2 Bände. 8 Mark. – „Frühlingsboten.“ (Unter der Presse.)
Dr. A. M. in Schw. Es freut uns, Ihnen dienen zu können. Der Schriftführer des „Wiener Sängerbund“ theilt uns auf unsere Anfrage mit, daß der Verein im November d. J. das Fest seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens in Wien feiern wird. Eine zahlreiche Betheiligung von auswärts, besonders der ehemaligen Mitglieder, wird sehr gewünscht.
Ein Abonnent in Chemnitz. Passende Namen für einen Fechtclub würden nach dem Muster der mittelalterlichen Fechtergesellschaften Bezeichnungen sein wie: „die Marxbrüder“ oder „die Luxbrüder“. Die „Marxbrüder“ – „Brüderschaft von St. Marcus vom Löwenberg“ – gehörten zu den ältesten privilegirten Fechtergesellschaften in Deutschland und hatten ihren Sitz in der freien Reichsstadt Frankfurt am Main. Das Privilegium derselben wurde wiederholt erneuert, und zwar zuletzt von Rudolf dem Zweiten 1579 in Prag. – Ueber die „Luxbrüder“’ (jedenfalls nach dem heiligen Lukas benannt) mangeln sichere Mittheilungen. Ein derartiger Name von geschichtlicher Bedeutung, dünkt uns, wäre am passendsten. Vergleichen Sie übrigens auch unsern Artikel über die Nürnberger Fechterschulen (Nr. 35 von 1876)!
J. K. in Mannheim. Einen Artikel über die Londoner Bank finden Sie in unserem Blatte: Nr. 7 des Jahrgangs 1879.
H. R. in Hamburg. Den Marlitt’schen Roman „Goldelse“ finden Sie im Jahrgang 1866 unseres Blattes abgedruckt.
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