Die Gartenlaube (1880)/Heft 42
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No. 42. | 1880. | |
Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.
Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.
„Carmen, liebe Schwester, Du willst den Jonathan nicht zum Manne? Du überlegst wohl nicht, was Du da sagst,“ mahnte Agathe.
„Doch, Schwester Agathe,“ antwortete Carmen schnell, die großen leuchtenden Augen fest auf sie richtend. „Weißt Du, wie es ist, wenn man den kalten Leib einer Schlange berührt. Wie ich als kleines Mädchen noch auf der Plantage des Vaters war, da sah ich eines Tages unter einer Agave einen grün schillernden Zweig liegen und als ich begierig darnach faßte, war es der kalte, feuchte Leib einer Schlange, die bei meiner Berührung emporschnellte und sich behende um meinen bloßen Arm ringelte. Ich konnte vor Entsetzen nicht schreien, vor Grauen kein Glied bewegen, Sara aber, die getreue Schwarze der Mutter, sah es; sie riß mir die Viper vom Arme und schleuderte sie weit fort in's Gebüsch. Schwester Agathe, wenn Bruder Jonathan mir naht, fühle ich denselben Schauer mich durchrieseln, dasselbe Entsetzen meine Glieder lähmen, wie damals, als die Schlange meinen Arm umringelte. Ich könnte ihn nicht um mich sehen, täglich, stündlich – ich könnte es nicht ertragen, zu ihm 'mein Gatte' sagen zu müssen – ich könnte es um Alles in der Welt nicht.“
Carmen hatte immer lebhafter und erregter gesprochen – athemlos schwieg sie jetzt.
„Nicht um Alles in der Welt, aber um Deines Heiles willen mußt Du es können; stoße Dein Heil jetzt nicht thöricht von Dir!“ warf Agathe verweisend ein. „Als Bruder Jonathan's Weib wirst Du die Gehülfin seines tugendreichen Lebens, seines werkthätigen Strebens sein. Wir sind nicht auf dieser Erde, daß wir uns im Wohlleben freuen, sondern daß Jedes das Reich Gottes fördern helfe und in sich ein Kirchlein des Herrn erbaue.“
„O Schwester Agathe, glaube mir doch, mit Freuden will ich Krankenpflegerin werden und Mühen und Lasten solchen Berufes tragen, aber Eines erspare mir: Bruder Jonathan anzugehören! Nein, das kannst, das darfst Du nicht von mir verlangen,“ wehrte sich das Mädchen mit hervorbrechenden Thränen.
„Nun, Carmen, ich zwinge Dich ja nicht, obwohl es mir leid ist um Deinetwillen,“ sagte Agathe, indem sie aufstand. „Gehe nun hin zum Gebet, und prüfe dort Dein Herz vor dem Herrn, auf daß Du nicht von Dir stößest, was Dir zum Heil ist!“
Und Carmen auf die Stirn küssend, entließ sie dieselbe.
Es war die Zeit zu dem täglichen Abendgebet, aber Schwester Agathe zögerte noch immer. Das milde Licht der Lampe beschien ihr kummervolles Gesicht – sie blickte sinnend vor sich hin.
„Was sich doch für Gedanken in diesen Kindskopf drängen!“ flüsterte sie. „Vielleicht – sie könnte Recht haben – – Eitelkeit! Wie mich dieses Wort von ihr erschreckt hat! Man kann sich nicht genau genug kennen und kennt doch gewöhnlich Andere mehr, als sich selbst. Das Kind hat mir eine harte Lehre gegeben. Ich muß mich ernster prüfen, muß strenger mit mir sein, ehe ich Andere berathen und führen kann, Herr, mein Erlöser, hilf Du mir zur rechten Erkenntniß, wo es mir noththut!“ Sie löschte die Lampe aus und begab sich nach dem Betsaal zu den versammelten Schwestern.
Eine Woche war hingegangen, und die Bewegung, welche durch Bruder Daniel's Abreise hervorgerufen worden, hatte alsbald wieder der stillen Arbeitsamkeit und den gewöhnlichen religiösen Uebungen Platz gemacht.
Leicht war diese kurze Zeit Adelen nicht geworden; das Aufgeben des eigenen Naturells und das völlige Sicheinfügen in eine ihr so fremde Lebensart fiel ihr schwer, keines unter den jungen Mädchen ihrer Umgebung erweckte ihre Sympathie – Carmen ausgenommen; die Vorliebe, welche die Mutter für das Mädchen empfand, hatte sich schnell auch der Tochter mitgetheilt, und Carmen's warmes, dankbares Herz, das so ergriffen war von der Güte, welche Frau von Trautenau ihr bewiesen hatte, glaubte Adele nicht freundlich genug begegnen zu können. Ihr lebhaftes, heiteres Wesen, das, unbeirrt durch die sie umgebende Abgemessenheit und Stille, immer frisch und natürlich hervorsprudelte, wurde eine wirkliche Wohlthat, ein Halt und Trost für Adelen. Mit leidenschaftlicher Schwärmerei umfaßte und liebte diese das schöne Mädchen, und der erste Brief, der von ihr nach Hause gelangte, erging sich ausführlich über Alles, was Carmen betraf. Sie erzählte, wie diese ihren achtzehnten Geburtstag gefeiert habe und daß sie nun am Häubchen die Rosaschleife trage, statt der feuerrothen; Carmen habe jetzt den Unterricht der Kinder in der englischen Sprache übernommen, und Alle freueten sich auf die neue Lehrerin; Alle liebten sie so sehr.
Carmen's heitere Gemüthsruhe war durch das, was Schwester Agathe ihr in Betreff Bruder Jonathan's eröffnet hatte, durchaus nicht gestört und beunruhigt worden. Schwester Agathe hatte sie zwar am andern Morgen noch einmal gefragt: ob ihr nicht die rechte Einsicht im Gebet gekommen sei und nun eines [682] Besseren besonnen habe? Doch Carmen beharrte bei ihrer erklärten Weigerung.
Bruder Jonathan schien diese Abweisung ruhig hinzunehmen, und wenn er ja etwas wie Kränkung oder gar Enttäuschung deshalb empfand, so mußte seine Selbstbeherrschung groß sein, denn sein Gesicht veränderte nicht im geringsten den Ausdruck frommer, ergebener Ruhe, und in seiner Stimme zitterte nicht der leiseste Hauch von Gereiztheit wieder, sodaß Schwester Agathe sich zu ihrer Beruhigung sagte:
„Es war ja nur ein Opfer, das er, selbstlos wie immer, für das Heil des Mädchens bringen wollte.“
Jonathan führte sein Beruf häufig in das Schwesternhaus, aber er verkehrte dort nur mit den Kranken und deren Pflegerinnen, zwar kam er jetzt öfter und zu verschiedeneren Tageszeiten als bisher in das Haus, um, wie er sagte, nach dem und jenem, was er vergessen, zu sehen, und wenn er da langsam mit seinen lautlosen Schritten durch die Gänge wandelte, traf er selten auf eine der Schwestern, auf Carmen aber nie.
Heute war nach einem Regentage noch ein schöner Abend gekommen, der klar und mild hernieder dämmerte. Carmen führte die kleine Frieda, mit welcher sie Frau von Trautenau neulich auf der Straße getroffen hatte, in das Elternhaus zurück, da das Kind nur während des Tages in Gesellschaft der andern Kinder in der Anstalt verweilte. Sie schlug einen kleinen Umweg ein und mäßigte ihre gewöhnlich so flüchtigen Schritte, um noch etwas länger die balsamische Frühlingsluft einzuathmen. Sie ging einen einsamen Weg zwischen Gärten dahin, wo an den Hecken der Weißdorn die ersten Blüthen entfaltet hatte und der süße Geruch der Veilchen aus dem Grase zu ihr emporduftete, sodaß sie sich verlangend bückte, um einige der holden Erstlingsblümchen zu pflücken.
Plötzlich hatte sie das unbehagliche Gefühl, als stehe Jemand hinter ihr, obgleich sie auf dem weichen Boden keine Schritte vernommen hatte. Sie erhob sich hastig – da legte sich schnell ein starker Arm um ihre Schultern und sie fühlte sich gewaltsam an eines Mannes Brust gerissen. Sie wollte um Hülfe rufen, aber der Athem versagte ihr; denn sie sah in Bruder Jonathan' s heiße Augen, und es war ihr, als erstarrte sie unter dem Druck seines Armes, wie damals, als die Schlange sie umringelt hatte.
Wie verwandelt war doch sein Gesicht! Leidenschaft und Gewaltsamkeit war, wie die verheerende Gluth des Vulcans, darüber ausgegossen und strömte in brennenden Worten über seine Lippen:
„Carmen, so jung, so heißen Blutes wie Du bist, solltest Du nicht Liebe erwidern können, die leidenschaftlich, verlangend Dir entgegenschlägt?“ rief er aus. „Du sahst nur den kühlen, bedächtigen Mann in mir, der Dich zur Gefährtin nehmen wollte, und wiesest ihn ab. Den glühend Liebenden aber, der Dich zum Weibe begehrt, um mit Dir die Wonne des Himmels in unaussprechbaren Freuden auf Erden zu genießen, o Carmen, den weise nicht von Dir zurück! So, lege Dein Köpfchen an meine Brust und fühle das gewaltige Schlagen meines Herzens – es ist die Sehnsucht, die nach Dir verlangt und so ruhelos darin klopft. Sieh mir in's Auge, laß' an meiner Gluth die Deine sich entfachen, in meiner Liebe Dein Herz aufgehen! Liebe, Liebe! Carmen, hast Du es vergessen, wie wir uns lieben sollen, Bruder und Schwester? Nein, mehr noch, uns selbst hingebend ohne Vorbehalt! Liebe mich also, Mädchen, wie ich Dich, und sei mein!“
Ihr Kopf hatte an seiner Brust gelegen – ihre Arme kraftlos von den seinigen umschlungen, war sie wie das dem Tode verfallene Vögelchen, das der Schlange nicht zu entrinnen vermag. Jetzt, als er athemlos schwieg, suchten seine heißen Lippen ihren bleichen, vom Schrecken fest geschlossenen Mund – er küßte sie begehrlich. Da erfaßte sie Entsetzen und Ekel. Mit einem gewaltsamen Ruck sich von ihm losreißend, floh sie einige Schritte zurück; dann, den Rücken durch die Hecke gedeckt, kehrte sie ihm das zürnende Antlitz zu, und die Augen funkelnd auf ihn richtend, rief sie:
„Zurück, Abscheulicher! Wie darfst Du es wagen, mich also zu berühren? Nahe mir nicht wieder, oder ich lasse meine Stimme laut ertönen, daß Himmel und Erde mir zu Hülfe kommen.“
Sie stand so wild erregt, so stolz und empört vor ihm da, daß er nicht wagte, ihr auf's Neue zu nahen, ja es flirrte ihm vor den erhitzten Augen, als sei noch eine andere Gestalt neben ihr, welcher sie so sehr glich und die ihr nun drohend und helfend zur Seite stehe.
„Ich will Dir nicht wieder nahen, wenn Du es nicht magst, Carmen, und verzeihe mir meine stürmische Leidenschaft!“ bat er dringend. „Aber versprich mir, daß Du mir gehören willst! Du bist ja nicht kalt, Carmen; Du wirst, Du mußt mitempfinden, was ich fühle. Laß mich Dir zeigen, was das Glück der Erde ist, das Du vielleicht ahnst, aber in seiner süßen Wonne nicht kennst!“
Das Mädchen schwieg. Ihre Antipathie gegen Jonathan war so alt wie ihr Erinnerungsvermögen; schon auf Jamaica war er ihr ein Gegenstand des Widerwillens gewesen, aber sie vermochte keinen Grund für ihre Abneigung anzugeben, und was sie von dem Mann wußte, sprach alles so sehr zu seiner Ehre, daß ihre Antipathie als ein völlig unberechtigtes Gefühl erscheinen mußte. Er genoß die Achtung und Verehrung der ganzen Gemeine; seine Frömmigkeit und Sittenstrenge, seine Enthaltsamkeit und Demuth waren hervorragend, selbst unter diesen frommen Seelen. Gegen Carmen war er in neuerer Zeit von besonderer Freundlichkeit gewesen, was von ihm, als dem Freund ihres Vaters, ihr erklärlich dünkte, aber nur ihr vermehrtes Unbehagen erweckte, sodaß sie den Aeußerungen seiner wohlwollenden Gesinnung zu entgehen suchte, wo sie es nur konnte. Ihre Ablehnung, ihn zu heirathen, glaubte sie ohne besondere Bedeutung für ihn, da sein Antrag ihr eben nur als ein Beweis dafür erschienen war, er wolle seine Freundschaft vom Vater auf die Tochter übertragen.
Nun erschreckte sie diese plötzlich hervorbrechende Leidenschaft, wenn sie auch in ihrem kindlich unschuldvollen Gemüthe nicht wirklich verstand, was sie daran so tief verletzte. Aber der Gedanke, daß er sie liebe und sie diese Liebe doch nimmermehr erwidern könne, erweckte in ihr die Scheu, ein ihr unverständliches, vielleicht tiefes Empfinden zu verletzen, und sie zwang sich daher zur Mäßigung ihrer empörten Gefühle, indem sie ihm endlich antwortete:
„Verzeihe mir, wenn ich Dir wehe thun muß, Bruder Jonathan, aber ich kann es nicht ändern – ich vermag's nicht, Dich zu lieben, wie Du es begehrst; ich wünsche und verdiene es auch nicht, daß Du ein so warmes Empfinden mir schenkst.“
„Carmen, das ist nicht Dein Ernst. Ich habe Dich erschreckt – besinne Dich! – laß dieses nicht Dein letztes Wort sein!“ Er trat nun doch wieder einige Schritte auf sie zu, aber Carmen wich scheu vor ihm zurück.
„Ich kann nichts Anderes,“ sagte sie fest, „jetzt aber laß mich, bitte, ruhig meines Weges heimgehen; Schwester Agathe harrt schon meiner.“
Bei Nennung dieses Namens schrak er zusammen und sah mit verstörten, unruhigen Blicken auf Carmen hin. Es wurde ihm plötzlich klar, von wie furchtbar zerschmetternden Folgen sein Benehmen gegen Carmen für ihn werden könne. Wie lähmende Furcht erfaßte ihn der Gedanke an das Gesetz der Brüderschaft, welches vorschrieb, daß alle Glieder der Gemeine jeglichen Fehl gegen die Moral, den sie an irgend einem Mitgliede der Brüderschaft gewahren, dem betreffenden Chorältesten zu entdecken haben, auf daß der Fehlende vermahnt werde. Wer da gefehlt hat, wird ein oder mehrere Male von der allmonatlichen Abendmahlsfeier ausgeschlossen, bis er durch Reue bekundet, daß eine Umkehr zum Guten in seiner Seele erfolgt sei. Hat aber die Strafe noch nicht die rechte Besserung hervorgebracht, so wird dem Betreffenden der Aufenthalt im Gemeinort für eine Zeitlang untersagt, strengsten Falls aber wird er ganz aus der Brüdergemeine ausgeschlossen.
Er, Bruder Jonathan, der bisher so makellose, mit sich und Andern so strenge, vielleicht plötzlich angeklagt, vermahnt, bestraft! Es war ein entsetzliches Bild gefallener Größe, welches sich bei Nennung Agathe's, der Aeltesten des ledigen Schwesternchores, ihm aufdrängte. Seine alte Selbstbeherrschung kehrte ihm auf ein Mal wieder; er fuhr mit der Hand über Stirn und Augen hin, als könne er so die Leidenschaft verwischen, die dort eben noch mit brennenden Lettern geschrieben stand, und es glückte ihm auch einigermaßen, einen gesammelteren Ausdruck anzunehmen und seiner Stimme etwas von der alten Ruhe wiederzugeben.
„Du hast gesehen, liebe Schwester, daß Leidenschaften uns hinterrücks überkommen, und was sie aus uns machen können, so sehr wir uns bestreben mögen, vor dem Herrn zu wandeln und unser Herz ihm darzubringen,“ versuchte er im alten Tone der [683] Demuth zu sprechen. „Vermagst Du es nicht, mir Deine Liebe zu schenken – kannst Du da nicht wenigstens über die meinige schweigen und vergessen, was ich Dir gesagt und gethan habe und was ich in Zerknirschung dem Herrn abbitten will?“
Carmen sah ihn mitleidig an; sie hatte so viel Leid über die Seele dieses Mannes gebracht, daß sie ihren Widerwillen etwas überwand und, Thränen im Auge, zu ihm sagte:
„Sei deshalb aller Wege beruhigt, Bruder Jonathan! Ich verrathe Dich nicht – vergiß Du selbst diese Stunde, wie ich sie zu vergessen suchen will.“
Dann wendete sie sich um und eilte, so schnell die Füße sie zu tragen vermochten, in den sicheren Hort des Schwesternhauses zurück. – –
Von diesem Abend an war Carmen's Ruhe hin. Ihre Empörung über Jonathan wurde noch von der Furcht vor ihm überwogen. Die wilde Gluth seiner Gefühle war zu unbändig und gewaltsam hervorgebrochen, als daß Carmen hätte glauben können, sie vermöchten so schnell zu verlöschen.
Ein tiefes Weh des Verlassenseins überkam sie. Die Mutter todt, auf dem fernen Eiland im Ocean unter tropischer Sonne begraben – der Vater vielleicht erschlagen, eingescharrt unter einem andern heißen Himmelsstrich, und sie unter Fremden lebend und der geistigen Zugehörigkeit zu denselben entbehrend.
Sie vermied Jonathan, und auch er schien ihr jetzt geflissentlich aus dem Wege zu gehen. Von der nächsten Abendmahlsfeier hatte er sich selbst ausgeschlossen, indem er demüthig erklärte: sich diesmal dazu nicht würdig genug zu fühlen. Er hatte gut gerechnet: seine Erklärung wirkte da, wo sie wirken sollte – Carmen beklagte ihn in ihrem Herzen der Reue wegen, die ihn mit so sichtlichem Schmerze erfüllte – wie hätte ihr reines Gemüth an Heuchelei zu glauben vermocht!
Im Brüderhause, wo Jonathan im Chor der ledigen Brüder wohnte, fand man dieselbe ruhige Sammlung, dieselbe gemessene Handlungsweise an ihm; seine Kranken genossen die nämliche Fürsorge und Umsicht wie bisher, aber er sah aus wie angegriffen von vieler Arbeit, und Thomas, sein alter Gehülfe und Diener, den er aus der neuen Welt in die alte mit herüber gebracht hatte, meinte: er stöhne jetzt oft so schwer im Schlafe auf, als ob der Alp ihn bedrücke.
Carmen sah ihn nicht ohne Mitgefühl leiden – seit dem schmerzlichen Erlebniß mit dem Bruder Jonathan athmete sie doppelt schwer in der drückenden Luft des Schwesternhauses. Da kam es wie eine willkommene Erlösung aus jetzt so bedrückender Umgebung, daß, als das Pfingstfest nahte, Frau von Trautenau bat, Adele möchte in Begleitung der so zärtlich geliebten Carmen die Festwoche bei ihr in Wollmershain verbringen. Schwester Agathe gestattete ihrem Zöglinge freundlich diese kleine Erholung. – –
Wollmershain war ein schönes, großes Gut, das nach dem Tode des Vaters die drei Geschwister gemeinschaftlich geerbt hatten. Frau von Trautenau hatte ihren Wittwensitz dort genommen, bis der eine oder der andere der beiden Söhne es einmal bewirthschaften oder pecuniär in der Lage sein werde, es allein zu übernehmen und seinen Geschwistern ihr Theil herauszuzahlen. Das Verhältniß zwischen Frau von Trautenau und ihrem Stiefsohn war ein stets ungestört schönes gewesen; er verehrte die Stiefmutter sehr, die ihn mit großer Liebe erzogen hatte, und sie wiederum gab viel auf seine Ansicht und auf seinen Rath, und sah in ihm ihre Stütze, seitdem sie Wittwe geworden war.
In dieses schöne Familienleben trat nun Carmen wie in eine neue Welt. War ihr in der Gemeine die Liebe unter den Brüdern und Schwestern immer nur in dem herben Gewande der Pflicht erschienen, so gab sie sich hier mit ihrer ganzen wohlthuenden Wärme als die natürliche Regung des Herzens.
In der Ausschmückung des Hauses, in der Anlage des Parkes war, neben dem Praktischen und Bequemen, dem Schönheitssinn überall Rechnung getragen worden, und die hohen, lichten Räume mit einfacher Eleganz ausgestattet und geschmückt, die grünen Rasenflächen des Gartens mit dem reichen Flor der Frühlingsblumen, die großartigen Alleen der mächtigen alten Bäume und die stillen, lieblichen Plätzchen mitten in den Waldpartieen – in all dem athmete ein Zauber, den Carmen nur mit dem vergleichen konnte, welcher in ihrer Erinnerung die Plantage und die Hacienda des Vaters auf Jamaica umgeben hatte.
Alexander und Hans waren der Festtage wegen heimgekommen, und während Adele sich mit Letzterem im Haus und Garten herumtummelte, blieb Carmen, die sich scheu von Alexander zurückzog, auf die Gesellschaft der Frau vom Hause angewiesen und schloß sich mit wahrhaft kindlicher Innigkeit an diese mütterliche Freundin an. Es war auch mehr deren Nähe, was sie in Wollmershain beglückte, als daß ihr das veränderte freiere Leben Freude gewährt hätte; denn sie fühlte in dieser neuen Freiheit etwas wie Befangenheit, und das Aufsehen, welches ihre Erscheinung veranlaßte, hatte für sie etwas Beängstigendes. Um nicht aufzufallen, hatte sie schon das weiße Häubchen abgelegt, sodaß ihre Kleidung sich nicht wesentlich von den Anderen unterschied, aber ihre Schönheit, gehoben durch den Kranz blauschwarzen Haares, der nun den edlen Kopf bekränzte, war so außerordentlich, so fremd und eigenthümlich, daß sie wie eine exotische Blume erschien, die mit wunderbarer Pracht in Form und Duft aus dem Schatten der Palmen in unsere Treibhäuser versetzt worden ist; sie erregte die Bewunderung Aller. Dabei war in Carmen ein eigenthümliches Gemisch von Stolz und Würde mit Demuth und Bescheidenheit, das eine die Sicherheit der Dame, das andere die Schüchternheit des Kindes.
Vielleicht war es hauptsächlich der Gedanke, daß die Eigenthümlichkeiten der Brüdergemeine vielfach in der Welt verspottet und verlacht werden, was sie immer, sobald sie mit Anderen als Frau von Trautenau zusammen war, den Stolz zur Abwehr und Waffe herauskehren ließ; besonders Alexander gegenüber war sie in stetem Vertheidigungszustand, und er hatte doch jetzt mit keiner Miene und keinem Wort eine Veranlassung dazu gegeben.
„Sie hat Rasse und Feuer in sich, wie ein edles Vollblutroß,“ sagte der alte Oberst von Bergen, der aus der nahen Garnisonstadt mit seiner Tochter und seinem Adjutanten eines Tages nach Wollmershain gekommen war. „Es ist eine Lust, sie herauszufordern, damit man dieses Auge emporflammen sehen kann. Pohlen,“ wendete er sich an seinen Adjutant, „Sie scheinen auch nicht glücklich zu sein mit dem, was Sie ihr über Mittag sagten; denn die Lippen der jungen Dame kräuselten sich bedenklich auf, als hätten Sie ihr eine Beleidigung angethan, und ihre Augen sahen sehr stolz über Sie hinweg.“
Der Angeredete lachte verdrießlich. „Und doch war es Zuckerbrod, das ich ihr reichte. Ich fragte, ob alle Creolinnen in Jamaica auch so schön seien, wie sie selbst. Das ist doch bei allen Göttern schmeichelhaft genug, und so eine kleine Herrnhuterin, welche die Demuth vor allen Anderen gepachtet haben soll, braucht deshalb nicht den Kopf aufzuwerfen und hochmüthig um sich zu blicken.“
Die Herren saßen auf der Veranda des Hauses, ihre Cigarre nach dem Mittagsmahle zu rauchen und dehnten sich behaglich in den Schaukelstühlen. Alexander, der zunächst an der Treppe, welche nach dem Garten hinabführte, hinter den in voller Blüthe stehenden Syringiensträuchen saß, war bei den Worten Pohlen's sehr roth geworden und sagte mit dem Ton scharfer Zurechtweisung:
„Herr Camerad, 'Creolin' ist wohl eine Bezeichnung, die hier nicht am Platze ist, überhaupt aber von den Betreffenden nicht gern gehört wird. Uebrigens kommt eine Schmeichelei oft einer Beleidigung gleich – vermuthlich hat das Zartgefühl der jungen Dame die Ihrige so aufgenommen.“
„Meinen Sie?“ sagte Pohlen gedehnt. „Jedenfalls ist diese Art mir neu – vornehmere Damen wüßten wenigstens eine dargebrachte Huldigung anders aufzunehmen, und ich werde auch ein zweites Mal die stumme Abweisung dieser Herrnhuterin nicht wieder so geduldig einstecken, sondern ihr so wieder dienen, wie sie mir.“
Alexander verfärbte sich. Sein Blut kochte in Unwillen auf, und die gewaltsame Beherrschung seiner selbst, einen ruhigen Ton beizubehalten, ließ ihn erbleichen, als er Herrn von Pohlen einwarf:
„Vornehmere Damen? Das Vornehmere setzt das Würdigere voraus. Uebrigens, Herr von Pohlen, bin ich überzeugt, Sie werden nie und in nichts vergessen, daß diese junge Dame der Gast meiner Mutter ist, als solche unter meinem ganz besonderen Schutze steht und jede Kränkung oder Verletzung, die ihr hier widerführe, eine mir angethane wäre.“
„Meine Herren, ich bitte auf dem Standpunkte des Scherzes stehen zu bleiben, von dem wir ausgegangen sind, und keinen Ernst aus dem Gesprochenen zu machen,“ warf hier der Oberst
[684] schnell begütigend ein. „Es versteht sich von selbst, daß Herr von Pohlen das nicht vergißt, was er diesem gastlichen Hause und seinen Inwohnern schuldig ist. Laufen Sie sich doch lieber gegenseitig den Rang ab, Sie beiden glücklichen Ritter, denen die Jugend noch gegeben ist, und sehen Sie zu, welcher von Ihnen die Gunst dieser bildschönen jungen Dame erlangt! Ich sage Ihnen, ich beklage nichts mehr, als meine sechszig Jahre – sonst wollte ich Ihnen die Avance streitig machen.“
Alexander hatte sich erhoben, und indem er an die Stufen der Freitreppe ging, sagte er:
„Wenn es Ihnen recht ist, Herr Oberst, suchen wir nun die Damen auf, die uns im Garten erwarten werden.“
Er hielt zu sprechen inne; denn am Fuß der Treppe stand Carmen, wie unschlüssig, ob sie hinaufgehen oder umkehren solle. Sie mußte die vorhergehenden Reden gehört haben; denn sie sah bleicher aus als gewöhnlich. Er ging schnell die Stufen zu ihr hinab; sie hob den Kopf empor und ließ ihn ruhig kommen, nur die feinen Nasenflügel zitterten wie in innerer Erregung. Als er neben ihr stand, sagte sie leise: „Ich danke,“ und ein Blick aus den schönen schwarzen Augen streifte ihn sanft und weich. Dann übergoß sie plötzlich dunkle Röthe; denn sie sah die beiden anderen Herren eben an der Treppe erscheinen. Die Schüchternheit und Befangenheit, sich so allein mit den Herren zu sehen, überkam sie.
„Ich wollte ein Kissen für Frau von Trautenau holen,“ sagte sie verlegen.
„Erlauben Sie mir, Fräulein Carmen, daß ich für Mama das mit hinausbringe,“ kam ihr Alexander zu Hülfe und eilte wieder hinauf, während sie sich entfernte.
Es wurden nun Spiele auf dem Rasen veranstaltet. Fräulein von Bergen, ein munteres Mädchen, brachte sie schnell in Gang. Es waren dieselben Gesellschaftsspiele, welche Carmen so oft im Schwesternhaus mit den Pensionärinnen und Schwestern geübt hatte, aber wie anders waren sie hier, wo die Herren sich mit in den Kreis stellten und Fräulein von Bergen diese ungenirt schlug oder im Laufe fing! Carmen hätte das nie vermocht; sie lachte mit und war fröhlich, aber sie begnügte sich, ihren Scherz an Adele auszuüben und sich von dieser fangen zu lassen, während sie jeder Berührung mit den Herren sorgsam auswich.
Da fiel ein Regentropfen, bald noch einer, und endlich ein tüchtiger Frühlingsgewitterschauer, der die Gesellschaft aus dem Garten in den Salon vertrieb, aber die Stimmung war nun einmal angeregt, und man fand dort an dem ruhigen Sitzen keinen Gefallen.
„Papa, führe Deinen Schlachtengaul in's Feuer!“ bat die Tochter den Oberst, und dieser war auch, gutmüthig genug, gleich dazu bereit, sich an den Flügel zu setzen und das einzige Musikstück, das er zu spielen vermochte, einen Geschwindgalopp, herunterzutrommeln. Herr von Pohlen ergriff Fräulein von Bergen, Hans seine Schwester, und die beiden Paare drehten sich im Fluge durch den Saal.
Carmen sah leuchtenden Blickes ihnen nach; ein zartes Roth froher Erregung übergoß ihre Wangen; ihr kleiner Fuß schlug unwillkürlich den Tact, und den schönen, schlanken Körper sanft vorgebeugt, schien ihre ganze Gestalt Rhythmus zu sein.
„Möchten Sie nicht auch tanzen?“ fragte da Alexander's Stimme neben ihr.
„Ja, ich möchte gar zu gern,“ sagte sie offenherzig mit lieblichem Lächeln, ohne den Blick von den Tanzenden zu kehren. „Welche Lust muß es sein, so dahin zu fliegen!“
Alexander betrachtete sie mit Bewunderung; so voll leuchtender Freude hatte er sie noch nicht gesehen. „Wollen Sie es da mit mir versuchen, Fräulein Carmen?“ bat er mit Wärme.
„Ich kann aber gar nicht tanzen, wenigstens solchen Tanz nicht,“ entgegnete sie, das strahlende Antlitz zu ihm hinwendend.
„O, das lernt sich schnell – vertrauen Sie sich nur meiner Führung an! Legen Sie, bitte, Ihre Hand auf meinen Arm, der Sie fest umschlungen halten wird, und folgen Sie meinen Bewegungen!“sagte er erfreut und wollte den Arm um ihre Taille legen.
Bei dieser Bewegung aber sah sie ihn erschrocken an und trat betroffen zurück. Bis jetzt hatte noch keines Mannes Arm sie umschlungen – außer dem Jonathan's in wahnsinniger Leidenschaft.
„Ich kann es nicht – nein, es ist unmöglich,“ stammelte sie erschrocken.
„Dann verzeihen Sie meine Bitte, Fräulein Carmen!“ entgegnete Alexander kühl und verbeugte sich.
„Abgewiesen!“ lachte ihn Pohlen höhnisch an, da er eben zu tanzen aufgehört und Alexander's Mißerfolg mit angesehen hatte.
„Ja, aber wie sie abzulehnen weiß, das ist vielleicht von mehr Werth, als wir Andern annehmen,“ entgegnete dieser ernst.
Als am Abend die Familie auseinander ging und Carmen wie gewöhnlich Frau von Trautenau, Adele und Hans die Hand zum Nachtgruß geboten hatte, stand sie einen Augenblick noch zögernd da, unentschlossen und befangen, dann aber trat sie schnell auf Alexander zu, und das Antlitz von sanftem Roth übergossen, bot sie ihm die Hand. Sie hatte Alexander als ihren Gegner betrachtet und als solchen consequent gemieden. Heute jedoch war er ihr Vertheidiger und Beschützer gewesen, und zum Danke dafür hatte sie ihn verletzt. Sie war ihm eine Genugthuung schuldig, das fühlte sie, und als sie ihm jetzt die kleine Hand hinhielt und „gute Nacht“ wünschte, sah sie ihn bittend an, und es war, als ob sie sagen wolle: „Sei mir nicht böse!“
Ueberraschung und Freude flammte auf seinem Gesichte auf. Ihr Auge, so bezaubernd, wenn es im Feuer der Erregung blitzte, wie unwiderstehlich war es, wenn es so wie jetzt im weichen, warmen Glanze der Bitte sich aufschlug und schüchtern, sanft und vertrauend in seiner unergründlich tiefen Nacht vor ihm lag! Ihm war, da er voll Entzücken hineinsah, als ob er nimmer wieder sich davon losreißen könne. Sie aber senkte tief erröthend die Augen nieder. Da beugte er sich über ihre dargebotene Hand, und sie ehrfürchtig küssend, fühlte er sich stolz beglückt, als ob eine Königin ihn zum Handkuß zugelassen habe.
Von diesem Augenblicke an gestaltete sich Carmen's Verkehr mit Alexander freundlicher, aber freilich konnte es nur von kurzer Dauer sein; denn es waren nur noch zwei Tage, die sie gemeinsam in Wollmershain verleben konnten – dann kehrte Carmen mit Adele wieder in die Colonie zurück.
„Liebe Heimath, da bist du ja endlich!“ rief ein einsamer Wanderer und blieb, auf seinen Stab gestützt, stehen. Er nahm den Hut ab, als grüße er den Ort, der da vor ihm lag, und seine Hände falteten sich andächtig auf dem Stabe. Sein Fuß schien ermüdet, sein Körper erschöpft von langem Wandern – eine kurze Strecke nur trennte ihn noch von den ersten Häusern, aber er hielt doch hier an, wie um die Seele zu erlaben an dem Anblick, der sich ihm darbot.
Da lag vor ihm der kleine Ort der Colonie, in das sanfte Licht des Juni-Abends getaucht; leuchtende Wölkchen warfen Goldfunken auf die Spitzen der Dächer und an die Scheiben der Fenster und zitterten auf dem kleinen Spiegel des Flüßchens wieder, das mit leisem Gemurmel grüßend dem Dastehenden entgegensprang; lang gedehnt, streckten sich die dunkeln Schatten der Hügel in das Thal hinab, welches sich rechts von ihm öffnete und aus dessen Tiefe die alte, ihm so liebe Mühle hervorsah, während vorn auf den Wiesen um den Erlenteich die feuchten Dünste nebelhaft ihre Gebilde woben und der würzige Duft frischen Heues von dort herüberzog. Es war ein liebliches, friedliches Bild, das den Mann tief zu bewegen schien.
Und doch, er hatte Größeres, Schöneres, Erhabeneres auf der Erde gesehen! Er hatte das Meer befahren, und in der Großartigkeit dieses Anblickes hatten sich seine Gedanken verloren, um doch größer zu ihm zurückzukehren; unter der tropischen Sonne war er gewandelt; Palmen und Magnolien hatten sein Haus beschattet und die unendlichen Reichthümer der westindischen Welt ihr Füllhorn verschwenderisch über ihn ausgeschüttet; er hatte in die heiligen Fluthen des Ganges geblickt und die Tempel des Seligkeit spendenden Benares sich darin spiegeln gesehen; in „der Heimath des Schnees“, am Himalaya war er gewesen, und die Eiseskrone des Dhawalagiri hatte gigantisch nebelhaft zu ihm herabgeblickt in die grünen Thäler mit Bananen und Reisfeldern; er hatte die mongolischen Steppen durchwandert, und in die filzbedeckte Jurte des Nomaden hatte die feierliche Größe des weiten Sternenhimmels zu ihm hereingesehen – aber nie und nimmer hatte die Stimme des Heimwehs in ihm geschwiegen.
„Heimath!“ Das ist, als ob wieder der Tisch der Mutter uns winke und das Wort des Vaters uns rufe, wie damals, als
[685][686] wir, noch Kinder, am Abend die Schwelle überschritten und uns traulich und süß zur Ruhe ausstrecken konnten. Und ob aus dem Kinde ein Greis geworden, ihm ist es doch noch immer, als ob dort erst wieder die Ruhe ihm winke.
Das Leben, was macht es doch aus uns! Als junger Mann mit blonden Locken war er frisch und muthig vor dreißig Jahren fortgezogen, in einen neuen Welttheil. Welches Glück hatte er seitdem sein genannt, welches Leid gekostet, und ach! wie viel Schuld und Trübsal getragen!
Und nun stand er wieder hier, die hohe, sonst über Alle hervorragende Gestalt gebeugt – war es von Leid, von Schuld oder von der Erschöpfung des Wanderns? – die blonden Locken weiß wie der Schnee des Himalaya, nur in den großen, blauen Augen noch etwas von dem leuchtenden Lenze des Lebens. – „Liebe Heimath, da bist Du nun endlich,“ sprach er vor sich hin. Und seine Brust hob sich wie im Danke, als löse sich von ihr eine Last befreiend und erleichternd, und je länger er hinsah, um so mehr füllten sich seine Augen mit Thränen, und er weinte zum ersten Male wieder, wie das Kind es sonst gethan.
Das Wolkengold am Himmel droben war inzwischen erloschen; die Dämmerung breitete ihre Schleier über die Erde hin, und der Abendwind erhob sich und spielte mit dem weißen Haare des Mannes.
„Es muß jetzt neun Uhr sein. Sie werden nun in die Singstunde gehen und das Abendgebet halten, wie es ehedem geschah, wie es auch heute sicher noch ist und immerdar sein wird; denn was sollte sich hier ändern? O, ich will hineintreten und fragen, ob mein Kind noch lebt, auf daß sich doch vielleicht Eines freue, weil ich wiedergekommen bin.“
Darauf, nach einer Weile, drückte er den Hut wieder fest auf die Stirn, rückte die Tasche, die über seine Schultern hing, zurecht, und auf den Wanderstab sich stützend, ging er auf die Colonie zu.
Es hatte sich hier nicht viel verändert, seitdem er fort gewesen. Einige neue Häuser waren hinzugekommen, aber die alten waren noch da, auch das, welches ehemals sein eigen war, vom Vater her, und in welchem er den Leinwandhandel betrieben hatte, bis er mit seiner ersten Frau in die neue Welt gegangen war. Leute kamen aus dem Betsaal zurück; da und dort saßen noch Einige vor den Thüren, sich am milden Sommerabend zu erfreuen, und er sagte ihnen sein „Grüß dich Gott, lieber Bruder – liebe Schwester!“ und sie dankten ihm freundlich, aber fremd; denn Keines kannte ihn, sondern sie sahen ihm nur erstaunt nach, wie er so müde dahinwankte und nach dem Schwesternhause ging.
„Das ist nicht das Brüderhaus, lieber Bruder,“ sagte berichtigend ein junger Mann zu ihm.
„Ja, ich weiß es, ich finde mich noch hier zurecht,“ erwiderte er, als freue er sich, daß ihm noch Alles so vertraut war. Dann zog er die Glocke am Schwesternhaus und bat, daß er die Chorälteste sprechen könne.
Man führte ihn in das Sprechzimmer, und die Herbeigerufene kam. Er erkannte auf den ersten Blick Schwester Agathe wieder.
„Schwester, lebt Carmen Mauer noch und ist sie hier?“ fragte er bebend und starrte sie ängstlich gespannt an.
Der Mann mußte sehr schön gewesen sein; fast konnte man ihn noch heute so nennen, aber dem Gesicht hatten viele Leiden, körperliche wie geistige wohl, ihren Stempel aufgedrückt und es in einem wirren Durcheinander von Linien und Falten durchfurcht; die Strahlen manch heißen Himmelsstriches hatten die Haut in einen tiefen Ton von Braun gefärbt, sodaß die großen, lichten, lebensvollen blauen Augen wie ein paar verirrte Sterne daraus hervorleuchteten.
Agathe sah ihn staunend an, und je mehr sie hinblickte, um so mehr verwirrte sie sich.
„Carmen lebt hier im Schwesternhaus,“ sagte sie endlich „und Du bist doch nicht etwa –“
„Bruder Mauer, den Ihr Alle wohl längst todt geglaubt habt,“ ergänzte er ihre stockenden Worte.
„Gelobt sei Gott in Ewigkeit!“ rief Schwester Agathe und brach auf einem Sessel zusammen – das Unerwartete war zu überwältigend über sie gekommen. Aber sie raffte sich schnell wieder auf, drückte dem Heimgekehrten herzlich die Hände, schob ihm einen Sessel hin und sagte:
„Laß mich gleich gehen, Carmen zu holen, auf daß Du, lieber Bruder, Dein Kind an das Herz drückst!“
Im vierzehnten Jahrhundert stockte der Zufluß der Gelder zur Vollendung des Domes mitunter gänzlich, und es war Gefahr, daß das begonnene Werk unvollendet bleiben müsse. Die langjährigen traurigen Streitigkeiten, in denen Capitel, Erzbischof und Bürgerschaft mit blutigen Waffen einander bekämpften, dauerten eben auch in dieser Zeit fort und mußten einen nachtheiligen, lähmenden Einfluß auf die Bauthätigkeit ausüben.
Im Jahre 1447 war der südliche Thurm so hoch aufgeführt, daß er die Glocken, die bisher in dem hölzernen Thurme neben der Johanniskirche gehangen hatten, aufnehmen konnte. Man gab aber jede Hoffnung auf, die Kirche nach dem ursprünglichen Plane vollenden zu können, und schien zufrieden zu sein, wenn man erreichte, das Langschiff und die Seitenhallen der Kirche durch ein provisorisches Dach zu schließen, die vier ersten Felder des nördlichen Seitenschiffes einzuwölben und die für dieses Schiff bestimmten großen Glasgemälde einzusetzen, was in den Jahren 1508 und 1509 geschah.
Seit der Eindeckung und Verglasung der Seitenschiffe ruhten Hammer und Meißel. Die Bauhütte stand verwaist; der Krahnen blieb unbenutzt; für einen Domwerkmeister war keine Beschäftigung mehr an dem alten Baue, und der magister fabricae beschränkte seine Fürsorge auf die nöthigsten Reparaturen.
Der neue Geist, der sich auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft geltend zu machen und den mittelalterlichen Bestrebungen und Richtungen jede Berechtigung abzusprechen begann, konnte nur geeignet sein, die Indolenz für die Sache des Dombaues zu erhöhen. Dazu kam, daß die trüben Zeiten eines Hermann von Wied und Gebhard Truchseß wenig dazu angethan waren, die Begeisterung für die Fortführung des Dombaues neu anzufachen und die Beiträge wieder in reichen Fluß zu bringen. Allmählich verlor sich jeder Sinn und jedes Verständniß für die mittelalterliche Bauweise, und man würde es für eine Versündigung an dem Geiste der Zeit gehalten haben, wenn man es hätte unternehmen wollen, die Ruine des Domes in dem alten Stile herzustellen und zu vollenden. Das Vermächtniß von 400 Thalern, welches Peter de Berghes 1620 für den Dom bestimmte, im Falle derselbe, „so imperfect, im Verlaufe von zwanzig Jahren fertig gebaut werden sollte“, wird der Dombaucasse nicht zugeflossen sein. Man verstieg sich so weit in der vornehmen Verachtung des Mittelalters, daß man alles, was aus dieser „finstern Zeit“ herrührte, als Erzeugniß der Verdummung und Finsterniß charakterisirte. Im Vollgefühle der eigenen Unübertrefflichkeit und des erhabenen Standpunktes, den man selbst in Kunst und Wissenschaft einzunehmen wähnte, sah man mit Uebermuth oder mitleidigem Bedauern auf jene düsteren Jahrhunderte hinab, und was irgend Anspruch auf Bildung machen wollte, mußte mit Hand anlegen, die Schöpfung derselben aus dem Wege zu räumen.
Sandrart’s „Teutsche Academie“, die lange Zeit hindurch für die ästhetischen Studien als untrügliches Orakel galt, sprach das schärfste Verdammungsurtheil über die deutsche Baukunst aus, „welche keine richtige Ordnung, Proportion und Maß beobachte, voller Unordnung sei und als eine schnöde, barbarische Art zu bauen betrachtet werden müsse“.
[687] Kaum fühlte man Lust und Kraft, die wundervollen gothischen Denkmale in leidlichem Zustande zu erhalten, und als die Gothik dem neuen Zeitgeiste zum Opfer gefallen und allerwärts in Verruf gekommen war, bequemte man sich auch in Köln zum Anschluß an Rococo und Zopf. Man überbot einander in Ueberkleistern, Abhobeln, Glatthauen und Verstümmeln der vorhandenen Kunstwerke.
Im Jahre 1767 wurde die ganze Domkirche durch die Italiener Johann Syrus und Genossen vollaus in neuerem Geschmack illuminirt und übertüncht. Der Hochaltar an Dome wurde 1770 verstümmelt und durch den kuppelförmigen Aufsatz verunstaltet; das an der westlichen Schlußwand des Chores errichtete prachtvolle Grabmal des Erzbischofs Wilhelm von Gennep zerstört, um bequemen Raum für eine Thür in diese Wand zu gewinnen; die werthvollen gemalten Glasfenster unter dem Laubgange der obersten Fenster und in den unteren Seitencapellen wurden entfernt und durch ordinäres weißes Glas ersetzt. Damit noch nicht genug, wurde die um das Chor gehende durchbrochene Steingallerie zerstört und an ihrer Stelle ein Eisengitter in neuerem Geschmacke aufgerichtet. Allerwärts, wo eine Reparatur vorgenommen, irgend ein Monument aufgestellt, ein neuer Altar errichtet wurde, gab man sich alle Mühe, den Gegensatz zu den Anforderungen des Stiles, in welchem die Kirche erbaut war, oder zu den alten ursprünglichen Ornamenten und Denkmälern des Domes so schreiend wie möglich zu machen, den größten Frevel aber verübte der blinde Vandalismus an dem links vom Hochaltar stehenden Sacramentshäuschen. Dieses Meisterwerk der architektonischen Sculptur mußte im Jahre 1766 dem entarteten Geschmacke zum Opfer fallen und unter den Hammerschlägen einer vandalischen Rohheit zusammenstürzen. Die zerschlagenen Bruchstücke wurden größtentheils als Schutt in den Rhein gefahren; kleinere Reste wurden gerettet und befinden sich jetzt im städtischen Museum. Aber die größte Gefahr für den Bestand des Domes trat ein, als das Capitel sich mit den Schätzen seiner Kirche flüchtete und der Gottesdienst im Dome ganz eingestellt wurde. Eine Zeitlang mußte nun der ehrwürdige Bau, in welchem Könige die Krone des deutschen Reiches empfangen hatten, zum Fourragemagazin für die republikanische Armee dienen.
Ja, als im Jahre 1801 die Aufhebung des Kölner Erzbisthums ausgesprochen wurde, trat sogar die Gefahr nahe, daß die Domkirche auf den Abbruch verkauft würde. Sie wurde dadurch beseitigt, daß bei der neuen Pfarrcircumscription des Jahres 1802 der Dom zur Hauptpfarrkirche des vierten Bezirks bestimmt und ihm das Vermögen der alten von St. Lorenz überwiesen wurde. Er erhielt jetzt wieder einen Theil der geflüchteten Kirchenschätze zurück. Lange hatten sich die französische und darmstädter Regierung über das Eigenthumsrecht des Restes der zu Frankfurt in Beschlag genommenen Domkostbarkeiten gestritten.
Endlich kam man dahin überein, daß von diesen Schätzen die Schreine der heiligen drei Könige und des heiligen Engelbertus, die große Monstranz und die Clementischen Paramente zurückgeliefert werden sollten. Als die Kaiserin Josephine im Jahre 1804 den Dom besichtigte, setzte sie eine zureichende Summe zur Wiederherstellung des Dreikönigen-Kastens aus und schenkte außerdem noch mehrere Hundert Napoleonsd’or zur Ausbesserung der Domkirche. Aber die geringe Summe war nicht im Stande, dem raschen Verfalle der Domkirche Einhalt zu thun, und als Napoleon angegangen wurde, die erforderlichen Herstellung- und Unterhaltungskosten der Domkirche zu bewilligen, erklärte er, daß die Staatscasse außer Stande sei, die Summe für kirchliche Zwecke herzugeben.
Je länger man die Reparatur aufschob, desto bedrohlicher gestalteten sich die Schäden. Endlich im Jahre 1807 entschloß man sich, die nothwendigsten Ausbesserungen vornehmen zu lassen. Der Kostenanschlag, den die Bauverständigen Schmitz und Odenthal zur Reparatur an den Dächern, dem Chore, den Seitenchören, den Schiffen und dem Thurme der städtischen Verwaltung einreichten, belief sich auf 23,5440 Franken 90 Centimes; 19,652 Franken wurden bewilligt und verausgabt. Auch diese Reparatur konnte den raschen Verfall nicht hemmen. Im Sommer 1811 wandten sich die Kirchmeister der Dompfarre an den Maire und ersuchten ihn, durch Sachverständige eine Besichtigung vornehmen zu lassen und für die zureichende Instandsetzung sorgen zu wollen. Der darmstädter Baurath Georg Moller, der für einen äußerst „gründlichen Kenner der meisten größern antiken und modernen Gebäude und namentlich der sogenannten gothischen Kathedralen“ galt, wurde von Seiten der Stadt beauftragt, in Gemeinschaft mit dem Baumeister Leidel und dem Stadtbaumeister Schmitz die Bauschäden zu untersuchen. Das betreffende Gutachten ging dahin, daß der Thurm auf dem Chordache abgetragen und ein starker eiserner Anker zur Verbindung der den Anfang zum Kreuz der Domkirche bildenden Mauern angebracht werden solle.
Nicht wenig hatte zu der Berufung Moller's Sulpiz Boisserée beigetragen. Dieser schwärmte für das höchste Werk mittelalterlicher Baukunst, deren Studium er sich auf's Eifrigste angelegen sein ließ, und des Domes Erhaltung und Vollendung war sein sehnlichster Wunsch; denselben zu verwirklichen, scheute er keine Opfer, keine Mühe, und seinen Vorstellungen ist es guten Theils zu verdanken, daß, nachdem die Rheinprovinz dem Königreiche Preußen einverleibt worden, man sich in Berlin allmählich mit dem Gedanken an eine Herstellung des altehrwürdigen Kölner Domes befreundete. Der Geheime Oberbaurath, später Oberlandesbaumeister Schinkel erhielt im Jahre 1816 den Auftrag, den baulichen Zustand des Kölner Domes an Ort und Stelle zu untersuchen und die Resultate seiner Wahrnehmungen und Ueberzeugungen der Staatsregierung zur ferneren Beschlußnahme vorzulegen. In Folge dieses Auftrages traf Schinkel gegen Ende August 1816 in Köln ein. Auf Grund seines den bedenklichen Zustand der Domkirche in grelles Licht stellenden Berichtes und auf besondere Befürwortung des Kronprinzen befahl König Friedrich Wilhelm der Dritte, „daß das Vorhandene erhalten werden solle“. Es währte aber noch lange, ehe man rüstig Hand an's Werk legte. Erst im Jahre 1823 machte man Miene, die Herstellungsarbeiten an den äußeren Mauern mit Ernst zu beginnen, bald aber ließ man wieder nach, und das Ganze beschränkte sich darauf, die große Giebelmauer vor dem hohen Chore zu verankern und einige Thürmchen an der Südseite abzubrechen.
Am 19. April des folgenden Jahres nahm man die auf die Summe von 381,000 Thalern veranschlagten Arbeiten wieder auf. Das Hochchor erhielt ein neues Dach; am 18. August wurde der Dachstuhl aufgeschlagen, und am 18. October war auch die Eindeckung beendigt; im Ganzen wurden 109,623 Pfund Blei aufgelegt. Das auf der Spitze des Chores befindliche Kreuz wurde herabgenommen, durch freiwillige Beiträge ein neues beschafft und am 3. August 1825 aufgestellt. Zur Fortsetzung der Reparaturen bewilligte der König auf wiederholte Vorstellung des Baudirectors Schinkel im Jahre 1826 7000 Thaler, zugleich genehmigte er die Einführung einer besonderen Kathedralsteuer, welche von Heirathen, Geburten und Sterbefällen in der ganzen Diöcese erhoben werden sollte. Am 8. März 1826 wurde mit der Herstellung des südlichen Fenstergiebels begonnen, und am 19. August 1827 legte der Erzbischof Ferdinand den Schlußstein zu dem neu erbauten Fenster im untern Theile der Nordwand. Unter Leitung des Bau-Inspectors Ahlert hatten diese Arbeiten bis im Jahre 1833 ihren ungestörten Fortgang. In diesem Jahre wurde nach Ahlert's Tode der Bau-Inspector Zwirner zur Leitung der Reparaturbauten am Dome berufen, und er brachte frische Regung und neues Leben in die Dombausache.
Je mehr er sich bei der mühevollen Herstellung des Hochchores mit dem Studium des ganzen Baues beschäftigte, desto lebhafter wurde in ihm der Wunsch, seine volle Kraft der Vollendung dieses Wunderbaues widmen zu können. Er benutzte im September 1833 die Anwesenheit des für die mittelalterlichen Kunstwerke in hohem Grade begeisterten Kronprinzen dazu, um diesem die Dombausache warm an’s Herz zu legen. Nach dem von ihm vorgelegten Plane sollte zuerst der Ausbau und die Eindeckung der Seitenschiffe und der Langkirche, dann die Entfernung der Abschlußmauer am Chore innerhalb sechs Jahren mit einem Kostenaufwande von 154,000 Thalern vorgenommen werden. Die Baukosten, welche zum vollen Ausbau des Domes, mit Ausschluß der Thürme, erforderlich seien, veranschlagte er auf zwei Millionen Thaler. Der Kronprinz, durch Zwirner’s Vortrag freudig überrascht, versprach das Ausbauproject mit allen Kräften zu unterstützen, und ließ im folgenden Jahre einen partiellen Bauplan dem Oberbaudirector Schinkel zur Revision vorlegen.
Die Zeit war da, in welcher es sich entscheiden mußte, ob mit rüstiger Hand der Fortschritt begonnen oder ob die gut geschulten Arbeiter entlassen, die Bauhütten geschlossen und die [688] Baugerüste niedergerissen werden sollten. Die Kölner Dombaufrage wurde brennend, und es gelang, die ganze deutsche Nation dafür zu interessiren. Fortbau und Vollendung des würdigen, heiligen deutschen Werkes, „zu Gottes Ehre und zum Ruhme des Vaterlandes“, wurde bald die allgemeine Losung.
Von einer gewaltigen Begeisterung für den unvergleichlichen Wunderbau wurde bald Alles ergriffen, was nur irgend einer Begeisterung fähig war, und Fürsten, Dichter, Gelehrte, Publicisten, Patrioten, schlichte Bürger stimmten ein in den allgemeinen Ruf, daß ungesäumt und mit warmem Eifer das große Werk begonnen werden müsse. Eine Anzahl für die Dombausache hoch begeisterter angesehener Kölner Bürger trat im September 1840 zusammen, um durch Gründung eines Dombauvereins dieser Begeisterung einen kräftigen Halt und eine feste Grundlage zu sichern und der Einsammlung der Beiträge eine zweckmäßige Organisation zu geben. Der König begrüßte in seiner regen Liebe für alles Schöne und Große freudig diesen Plan, und er gab unter dem 23. November die königliche Autorisation zur Bildung eines Vereins, dessen Thätigkeit auf die Erhaltung und den Fortbau des Domes gerichtet sein sollte; zugleich eröffnete er die erfreuliche Aussicht auf reiche königliche Unterstützung bei Ausführung des großen Werkes. Nach dem Statut, über welches sich der gewählte Ausschuß einigte, hatte der Verein den Zweck, „vermittelst Darbringung von Geldbeiträgen und in jeder sonst angemessenen Weise für die würdige Erhaltung und den Fortbau des Domes thätig mitzuwirken“.
Der König bestätigte dieses Statut unter dem 8. December 1841 und übernahm zugleich, der vom Dombauverein ausgesprochenen Bitte gemäß, das Protectorat. Zum Präsidenten wurde am 16. März 1842 Herr von Wittgenstein und zum Secretär Herr August Reichensberger gewählt. Beide erkannten recht wohl, wie gewaltig die Last war, welche sie sich durch Uebernahme der bezüglichen Aemter aufluden, aber die Liebe zu der heiligen, großen Sache ließ sie jedes Bedenken überwinden, und mit Begeisterung und Energie unterzogen sie sich der anstrengenden Arbeit, welche mit der Leitung und Organisation des Centralvereins und seiner Hülfsvereine verbunden war.
Der Dombauverein rechnete nur dann auf eine Nachhaltigkeit der allgemeinen Begeisterung für das große Werk, wenn man sich entschließen wolle, Hand an den vollständigen Ausbau der Domkirche zu legen und Schiffe, Portale, Gewölbe und Strebebogen ganz nach dem genialen Plane des ersten Baumeisters auszuführen. Der König gab mit Freuden zu diesem Projecte seine Zustimmung. „Möge es dem Verein gelingen“ – schrieb er am 13. August 1842 – „die Flamme der Begeisterung, welche ihn beseelt, weit und breit in den Gauen des deutschen Vaterlandes nicht nur zu vorübergehendem Auflodern anzufachen, sondern dauernd zu nähren, damit das erhabene Werk gedeihe und sich vollende, einer großen Vorzeit würdig, der Gegenwart zum Ruhme und der Nachwelt zum bleibenden Vorbilde deutschen Kunstsinnes, wie deutscher Frömmigkeit, Eintracht und Thatkraft.“
Am 4. September desselben Jahres wurde in Gegenwart des preußischen Königspaares, des Herzogs Johann und einer großen Reihe anderer deutscher Fürsten in feierlicher Weise vom Erzbischof-Coadjutor, jetzigen Cardinal Johannes von Geissel, der Grundstein zum Weiterbau unter dem westlichen Pfeiler der mittleren Südportal-Halle gelegt. Bevor der König die üblichen drei Hammerschläge that, sprach er die Worte:
„Hier, wo der Grundstein liegt, dort, mit jenen Thürmen zugleich, sollen sich die schönsten Thore der ganzen Welt erheben. Deutschland baut sie; so mögen sie für Deutschland durch Gottes Gnade Thore einer neuen, großen, guten Zeit werden! … Der Geist, der diese Thore baut, ist derselbe, der vor neunundzwanzig Jahren unsere Ketten brach, die Schmach des Vaterlandes, die Entfremdung dieses Ufers wandte. Und das große Werk verkünde den spätesten Geschlechtern von einem durch die Einigkeit freier Fürsten und Völker großen, mächtigen, ja den Frieden der Welt unblutig erzwingenden Deutschland!“
Es schien, als sei der Vorwurf beseitigt und der Fluch gelöst, wovon Görres im Jahre 1813 sprach, wenn er schrieb:
„Ein ewiger Vorwurf steht der Bau vor unseren Augen, und der Künstler zürnt aus ihm hervor, daß so viele Menschenalter nicht zur Wirklichkeit gebracht, was er allein, ein schwacher sterblicher Mann, in seines Geistes Gedanken getragen hat. Auch ist ein Fluch darauf gesetzt worden, als die Bauleute sich verliefen, und also hat der zornige Geist geflucht: so lange soll Deutschland in Schande und Erniedrigung leben, preisgegeben eigenem Hader und fremdem Uebermuthe, bis sein Volk sich wieder der Idee zugewendet, von der es sich, der Eigensucht nachjagend, losgesagt, und bis es durch wahrhaftige Gottesfurcht, gründlich treuen Sinn, festes Zusammenhalten in gleicher Begeisterung und bescheidene Selbstverleugnung wieder tauglich geworden, solche Werke auszuführen, wie es sie jetzt in seiner Versunkenheit aufgegeben.“
Jetzt begann ein rüstiges Schaffen an dem gewaltigen Werke. Neue Steinbrüche wurden eröffnet, frische Arbeitskräfte herangezogen, tüchtige Steinmetzen ausgebildet, geschickte Zeichner angestellt. Die alten Gerüste sanken, um neuen Hülfsbauten und Maschinerien für die Errichtung der zweiundzwanzig Strebesysteme Platz zu machen. Der unverdrossenen Thätigkeit des Vereins ist es zu danken, daß die Geldbeiträge immer reicher flossen und daß jährlich gegen 50,000 Thaler an der Nordseite des Domes aus der Vereinscasse verwandt werden konnten, während an der Südseite 50,000 Thaler aus Staatsmitteln verbaut wurden. Das Werk „gedieh sichtbar unter dem Schutze des Himmels, durch die Huld und das Beispiel der Mächtigen auf Erden, durch die reine Gesinnung und das brüderliche Zusammenwirken so vieler theilnehmenden begeisterten Vereinsgenossen“.
Außer beim preußischen Königspaare fand die Dombausache die lebhafteste Theilnahme bei den meisten deutschen Fürsten und bei einer großen Anzahl anderer für das prachtvolle Bauwerk hochbegeisterter Männer. Auch die anonymen Gesellschaften bethätigten durch reiche Beiträge ihr lebhaftes Interesse für die große Sache des Dombaues. Es wurden der Vereinscasse bedeutende Summen zugewendet von der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft, von der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft, von der Aachen-Münchener Feuerversicherungs-Gesellschaft, von der Colonia, von der Rheinischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft, von der Concordia, vom A. Schaaffhausen’schen Bankverein, vom Kölner Männergesangverein etc. Im Ganzen flossen der Dombaucasse aus solchen Schenkungen 199,655 Thaler zu.
„Als der Großvater die Großmutter nahm“ – wißt ihr, was Großvater da war? „Da war der Großvater Bräutigam,“ sagt das alte Lied, das uns in seinen zwei Zeilen mit ihrer charakteristischen Melodie ein treues Bild der oft besungenen und gepriesenen, oft aber auch getadelten „guten alten Zeit“ giebt. Er war „ein Bräutigam“, der Großvater, weiter nichts in diesem wichtigen Augenblicke. Er war nicht, wie die heutigen Bräutigame, zugleich Mitglied von zwanzig verschiedenen Clubs und Vereinen, hatte nicht, wie sie, außer seinem erwählten Berufe noch mehrere Nebenbeschäftigungen und Passionen, auch mußte er nicht, wie sie, das Geschäft des Heirathens in aller Eile abmachen, weil er den Einberufungsschein zur nächsten Reserveübung schon in der Tasche des Hochzeitsfracks trug.
Als Großvater die Großmutter nahm, war er ein solider, fleißiger junger Geschäftsmann. Er hatte seine acht Jahre Bürgerschule hinter sich, sowie vier Lehrjahre und die doppelte Anzahl von Wanderjahren; er hatte sich weit umgesehen in der Welt – bis nach Böhmen auf der einen Seite, bis an den Rhein auf der andern Seite war er gekommen, ehe er mit Ränzel und Wanderstabe langsam und bedächtig wieder eingezogen in die alte
[689] Vaterstadt. Nach seiner Heimkehr hatte er sodann noch zwei Jahre unter den Augen des Vaters gearbeitet und diese Zeit benutzt, sich zugleich unter den Mädchen umzuschauen, die, als er fortgezogen war, noch lustig am Rinnstein gespielt hatten.
Eine davon hatte er bald als die „Rechte“ erkannt, und der Vater hatte seine Wahl gebilligt. Wohlbedächtig war die Sache hin und wieder besprochen worden, bei mancher Sonntagspfeife und manchem kühlen Abendtrunk, ehe man sich dahin geeinigt, daß der Vater sich „zur Ruhe“ setzen und dem jungen Mann sein Geschäft übergeben würde. Genau hatten die beiderseitigen Eltern erwogen und abgeschätzt, auf welcher Basis der neue Hausstand zu begründen sei, und dieser Grund ward endlich allseitig als ein zuverlässig sicherer erkannt. So war denn nach und nach Alles fertig geworden.
Kein Fädchen mehr fehlt jetzt an der selbstgesponnenen, selbstgenähten und gebleichten Wäsche der Braut; neu getüncht und gedielt glänzt die alte Wohnstube dem Empfang der fünften Generation desselben Namens festlich entgegen, und das Elternpaar, welches sie heute verläßt, sieht noch stramm und rüstig aus, daß man wohl ahnt, wie tüchtig Beide den jungen Leuten noch manches Jahr unter die Arme greifen werden mit erprobtem Rath und kräftiger That.
Im Vollgefühle seiner Jugendkraft steht nun der achtundzwanzigjährige Mann an der Stelle, zu der er sicher und stetig vorgeschritten ist von Jahr zu Jahr. Er tritt mit dem Bewußtsein an den Altar, daß dieser Tag ihm von Gott gemacht ist, nicht früher und nicht später, als es eben bestimmt war. Haben doch auch Vater und Großvater in demselben Alter ihren Hausstand gegründet.
So steht unser Großvater am Altare, vom Wirbel bis zur Sohle, von innen und außen – ein Bräutigam!
Wenn er aber an seinem Ehrentage nicht nur pietätsvoll zurück schaute auf Vater und Vatersvater, sondern auch hoffnungsvoll vorwärts blickte auf Sohn und Enkel, wünschend, sie möchten es ihm in allen Stücken nachthun, so war diese Hoffnung eine sehr irrige.
Sein Enkel! Du lieber Gott – wie der in hastiger Eile seine weißen Handschuhe überstreift, ungeduldig in der eleganten Garçonwohnung auf- und niederschreitend, weil das vor zwei Stunden bestellte Brautbouquet noch immer nicht eintreffen will! Wie er dabei noch einmal alle Fächer seines Schreibtisches mustert, ob er auch kein verdächtiges Andenken an die Junggesellenzeit zu vernichten vergessen hat; wie er ärgerlich auf den Boden stampft bei der Entdeckung, daß die Hochzeitsreise gerade in die Tage des interessantesten Rennens fällt und in den Beginn der Jagdsaison; wie er dann endlich – während alle diese Fragen in seinem Kopfe spuken – in der kahlen Stube des Standesbeamten steht, die Feder in dessen beschmutztes Tintenfaß taucht und einen unleserlichen Namen hinkritzelt, darauf der wandelnden Atlasschleppe an seiner Seite den Arm bietet, um mit ihr zum Diner in das erste Restaurant der Stadt zu fahren – „zwanzig Mark das Couvert, ohne den Wein,“ erzählt der Schwiegerpapa in lautem Flüstertone seinem Nachbar – wie dann die kostbaren Gerichte eilig hinabgewürgt werden, weil man sich etwas verspätet hat und das junge Paar den Schnellzug nicht versäumen darf – wie nun endlich die Stunde des Abschiedes da ist und der Bräutigam ängstlich alle Schachteln und Taschen des Gepäckes überzählt und die Trinkgelder vertheilt – ach, dieser Enkel unseres Großvaters ist wohl alles Andere mehr, als: ein Bräutigam!
Von der Großmutter sagt unser altes Liedchen nur, daß Großvater sie „nahm“. Es war dies auch jedenfalls das einzig Erhebliche und Wichtige in ihrem Leben, aber doch steht auch ihre Gestalt, wie sie an den Altar getreten ist, gar lebendig vor unserer Seele!
Mit züchtig niedergeschlagenem Blicke, das Gebetbuch und das Rosmarinsträußchen zwischen den Fingern, das hohe, spitze Myrthenkrönchen auf dem festgeflochtenen Haare steht sie da, den einzigen Wunsch im hochklopfenden Busen, diesem ihrem Bräutigam eine brave, treue, gehorsame Hausfrau zu werden.
Wenn ihr aber etwa glaubt, die Eitelkeit ist eine neue Erfindung, so täuscht ihr euch sehr, liebe Leserinnen. Auch Großvaters Braut ist eitel. Da hebt sie beim Einsteigen in die hohe, altmodische, gelbe Kutsche den Saum des Rockes, damit die Nebenstehenden ihre feinen, selbstgestrickten Zwickelstrümpfe bewundern können. Auch das Taschentuch mit dem breiten, kunstvollen Hohlnähtelsaum hält sie nicht umsonst beim Hochzeitstanze so langflatternd vor sich hin. Sie hat ja schier drei Wochen lang daran genäht; also muß sie es doch auch ein bischen bewundern lassen. Mit Stolz denkt sie an die wohlgefüllten Leinwandtruhen, die man bereits in ihr neues Heim hinübergefahren hat, an die hochgethürmten Betten, deren Federn – jede einzeln – Mutter und Großmutter selbst geschlissen haben.
Ja, ihr mögt sagen, was ihr wollt, meine lieben, jungen Bräute, die ihr im nächsten Geschäfte die ganze Ausstattung für so und so viel tausend Mark gleich fix und fertig bestellt, es ist doch etwas Anderes um diejenige unserer Großmutter gewesen!
Ist ein modernes Paar unserer Tage vermählt und abgereist, so geht man meist erst an das Einrichten seiner Wohnung. Da hämmern Tapezierer und Tischler; ein lieblicher Duft von Oelfarben und Firniß durchzieht alle Räume, ja sogar Schneider und Wäscherin kommen wohl jetzt erst mit ihren verspäteten Lieferungen.
Was Wunder, wenn das Paar bei der Heimkehr feuchte Wände und nur halb getrocknete Fußböden findet, wenn alle Stuben nur halb möblirt sind – es ist ja dies Alles erst sechs Wochen vor der Hochzeit bestellt worden! Wie ungemüthlich wäre „Großvatern“ der Einzug in solch ein halbfertiges Haus gewesen! Seinen Enkel freilich stört es weniger; denn der ist ja ohnedem nur selten zu Hause. Am Tage halten ihn seine Geschäfte fern und des Abends Zusammenkünfte aller Art, die unter den verschiedensten Benennungen seine freien Stunden ausfüllen. Seine Jugendjahre sind an ihm vorübergeeilt, ohne daß er zu sagen vermag, wo sie geblieben sind. Selbstredend hat er studirt; denn sein Vater wollte aus ihm etwas Besseres machen, als einen einfachen Bürgersmann. Welcher von unseren Professionisten denkt heutzutage noch daran, seinem Sohne den „goldenen“ Boden des Handwerkes zu vererben?
„Mein Sohn muß etwas Besseres werden,“ heißt die Losung, und man hält Umfrage, in welchem der bestehenden Institute diese „bessere“ Erziehung am schnellsten zu Stande gebracht wird, und wenn die Dressur nicht rasch genug von Statten geht, wenn dem Sohne, der vielleicht ein vorzüglicher Tischler oder Schlosser, ein ausgezeichneter Kaufmann oder Oekonom geworden wäre, das Griechische nicht in den Kopf will, so trägt natürlich die Schule die Schuld daran. Man wechselt also. Man springt vom Gymnasium zur Realschule, von dieser zur Handels- oder Gewerbeschule über und sucht schließlich noch sein Heil in einer der vielen „Pressen“, die sich in jeder Zeitung rühmen, binnen drei Monaten oder in noch kürzerer Frist Freiwillige „zum Examen“ zu drillen. Nun ist das „Rechte“ gefunden. Freilich kostet es schmählich viel Geld, aber was schadet’s? „Time is money!“ – Zeit ist Geld, es sind ja dabei fast zwei Jahre Zeit erspart worden.
Mit einem Wuste von halb verstandenen und gänzlich unverdauten Kenntnissen im Kopfe, mit bleichen Wangen und kurzsichtig blöden Augen, aber – das Reifezeugniß in der Tasche, geht Großvaters Enkel aus der „Presse“ hervor und steckt sich in den bunten Rock. Jetzt kommt eine böse Zeit für die gesparten alten Silberthaler Großväterchens. Der junge Freiwillige versteht es meisterhaft, sie auf noble Art los zu werden. Wohl ärgert sich der Vater oft beim Eingehen der kolossalen Rechnungen, aber er freut sich doch auch wieder, wenn sein Sohn gerade so reiten, gerade so tanzen, schwadroniren, wetten und – fluchen kann, wie seine Vorgesetzten. Er blickt mit einer Art scheuen Staunens zu dem vornehmen Sohne empor und zieht seufzend, aber geduldig, immer wieder den Beutel.
Von dem ruhigen, naturgemäßen „Werdenlassen“ früherer Tage weiß unsere Zeit der Dampfeseile nichts mehr. Mit vierzehn Jahren lesen die Kinder Romane; bald darauf fangen sie an, selbst welche zu spielen, und dann geht die tolle Jagd, der athemlose Wettlauf weiter. Alles strebt nach fernen Zielen und flattert, dieselben nie erreichend, unbeständig hin und her. So wenig wie Knabe und Mädchen das stille friedliche Glück der Kindheit genossen haben, just so wenig genießen Jüngling und Jungfrau die herrliche Jugendzeit, und der reife Mann zersplittert erst recht seine Kraft in hundert verschiedenen Aufgaben.
Beständig vorwärts hastend, um seinen Nebenmenschen zu überflügeln, weiß er nichts vom ruhigen Genusse der Gegenwart; denn kaum hat er das eine Ziel erreicht, so ringt er schon wieder athemlos nach einem anderen. Niemand widmet einem Fache, [690] einem Lebensberufe seine ganze Kraft und bildet sich gründlich dafür aus. Verlangt doch unsere Zeit vor Allem Vielseitigkeit und zuckt spöttisch die Achseln über die Gründlichkeit der alten Tage von Anno dazumal, wo noch der Gelehrte nur Gelehrter war, der Soldat nur Soldat, der Professionist nicht auf der Geschwornen-Liste stand und der Künstler nicht nebenbei auch als Kaufmann speculirte.
Jetzt ist das anders geworden; jetzt muß Jeder – Alles sein, wenn er im großen Kampfe um’s Dasein nicht unterliegen, wenn er sich im ewigen Wettlauf nach Ruhm und Gewinn in den ersten Reihen behaupten will. Wehe dem Oekonomen, der nicht Chemiker, Kaufmann, Politiker ist! Er kommt gar bald unter den Schlitten. Um aber in gesellschaftlicher Beziehung zu bestehen, muß er auch noch Schöngeist und feiner Weltmann sein; er muß wenigstens eine Art von Sport cultiviren, Reisen gemacht und Alles gesehen haben, was es mindestens in Europa Sehenswerthes giebt.
Ich bitte euch, wie soll ein Menschenleben zu alledem ausreichen? Es reicht auch in Wahrheit nicht aus dazu. Deshalb die Oberflächlichkeit in Allem, und das ängstliche, unaufhörliche Hasten. Wir lesen in einem alten Buche: „Um Italiens Schätze mit Verstand zu genießen, bedürfe es eigentlich eines ganzen Menschenlebens. Die Jugend, sich durch Studien darauf vorzubereiten, die reifen Jahre, um das Wunderland zu schauen, und das Alter, um es zu beschreiben und in der Erinnerung daran zu schwelgen!“
Wie aber reist man in unseren Tagen nach Italien?
Man entschließt sich heute zur Reise, nimmt morgen ein Rundreisebillet oder schließt sich einem Vergnügungszuge an, der übermorgen abdampft. In vier Wochen ist man wieder daheim, hat Florenz, Rom und Neapel gesehen und weiß davon ebenso klug mit zu schwatzen, wie all die Anderen auch.
Wer liest heute ein gutes Buch so wie wir Alten zu unserer Zeit? Wohl sehr Wenige! Man durchfliegt Bücher und Zeitschriften, um von ihnen ebenso sagen zu können: „Ich habe sie gelesen,“ wie man von Italien sagt: „Ich habe es gesehen.“ Wie wollte man denn auch sonst allwöchentlich mit etlichen zwanzig Zeitschriften, einigen neuen Romanen und so vielen Zeitungen fertig werden?
Lächelnd erinnere ich mich der Zeit, wo ich Monate lang über einem Walter Scott’schen Roman las und denselben dann beim Spaziergang fast wörtlich getreu den jüngeren Geschwistern wieder erzählte!
Damals – ja damals lebte man wirklich mit diesem „Ivanhoe“ und „Richard“ während der Zeit, wo man sie las. Die jungen Frauen tauften ihre Kinder mit dem Namen ihres Lieblingshelden, die Mädchen träumten sich während des eifrigen Nähens und Strickens in die schottischen Königsgemächer und gaben sich gegenseitig scherzend die Namen der betreffenden Burgfräulein.
Wie viel Kinder hätten wir heute zu taufen, wenn wir in ihnen alle Namen verewigen wollten, die jede Woche an uns vorüber huschen! Kaum daß hier und da eine besonders pikante oder originelle Scene haften bleibt im Gedächtniß, kaum daß man sich im nächsten Jahr noch der Titel jener Bücher erinnert, die man in diesem gelesen hat – von Liebe zu einem schönen Buch kann nicht mehr die Rede sein. Es ist aber, als ob mit der Anhänglichkeit und Liebe zu den Dingen auch die zu den Personen uns mehr oder weniger abhanden gekommen wäre.
Das Kind unserer Tage besitzt ein Dutzend Puppen und Püppchen von der verschiedensten Art und bekommt alle Weihnachten wieder neue dazu. Unmöglich kann es diese bunte Schaar so lieben, wie wir unsere einzige Puppe mit dem gemalten Holzkopf und den schwarzen Korkzieherlocken geliebt haben. – Ob auch die Farben ihres Gesichtes längst in übel angebrachtem Eifer abgewaschen oder in übergroßer Zärtlichkeit ab – geküßt waren, doch wurde das steife Ding jeden Abend ausgezogen und in sein weißes Bettchen gelegt, am Morgen aber sorgfältigst wieder angekleidet, um auf unserm Schooß die süße warme Milch mit aus unserm Glase zu trinken; von keinem Leckerbissen vergaßen wir, der geliebten alten Puppe den ersten Bissen zu geben, aber wehe dem übermüthigen Bruder, der es gewagt hätte, den Liebling unseres kleinen Herzens zu schmähen!
So wuchs die Liebe und Anhänglichkeit groß in unserem Herzen und erstreckte sich später auch auf die wenigen Schulfreundinnen, mit welchen wir unzertrennlich verbunden blieben, nicht nur auf der Schulbank, sondern auch weiter hin, bis an den Rand des Grabes. Jetzt, wo ein Kind ein Dutzend Puppen hat und, bei dem häufigen Wechsel von Wohnort und Schule, noch viel mehr Gespielinnen, jetzt kann solch tiefe, mit uns groß gewachsene Anhänglichkeit und Treue nur schwer noch im Kinderherzen Wurzel fassen. Schnell vergißt es die zerbrochene Puppe über der glänzenden neuen, die alte Gespielin über der neuen; schnell vergißt es, heranwachsend, auch alle die Lieben, von welchen es zeitweilig oder durch den Tod geschieden wird.
Wir haben keine Zeit mehr, um geliebte Todte zu trauern, wie ehedem. Immer vorwärts geht das tolle Jagen, wie in der Feldschlacht, über die Opfer hinweg, für die man kaum noch einen kurzen Blick des Bedauerns hat. Es mag eine altmodische Ansicht sein, aber mich dünkt, als sei unser ganzes jetziges Leben zu reich, zu wechselnd, zu mannigfaltig geworden. Vielleicht gewinnt das Menschengeschlecht im großen Ganzen dadurch, aber jeder Einzelne verliert entschieden durch diese Ueberladung.
Um noch einmal auf die Kinder der alten Zeit zurückzukommen: mit welchem Vergnügen lasen wir damals unser einziges Buch wieder und immer wieder, bis wir es wörtlich auswendig wußten, um es dann – erst recht noch einmal zu lesen!
Ich besitze noch ein paar solch alter Bücher, die ich geliebt habe wie lebende Wesen. Waren ja doch auch alle Personen, von denen sie handelten, mir wirkliche Menschen, denen im Leben einmal zu begegnen, ich beständig hoffte. Ich frage euch alle, ihr Groß- und Urgroßmütter, steht der alte Campe nicht lebendig vor eurer Erinnerung? Oder sitzt er nicht vielmehr lebendig da, unter dem Apfelbaume, den „Robinson“ erzählend?
Welches von unsern Enkelkindern hat irgend ein Buch aus seiner reichen, schön ausgestatteten Bibliothek so lieb und kennt es so genau, wie wir den „Robinson“, „die Kinderbibliothek“ und „die Entdeckung von Amerika“? Welches Kind weint heiße Thränen über das Schicksal seiner Bücherhelden, wie wir sie geweint haben? – Das Alles ist versunken und verklungen mit der alten guten Zeit.
Das schöne Spielzeug aller Art, womit wir unsere Kinder so überladen, daß sie es weder in Ordnung zu halten, noch es lieb zu haben vermögen, ist eine würdige Vorbereitung für ein Leben, das ihnen auch so viel und Vielerlei bieten, auferlegen und zumuthen wird, daß es nur wie ein beängstigender, nebelhafter Traum an ihnen vorüber gleitet, ohne sie je zu voller Erkenntniß, zu innigem Verständniß, zu ruhigem Genusse gelangen zu lassen.
Wir erziehen, ohne es zu wollen, schon unsere Kinder dazu, in hastiger Eile über diese schöne herrliche Erdenwelt fortzujagen, die doch wahrlich verdiente, etwas näher besehen zu werden!
Das Kind der alten Zeit durfte sich ausspielen, der Jüngling sich auslernen; Mann und Frau genossen in vollen Zügen die Freuden des Familienlebens und begnügten sich mit der Erfüllung ihrer Berufs- und Elternpflichten; das Alter ruhte behaglich aus auf den Lorbeeren seiner Thätigkeit und nützte seine Erfahrungen noch reichlich in belehrenden Erzählungen und weisen Rathschlägen für die heranwachsende Generation. Es gönnte aber auch dieser nachfolgenden Generation ihren Antheil und verlangte nicht, selbst mit zu ringen und zu kämpfen, mit zu laufen und zu jagen bis zum letzten Athemzuge.
„Großvater“, der meinige zum Beispiel, war nicht nur ein echter Bräutigam, als er „Großmutter nahm“, er war auch ein seelenvolles Kind, da er im väterlichen Garten seine Drachen steigen ließ; er war ein fleißiger tüchtiger Student, und genoß die wenigen, aber schönen Reisen, die er zur Ferienzeit, größtentheils zu Fuß, mit Ränzel und Wanderstab, unternehmen durfte, in vollen Zügen. Er lebte sodann mit Leib und Seele für seinen Beruf und seine Familie und brachte schließlich sein heiter ruhiges, beschauliches Alter in ungetrübter Geistesfrische auf fünfundachtzig Jahre. Bis zum letzten Lebenstage mild, heiter und freundlich, theilte er seine Zeit zwischen den geliebten Bücherschätzen und den geliebten Kindern. Die letzteren meinten freilich zuweilen, dabei ein bischen zu kurz zu kommen, aber die Bücher waren ja auch Großvaters älteste Freunde, so mußte man ihnen schon den Vorrang gönnen. – So hat Großvater sich Zeit genommen, zu leben, wirklich zu leben, und jedem einzelnen Lebensabschnitt sein volles Recht zu geben; er nahm sich auch Zeit dazu, sanft und friedlich einzuschlummern – wer weiß, vielleicht zu einem schönen Erwachen dort oben, wo wir wohl gar Rechenschaft abzulegen haben werden von der Verwendung oder Verschwendung unseres Erdenlebens!
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Durch Kühnheit, Ausdauer und List hatte Gustav Erikson Wasa sein Vaterland von fremder Tyrannei, von dem mehr als hundertjährigen Joche der Union befreit, hatte er, der einfache schwedische Edelmann, sich eine Krone erworben. Am Johannisabend des Jahres 1523 zog nach langer Zeit wieder ein einheimischer Herrscher in die Königsburg von Stockholm ein, deren rauchgeschwärzte Mauern traurig auf die verwüstete Stadt blickten und den Neugekrönten daran zu mahnen schienen, daß sein Werk jetzt erst zur Hälfte gethan sei. Wohl waren die äußeren Feinde des Reiches zurückgeschlagen, dafür aber galt es jetzt, den schwereren Kampf gegen die zahlreichen Widersacher des Königthums und der Volkswohlfahrt im Lande selbst auszufechten – bis auf’s Messer, wenn es sein mußte. Das unglückliche Schweden war seit den Tagen der Folkungerherrschaft unaufhörlich durch innere Kriege verheert worden; es bedurfte, sollte es sich erholen, jetzt dringend der Ruhe, des Friedens. Um aber Ruhe und Frieden herstellen zu können, hieß es die alten Verhältnisse gänzlich umgestalten, hieß es in den schwedischen Landen auf’s Neue eine Macht begründen, die hier schon seit vielen Jahren nicht mehr vorhanden war, die Macht der Krone. Während der Union war überall die größte Zügellosigkeit eingerissen – wie konnte dem auch anders sein?
Die Herrscher des Landes waren Fremde; sie residirten im fernen Kopenhagen und waren vollauf beschäftigt, Ruhe und Ordnung im eigenen Lande aufrecht zu halten. Ungern sah sich jetzt der stolze und mächtige schwedische Adel von einem seines Gleichen beherrscht. Aber auch das bis dahin unterdrückte Volk hatte sich während der langwierigen Kriege zu einer politischen Macht erhoben und begann sich als solche zu fühlen. Die bedeutendste Stellung im Reiche aber hatte sich im Laufe der letzten drei Jahrhunderte die römisch-katholische Kirche erobert. Sie, deren Anfänge in dem erst spät christianisirten Norden so bescheiden gewesen, spottete schon längst der königlichen Gewalt, die sie tief unter ihrer eigenen erblickte. Mit sclavischer Demuth beugte sich ja damals Alles unter dem Gebote Roms, das mit der Waffe des Bannstrahls uneingeschränkt über den größten Theil Europas herrschte. Und wohl nirgends war diese Herrschaft drückender, als in dem armen und rauhen Schweden. Während hier die Felder, von feindlichen Rosseshufen zerstampft, brach lagen, während das Volk Hunger litt und selbst die Wohlhabenden unter der Last der Kriegssteuer seufzten, vereinigte die unbesteuerte Geistlichkeit in ihren Händen unermeßliche Reichthümer an Metall und liegenden Gründen, schwelgte sie im Genusse reicher Pfründen und Schenkungen.
Gustav Wasa’s Scharfblick mußte bald erkennen, daß es zur Aufrichtung des herabgekommenen Reiches und zur Erneuerung des verblaßten Glanzes der Krone nur ein Mittel gab: Vernichtung der kirchlichen Gewalt. Wohl war es ein gefährlicher Kampf, den der junge König auf seinem noch wankenden Throne gegen einen übermächtigen Gegner aufnahm, ein Kampf, der ihn leicht Krone und Leben kosten konnte. Vor mehr als zweihundert Jahren hatte ein solcher Kampf Torkel Knutson’s Haupt unter das Henkerbeil gebracht; noch vor Kurzem hatte er den König Karl Bonde zweimal vom Throne gestürzt. Allein Schweden hatte jetzt einen Herrscher, der keine Furcht kannte, der mit zäher Beharrlichkeit sein Ziel verfolgte und, wo seine Macht nicht ausreichte, seine Zuflucht zu den Waffen der List nahm, in welchen er selbst seine schlauesten Gegner noch überbot.
Als Gustav der Erste den Thron seines Vaterlandes bestieg, waren schon sechs Jahre seit dem Tage vergangen, an welchem Luther seine Thesen an der Schloßkirche zu Wittenberg angeschlagen hatte. Schon früh war seine Lehre nach dem Norden gedrungen, vornehmlich durch zwei schwedische Theologen, Olaus und Laurentius Petri, die, als directe Schüler des Reformators, bald in dem neuen Könige einen warmen Beschützer fanden. Dieser, der schon zur Zeit seines Exils in Lübeck mit Luther’s Lehren bekannt geworden war, sah jetzt in ihnen ein geeignetes Mittel, das unerträgliche Joch der römischen Kirche abzuschütteln. Ob wahre Ueberzeugung, ob politisches Interesse Gustav Wasa zum Reformator gemacht, ist gewiß schwer zu entscheiden. Vielleicht ging beides Hand in Hand. Schon drei Monate nach seiner Thronbesteigung wagte Gustav einen kühnen Ausfall gegen die Kirche. Als er nämlich bei Gelegenheit des Westeråser Jahrmarktes den Ständen Rechenschaft über die Unkosten des Krieges ablegte, trat er mit dem Vorschlage hervor, daß, um die entstandenen Schulden zu tilgen, auch die Geistlichkeit besteuert werden möge. Dieser Vorschlag drang durch – mit dem Golde und Silber der Kirchen wurden die mit Ungeduld ihren rückständigen Sold verlangenden ausländischen Kriegsknechte abgefunden; aber die Priester erhoben ein ungeheures Zetergeschrei ob dieses Eingriffs in ihre uralten Privilegien, und das ängstliche, geistig geknechtete Volk harrte zitternd der fürchterlichen Strafen, die der Himmel nach Aussage der Mönche über den König verhängen würde. Wirklich brachte gleich das erste Regierungsjahr Gustav’s Mißwachs, Hungersnoth und verheerende Seuchen, ein unglücklicher Zufall, den sich die Priester trefflich zu Nutze machten. Das von ihnen aufgewiegelte Volk fing nun an zu murren und über die hohen Steuern zu jammern, bei welchen es sein Dasein von Birken- und Tannenrinde fristen müsse. Spottweise nannte es Gustav den Hunger- und Rindenkönig.
Damals saß auf dem bischöflichen Stuhle zu Westerås ein ränkevoller und ehrgeiziger Mann, Peder Jakobson Sunnanwäder, gewöhnlich Peder der Kanzler genannt, weil er unter dem letzten Reichsverweser Sten Sture dieses Amt bekleidet hatte. Sein Vorleben war nicht das rühmlichste. Schon seinen früheren Gebieter hatte er auf alle Art betrogen; gleichwohl bediente er sich jetzt dessen hinterlassener Familie, um den verhaßten König zu stürzen und zugleich seinem eigenen Ehrgeize Spielraum zu schaffen.
Das Geschlecht der Sture galt für das edelste in Schweden. Seit einer Reihe von Generationen waren die höchstgestellten Männer des Reiches diesem Hause entsprossen, jetzt aber blühte es nur noch in zwei Knaben, deren Mutter, die heldenmüthige Christina Gyllenstjerna, welche sich durch ihre ruhmvolle Vertheidigung Stockholms gegen Christian, den Tyrannen, einen unvergleichlichen Namen in der schwedischen Geschichte erworben, noch immer in dänischer Gefangenschaft schmachtete. Obgleich die Halbschwester von Gustav’s Mutter, war sie ihm doch durch die Interessen ihres Hauses, die den Argwohn des jungen Königs beständig rege hielten, entfremdet. Darauf baute der ränkevolle Sunnanwäder seinen Plan, der darauf hinauslief, den jungen Nils Sture zum Könige zu erheben, da er in Vieler Augen auf die Krone ein besseres Recht zu haben schien, als deren jetziger Inhaber.
Die großen Verbindungen des Bischofs ermöglichten ihm, das Netz seiner Intriguen weit auszuspinnen; überall hatte er Freunde und Verbündete, namentlich in der Provinz Dalarne, deren Bewohner, die sogenannten Thalmänner, sich von jeher eines großen Einflusses auf die Geschicke des Reiches rühmen durften. An die Thalmänner schrieb daher der schlaue Prälat vor allen Dingen. Lebhaft stellte er ihnen vor, welch schweres Unrecht man gegen das edle Haus Sture begangen, daß man nicht aus ihm den Herrscher des Landes gewählt habe; er erinnerte sie an Sten Sture’s Verdienste, an seine ruhmvolle Regierung, unter der die Bauern gute Zeit gehabt hätten, und schloß mit Verwünschungen gegen Gustav, den tyrannischen Feind des wahren Glaubens, den herzlosen Besteuerer der Armuth.
Derartige Briefe verfehlten ihre Wirkung nicht. Nur zu leicht ließ sich das durch die drückenden Steuern bereits erbitterte Landvolk für des Bischofs Pläne gewinnen, glücklicher Weise aber kam das frevelhafte Treiben des Aufruhrstifters bald an den Tag. Einige seiner Briefe wurden von Lars Olafson, dem Landeshauptmann in Dalarne, aufgefangen und unverzüglich dem Könige gesandt. Dieser hatte sie kaum empfangen, als er sich, rasch entschlossen, auf’s Pferd setzte und, nur von einigen Reichsräthen begleitet, nach Westerås ritt. Im Domcapitel fand er die Domherren und den Bischof versammelt, sowie in des letzteren Gesellschaft seinen intimen Freund, den neu erwählten Erzbischof von Upsala, welchen die Chroniken den Magister Knut nennen. Mit den verrätherischen Schriften in der Hand trat der König in den Kreis der Geistlichen; durchbohrend hefteten sich seine Augen auf den Bischof, der leichenblaß ward und vergebliche Anstrengungen machte, zu sprechen. Angesichts der Beweise wäre alles Leugnen doch [692]
nutzlos gewesen. Er ward sofort abgesetzt, und als sich der Erzbischof in’s Mittel legte und von dem canonischen Recht sprach, nach welchem Geistliche nicht von Weltlichen gerichtet werden konnten, traf ihn ein gleiches Schicksal. Denn wer einem offenkundigen Verräther zu helfen suche, müsse selbst ein Verräther sein, erklärte der König mit zornbebender Stimme. Dann verließ er ohne Gruß den Saal, Alle stumm und bestürzt zurücklassend. Sunnanwäder und der Erzbischof, der durch des Königs schroffes Verfahren nun gleichfalls unlöslich an die Sache des Aufruhrs gefesselt war, ergriffen die Flucht. Wuthschnaubend kamen sie in die Thallande, wo sie das durch Briefe begonnene Werk des Verraths persönlich fortschürten. Unter Anderem sprengten sie aus, der König habe sich mit dem in Schweden verhaßtesten Manne, dem verbannten Erzbischof Gustav Trolle, dessen Rachgier einst Christian den Tyrannen in's Land gerufen, heimlich verglichen und durch dessen Einfluß sei der das Reich schädigende Vertrag von Malmö abgeschlossen worden, durch den die Provinz Blekingen an Dänemark verloren ging. Ferner, hieß es, halte er die Christina Gyllenstjerna gefangen, ihren Sohn Nils habe er heimlich bei Seite geschafft, während er gerade zur nämlichen Zeit für Sten Sture's Wittwe die Freiheit erwirkt und ihr den Sohn hatte zuführen lassen, der, um ihn den dänischen Nachstellungen zu entziehen, bisher in Danzig erzogen worden war.
Die Prälaten schmiedeten noch immerfort Pläne, diesen Knaben auf den Thron zu bringen. Da er noch unmündig war, so sollte sich seine Mutter mit dem dänischen Admiral Severin Norby vermählen, der noch im Namen Christian des Zweiten die Insel Gottland beherrschte und von dort aus Seeräuberei wider alle Nationen trieb. Dieser warb schon seit geraumer Zeit um die nicht mehr jugendliche Christina, mit welcher er die Herrschaft über Schweden zu erlangen hoffte; allein die edle Frau, die noch immer ihr kurzes Eheglück beweinte, dachte nicht daran, dem fremden Abenteurer, dem Feinde ihres Vaterlandes ihre Hand zu reichen, mochte sie auch sonst ehrgeizigen Entwürfen nicht unzugänglich sein.
Solche Umtriebe, die dem Könige keineswegs verborgen blieben, waren wohl geeignet, seine Ruhe zu stören. Dazu trafen ihn um dieselbe Zeit so mancherlei andere Widerwärtigkeiten, wie der Verlust Blekingens, der Skandal der Wiedertäufer in Stockholm und der Verrath des deutschen Ritters Berndt von Melen, der die wichtige Festung Wisby dem Severin Norby in die Hände spielte. Da er sich allerseits von Treulosigkeit und Undank umgeben sah, so beschlich ihn tiefer Mißmuth, der ihn den Gedanken fassen ließ, die allzu drückende Krone niederzulegen. Allein sein kräftiger Geist ließ sich nicht anders als momentan niederbeugen, bald erwachten Ehrgeiz und Thatkraft auf's Neue in seiner Brust, die ihm geboten, das halbvollendete Werk mit allen Mitteln zum ersehnten Ziele zu führen.
Zuerst zog er an der Spitze eines Kriegsheeres in das aufrührerische Dalarne. Die Thalmänner hatten ihm nämlich kurz vorher einen höchst anmaßenden Brief gesandt, in dem sie ihm vorhielten, wie er einst vogelfrei in ihren Thälern umher geirrt sei, wie sie es gewesen, die ihn geborgen und ihm zur höchsten Ehre verholfen. Nun habe er ihre Hoffnungen grausam getäuscht, habe drückende Steuern eingeführt, die Ausländer begünstigt, Kirche und Klöster beraubt und unter dem Volke ketzerische Irrlehren [693] WS: Das Bild wurde auf der vorherigen Seite zusammengesetzt.
verbreitet. Würden diese Mißbräuche nicht bald abgestellt, so müßten sie ihm die Treue aufsagen, er wisse ja, was die Thalmänner vermöchten, und könne es leicht noch einmal zu seinem Unglück erfahren. Aus diesem übermüthigen Schreiben tönte die Stimme der abgesetzten Prälaten nur zu deutlich heraus; sich ihrer zu bemächtigen, war daher ein Hauptgrund für des Königs Zug in die Thallande. Allein auf die Kunde seiner Annäherung entflohen die Aufrührer eilends nach Norwegen. Die Thalbauern, welche Gustav auf die Haide von Tuna vor sein Angesicht beschied, wurden schnell kleinlaut; sie schoben alle Schuld auf die entflohenen Aufwiegler und baten unter dem Schwure ewiger Treue fußfällig um Gnade. Der König, der daran dachte, daß die Wiege seines Königthums in diesen Thälern gestanden und daß ihm einst zur Zeit der Noth von denselben Männern, die jetzt vor ihm knieeten, Gastfreundschaft und Unterstützung geworden, schenkte ihnen gern Verzeihung; die Verfolgung der flüchtigen Prälaten aber setzte er mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln fort. Bald hörte er, sie hätten ein Asyl in Drontheim beim Erzbischofe Olaf gefunden; aber dieser verweigerte die Auslieferung der Hochverräther und suchte sie im Gegentheil mit Schutz zu umgeben, da sie in seinen Augen Märtyrer der Kirche waren, welche die ketzerische Gewalt des Staates ungerechter Weise verfolgte. Sunnanwäder und Knut wären daher wohl noch lange außerhalb des Bereiches von Gustav’s Macht geblieben, wenn ihnen nicht schließlich das unthätige Leben im fremden Lande, fern vom Schauplatze ihrer Interessen und Intriguen, zum Ueberdruß geworden wäre.
Der Erzbischof Olaf mußte daher für sie vom schwedischen König ein sicheres Geleit für ihre Rückkehr nach Schweden fordern, unter dem Vorwande, daß sie dort ihre Unschuld vor Gericht zu vertheidigen wünschten. Das Tribunal, welchem sie nach den Kirchengesetzen allein gegenübergestellt werden durften, bestand aus den schwedischen Bischöfen, von deren Urtheilsspruch sie nichts zu befürchten hatten. Allein sie kannten Gustav’s ganze Kühnheit noch nicht. Um die Aufrührer bestrafen zu können und ähnlichen Fällen vorzubeugen, sann er auf einen kühnen Ausfall gegen die Geistlichkeit. Diese unter weltliche Gerichtsbarkeit zu bringen – nichts Geringeres war sein Vorhaben.
Mit dem gewünschten Geleitsbrief, in dem es hieß, daß sie ungehindert nach Schweden kommen möchten, dort vor „gebührenden“ Richtern Rede zu stehen, durch ihre Privilegien anscheinend gesichert und hochmüthig wie immer, begaben sich die Prälaten im Sommer 1526 auf die Reise. Sunnanwäder mußte zwar unterwegs Krankheitshalber zurückbleiben, der Erzbischof aber erreichte am 26. Juli Stockholm. Hier aber ward er zu seinem nicht geringen Erstaunen vor ein Gericht gebracht, das zwar aus vier Bischöfen, aber auch aus sechs Reichsräthen bestand, vor welchen der König selbst als Ankläger auftrat. Des Erzbischofs eigene Briefe bildeten die vollgültigsten Beweise seiner Schuld. Die weltlichen Richter verurtheilten ihn einstimmig zum Tode; ganz umsonst erhoben die Bischöfe Einsprache gegen die Rechtmäßigkeit des ganzen Verfahrens. Die Vollziehung des Urtheils ward einstweilen noch aufgeschoben; erst wollte der König auch den andern Vogel im Netze haben.
Peder Sunnanwäder war inzwischen wieder genesen und [694] hatte seine Reise fortgesetzt. Andere Nachrichten lassen ihn freilich gar nicht krank sein, sondern in plötzlicher Ahnung seines Schicksals bei einer norwegischen Edeldame, Ingierd Römer, Zuflucht suchen, deren Vogt ihn aber seinen Gegnern auslieferte. Dem sei nun so oder anders, jedenfalls kam er zwei Monate nach seinem Genossen ebenfalls nach Stockholm. Aber seltsam sah er sich vor den Thoren der Hauptstadt empfangen. Auf königlichen Befehl hatte man nämlich den Erzbischof Knut aus seinem Gefängniß geholt, ihn mit alten zerlumpten Meßgewändern und einer Bischofsmütze aus Birkenrinde bekleidet, und ihn in solch lächerlich kläglichem Anzuge rücklings auf eine alte ausgehungerte Mähre gebunden, deren Schwanz er statt des Zügels in die Hand bekam. So ward er seinem ankommenden Freunde entgegengeführt, der damit plötzlich die ganze Schwere seines eigenen Geschickes vor Augen sehen mußte.
Von Knut’s Begleitern mit Hohn und rohen Schimpfreden empfangen, wurde Sunnanwäder auf ein ebenso elendes Roß gehoben und ähnlich wie der Erzbischof ausstaffirt. Statt der Bischofsmütze setzte man ihm eine Strohkrone auf das Haupt und umgürtete ihn mit einem alten zerbrochenen Holzschwerte; dann setzte sich der unwürdige Zug in Bewegung. Welche Gefühle mögen in der Brust der ehrgeizigen Prälaten gelebt haben, als sie, den Schwanz ihrer Schandmähren in der Hand, düster vor sich hinstierend, durch die Straßen der Hauptstadt zogen, die sie in ihren vermessenen Träumen zur Rechten eines von ihnen erhobenen und beherrschten Königs und umwogt von einer jubelnden Volksmenge wiederzusehen gehofft hatten! Ein schreckliches Erwachen war jetzt dem ehrgeizigen Traume gefolgt. Statt der Jubelrufe umtönten sie Spottgesänge; statt glänzender Trabanten umschwärmten sie Gaukler und Possenreißer, verkleidete Männer aus der Hefe des Volkes, die lärmend vor dem Zuge herriefen: „Hier kommt der neue König, Herr Peder Sunnanwäder!“
Dieses Schauspiel des Hohnes über einen machtlosen, überwundenen Feind war eines so großen Mannes, wie Gustav Wasa, unwürdig. Allein man muß die rohen Sitten eines Zeitalters in Erwägung ziehen, das an dergleichen Schaustellungen gewöhnt war, muß bedenken, wie schwer der König gereizt war, wie ihm diese unruhigen Köpfe Jahre seines Lebens verbittert hatten.
Außerdem verfolgte er durch sein Verfahren noch einen besonderen Zweck. Indem er die ersten Würdenträger der Kirche dem Pöbel seiner Hauptstadt in so erniedrigender Weise vorführte, wollte er nicht allein ihren Aufruhr auf eine schimpfliche und abschreckende Weise bestrafen, sondern auch die hohen Begriffe des Volkes von der Unantastbarkeit geistlicher Personen herabstimmen, den Heiligenschein, der die Priester in den Augen der thörichten Menge vor anderen Sterblichen auszeichnete, für immer zerstören.
Nachdem der klägliche Zug die Hauptstraßen der damals noch kleinen Inselstadt passirt hatte, blieb er schließlich auf dem Hauptmarkte stehen. Dort wurden die Verbrecher zu dem erhöhten Schandpfahle geführt, an welchem sie mit dem verachtetsten Manne im Lande, dem Henker, Brüderschaft trinken mußten. Nach diesem ordinären Schlußeffect schleppte man die Prälaten in ein dunkles, elendes Gefängniß, in dem sie Monate lang gehalten wurden. Erst zu Anfang des folgenden Jahres ward Sunnanwäder nach Upsala gebracht und dort ebenfalls vor ein gemischtes Gericht gestellt, zu welchem die Bischöfe nur unter der Erklärung erschienen, daß ihre Gegenwart keineswegs als Billigung des von weltlichen Personen über einen Geistlichen zu fällenden Urtheils angesehen werden dürfe; allein ohne diese Einsprache nur im Geringsten zu beachten, führte der König Sunnanwäder’s viele Verbrechen auf, von welchen ein einziges genügend war, seinen Urheber des Todes schuldig erscheinen zu lassen. Die Hinrichtung geschah denn auch noch am nämlichen Tage – es war der 18. Februar des Jahres 1527. Nachdem der Henker sein trauriges Amt vollendet, ward der todte Körper auf’s Rad geflochten und den Raben zur Beute überlassen. Das gleiche Schicksal erduldete drei Tage später zu Stockholm der treue Gefährte seiner Umtriebe und seines Unglücks, Knut, der ehemalige Erzbischof von Upsala.
So endete der Aufruhr der Prälaten; allein die böse Saat, die sie gesäet, sollte noch bittere Früchte tragen. Kurz vor seinem Tode hatte Sunnanwäder einen jungen Bauernburschen entdeckt, der eine auffallende Aehnlichkeit mit Sten Sture zeigte. Unschwer hatte er ihn vermocht, sich für den Sohn des verstorbenen Reichsverwesers auszugeben, und ihn selbst in alle Details seiner Rolle eingeweiht, die Niemand besser kennen konnte, als er, der frühere Hofbeamte der Sture. Sein plötzliches Ende schien die Intrigue zu zerstören, allein der Zufall wollte, daß kurze Zeit darauf der junge Nils Sture ganz unerwartet starb und seltsame Gerüchte über diesen Todesfall in Umlauf kamen. Nun erschien Sunnanwäder’s Creatur in den Thallanden, dort aussprengend, er sei der Todtgeglaubte, der, um Gustav’s mörderischen Anschlägen zu entgehen, sich scheinbar habe begraben lassen. Dieser Aufstand des Thaljunkers – so nannte man den Pseudo-Sture – machte dem Könige noch viel zu schaffen, ehe die briefliche Erklärung der Christina Gyllenstjerna an die Thalbauern, daß der von ihnen Beschützte nicht ihr Sohn, sondern ein schamloser Betrüger sei, dessen Ansehen vernichtete. Er mußte fliehen und ward in der Folge zu Rostock, eines Diebstahls wegen, gehängt. Die Thalmänner aber kehrten reuig unter Gustav’s Fahnen zurück.
Auch die Priesterschaft hatte nun den jungen König von zu schrecklicher Seite kennen gelernt, um erneuten Aufruhr zu erregen. Mit ihrer Macht in Schweden war es zudem bald zu Ende. Drei Monate nach dem an den beiden Prälaten vollzogenen Strafacte fand jener denkwürdige Reichstag zu Westerås statt, auf welchem Gustav den größten Theil der von ihm auf kirchlichem Gebiete beabsichtigten Neuerungen durchsetzte. Allein noch brauchte es über ein halbes Jahrhundert, ehe die Wirkungen dieses Reichstages im Lande zur Reife kamen; erst unter Karl dem Neunten gewann Luther’s Lehre unbestritten Herrschaft über das von Rom so lange geknechtete, durch Gustav Wasa zwiefach befreite schwedische Reich.
Die deutsche Nähmaschinen-Industrie befindet sich gegenwärtig in einer Krisis, aber sie steuert auf den völligen Sieg los.
Die „eiserne Nähmamsell“ ist bekanntlich von Geburt eine Amerikanerin. Dankbar erkennt das der Deutsche an, und wir wollen diese Pietät auch gar nicht verdammen, wenngleich die „junge Nation“ von der alten Welt schon hundert andere Erfindungen als Gegenhonorar im Voraus empfangen; zu verdammen ist es aber, wenn wir durch das zähe Haften an Vorurtheilen unsere nationalen Lebensinteressen schädigen, wenn wir die anfänglich berechtigte Vorliebe für das Fremde auch dann noch aufrecht erhalten, wenn es in der Heimath längst überholt ist – war es doch gerade die deutsche Nähmaschinen-Industrie, die sich an der feinen Erziehung und Ausbildung dieser geborenen Amerikanerin am hervorragendsten betheiligt.
Schon im vorigen Jahrhundert beschäftigten sich viele Grübler mit dem Gedanken, die nähende Hand durch eine Maschine zu ersetzen; aber sie ließen sich sämmtlich durch ein Irrlicht nasführen; sie glaubten, es müsse die Handnaht sein, die durch die Maschine hergestellt werden solle, und so scheiterten sie an den großen, nicht auszugleichenden Unterschieden, die zwischen dem lebenden und dem todten Mechanismus bestehen.
Das erste Patent auf eine Nähmaschine lösten zwei Engländer Namens Stone und Hendersen im Jahre 1804, sie scheint aber nie zur praktischen Anwendung gekommen zu sein. Ein anderer Brite, mit Namen John Duncan, baute die erste Tambourirstichmaschine und ließ sich diese in demselben Jahre patentiren; sie eignete sich mehr zum Sticken und erfüllte ihren Hauptzweck, das Nähen, nur unvollkommen. Die Engländer betrachten indessen Duncan als den eigentlichen Erfinder der Nähmaschine.
Im Jahre 1814 construirte der wackere Tyroler Schneidermeister Joseph Madersberger eine andere Maschine, die vollständig das Grundprincip der heute so weit verbreiteten Systeme aufweist. Er war zur Einsicht gekommen, daß er eine neue Naht erfinden müsse; er gab der Nadel das Oehr an der Spitze und fing die Schlinge des Fadens, die sich beim Zurückziehen der Nadel bildet, ganz wie heute noch, mit einem zweiten Faden auf; aber die Maschine arbeitete unzuverlässig; Madersberger verlor endlich die Geduld und nähte mit der Hand weiter. Seine immerhin sehr [695] inventiöse Maschine bildet noch heute ein hochinteressantes Object in der Modellsammlung des kaiserlich königlichen Polytechnikums zu Wien.
Ein anderer Erfinder, Barthelemy Thimmonier, ein excentrischer Schneider aus dem Rhonedepartement, hatte überaus tragische Lebensschicksale, er fand Capitalisten, fand selbst die Unterstützung der Regierung, die ihm Schneiderarbeiten für’s Militär übertrug; er ward selbst Fabrikherr, irrte aber schließlich verlacht und vergessen mit seinem Modell auf dem Rücken durch Frankreich und fristete sein Leben als – verkanntes Genie.
Seine Maschine war in der Hauptsache von Holz construirt und nähte den Kettenstich; das heißt sie fing mit einer zweiten Schlinge diejenige Schlinge auf, die der erste Stich gebildet hatte. Die Nadel stach von oben in das Zeug; ein Haken an derselben holte von unten den Faden herauf; die Schlinge blieb oben liegen, bis der zweite Stich eine zweite Schlinge durchgeführt hatte. So erzielte er eine Leistung von dreihundert Stich pro Minute, und ihm ward die Genugthuung, daß er in seiner Fabrik zu Paris sechszig Maschinen zu gleicher Zeit in Thätigkeit sehen konnte. Jedoch sein excentrisches Wesen und die Februarrevolution machten die Fortsetzung seines Unternehmens unmöglich, und auf’s Neue zeigte er auf Jahrmärkten und in Dorfscheunen sein Modell, um den Hunger stillen zu können.
1851 raffte sich Thimmonier zum letzten Mal auf; er schickte eine sehr verbesserte Maschine nach London zur Weltausstellung, wurde aber damit zurückgewiesen, weil er den Termin der Anmeldung nicht eingehalten hatte. Dieses Unglück bedeutete für den armen Erfinder gewissermaßen ein Glück. Auf jener Ausstellung erregte bereits die Elias Howe’sche Maschine das Aufsehen der civilisirten Welt, und so blieb ihm wenigstens der Schmerz erspart, den Glanz der amerikanischen Erfindung durch seinen unvollkommenen Apparat erhöhen zu müssen. Zerfallen mit sich und den Seinen starb er bald darauf vergessen in einer Pariser Winkeltaverne.
Sein glücklicher Nebenbuhler, der Mechaniker Elias Howe, ward 1819 in Spencer im Staate Massachusetts geboren. Die erste Anregung, eine Nähmaschine zu construiren, empfing er durch seinen Arbeitgeber Ary Davis in Boston. Dieser in technischen Arbeiten äußerst geschickte Mann ward eines Tages in seiner Werkstatt von zwei Männern um Rath befragt, wie eine von ihnen erfundene Strickmaschine zu verbessern sei. Aergerlich antwortete der stets kurz angebundene Davis. „Wenn Ihr etwas Nothwendiges und Nützliches thun wollt, so erfindet eine Nähmaschine! Für Eure Strickmaschine bin ich nicht zu Hause.“
Howe war bei jenem Besuche der beiden Männer in Davis’ Werkstatt gegenwärtig, und die Antwort, welche sein kluger Arbeitgeber den Fragestellern ertheilte, regte ihn mächtig an; von Stunde an sann er Tag und Nacht über das Problem nach, bis es gelöst und die populärste Maschine construirt war, die wir nach dem Uhrwerk besitzen.
Auch ihm sind mancherlei Irrgänge nicht erspart gewesen; auch er glaubte die Handnaht nachahmen zu müssen, auch er experimentirte unter der drückendsten Armuth mehrere Jahre hindurch gänzlich erfolglos, bis ihm die Frage durch das Hirn fuhr: Muß es denn die Handnaht sein?
Seine Bekanntschaft mit dem Webstuhlbau führte ihn auf das Schiffchen, und damit war die hundertjährige Krisis der Erfindung gehoben. Im Winter 1846 wurde die erste Howe’-Maschine fertig gestellt, und Howe selbst nähte darauf für seinen Freund Georg Fischer, der ihm das Geld zum Unterhalt während des Experimentirens geliehen, einen completen Tuchanzug, dessen Nähte unverwüstlicher waren, als der Stoff.
Jetzt aber thürmten sich erst die größten Schwierigkeiten vor Howe auf; wir können sie hier nicht weiter verfolgen; der Leser findet Einzelheiten darüber in den früheren Jahrgängen der „Gartenlaube“ (vergl. u. A. Jahrg. 1867, S. 492 u. ff.) und möge sich hier mit einigen Andeutungen begnügen. Die Amerikaner verhielten sich in den ersten Jahren verneinend. Howe war gezwungen, Boden für seine Maschinen in England zu suchen, und hier ward er von einem W. Thomas hintergangen, der die Erfindung mit großer Dreistigkeit als seine eigene ausgab und die erlangten Patente mit horrendem Vortheil ausnützte. In Amerika aber baute Isaac Meritt Singer die Howe’sche Maschine mit unwesentlichen Veränderungen nach und nützte mit einer kaufmännischen Routine, die stark an den Humbug heranstreift, die Erfindung in ganz unerhörter Weise aus. Wäre nun Howe ein Deutscher gewesen, so hätte er wahrscheinlich die Rolle des verkannten Genies aufgenommen und wäre um seine Verdienste geprellt worden, doch zu seinem Glücke rollte Yankeeblut in seinen Adern; er trommelte ebenfalls Reclame, fand Anerkennung und Capital und gründete in Bridgeport eine großartige Nähmaschinenfabrik. Howe brachte es zu einem großartigen Vermögen und starb 1867 in einem Alter von achtundvierzig Jahren.
In Deutschland waren es zunächst nur unbemittelte Schlosser und Mechaniker, die sich mit Herstellung der stark begehrten Maschinen befaßten. Das deutsche Capital ließ die junge Industrie vollständig unbeachtet. Die Fabrikanlagen blieben auch im ersten Jahrzehnt klein und mangelhaft. Die Arbeitstheilung, die den Amerikanern durch große Anlagen sofort möglich gemacht wurde, war hier unmöglich; dazu kam die geschäftliche Unbeholfenheit der meist nur praktisch ausgebildeten Unternehmer und eine Art Reclamescheu, die wohl zu rühmen wäre, wenn die ausländische Concurrenz sich gleichsam in diesem Punkt enthaltsam gezeigt hätte; diese schlug aber so viel Lärm, daß das Publicum mehr betäubt als überzeugt wurde. Thatsache ist, keines Erfinders Name ward so oft gedruckt und in die Welt hinausgeschrieen, wie die Namen Howe, Singer, Grover und Baker etc., sie gehören zu den populärsten des Erdballs.
Natürlich war der deutsche Markt im Handumdrehen an Amerika vergeben, und die Legende von der alleinseligmachenden Amerikanerin war geschaffen und wuchert noch heute fort, obgleich der letzte Schein der Berechtigung längst dahin geschwunden ist.
Trotz alledem und alledem ist aber die kleine, unscheinbare, unbeachtete und unbeschützte deutsche Nähmaschinen-Industrie zu einer Bedeutung gelangt, daß ihre Existenz, ihre Wohlfahrt eine nationale Angelegenheit geworden ist. Sie beschäftigt gegenwärtig 8000 Arbeiter und fertigt im Jahr 350,000 Nähmaschinen mit einem Verkaufswerth von 16 Millionen Mark, wovon sie das reichliche Dritttheil nach überseeischen Ländern schickt, und zu diesem Resultat gelangte sie nur durch die heilige Dreieinigkeit, welche allüberall der deutschen Industrie den Weltmarkt sichert: Fleiß, Intelligenz und Genügsamkeit.
Dieses Resultat wächst an Bedeutung, wenn wir die Entwickelung weiter verfolgen.
Der amerikanische Nähmaschinenbau hatte zunächst den Vorsprung der Zeit und die intellectuellen Vortheile, daß die Erfindung auf heimischem Boden gemacht worden war, für sich voraus; er hatte ferner den festen Rückhalt am eigenen Mutterland; er hatte das Monopol, welches sich auf die amerikanischen Patentgesetze stützt; er ist an den Grenzen vor Einfuhr durch Zölle geschützt, die ihrer Höhe nach einfach als Sperrzölle bezeichnet werden können; denn sie betragen bis zu 40 Procent des amerikanischen Marktwerthes; er hatte von Anfang an große Capitalien zur Verfügung, mit denen man Riesenetablissements errichtete, die schon durch ihre Größe eine permanente Weltreclame darstellen, und diese Capitalien wuchsen in’s Fabelhafte, obgleich man in einigen dieser Compagnien bis zu 60 Procent Reingewinn im Jahr zur Vertheilung brachte.
Zum Trost, dürfen wir sagen, steuerte Deutschland zu diesen Reichthümern das Wenigste bei; hier mußten die Amerikaner Preise ansetzen, die 50 Procent niedriger sind, als diejenigen des einheimischen Marktes, und das kam daher, weil vom Anfang an die Billigkeit des deutschen Fabrikats trotz der Legende von der amerikanischen Nähmaschine doch in die Wagschale fiel.
Aber um das Geldverdienen ist es den Amerikanern auf deutschem Boden auch gar nicht zu thun gewesen; sie suchten ihren Vortheil ganz wo anders.
Es war den Amerikanern bekannt, daß die Deutschen in vielen anderen Industrien trotz ungeheuerlicher Sperrzölle den Markt in Amerika behaupten. Nun hatten aber die verschiedenen Nähmaschinenbaucompagnien sich durch Cartell eine geldspendende Domäne in Amerika, das heißt ein Ausbeutungssystem zum Unsegen des amerikanischen Volkes geschaffen, das durch nichts alterirt werden durfte, und so setzte man alle Hebel in Bewegung, um die deutsche Industrie nicht emporkommen zu lassen; sie durfte vor Allem im eigenen Mutterland keinen Rückhalt finden.
Die Amerikaner warfen ihre Maschinen in ungeheuerlichen Mengen auf den deutschen Markt; sie führten einen auch bei uns [696] beispiellosen Credit ein; sie riefen die das Geschäft stets demoralisirenden Ratenzahlungen in’s Leben; sie setzten die großartigen Lieferungen an Beamtencorporationen in Scene; sie kauften in Mittel- und Großstädten die renommirtesten Nähmaschinengeschäfte auf und füllten deren Magazine mit ihren Fabrikaten; sie schickten ihre Zutreiber dutzendweise von Haus zu Haus; sie schossen Reclame-Etats aus, vor deren Höhe der Deutsche verzagen möchte; sie wußten deutsche Ingenieure zu finden, die sich öffentlich für ausländische Concurrenz aussprachen; sie holten sich auf jeder Mastvieh-Ausstellung ihre Medaillen und Ehrenbecher; sie schrieen und lärmten in allen Blättern, auf allen Gassen – ihre Mittel erlaubten ihnen das.
Ferner beuteten sie die Bezeichnungen „Originalmaschinen“, „echte Singer“ und „echte Grover und Baker“ bis in’s Aeußerste aus. Als ob die amerikanischen Maschinen nicht auch der einzigen vom Erfinder construirten Originalmaschine nachgebaut worden wären! Mit demselben Recht könnte man alle Buchdruckerpressen des Auslandes unechte nennen, weil sie nicht im Lande der Erfindung gebaut wurden.
Das Publicum ließ sich betäuben, und einzelne deutsche Fabrikanten machten den Fehler und schickten ihre Fabrikate mit amerikanischen Marken in die Lager – eine Täuschung, die sich zwar das Publicum wie bei der weiland englischen Nähnadel aus Aachen gefallen lassen konnte, aber die Amerikaner spürten den imitirten Marken nach, und jeder Fall gab ihnen zu verstärkter Reclame Veranlassung. Und was war das Resultat davon?
Es war „verlorene Liebesmüh“.
Als passendste Antwort errichteten deutsche Firmen im Jahre 1876 die ersten Magazine für deutsche Nähmaschinen auf dem Broadway in New-York – und das thaten sie bei 40 Procent Sperrzoll. Bravo!
Das Geheimniß, daß unsere Nähmaschinen-Industrie in diesem Humbug nicht erstickt ist, liegt nicht tief. Die deutschen Nähmaschinen sind durchweg sauberer gearbeitet, als ihre überseeischen Concurrentinnen. Der Amerikaner setzt die Theile zusammen, wie sie die Hülfsmaschine liefert. Der zufälligen Accuratesse ist somit Alles hingegeben. Der Deutsche montirt dagegen mit ganz anderer Gewissenhaftigkeit; er vertraut der Hülfsmaschine die letzte Arbeit nicht an; er nimmt die Hand zu Hülfe; seine Fabrikationsweise ist die der berühmten Glashütter Uhrmacher.
Ueberdem haben die deutschen Fabrikanten eine große Zahl Verbesserungen an den amerikanischen Systemen angebracht. Die wesentlichsten sind geräuschlose Verschiebung und Stichstellung nach Zahlen an der Wheeler-Wilson-Maschine. Diese letzteren gehen unter den Namen „Silenciens“ nach allen Welttheilen und erreichen dort weit höhere Preise, als die amerikanischen.
An der Singer-Maschine brachte man die Spulradauslösung an, die von den Amerikanern anfänglich verhöhnt, jetzt aber von ihnen allgemein nachgebaut wird. Vor dieser Verbesserung mußte man beim Spulen den ganzen Mechanismus der Maschine in Bewegung setzen, dadurch wurde diese doppelt abgenutzt, und schwächlichen Personen fiel es außerordentlich schwer, die gleichen Kräfte, wie auf das Nähen, auch noch auf das Spulen verwenden zu müssen; jetzt benutzt man das Schwungrad allein. Ferner ist der vortreffliche Zahnrad- und Zahnkranzbetrieb an den Handmaschinen eine deutsche Verbesserung. Der vielfachen Vervollkommnungen der zahlreichen Handwerkermaschinen, der Vermehrung der Hülfsapparate an fast allen Systemen, der mancherlei Constructionsvortheile im Hub, in der Herzführung und der Schiffchenbewegung kann hier des Raumes willen nicht eingehend gedacht werden.
Ein Wettnähen zu Dresden am 4. Juni 1877 hat die Ueberlegenheit der deutschen Nähmaschinen in der lautersten Weise dargethan. Eine Anzahl in Deutschland zerstreuter Nähmaschinenfabrikanten hatte beschlossen, dem Vorurtheile zu Leib zu rücken, und beantragte beim Dresdener Gewerbeverein die Arrangirung eines Wettnähens. Eine Commission völlig parteiloser Fachmänner, unter denen sich außer Mechanikern und Weißwaarenfabrikanten auch der Director der europäischen Modenakademie, geübte Nählehrer und Näherinnen befanden, wurde eingesetzt.
Die Commission entlieh sich in den verschiedenen Nähmaschinenlagern der Stadt sieben Maschinen aus sieben verschiedenen deutschen Fabriken, und da nicht anzunehmen war, daß der Vertreter der amerikanischen Singer-Compagnie das Wettnähen goutiren würde, kaufte man ihm eine „Original-Singer-Maschine“ für hundertzehn Mark ab. Er und sämmtliche Fabrikanten, sowie die Darleiher wurden eingeladen, und ein Nählehrer und drei geübte Näherinnen nähten vor den Augen der Commission und einer zahlreichen Versammlung von Gewerbetreibenden und Interessirten aus allen Ständen.
In einer darauf abgehaltenen Sitzung ward das Urtheil der Sachverständigen dahin festgestellt:
„Im Stich war die Original-Singer-Maschine den anderen ebenbürtig, in Bezug auf Solidität der Ausführung und saubern Ausstattung stand sie aber ganz beträchtlich hinter sämmtlichen sieben deutschen Maschinen zurück und verspricht deshalb geringere Dauer, ganz abgesehen von ihrem sehr geräuschvollen Gang. Auch zeigten mehrere der deutschen Maschinen in Bezug auf Construction der Maschinen selbst, sowie in Bezug auf Reichhaltigkeit der Apparate bedeutende Fortschritte.“
Wir sehen also, die Amerikaner können ihre deutschen Concurrenten nur im Lärm überbieten, und diesen überlassen wir in Zukunft besser den Yankeenerven; er gehört wahrlich nicht zu den begehrenswerthen Importartikeln, um die wir unsern Nationalwohlstand noch ferner zu schädigen hätten.
Die Sorge für eine gesunde Weiterentwickelung dieser hochwichtigen Industrie kann das deutsche Volk mit Ruhe dem treibenden Motor der einheimischen Concurrenz überlassen.
„Verstimmt“ (Abbildung Seite 685) – freilich, aber nicht blos das Instrument ist verstimmt, sondern offenbar auch das arme, schöne Kind, das an den Wirbeln der Mandoline rückt, um die Töne der Saiten richtig zu stellen. Das ist nicht immer leicht, besonders wenn frische Saiten aufgezogen sind, aber so schwer ist’s doch nicht, als über die andere Verstimmung Herr zu werden, die ohne allen Zweifel in den Zügen des jungen Angesichts sich bemerklich macht. Unser geistreicher Freund Thumann würde bedenklich das edle Haupt schütteln, wenn wir ihm zutrauen wollten, daß er sein künstlerisches Genie daran wende, um weiter nichts darzustellen, als wie ein armes Mädchen ein altes Instrument zu stimmen sucht. Auch den jungen Mann, der sich scheinbar behaglich auf seinem Lazzaroni-Sopha ausstreckt, dürfen wir uns nicht ohne Beziehung zu dem Mädchen denken; er sieht ihrer Bemühung schwerlich nur zu, weil er eben weiter nichts zu thun hat.
Am deutlichsten spricht aber ein Gegenstand, den man vielleicht kaum beachtet hätte: der Korb am Wege, der leer, ganz leer ist. Und so wird es uns immer wahrscheinlicher, daß hier abermals zwei junge Leute auf dieser schönen Erde durch ein uraltes Band verbunden sind: durch das Doppelband der Liebe und der Armuth.
Jetzt ist’s am Tage: zu ihrem Saitenspiele singt die schöne Arme um das tägliche Brod. – Lenau hat einmal in einem rührenden Gedicht die Kinder beklagt, welche die ersten Veilchen, des Frühlings ersten Gruß, um schnöden Mammon feil bieten müssen. Das Bild Thumann’s ist ein fast noch rührenderes Gedicht. Ist dieses Mädchen nicht selbst ein Frühlingsgruß? Und nun geht sie, mit gestimmter Mandoline, aber verstimmtem Herzen, um die Blumen der Poesie dem Moloch Publicum – zu verkaufen. Bald werden wir sie vor einer Café- oder Weinhalle, auf einem belebten Platze oder in einem offenen Garten ihre Lieder singen hören; uns wird jeder Ton zu Gemüth gehen, aber wie selten greift Einer „aus den besseren Ständen“ zu einer ihm ganz entbehrlichen Münze, um sie der Armen hinzuwerfen!
Ich saß einmal im Weingarten des „Tiroler Wastel“ hoch oben beim Castell von Triest, mit den Augen im unvergleichlichen Bilde des strahlenden Meeres schwärmend, als eine Laute und ein liebliches Lied aus einem Mädchenmunde erklang. Ich lauschte auf, und unweit von mir lauschte auch eine ganze Gesellschaft von übermäßig mit goldenen Ringen, Ketten und Spangen aufgeputzten Leuten – offenbar „der besseren Stände“. Alle wackelten mit den Köpfen vor eitel musikalischem Vergnügen. Als aber die Sängerin mit dem Notenblättchen an sie herantrat, regte sich keine Hand; sie nickten auch jetzt, gerade wie die Armen vor dem Klingelbeutel in der Kirche. Da ward mein Zorn gewaltig groß; ich hielt der sparsamen Sippe eine scharfe Rede (von der sie kein Wort verstanden; denn es waren Italiener) und bezahlte um so mehr, aus empörtem Kunstgenossenschaftsgefühl. Wie dankte mir da ein Blick und das süßeste: „Grazie tante, Signor!“ Das freut mich heute noch; denn – da hatte ich gut gestimmt.
K. O. 12 in Constanz. „Wie groß die Arbeit ist, welche gegenwärtig alle Dampfmaschinen der Welt verrichten?“ – Nach den Zusammenstellungen von Director Dr. Engel beträgt die Leistungsfähigkeit sämmtlicher Dampfmaschinen der Erde über 46 Millionen Pferdekräfte. Diese 46 Millionen Dampfpferde können aber dieselbe Arbeit verrichten, zu der wir sonst 140 Millionen gewöhnliche lebende Pferde oder 996 Millionen Arbeiter oder 1 Milliarde 992 Millionen Menschenhände brauchten. – Wissen Sie auch, was diese modernen Sclaven zusammen kosten? Das runde Sümmchen von 80 Milliarden Mark.
M. K. Als ungeeignet vernichtet.