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Die Gartenlaube (1879)/Heft 26

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum: 1879
Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[429]

No. 26. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Veit nahm eine der kleinen Katzen aus dem Korbe und stellte sie auf ihre schwachen Beinchen; sie blieb breitspurig stehen und miaute kläglich.

Auf diese Laute hin kam die Katzenmutter wieder über die Schwelle gestürzt, aber sie mochte Veit’s Gertenhiebe zur Genüge kennen – die Furcht siegte abermals über die Mutterliebe – sie floh vor der gehobenen Reitpeitsche seitwärts an der Wand hin und kletterte an einem Regal empor; Veit sprang auf einen daneben stehenden Stuhl und schlug nach ihr. Was auf dem oberen Brett stand, alte Hutschachteln, halbzerbrochenes Porcellan und dergleichen, es stürzte alles unter den flüchtenden Füßen der Katze auf die Dielen herab; das polterte und klirrte; erstickende Staubwolken wirbelten auf, und unter Veit’s kreischendem „Hu, hu!“ flog die arme Gehetzte auf der andern Seite des Regales hinab und zur Thür hinaus.

Inzwischen hatte José die kleine Katze wieder auf ihr Lager gebracht. Dem zartgewöhnten Kind war der wilde Lärm der Hetzjagd sehr peinlich; es sah sich scheu um nach den zerschmetterten Porcellanscherben und athmete auf, als die Katze zur Thür hinauslief – er hörte noch, wie ihr Veit mit heftig stampfenden Füßen durch den langen Gang draußen nachsprang; dann war es hübsch still, und er konnte nun ungestört mit den Kätzchen spielen.

Er strich das Zeug im Korbe, auf dem die Katzen lagen, glatt, wie es Deborah immer mit seinem Kopfkissen machte, ehe er einschlief. Und die Sonne kam durch die erblindeten Scheiben des Rumpelkammerfensters und warf bunte Regenbogenfarben auf seine geschäftigen kleinen Hände – das machte ihm Freude; er hielt sie immer wieder empor und badete sie in dem flimmernden Schein.... Dann rastete auf dem Fensterbret draußen ein kleiner Vogel; er verspeiste die zappelnde Mücke, die er im Schnabel mitbrachte, und guckte mit seinen beerenschwarzen Augen scheu in die Kammer. Es klang sein Gezwitscher so stark und hell herein; auch das Miauen der kleinen Katzen wurde so laut, und bei jeder Bewegung des Knaben ächzte und quikte die Diele, auf der er kauerte – es war ja aber auch so still, so todtenstill geworden – der große Junge, der eigentlich nicht eine Secunde lang ruhig auf seinen Beinen stand, rührte und regte sich nicht mehr, und er mußte doch längst wieder hereingekommen sein, denn wie lange, lange war es schon, daß er die Miez hinausgejagt hatte!

Das Kind wandte sich arglos um; der große Junge war nicht da, und dort, wo vorhin die Katze mit ihrem Verfolger verschwunden war, in der Thüröffnung, dämmerten halbverwischte, seltsame, graue Schnörkeleien, und man konnte nicht mehr in den Gang hinaussehen.... Das unschuldige Kind begriff im ersten Moment seine Situation nicht – die große, gemalte Fläche dort war eine Thür, die man selbstverständlich aufmachen konnte, und der lange Junge stand natürlich draußen auf dem Gange.

José erhob sich und lief durch die Kammer, aber die Thür ließ sich nicht aufdrücken – es war auch kein Griff, kein Schlüssel zu sehen; nur an der Stelle, wo ehemals das Schloß gesessen, war ein kleines Loch im Holz verblieben, durch das man in den dunkel dämmernden Gang hinauslugen konnte. Da draußen aber war es grabesstill, und durch die festanschließende Thür, die nicht wich, noch wankte, konnte keine Maus schlüpfen. . . .

Das Kind stieß plötzlich einen markerschütternden Schrei der Furcht und Angst aus, aber es schwieg ebenso rasch wieder und drückte mit zurückgehaltenem Athem aufhorchend das Ohr an die Thürfuge – draußen schlich es über die knarrenden Dielen.

„Ach, lieber Junge, mache mir doch auf!“ bat der Kleine flehentlich.

Keine Antwort, keine Berührung der Thür, die ihn zwischen diese schrecklichen vier Wände einsperrte.

Er pochte unter herzbrechendem Weinen mit den kleinen Fäusten aus allen Kräften auf die schmutzigen Bretter, und dazwischen rief er mit seiner zärtlich bittenden Kinderstimme nach Tante Mercedes, nach Jack und Deborah, nach Allen, die ihm zu Hause jederzeit helfend die Hände entgegenstreckten – bis er heiser und erschöpft auf der Schwelle niedersank.

Dort kauerte er, hoch oben im alten Falkennest, auch ein schönes, verirrtes, von unbeschreiblicher Furcht geschütteltes Vögelchen, wie einst der arme „Colibri“. – Wenn das der Verstoßene gewußt hätte, der weit drüben über dem Meere, an Floridas Küste, unter Magnolien- und Lorbeerbäumen den ewigen Schlaf schlief!... Er hatte sie ja auch gekannt, diese wüste, sonnenheiße Dachkammer, in der Alles aufgestapelt wurde, was sich als dienstuntauglich erwies – diese Wände, behangen mit wackligen Rahmen, in denen hier und da noch ein Spiegelsplitter steckte oder ein Fetzen geölter Leinewand eine Ecke füllte – diese altfränkischen Truhen voll alter Schmöker und Kalender, aus denen ganze Mottenwolken wirbelten; die Garnweifen und Spinnräder mit ihrem abgenutzten Trittbrett, die vielen Generationen der Wolfram’s, von der Wiege bis zur Gruft, in die unverwüstliche Hausleinewand gehüllt hatten.... Da lagerten [430] auch wurmzerfressene Stuhlgestelle übereinander, auf denen vielleicht noch die Tuchweberfamilie gesessen hatte, die vor drei Jahrhunderten aus dem engen Stadtgäßchen auf das Klostergut übergesiedelt, und in einer Ecke waren die Reste groben Kinderspielzeugs zusammengekehrt – auch die halbentkleideten, kopflosen Puppenbälge, die einst die jüngsten Töchter des Wolframschen Hauses, die flachshaarigen Mägdelein der armen Frau Räthin, gewiegt und geherzt hatten, lagen dort....

Der Sonnenschein verließ allmählich das kleine Dachfenster, und der Vogel auf dem Sims war schon beim ersten gellenden Aufschrei des Kindes erschreckt fortgeflogen. Die jungen Katzen waren jetzt auch still; sie lagen zusammengeduckt wie ein grauer Knäuel in dem Korbe und hoben nur schlaftrunken die Köpfe, wenn der kleine Eingesperrte auf der Thürschwelle in ein lauteres Jammern ausbrach.

So oft das Kind die verschwollenen Lider furchtsam hob, sah es auf die von Alter und Abnutzung entstellten und verzerrten Gegenstände. Alle Spukgeschichten, die ihm Deborah so fleißig erzählt, wurden in ihm lebendig – sie glotzten aus dem zeigerlosen Zifferblatt der hölzernen Uhr an der Fensterwand, aus dem übrig gebliebenen Menschenauge auf einem der Bilderfetzen; sie huschten aus den Truhen und durch das Conglomerat von auf einanderhockenden Stuhlbeinen und winkten und haschten mit den bleichen Lederarmen der Puppenbälge. Auch die Geschichte von fortgelaufenen Kindern, die sich zur Strafe verirrt, ging durch die gemarterte junge Seele.

„Ich will’s nie wieder thun, Tante. Ich will nie wieder fortlaufen,“ murmelte er schluchzend, als läge er, die kleinen Arme um ihren Hals schlingend, geborgen am Herzen der schönen Tante und flüsterte ihr, wie immer, seine Abbitte in’s Ohr.

Draußen herrschte fort und fort die tiefe, hoffnungslose Stille – nur selten klang ein Hahnenschrei wie aus weiter, weiter Ferne vom Hofe über das Dach her. Aber in der Kammer selbst machten sich jetzt Geräusche bemerklich – es tappte auf leisen Sohlen; Papier raschelte, und plötzlich klirrten die Porcellanscherben auf den Dielen – eine freche junge Ratte, die trotz der Katzennähe ihr Heimathsrecht in der Rumpelkammer behauptete, hatte offenbar Speisereste an dem Porcellan entdeckt; sie tummelte sich schnobernd zwischen den Scherben, und diese Erscheinung war noch viel schrecklicher als die vermeintlichen Spukgestalten. Der Knabe hatte eine Abneigung gegen Mäuse – nun lief da eine so entsetzlich große – sie konnte im nächsten Moment auf ihn zu huschen.

Unter furchtbarem Schreien schnellte er empor. Die Ratte verschwand unter dem Regale, aber der entsetzte Kleine rannte wie toll von Wand zu Wand, fast ohne Unterbrechung gellende Hülferufe ausstoßend; nicht einen Augenblick wagte er zu rasten, aus Furcht, das Thier könne wieder hervorkommen und an ihm emporspringen.... Er lief und lief, zuletzt athemlos, schweißbedeckt, lallend und kreischend – da wurde plötzlich draußen ein Riegel weggeschoben und die Thür aufgerissen.

Eine große Frau trat auf die Schwelle; das Kind taumelte mit ausgestreckten Armen auf sie zu und stammelte: „Ach, mache die Thür nicht wieder zu! . . . Ich will ein guter Junge sein! Ich will nie wieder fortlaufen.“

Es war ein todtenbleiches Gesicht, das sich über ihn bog, und durch den Körper der Frau ging es wie ein Schaudern, als die Kinderarme sich um ihre Hüften schlangen – aber sie ergriff den Knaben und führte ihn hinaus auf den Gang.

Und da war ja auch mit einem Male der lange Junge. Er kam hinter einem Schornstein hervor und trampelte vor Vergnügen mit seinen Hufeisen wie ein ausgelassenes Füllen. „Gelt, es ist schön in der Rumpelkammer? Hast Du nun lange genug mit den Katzen gespielt?“ schrie er und lachte aus vollem Halse.

Du hast ihn heraufgelockt und eingesperrt?“ fragte die Frau kurz und mit seltsam tonloser Stimme.

„Freilich – wer denn sonst?“ Er hieb mit der Reitpeitsche durch die Luft, und seine schiefgestellten, verschmitzten Augen schielten impertinent an der Frau empor. „Aber was hast denn Du darnach zu fragen? Dich geht es ja gar nichts an.... Ich kann den Zierbengel nicht ausstehen – er ist noch schrecklich dumm und läuft einem nach wie ein junger Hund. Einen Spitzenkragen hat er um, der Affe, und seine Schuhe sind –“

Er kam nicht weiter. Mit einem raschen festen Griff hatte die Frau ihn gepackt und züchtigte ihn weidlich mit ihren großen, kräftigen Händen – dann stellte sie ihn auf die Beine und stieß ihn nach der offenen Thür, die vom Gange in das Klosterhaus führte. Zuerst hatte er, stumm vor Ueberraschung, keinen Laut von sich gegeben. Er war in seinem ganzen jungen Leben noch nicht geschlagen worden – wer von den Leuten hätte sich auch je an dem vergötterten Rathssöhnchen aus dem Klostergute vergreifen mögen? – Er wußte nur, daß andere Geschöpfe unter seinen Gerten- und Peitschenhieben aufschrieen – und nun schrie er selber, aber erst in dem Moment, wo ihn die unerbittliche Hand auf die Füße stellte.... Nun rannte er wie besessen durch den Gang und die Treppe hinab; die eisenbeschlagenen Absätze tosten über die Stufen; er kreischte wie ein Thier – je tiefer er hinab kam, desto durchdringender. Das gellte von den Treppenwänden und hallte aufschreckend durch den weiten Flur des alten Klosterhauses. Das Gesinde lief zusammen, und der Rath kam entsetzt aus dem Amtszimmer und fing seinen auf ihn zustürzenden Sprößling in den Armen auf.

Kreideweiß vor Schrecken trug er ihn in seine Stube, und die Hand, die das magere, braune Gesicht des Knaben beruhigend streichelte, zitterte sichtlich.

Mosje Veit wußte, daß er an Krämpfen litt – die Mägde hatten in seiner Gegenwart davon gesprochen und die Zuckungen nachgeahmt. Seitdem traten diese Erscheinungen sehr häufig auf; er warf sich hintenüber und zuckte mit Armen und Beinen, wenn irgend einer seiner Wünsche auf Widerstand stieß.... In diesem Augenblick nun durchschütterte eine wirkliche Aufregung, eine grenzenlose Wuth, den dürren schmächtigen Körper – er schlug um sich und wühlte, immer noch schreiend, den Kopf convulsivisch in die dicken Federkissen des Sophas, auf das der Rath ihn gelegt hatte. Dieser Zustand erschien allerdings beängstigend, aber die kleinen, zwinkernde Augen des Patienten schielten sehr bewußt und beobachtend dem Vater nach, der angsterfüllt nach einem Schranke eilte, um das gewohnte, krampfstillende Mittel herbeizuholen.

Da riß das Geschrei jäh ab, und das Schlagen auf dem Sopha verstummte. Diese plötzlich eintretende Stille hinter seinem Rücken machte den Rath erschreckt umsehen – Veit hatte sich aufgerichtet und starrte bestürzt nach der gegenüberliegenden Wand. Dem einen en relief geschnitzten Heiligen dort war der segnend ausgestreckte Arm abgerissen – ein breiter, dunkler Spalt trennte ihn weit vom Rumpfe.

„Papa, die Wand geht entzwei – sie fällt ein,“ schrie er erschrocken auf.

Mit einem fast wilden Satze sprang der Rath auf die Gallerie; er bückte sich, und unter seinen schiebenden Händen schloß sich der Spalt geräuschlos.

„Närrchen Du!“ sagte er, die Stufen wieder herabkommend. „Die dicke Wand wird doch nicht einfallen. Aber das vermorschte Holz hat allenthalben Risse – da muß der Tischler her und wieder einmal zusammenflicken.“

Mosje Veit war ein kleiner Skeptiker. Sein scharfer Verstand und sein Lauern und Horchen in allen Ecken hatten ihm bereits jenen Kinderglauben geraubt, der Alles für baare Münze nimmt, was Erwachsene sagen. Er schielte ungläubig nach dem Heiligen, der wieder scheinbar unverletzt das Weib zu seinen Füßen segnete – aber er schwieg und fing dann wieder an zu jammern, während der Rath an einen Tisch trat und das Medicament in einen Löffel voll Wasser schüttete.

„Die Tante hat mich halb todt geschlagen, Papa!“

Der Rath fuhr herum, als traue er seinen Ohren nicht.

„Ja, furchtbar geschlagen und gestoßen hat sie mich. – Was kann ich denn dazu, wenn der dumme Bengel mir überall nachläuft, wie ein kleiner Hund?“

„Wer? – Von wem sprichst Du denn, mein Kind?“ fragte der Rath bebend – er glaubte, der Knabe beginne zu deliriren.

„Ich meine den fremden Jungen aus dem Schillingshofe,“ versetzte Veit, sich ungeduldig herumwerfend, „den blauen Bengel, der immer mit seinem großen Hund drüben im Garten spielt. Er ist mitgelaufen bis in unsere Rumpelkammer –“

„Er ist hier im Hause? – Oben bei der Tante Therese?“

Veit nickte, und der halbe Inhalt des Löffels, den sein Vater ist der Hand hielt, flog verschüttet auf die Dielen.



[431]
17.

Schon während Veit heulend im Dämmerdunkel des Treppenhauses verschwunden war, hatte sich die Gluth der Empörung auf dem Antlitz der Frau verflüchtigt; es wurde wieder starr und weiß wie von Stein. Sie nahm den Zipfel ihrer breiten, blauleinenen Schürze und wischte dem kleinen José den Schweiß von dem erhitzten Gesichtchen. Dabei vermied sie jedoch consequent, in seine verweinten Augen zu sehen; sie hatte auch kein beruhigendes Wort für das Kind, und als es, auf ihren Wink hin, mitzukommen, seine Hand vertrauensvoll in die ihre schob, da zuckten die hartgearbeiteten Finger zusammen, als sei diese weiche, warme Kinderhand eine zusammengeringelte Schlange.

Es war damals auch so eine Spätnachmittagsstunde gewesen, als die heimlich aus Königsberg abgereiste Officiersfrau den Vorsaal der Giebelwohnung betreten hatte. Da waren auch zögernde kleine Füße neben ihr hergetrippelt, und ein blondes Engelsköpfchen hatte sich ängstlich an die Mutter geschmiegt, die mit harter Entschlossenheit das Einsiedlerleben auf dem Klostergute gegen eine immerhin glänzende Stellung eintauschte, um ihren Mann grausam zu strafen, ihn geflissentlich vor der Welt zu brandmarken. Damals hatte sie gemeint, das Kind an ihrer Hand so leiten zu können, daß es nie nach dem „leichtsinnigen“ Vater zurückverlangen werde und für alle Zeit ihr ausschließliches Eigenthum bleibe – eine furchtbare Katastrophe hatte sie eines Andern belehrt. Ob das Alles in diesem Augenblicke durch den Frauenkopf flog, über dessen wachsweißer Stirn die stark gebleichte Flechte noch immer so glatt und elegant als Diadem geordnet lag, wie einst das glänzende, vielbewunderte Dunkelhaar?

Sie führte den kleinen José in das Giebelzimmer mit den braungebeizten Wandschränken, vor das altfränkische Tischchen, auf welchem das Waschzeug stand; genau auf dieselbe Stelle hatte sie damals ihren Knaben geführt, um ihm den Reisestaub vom Gesicht zu waschen und das von ihrem Bruder so sehr angefeindete blaue Sammetröckchen mit einem Hauskittel zu vertauschen....

Ihre großen, starren Augen blickten wie unter einem Schleier, während sie das Handtuch in frisches Wasser tauchte und die verschwollenen Lider des Kindes betupfte; die Fingerspitzen hüteten sich augenscheinlich, die rosige Wange selbst zu berühren.

„Sprich nicht!“ gebot sie mit harter Kürze, als er geängstigt mit weichen, sanften Tönen von Tante Mercedes, Jack und Deborah zu reden begann. Seine Augen hingen begehrlich an der Wasserflasche, und der kleine, heißathmende Mund war verdorrt vom Schreien, von der brütenden Sonnengluth und dem Staub der Dachkammer. So sanft fügsam war der Knabe auch gewesen, der vor fünfundzwanzig Jahren seinen Spielwinkel dort in der Fensterecke gehabt und dessen kleines Lager hinter dem grobwollenen Thürvorhang, dicht am Bett der geschiedenen Frau gestanden hatte....

Die Majorin schüttete etwas Wein, Fruchtsaft und Wasser in einem Trinkglas zusammen und hielt es mit weggewendetem Blicke dem Kinde an die Lippen. Das war eine Labung, wie sie auf dem Klostergute hier und da dem erschöpften armen Reisenden gereicht wurde, warum nicht auch dem – wildfremden Kinde, das der kleine Sohn des Hauses gemißhandelt hatte? Und es mochte furchtbar gelitten haben durch den Sonnenbrand und die innere Angsthitze; es entzog ihr mit beiden Händen das Glas und trank den Inhalt gierig bis auf den letzte Tropfen aus. Und dann hob sich der Kleine auf die Zehen und reckte die Arme empor, um – wie er stets mit Allen that, die ihm Liebes erwiesen – die fremde Frau dankbar zu umarmen, aber sie bemerkte es wohl nicht. Sie stellte das leere Glas weg und nahm eine Kleiderbürste vom Nagel, um das blaue Cachemirröckchen von Heu- und Strohhalmen und dem dicken Staub der Rumpelkammer zu säubern. Sie fuhr ihm auch noch einmal mit dem nassen, kühlen Handtuch über das Gesicht, aber sein Haar, dieses wundervolle, goldglänzende Gelock, das ihm schweißdurchnäßt auf der Stirn klebte, vermied sie zu berühren.

Wer von den Leuten hatte diese Frau je unsicher gesehen! Selbst in der dringendsten Arbeit verloren ihre kräftigen Bewegungen nie die überlegene, maßvolle Ruhe – und jetzt hatte ihre Hand unachtsam Wasser verschüttet und die Bürste war ihr zweimal entglitten und auf die Dielen gepoltert. Nun schob sie in schweigender Unruhe und Hast das Kind nach der Thür und trat mit ihm hinaus auf den Vorsaal.

Da kamen schwere Männertritte über ächzende Stufen, und der kurzgeschorene, graue Kopf des Rathes tauchte aus der dämmernden Tiefe der Treppe.

„Ei zum Kukuk, Du hast ja Besuch, wie ich sehe!“ rief er, noch ehe er die oberste Stufe erreicht hatte. Das Treppensteigen mochte ihm sauer geworden sein; denn er war athemlos. Wie er aber dann den Estrichfußboden des Vorsaales betrat, war er auch heute noch das unveränderte Bild zäher Kraft und einer fast wilden Energie. Nur am Gesicht hatte die Zeit gearbeitet; sei es, daß sich die buschigen Brauen zu stark überhängend entwickelt hatten, oder waren die Augen so tief eingesunken, den freien, hochmüthig trotzigen Blick dessen, der auf sein gutes Recht pocht, hatten sie nicht mehr – sie brannten wie versteckte Funken in den Höhlen.

Ein solch glimmender Blick fuhr über den kleinen José hin, der sich scheu vor dem Manne mit der starken schneidigen Stimme zurückzog und sich mit beiden Händen ängstlich der Rechten seiner Begleiterin bemächtigte, die sie beim Verlassen der Stube in die Kleiderfalten geschoben hatte, als bemerke sie nicht, daß er das Verlangen habe, geführt zu werden.

„Wem gehört der Junge?“ fragte der Rath seine Schwester kurz und rauh.

„Weiß ich’s?“ fragte sie unter Achselzucken zurück und starr in seine funkelnden Augen sehend – sie zuckte mit keiner Miene. „Ich ging in meine Stube, da hörte ich vom Boden her ein Kind schreien – Dein Veit hatte sich den Spaß gemacht, das Kind fremder Leute in unsere Rumpelkammer zu sperren –“

„Und dafür hast Du ihn gemißhandelt?“ brach er los, wie rasend vor Wuth und Erbitterung.

„,Gemißhandelt'?“ wiederholte sie mit kalter Ironie. „Ich habe ihm die wohlverdienten Fünfundzwanzig aufgezählt, die ihm von Rechtswegen gebührten,“ setzte sie in ihrer gewohnten energischen Ausdrucksweise hinzu.

Diese unerschrockene Ruhe wirkte ernüchternd; der Rath fühlte, daß er durch sein Aufbrausen an der zeitlebens behaupteten Ueberlegeheit einbüße. Er bezwang sich und sagte verbissen:

„Eine solche brutale Züchtigung meines Kindes gestatte ich mir selbst nicht –“

„Zu seinem Schaden – aus dem Jungen wird sein Lebtag nichts.“ Noch nie war ihr dem Bruder gegenüber eine solche unumwundene Kritik entschlüpft – sie war offenbar nicht ganz Herr ihrer selbst.

„So – meinst Du, Therese?“ fragte er beißend. Sein tiefgebräuntes Gesicht verfärbte sich vor zorniger Ueberraschung, aber er fuhr nicht wieder auf – um die Mundwinkel spielte ihm nur sein schlimmes, hämisches Lächeln. „Es wäre ja doch zu schrecklich, wenn dermaleinst auch mir mein Sohn mit einer Tanzmamsell bei Nacht und Nebel auf und davon liefe!“

Die Majorin schwieg. Sie biß die Zähne fest zusammen und entzog mit einem plötzlichen Ruck dem kleinen José ihre Hand.

Der Rath sah das; er strich sich mit höhnischer Miene über den dünnen Kinnbart.

„Ach ja, ich weiß es längst – mein Veit ist nicht nach Deinem Geschmack,“ fuhr er fort. „Er denkt für ein Kind seines Alters zu scharf; sein Wille ist zu kräftig, und als ein echter Wolfram verlegt er sich nicht auf’s Schmeicheln und Schönthun. Solch ein Hanswurst, wie der da,“ er zeigte auf den Knaben, „der gefällt Dir wohl besser – wie?... Hm, die Einbildungskraft der Weiber ist stets geschäftig – der Henker mag wissen, was Du Alles in ihm siehst –“

„Das, was er ist – das Kind fremder Leute,“ versetzte sie mit demselben starren Blick wie vorhin, aber ihr Athem ging tief, und in dieser sonoren Frauenstimme grollte ein Ton mit, wie der eines tiefgereizten Raubthieres.

„Ei, das versteht sich ja von selbst; freilich muß er fremder Leute Kind sein; wir Wolframs haben ja kein verwandtes Blut draußen in der Welt,“ sagte er leichthin. „Ich meinte nur, da Dir mein Veit nicht gefällt, Du hättest so eine Art Idealschablone, in die der Junge da mit seinem Flachskopf passe. Wie kommt er aber in mein Haus und hier herauf, wenn nicht durch Dich? Hereingeschneit ist der Junge doch nicht?“

„Veit hat ihn jedenfalls hereingebracht –“ [432] „Veit, und immer wieder Veit! Der arme Kerl muß es stets gewesen sein; er kriegt die Prügel, und der Bursche da ist natürlicher Weise das unschuldige Lamm. – Wie bist Du in das Haus gekommen?“ fuhr er, seiner nicht mehr mächtig, das Kind an, das entsetzt zurückwich und keinen Laut herausbrachte. „Wirst Du wohl antworten?“ knirschte er und griff in gesteigertem Grimm nach dem Knaben, um dessen willen sein Sohn gestraft worden war.

Bei dieser drohenden Bewegung fuhr die Majorin empor, als habe sie selbst einen Schlag erhalten, und streckte den Arm zwischen ihren Bruder und den kleinen José – ihre Augen funkelten, und unter der krampfhaft emporgezogenen Oberlippe erschien eine schöne, feste, weiße Zahnreihe. Die Frau mit dem kräftigen, und doch so elastisch schlanken Gliederbaue hatte in diesem Augenblicke etwas von einer Tigermutter, die ihr Junges vertheidigt, aber nur secundenlang; der Rath trat unwillkürlich zurück und sie sagte scheinbar gelassen, wenn auch mit verschleierter Stimme: „Du wirst Dich nicht an einem fremden Kinde vergreifen, das ohnehin alterirt ist durch den Streich, den Veit ihm gespielt hat.“

Sie beugte sich zu José herab, um nun selbst die gestellte Frage zu wiederholen; allein es war, als gäbe es für die seltsame Frau keine Sprache der Welt, in der sie mit diesem Kinde reden könne – es sah mit seinen wunderschönen, blauen, beredten Augen zu ihr auf, und da schlossen sich ihre bleichen Lippen nur noch fester auf einander.

Der Kleine gab jetzt die Antwort von selbst – er fühlte sich durch die Frau beschützt. „Ich bin mit dem großen Jungen durch den Zaun gekrochen,“ sagte er mit seiner sanften, treuherzigen Stimme. „Er kriecht immer durch den Zaun und wirft mit Steinen nach den Enten, die auf dem Teiche schwimmen. Nachher wollte er mir seine Lapins zeigen –“

„So“ – sagte der Rath; er drehte und zerrte wie zerstreut an seinem grauen Lippenbart; der frappante, wenn auch unglaublich rasch wieder niedergekämpfte Gesichtsausdruck seiner Schwester gab ihm offenbar zu denken. „Durch den Zaun also, und wir haben nur den, der uns vom Schillingshof trennt – das ist ja eine schöne Entdeckung. Mein Veit auf Schilling’schem Grund und Boden! – Ich werde die ganze Zaunlinie sofort mit Dornen verbarricadiren lassen.... Hm ja, nun weiß ich’s auch – ich sehe manchmal einen blauen Irrwisch drüben umhertollen – das ist der Bursche da. Er gehört zu der amerikanischen Familie, ‚von Valmaseda’ schreibt sie sich, wie ich höre – mag auch eine nette Gesellschaft sein! Der Mann soll sich in irgend einem Spielbad herumtreiben, und hat unterdessen seine Familie, zum Skandal der Dienstleute drüben, ohne einen Groschen Geld in den Schillingshof geschickt, wo sie auf Regimentsunkosten herrlich und in Freuden leben sollen.“ Wie verwunderlich kamen diese Mittheilungen, die einer Klatschbase Ehre machen konnten, aus diesem bärtigen Munde, und wie heiser gedämpft klang die stets so barsche Stimme!...

„Die Schilling’s waren von jeher Narren und Verschwender!“ fuhr er nach einem befreienden Aufathmen lauter fort. „Theaterleute und Abenteurer finden da stets eine gute Stätte. Der stolzen Baronin aber paßt das nicht – sie ist der sauberen spanischen Gesellschaft aus dem Wege gegangen.“

Der Rath hielt inne. Seine Schwester stand da wie eine Statue; sie sah seitwärts unbeweglich zu den erblindeten Vorsaalfenstern hinüber, durch welche ein paar dicke Brummfliegen und eine verirrte Wespe vergebens den Weg in’s Freie suchten, und erst, als der Rath schwieg, heftete sie diesen starren Blick durchdringend auf sein Gesicht.

„Was gehen die Gäste da drüben uns an?“ fragte sie trocken. „Haben wir uns je darum gekümmert, wen der Schillingshof beherbergt?“

„Einst wohl, Therese, als der ‚in des Königs Rock’ drüben nach dem schönen, bethörten Wolfram’schen Goldfisch angelte. Doch darüber ist längst Gras gewachsen; ich habe die Schande ziemlich verwunden. Jetzt aber bin ich auf’s Neue verpflichtet, mich darum zu kümmern, da Veit den Streich gemacht hat, sich einen Cameraden von dorther zu holen – das wäre mir ja eine schöne Bekanntschaft. Und Du – Du solltest doch nie vergessen, daß Du dem Schilling’schen Hause alle Schmach, die Dir widerfahren ist, und Deinen total verunglückten Lebenslauf verdankst. Ich sollte meinen, schon die Luft, die Dich von drüben her anhaucht, müsse Dich beleidigen. Ich für meinen Theil habe während der letzten acht Jahre – lediglich um Deinetwillen – consequent verhindert, daß auch nur eine Spur Erde an den Sohlen von dem verhaßten Grund und Boden in mein Haus getragen worden ist, und nun nimmst Du diesen hereingeflogenen Unglücksvogel da auf, führst ihn direct in Deine Stube und tröstest und liebkosest ihn –“

„Liebkosen?“ lachte sie wild auf und strich hart und wiederholt mit der inneren Handfläche über die blauleinene Schürze, als wolle sie jede Spur der Berührung wegreiben, welche das Kinderhändchen hinterlassen. „Du solltest wissen, daß Deine Appellation an die Vergangenheit eine ganz überflüssige war,“ setzte sie schneidend hinzu. „Nenne mir einen Moment in meinem Leben, in welchem ich je vergessen hätte, daß ich eine Wolfram bin, das Kind meines Vaters und die Urenkelin derer, die vor ihm da waren! Sie haben wohl auch geirrt, aber dann – nach der Erkenntniß – sind sie auf dem Wege geblieben, der ihnen als der rechte gegolten hat, und wenn er durch Höllenqualen gegangen wäre.“

Sie drückte die weiße, kräftige Hand fest auf die Brust und ging mit hartgeschlossenem Munde an ihm vorüber nach der Treppe. „Um mich kümmere Dich nicht!“ sagte sie, noch einmal stehenbleibend. „Ich werde mit meiner Aufgabe fertig. Aber Du sei auf Deiner Hut! Du bist nur noch der Schatten Deiner selbst. Hat Eines heiß gewünscht, daß unser alles, braves, hochangesehenes Geschlecht nicht erlöschen möchte, so bin ich’s – ich dachte ja nicht, daß sich das Blut ändern könnte; ich habe es nie für möglich gehalten. Aber das weiß ich nun – so viel Söhne auch auf dem Klostergute geboren worden sind, nie ist ein solch heimtückischer, zerstörungswüthiger Bube zur Welt gekommen, wie Veit ist – wir wären sonst nicht da, wo wir stehen; es wäre längst Alles in alle vier Winde verflogen. Und diesen Burschen lässest Du hausen, wie er Lust hat; er macht mit Dir, was er will. Du zitterst wie Espenlaub vor jeder Zuckung, die Dir der verlogene Junge vormacht. Und in seine Hand soll Alles kommen, Alles – Franz, ich glaube, Du verschriebest Deine Seele dem Bösen um dieses einen Kindes willen“ – sie hielt inne, als erschrecke sie selbst vor dem leidenschaftlich gesteigerten Ausspruch, der ihren Bruder wüthend emporfahren machte und ihm eine jähe Gluth in das Gesicht trieb, allein sie widerrief oder beschönigte das Gesagte mit keinem Wort. „Willst Du, daß die Wolfram’s in Ehren weiter existiren sollen,“ fügte sie mit um so festerem Nachdruck hinzu, „so greife nach dem Zuchtmittel unserer braven Väter, nach dem Stock in der Ecke!“

Damit winkte sie dem kleinen José; er folgte ihr – sie ging die Treppe hinab.

Es war gerade sechs Uhr; auf dem Schanktische standen bereits die gefüllten Milchtöpfe, und die Leute kamen in die Hausflur geströmt.

„Der Kleine gehört in den Schillingshof,“ sagte die Majorin zu der wartenden Stallmagd. „Führe ihn hinüber und mache ihm die Gartenthür auf – hinein gehst Du nicht.“

Sie trat an den Schanktisch; kein Blick fiel mehr auf das von den Leuten angestaunte schöne, vornehme Kind, das folgsam neben der Magd herging. An der Flurthür wandte es noch einmal das dunkelroth erhitzte Gesichtchen zurück und rief treuherzig: „Schlaf wohl, gute Frau!“

Auch dieser Abschiedsgruß wurde überhört; denn die Milch schoß bereits aus dem großen Steintopf in das Blechnösel, und dabei geschah das Unerhörte, daß sie in breiter Straße die Tischplatte überströmte – das auf dem Klostergute, wo jeder Tropfen mehr oder weniger sorgsam bemessen wurde!

(Fortsetzung folgt.)



[433]

Die alte Fürstenschule.
Zeichnung von Hermann Heubner, mit Benutzung von Aufnahmen des Realschul-Director Rockstroh in Meißen.

Sanct Afra in Meißen.

In diesen Tagen feiert die königlich sächsische Fürsten- und Landesschule Sanct Afra in Meißen die Einweihung ihres vollendeten Neubaues. Die sächsischen Tageszeitungen und Schulblätter werden ausführlich über die Festlichkeiten berichten, zu denen auch alte und junge Afraner von nah und fern in die ehrwürdige romantische Stadt zur Alma mater strömen werden, um ihrer dort verlebten Jugendzeit in dankbarer Erinnerung zu gedenken.

Ihnen Allen widmet die „Gartenlaube“ dieses Gedenkblatt, aber nicht in der Form eines Festberichtes, sondern als kurze historische Skizze, die auch den Millionen der Leser und Leserinnen darthun soll, daß sich an die Sanct Afra-Schule ein gutes Stück culturhistorischer Erinnerungen vom allgemeinsten Werth knüpft.

Schon im Jahre 1205 ist auf einem Hügel der alten Stadt Meißen vom Bischof Dietrich das von Augustinermönchen oder, wie sie sich lieber nannten, „Chorherren“ bewohnte Kloster der heiligen Afra zu Ehren gestiftet worden. Die daneben stehende Kirche ist älter, doch die Zeit ihrer Erbauung nicht bekannt und ihr Bau hat vielfache Wandlungen erfahren. Derselbe Bischof legte bald nach Gründung des Klosters auch [434] eine Schule an, in welcher zunächst zwölf Knaben in den Wissenschaften und „der edlen Musika“ unterrichtet werden sollten, eine Zahl, welche sich im Laufe ungefähr eines halben Jahrhunderts verdoppelte. Im Hörsaal dieser Schule hielten die Professoren der Universität Leipzig ihre Vorlesungen und ihre Magisterpromotionen, als 1519 die Pest in Leipzig so zahlreiche Opfer forderte, daß für diese Zeit die Universität nach Meißen verlegt worden war.

Als 1539 die Reformation ihren Geistessieg in Sachsen feierte, wurde durch die beiden von Herzog Heinrich zur Einrichtung des evangelischen Gottesdienstes nach Meißen gesandten Visitatoren Dr. Justus Jonas und Georg Spalatin die Klosterschule aufgehoben, aber nur vier Jahre darnach rief der hochfürstliche Beschluß, die geistlichen Lehen zur Stiftung von drei allgemeinen Landesschulen zu Pforta, Meißen und Merseburg zu verwenden, die Schule von Sanct Afra wieder in’s Leben. Schon zu Ostern 1543 setzte Herzog Moritz eine Commission ein, welche den Auftrag erhielt: „die Gebäude des Sanct Afra-Klosters zu verändern, Stuben, Lectoria, Schlafhäuser und Kammern sammt anderen nöthigen Sachen und Gebäuden einzurichten.“ Und so rasch schritt man zur That, daß am 3. Juli desselben Jahres die Schule eröffnet werden konnte.

Die Stiftungsurkunde datirt von Dresden, 23. Januar 1544 „Mittwoch nach Fabian“. Ein Exemplar derselben ward dem Rath von Leipzig übergeben, das andere im Afra-Schul-Archiv selbst verwahrt. Dort hielt ich in diesen Tagen das ehrwürdige, umfangreiche Schriftstück selbst in meiner Hand. Wie das Papier, so ist auch die große Siegelkapsel sammt Inhalt noch unversehrt. Herzog Moritz hat nur unterschrieben „M. H. zu Sachsen“, mit vollem Namen aber unterzeichnet daneben: „August, Herzog zu Sachsen“; ihren Unterschriften folgen noch zehn, darunter die der Bürgermeister von Leipzig und Dresden.

Noch bis auf den heutigen Tag ist ein Theil jener alten Klosterräume erhalten, die für die ersten neunzig Afra-Schüler und vier Lehrer eingerichtet worden, nur waren sie schon längst nicht mehr zu Schullocalen benutzt, sondern bildeten den sogenannten „Oekonomiehof“, einen abgeschlossenen bergansteigenden Gebäudecomplex, in welchem sich seither die Expeditionslocale des Landesschul- und Procuratur-Rentamtes, die Wohnungen des Rectors und einiger Professoren und die für die Speisewirthschaft der Schule nöthigen Gelasse befanden. Ein großer Kreuzgang ist noch sehr wohl erhalten; ringsumher stößt man auf ein seltsames Gemisch von engen Gängen, gewölbten Zimmern, Bogenfenstern, Erkern, Treppenfluchten, Pförtchen und Thoren.

Die noch unverheiratheten Lehrer wohnten mit den Schülern zusammen und wurden gleich ihnen beköstigt; im Ganzen waren dies damals 110 Personen. Alle Lehrer und Schüler erhielten Schreibmaterialien, Bücher und Schuhwerk umsonst geliefert, die ärmeren auch noch Kleider.

Unser Chronist meldet: „es wäre im Anfang allerlei davon geredet worden, als würden diese Schulen keinen Bestand haben, daß auch Herzog Moritz selbst dieser Meinung fast gewesen.“ Das „Gerede“ würde wohl auch kein müßiges geblieben sein, wenn die Landstände sich nicht der Sache angenommen und Zulagen aus der kurfürstlichen Kammer die Schule unterstützt hätten. Der Schmalkaldische Krieg mit der Einnahme Meißens am 5. April 1547 durch Kurfürst Johann Friedrich und dessen bald darauf erfolgtem Rückzug bei Annäherung des kaiserlichen Heeres trug ohne Zweifel zu den mißlichen Verhältnissen bei, noch mehr aber die Pest, die vom Sommer 1552 an bis Weihnacht in und um Meißen gegen 2000 Menschen hinwegraffte. Unter diesen befand sich auch Mag. Rivius, der Verfasser der Schulordnung und Beisitzer (wir würden jetzt sagen Rath) am Consistorium in Meißen, nebst Frau, Sohn und Enkelin. Die Schüler wurden darum im Juni entlassen und kehrten erst im Mai 1553 zurück. Aehnliches, doch nicht ganz so viel Unheil verursachte die Pest 1576, und dann wieder eine ähnliche Epidemie 1611. Dazwischen lagen die calvinistischen Wirren innerhalb der Schule, und der Dreißigjährige Krieg that das Uebrige, Noth und Sorge über Sanct Afra zu bringen. Und zwar nicht nur durch die steigenden Preise aller Lebensmittel, das Ausbleiben von Zinsen und die überall ausbrechenden Concurse – die wüsten kaiserlichen Völker erschienen im August 1632 selbst vor der Stadt und rückten im October ein. Sie plünderten und verdarben alle Vorräthe der Schule, und ein kaiserlicher Fähnrich tödtete den alten Rector Bachmann. Die Schüler waren geflüchtet und wurden erst im August 1633 wieder zurückberufen. Noch schlimmer verfuhren die Schweden 1637; sie äscherten die halbe Stadt ein und raubten die Schule aus; 1639 kehrten sie nochmals verwüstend wieder. Während dieser Zeit waren nur etwa acht Schüler (Meißner Kinder) anwesend geblieben; im Mai 1640 kehrten mehrere zurück, aber erst nach Schluß des Westfälischen Friedens ward die Schaar wieder vollzählig.

Schon vorher hatte man die Naturalverpflegung der Lehrer, den sogenannten „Magistertisch“, aufgehoben und in ein Kostgeld verwandelt, „dergestalt, daß dem Pfarrer, Präceptoribus und Schulschreiber für ihren Tisch jedem wöchentlich zween Gulden, nebst der Vergünstigung, des Jahres ein Bier steuerfrei zu brauen, dem Organisten aber 28 Groschen und des Rectors Famulo so viel als eine Koststelle austrüge, gegeben werden sollten“. Jetzt wurden aber die Lieferungen an Büchern und Schreibmaterialien Schuhen, Tuch, Betten für die „Gnadenknaben“ ganz aufgehoben und selbst den Lehrern ihre Besoldungen nur unregelmäßig gezahlt. Kurfürst Johann Georg ließ es sich angelegen sein, der Schule wieder aufzuhelfen, was auch zu gelingen schien, aber da kam 1681 abermals die Pest, und die Schüler wurden bis 1682 entlassen Man wollte den Kurfürsten überreden, die Schule eingehen zu lassen, und schlug sogar vor, die Gebäude zur Einrichtung einer Stuterei zu verwenden. Aber der Kurfürst antwortete, daß ein Bet- und Lehrhaus nie profanen Zwecken dienen solle, und bot Alles auf, Sanct Afra zu erhalten.

Das zuerst benutzte Gebäude war schon 1555 bis 1556 durch ein besonderes, an die Kloster-Gebäude angrenzendes Haus ergänzt worden, welches außer einer Lehrerwohnung eine Classe und den größeren Theil der Wohn- und Schlafkammern der Schule, Zellen zu je drei Insassen, enthielt. Nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges waren sämmtliche Gebäude verfallen. Jetzt wurde nun auf dem von einer Domherrencurie eingenommenen Raume – demselben Platz, welcher auch jetzt die Schulgebäude trägt – ein Neubau aufgeführt: 1674 bis 1675 der Westflügel mit der sogenannten „Krankenburg“, 1688 bis 1689 die Südseite mit dem Festsaal und dem Schlafsaal und 1716 bis 1727 die Ostseite mit Classen und Schülerwohnungen. König August der Zweite war es, welcher nicht nur diesen letztgenannten größeren Bau aufführen ließ, sondern auch eine neue Schulordnung veranlaßte und bestätigte. Ein Lehrer der Mathematik, ein Sprach- und Tanzmeister wurden angestellt, die Lehrer-Gehalte und die Zahl der Schüler erhöht.

Damit beginnt eine neue Aera für Sanct Afra.

Jetzt erst ist das Losungswort gefunden, daß es nicht nur gelte die männliche Jugend in das classische Alterthum einzuführen, sondern daß der rechte Segen der Reformation der sei, auch neue Bildungs- und Wissenselemente in alle Kreise zu tragen.

Dies war die Schule, aus welcher Männer hervorgegangen sind wie K. Chr. Gärtner, 1728, der Herausgeber der „Bremer Beiträge“, G. W. Rabener, 1729, Chr. F. Gellert, 1715, J. H. Schlegel, 1731, Lessing und von Carlowitz, 1741, Samuel Hahnemann, 1770, und viele Andere, die sich Ruf und Ruhm erworben oder im kleineren Kreise zu den verdienten Männern zählen, während aus früheren Zeiten als hervorragende Afra-Schüler etwa Ulrich Grosse aus Leipzig, der sich gleicher Weise als Chirurg und Advocat auzeichnete, und Paul Fleming[WS 1], der geistliche Liederdichter, zu nennen wären.

Schrieb Lessing auch später einmal an seinen Vater: „Ich habe es in Meißen schon geglaubt, daß man Vieles daselbst lernen muß, was man in der Welt gar nicht brauchen kann, und jetzo sehe ich es noch viel deutlicher ein“, so lobte er andererseits wieder, wie die in Meißen verbrachten Jahre zu den glücklichsten und lernfreudigsten seines Lebens gehört hätten, auch mit dadurch, daß ihm in einsamer Zelle so viel Zeit zum Selbststudium, zu seinen geistigen Arbeiten geblieben.

Indessen brachte auch diese neue Aera der Sanct Afra-Schule schwere Jahre; denn die Schrecken des Schlesischen Krieges brachen über Meißen herein. Im Winter 1745 bis 1746 verwüsteten und plünderten preußische Truppen das zu Afra gehörige Klostergut und benutzten Sanct Afra selbst als Lazareth. Lessing berichtete darüber: „Es sieht in der ganzen Stadt kein Ort erbärmlicher aus als unsere Schule. Sonst lebte Alles in ihr; jetzo erscheint [435] sie wie ausgestorben Das Cönacul ist zu einer Fleischbank gemacht, und wir sind gezwungen in dem kleinen Auditorium zu speisen.“

Aehnliches geschah auch wieder 1757, 1758 und 1760, sodaß es dieser Ungunst der Zeitereignisse gegenüber großer Anstrengungen bedurfte, die Schule gedeihlich weiter zu führen.

Im Jahre 1812 wurde an der Ostseite des Gebäudes ein geräumiger Speisesaal und die Bibliothek eingerichtet. Die alten Klosterzellen verschwanden, Schlafsäle und heizbare Wohnzimmer traten an ihre Stelle. Der sogenannte „Zwinger“ ward angekauft und zu Spielplätzen für die Jugend eingerichtet, die unter herrlichen Lindenbäumen in diesem großen, rings von hoher Mauer umgebenen Garten sich nun in den Freistunden ergehen konnte – wo später auch stattliche Turngeräthe sich erhoben, als das Turnen nicht mehr wie sonst für staatsgefährlich galt. Auch die hohe Mauer wurde zur Hälfte abgetragen und so den Jünglingen gestattet, über sie hinwegzusehen. Mehr und mehr war demnach der klosterartige Charakter verschwunden; die Fortschritte der Zeit gingen auch hier nicht spurlos vorüber, und sie zwangen schließlich zu einer umfassenderen That.

Schon im October 1870 gelangte ein Vortrag des Afrarentamtes nebst einem Neubau-Entwurf des Amtsmaurermeister Naumann von Meißen an das Ministerium des Cultus, in welchem darauf aufmerksam gemacht ward, daß die Schlafsäle des alten Gebäudes zu eng geworden, daß die Schülerstuben zu dunkel und niedrig und die Localitäten des Parterre, Lehrzimmer, Festsaal etc. dumpfig und ungesund seien. – Diese Vorlage konnte erst in der Sitzungsperiode des Landtages von 1873 bis 1874 vorgelegt werden; zwar genehmigte die Zweite Kammer im Princip den Bau der Schule auf Staatskosten, lehnte aber für diesmal den von der Regierung vorgelegten Entwurf zu demselben, sowie die dazu geforderte Summe von 300,000 Thalern ab und ersuchte die Regierung, dem nächsten Landtag einen neuen Plan nebst billigerem Kostenanschlag vorzulegen. Dies geschah mit dem Entwurf des Baurath Müller in Leipzig; veranschlagt auf 666,800 Mark, ward derselbe 1875 der Ständeversammlung vorgelegt und am 1. März von der ersten, am 5. April von der zweiten Kammer bewilligt. Am 18. April 1876 that man den ersten Hammerschlag, um den Neubau vorzubereiten, begann mit Abbruch der Westseite des alte Baues, schloß auch im August mit Baumeister Hartwig aus Dresden den Hauptvertrag über die Ausführung des Neubaues nach dem Müller’sche Entwurf, und schon am Königs-Geburtstag des folgenden Jahres ward unter entsprechender Feierlichkeit der Grundstein gelegt. Da man zuerst nur den einen Flügel niederriß und baute, so konnten die Schüler in dem andern untergebracht werden. Die in der Südwestecke des Zwingers neu erbaute Turnhalle wurde schon am 1. November 1876 dem Gebrauch übergeben und diente einstweilen als Aula. Sie ist in edlem und doch zweckentsprechendem Stil gebaut und besitzt eine Hauptzierde in dem großen von Hübner, Scholz und Grüden für den Einzug der sächsischen Truppen in Dresden gemalten Bild. Ein Jahr später fand das Hebefest des vollendeten West- und Südflügels statt, welcher zu Pfingsten 1878 bezogen wurde.

Jetzt steht der ganze Bau vollendet da. Die beigegebene Illustration überhebt mich der Pflicht, das Aeußere des Neubaues zu schildern; so wird es genügen, wenn ich ein paar Angaben über die innere Einrichtung hier anfüge. Das Souterrain enthält im Westflügel: zwei Winterkegelbahnen und sieben Badestuben, im Südflügel: Vestibül mit Ausgang nach dem Garten und die Heizerwohnung, im Ostflügel: Keller, Brunnen und daran gebautes Kesselhaus. Im Parterre befinden sich acht Classenzimmer, ein physikalisches Lehrzimmer, die Schülerbibliothek und die Sammlungen, ein Zeichensaal und vier Musikzimmer, der Speisesaal, ein Lehrerzimmer und die Hausmeisterwohnung. Im ersten Stock sind zehn Wohnzimmer mit zehn Schüler-Garderoben, der Betsaal, die Wohnung des Rectors und des Wocheninspectors. Der zweite Stock enthält die prachtvolle Aula (Festsaal), den Gesangssaal und Tanzstundensaal, drei Schlafsäle, zwei Waschsäle, die Schulbibliothek und Lesezimmer. Außer der Haupttreppe, mit einem großartigen und geschmackvollen Vestibüle, befindet sich noch eine Nothtreppe im Westflügel; die Eingangsthür, zwischen den Schlafsäle, ist für gewöhnlich geschlossen; unter einer Glastafel in einer Fensternische ist der Schlüssel dazu; die Treppe mündet im Freien. Auch im Ostflügel befinden sich noch zwei Treppen.

Alles ist den Anforderungen der Neuzeit entsprechend eingerichtet: Centralheizung mit starker Ventilation, Gasbeleuchtung, Wasserhebung aus der Anstalt der Gebrüder Sulzer in Winterthur in der Schweiz. Besondere Sorgfalt ist auf die Schlafsäle verwandt, welche absichtlich ohne Gas belassen sind.

Die Illustration zeigt, daß die neue Schule genau auf der Stelle der alten steht. Was die neue an Ausdehnung gewonnen, hat leider der Garten und Zwinger einbüßen müssen. Auch die herrlichen Lindenreihen der frühern Zeit sind gefallen; die Natur muß eben allenthalben der Cultur weichen.

Möge der Geist der Humanität des classischen Alterthums mit dem des zeitgemäßen Fortschrittes vereint auch in dem neu errichteten Heim deutscher Jugendbildung segensreich weiter walten! Die Tüchtigkeit des seit 1874 wirkenden Rectors Peter und ein berufseifriges Lehrercollegium, sowie die nach gesunden Principien geführte Rentamtsverwaltung des Hofrath Loth lassen das Beste hoffen.

Louise Otto.




Ein Volkskämpfer aus der Chartistenzeit.
Von Karl Blind.


Geschichtliche Rückblicke auf den Gang der neueren politische Reformbewegung in England, auf ihre Persönlichkeiten, ihre Kämpfe und Erfolge sind, namentlich im gegenwärtigen Augenblicke, für den deutschen Liberalismus fast eine Nothwendigkeit geworden. Nicht allein Belehrung nach verschiedenen Seiten hin kann er aus ihnen schöpfen, sondern vor Allem auch Mahnung zu überzeugungsfester Beharrlichkeit in dem endlosen Ringen mit immer neu sich wieder aufthürmenden Hindernissen.

Den Ausgangspunkt und ersten bedeutsamen Anstoß zu der Reform des englischen Staatswesens bildete die zwischen 1838 und 1851 dort stattgehabte tiefgreifende Volksbewegung, welche die neuere Geschichte unter dem Namen des Chartismus kennt. Diese Bezeichnung erhielt sie von der durch die Anhänger des Fortschritts im Jahre 1838 entworfenen „Volks-Charte“ („The People’s Charter“), die aus „sechs Punkten“ bestand und nichts verlangte, was ein Liberaler gemäßigtster Richtung nicht hätte unterschreiben können. Von der Stärke dieser Bewegung, die mehr als ein Jahrzehnt lang England in Athem erhielt, können wir uns heute kaum noch einen Begriff machen. Nur Diejenigen, die ihre Nachklänge noch mitempfinden, sind sich des gewaltigen Zuges bewußt, der damals durch das englische Volk ging. Nur sie auch erkennen voll und klar den inneren Zusammenhang, das geistige Band, das die späteren erfolgreichen Reformbestrebungen von 1866 bis 1868 mit den obengenannten, denen der Jahre 1838 bis 1851, verknüpft.

Die Quelle der Bewegung jener Zeit und ihre Hauptursache lag in einer Einrichtung, die man nicht beseitigen wollte, in der Zusammensetzung des Parlaments, das den Volkswillen zur Geltung bringen sollte und doch nur das Zerrbild einer Vertretung des Volkes, eine mit entscheidender Macht über die Gesetze und das Geschick des Landes ausgerüstete Lüge war. Von den zehn Millionen mündiger Männer Großbritanniens war durch das bestehende Wahlgesetz nur einer Million das Stimmrecht verliehen, die im Grunde aber auf höchstens etwa 800,000 sich verminderte, wenn man alle die Bevorzugten auf die einfache Zahl herabsetzte, welche durch ihren Besitz in Stadt und Land doppelt als Wähler eingeschrieben waren. Das war eine Ungerechtigkeit, die zum Himmel schrie, und endlich auch einen Mann wie den Quäker und Friedensfreund John Bright zu der Ueberzeugung führte, es könne und dürfe ein solches Wahlgesetz nicht länger aufrecht erhalten werden.

Heute trägt John Bright den Titel eines „Sehr Ehrenwerthen“ (Right Honorable). In Folge der gelungenen Reform ist er damals zum Rang eines Cabinetsministers aufgestiegen. In [436] jenen Tagen aber, die dem Siege der volksthümlichen Forderungen vorhergingen, hatte er die Massen aufgefordert, „die Straßen von Trafalgar Square bis zur ehrwürdigen Westminsterabtei mit einer Menschenmenge zu erfüllen“, um auf diese Weise gegen die widerwilligen Gesetzgeber einen heilsamen Druck zu üben. Seine brieflichen Rathschläge an die Arbeiter der Reformliga waren womöglich noch entschiedener. Ich spreche aus persönlicher Kenntniß dessen, was im engeren Kreise vorging.

Wer heute ganz unbefangen den Gang der Dinge überschaut, wird sich sagen müssen, daß die 1866 von Edmund Beales, dem Obmann der Reformliga, der jetzt ein geachteter Richter ist, von Bradlaugh, Cremer, Odger und anderen Volksführern gezeigte Entschlossenheit das einzige Mittel zur Verhütung einer gewaltsamen Lösung war, die in London zu den entsetzlichsten Auftritten geführt hätte. Kurzsichtige Reactionäre freilich wollten diese Gefahr frech herausfordern. Gern hätten sie John Bright das Ende gewünscht, das Herrn Gordon, dem liberalen Führer in Jamaica zu Theil ward, einem Farbigen von großer Tüchtigkeit und hoher Begabung. Ein bartloser Lieutenant ließ diesen Mann kurzer Hand „standrechtlich“ an einem Baume aufknüpfen. Mit solchen Mitteln – hätte ihre Anwendung je auch nur versucht werden können – wären freilich auf englischem Boden die Vertreter des stockigen Stillstandes nicht zu ihrem Ziele gelangt. Heute wissen auch sie, daß das Reformgesetz von 1868 dem Lande recht eigentlich den Frieden wiedergegeben, ihnen selbst sozusagen als Rettung wider Willen gedient hat.

Und doch sind kaum erst vier Jahrzehnte verflossen, seit die chartistische Bewegung anfing. Die „sechs Punkte“, die das Parteiband derselben gebildet hatten, hießen:

1) Allgemeines Stimmrecht. 2) Geheime Abstimmung bei den Wahlen. 3) Jährliche Erneuerung der Volksvertretung. 4) Gleichmäßige Vertheilung der Wahlbezirke. 5) Abschaffung der Vermögensbestimmung für die Wählbarkeit. 6) Tagegelder für die Abgeordneten.

Abgesehen von Punkt 3 sind alle diese Einrichtungen jetzt sogar in Deutschland, entweder für die Vertretung im Reichstag, oder in den einzelnen Landtagen errungen. Kaum irgend welchen Liberalen von Namen giebt es mehr in England, der nicht wenigstens grundsätzlich fast sämmtliche Punkte jener Volkscharte als berechtigt anerkennte, was auch seine Bedenken gegen die Möglichkeit der alsbaldigen Durchführung sein mögen.

Neben den „sechs Punkten“ liefen jedoch noch andere, bald rein humane und bürgerlich-freisinnige, bald demokratische und proletarisch-socialistische her, je nach der besondern Entwickelung in den einzelnen Städten und Landestheilen, oder innerhalb gewisser Gruppen mit besonderen Führern. Auch in Bezug auf die Methode der Durchsetzung waren die Ansichten innerhalb der Partei verschieden. Während man auf der einen Seite nur gesetzlich-friedliche Mittel wollte, gab es eine andere Gruppe, die für den äußersten Nothfall auch eine gewaltsame Erhebung in’s Auge faßte.

Trotz aller dieser inneren Verschiedenheiten aber blieb doch stets der rein politische Zweck, die auf staatliche Mündigkeitserklärung von Millionen abzielende Volks-Charte, das einigende Band und hochgehaltene Wahrzeichen der liberalen Gesammtheit, und den betreffenden Punkten hat man, wenn auch spät, endlich doch wieder Aufmerksamkeit schenken, ja, ihnen schon eine teilweise Erfüllung angedeihen lassen müssen. Haben dabei die besten Häupter des Chartismus neben jener rein politischen Reform auch die Hebung der tief vernachlässigten Massen in Stadt und Land erstrebt, so hatte das gleichfalls seine guten und gewichtigen Gründe. Ich führe nur ein Beispiel an. Wenn, bis in die letzten Jahre herein, zwanzig, dreißig, vierzig, fünfzig, ja sechszig Procent der Bevölkerung in einzelnen Grafschaften Englands des Lesens und Schreibens unkundig waren, und erst in neuester Zeit ein bedeutender Schritt zur Herstellung des allgemeinen Volksunterrichts geschehen ist – kann man sich da über die leidenschaftliche Entrüstung der früheren Reformer wundern? Kann man sich wundern, daß aus solchen Zuständen, wenn einmal die Tiefen der Gesellschaft erregt waren, auch phantastische Gebilde emporschossen?

Das jüngere Geschlecht erfreut sich einer ganzen Reihe von Errungenschaften, die nunmehr im Nationalbewußtsein als ganz selbstverständlich gelten. Aber es weiß kaum mehr, wofür und mit welchen Opfern die Väter das zu erstreiten hatten. Selbst auf die Namen der einst in Liebe und Haß viel Genannten hat sich das Dunkel, wenn nicht der Schleier der Vergessenheit gelagert. Der spätere Geschichtsschreiber jedoch, der den Zusammenhang der Ereignisse überblickt, wird der muthigen Vorläufer einer erzielten oder noch zu bewirkenden Verbesserung in Staat und Gesellschaft nicht vergessen. Zu den hervorragendsten oder thätigsten Führern des Chartismus zählten das Unterhausmitglied Feargus O’Connor, Lovett, Hetherington, Harney, Ernst Jones und Bronterre O’Brien. Mit Ausnahme von Lovett, der, so viel ich weiß, noch als hochbetagter Greis im Norden Englands in stiller Abgeschiedenheit lebt, und von Georg Julian Harney, sind alle Genannten nicht mehr unter den Lebenden. Von dem Letzteren will ich in den nachfolgenden Zeilen sprechen, da er nach langjähriger Abwesenheit erst unlängst aus Amerika auf den Boden seiner Heimat zurückgekehrt ist.

Georg Julian Harney war der erste bedeutendere Mann der englischen Volkspartei, den ich nach dem Sturze unserer deutschen Erhebung von 1848 bis 1849 hier kennen lernte. Auf Englands schützenden Boden tretend, kam ich in näheren Verkehr mit dem chartistischen Führer, dessen ganze Geistesrichtung der Entwickelung der kämpfenden Freiheitsparteien auf dem Festlande mit Vorliebe zugeneigt war.

Die Jugend Harney’s, der sich aus den Reihen des Volkes emporhob, war bereits durch seine eifrige Theilnahme an den politischen Kämpfen bezeichnet. Im Jahre 1817 zu Deptford in Kent geboren, wirkte er im Alter von siebenzehn Jahren mit Hetherington zusammen in jener großen Bewegung, die schließlich zur völligen Befreiung der Presse führte.

Ein starker Funken des Feuers jener „Männer von Kent“, welche in der Vorhut Harald’s gegen Wilhelm den Eroberer bei Hastings und abermals bei Swanscombe fochten, loderte schon in der jugendlichen Brust Harney’s. Englische Aristokratensöhne, der Schule kaum entwachsen, treten in die politische Laufbahn, ja, in’s Parlament ein, um der Nation Gesetze geben zu helfen. Kein Wunder, daß zu einer Zeit, wo auf der Presse noch der Steuerdruck lag, wo die Rede- und Versammlungsfreiheit weitaus nicht so festgegründet war, wie heute, wo der Kreis der Wahlberechtigten eine ganz unverhältnißmäßig kleine Minderheit gegenüber der Zahl der Bevölkerung in sich schloß und der Whig- und Tory-Adel noch die engherzigsten Ueberlieferungen sogar gegenüber dem Bürgerstand pflegte – kein Wunder, daß unter solchen Verhältnissen auch ein feuriges Jünglings- oder Knabenherz tapfer für die Freiheit schlug.

Seine kleinen und großen Proben legte Harney bald genug ab. Wegen Verbreitung „ungesetzlicher und aufrührerischer Schriften“ – das heißt solcher, die des seitdem abgeschafften Regierungsstempels entbehrten – wurde er wiederholt gefänglich eingezogen. Bei der Nationalconvention der chartistischen Partei, die 1839 mehrere Monate lang in London tagte, erschien er, der Zweiundzwanzigjährige, als Vertreter für Newcastle am Tyne. Sein Muth, wie seine geistige Thätigkeit, erwarben ihm rasch Auszeichnung.

Die Verwerfung der mit 1,280,000 Unterschriften bedeckten Bittschrift im Unterhaus, wo nur 46 Stimmen für, 255 aber sich gegen den Inhalt derselben erklärten, erzeugte die tiefste Erbitterung. Die Partei der Ungestümeren wuchs gewaltig, namentlich unter den Bergleuten von Durham und Northumberland. Waren schon im Anfang der dreißiger Jahre die furchtbaren Vorgänge in Bristol und die Drohung, „hunderttausend Mann stark von Manchester nach London zu marschiren“, nöthig gewesen, um den Widerstand gegen eine Reformbill der damaligen Liberalen zu überwinden, so tauchten auch jetzt wieder Rathschläge für Anwendung ähnlicher Mittel auf. Nächtliche Versammlungen bei Feuerschein hielten die Erregung allüberall wach.

Eine zu Birmingham gehaltene Rede zog Harney abermals die Haft zu. Bereits war er so volksbeliebt geworden, daß seine Abführung in’s Gefängniß in verstohlener Weise betrieben und eine Abtheilung Dragoner aufgeboten werden mußte, um einen Befreiungsversuch auf dem Wege dorthin zu verhindern. Nach seiner Freilassung erschien er 1841 im West-Riding von Yorkshire bei einer Parlamentswahl, wo Lord Morpeth und Lord Milton als Whig- und die Herren Denison und Stuart Wortley als Tory-Candidaten auftraten, als dritter, chartistischer Bewerber. Wegen [437] des so äußerst eng begrenzten Stimmrechts war zwar keinerlei Hoffnung auf Wahl für ihn vorhanden; die chartistische Partei huldigte jedoch dem Grundsatz, sogenannte „Rednercandidaten“ aufzustellen, um auf diesem Wege jedenfalls ihre Gesinnungen zur öffentlichen Kenntniß zu bringen. In der That zeigte die dabei vorgenommene Händeschau – ein Ueberbleibsel des älteren, viel ausgedehnteren Wahlrechts in der früheren Geschichte Englands – oft eine überwiegende Mehrheit für den volksthümlichen Bewerber.

Eine heftige Verfolgung gegen die Führer der chartistischen Partei wurde in den Jahren 1842 bis 1843 von den Behörden unternommen. Zusammen mit Feargus O’Connor und siebenundfünfzig Anderen zog man Harney zu Lancaster wegen angeblicher „Verschwörung und versuchter Anstiftung von Aufruhr zum Zweck der Veränderung der Landesverfassung“ vor Gericht. Für diejenigen Angeklagten, die keinen Anwalt aufzustellen vermochten, wurde Harney aus ihrem Kreise heraus als Sprecher zur Selbstvertheidigung erwählt. Man rühmte die mächtige Beredsamkeit, die er dabei entwickelte. Sein Name wuchs zusehends innerhalb der Partei.

Wiederum erschien er als „rednerischer Candidat“ bei der Parlamentswahl von 1847; diesmal zu Tiverton, in Devonshire, als Gegner Palmerston’s, dessen auswärtige Politik er mit Schärfe angriff. Der berühmte Staatsmann gestand privatim selbst, daß er eine einschneidendere Kritik noch nie hatte aushalten müssen. Die Händeschau der Versammelten zeigte eine überwiegende Mehrheit auf Seiten des Volksführers. Doch gewählt konnte Harney nicht werden. In späteren Jahren, nachdem er nach den Vereinigten Staaten gegangen war, erkundigte sich Palmerston bei einem befreundeten Parlamentsmitgliede angelegentlich nach dem Schicksal des ehemaligen Widersachers, den er „bestens zu grüßen bat“ – wie denn überhaupt Palmerston nicht leicht politische Feindschaft nachtrug.

Ehemals Redacteur des von Feargus O’Connor gegründeten „Northern Star“, leitete Georg Julian Harney später eigene Wochenschriften: die „Democratic Review“, den „Friend of the People“, den „Star of Freedom“ etc.. Zu den Verbannten der Volksparteien aller Länder, zu Mazzini, Ledru-Rollin, Louis Blanc, zu den deutschen, ungarischen und polnischen Demokraten, stand er in freundschaftlichem Verhältniß. Vor mir liegen seine Veröffentlichungen aus jenen Tagen der stürmischen Volksbewegung – treue Zeugnisse seines warmen Gefühls, seiner oft scharfblickenden Voraussicht.

Die „Times“ stand damals auf Seite der habsburgischen Reaction und wußte selbst für Haynau und Genossen ein Wort einzulegen. An Harney aber hatten die versprengten Freiheitsmänner aller Völker stets einen festen Vertheidiger gegen schnöde Verleumdung. Was er über den Frauenpeitscher in Ungarn, vor dessen Ankunft und nach seinem Empfang in London, schrieb, ist, merkwürdig genug, thatsächlich sogar Palmerston aus der Seele geschrieben gewesen. Das „Leben von John Henry Temple, Viscount Palmerston“, herausgegeben von dem Unterhausmitgliede Evelyn Ashley, liefert den Beweis dafür.

Auch die schleswig-holsteinische Sache, die Harney ursprünglich – allgemeiner Ziele wegen – gern vertagt gesehen hätte, fand zwischen 1848 und 1850 an ihm einen entschiedenen Verfechter innerhalb der demokratischen Grundsätze. Das deutsche Volksthum, das deutsche Recht vertrat er gegen die „kosakische Unterjochung“. Manches glühende Wort gegen dänische Tyrannei und ihre Bundesgenossen in England, die Hochtories und die selbstsüchtige Gruppe der englischen Manchesterschule, sowie gegen das Czarenthum zur Zeit des Nikolaus findet sich von ihm in seinem „Volksfreund“.

Im engen Rahmen dieser Behandlung ist es nicht möglich, auch nur in den Hauptzügen eine genügende Darstellung des Verlaufes der chartistischen Bewegung zu geben. In Kürze sei daher nur erwähnt, daß die Sprengung des Massenzuges, der am 10. April 1848 die Bittschrift für allgemeines Stimmrecht dem Parlament vorlegen wollte, der Partei die entscheidende Niederlage bereitete. Diese Sprengung vollzog der Herzog von Wellington, dessen geschichtliches Verdienst in den Napoleonischen Kriegen ein unbestrittenes bleibt, der aber in innerer Politik ein hartnäckiger Alt-Tory war, der mit der äußersten Heftigkeit der bürgerlichen Gleichstellung der Katholiken widerstanden und in den dreißiger Jahren den damaligen Häuptern der liberalen Partei offen gedroht hatte, ihnen „die Köpfe von den Schultern zu nehmen“. Dem Herzog von Wellington stand 1848 die Besorgniß eines Theiles des Bürgerstandes vor den etwaigen Ruhestörungen Seitens der Chartisten bei. Im Gefolge der Niederlage vom 10. April kamen dann die Processe und die Verbannungen.

Unentwegt führte Harney noch über drei Jahre lang die Propaganda eifrig und opferfreudig fort, bis die Mittel nicht mehr reichten. In der geschlagenen Partei, wie das immer der Fall, brach heftiger Zwiespalt aus. Feargus O’Connor, dessen Geist sich schon zu trüben anfing, trug zu diesen Zerrüttungen bei. Nicht leicht entschloß sich Harney zum Weggang aus England. Die Freiheit, wie die Größe seines Volkes war ihm stets theuer. „Weil die gedrückten Massen ihr Recht noch nicht erlangt haben,“ rief er aus, „ist das ein Grund, um unser Reich in Stücke fallen zu lassen, unsere Ansiedelungen und Besitzungen ihrem Schicksal, vielleicht einem fremden Eroberer preiszugeben? Nimmermehr!“ Bitter griff er diejenigen an, die des persönlichen Mammonsdienstes halber eine falsche Sparsamkeit des Staates predigen und dadurch der Auflösung des Reiches vorarbeiten. Die Ehre und die Stellung der Nation waren ihm nie gleichgültig.

Einige Zeit als Redacteur eines Blattes in Jersey wohnhaft, wo er sich nach dem Tode seiner ersten Gattin wieder vermählte, wandte sich Harney endlich 1863 den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika zu. Nach einer Reise durch den Süden und den Westen der Republik nahm er in Boston, an der Wiege der amerikanischen Unabhängigkeit, eine redactionelle Stellung an der „Commonwealth“ ein und half die Sache der Union und der Sclavenbefreiung dort mit der Feder auskämpfen. Kurz darauf erhielt er das Secretärsamt in der Staatsverwaltung von Massachusetts, das er, mit geringer Unterbrechung, bis auf die neueste Zeit herab eingenommen hat. Er ist auch drüben ein warmer Freund seines Geburtslandes geblieben, hat der Nation nicht nachgetragen, was er einst gelitten, ist nicht „vaterlandslos“ geworden, sondern – wie seine oft tieferregten brieflichen Aeußerungen und seine Hinweise auf Stellen in Byron zeigten – den Entwickelungen in England immer mit voller Theilnahme gefolgt.

Wie fast die ganze ältere Demokratie, ließ auch Harney sich in der orientalischen Frage nicht für die Zwecke des Czarenthums und der ritualistischen Clerisei einspinnen. Er trat vielmehr mit einer auf eigene Kosten herausgegebenen Schrift: „Der Kreuzzug gegen die Türken“ heraus, in welcher er die neue Sophisterei, die uns die Ausdehnung der russischen Macht als das wahre Mittel für die Wiedergeburt des Ostens verkaufen möchte, meisterhaft geißelte.

Noch gedenkt Mancher von den überlebenden Kämpfern in treuer Erinnerung des Volksführers, der nach so vielen Jahren wieder den Boden eines vielfach veränderten England betreten hat, und dies England hat alle Ursache zu wünschen, daß eine so treffliche in Erfahrung gereifte Kraft dem Lande dauernd wiedergewonnen werden möchte.




Die Großfuß-Hühner.
Von Dr. E. Baldamus.


Noch heute – nach 37 Jahren – erinnere ich mich sehr lebhaft des gewaltigen Eindrucks, den eine Rede des Prinzen von Canino, Charles Lucien Bonaparte, im Jahr 1841 auf mich machte. Der geniale, wissensdurstige Naturforscher hatte sie gelegentlich „der dritten Versammlung italischer Gelehrter“ in Florenz gehalten; darauf war sie gedruckt worden, und der Prinz hatte ein Exemplar dem Prof. Dr. J. F. Naumann in Ziebigk bei Köthen zugesendet.[1] Bei ihm, meinem hochverehrten Lehrer, [438] fand ich sie und verschlang sie, so weit meine mangelhafte Kenntniß des Italienischen sie zu verstehen oder vielmehr zu errathen mir verstattete. Was ich aber verstanden und errathen, das war mir vollkommen neu und unbekannt. Und so ging es, der kleinen Schrift gegenüber, wohl allen Ornithologen damals. Ich hatte denn auch keine Ruhe, bis ich Alles verstand. Mit Hülfe von Grammatik und Lexicon lag nach etwa vierzehn Tagen die vollständige Uebersetzung der hochinteressanten Rede schwarz auf weiß vor mir – und ich konnte diese Uebersetzung damals fast auswendig. Schade, daß sie nicht gedruckt wurde! Sie wäre dessen heute noch werth.

Mein besonderes Interesse erregte in der Broschüre folgende Stelle, welche uns mitten in unser Thema führen wird:

„Zu den auffallendsten Anomalien der Thiere Neuhollands werden Sie (durch J. Gould’s damals erscheinendes epochemachendes Werk ‚Die Vögel Australiens’) mit Vergnügen noch einige andere hinzukommen sehen, von denen man bis heute keine Ahnung hatte. So die Nistweise eines Vogels, über den man bisher in Zweifel war, ob er zu den Hühnern oder zu den Geiern gehöre. Es pflegen sich nämlich viele dieser Vögel zusammenzuthun, um blos mit Hülfe ihrer Füße große Haufen vegetabilischer Stoffe, welche leicht in Fäulniß übergehen, zusammenzuscharren und zur Aufnahme der Eier zuzubereiten, welch letztere sie, eines einen Fuß weit vom andern entfernt, mit dem spitzen Ende nach unten tief in die Nistwälle hineinstellen etc..“

Man glaubte damals noch ziemlich allgemein, daß der Strauß das Brütgeschäft der lieben Sonne überlasse; man wußte, daß die Eier der Süßwasser-Taucher oft zur Hälfte im Wasser liegend – gleichsam im warmen Wasser – von den Eltern ausgebrütet werden: aber von solch wunderbarer Nist- und Brütweise hatte derzeit kein Naturforscher eine Ahnung. Gould’s und seines Gehülfen Gilbert’s Entdeckungen begegneten deshalb manchem Zweifel, wenn auch nicht bezüglich der verhältnißmäßig enorm großen Eier, von denen einige schon zu Ende der zwanziger Jahre durch Salomon Müller an das Leydener Museum eingesendet worden waren, wo ich sie später gesehen habe.

Und doch ging es mit dieser Entdeckung wie mit so mancher andern: sie liegen zuweilen Jahrhunderte lang vergraben, und kommen erst durch spätere wiederholte Entdeckung zu Ehren.

Schon zu Anfang des vorigen Jahrhunderts nämlich veröffentlichten die „Philosophical transactions“ – Jahrgang 1703 – ein Verzeichniß der auf den Philippinen beobachteten Vögel auf Grund handschriftlicher Mittheilungen des mährischen Jesuiten Pater G. J. Camel, dessen Gedächtniß Linné bekanntlich in dem Huldigungsnamen der edlen „Camellia“ erhalten hat. Unter den Mittheilungen Camel’s befindet sich nun auch folgende:

Avis ovimagna – das große Eier legende Huhn – von den Eingeborenen Tavon genannt – kleiner als das gewöhnliche Huhn – legt rostrothe Eier, so lang wie Gänseeier, aber weniger dick, und zwar 40, 50 bis 60 Stück an sandigen Seeküsten, Flußufern und selbst an sandigen Stellen der Gebirge, vier Spannen tief eingescharrt und der Sonne zum Ausbrüten überlassen. …“

Bald genug fand sich jetzt, daß es sich hier um eine ganze Familie von Vögeln handelte, welche die neuere Ornithologie mit vollem Recht unter dem Namen „Megapodidae“ von den übrigen Gliedern der Hühnerordnung wegen ihrer so auffallenden Fortpflanzung abgetrennt hat. Von den für dieselbe gebildeten Trivialnamen sind die der „Wallnister“, „Hügelhühner“ etc. nicht auf die gesammte Familie zu beziehen, da, wie wir sehen werden, die Mehrzahl der gegen zwanzig gegenwärtig beobachteten oder doch bekannten Arten weder Wälle noch Hügel, sondern Gruben scharrt; richtiger ist als Gesammtname Großfuß- oder Scharrhühner.

Ich übergehe die Beschreibung der verschiedenen Arten, von denen man die bekannteren in unseren Museen, mehrere auch in zoologischen Gärten findet und von denen unsere Illustrationen drei Arten zur Anschauung bringen. Das nicht mit abgebildete Großfußhuhn von Niua-fou, Megapodius Pritchardi, welches, wie den Lesern erinnerlich sein wird, der Gegenstand eines polemischen Meinungsaustausches zwischen der „Neuen Freien Presse“ und der „Gartenlaube“ geworden ist, gleicht im Allgemeinen der einen gezeichneten Art Megapodius Fraicineti, nur daß bei Pritchardi der Schopf gänzlich fehlt und die Basis der Schwingen etwas Weiß aufzeigt. Neuerliche Entdeckungen besonders seitens der reisenden Naturforscher des um deutschen Handel und deutsche Wissenschaft hochverdienten Hauses Godefroy in Hamburg, lassen übrigens das Auffinden weiterer Arten auf den kleineren Inseln Centralpolynesiens, dem speciellen Handels- und Erforschungsgebiete des genannten Hauses, als möglich erscheinen.

Was die geographische Verbreitung der Scharrhühner betrifft, so findet man dieselben von den Nikobaren östlich bis Niua-fou durch nahezu 100 Längenkreise und von den Philippinen und Mariannen bis Südaustralien, in einer Ausdehnung von etwa 50 Breitengraden. Auffallend ist zunächst die enge Beschränkung des Vorkommens der meisten Arten auf kleine Inselgruppen oder auf kleine Inseln Malayasiens und Polynesiens, von denen so ziemlich jede ihre besondere Art besitzt, während Neuguinea und Australien – ein Beweis mehr für den früheren Zusammenhang dieser großen Inseln – je drei verschiedene Arten und davon eine oder zwei gemeinsam haben und um so mehr als „Schöpfungscentrum“ der ganzen Familie zu betrachten sein dürften, als auch mehreren der Tiefsee-Inseln zwischen Borneo und Neuguinea einige Arten gemeinsam sind.

Die Lebens- und Fortpflanzungsweise dieser Thiere anlangend, so scheint allen Arten gemeinsam die Vorliebe für einen Aufenthaltsort zu sein, den man als „verkümmerten Wald“ bezeichnen könnte. Alle Forscher stimmen in der Angabe überein, daß sich diese Plätze stets in der Nähe der Seeküste, der Binnengewässer, Lagunen etc. befinden, oder daß sich die Vögel wenigstens zur Legezeit dahin begeben.

Ihre Nahrung besteht aus Baumfrüchten, Sämereien, Insecten, vielleicht auch Pflanzenknospen und Wurzelknollen. Auch verschlucken sie, wie alle Hühnerarten, groben Sand.

Sie scheinen, aber nur zur Legezeit, gesellige Vögel zu sein und, wo sie von den Europäern nicht gar zu sehr decimirt worden sind, noch heute in größerer Anzahl zu leben. Von den Eingeborenen werden sie übrigens ihrer großen und wohlschmeckenden Eier wegen sorgsam geschützt und ihre Eiermagazine fast überall streng überwacht.

Wie alle Hühner an den Boden gewiesen, verlassen sie diesen nur ungern und in der Noth, entziehen sich der Verfolgung meist laufend und fliegen nur bei plötzlicher Ueberraschung auf die untersten Aeste, in solchem Falle leider eine nur allzu leichte Beute des Jägers, während sie im dichten, oft stacheligen Gestrüpp schnell und gewandt dahinrennend schwer zu erlegen sind. Ihr Flug ist übrigens weder besonders langsam, noch sehr ungeschickt, aber von kurzer Dauer.

Die Systematiker haben die Großfußhühner nach deren plastischer Eigenthümlichkeiten in vier Sippen getrennt, von denen zwei, Megacephalon und Leipoa, nur je eine Art, die dritte, Talegalla (Alectura, Catheturus), zwei oder drei, die vierte, Megapodius, vierzehn oder fünfzehn Arten enthalten. Für uns kommt hier mehr ihre Nistweise in Betracht, und in Bezug auf diese kann man sie, wie schon bemerkt, in Wallbauer und Grubenscharrer theilen.

Zu letzteren gehört die Mehrzahl der bis jetzt beobachteten Arten, darunter die größte von allen, das auch im Bilde vorgeführte, durch eine Rückwärtsverlängerung des Schädels, kurze, stumpfe Nägel und einen zart rosigen Hauch des weißen Unterleibes ausgezeichnete „Großköpfige Scharrhuhn“ (Megacephalon Maleo). Wallace, welcher einen der größten Nistplätze an der Nordost-Küste von Celebes besuchte, fand in einer circa eine englische Meile langen, über der Fluthgrenze erhabenen Strandfläche von lockerem Sande allenthalben die vier bis fünf Fuß im [439] Durchmesser haltenden Gruben, in denen die Eier ein bis zwei Fuß tief lagen – zuweilen nur eins oder zwei, oft aber auch sieben bis acht, jedes sechs bis acht Zoll vom andern entfernt. Die Vögel kommen nach seiner Angabe im August und September, wo es wenig oder gar nicht regnet, paarweise und oft zehn bis zwölf Meilen weit zu den Nistplätzen und wählen eine alte Grube oder machen eine neue, indem beide Gatten abwechselnd ausscharren und dabei eine wahre Fontaine von Sand emporwerfen. Wenn die nöthige Tiefe erreicht ist, legt das Weibchen ein Ei und bedeckt es mit Sand, worauf beide Gatten zum Walde zurückkehren. Gegen Ende des dreizehnten Tages kommt dasselbe Paar zum Nistplatze zurück, und das Weibchen legt ein zweites Ei. Nachdem die Eier gelegt und bedeckt worden sind, kümmern sich die Eltern nicht mehr um sie: die jungen Vögel brechen die Schale, arbeiten sich durch den Sand und laufen dem Walde zu.

Aehnlich berichteten über diese und andere Arten der Grubennister alle übrigen Beobachter, Mac Leod, Pritchard und Andere; mir speciell ausführlich, mündlich und schriftlich, Baron von Rosenberg, welcher einunddreißig Jahre in Malayasien zugebracht hat.

Solche Grubennister sind unter andern die meisten Megapodien, und zu diesen zählt denn auch der Megapodius Pritchardi von Niua-fou. Dr. Bennett berichtet über ihn in der Zeitschrift „Proceedings“ nach Mittheilungen des Capitain Mac Leod: „Dieses Huhn lebt in dem buschreichen Innern der Insel Niua-fou in der Nähe der großen, wahrscheinlich aus einem verloschenen Krater entstandenen Lagune, welche die Mitte der Insel einnimmt. An der einen Seite dieser Lagune legen die Vögel ihre Eier zwei Fuß tief unter die Oberfläche des Bodens. Die Zahl der Eier ist verschieden; zuweilen findet man 40 beisammen.“ Pritchard, nach welchem diese Art durch G. R. Gray benannt worden ist, beruft sich auf Angaben der Eingeborenen für die Behauptung, daß die Eier (in einer Grube?) bis zu 200 pyramidenförmig ansteigend gelegt werden.

Ueber die wallbauenden Scharrhühner hat zuerst der verdienstvolle Reisende und Erforscher der australischen Vogelwelt, John Gould, in seinem Prachtwerke „Die Vögel Australiens“ berichtet. Die Entdeckung, daß die von manchen Reisenden für Grabhügel der Australneger gehaltenen Wälle und Hügel „Brütanstalten“ der Großfußhühner seien, machte große Sensation und veranlaßte neue und eifrige Forschungen bezüglich der Lebens- und Nistweise dieser merkwürdigen Vögel.

Gould selber sah von Brüthügeln der drei in Australien heimischen Arten nur den des Talegallahuhnes (Talegalla Lathami) und zwar auch nur den eines in Sydney in Gefangenschaft gehaltenen Vogels, der sich gewöhnlich im Hühnerhofe zu den Haushühnern hielt und einen 10 Fuß hohen Haufen von vegatabilischen Materialien zusammengescharrt hatte. Gould sagt:

„… Der Vogel sammelt einen ungeheuern Haufen todter Pflanzentheile als Unterlage für die Eier und überläßt diese der Wärme, welche durch die Zersetzung des mit Sand oder Erde vermengten Materials entwickelt wird, zum Ausbrüten. Mehrere Paare vereinigen sich zu dem Bau dieser Brüthügel, und zwar schon einige Wochen vor dem Eierlegen. Sie verfahren dabei ebenso wie unsere Hühner beim Scharren, das heißt sie werfen Blätter, Sand, Erde etc. mittels der mit kräftigen Zehen und langen Schaufelnägeln ausgerüsteten stämmigen Beine hinter sich auf einen Punkt zusammen und scharren dabei den Boden ringsum so rein, daß man ziemlich weit umher kein Blatt und keinen Grashalm sieht. Ist der Hügel hoch genug und hat sich die Gährungswärme genügend entwickelt, so werden in eine oben oder seitlich kraterförmig ausgescharrte Grube die Eier armtief und neun bis zwölf Zoll von einander senkrecht, mit dem spitzen Ende nach unten, eingelegt und bedeckt. Eingeborene und in der Nähe solcher Brüthügel lebende Colonisten versicherten, daß man nicht selten aus einem solchen einen Scheffel (Bushel) Eier nehme, welche äußerst wohlschmeckend sind und deshalb sorgfältig aufgesucht werden. Dagegen weichen die Erzählungen der Eingeborenen darin von einander ab, daß die Einen behaupten: die Mütter hielten sich zur Zeit des Auskommens der Junge fortwährend in der Nähe der Hügel auf, um jene zu schützen und zu bedecken, Andere aber versicherten, daß sie sich nach dem Eierlegen nicht weiter um Eier und Junge kümmerten und diese ihren Weg ohne Beistand fänden.“ Einen Nistplatz der Talegallahühner veranschaulicht die eine der beigegebenen Illustrationen.

Ueber den Wallbau einer zweiten australischen Art, des schönen augenfleckigen Scharrhuhns (Leipoa ocellata), liefert Gilbert in einem Briefe an Gould eine der obigen nahekommende Schilderung. Der größte von ihm untersuchte Wall hatte fünfundvierzig Fuß im Umfang und volle fünf Fuß Höhe. Das innere vegetabilische Lager in allen zur Aufnahme der Eier noch nicht vorbereiteten Wällen war feucht und kalt, und Gilbert glaubt deshalb, daß der Vogel dasselbe jedesmal vor dem Eierlegen umwende und mit Erde bedecke. Alle oben gerundeten Hügel enthielten Eier, während die ohne Eier weder oben, noch an den Seiten abgerundet, an letzteren vielmehr höhlenartig ausgescharrt waren. Die genauesten Beobachtungen speciell über diese Art hat übrigens Sir George Grey, der als Forscher und Förderer der Naturwissenschaften hochverehrte Gouverneur von Australien, der Capcolonie und Neuseeland, gemacht. Nach ihm legt dies Scharrhuhn zweimal im Sommer je acht bis zehn Eier, dabei täglich nach Sonnenaufgang eins. Er beobachtete die Vermehrung von Gelegen aus acht Eiern, wovon die ersten vier Eier in ein Quadrat oder einen Rhombus zu liegen kamen; die vier nächsten wurden dann zwischen die vier ersten gelegt.

Wie mehrere Eingeborene ihm übereinstimmend versicherten, gehört immer nur ein Paar zu einem Hügel, der alljährlich ausgebessert oder neu angelegt wird. Das Männchen hilft dem Weibchen beim Oeffnen und Zudecken des Hügels, und beide benutzen denselben weiter, auch wenn man ihn einige Mal der Eier beraubt hat. Vom Beginn des Baues bis zum Auskriechen des letzten Jungen vergehen vier Monate. Die Jungen scharren sich selbst heraus, ohne daß die Mutter ihnen beisteht. Es kommen in der Regel alle auf einmal heraus, zuweilen auch nur ein paar mit einander. Die Mutter hält sich in der Nähe, kommt auf den Ruf der Jungen herbei und führt dieselben, wie unser Haushuhn.

Auch über eine dritte australische Art, von Gould für neu gehalten und Megapodius tumulus (wallbauendes Großfußhuhn) oder Junglehuhn benannt), hat der treffliche und unermüdliche Gilbert noch kurz vor seinem jähen Tode interessante Beobachtungen gemacht, die, in seinen Tagebüchern und Notizen verzeichnet, durch Dr. Leichhardt’s Energie nach England und in Gould’s Hände gelangten. Gilbert hatte sich in Australien dem Dr. Leichhardt auf seiner Landreise in’s Innere angeschlossen und fiel bei einem nächtlichen Ueberfalle der Zelte durch Eingeborene, ein Tod, den später auch der muthige Leichhardt finden sollte. Gilbert untersuchte die kegelförmigen Wälle dieser Vögel bei Crockersbay, wahre Riesenbauten mit von oben oder seitwärts schräg in’s Innere laufenden, sehr locker gefüllten Bruthöhlen und gewöhnlich nur einem Ei im Grunde. Hinsichtlich ihrer Lage, Form und Bestandtheile fand er die Brüthügel sehr verschieden; meist in der Nähe des Wasserrandes und unter dichtbelaubten (kleinen) Bäumen verborgen, glichen einzelne aufgeworfenen Wällen; an der Südseite von Crockersbay fand er einen solchen von 25 bis 30 Fuß Länge bei 5 Fuß durchschnittlicher Höhe. Ein anderer fast kegelförmiger bedeckte einen Raum von 150 Fuß Umfang. Die Hügel und Wälle waren augenscheinlich das Werk mehrerer Jahre und Generationen, einige offenbar sehr alten Ursprungs, denn es waren Bäume aus ihnen hervorgewachsen. Gilbert beobachtete, daß die Vögel vom Ende August bis März legen und nur in der trockensten Jahreszeit aussetzen. Diese Angaben fanden durch John Mac Gillivray ihre Bestätigung.

Zum Schluß ist einer in ihrer Brütweise von der vorigen abweichenden Art der Scharrhühner, zugleich der schönsten unter allen zu gedenken, welche den Namen ihres Entdeckers Wallace trägt. Sie komme, berichtet dieser, aus den Wäldern des Innern – einiger Inseln der Molukkengruppe – nach dem Seestrande herab, scharre aber weder Wälle noch Gruben, sondern grabe eine gegen 3 Fuß tiefe Höhle in schräger Richtung in den Sand, auf deren Boden sie ihre 3 bis 3¼ Zoll langen und 2 bis 2¼ Zoll breiten Eier niederlege und leicht bedecke. Endlich macht Dillwyn von Scharrhühnern Mittheilung, welche die Nester so herstellen, daß sie „bis 18 Zoll tiefe Gruben mit einem großen Haufen von Muscheln und Schutt bedecken“.

In dem Erstaunen über die enorme Größe der Scharrhühnereier im Verhältniß zur Größe der Vögel sind alle Beobachter [440] einig,[2] von Camel bis auf den heutigen Tag. Im Allgemeinen macht die lange dauernde Entwickelung dieser die ganze untere Bauchhöhle ausfüllenden Eier im Thiere die Größe begreiflich. Nach Wallace’s Beobachtung und Untersuchung legt das großköpfige Scharrhuhn etwa alle 13 Tage ein Ei. Aehnliche oder gleiche Angaben über die Zeitdauer der Eierbildung machen Eingeborene, Colonisten und Reisende. Nun kommt aber das Wunderbarste: es scheint nämlich, daß gewisse Scharrhühner gar nicht diese verlängerte Reifezeit für ihre Eier benöthigen, vielmehr zu den allerfruchtbarsten Vögeln gehören und trotzdem wahre Rieseneier legen!



Megacephalon Maleo. Megapodius Fraicineti. Talegalla Lathami.
Großfuß- oder Scharrhühner.
Originalzeichnung von A. Goering.


Dr. Bennett berichtet an die „Proceedings“, daß Dawson von Sava lebende Vögel der Art Megapodius Barnabye, welche man neuerdings als identisch mit der von Niua-fou bezeichnet hat, mitnahm, die an Bord seines Schiffes täglich bis zu ihrem auf der Ueberfahrt nach Sydney erfolgten Tode 2 Eier legten, und daß ein Weibchen sogar 2 bis 4 Eier täglich lege. Und was für Eier! 3 Zoll lang und 1¾ Zoll breit oder 76 (nach Gray sogar 78) Millimeter lang und 44 Millimeter breit, während der Vogel von der Schnabel- bis zur Schwanzspitze 354 Millimeter mißt, wovon nach Abzug der Maße des Schnabels, Kopfes, Halses und Schwanzes, wie ich nach Exemplaren der reichen und schönen Sammlung auf der „Veste Coburg“ constatirt habe, gegen 160 Millimeter Rumpflänge übrig bleibt. Die Eier erreichen also nahezu die Hälfte der Rumpflänge! Dabei findet die rasche Production dieses und vielleicht auch anderer nahe verwandter Arten in den gleichfalls mit großer Bestimmtheit auftretenden Angaben über die bereits erwähnte Höhe der in einer Grube auf Niua-fou gefundenen Eierzahl ergänzende Bestätigung. Und weshalb sollte ein solcher diametraler Gegensatz hinsichtlich der Entwickelungsdauer bei verschiedenen Arten einer Familie nicht vorkommen, welche nach Allem offenbar auf der primitivste Brütversuchsstation der Vogelwelt zurückgeblieben ist, zumal da innerhalb der zum Theil auf einem ähnliche Standpunkte verharrenden Familie der Kukuke nahezu gleiche Gegensätze bezüglich der Entwickelungsdauer der Eier nachgewiesen worden sind? Ueberhaupt hat die ganze Entwickelungsart dieser Vogelfamilie, so abnorm sie auf den ersten Blick erscheint, für den Forscher bei genauerem Zusehen nichts Unverständliches. So ist die außerordentlich langsame Entwickelung der jungen Thiere im Ei augenscheinlich durch deren mit dem gesammten Brütproceß in logischem Zusammenhange stehende, vollkommenere Ausbildung bedingt. Auch das monatelange Liegen- und Frischbleiben der Eier in den primitiven Nestern ließe sich vielleicht als ein Glied der wunderlichsten Kette von Fortpflanzungsverhältnissen nachweisen, sowie das gleichzeitige Ausschlüpfen der Jungen dadurch erklären, daß sich die Brütwärme erst nach und nach in Folge fortschreitender Gährung oder Bestrahlung durch [441] die Sonne bis zu der erforderlichen Temperatur steigert, und daß die Keimentwickelung der früher oder später gelegten Eier erst mit dem Eintritt der nöthigen Wärmegrade beginnt und somit die zur vollen Entwickelung des kleinen Huhns erforderliche Wärmesumme auf alle Eier gleichzeitig oder doch fast gleichzeitig wirkt.

Dazu kommt aber noch eine Analogie, welche für das Verständniß dieser Erscheinungen wie für die naturwissenschaftliche Erkenntniß im Allgemeinen von hohem Interesse ist.

Sicherlich haben viele Leser bereits an die Aehnlichkeiten der geschilderten Fortpflanzungsweise mit derjenigen mancher Reptilien, der Echsen, Schlangen und Schildkröten gedacht. Die Uebereinstimmung ist vielfach überraschend. Nicht blos das Ausscharren von Eiergruben, das Aufschichten und Bedecken der Eier mit Sand oder Erde etc., sondern auch Form und Structur der Eischale und das übergroße Dotter ist diesen Hühnern mit den genannten Reptilien, besonders mit den Krokodilen gemeinsam. Nun steht aber bekanntlich die ganze Classe der Vögel bezüglich ihres inneren Baues und ihrer embryonalen Entwickelung den Reptilien sehr nahe und verehrt in den Echsen ihre Ahnen. Ist uns doch in dem Solenhofer lithographischen Schiefer die Urlithographie eines Reptilienvogels aufbewahrt worden: der echsen- oder saurierschwänzige Urvogel, Archaeopteryx lithographica, zeigt einen aus zwanzig langen und dünnen Wirbeln gebildeten Eidechsenschwanz, mit je zwei seitlich an jeden Wirbel angesetzten starken Schwanzfedern. Dieser Eidechsenvogel, vielleicht oder wahrscheinlich nicht einmal der erste Vogel, kam mit den Saurierahnen V. Scheffel’s


Brutstätten von Talegalla-Hühnern.
Originalzeichnung von A. Goering.

„zu tief in die Kreide, und da war es natürlich vorbei“. Für diese Stammverwandtschaft der Vögel mit großen und kleinen Eidechsen bildet die Fortpflanzungsweise der Großfuß-Hühner einen nicht unwichtigen Beleg.




Clotilde.

Novelle von L. Herbst.

(Schluß.)


10.

Des Winters letzter Schnee war geschmolzen, und warme Frühlingslüfte liebkosten die Erde. Auch Clotildens Häuschen umwehten sie, das in einer Vorstadt Dresdens lag. Die Sonne, welche die Blumen ihres Gartens erweckte, schien auch in die Fenster ihres Hauses. Aber weder Frühlingslüfte noch Sonnenschein konnten drinnen die kalten Schatten vertreiben, die der Winter zurückgelassen hatte. Auf den drei Gesichtern, die gelegentlich durch die klaren Fensterscheiben in die grünende Welt hinausblickten, lag ein trüber, schwerer Ernst. [442] Wohl hatten die beiden Frauen ihre „Schuldigkeit“ gethan, aber das gab ihnen weder Frieden noch Freudigkeit.

Hanna war mit sich selbst in argen Zwiespalt gerathen. Tief hatte ihr altes Herz die ihrer holden Herrin zugefügte Schmach mitempfunden, aber von Zeit zu Zeit ertappte sie sich darauf, daß sie im inneren Herzen mehr Mitleid mit ihrem Herrn empfand, als ihm nach ihrem Bedünken zukam. Sein geduldiges Ertragen aller Leiden, die Dankbarkeit und Freundlichkeit, mit der er ihre Dienstleistungen hinnahm, seine demüthige Verehrung für Clotilde, die liebevolle Sorge um die Ueberbürdete, die er oft gegen Hanna laut werden ließ, – dies alles sprach bei ihr zu seinen Gunsten. Doch wenn sie sich dann wieder jene Tage in’s Gedächtniß rief, wo der Jammer Clotildens Herz zu brechen drohte, dann erfaßte sie gerechter Zorn gegen den Mann, der das verschuldet hatte. Aber sah sie eine Stunde später den Schuldigen in finsterer Schwermuth vor sich hinstarren, nichts, gar nichts sehend und hörend von dem holden Frühling, der mit Sonnenschein, Blumenduft und Vogelsang durch die geöffnete Gartenthür zu ihm in’s Zimmer drang – dann wollte es ihr wieder zu hart erscheinen, daß Clotilde nie einen freundlichen Blick, nie ein herzliches Wort für ihn hatte. Freilich, sie arbeitete unermüdlich für ihn; sie entbehrte für ihn alles, was ihr Bedürfniß war, was ihr selbst die letzten öden Jahre noch ein wenig erhellt hatte!

Und Clotilde! Sie kannte sich oft selbst nicht mehr. Wohin war ihr die Freudigkeit der Arbeit geschwunden, wohin die weichen, sanften Empfindungen, die in ihrer Jugend jede ihr angethane Unbill so leicht verzeihen halfen? Hoffnungslose Schwermuth hatte sich ihrer bemächtigt. … Wenn sie sich auch sagte. „ich darf die Augen nicht schließen und die Hände nicht erkaltend ruhen lassen, bis er als ein ganz Genesener wieder in’s Leben treten kaum,“ so erfaßte sie doch oft tiefe Sehnsucht, zu sterben.

So lange Rudolph ganz hülflos dalag, wie ein fremder Leidender, dessen Pein sie linderte, so lange ertrug sie’s noch. Doch als mit anderen Kräften auch sein geschwundenes Sehvermögen wiederkehrte, als ein Blick, ein zärtlicher Blick aus seinen Augen sie traf, der sie mit Schaudern an die todte Vergangenheit erinnerte – da schmerzte der Stachel lebhafter in ihrer Brust. Seit dem Augenblick mied sie sein Krankenzimmer und überließ seine Pflege fast ganz den Händen ihrer Hanna.




Heute saß Clotilde in früher Morgenstunde in die Hefte ihrer Schülerinnen vertieft, die sie verbesserte. Schon zum zweiten Male hörte sie Rudolph’s Glocke erschallen, der Hanna seltsamer Weise keine Folge zu geben schien. Sie begab sich in die Küche, in Hanna’s Zimmer, aber die Gerufene war nirgends zu finden. Auf dem Herde stand Rudolph’s Frühstück, nach dem er zu verlangen schien. Nach kurzem Zaudern ergriff sie es und brachte es ihm selber. Ein heller Schein der Freude ergoß sich über die abgezehrten Wangen des Kranken, als er sie so unerwartet über seine Schwelle treten sah.

„Clotilde, Du selber?“ fragte er mit Innigkeit und streckte ihr unwillkürlich die weiße Hand entgegen. Doch sie stand mit gesenkten Augen und mit so ernstem, herbem Ausdruck da, daß seine Freude erlosch.

„Hanna scheint ausgegangen zu sein,“ sagte Clotilde gepreßt. „Ich wollte Dich nicht hungern lassen.“

„Ich danke Dir. Du bist die Güte selbst. – Aber – –“

Sie sah flüchtig zu ihm auf, als er stockte. „Nun aber –?“ fragte sie gelassen. „Hast Du sonst noch einen Wunsch?“

„Clotilde!“ rief er plötzlich mit leidenschaftlicher Stimme, und der lange verhaltene Schmerz brach gewaltsam durch. „Clotilde, gieb mir einen Becher voll Gift! Hab’ Erbarmen! Laß mich nicht langsam an diesen Martern zu Grunde gehen, die mich Schuldigen verzehren!“

Clotilde fühlte sich erschüttert; ein Zittern flog durch ihre Glieder, und ihre Augen füllten sich mit Thränen. Aber durch den feuchten Schleier stieg ungerufen, wie ein Dämon, die Gestalt einer schönen, aber hassenswerthen Frau vor ihr auf, die einst ihr Herz so rücksichtslos, so tödtlich verwundete, an die er sie verrathen hatte. …

„Deine Nerven sind noch zu erregt,“ sagte Clotilde und trat ein paar Schritte zurück, „Du mußt jede Aufwallung zu vermeiden suchen. Laß uns nicht an Dinge rühren, die nie, nie ungeschehen zu machen sind! Wir müssen die Folgen durch unser ferneres Leben tragen – Du und ich –“

„Clotilde, nur noch ein Wort!“ rief er ihr nach und streckte die zitternden Hände nach der Fliehenden aus. Doch sie hörte ihn nicht. In ihrem kleinen Zimmer sank sie in die Kniee. Ihr Busen wogte stürmisch, und wo sie sonst ihr Herz so warm klopfen fühlte, empfand sie einen jähen, stechenden Schmerz.

Rudolph war in seinem Krankenstuhle zusammengesunken. … Noch eine Stunde später, als Hanna zu ihm ging, saß er mit geschlossenen Augen da, und sein Frühstück stand unberührt auf dem Tische.

Seit diesem Tage schleppte sich Rudolph oft in den Garten hinaus und suchte seine schwachen Kräfte durch langsames Auf- und Abwandern unter den schattigen Bäumen zu stärken.

Endlich durfte er auch weitere Spaziergänge unternehmen, und er durchstreifte, wenn auch mit großer Anstrengung, die Umgebung nach allen Richtungen. Doch was half es ihm … Seine Stimmung wurde mit jedem Tage trüber; der Ausdruck seines bleichen Gesichtes immer finsterer.

Die gute alte Hanna ging in großer Betrübniß zwischen ihrem düstern Herrn und ihrer starren jungen Herrin hin und her, die ihr Beide fremd und fremder wurden. „Das endet ja nicht gut,“ dachte sie … „Ach du mein Gott!“ –

„Ich fürchte, der gnädige Herr wird uns noch auf’s Neue wieder ernstlich krank!“ sagte sie endlich an einem Sonntagabend schüchtern zu Clotilde. „Heute nahm er den ganzen Tag noch keinen Bissen zu sich; alle Speisen mußte ich unberührt wieder hinaustragen. Nur ein Glas Wein sah ich ihn vorhin hastig hinunterstürzen. Er mag auch wohl selber ein neues Krankenlager vermuthen; denn er hat Alles in seinem Zimmer sorgfältig geordnet und weggeräumt, wie er in früheren Zeiten vor jeder Abreise zu thun pflegte.“

Clotilde schwieg.

„Sogar sein Kasten mit den Pistolen,“ fuhr Hanna fort, „die damals mit seinen Militärkleidern herkamen, ward heute nachgesehen, und Alles, was darin war, fein blank geputzt. Jetzt steht er ebenfalls wohlverwahrt im Schrank! – Und er selber, der arme, gnädige Herr, so bleich sieht er aus in seinen schwarzen Kleidern, wie er dasitzt und schreibt.“

„O Hanna, wie Du wieder übertreibst!“ warf Clotilde ungeduldig hin, „Ich fand ihn heute, als er nach dem langen Spaziergang zurückkam, durchaus nicht bleicher als sonst.“

„Nun, ich sage ja nur, was ich sehe und was ich weiß. Und – und – ich meine nur –“ sagte sie stotternd und knüpfte an ihren Schürzenbändern; „ich meine, wenn die gnädige Frau ihm nur einmal ein freundlich Wort sagen wollten, da möchte es doch vielleicht bald besser mit ihm werden. Er hat sich wohl schwer versündigt,“ setzte sie leise hinzu. „aber auch hart gebüßt.“

„Hanna!” fuhr Clotilde auf. „Glaubst Du, daß ich weniger leide, als er?“

„O, wie könnte ich das! Davor soll mich Gott bewahren! Meine alten Augen müssen es ja mit ansehen, wie meine herzensgnädige Frau sich verzehrt.“

„Nun, so mache das Uebel nicht noch größer, indem Du daran rührst! Ich meine doch, wir wollten niemals darüber reden?“

Ohne Hanna’s weitere Antwort abzuwarten, wandte Clotilde sich hastig von ihr ab und begann wieder zu schreiben.

Als die treue Alte mit einem tiefen Seufzer hinausgegangen war und Clotilde sich allein sah, legte sie die Feder aus der Hand.

„Er schreibt auch?“ dachte sie. „Was mag er schreiben? Und was bedeutet das Alles? Will er heimlich fort? Doch wohin? Wird ihm das Leben zu unerträglich hier im Hause? O Gott, unser Leben!“ stöhnte sie. „Ist es denn nicht unerträglich auch für mich?“

Sie vertiefte sich, wie sie es täglich that, in ihre finstern Gedanken. Darüber ward es Nacht, und sie saß noch immer einsam da, den Kopf in die Hände gestützt. Durch die Stille um sie her drang ein Geräusch aus Rudolph’s Zimmer, das durch einen schmalen Gang von dem ihren getrennt war, an ihr Ohr. Eine seltsame Unruhe überkam sie.

„Er noch wach? Noch auf? Warum suchte er nicht längst die Ruhe, die ihm so noth thut?“

[443] Sie schlich auf den Gang hinaus und versuchte durch das Schlüsselloch einer stets verschlossenen Thür in Rudolph’s Zimmer zu spähen – vergebens. Ein undurchsichtiger Gegenstand verdeckte dasselbe von der andern Seite. Nun versuchte sie zu horchen, das Ohr an die Thür gelegt. Von Zeit zu Zeit hörte sie ihn hin und her gehen; dazwischen vernahm sie deutlich das Geräusch vom Auf- und Zuschließen verschiedener Schlösser. Dann war wieder Alles still, so still, daß einmal ein schwerer Seufzer von dorther ihr Ohr traf. Sie seufzte leise mit.

Wie sie so dastand in stiller, dunkler Nacht und mit Herzklopfen auf sein Thun und Treiben horchte, begann sie sich seine Gestalt, sein Gesicht, seinen Ausdruck lebhaft vorzustellen. Es that ihr so leid, daß er noch immer so gebeugt, so kraftlos einherging, daß seine Haut noch immer so farblos, sein Auge so matt und traurig aussah!

Wie manche Woche war schon verstrichen, seit sie ihn mit dem guten Vorsatz herbrachte, ihn hier unter ihrer und Hanna’s Pflege wieder zu einem gesunden Menschen zu machen! Was hatte sie denn für ihn gethan? War es genug, daß sie für Speise und Trank, für einen geschickten Arzt, für stärkende Heilmittel sorgte? Doch was konnte sie sonst für ihn thun? Gäbe es denn eine Frau auf der ganzen Welt, die das vergeben und vergessen könnte, was er ihr angethan? Vergeben? Ja! Hatte sie ihm nicht vergeben, als sie seinem Rufe an das vermeintliche Sterbebett folgte? Aber Vergessen? – Vergessen?

Sie kam nicht dazu, sich diese Frage zu beantworten; denn drinnen begann es wieder, sich zu regen. Ein schmerzliches Stöhnen schien sich Rudolph’s Brust zu entringen. Leise Klagetöne, die unverständlichen Worten glichen, drangen durch die Thür, an die Clotilde lehnte. Dann wieder das Geräusch seiner Tritte und eines behutsamen, leisen Oeffnens der gegenüberliegenden Thür, durch die man aus Rudolph’s Zimmer auf den großen Vorplatz gelangte. Sie schlich an’s kleine Fenster des schmalen Ganges, auf dem sie stand, das auf die Straße führte, und vernahm, wie auch der Schlüssel in der Hausthür sich leise drehte und diese behutsam geöffnet wurde. Ihre scharfen Augen erkannten trotz der nächtlichen Dunkelheit die hohe, aber gebeugte Gestalt ihres Mannes, der mit schwankenden Schritten und doch mit großer Geschwindigkeit ihren Blicken entschwand. Was trug er unter dem Arm? Wohin so eilig zu der späten Stunde?

Clotilde wollte an’s Fenster klopfen, rufen – aber auf halbem Wege hielt ihre Hand inne. Pflegte sie denn sonst auch ihn besorgt anzurufen, wenn er hinausging? Warum denn jetzt?

Sie stand noch lauschend da – drinnen und draußen war nun Alles still. Ein unheimliches Gefühl beschlich sie, und ihre Kniee begannen zu zittern; sie wußte selbst nicht warum. War es denn etwas so Unerhörtes, wenn Rudolph in der lauen Sommernacht vor dem Schlafengehen noch einen Spaziergang machte? Freilich ein leichtsinniges Unternehmen blieb es immer für einen Genesenden, denn wenn sie nicht irrte, so schlug es vorhin schon Zwölf vom Kirchthurm. … Es geht auch kein Zug mehr, dachte Clotilde weiter. Fort kann er nicht. Aber wohin, wohin denn? Ob in seiner Stube noch Licht brennt? Warum sehe ich nicht nach?

Sie verließ den Platz, aus dem sie noch immer stand, und ging eiligst in ihr Zimmer, um die Lampe zur Hand zu nehmen. Doch sie hastete so sehr, daß die Lampe erlosch. Ihre Finger bebten wie ihre Kniee, als sie endlich ihr Feuerzeug im Dunkeln ertappt und die Lampe wieder angezündet hatte; es war wieder hell um sie her, aber ihre unerklärliche Angst wollte nicht weichen. Geräuschlos schlich sie über den Vorplatz, öffnete Rudolph’s Thür. Es war dunkel drinnen. Sie schritt über die Schwelle und sah sein unberührtes Lager, das so verwaist dastand, so unheimlich leer. Der Schein ihrer Lampe fiel auf zwei helle Gegenstände, die neben einander auf dem dunklen Sophatische lagen. Clotilde trat näher. Es war eine Photographie – ihr Bild, das sie ihm als Braut geschenkt! Daneben lag ein Brief mit ihrer Adresse. Sie setzte die Lampe auf den Tisch, denn ihre Hand zitterte immer heftiger.

Ein Tropfen auf der Photographie – sie dachte: es ist eine Thräne – glänzte, als der helle Schein auf dieselbe fiel. „Wie ein Edelstein!“ dachte sie trotz der Angst, die ihr Herz zu schnelleren Schlägen trieb. Mit unsicheren Fingern zerriß sie das Couvert, das den Brief umschloß, und mit flimmernden Augen las sie, was auf dem Blatte stand:

„Meine geliebte Clotilde, die ich einst mein Eigen genannt, die ich, ein Verblendeter, dann schmachvoll verrieth und die wie ein Engel des Erbarmens an mein elendes Lager trat und mich dem Tode entriß, vergieb mir den letzten Schmerz, den ich Dir nun zu bereiten gehe! Glaube mir, es ist so besser für uns Beide! Dein liebes Herz, wenn auch von Edelmuth und hohem Sinn erfüllt, es kann die bittere Kränkung nicht verwinden, so lange der Sünder Dir vor Augen lebt! Sie nagt an Dir, wie ein Wurm, der nimmer rastet, und muß Dich vernichten. Ist er dahin, der Schuldbeladene, so wird Deine verstörte Seele wieder zur Ruhe kommen, so wird das Vergessen – wenn auch erst nach Jahr und Tag – sich wie ein sanfter Balsam auf die Wunde legen. Und ich! O Clotilde! Einen Tod zu sterben, kann nicht schwer sein, wenn man schon tausend Tode gestorben ist. In dem kleinen Gehölze, das nicht fern hinter Deinem Garten liegt, gehe ich, das stille Plätzchen aufzusuchen, an welchem mein Entschluß reifte. Dort, unter der Eiche neben dem kleinen See, wirst Du mich morgen schlafend finden. Wenn Du mich zur ewigen Ruhe bettest, lege mir Dein Bild auf’s Herz, das ich niemals von mir ließ, auch nicht in den dunkelsten Tagen meines Lebens. Ich trenne mich von ihm für eine kurze Weile, um es vor unberufenen Augen zu schützen, falls mich unberufene Hände vor Dir finden sollten. Lebe wohl, Clotilde! Du Edle, Du Reine! Ich küsse dankbar Deine lieben Hände. O, mir wird leicht und frei um’s Herz. Mir ist, als ob ich wieder Deiner würdig werde. Vergieb mir! Rudolph.“

Als Clotilde mit fliegendem Athem bis an’s Ende gelesen, sank sie mit leisem Schrei zu Boden, doch die Angst hielt ihre Lebensgeister wach. Schnell richtete sie sich wieder auf.

„O, wie viel edle Zeit ist vergangen,“ jammerte sie, „seit ich ihn das Haus verlassen sah!“

Wie sie ging und stand, stürmte sie zur Gartenthür hinaus. Sie kannte eine niedrige Stelle in der Gartenmauer, die sie mit Hülfe einer kleinen Leiter zu erklettern dachte. Die Abkürzung des Weges, die sie dadurch gewann, legte ihr die Möglichkeit nahe, ihn zu retten. … Vergebens! Die Leiter hing zufällig heute nicht an ihrem Platz und war bei der Finsterniß, die unter den hohen Bäumen herrschte, nirgends aufzufinden. Sie mußte durch das Haus zurück und um die Mauer des Gartens herum – ein weiter Bogen, den sie in fliegender Eile zurücklegte. In ihren Gedanken stürmte es so wild, wie die Wolken am Himmel dahinjagten, die den Mond verhüllten. . . .

„O mein Gott! Ich die ‚Reine’, ‚die Edle’!“ dachte sie. „ Seine Mörderin bin ich, seine erbarmungslose Mörderin, wenn es mir nicht gelingt, ihm die tödtende Waffe aus der Hand zu winden. Gott im Himmel, du kannst es nicht wollen, daß er mir entschlüpft, daß ich nicht wieder gut machen kann, was ich in der verstockten Härte meines Herzens an ihm verschuldete. O, hätte ich auf Hanna’s warnende Stimme gehört, heute Abend, als es noch Zeit war! Ja, sie hat Recht. Er hat schwer gebüßt.“

Als sie die lange Allee erreichte, die zum Hölzchen führte, drohten ihre Kräfte sie zu verlassen. Sie lehnte sich an einen Baum und rang nach Athem. Dann lief sie mit neuem Muth über den geebneten Weg dahin. Der leichte Schatten, den das verhüllte Mondlicht warf, zog neben ihr her, wie ein entfliehender Geist. Ein Grausen erfaßte sie und trieb sie zu immer größerer Eile. Endlich hatte sie das kleine Gehölz erreicht und lief auf kürzestem Wege der bezeichnete Stelle zu, die vor Zeiten auch ihr Lieblingsplätzchen war. Bei der letzten Biegung hielt sie inne und horchte. Alles still, so grauenhaft still rings um sie her! Da! Ein leises Geräusch. Sie kannte es nicht, aber eine fürchterliche Ahnung sagte ihr, daß es das Knacken eines Pistolenhahnes sei. …

„Rudolph, Rudolph! Halt ein!“ rief sie, so laut sie konnte, und eilte vorwärts. „Rudolph, ich bin da – Deine Clotilde!“

Ein Schuß krachte. Das Echo gab ihn in der Stille der Nacht von Baum zu Baum.

Sinnlos stürmte sie weiter, bis sie die Eiche an dem kleinen See erreichte. Eine dunkle Gestalt lehnte sitzend daran, das Haupt tief auf die Brust geneigt. Neben ihr sank Clotilde besinnungslos nieder. – –

Als sie wieder erwachte, schien der Mond ihr unverhüllt [444] in’s Gesicht. Der Wolkenschleier war zerrissen. Sie fühlte sich von zärtlichen Armen umschlungen, ein warmer Hauch streifte ihre Wange. Langsam, verwirrt öffnete sie ihre Lider und sah in zwei Augen, die in banger Sorge auf sie niederblickten.

„Rudolph! Du lebst?“ rief sie und hob ihr Haupt jäh von seinem Schooß empor. „Rudolph! Kein Traum?“

„Nein, Clotilde! Kein Traum!“ flüsterte er, leise weinend. „Ich lebe. – O Clotilde! – Ich saß da: eben wollte ich enden. – Und wie ich so plötzlich durch die Stille der Nacht Deinen Ruf vernahm – da brach ich zusammen. Und der Schuß ging los. … Ich hörte ihn noch, eh’ meine Sinne schwanden …“

„Rudolph!“ rief sie, kniete neben ihm nieder, faßte seine beiden Hände und hielt sie, in ihren eignen gefaltet, stumm zum klaren Mondlicht empor. Dann legte sie sich schluchzend an seine Brust. Und wortlos, unter dem nächtlichen Himmel, in der ernsten Stille um sie her, feierten sie das Auferstehungsfest ihrer Liebe.




Ich habe Clotilde gesehen unter dem „Glorienschein“ als strahlende Braut. Dann lebte ich in ihrer Nähe, als die Sonne ihres Glückes untergegangen war, und sie mit erblichenen Wangen, aber ungebeugtem Muth „ihr Brod mit Thränen aß“. Und nochmals sah ich sie, eine wiederaufgeblühte Rose, von hinreißendem Liebreiz in ihrer ernsten, reifen Schönheit.

Auf der weinumrankten Veranda vor der Villa ihres Oheims, die nach seinem „letzten Willen“, nebst anderem irdischen Gut, in ihren Besitz übergegangen war, saß sie vor mir an einem reinen Sommertag und streckte ihre weißen Hände nach einem jauchzenden Knaben aus, den ihr Gatte ihr entgegenhielt.

„Gieb ihn mir, Rudolph,“ bat sie, „und setze Dich zu uns! Ruhe Dich hier aus nach Deinen langen Arbeitsstunden! O, wie bleich siehst Du aus!“

„Können Deine lieben Augen sich an diese Farbe nicht gewöhnen?“ fragte er heiter und nahm an ihrer Seite Platz. „Sei ruhig, Herz! Mir ist sehr wohl, am wohlsten, wenn ich viel geschafft.“

Clotilde hatte Recht; er war noch bleich. Aber aus seinen stahlblauen Augen strahlte das Feuer ernster Männlichkeit, und seine hohe Gestalt war wieder kraftvoll aufgerichtet.

Als ich das schöne Paar so vor mir sitzen sah, in milder Ruhe nach den Stürmen ihres jungen Lebens, ihr neues Glück in treuen Armen haltend, da überkam auch mich ein feierlicher Friede. Sie sind im sicheren Hafen, dachte ich. Gott schütze sie!




Blätter und Blüthen.


Das Ideal eines Kochtopfs. Als Ergänzung zu dem Artikel „Verbesserte Kochapparate“ von Fr. Dornblüth in unserer jüngsten Nr. 23 tragen wir hier den Bericht über eine Kochtopferfindung nach, welche zu den wenigstens für den einfachen bürgerlichen Hausstand wirthschaftlich vortheilhaftesten gehören dürfte, wenn sie nicht als die allervortheilhafteste zu betrachten ist. Der Erfinder des neuen, einigermaßen an den Warrens’schen erinnernden Kochapparates ist Karl Becker in Unna. Es handelt sich dabei um einen Einsatzkochtopf, dessen äußerer Mantel rings anderthalb bis drei Centimeter von dem eigentlichen, ganz von kochendem Wasser umspülten Kochtopf entfernt ist. Für Fleisch, Kartoffeln und die lockeren Gemüse ist dieser Einsatztopf mit zahllosen kleinen Löchern versehen, welche die Circulation des kochenden Wassers oder der Brühe erlauben, wodurch es ermöglicht wird, daß die Speisen ebenso schnell wie in einem gewöhnlichen Topfe gar kochen, während sie doch von der Flamme durch eine Wasserschicht getrennt sind. Ein weiterer Vortheil ist, daß dieser Einsatzkochtopf ein Abgießen der Brühe überflüssig macht, wodurch viele kleine Küchenkatastrophen, als Danebengießen, Verbrennen der Finger etc. unmöglich gemacht werden. Wenn man nämlich den Einsatz heraushebt, so bleibt das Wasser oder die Brühe in dem äußern Kochtopf und man hebt nur das Fleisch, feste Gemüse oder die Kartoffeln heraus. Die letzteren kann man in dem durchlöcherten Einsatz prachtvoll abdunsten lassen, wodurch sie sehr an Wohlgeschmack und mehliger Beschaffenheit gewinnen. Für das Abkochen von Milch und breiigen Gemüsen dient ein undurchlöcherter Einsatz, der ebenfalls Gewähr gegen jedes Ueberkochen und Anbrennen bietet, sodaß man hierbei kräftigeres Feuer geben kann, um das umspülende Wasser schneller zum Sieden zu bringen. In diesen patentirten Geschirren, die in den verschiedensten Größen durch die Firma Kirschbaum und Siebrecht in Iserlohn zu beziehen sind, wird also wie gewöhnlich mit Wasser gekocht, und nicht mit Dampf, wie bei der Warrens’schen Einrichtung.




Das singende Buch. „Sie spricht wie ein Buch“ ist eine Redensart, die man alle Tage hinsichtlich einer Person gebrauchen hört, während Niemand sagen kann: „sie singt wie ein Buch“, und doch könnte man jetzt viel eher Gelegenheit bekommen, ein Buch singen, als ein Buch sprechen zu hören. Der Physiker Varley hat nämlich ein von Pollard und Garnier verbessertes musikalisches Telephon erfunden, bei welchem kein Magnet mitwirkt, vielmehr ein eigenthümliches Gesangbuch die Töne wiedergiebt. Dieses Buch besteht aus dreißig Blatt Papier von Taschenformat, zwischen denen achtundzwanzig Blatt Stanniol von etwas kleinerem Format so eingeschaltet sind, daß immer auf ein Blatt Papier ein Stanniolblatt folgt. Von den letzteren sind die geraden Nummern auf der einen Seite und die ungeraden auf der andern mit einander verbunden, und die eine Hälfte steht durch eine Klemmschraube mit dem einen Pol der secundären Rolle eines Inductionsapparates, die andere mit dem andern Pole in Zusammenhang. Wenn nun in der primären Rolle die den Tonschwingungen entsprechenden elektrischen Schwingungen circuliren, die durch ein gewöhnliches Kohlentelephon (vergl. „Gartenlaube“ 1877, S. 799) aus beliebiger Ferne hergesandt werden, so singen die durch ein einfaches Papierband zusammengehaltenen Buchblätter die Melodie in einem sanften Hoboe- oder Violoncelltone mit, indem sich die Stanniolblätter bei jeder Schwingung nähern und wieder von einander entfernen. Der Ton des Gesangbuches ist zwar nicht ganz rein, aber bei einiger Geschicklichkeit des in das Telephon hineinflötenden Sängers doch sehr angenehm, und ein Kirchenchor aus lauter derartigen Gesangbüchern, deren Eigenthümer in einem entfernten Nebensaale wären, müßte eine eigenthümliche gespenstige Wirkung ausüben.



Kleiner Briefkasten.

E. S. in E. Daß Ihre Empfindungen über die neueste Vorgänge in Posen in den Kreisen unserer Leser allgemein getheilt werden, beweisen uns zahlreiche Zuschriften in Prosa und in Versen, von denen wir des Scherzes halber Ihnen folgenden poetischen Stoßseufzer mittheilen:

   Das neue Wunder in Zalesie.
Den Kindern und den Narren dienen
Des Glaubens Träume fabelhaft:
Die heil’ge Jungfrau ist erschienen
Bei Gostyn mit Marpinger Kraft.
Am Rheine erst und nun in Posen!
Nun können Russen und Franzosen
Sich freuen unsrer Nachbarschaft.

A. G. Gedichte zu beurtheilen, müssen wir weniger beschäftigten Redactionen überlassen. Wir unsererseits können auf derartigen Einsendungen nur durch Abdruck oder Vernichtung antworten.

Th. H. in L. Als ungeeignet vernichtet.


Zur Beachtung.

Im Laufe des nächsten Quartals wird außer den Fortsetzungen der Marlitt’schen Erzählung „Im Schillingshof“ zum Abdruck kommen:

„Aus vergessenen Acten“,
eine Criminalgeschichte von Hans Blum.

Außerdem eine Reihe belehrender und unterhaltender Artikel.

Die Redaction.

Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.


  1. Dem Vernehmen nach soll im nächsten Jahre, dem hundertjährigen Jubeljahre seiner Geburt, dem Großmeister der deutschen Ornithologen, Professor Dr. J. F. Naumann und zugleich seinem Vater und Bruder ein einfaches, aber würdiges Denkmal in Köchen errichtet werden. Der lange geplante Gedanke wurde bereits 1849 von dem Verfasser obigen Artikels, Dr. Baldamus, und dem jetzigen Präsidenten der deutschen Ornithologen-Gesellschaft, Baron Eugen von Homeyer, angeregt, und ist bereits dafür gesammelt worden. Das Capital wurde auf Zinsen ausgethan, reicht indeß mit den Zinsen doch nicht aus, um das Denkmal in der beabsichtigten Weise herzustellen. Wir glauben manchem dankbaren Schüler und Verehrer Naumann’s einen Dienst zu leisten, wenn wir auf das vorstehende Jubiläum aufmerksam machen und ihm so Gelegenheit geben, seine Theilnahme an dem Unternehmen auch werkthätig zu beweisen. Herr Dr. Baldamus in Coburg wird gern auf Anfragen guten Rath ertheilen.
    D. Red.
  2. Es giebt übrigens einen Vogel, der nach Verhältniß der Körpergröße noch größere Eier legt: eine Kiwi-Art – Apteryx Mantelli – in Neuseeland wiegt 4½ Pfund, während das an die großen Schildkröteneier erinnernde Ei 14¼ Unzen (= 28½ Loth) schwer ist. Ein mit Wasser gefülltes Ei meiner Sammlung wog 29½ Loth.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Paul Flemming