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Die Gartenlaube (1875)/Heft 50

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1875
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[829]

No. 50.   1875.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennige. – In Heften à 50 Pfennige.


Der Doppelgänger.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Herr von Uffeln wich einen Schritt zurück. „Was haben Sie, Fäustelmann?“ fragte er.

„Die Kindersärge. Da stehen sie.“

„Ah – unmöglich!“

„Sehen Sie her! Da sind sie - alle zusammen und in schönster Ordnung aufgestellt – fünf unten und drei oben auf den andern.“

Uffeln war herzugekommen und blickte überrascht auf die unheimlichen Kisten, zu denen Herr Fäustelmann niederleuchtete.

„Wahrhaftig!“ rief er aus. „Aber ich bitte Sie, Herr Fäustelmann, sind denn das auch Särge?“

Herr Fäustelmann antwortete nicht. Er gab seinem Begleiter das Licht zum Halten, und dann faßte er mit beiden Händen in eine der starken ledernen Handhaben, welche vorn an den Kisten befestigt waren. Er hob damit eine der letzteren in die Höhe und ließ sie dann plötzlich stoßweise wieder fallen.

Man hörte etwas wie Klirren von Eisen.

„Nein,“ sagte der Rentmeister, „das sind keine Särge, obwohl sie beinahe so aussehen; es sind Kisten, in denen Gewehre verpackt sind.“

„Gewehre?“

Fäustelmann nickte lächelnd.

„Aber erklären Sie mir …“

„Was ist da viel zu erklären? Wenn man sich die Mühe gegeben hat, hier einen kleinen Waffenvorrath anzulegen so muß man auch die Absicht haben, ihn zu benutzen, und wenn man ihn, wie der Oberförster ja durch Zufall inne geworden ist, hier des Nachts unterbringt und im Keller dieses alten menschenverlassenen Gebäudes verbirgt, so muß eben die Zeit und Stunde, zu diesen Waffen zu greifen, noch nicht gekommen sein – das ist doch klar?“

„Gewiß ist es klar, aber ich begreife nicht, wer die Leute sein können, die …“

„Was Sie desto leichter begreifen werden, Herr von Uffeln, das ist,“ antwortete Herr Fäustelmann, sich auf den Rückweg aus dem dunkeln Raume begebend, „daß, wenn uns französische Gendarmen oder Beamte hier anträfen, sie uns für diese Leute halten würden und daß sie sehr kurzen Proceß mit uns machen würden. Die alte Kropp hat immer für einen ungesunden Aufenthalt gegolten – durch diese Kistlein da ist er nicht gesünder geworden, noch auch durch die zwei Tönnchen dort im Hintergrunde, die wohl, um sie trockener zu halten, auf einen Haufen Reisigbündel gestellt sind; sie machen mir ganz den Eindruck, als ob sie, was Meyer Jochmaring ‚Kraut‘ nennt, enthalten könnten, darum kommen Sie! Treten wir schleunig unseren Rückzug aus der Nähe so gefährlicher Gegenstände an! Was ich wissen wollte, weiß ich ja jetzt.“

Herr Fäustelmann stapfte gebückt die Treppe wieder hinauf und löschte seinen Wachsstock; dann, nachdem Uffeln ihm gefolgt, ließ er die Fallthür wieder nieder, stieß mit dem Fuße einen Theil des herabgefallenen Kalkbewurfs darauf und schloß die Fensterklappen.

„Sie haben nichts fallen lassen, nichts verloren?“ fragte er, sich umschauend, „nein? So machen wir, daß wir fortkommen!“

Sie gingen, und nachdem sie das Gebäude verlassen und wieder verschlossen hatten, auch nach einigen spähenden Blicken in die Umgebung sicher sein konnten, daß Niemand sie beobachtet, wandte sich Fäustelmann dem Wege zu, den sie gekommen waren.

„Ihr Weg,“ sagte er dabei, „läuft jetzt dort hinaus. Gehen Sie nur auf diesem schmalen Streifen Erde um das Gebäude herum, und Sie gelangen von der Vorderseite bald auf den Fahrweg, der nach Idar führt. Daß wir über unsere Entdeckung schweigen müssen, begreifen Sie.“

„Natürlich,“ versetzte Herr von Uffeln aufrichtig, „es ist nicht unsere Sache zu verrathen was für seltsame Kellervorräthe dieses alte Haus birgt.“

„Nein,“ versetzte Fäustelmann, „und so lange dies unser Geheimniß ist, haben wir das Vergnügen uns zu denken, daß wir im Stande sind, durch eine kleine Denunciation eine Pulvermine loszubrennen, die gewisse nichts ahnende Leute curios in die Luft sprengte.“

„Ah, das wäre aber doch ein teuflisches Vergnügen!“

„Eben darum,“ versetzte Fäustelmann sarkastisch lächelnd, „machen wir uns dieses Vergnügen ja auch nicht, so lange es nur ein Vergnügen wäre – und nicht ein Vortheil, eine Vertheidigung, eine Nothwehr.“

„Eine Nothwehr – wie das?“

„Ich habe eben so meine Zukunftsgesichte,“ versetzte Herr Fäustelmann, still mit dem Kopfe nickend, und dann sich abwendend setzte er hinzu:

„Nun aber treten wir beide unseren Weg an; es ist nicht nöthig, daß wir uns lange hier im Schatten der alten Kropp aufhalten. Auf Wiedersehen, Herr von Uffeln!“

[830] Damit stapfte er rasch davon und überließ es seinem Begleiter, sich nun allein den Weg nach dem Städtchen zu suchen.

Dieser war freilich unschwer zu finden, dienten doch die Thürme von Idar, die vier hohen und breitmassigen Thürme des alten Fürstenschlosses vor Allem als Wegweiser. So stand Uffeln denn nach wenig mehr als einer Viertelstunde vor den Schloßgebäuden. Mit der Einrichtung derselben unbekannt, gerieth er auf einen inneren Hof, wo ein mit dem Striegeln eines Pferdes beschäftigter Stallknecht ihn in einen quer durch den nächsten Flügel führenden gewölbten Gang wies.

„Sie gelangen am Ende des Ganges in’s Vestibül, dort wird Jemand sein, der Sie zur Prinzessin Elisabeth Durchlaucht führt,“ sagte der Mann.

Uffeln schritt durch den langen dunklen Gang, der in einen weiten und schönen, mit Orangebäumen und Blattpflanzen geschmückten Eintrittsraum führte. Hohe Glasthüren gingen aus diesem auf die Terrasse hinaus, unter welcher der Park sich ausbreitete. Ihnen gegenüber führte eine breite Treppe mit schönem Geländer von geschnitztem Eichenholze in die oberen Stockwerke. Am oberen Ende des Vestibüls saß an einem Tische ein Lakai; er war mit Feder und Papier beschäftigt und schien sehr darin vertieft, – vielleicht mit der Berechnung seiner Lohnrückstände, würde Fäustelmann spöttisch bemerkt haben.

Uffeln war langsam und leise auftretend durch den dunkeln Gang geschritten; als er eben, herauskommend, den Fuß in das Vestibül setzte, sah er, wie von draußen her, über die Terrasse, ein Mann herankam, die mittlere Glasthür öffnete und sich zum Lakaien wandte, der aufstehend ihm entgegentrat.

Es war eine kräftige einnehmende Gestalt in eleganter modischer Kleidung und selbstbewußter Haltung.

„Ich wünsche der Prinzessin Elisabeth meine Aufwartung machen zu dürfen,“ sagte er mit einem sehr wohlklingenden Organe.

„Wen soll ich melden?“ fragte der Lakai.

„Melden Sie den Herrn Ulrich Gerhard von Uffeln!“ versetzte der Fremde laut.

Der Lakai machte eine leichte Verbeugung und ging der Treppe zu. Der Fremde blieb an seiner Seite und schritt mit ihm die Treppe hinauf, als ob er an eine Abweisung nicht denke.

Herr von Uffeln hatte, wie der Fremde seinen Namen nannte, augenblicklich seinen Schritt gehemmt. Er war leichenblaß geworden. Mit weit aufgerissenen Augen hatte er dem Manne nachgestarrt, der neben dem Lakai fest und elastisch die Treppe hinaufschritt. Jetzt streckte er die Hand nach der Wand des Vestibüls aus, als ob er sich daran stützen müsse, stand so eine Weile, noch immer die Treppe hinaufstarrend, während oben die Schritte schon längst verhallt waren; endlich athmete er aus tiefster Brust aus, gewaltsam nach Luft ringend, wandte er sich rasch, zitternd dem Wege wieder zu, den er gekommen war, und eilte mit den Schritten eines Menschen, der irgend eine Grauengestalt hinter sich glaubt, davon. Erst als das Schloß hinter ihm lag, mäßigte er den Schritt, wie um zu vermeiden, daß jeder Begegnende einen Flüchtling in ihm erkenne.




7.

Der außerordentliche Schrecken, den der Anblick seines Doppelgängers für Ulrich Gerhard von Uffeln gehabt und der ihn jetzt mit solcher Eile heimtrieb, war, schien es, noch durchaus keiner Beruhigung oder kälteren Auffassung einer so befremdenden Thatsache gewichen, als der junge Mann Haus Wilstorp schon wieder vor sich sah und an der Wohnung des Rentmeisters Fäustelman angekommen war. Noch waren seine Züge sehr bleich und noch zitterte die Hand, womit er die Klingel an der Thür des freundlichen einstöckigen und aus Fachwerk inmitten eines geräumigen Gartens erbauten Hauses zog. Auf seine Frage nach Herrn Fäustelmann führte eine Magd ihn durch einen weiten, von Reinlichkeit und blankem Geschirr glänzenden Küchenraum in eine Hinterstube, in welcher der Rentmeister, eben von seinem Ausfluge nach der Kropp heimgekehrt, bereits wieder hinter seinem Schreibtische über Papiere und Rechnungen gebückt saß.

„Wie – schon zurück?“ rief der Rentmeister überrascht aus. „Und wie bleich und erschrocken sehen Sie aus! Was hat die Prinzessin Ihnen anthun können, daß Sie so entsetzt drein schauen? Aber Sie haben sie in der kurzen Zeit ja gar nicht sehen können.“

„Die Prinzessin hat mir nichts angethan; ich habe sie in der That nicht einmal gesehen, aber was ich gesehen habe, das ist …“

Herr von Uffeln blickte sich um, ob auch die Thür hinter ihm fest geschlossen sei, und dann, indem er sich schwer in den nächsten Stuhl niederließ, sagte er flüsternd und gepreßt:

„Aber was ich gesehen habe, das ist ein Doppelgänger – ein Mann der sich deutlich und laut Ulrich Gerhard von Uffeln nannte.“

Herr Fäustelmann hatte sich beim Eintritte des jungen Mannes erhoben. Jetzt trat er hinter seinem Schreibtische hervor, und Uffeln fixirend sagte er betroffen:

„Einen Doppelgänger haben Sie gesehen? Ach – Unsinn! – das hat Ihnen eine kranke Phantasie vorgespiegelt.“

„Ich wollte, ich könnte das glauben,“ versetzte aus tiefer Brust aufseufzend Herr von Uffeln.

„Sagen Sie mir aufrichtig, Herr von Uffeln,“ sagte Fäustelmann, indem er immer noch seine Blicke mit dem Ausdrucke einer zweifelnden Betroffenheit scharf auf den niedergeschlagenen jungen Mann richtete, „haben Sie früher schon – wir kennen uns ja erst seit so kurzer Zeit – früher schon solche Sinnestäuschungen erlebt?“

Herr von Uffeln schüttelte schmerzlich lächelnd den Kopf. „Sorgen Sie nicht, daß ich Ihnen in’s Handwerk pfusche, Fäustelmann! Sinnestäuschungen sind Ihre Domäne, und ich lasse sie Ihnen, wie nach unserer Durchforschung der Kropp auch der Oberförster Ihnen keine Concurrenz mehr machen wird. Was ich gesehen habe, war die lebendige leibhafte Wirklichkeit und kein Schattenbild, und was ich hörte, war der laut und bestimmt ausgesprochene Name Ulrich Gerhard von Uffeln.“

Der Rentmeister zog den Stuhl, auf dem er gesessen, mehr und mehr bis an die Tischecke heran, und sich dann Herrn von Uffeln nahe gegenüber niederlassend, sagte er:

„Nun, so erzählen Sie genau und ausführlich das Wie und Wo! Die Sache wäre denn doch zu merkwürdig.“

Herr von Uffeln erzählte ausführlich. Der Rentmeister lauschte mit einem immer länger und gespannter werdenden Gesichte, und zuletzt, nach manchem Hin-und-Wider, wie von der tiefen Erregung und Unruhe seines Gegenüber endlich doch angesteckt, rief er aus:

„Es ist unbedingt nöthig, daß wir der Sache auf den Grund kommen, und das Nächste und Einfachste, um dahin zu gelangen, ist, daß wir ganz offen die Prinzessin fragen, wer dieser Mann, der heute statt Ihrer bei ihr eingetreten, sein könne, was er bei ihr gewollt, welche Angaben er ihr gemacht.“

„Soll ich das thun?“

„Lassen Sie mich es thun!“ versetzte Fäustelmann, „es ist besser so; ich bin auch besser im Stande, sofort den Weg nach Idar zu machen. Ihnen scheint er sehr zugesetzt zu haben!“

„Das hat er,“ antwortete Herr von Uffeln mit einem Seufzer der Erleichterung bei dem Gedanken, daß ihm dieser Weg erspart bleibe.

Und so übernahm Fäustelmann es, sich Aufklärung und Licht in dieser die beiden Männer in solche Bestürzung versetzende Sache von der Prinzessin Elisabeth zu erbitten, wenn sie im Stande sein sollte, sie zu geben. Er wechselte seine Kleidung, wobei er eine ungewöhnliche Sorgfalt an den Tag legte, und dann machte er sich auf den Weg nach Idar, während Herr von Uffeln still sein Wohnzimmer in dem Edelhofe aufsuchte. Er schritt hier langsam auf und nieder, blieb endlich dem kleinen Bildnisse seiner Mutter gegenüber stehen, und nachdem er lange darauf geblickt, nahm er es von der Wand, drückte einen Kuß darauf und brach zugleich in einen Strom von Thränen aus. – –

Herr Fäustelmann legte unterdeß seinen Weg nach dem Städtchen in weniger fluchtgleicher Hast zurück, als es Uffeln gethan; er ließ sich offenbar Zeit zu allerlei gründlichen Erwägungen. Als er in Idar im Schlosse angekommen war und seinen Wunsch an derselben Stelle ausgesprochen hatte, wo Herr von Uffeln in so überraschender Weise gehindert worden, den seinigen laut werden zu lassen, wurde er die Treppe in den [831] ersten Stock hinauf und durch lange Corridore geführt, deren Wände von alten und sehr schlecht gemalten Ahnenbildern des fürstlichen Hauses bedeckt waren; dann durch ein paar Säle, in welchen viele altmodische Möbel standen und wieder viele alte Bilder hingen; zuletzt in ein großes, ganz mit alten Büchern angefülltes Gemach. Es war auffallend, wie die Gegenwart hier sich aller Verpflichtung entbunden, an das Schaffen und Wirken der Vergangenheit weiterschaffend anzuknüpfen; wie auch nicht ein einziges neues Bild Interesse für die Kunst der Zeit, nicht ein einziges neues Buch unter all den schweinsledernen Autoritäten des siebzehnten und den Halbfranzbänden des vorigen Jahrhunderts Theilnahme für die Literatur des Tages verrieth. Die junge Durchlaucht saß allein in dem großen Raum an einem gewaltigen mit schweren alten Büchern bedeckten Schragentisch und zeichnete nach einem dieser alten Werke, einem großen Wappenbuche, mit feinen Federstrichen ein Wappen auf ein Blatt, welches sicherlich als ein Stickmuster zu dienen bestimmt war.

Sie blickte auf, als Herr Fäustelmann herankam, nickte ihm einen gnädigen, aber ein wenig kühlen Gruß auf seine tiefe Verbeugung zu, die in der That durch ihre Unbeholfenheit auch keinen größeren Reflex von huldvoller Anmuth hervorzurufen verdiente, und sagte, sich mit langsamer Kopfbewegung und wie zerstreut ihrer Arbeit wieder zuwendend:

„Herr Fäustelmann! Was führt Sie zu uns? Sie kommen wohl statt Ihres Herrn von Uffeln, den ich zu mir zu kommen bat? Weshalb kommt er nicht selbst? Er hat doch mein Billet erhalten?“

„Er hat es erhalten, Durchlaucht, und nicht gesäumt, sich auf den Weg zu machen, um diesem gnädigen Befehle zu gehorchen. Er war bereits hier unten im Schlosse und im Begriffe sich melden zu lassen, als ein höchst auffälliger Umstand ihn davon zurückhielt. Er vernahm, wie ein anderer Mann, der mit ihm eintrat, sich unter seinem Namen bei Eurer Durchlaucht melden ließ, und sah, wie Dieser zu Ihnen geführt wurde.“

„Und da ging er heim, ohne seine Rechte auf seinen Namen geltend zu machen und zu behaupten?“

„Ach, Durchlaucht, er konnte doch nicht daran denken, hier im fürstlichen Schlosse mit einem fremden Menschen einen Streit um seinen Namen zu beginnen, mit diesem fremden Menschen streitend gar bei Ihnen, in das Zimmer einer fürstlichen jungen Dame einzudringen.“

„Das ist wahr, Fäustelmann – das konnte er freilich nicht. Sie haben darin Recht. Wissen Sie aber, daß es mir leid thut, daß er es nicht gethan hat, nicht thun konnte?“

„Ihnen leid thut?“

„Ja,“ versetzte die Prinzessin, ihr zartes Antlitz mit den tiefblauen sinnigen Augen über die Zeichnung beugend, „es thut mir leid, denn ich hätte gar gern gehört, was, wenn Ihr Herr von Uffeln in’s Zimmer getreten und dem meinen, Stirn gegen Stirn, gegenübergetreten wäre, der meine gesagt hätte.“

„Er würde doch, denk’ ich, bald eingeräumt haben, daß er kein Recht auf den Namen hat und daß es ein merkwürdig keckes Unterfangen von ihm ist, wenn er sich diesen Namen beilegt.“

Die Prinzessin antwortete nicht gleich. Sie führte, wie in ihre Arbeit versenkt, sehr sorgfältig eine der Adlerfluchten über dem offenen Turnierhelme auf ihrem Wappenbilde aus.

„Würden Sie,“ fuhr deshalb Fäustelmann fort, „die Gnade haben, mir zu sagen, was dieser Mensch, dem Sie Zutritt gewährten, bei Ihnen wollte, was er vorbrachte, Durchlaucht?“

Die Prinzessin antwortete auch auf diese Frage nicht.

„Ich mußte ihm wohl Zutritt gewähren,“ entgegnete sie erst nach einer Pause, „denn als er mir gemeldet wurde, setzte ich nichts anderes voraus, als daß es der Herr von Uffeln sei, den ich ja selbst durch ein Billet eingeladen hatte, zu mir zu kommen. Ich war natürlich überrascht, einen ganz anderen bei mir eintreten zu sehen.“

„Begreiflich! Und geruhten Sie nicht, ihm dies zu erkennen zu geben und sich Aufklärung darüber geben zu lassen, wie dieser Mensch so verwegen sein könne …“

„Freilich, freilich; ich sagte ihm, daß ich einen andern Uffeln erwartet habe, und daß ich mir die Erklärung erbitten müsse, wie es komme, daß er sich denselben Namen beilege.“

„Und er antwortete?“

„Mit der einfachen Versicherung, daß er nun einmal einen Namen haben müsse, und seitdem der, welchen er genannt, ihm die Gunst verschafft, bei mir vorgelassen zu werden, hänge er nun einmal an diesem.“

„Und Das war Alles?“

„Alles, was er darüber sagte. Er wich aus, so oft ich darauf zurückkam.“

„Alles, wo er doch erfahren hatte, daß mit der Führung des Namens ein Anrecht auf ein schönes Rittergut verbunden ist? Und daß man ihn deshalb zur Rechenschaft ziehen kann?“

Die Prinzessin antwortete wieder nicht.

„Es ist eine wunderliche Sache, Fäustelmann,“ sagte sie nur nach einer Weile mit einem leisen Seufer – und dann hob sie den Kopf und neigte ihn ein wenig schief, wie um die Wirkung ihrer Zeichnung mehr aus der Entfernung zu sehen.

Fäustelmann beobachtete, während sie so ihre ganze Aufmerksamkeit der Zeichnung zuzuwenden schien, mit scharfen Blicken die Prinzessin. Er mußte wohl den Eindruck haben, als ob sie ihm lange nicht Alles, was sie dachte oder wußte, sage. Und da sein stilles Abwarten, daß sie weiter reden würde, ihm auch nichts fruchtete, sondern sie in ihrem Schweigen beharrte, zögerte er nicht länger, seine Meinung offen auszusprechen.

„Ich glaube, Durchlaucht, ich habe den Schlüssel zu dem Geheimnisse dieser seltsamen Doppelgängerei.“

„Ah,“ fiel sie lebhaft ein, „Sie hätten den Schlüssel? Nun, wer ist denn der richtige, der echte Uffeln?“

„Danach,“ versetzte er lächelnd, „kann doch nicht die Frage sein. Aber ich glaube den Schlüssel zu haben, weshalb Ihr Herr von Uffeln sich diesen Namen beilegt, ihn sich anmaßt –“

„Fahren Sie fort!“

„Ihr Herr von Uffeln ist ein Emissär des Tugendbundes, der sich als solcher vor der Welt verbergen muß und ganz schlau sich den Namen eines Andern beilegt, für den Fall, daß etwas von seiner stillen Thätigkeit hier in der Gegend verlaute. Wenn die französische Polizei Wind und Witterung davon bekommen, wenn der Name des Agenten der Alliirten ihr zu Ohren kommen sollte – nun, dann wirft sie sich auf unsern Herrn von Uffeln, und während dieser gefaßt, arretirt, inquirirt und drangsalirt wird, hat der Schuldige die schönste Zeit, ungeahnt und ungehärmt durchzuschlüpfen. Es ist wirklich eine außerordentlich fein ausgedachte Kriegslist, für einen solchen Fall sich den Namen eines Andern beizulegen, der selbst noch fremd und ein Neuling in der Gegend ist. Hätte Ihr Emissär sich auf den Namen eines hier längst bekannten Mannes geworfen, oder hätte er einen ganz fremden angenommen, so würde ihm das nichts genützt haben; nun er sich Uffeln nannte, schob er im Falle der Entdeckung die erste Gefahr und Verantwortlichkeit von sich ab auf einen Mann, den noch Niemand recht kennt, der seine Identität noch mit Brief und Siegel beweisen muß, dem man noch allerlei Zweifel und Verdacht in den Weg werfen kann, wenn er einer Behörde als Emissär, Spion oder dergleichen denuncirt ist.“

Die Prinzessin hatte den Rentmeister betroffen und überrascht angehört.

„Ihr Uffeln hat seine Identität Ihnen und Ihrem Herrn durch Brief und Siegel nachgewiesen?“ fragte sie jetzt.

„Gewiß hat er das,“ rief Fäustelmann beleidigt aus, „mir, dem Herrn von Mansdorf und dem Justitiar.“

Sie nickte mehrmals nachdenklich mit dem Kopfe.

„Und was Sie da eben von Emissären des Tugendbundes sagten – sind Sie ganz überzeugt, daß das nicht ein bloßes Gerede, sondern die Wahrheit ist, daß solche Agenten auch hier aufzutauchen beginnen?“

„Davon, Durchlaucht,“ versetzte Herr Fäustelmann, „bin ich nicht allein fest überzeugt, sondern mehr als das, ich bin im Stande, Ihnen bestimmte Thatsachen als Beweis anzugeben. Würden Sie dann noch zweifeln, so würde ich Sie bitten, sich mit mir zu dem alten verlassenen Bau, der sogenannten Kropp zu begeben.“

„Zu der Kropp? Und was sollt’ ich da?“

„Wenn Sie sich nicht scheuten, in einen besonders geschützten abgesonderten Keller mit mir hinunterzusteigen, so würde ich Ihnen den Waffenvorrath zeigen, welchen der Emissär [832] in’s Land geschmuggelt und ein Bürger von Idar dort verborgen hat …“

„Ein Bürger von Idar – in der Kropp – einen Waffenvorrath? Welche Geschichten das sind, von denen Unsereins auch nicht eine Ahnung hat! Und der Mann, der bei mir war, ist der Mann, der hier, wo Alles noch von Franzosen besetzt ist, so etwas wagt? Welch ein Mann gehört dazu! Aber ich trau’ ihn ihm zu, diesen Muth. Und wer ist denn der Bürger von Idar, von dem Sie reden?“

„Den Mann darf ich Ihnen nicht nennen, Durchlaucht; ich habe ihm natürlich das strengste Geheimhalten versprechen müssen, als er neulich einige Männer und darunter auch mich auf dem Jochmaringhofe versammelt hatte, um unser Interesse für seine patriotischen Zwecke zu gewinnen. Diese Zusammenkunft jedoch wird Ihnen der Meyer von Jochmaring sicherlich bestätigen, wenn Sie eine solche Bestätigung wünschen.“

Die Prinzessin hatte ihre Zeichnung längst weggeworfen, und die Hände im Schooße faltend, saß sie still da und blickte den Rentmeister an. Was dieser ihr sagte, hatte sie wohl überrascht, aber es hatte ganz und gar nichts Unglaubliches für sie gehabt. Es stimmte ja viel zu sehr mit den vorsichtigen Andeutungen und Winken überein, welche längst in Briefen enthalten waren, die ihr Vater von Freunden jenseits der Weser und Elbe erhalten hatte, und die er seiner Tochter nicht vorenthalten. Es war ja auch dasselbe, was ihr in den Sinn gekommen, als die Meyerin ihr von dem englischen Golde gesprochen.

„Ja, ja,“ sagte sie endlich, „er führt auch englisches Gold bei sich.“

„In der That?“ rief Fäustelmann. „Das ist die beste Bestätigung.“

„So ist es. Welche Lage ist das nun aber, in welche Ihr Uffeln gebracht wird! Das ist ja äußerst beunruhigend und fatal für ihn. Mein Gott, der arme Mensch ist alsdann nicht sicher, statt eines Emissärs, den man zu fassen wähnt, einmal plötzlich mitten in der Nacht aufgehoben und trotz aller Einreden die er erhebt, todtgeschossen zu werden.“

„Freilich, in solch eine beunruhigende Situation ist er durch dieses freche Mißbrauchen seines Namens gekommen, und er darf nicht säumen, Alles aufzubieten, um dem ein Ende zu machen. Dieser Emissär mit dem erlogenen Namen muß aus der Gegend verschwinden. Die Schwierigkeit ist nur die, ihn zu finden, um ihn zum Verschwinden zu zwingen. Und da, hoffe ich, helfen Sie uns, Durchlaucht; er wird Sie nicht ohne Andeutungen gelassen haben, wo er sich eigentlich aufhält und wie man auf seine Spur kommt?“

„Ohne Andeutungen nicht, nein, aber da er mir diese Andeutungen freiwillig und im Vertrauen gemacht hat, möchte ich die Hülfe, welche Sie von mir verlangen, Ihnen oder Ihrem Herrn von Uffeln vielmehr in anderer Weise gewähren als dadurch, daß ich Ihnen verrathe, wo Sie ihn finden.“

„Und in welcher Weise würden Sie geruhen, uns zu helfen?“

„Dadurch, daß ich ihm selbst erkläre, er habe mit seinem gestohlenen Namen, der nun einmal Ihren Herrn von Uffeln so furchtbar compromittirt, sofort das Land zu verlassen – aber auch sofort …“

„Und wenn er nicht Lust hat?“

„So werde ich ihm sagen, daß ich mich nicht mehr für verpflichtet halte, seinen Aufenthaltsort zu verschweigen, und daß Uffeln selber ihn dann gewiß dem französischen Polizeicommissar anzeigen werde.“

„Das würde denn freilich genügen,“ sagte mit einem Lächeln der Befriedigung der Rentmeister.

„Aber ich mache meine Bedingung,“ fuhr die Prinzessin fort.

„Und welche, Durchlaucht? Herr von Uffeln und ich werden zu Allem bereit sein.“

„Zu Allem? Wohl denn. Meine Bedingung ist, daß Herr von Uffeln sich den häßlichen Gedanken vergehen läßt, Fräulein Adelheid heirathen zu wollen …“

„Ach, das ist eine harte Bedingung, Durchlaucht!“

„Auf der ich jedoch ganz entschieden bestehe. Ich hatte Herrn von Uffeln allein deshalb zu mir gebeten, um mit ihm darüber zu sprechen. Der Doctor Günther hat mich zum Vertrauten seiner Liebe zu Fräulein von Mansdorf gemacht; sie erwidert seine Neigung; die Liebenden haben sich ewige Treue gelobt. Man wird sie – davon bin ich fest überzeugt – auch nicht trennen. Aber man kann die beiden armen Menschen quälen und unglücklich machen. Ich habe Ihren Herrn von Uffeln davon in Kenntniß setzen wollen, daß Adelheid die Braut des Doctors ist und daß ich von ihm als anständigem Menschen erwarte, er werde das zu achten wissen, er werde der Frau von Mansdorf erklären, daß er seine Ansprüche rückhaltlos aufgeben wollte. Aus einer solchen persönlichen Besprechung der Sache mit Uffeln ist nun nichts geworden, aber das ist um so besser jetzt, weil ich nun viel nachdrücklicher reden, weil ich jetzt bestimmt verlangen kann, was ich heute Morgen doch nur als Bitte und Erwartung aussprechen konnte.“

Ueber des Rentmeisters Züge hatte sich ein Ausdruck von Enttäuschung gelegt, und ein wenig aus der Fassung gebracht erwiderte er:

„Sie gehen da doch sehr rasch und leichtherzig vor, Durchlaucht. Von einer Verlobung des Fräuleins mit dem Doctor wissen die Eltern Adelheid’s nichts, und wenn diese keinen lebhafteren und heftigeren Wunsch haben als den, ihre Tochter mit Herrn von Uffeln verbunden zu sehen, so ist das so außerordentlich natürlich, ihnen durch ihre Verhältnisse so dringlich nahe gelegt, daß Ihre gutmüthige Intervention für diesen Doctor Günther eine große Grausamkeit gegen die Eltern ist.“

Prinzessin Elisabeth nickte sinnig mit dem Haupte.

„Darin mögen Sie Recht haben, Fäustelmann,“ sagte sie. „Aber was läßt sich daran ändern? Ist das nun einmal nicht ein altes Naturgesetz, daß die Ideale der jungen Welt sich mit den Idealen der alten Leute nicht vertragen? Und wenn nun nachgegeben werden muß, so verlangt man das billig von den Alten, weil diese durch das Leben Resignation gelernt haben und resigniren können. Die Jungen haben noch keine Uebung darin, und man darf es ihnen nicht zumuthen.“

„Was Sie nicht Alles durchdacht haben, Durchlaucht!“ sagte Herr Fäustelmann. Erstaunt über so viel Lebensphilosophie in dem reizenden jungen Mädchenkopfe, blickte er sie betroffen an.

„Kommen wir zum Schlusse!“ fuhr sie fort. „Glauben Sie, daß Herr von Uffeln meine Bedingung annimmt? Dann übernehme ich seine Rettung von der Gefahr, in welche ihn – der Andere bringt.“

„Ich bin von Herrn von Uffeln nicht bevollmächtigt, in seinem Namen so etwas zuzusagen. Aber ich will ihm Ihre Willensmeinung mittheilen,“ versetzte der Rentmeister.

„Nun wohl, thun Sie das! Und wenn Sie sehen, daß er schwankt, wenn ihm die Liebe Adelheid’s für Günther kein hinreichender Grund ist, zurückzutreten, so fordern Sie ihn auf, mich zu besuchen, um sich offen mit mir auszusprechen. Ich glaube, es wird mir gelingen, ihm klar zu machen, was er als Edelmann in dieser Lage zu thun und zu lassen hat.“

„Ich will mich auch dieses Auftrages gern entledigen, Durchlaucht,“ entgegnete der Rentmeister, „doch darf ich dagegen wohl aussprechen, daß in dieser Sache die Minuten durchaus nicht kostbar sind, daß dagegen bei der anderen Angelegenheit, der Entfernung dieses Emissärs, die größte Gefahr im Verzuge liegt.“

„Das ist wahr; auch will ich mich sofort bemühen, diese Gefahr zu beseitigen; verlassen Sie sich darauf!“

Fäustelmann hatte sich erhoben und verbeugte sich so tief, wie seine steife Figur es zuließ. Die Prinzessin entließ ihn mit einem graziösen Kopfnicken, als er dankend seinen Abschied nahm.

Sehr viel Dank schien Herr Fäustelmann nun doch, während er durch die Schloßcorridore dem Ausgange zuschritt, nicht zu empfinden; wenigstens lag kein Ausdruck von Heiterkeit in seinen Zügen; im Gegentheile, er sah noch ernster und starrer aus als gewöhnlich.

„Eigentlich,“ murmelte er vor sich hin, „bin ich ausgegangen, Wolle zu holen, und kehre geschoren heim von diesem klugen Huhn von Prinzessin. Daß Uffeln auf das Fräulein verzichtet, davon kann doch keine Rede sein; wären sie nur erst verheirathet! Wäre die ganze Gesellschaft nur erst jenseits der Berge, ‚im Süden‘, wie sie das nennen! Daß sie niemals von da nach Wilstorp zurückkehren und der Herr auf dem Gute sehr bald Fäustelmann heißt, dafür soll nachher auch schon gesorgt werden.“

(Fortsetzung folgt.)



[833]

Gute Kameraden. Episode aus dem Winterfeldzug von 1870.
Originalzeichnung von C. Sell.

[834]
Vorspruch.[1]
zu der Historie „Das rothe Quartal von 1871“.
Von Johannes Scherr.

Aschenbrödel Wahrheit muß, schlechtgenährt und schlechtgekleidet, im Hause der Menschheit schwere Arbeit verrichten, während Lüge und Täuschung, in Sammet und Seide gehüllt, mit Schminke und Juwelen bedeckt, in der Welt die großen Damen spielen, beschmeichelt, umworben, geliebkost. In der Dichtung kommt zuweilen das arme Aschenbrödel schließlich zu Ehren, in der Wirklichkeit niemals. Denn wenn zu Zeiten das Feuer der Thatsachen den Menschen allzu fühlbar auf den Nägeln brennt, beeilen sie sich, die Kühlsalbe der Illusion darauf zu streichen um ja nicht zum vollen Bewußtsein der Wahrheit zu kommen. Sie wollen nicht belehrt, sie wollen nur belogen sein.

Daher die traurig geringe Wirksamkeit der strengen Lehrerin Geschichte und daher auch die große Volksbeliebtheit der Fabulirerin Legende, welche sich dem Täuschungsbedürfnisse der Menschen gemäß herauszuschminken und auszustaffiren versteht.

So hat denn auch die Geschichte der großen französischen Staatsumwälzung am Ende des achtzehnten Jahrhunderts nur geringe Lehrkraft entwickelt, während die Legende der Revolution ungeheure Wirkung that und bis zur Stunde noch thut.

Der erstgeborene Wechselbalg dieser Legende ist der französische Größenwahn.

Zwar hat, wie jedermann weiß, die Beeiferung, womit vom Mittelalter ab Europa den französischen Moden huldigte und nachlebte, die im keltisch-romanischen Wesen wurzelnde Nationaleitelkeit der Franzosen schon vordem sattsam gestärkt und gehätschelt. Seit der Zeit Ludwigs des Vierzehnten vollends war die gesammte vornehme Bildung in unserem Erdtheile zur mehr oder weniger tölpischen Aeffin der französischen geworden, so stupid, so niederträchtig sich gebarend, daß jeder beliebige französische Friseur oder Confiseur außerhalb Frankreichs als Culturträger und Civilisator sich fühlen konnte und durfte. Aber das volle Grande-Nation-Bewußtsein, der hoch- und höchstgradig-größenwahnsinnige Dünkel und Uebermuth überkam die Franzosen doch erst dann, als sie wahrnahmen, daß ihre Nachbarn einfältig genug waren, zu wähnen, sie, die Franzosen, brächten ihnen auf der Bajonnette Spitzen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, während die Bringer dieser schönen Sachen in Wahrheit die Nachbarbrüder brandschatzten, ausraubten und schließlich annectirten und tyrannisirten.

Ja – wundersam zu sagen! – sogar über diese brutale Thatsache trug es die gleißende Legende von der befreienden und civilisirenden Mission Frankreichs davon.

Also konnte es gar nicht fehlen, daß sich im französischen Nationalgehirne die Wahnidee fixirte, Frankreich sei der Mittelpunkt der Welt, Paris aber als Mittelpunkt Frankreichs sei die „heilige Stadt“, sei die „Weltleuchte“, sei „Kopf und Herz der Menschheit“. Demzufolge bezweifelte kein richtiger Franzose, daß das Universum eigentlich an der Seine läge und daß nur Frankreich das Genie und das Recht hätte, zu denken, zu wollen und zu befehlen.

Wissende werden bezeugen, daß dieser Satz keine Uebertreibung enthalte; Unwissende mögen die Bestätigung desselben in den Büchern nachsuchen, welche Legendariers wie Thiers, Blanc und Michelet über die französische Revolution verfaßt haben. Nicht das wirklich Heilsame, nicht das wahrhaft Große, was die Revolution gewollt und vollbracht hat, wird in diesen Büchern nach Gebühr betont und gefeiert, nein! wohl aber die größenwahnsinnige Einbildung vom Privilegium und Monopol Frankreichs, stets „an der Spitze der Civilisation zu marschiren“. Im übrigen ist es ja bloß gerecht, zu sagen, daß nicht etwa die Zeitgenossen, die Augen- und Ohrenzeugen, die Mithandelnden und Mitleidenden der Revolution die unheilvolle Legende derselben aufgebracht haben. Man lese nur die zeitgenössischen Berichte von Mercier, Beaulieu, Toulangeon, Lacretelle, Jullian, Prudhomme, Nodier und Anne Louise Germaine de Staël. Ursprung und Wachsthum der revolutionären Legende ging im Schooße der liberalen Opposition vor sich, welche dem restaurirten Bourbonenthrone den Krieg machte. Einer der publicistischen Leiter dieser Opposition, Mignet, hat in seiner Geschichte der Revolution der liberalen Mythenbildnerei den Stempel seiner Autorität aufgedrückt. Auf der von ihm eröffneten Bahn schritten die oben namhaft gemachten Mythenschreiber immer weiter und kecker vor. Die also groß gefütterte Legende der Revolution hat dann, verbunden mit der durch Ségur, Béranger, Thiers und andere aufgeschwindelten Legende des Napoleonismus, dem französischen Liberalismus jahrelang als ein vielgehandhabtes und vielwirksames Oppositionsmittel gedient.

Aber die Parteien, welche hinter der liberalen sich erhoben, zogen aus den Prämissen der Revolutionsmythe andere Schlußfolgerungen, als die parlamentarisch-konstitutionelle Opposition wollte und wünschte. Die Radikalen, die orthodoxen Republikaner schnitten sich aus dem Legendenbuch der Revolution das Kapitel vom Jahre 1793 als den Lieblingsgegenstand ihrer Verehrung und Nachahmungsbegierde heraus. Sie wähnten demzufolge, vom Mittelpunkte der Welt, von Paris aus, mittels des Evangeliums Sancti Jakobi ganz Europa revolutioniren und republikanisiren zu können, – das sei ihre Mission. Den verschiedenen Sekten der Socialisten und Communisten, welche Saint Simon, Fourier, Cabet und Blanc herangezogen hatten, genügte aber das bei weitem nicht. Sie lasen aus der revolutionären Legende noch ganz anderes heraus. Nämlich, daß alles Bestehende nur werth sei, vernichtet zu werden, daß demnach die europäische Gesellschaft zu einem ungeheuren Trümmerhaufen zusammengeworfen werden müsse, damit sodann aus dem mittels der absoluten Gleichheitwalze abgeplatteten Ruinenfeld ein socialer Neubau errichtet werden könne, in welchem es keinen Gott und keinen König, keinen Staat und keine Kirche, kein Eigenthum und keine Ehe, keine Familie und kein Erbrecht, keinen Reichthum und keine Armuth mehr gebe.

Noch auf einen weiteren Unterschied ist aufmerksam zu machen. Die radikalen Politiker hielten das Dogma des französischen Größenwahns stramm aufrecht, so stramm, daß Republikaner von der Sorte der Quinet und Gambetta noch unmittelbar vor 1870 der Ueberzeugung waren, vor Begründung der republikanischen Völkersolidarität müßte noch ein Krieg geführt werden, um das ganze linke Rheinufer für Frankreich zu erobern. Das sollte dann allerdings, meinten die Herren, der letzte Krieg sein. Die französischen Socialisten und Communisten dagegen gaben sich mitunter ernsthafte Mühe, mit allen übrigen „verfaulten“ Standpunkten auch den des größenwahnsinnigen Chauvinismus zu überwinden. Wenn man darauf ausgeht, die ganze Menschheit in einen Brei zusammenzurühren, muß man doch anstandshalber ein bißchen kosmopolitisch schillern. Sehr wahrscheinlich behielten sich die französischen Socialisten und Communisten im Geheimen das Privilegium vor, in diesem Menschheitsbrei das Gewürze vorzustellen, aber öffentlich thaten sie mehr und mehr weltbürgerlich, namentlich dann, als, von 1864 an, die socialistischen Sekten Frankreichs bewußt oder unbewußt den Losungen gehorchten, welche der „Generalrath“ oder vielmehr das „Dirigirende Comité“ des „Internationalen Arbeiterbundes“ von London ausgehen ließ.

Daß, warum und wie Napoleon der Dritte der Internationale und des Socialismus als Hilfemittel seiner Politik sich bediente, ist allbekannt. Ebenso, daß diese von seiten des zweiten Empire empfangene Gunst die socialistisch-internationale Propaganda in Paris außerordentlich erleichterte und erfolgreich machte. Bei dem Sturze des Kaiserreiches fühlten sich demzufolge die „Rothen“ – diese Farbebezeichnung will ich fürder der Wortkürze halber für die socialistisch-communistisch-internationale Partei gebrauchen – stark genug, handelnd auf den Plan zu treten, um sich der Herrschaft über Paris und damit selbstverständlich über Frankreich zu bemächtigen. Aber es war [835] doch noch etwas zu früh. Die Belagerung von Paris durch die Deutschen mußte erst noch vorangehen, um die blau-weiß-rothe Mehrheit der Pariser auf jene Stufe von Begriffeverwirrung und Stumpfsinn herabzudrücken, auf welcher angelangt sie die Tyrannei der rothen Minderheit sich aufhalsen ließ.

Für diese Minderheit lagen die Sachen nach dem Abschlusse des Waffenstillstandes und des Präliminarfriedens von Versailles außerordentlich günstig. Als wäre er ihr treufleißiger Mandatar gewesen hatte Jules Favre gegenüber den Wünschen und Warnungen der deutschen Unterhändler es durchgesetzt, daß die Pariser Nationalgarden ihre Waffen behalten durften. Die Mehrzahl dieser Bürgerwehr bestand aber im März von 1871 aus revolutionären Elementen, welche das während der Belagerung der Stadt durch die Deutschen mehr oder weniger ernst betriebene Soldatenspiel um so lieber weiterspielen wollten, als damit der Weiterbezug des seit dem September von 1870 gewohnt und liebgewordenen Tagessoldes von anderthalb Franken selbstverständlich verbunden sein müßte, während Weib und Kind ihren Lebensunterhalt aus den Staatsmagazinen bezögen. So verfügten denn die Rothen, nachdem sie der Gewalt sich bemächtigt hatten, über eine leidlich organisirte Streitmacht von zweihundertfünfzig mehr oder weniger starken Bataillonen, deren zuverlässigste aus den Wehrmännern der Faubourgs Montmartre, Villette, Belleville, Menilmontant, Montrouge, La Chapelle und Glacière zusammengesetzt waren.

Wenn diese seit Monaten aller Arbeit und Häuslichkeit entwöhnten, von allen Begehrlichkeiten, wie der Müssiggang sie ausbrütet, erfüllten, bildungslosen, leichtgläubigen, durch die Wahnorakel verrückter oder gaunerischer Clubredner bis zum Irrsinnn verhetzten Menschen sich zählten; wenn sie, wie sie ja thaten, im Gambetta-Bülletinsstil einander vorlogen, Frankreich und Paris seien nicht besiegt, sondern nur an die „Prussiens“ verraten und verkauft worden, verrathen und verkauft von den Imperialisten, Legitimisten, Orleanisten und Bourgeoisrepublikanern, von den Babinguet, Bazaine, Thiers und Favre, wenn sie phantasirten, die alte Gesellschaft habe augenscheinlich einen ehrlosen Bankerott gemacht, die große Liquidation sei demnach vorzunehmen, um eine neue, die rothe, die atheistische und die communistische Gesellschaftsfirma zu gründen, den Vierten-Stand-Staat, die proletarische Commune; wenn zu diesen heimischen Elementen und Motiven eines radikalen Umsturzes noch die „catilinarischen Existenzen“ hinzukamen, welche aus allen Ecken und Enden der Erde in der prächtigen Weltkloake Paris zusammenflossen, alle ihre Laster und Leiden, ihre Illusionen und Enttäuschungen, ihre Gewissensbisse und Rachegefühle, ihre Begierden und Hoffnungen in diese ohnehin schon von höllischem Schwefeldunst erfüllte Atmosphäre ausathmend: – ja, so war es kein Wunder, sondern nur die natürliche Wirkung natürlicher Ursachen, daß die Wetterwolke in das furchtbare Märzgewitter ausbarst, und entsprach es der Logik der Sachlage, daß der französische Größenwahn sich vermaß, Paris, Frankreich, Europa, die Welt umzuwandeln und die Menschheit unter der rothen Fahne marschiren zu machen.

Mit alledem ist das Register der Ursachen vom weltgeschichtlichen Märzkrach des Jahres 1871 noch nicht erschöpft. Man muß in dieses Register noch einstellen das Mißtrauen, den Zorn und Ingrimm, womit tausende, hunderttausende von Parisern, die keineswegs zu den Rothen gehörten, auf die in Versailles tagende Nationalversammlung blickten, welche „Bauern- und Krautjunkerversammlung“ nicht allein in ihrer entschiedenen Mehrheit royalistisch gesinnt war, sondern auch das „Verbrechen“, ja den „Wahnsinn“ verübt hatte, Paris, die „heilige Stadt“, das „Centrum des Weltalls“, die „Weltleuchte“ mit dem politischen Interdict zu belegen. Sodann ist mit Betonung auf das vom Reichskanzler Bismarck im deutschen Reichstage gesprochene Flügelwort zu verweisen: „In der Pariser Commune war ein Kern von Vernunft, nämlich das Verlangen nach einer Gemeinde-Ordnung, wie solche in Deutschland existirt.“ Monsieur de Mazade begeht einen absichtlichen oder unabsichtlichen Irrthum, wenn er in seinem Buche „La guerre de France“ (II, 461) dieses Wort als eine „plaisanterie teutonne“ (einen deutschen Scherz) bezeichnet. Der Reichskanzler meinte es ernst, und seine Aeußerung signalisirte nur eine geschichtliche Thatsache, diese nämlich, daß unter den Motiven der Insurrection vom März 1871 ganz unzweifelhaft auch das Verlangen sich befand, die unheilvollen Fesseln einer despotischen, aufsaugenden Centralisation, wie das Ancien Regime, der Convent und Napoleon sie Frankreich auferlegt hatten, endlich zu brechen und der erdrückenden Staatsallmacht gegenüber ein selbstständiges Gemeindeleben zu pflanzen und zu pflegen. Leider ist sofort beizufügen, daß aus diesem vernünftigen Gedankenkerne nur die brutale Unvernunft der Thatsache hervorwuchs, daß die „Bürger“-Communisten von 1871 es für selbstverständlich ansahen, die „Commune“ Paris müßte und würde Frankreich ebenso souverän und despotisch beherrschen, wie die Hauptstadt zur Zeit Ludwigs des Vierzehnten, zur Zeit des Convents, zur Zeit Napoleons des Ersten und des Dritten das Land beherrscht hatte. Wäre sie nicht dieser Meinung gewesen, wie hätte sie es wagen können, ihren Willen, den Willen einer Handvoll Abenteurer, dem Gesammtwillen der Nation, welcher sich mittels der Wahlen zur Nationalversammlung – der freiesten Wahlen, die jemals in Frankreich stattgefunden – soeben ganz deutlich und bestimmt ausgesprochen hatte, geradezu entgegenzusetzen? „Wir kümmern uns den Teufel um die Provinzen,“ gestand der Hauptkyniker der Commune, Citoyen Rigault.

Noch ist aber zur Wurzelursache von 1871 hinabzusteigen. Denn Albernheit wäre es, zu glauben, das Problem dieser Erscheinung könnte gelöst werden mittels des einfachen Satzes, eine durch das Zusammenwirken unerhörter Umstände begünstigte Bande von Narren und Gaunern habe das rothe Quartal gemacht. Allerdings ist es wahr, daß Narrheit und Gaunerei stets zu den Großmächten auf Erden gehört haben und stets dazu gehören werden. Und nicht weniger wahr ist, daß den ganzen Verlauf der sogenannten Weltgeschichte entlang Hunderttausende und Millionen von Menschen mit Begeisterung, mit Fanatismus für blanke Narrheiten, für handgreifliche Gaunereien in den Tod gegangen sind, als für Ideale und Idole. Warum? Weil sie daran glaubten. Nicht das Sein der Dinge bestimmt ihren Werth, sondern der Schein, und nicht die Wahrheit, sondern der Credit einer Idee regelt ihre Wirksamkeit. Nur die rückwärts gewandte Parteibornirtheit könnte bestreiten wollen, daß tausende der Communarden von 1871, indem sie ihr Leben für die Commune ließen, für die Sache ihres Volkes, für die Sache der Menschheit zu sterben glaubten.

Schon das muß in wissenden und ernstprüfenden Menschen das Gefühl erregen, daß es sich hier keineswegs nur um ein leichtfertig angehobenes und mit bestialer Wildheit durchgeführtes Abenteuer handelte, sondern um eine geschichtliche Nothwendigkeit. Natürlich soll damit nicht etwa bestritten werden, daß selbstsüchtige Berechnungen und wüste Leidenschaften dabei mitgespielt haben, wie das ja bei der Inscenirung geschichtlicher Nothwendigkeiten allezeit und überall so war, ist und sein wird. Denn der Mensch, wie er nun einmal ist, macht die Geschichte, und sie ist ja auch darnach.

Was für eine geschichtliche Nothwendigkeit stand nun im März von 1871 in Frage? Welche Entwickelungsidee rang nach Verwirklichung?

Die Idee der socialen Revolution.

Und diese wäre eine geschichtliche Nothwendigkeit?

Nicht minder gewiß, als die politische Revolution des achtzehnten Jahrhunderts eine geschichtliche Nothwendigkeit war. Das fünfzehnte Jahrhundert hatte den Samen derselben gestreut; im sechszehnten ging er auf, das siebenzehnte zeitigte die Saat, und am Ende des achtzehnten wurde „mit Eisen und Blut“, wie das herkömmlich bei solchen Geschäften, die reife Ernte eingethan: – die staatsbürgerliche Gleichberechtigung der verschiedenen Volksklassen. Noch während diese Arbeit im Gange, ist die Thränensaat der socialen Revolution dem Boden der Zeit anvertraut worden. Das neunzehnte Jahrhundert sodann hat diese Saat üppig aufschießen gemacht. Prozenthum und Pauperismus, der pralende Uebermuth des Geldsackes und der brutale Neid des Bettelsackes sind die treibenden Kräfte. Die riesenhafte Entwickelung der Großindustrie und die mit derselben naturnothwendig verbundene Züchtigung eines millionenzähligen Proletariats steigern von Jahr zu Jahr, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde die sociale Krisis, und diese wird unausweichlich zur großen Katastrophe führen, zur größten der [836] sogenannten Weltgeschichte, zur Durch- und Ausfechtung des grimm- und wuthvollsten Kampfes, des Klassenkampfes.

Und der vernünftige Kern dieser entsetzlichen Frucht? Lassen wir, was man Vernunft zu nennen übereingekommen ist, beiseite. Der aus allen Phrasenhüllen herausgeschälte menschliche Kern der socialen Frage und demnach auch die Moral der socialen Revolution ist und wird sein: Steh’ du auf vom Tische des Lebens, damit ich niedersitzen und schmausen kann!

Wer sehende Augen hat und sie aufthun will, wird diesen Kern durch alle die Redensarten und Handlungen, Narrheiten und Ruchlosigkeiten der Pariser Commune von 1871 hindurch deutlich erkennen. Diese Commune war das lehrreiche Vorspiel zu der „in Vorbereitung befindlichen“ Kolossaltragödie der socialen Revolution.

„Schwarzseherei!“ brummt ihr. „Wir kennen ja die langweilige pessimistische Tonart.“

Ihr leugnet also das sociale Problem?

„Nicht doch! Aber erstens ist die Gefahr weder so groß noch so nahe, wie die Schwarzseherei uns glauben machen möchte, und zweitens kann der fernher drohende Sturm unschwer beschworen werden mittels Reformen, welche der Kathedersocialismus in Verbindung mit den Regierungen schon besorgen wird.“

Wirklich? Haben im vorigen Jahrhundert die politischen Reformen die politische Revolution verhindert? Was haben alle die ehrlich gemeinten reformistischen Wollungen und Vollbringungen der „erleuchteten“ Despoten und ihrer „aufgeklärten“ Minister gefruchtet? Nur soviel, daß sie den Ausbruch der Revolution beschleunigten. Heutzutage ist die Lawine der socialen Umwälzung im raschen Rollen. Reformen werden nur Staub auf ihrer Bahn sein. Das Riesentrauerspiel wird in Scene gehen auf der Weltgeschichtebühne.

Ihr wendet euch ab von dieser düstern Weissagung, ungläubig, unwillig, spottlachend sogar?

O, ihr habt recht! Denn Thorheit ist es, Tauben die Wahrheit zu sagen oder Blinde sehen machen zu wollen. Ueberall und alle Zeit haben die Menschen unangenehme Warnungen in den Wind geschlagen. Als in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts[WS 1] mit der traurigen Gabe der Zukunftschau ausgestattete Männer wie Voltaire und Rousseau das Kommen der Revolution vorhersahen, da hat ihnen die Gedankenlosigkeit, welche nicht über die eigene Nasenspitze hinaussieht, auch ins Gesicht gelacht, als Schwarzsehern, Hypochondern und Grillenfängern. Später freilich ist dann den Spottlachern das Lachen vergangen, gründlich.

Auch denen von heute wird es eines wüsten Tages vergehen, gründlichst. Denn die Logik der Geschichte will ihr Recht, und die Geschicke müssen sich erfüllen.




Dichtermütter.
Von J. Loewenberg.
(Schluß.)


Die Mutter Heinrich Heine’s, des ungezogenen Lieblings der Grazien, Betty van Geldern, muß eine Frau von ausgezeichneten Eigenschaften des Geistes und Herzens gewesen sein. Ihr Einfluß auf die Herzens- und Geistesbildung ihres ältesten Sohnes Harry, wie er als Kind genannt wurde, muß nach Allem, was von ihr berichtet wird, sehr bedeutend gewesen sein. Sie nährte ihre vier Kinder selbst und gab ihnen auch den ersten Lese- und Schreibunterricht. Heine gedenkt noch „der braunen Thür, worauf Mutter mich die Buchstaben mit Kreide schreiben lehrte, – ach Gott! Madame, wenn ich ein berühmter Schriftsteller werde, so hat das meiner Mutter genug Mühe gekostet.“ – Sie leitete auch den späteren Unterricht und die Lectüre der Kinder. Heine nennt sie eine Schülerin Rousseau’s, und sein Bruder Maximilian erzählt, daß Goethe ihr Lieblingsschriftsteller gewesen sei, und daß sie sich besonders an dessen Elegien erfreut habe.

Bei der guten Erziehung, die sie im elterlichen Hause und im Umgange mit ihren gelehrten Brüdern genossen, läßt sich ohnehin mit Sicherheit annehmen, daß sie einen mehr als gewöhnlichen Grad allgemeiner Bildung besaß und nicht wenig dazu beitrug, schon früh in ihrem begabten Sohne das Interesse für die Meisterwerke der Kunst und Poesie und für eine idealere Lebensauffassung zu wecken.

Es ist bekannt, daß die poetischen Neigungen und die ersten Arbeiten des spätern Dichters lange Zeit keine sonderlich anregende Aufmunterung im elterlichen Hause fanden, welches Frau Betty zu einer Stätte des Goethe-Cultus geweiht hatte, in dem mit großer Vorliebe meist nur von Goethe gelesen und gesprochen wurde. „Wie soll der Junge aufkommen,“ rief einst Papa Heine in verdrießlicher Mißbilligung hierüber aus, „wie soll der Junge aufkommen, wenn man immer und immer nur von Goethe lesen und reden will!“ und schon der Name Goethe war ihm zuwider, so oft er ein Buch mit demselben in die Hand nahm.

Was that Harry?

Er ließ heimlich alle Bücher, die Goethe’s Namen trugen, umbinden, das „Goethe“ säuberlich ausradiren und statt dessen den Namen Schulze hinsetzen. Seine Absicht gelang. Papa Heine las nunmehr die Gedichte von Schulze und mochte beruhigt denken: der ist doch noch ärger als Harry. Aber die milde, wohlunterrichtete Mutter hatte den Schalksstreich des übermüthigen Sohnes sofort erkannt, schlug in Abwesenheit des Vaters eins dieser Bücher auf und sagte, indem sie den Finger auf den hineingeschmuggelten Namen legte: „Mein Sohn, möchtest Du einst nur halb so berühmt werden, wie der Schulze, der diese Gedichte verfaßt hat!“

Mit Eifer las Frau Betty die Schriften deutscher Patrioten und versäumte keine Gelegenheit, ihre herangewachsenen Söhne auf die traurigen politischen Zustände des damaligen Deutschlands aufmerksam zu machen, besonders auf die elende Kleinstaaterei. „Versprecht mir,“ wiederholte sie oft denselben, „versprecht mir, nie in einem kleinen Staate Eure Heimath zu suchen, wählt große Städte in großen Staaten, aber behaltet ein deutsches Herz für das deutsche Volk!“

Und der älteste ihrer Söhne, Heinrich, der Dichter, ging bekanntlich nach Paris, der zweite, Gustav, nach Wien, der dritte, Maximilian, nach Petersburg.

Die innige Liebe, welche die Kinder bis in’s späteste Alter für die Mutter bewahrten, ist ein schönes Zeugniß dafür, daß Frau Betty es verstanden, nicht blos die treue Pflegerin der Kindheit, sondern auch die Theilnehmerin des geistigen Lebens ihrer Kinder zu sein. Heinrich, der Dichter, hat ihr in zahlreichen Liedern und Sonetten, in den „Nachtgedanken“, in dem Wintermärchen „Deutschland“ und an anderen Orten die zärtlichsten Gefühle geweiht. Wir erinnern nur an sein rührend schönes Sonett:

  An meine Mutter.

Ich bin’s gewohnt den Kopf recht hoch zu tragen,
     Mein Sinn ist auch ein Bischen starr und zähe;
     Wenn selbst der König mir in’s Antlitz sähe,
     Ich würde nicht die Augen niederschlagen.

Doch, liebe Mutter, offen will ich’s sagen:
     Wie mächtig auch mein stolzer Muth sich blähe,
     In deiner selig süßen, trauten Nähe
     Ergreift mich oft ein demuthsvolles Zagen.

Ist es dein Geist, der heimlich mich bezwinget,
     Dein hoher Geist, der Alles kühn durchdringet,
     Und blitzend sich zum Himmelslichte schwinget?

Quält mich Erinnerung, daß ich verübet
     So manche That, die dir das Herz betrübet,
     Das schöne Herz, das mich so sehr geliebet?


Auf Zacharias Werner’s Charakter und literarische Entwickelung übte die Mutter einen unverkennbar unheimlichen Einfluß. „Schon mit dem ersten Hauche,“ sagt Laube in seiner Literaturgeschichte, „scheint er von ihr die Anlage zu allem Ungestüm, [837] aller Kraft, all den Gegensätzen, aller ungelösten Verwirrung empfangen zu haben. Seitdem er seinen Vater verloren, der Professor der Geschichte und Beredsamkeit an der Universität zu Königsberg war, blieb er bis zum zweiundzwanzigsten Jahre bei der Mutter, einer Nichte des Dichters Valentin Pietsch. Werner selbst nennt sie eine reine heilige Kunstseele und Märtyrerin. Hippel, der Dichter der ‚Lebensläufe in aufsteigender Linie‘, sagte von ihr, daß sie jeden Gegenstand mit Adlerblicken durchschaute, und auch Hoffmann, der Verfasser der ‚Serapionsbrüder‘, giebt ihr das Zeugniß, daß sie mit Geist und Phantasie hoch begabt gewesen sei.

In ihrem besten Alter verfiel sie aber in eine schwärmerische Gemüthskrankheit, von der sie nie genas und in der sich der Wahn in ihr ausbildete, sie sei die Jungfrau Maria und ihr Sohn der Heiland der Welt. Es ist unverkennbar, daß diese Geistesart der Mutter, in welcher Weise auch deren Zerrüttung sich ausgesprochen haben mag, nicht ohne tiefen Einfluß auf das empfängliche Gemüth des Sohnes geblieben ist, des philosophisch gebildeten protestantischen Dichters von ‚Dr. Martin Luther oder die Weihe der Kraft‘, des Dichters, in dem anfangs keine Spur von religiöser Schwärmerei sich findet, viel mehr gerade vom Gegentheile, des Dichters der endlich als eifernder, mystischer katholischer Bußprediger seine Schreibfeder testamentarisch vermacht hat der Schatzkammer der Mutter Gottes zu Mariazell als eines Hauptwerkzeuges seiner Verirrungen, seiner Sünden und seiner Reue.“

Justinus Kerner, der somnambule, hellsehende Dichter, berichtet in seinem „Bilderbuch aus der Knabenzeit“ über seine Mutter, eine geborene Stockmayer: „Sie war von kleiner Gestalt, zarter Natur und in ihrer Jugend von nicht gewöhnlicher Schönheit.“ Bei ihrer Ankunft als Braut in Ludwigsburg habe sie Schubart besungen:

     „Die Nachtigall sang froh dazu:
Wie schön bist Du! wie schön bist Du!“

Durch ihr ganzes Leben waren stille Demuth und Gehorsam gegen ihren Eheherrn, ja selbst Furcht vor ihm, Hauptzüge ihres Charakters. Sein Wille war ihr strenges Gebot, und ihr ganzes Dichten und Trachten ging nur dahin, ihn bei gutem Muthe zu erhalten und alles Unbequeme von ihm zu entfernen. Auf seinem Todtenbette, wo er die Hostie nicht mehr verschlingen konnte, nahm sie dieselbe von den kalten, ersterbenden Lippen und verschlang sie in seinem Namen unter Gebet und Thränen. Diese krankhafte Excentricität zeigt bei ihren Schwestern noch trübere Erscheinungen. Eine ältere Schwester, die sehr geistreich gewesen und poetische Anlage gehabt haben soll, verfiel später in Melancholie; ihr Sohn wurde wahnsinnig. Ihre Tochter, deren Sohn der Dichter Wilhelm Hauff war, wurde Nachtwandlerin, und auch die jüngste Schwester der Mutter ist wahnsinnig gewesen. „Das Gefühlsleben,“ berichtet Kerner selbst, „herrschte bei meiner Mutter durchaus vor, aber nie erlitt sie eine Störung des Geistes. Es erzeugte sich in ihr kein Wahnsinn, aber, wenn man mich so nennen will, doch in ihr ein Poete, und so war es auch bei Wilhelm Hauff’s Mutter. Ich führe diese physischen Zustände einzelner Glieder meiner Familie an, weil daraus hervorgeht, wie Wahnsinn, Somnambulismus und Dichtkunst mit einander verwandt sind, und oft eins aus dem andern hervorgeht.“ – Bei dem Dichter der „Seherin von Prevorst“, der „Erscheinungen aus dem Nachtgebiete der Natur“ hat sich dies in hohem Grade bewahrheitet.

Und wie bei den erwähnten deutschen Dichtermüttern zeigen sich dieselben seelischen Uebertragungen auch bei Dichtermüttern fremder Nationalitäten. Dämonischer noch als bei dem vorgenannten deutschen Dichter Zacharias Werner sind die düstern Schatten, welche das Bild der Mutter Byron’s auf ihren großen Sohn wirft.

Lord Byron! Er war geboren – so charakterisirt ihn sein geistreicher Landsmann Macaulay – mit Ansprüchen auf Alles, was Menschen begehren und bewundern. Aber einem jeden der unzähligen Vortheile, welche ihm vor Andern zu Theil geworden, war ein Zusatz von Unglück und Entwürdigung beigegeben. Aus einem alten, edlen Hause entsprossen, trat er eine Erbschaft an, verkümmert und befleckt durch Verbrechen und Thorheiten seiner nächsten Vorfahren. Sein unmittelbarer Vorgänger war arm gestorben und nur die Milde seiner Richter hatte ihn vor dem Tode durch Henkershand bewahrt. Der junge Lord hatte große Geistesgaben, aber auch ihnen war viel Ungesundes beigemischt. Von Natur gefühlvoll und hochherzig, machten Launen ihn reizbar und wunderlich. Bei apollinischer Schönheit der Gesichtszüge war er doch nur ein Krüppel, der über die Straße hinkte.

Aber wie launisch auch das Schicksal gegen ihn war, war doch die Mutter noch tausendmal launischer. Von leidenschaftlichen Ausbrüchen des Zornes ging sie zu ebenso leidenschaftlichen Ausbrüchen einer ausschweifenden Zärtlichkeit über. Es schien, als ob die eigene Mutter nicht weniger als die Natur und alle seine Umgebungen es darauf angelegt hätten, ein verzogenes Kind aus ihm zu machen. Kein Wunder, daß er es geworden.

Catharina Gordon, die einzige und reiche Erbin aus altadeliger schottischer Familie, war die zweite Gattin des Capitain Byron. Der eheliche Friede ward ebenso schnell vernichtet, wie die ganze Habe der Frau schon nach einem Jahre verthan war. Das einzige Kind, George Byron, ward erst nach der Trennung der Eltern 1788 geboren und verlebte seine Kinder- und Jugendjahre bei der Mutter.

Züge ihres Charakters zeigten sich schon im zartesten Alter auch bei dem Kinde. Als George eines Tages gescholten wurde, weil er ein neues Röckchen, das ihm eben angezogen worden, beschmutzt hatte, erwiderte er kein Wort. Aber er wurde bleich wie der Tod, und mit beiden Händchen das Kleid ergreifend, zerriß er es von oben bis unten und trotzte in stummer Wuth dem Aerger der Wärterin. Ja, es wurde noch lange eine Untertasse als Reliquie aufbewahrt, aus welcher das Kind einst in einem solchen Anfalle von innerer Empörung ein Stück förmlich herausgebissen hatte. Die Mutter war ihm das Vorbild zu solchen Scenen; nur einer unbedeutenden Veranlassung bedurfte sie, um in so große Wuth zu gerathen, daß sie Alles umherwarf und zerbrach, daß sie sich die Haube vom Kopfe riß und mit Füßen zusammentrat.

Zum größten Unglücke für den Knaben war seine Erziehung ganz dieser Mutter überlassen, bei der selbst der Umstand, welcher sonst die Zärtlichkeit noch erhöht, dazu dienen mußte, das gestörte Verhältniß noch mehr zu vergiften. Das körperliche Mißgeschick ihres Sohnes, diese „Hintansetzung der Natur“, welche der Dichter bis an sein Ende bitter empfand, gab der Wildheit der Mutter leider nicht selten Veranlassung zu Spott und Hohn. Und wenn dieser Knabe dennoch bei alledem ein großer Dichter wurde, ist es zu verwundern, wenn seine Werke in reichem Maße von einem wahrhaft dämonischen Elemente durchdrungen wurden?

Dieses dämonische Element äußerte sich auch bei der Nachricht von dem Tode seiner Mutter. „Meine arme Mutter,“ schreibt er dem Freunde, „ist gestern gestorben, und ich komme von London, um sie in die Familiengruft zu geleiten. Erst gestern erfuhr ich, daß sie krank sei, und heute schon erhielt ich die Todesbotschaft. Ich fühle jetzt, wie wahr der Dichter spricht, wenn er sagt, daß wir nur Eine Mutter haben können. Friede sei mit ihr!“ Und doch war er dem Leichenzuge nicht gefolgt, sondern sah ihm nur vom Thore der Abtei mit eisiger Kälte nach und trat alsbald an seine täglichen Morgenübungen im Faustkampfe mit mehr als gewöhnlicher Heftigkeit. Daß dies aus der Marotte der Absonderlichkeit geschehen, darauf leitet überzeugend eine Beobachtung der Dienerin. Diese kam zufällig in der Nacht nach der Ankunft des Lords an der Thür des Zimmers vorüber, in dem die Entschlafene lag. Sie glaubte drinnen schwere Seufzer zu vernehmen, und als sie eintrat, sah sie zu ihrem Erstaunen Byron allein am Bette der Leiche in einem Strome von Thränen, und vom Schmerzgefühle überwältigt, rief er der Eintretenden entgegen: „Ach, ich hatte nur diese eine Freundin in der Welt, und sie ist von mir gegangen.“

Und auch in dieser Schmerzensäußerung ist der Charakter der Mutter zu erkennen. Bei der kältesten Gleichgültigkeit, bei allen Anfällen von Wuth und Zorn war sie im tiefsten Herzensgrunde doch von Stolz und Zärtlichkeit für den Sohn erfüllt. Seiner literarischen Thätigkeit widmete sie die zärtlichste Theilnahme. Sie ahnte seine Größe im Voraus. Man fand in ihrem Nachlasse eine sehr sorgfältig geordnete Sammlung von Urtheilen und losen Blättern, die das Genie des Sohnes anerkannt und verkündet hatten.

[838] Neben dieses Gemälde voll düsterer Schatten stellen wir ein Bild voll Licht und Wärme, das der Mutter von Alfons Lamartine. Alix des Roys – so hieß die Mutter unseres Dichters – war die Tochter des Generalintendanten des Herzogs von Orleans und der Untergouvernante der prinzlichen Kinder; sie nahm in ihren Kinderjahren Theil an den Lectionen und Spielen des nachmaligen Königs Louis Philipp, und die Bilder der berühmtesten Männer jener Zeit blieben ihrem Gedächtnisse eingeprägt, wie die Spuren vorweltlicher Wesen in dem Gesteine der Gebirge. Von Rousseau war sie schwärmerisch eingenommen. Sie bekannte sich nicht zur Religion seines Genies, aber zu der seines Herzens. Die Schrecken der Revolution hatten die Frau hart getroffen. Sie nährte den Sohn, während der angebetete Gatte an den Stufen des Schaffots stand. Was Wunder, wenn die Menschen, deren Leben aus so finsteren Tagen datirt, eine Neigung zur Traurigkeit und Melancholie haben.

Wenden wir uns indeß an ein anmuthigeres Bild aus der Kindheit des Dichters. Auf einem Kanapee von geflochtenem Stroh in der Ecke, welche von dem Kamine des einfachen Zimmers und der Wand des Alkovens gebildet wird, sitzt eine Frau, welche noch sehr jung zu sein scheint, obgleich sie schon beinahe fünfunddreißig Jahre zählt. Ihre hohe Gestalt besitzt noch die ganze Geschmeidigkeit und Eleganz des jungen Mädchens; ihre Züge sind so zart, ihre schwarzen Augen haben einen so offenen und durchdringenden Blick, ihre durchsichtige Haut läßt unter ihrem etwas blassen Gewebe so deutlich das Blau ihrer Adern und das flüchtige Roth ihrer geringsten Bewegung wahrnehmen, ihre tief schwarzen, aber sehr feinen Haare fallen so wellenförmig und seidenartig an ihren Wangen bis auf die Schultern herab, daß es unmöglich ist zu entscheiden, ob sie achtzehn oder dreißig Jahre zählt.

Diese halb auf ihre Kissen zurückgelehnte junge Frau hält ein kleines Mädchen, welches, mit dem Kopfe auf einer ihrer Schultern ruhend, eingeschlafen ist. Das Kind hat noch um seine Finger eine der langen schwarzen Haarlocken seiner Mutter geschlungen, mit welcher es gespielt hatte. Ein anderes, etwas älteres kleines Mädchen sitzt auf einem Schemel zu Füßen des Kanapees. Es ruht mit seinem blonden Köpfchen auf den Knieen seiner Mutter. Diese junge Frau ist des Dichters Mutter; die beiden Kinder sind seine Schwestern. – Lassen wir nun den Dichter selbst erzählen.

„Dem Kamine gegenüber sitzt ein Mann, den Ellenbogen auf den Tisch gestützt, mit einem Buche in der Hand. Er liest mit lauter Stimme vor. Ich höre‚ noch jetzt den männlichen, vollen, kräftigen und dessen ungeachtet biegsamen Ton dieser Stimme, welche lange, tönende Perioden dahinfließen läßt. Meine Mutter hört mit etwas geneigtem Kopfe träumerisch zu. Ich, mit meinem dem Vater zugewendeten Gesicht und auf eines seiner Kniee gestemmtem Arme, sauge jedes Wort ein, greife jeder Scene vor, verschlinge das Buch, dessen Blätter sich für meine ungeduldige Phantasie zu langsam umwenden. Was enthält dieses Buch? – das erste Buch, dessen so beim Eintritte in das Leben vernommener Inhalt mich wirklich lehrt, was ein Buch ist, und mir sozusagen die Welt der Rührung, der Liebe und der Träumerei öffnet?

Dieses Buch ist ‚Das befreite Jerusalem‘. – So war Tasso, von meinem Vater vorgelesen, von meiner Mutter mit Thränen in den Augen angehört, der erste Dichter, der die Saiten meiner Phantasie und meines Herzens gerührt hat.“ –

An anderen Stellen erzählt Lamartine:

„Meine Erziehung lag ganz in den mehr oder weniger heiteren Augen und dem mehr oder weniger offenen Lächeln meiner Mutter. Die Zügel meines Herzens lagen in dem ihrigen. Sie forderte von mir weiter Nichts als Güte und Wahrheit. Ich hatte keine Mühe, es zu sein. Mein Vater und meine Mutter waren meine ersten Lehrer. Ich sah sie lesen – und wollte lesen lernen; ich sah sie schreiben – und bat sie, mir zu helfen, Buchstaben zu machen. Meine Ideen standen mit denen meiner Mutter in steter Verbindung und entwickelten sich sozusagen in den ihrigen. Aus der Seele meiner Mutter sog ich alle nährenden Säfte meines jungen Lebens; ich las durch ihre Augen, fühlte durch ihre Eindrücke, liebte durch ihre Liebe. Sie übersetzte mir Alles, die Natur wie die Gefühle, die Herzensregungen wie die Gedanken. Der Unterricht, den ich erhielt, bestand nicht aus Lectionen; es war die Handlung des Lebens, Denkens und Fühlens selbst, welche ich unter ihren Augen mit ihr, wie sie und durch sie verrichtete. – So bildete sich mein Herz nach einem Muster, das ich nicht einmal zu betrachten brauchte, so sehr war es mit meinem eigenen Herzen verschmolzen.“

Schließlich noch eine einzige Stelle für deutsche Mütter.

„Meine Mutter,“ berichtet Lamartine, „kümmerte sich sehr wenig um das, was man unter Unterricht zu verstehen pflegt. Sie strebte nicht danach, aus mir ein für mein Alter früh entwickeltes Kind, ein sogenanntes Wunderkind, ein Genie zu machen. Sie reizte mich nicht zu dem Streben, es besser zu machen, als Andere, was bei Kindern meist oder oft eine Eifersucht des Stolzes ist. Sie verglich mich mit Niemand; sie erhöhte mich nicht und erniedrigte mich nicht durch gefährliche Vergleichungen. Sie dachte mit Recht, daß ich, wenn meine intellectuellen Kräfte einmal durch die Jahre und die Gesundheit des Körpers und Geistes entwickelt sein würden, ebenso geläufig wie ein anderes Kind das wenige Griechisch und Latein und Rechnen begreifen würde, aus dem die trivialen Kenntnisse bestehen, auf die man einen so hohen Werth legt. Was sie wollte, das war, aus mir ein glückliches Kind, einen gesunden Geist und eine liebende Seele, ein Geschöpf Gottes zu bilden und nicht eine Puppe der eitlen Selbstsucht und des Dünkels.“

Deutsche Mütter, beherzigt diese Erziehungsweise!





Der Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin.
Von Otto Glagau.
12. „Dividendenbier“.

Zu Rostock ist ein Büchlein erschienen, betitelt „Der große Schwindel und der große Krach“. Ein originelles ergötzliches Büchlein! Es ist nämlich eine humoristisch-satirische Geschichte der Schwindelperiode, blos zusammengestellt aus Citaten der Berliner Witzblätter: „Kladderadatsch“, „Wespen“ und „Ulk“; also ein Geschichtswerk, das auf unantastbaren Quellen beruht. Im Gegensatze zu der übrigen Presse haben „Kladderadatsch“ und Genossen den Schwindel als solchen gekennzeichnet und mit ihren Witzen begleitet. Aber eben diese Witze und Schnurren halfen vielleicht täuschen über den blutigen Ernst des Schwindels, ließen den verbrecherischen Frevel, der an dem ganzen Volke verübt wurde, nicht recht zum Bewußtsein kommen. Während wir die auf Kosten der Gründer und Börsianer gerissenen Witze und Späße belachten, merkten wir nicht, daß dieselben Gründer und Börsianer auch uns die Taschen leerten, auch uns bis auf’s Hemde auszogen.

Die allgemeine Ausplünderung der Gesellschaft vollzog sich allmählich und fast unmerklich im Laufe von Jahren, aber als unmittelbare Folgen des Schwindels zeigten sich sofort allerlei Calamitäten und Wehen. Hand in Hand mit der Wohnungsnot ging die Vertheuerung und Verschlechterung der Lebensmittel. Alle Lebensmittel und alle Waaren wurden nicht nur theurer, sondern auch schlechter, zugleich geringer an Quantität und an Qualität, oder sie erlitten gar eine grobe und nicht selten gesundheitsgefährliche Verfälschung. Das Publicum wurde nicht blos übertheuert, dreimal betrogen: man beeinträchtigte und verleidete ihm auch den Genuß, man verkümmerte ihm des Leibes Nahrung und Nothdurft. Besonders geschah dies mit einem Artikel, der neben dem Brode im täglichen Haushalt eine Hauptrolle spielt.

In ganz Deutschland steigert sich seit länger als 30 Jahren der Bierconsum, ist namentlich das sogenannte „Baierisch“ zu einem Nahrungsmittel für alle Classen geworden. Bis 1870 war es durchweg ein reines gehaltvolles Getränk; mit dem [839] Gründungsschwindel verlor es sofort und reißend an Geschmack und an Güte, und wenn es sich auch nach dem „Krach“ wieder etwas verbessert hat, so giebt es doch immer noch viel zu klagen.

In Berlin wurde ehedem ein gutes, ja vortreffliches „Baierisch“ verschänkt. Eine Reihe hiesiger Brauereien, wie die von Schwendy, Lipps, Ahrens, Wagner, Patzenhofer, lieferten ein Fabrikat, das in Stadt und Provinz einen wohlverdienten Ruf genoß. Auch das „Actienbier“ vom Tivoli hatte zahlreiche Liebhaber. Tivoli, 1857 begründet (nicht „gegründet“), war lange die einzige Actienbrauerei; erst 1869 trat Friedrichshain, vormals Lipps, hinzu – eine bloße Umwandelung; schon eine Vorgründung, besorgt von Banquier Rauff, Justizrath Hinschius, Commerzienrath Gilka und Genossen.

Die hiesigen Brauereien vermochten den Bedarf nicht entfernt zu decken; in jedem Sommer zeigte sich Biernoth; das ganze Jahr hindurch wurden von nah und fern, aus der Umgegend und aus ganz Deutschland gewöhnliche Lagerbiere und „echte“ Biere eingeführt. – Hier lag ein wirkliches (nicht blos, wie bei den Wohnungen, ein scheinbares und künstlich gesteigertes) Bedürfniß vor und konnte daher den Gründern nicht entgehen. Zugleich mit der „Wohnungsfrage“, nahmen die Gründer auch die „Bierfrage“ in die Hand und lösten sie nach ihrer Weise.

Noch vor Ausbruch des Actiengesetzes, und natürlich in Voraussicht desselben, wurden im Frühjahr 1870 zwei Brauereien in „Commanditgesellschaften auf Actien“ – damals die bequemere, weil leichter erreichbare Form – verwandelt: Unions-Brauerei, früher Gratweil und Böhmisches Brauhaus, dem Gerichts-Assessor a. D. Knoblauch gehörig. – Hermann Geber, auch hier wieder der Erste auf dem Platz, „gründete“ in Verbindung mit den Banquiers Julius Guttentag und Georg Sackur sowie dem Rechtsanwalt Hecker – seinen Freund Hermann Gratweil, der sich alsbald selber zu einem flotten Gründer entwickelte, beziehentlich bei verschiedenen, eigentlich Geber’schen Gründungen hülfreiche Hand leistete. – Armand Knoblauch ließ sich gründen von F. W. Krause u. Comp., Commerzienrath Victor Ludwig Wrede, Gustav Gravenstein, Fabrikbesitzer Gustav Schöpplenberg und Justizrath Ahlemann.

Am 11. Juni 1870 explodirte das Actiengesetz, und nun kamen die übrigen Brauereien an die Reihe; eine nach der andern wurde „gegründet“. Wir classificiren sie wie folgt:

A. Nicht zu böse Gründungen:

Friedrichshöhe, vormals Patzenhofer. Verfasser: Banquier Anton Emil Wolff (Hirschfeld u. Wolff), Banquier Paul Heimann (Marcus Nelken u. Sohn), Generalconsul Ascher Salinger (Gebrüder Arons) etc. Cours circa. 90;

Schultheiß. Verfasser: Commerzienrath Wilhelm Herz, Consul und ehemaliges Reichstagsmitglied Gustav Müller, Consul George Marchand, Commerzienrath Benjamin Liebermann, Oskar Hainauer, Julius Schiff, Adolf Rösicke, Richard Rösicke. Cours noch circa 100.

B. Ziemlich böse Gründungen:

Bock, früher G. Hopf. Gründer: Commerzienrath Meyer Cohn, Julius Alexander, Dr. Otto Hübner, Fabrikant Hermann Reimann etc. Cours circa 50;

Moabit, früher Moritz Ahrens. Gründer: Josef Pincuß (Feig u. Pincuß), Bernhard Friedheim, Karl Deibel, Julius Grelling (Gebrüder Grelling). Aufsichtsräthe respective „Revisoren“: Regierungsrath a. D. Albert Bühling, Dr. Georg Kurs, Dr. Hermann Rasche, Aron Aumann. Cours circa 50.

C. Entschieden böse Gründungen:

Schöneberg, vormals Heinrich Schlegel. Gründer: Hermann Schuster, Gustav Löwenberg, Aron Aumann, Karl Coppel, Ludwig Max Goldberger, Adolf Martini, Fabrikbesitzer Emil Moritz Rathenau. Cours circa 30.

Adler, vormals G. Schwendy. Gründer: Hugo Wolff, Hermann Frenkel, Director Spielhagen, Stadtrath Pohle etc. Cours circa 20;

Königstadt, vormals Busse u. d’Heureuse. Gründer respective Aufsichtsräthe: Alwin Soergel (Deutsche Genossenschaftsbank von Soergel, Parrisius u. Comp.), Johann Kämpf in Halle (Hallescher Bankverein), Anton Securius, Julius Busse, Louis Feig, Heinrich Booß, Arnold Wittkowski, Reichstagsmitglied Stadtrath Hausmann in Brandenburg etc. Cours circa 20.

D. Sehr böse Gründungen:

Societäts-Brauerei; gegründet von Heinrich Reh, Karl August Arndt und Johann Gottlieb Maecker, welche auch die berühmte Tempelhofer Baugesellschaft in die Welt setzten. Cours circa 8;

Hasenhaide, früher C. Kelch. Gründer: Julius Samelson, Julius Pickardt, Felix Mamroth, Julius Hahlo, Joseph Neisser, Gustav Noah, Director Gustav Hartmann, Generaldirector Julius Müller etc. Director und später Liquidator: Albert Neisser. Cours ½.

Von allen diesen „Gründungen“ war wohl die anständigste „Friedrichshöhe“. Nach Saling’s Börsenhandbuch geschah sie „mit einem sehr bescheidenen Aufschlag“. Dies war aber nicht die Schuld der Gründer, sondern die des Vorbesitzers G. Patzenhofer, der seine Hand darüber hielt. Der ehrliche, dicke Patzenhofer behielt auch die Leitung der Brauerei bis zu seinem im vorigen Jahre erfolgten Tode, und unter ihm behauptete „Friedrichshöhe“ von allen Bier-Actien den höchsten Stand. Erst hinterher, unter der Direction von F. Goldschmidt und Paul Potocky-Nelken, fiel mit der Dividende auch der Cours, und die Actien nehmen nicht mehr die erste, sondern nur noch die vierte oder fünfte Stelle ein.

Wie es sonst bei den Bier-Gründungen in der Regel zugegangen ist, hat ein Herr Bötzow verrathen, der sich 1871 von der Vereinigung der Brauereibesitzer trennte, und damals Folgendes erzählte:

Man habe ihm für seine Brauerei, um dieselbe zu „gründen“, die enorme Summe von 300,000 Thaler geboten. Der Commissionär, der das Geschäft vermittelte, beanspruchte für sich die Kleinigkeit von 25,000 Thaler; der eigentliche Leiter oder Hauptgründer verlangte 50,000 Thaler; die Banquiers oder das Börsen-Consortium forderten 200,000 Thaler, sodaß ein Actiencapital von 600,000 Thalern ausgeworfen werden sollte. – Herr Bötzow hatte den Muth, abzulehnen, aber viele seiner Collegen warfen sich den Gründern mit Wollust in die Arme.

Alle jene Bier-Gründungen – auch die, deren Actien noch hoch im Course stehen – waren sehr theuer; alle sind heute mit einem zu großen Capitale belastet. Auch Tivoli und Friedrichshain, die schon von 1857 und respective 1869 datiren, haben sich in der Schwindelperiode mit neuen Emissionen und neuen Anleihen übernommen.

Schloßbrauerei Schöneberg, Adler und Königstadt gehören schon zu den grausamen Gründungen, wie dies freilich nur dem Charakter der Verfasser entspricht, die sich durch eine Reihe zum Theil noch schlimmerer Werke fast unsterblich gemacht haben. Hermann Schuster’s „Schloßbrauerei“ ist einschließlich der Hypotheken mit 820,000 Thalern, Hermann Frenkel’s und Hugo Wolff’s „Adler“ mit 1,000,000 Thalern, Alwin Soergel’s „Königstadt“ mit 1,200,000 Thalern belastet, und „Königstadt“ gedachte Ende 1872 noch „400,000 bis 600,000 Thaler neue Actien“ auszugeben, was aber nicht mehr gelang.

Auf der schiefen Ebene der Gründungen geht es ohne Halt abwärts, tiefer und tiefer. Ein Gründer übertrumpft immer noch den andern; in vielen Fällen haben sie das gegründete Object sich nicht nur zwei-, drei-, fünf-, zehnmal über den Werth bezahlen lassen, sondern allmählich auch das ganze Actiencapital escamotirt, ja die Gesellschaft noch mit großen Schulden belastet, nicht nur die Actionäre um Alles gebracht, sondern auch noch die Gläubiger betrogen. Freilich sind die „Gläubiger“ oft nur fingirt, oder doch die heimlichen Verbündeten der Gründer, resp. der Herren „Directoren“ und „Aufsichtsräthe“.

Wahre Nachtstücke von Gründungen sind die Societätsbrauerei und die Bergbrauerei Hasenhaide.

Herr Heinrich Reh „gründete“ sich selber, seine eigene, noch gar nicht fertige Brauerei, die er „Societätsbrauerei“ nannte und nach und nach mit ca. 800,000 Thalern belastete. Den Actien und Hypotheken ließ er noch 6-procentige „Prioritäts-Obligationen“ folgen, die wahrscheinlich noch tiefer stehen als die der „Flora“ und schon lange gar nicht mehr notirt werden. Wie mit den „Prioritäten“ der „Flora“, so handelt auch mit den Prioritäten des Herrn Heinrich Reh – der geniale Finanzkünstler Jean Fränkel: denn schöne Seelen finden sich, und [840] wo es eine besonders faule Gründung giebt, ist in der Regel auch Herr Jean Fränkel dabei.

Heinrich Reh warf pro 1873 eine Dividende von ganzen drei Procent aus, bekam aber gleich darauf Gewissensbisse und zahlte die grandiose Dividende nicht aus, sondern trug sie in die Bilanz als „unerhoben“ (!) ein. Die vorjährige Generalversammlung setzte er auf den heiligen Christabend. Nicht, daß er den Actionären eine angenehme Weihnachtsbescheerung zu machen gedachte: nein, er rechnete darauf, daß ihnen die Stunde ungelegen sein und daß sie dieselbe versäumen würden. Aber in den Zeitungen erschienen menschenfreundliche Merkzeichen und Fingerweise, und die Actionäre meldeten sich so zahlreich, daß Herr Reh schließlich viele abwies und ihnen die Eintrittskarte verweigerte.

Auch war Herr Reh so vorsichtig, die „Vertreter der Presse“ auszuschließen, das will hier sagen, die Abgesandten der Börsenblätter, woraus wir ihm übrigens nicht den geringsten Vorwurf machen wollen, denn diese Leute sind sehr überflüssig, und sie verfolgen nicht die Interessen des Publicums, sondern nur die der Börse. Trotz aller Vorsichtsmaßregeln war die Versammlung zahlreich, und sie nahm einen sehr aufrührerischen Verlauf. Von allen Seiten erhoben sich Klagen, Vorwürfe, Anschuldigungen und Drohungen, aber Herr Reh stand da wie im brandenden Meere der Fels. Er leugnete nicht einmal; er gab fast Alles zu; er ließ die empörten Actionäre schreien und toben, bis sie müde wurden, und dann schloß er ruhig und würdig die Sitzung. Seiner Pflicht gemäß, veröffentlichte er auch wieder die Bilanz, ohne sie aber, wie es Gebrauch ist, von einem Revisor bescheinigen zu lassen. Herr Heinrich Reh weiß sich über solche Formen hinwegzusetzen, und in Wahrheit ist bei den Bilanzen der Actiengesellschaften der „Revisor“ eine bloße Form.

Der Bergbrauerei Hasenhaide hatte der frühere Besitzer, C. Kelch, für das erste Jahr eine Dividende von 8 Procent garantirt, und er bezahlte sie auch. Die Gesellschaft erwarb das Etablissement für den kolossalen Preis von Einer Million und schritt dann noch zu kostspieligen Ankäufen und Bauten. Die Bilanz pro 1874 schloß mit einem Verlust von 96,000 Thalern; thatsächlich war aber bereits das ganze Actiencapital und noch mehr verloren. Man mußte liquidiren, und die Firma Benoni Kaskel erstand die Brauerei kürzlich für 550,000 Thaler, welche Summe noch nicht einmal die Forderungen der Gläubiger deckt. Die Actien sind völlig werthlos; trotzdem werden sie an der Börse noch immer mit ½ notirt und flott gehandelt.

Nicht nur, daß die Actienbrauereien theuer „gegründet“ sind – auch ihr Umbau und Ausbau, ihre Vergrößerung und Erweiterung, die in manchen Fällen das Maß überschritt, fällt gerade in die theuerste Zeit. Sie kauften Terrains, Grundstücke und Maschinen zu den höchsten Preisen – sie haben überaus kostspielig gebaut. Seitdem sind Gebäude und Baugründe im Werthe sehr gesunken, die Löhne und die Preise der Materialien rapid gefallen.

Ferner ist auch die Verwaltung der Actienbrauereien, wie die jeder Actiengesellschaft überhaupt, sehr theuer. Hoch sind die Gehälter und Lohne; unverhältnißmäßig hoch sind die Tantièmen, welche „Vorstand“ und „Aufsichtsrath“ beziehen. Diese Tantièmen verhalten sich nicht selten zu der Dividende, welche auf die Gesammtheit der Actionäre entfällt, wie 1 zu 5. Solche riesige Tantièmen waren vor dem Gründungsschwindel unerhört. Und selbst bei den Gesellschaften, die nur eine klägliche Dividende abwarfen, scheuen sich die Herren Directoren und Aufsichtsräthe nicht, eine erkleckliche Tantième einzustreichen. So erhielten sie bei Moabit (4 Procent Dividende) 4000 Thaler, bei der Bockbrauerei (4⅓ Procent Dividende) 5800 Thaler und sogar bei Adler (1½ Procent Dividende) 1775 Thaler.

(Schluß folgt.)


Bitte, Bitte!

Wohl fliegt es im Freien
Sich herrlich im Mai,
Aber, ach, nur im Winter
Nicht vogelfrei!

5
Wir suchen umsonst da

Die kärglichste Kost
Und blasen den Pelz auf
Vor Hunger und Frost.

O, werfet uns Körnlein

10
Herab in den Schnee!

Seid gut und bedenket:
Der Hunger thut weh’.

[841]
Ein Tag auf dem Vesuv.[2]

Letzte Reitstation auf dem Vesuv.
Nach der Natur aufgenommen von Oscar Hülcker.

Der anbrechende Morgen fand uns vor dem „Hôtel du Soleil“ in Pompeji schon auf den Beinen. Es galt eine Vesuvbesteigung, und vor der Thür stampften und wieherten bereits die kleinen dickköpfigen Bergpferde. Unser Costüm hatte sich den Verhältnissen einer solchen Excursion angepaßt. Nach Salonbegriffen hätten wir gerade nicht behaupten können, wir sähen „bezaubernd“, wohl aber sahen wir wie „verzaubert“ aus. Als es hieß „aufsitzen!“, schlug es gerade fünf Uhr. Der Himmel wölbte sich durchsichtig blau über uns; die Sonne vergoldete schon Alles mit ihren Strahlen, und [842] der Vesuv, unser Reiseziel, sandte einen leichten weißen Qualm gen Neapel.

Wir brannten uns, hoch zu Roß, eine Cigarre an, und vorwärts ging es, in den frischen Morgen hinein. Anfangs die Chaussee nach Torre del Annunziata innehaltend, schwenkten wir bald nach Bosco tre Case ab. Hier, in einem kleinen ärmlichen Dorfe, wurde abgesessen und ein kurzer Halt gemacht. Mit einem „Rechts schwenkt, Marsch!“ marschirte unsere Gesellschaft mit den beiden zu Fuß dahertrabenden Führern vor einer Weinkneipe auf. Wir tranken etwas Rothwein, der, obgleich uns von den Führern angepriesen, doch recht verdächtig nach Essig schmeckte, dann wurde wieder aufgesessen und der Weg fortgesetzt. Als wir das Dorf verlassen hatten, begann der bis dahin ebene Weg zu steigen. Die Pferde sanken in die hier schon Alles bedeckende lose, schwarze und grobkörnige Vesuv-Asche bis über die Fesseln ein und blieben schon nicht mehr zusammen. Einzelne derselben wurden müde; die immer seltener werdende Vegetation hörte ganz auf, und das Terrain stieg bedeutend. Nach langem Mühen erreichten wir gegen acht Uhr den Fuß des eigentlichen Aschkegels, die sogenannte Station.

Weiter konnten wir nicht reiten; die letzte Strecke bis zum Krater mußte erklommen werden. Wir saßen ab; die Pferde wurden mit den Halfterriemen an Lavablöcke befestigt, und ein von der Sonne meerschaumartig angerauchter Junge, der mit zehn oder zwölf Neapolitanern hier Posto gefaßt hatte, wurde zu ihrer Bewachung gedungen. Ich benutzte diesen Moment der Ruhe, um von dem jäh vor uns aufsteigenden Wege eine Skizze aufzunehmen, die diesem Aufsatze beigegeben worden ist. Einige der hier campirenden Leute boten sich uns zur Unterstützung beim Bergsteigen an, und drei der Herren nahmen das Anerbieten an. Wir übrigen drei versuchten unser Glück ohne Hülfe. Den Führer voran, ging es im Gänsemarsche vorwärts. Da ich indeß in den Alpen und später in den Abruzzen zu oft erfahren hatte, wie man beim Bergsteigen mit seiner Kraft haushalten muß, so war ich bald der Letzte der Gesellschaft. Der Aschkegel steigt in einem Winkel von fünfunddreißig bis vierzig Grad. Die bodenlose Asche, die uns bis über die Knöchel versinken und bei einer Steigung von drei Schritten zwei Schritt wieder zurückrutschen ließ, strengte unsere Kraft bis zum Aeußersten an, aber tapfer stiegen wir höher und höher. Die Asche unter unseren Füßen wurde glühend heiß, und die südliche Sonne über uns brannte versengend auf unsere Scheitel; schon waren die vordersten Herren oben am Krater, nur der Vorletzte, der Maler S. aus G. mit seinem Führer, und ich hatten uns einen Augenblick hingesetzt, um zur letzten Anstrengung neue Kraft zu sammeln. Nach ungefähr fünf Minuten brachen wir wieder auf und hatten höchstens nur noch drei Minuten bis zum Kraterrand zu steigen. Der ganze Boden über uns und neben uns dampfte. Der Schwefelqualm benahm uns fast den Athem und zeigte uns, wie porös die Masse war, auf der wir uns befanden.

Wir wurden immer stärker angehaucht – da plötzlich stolperte mein Vordermann, ließ den ihm vom Führer gereichten Riemen los und stürzte ohnmächtig zurück. Da ich dicht hinter ihm war, fiel er auf mich, und ich wäre unfehlbar von ihm hinuntergerissen worden, wenn ich ihn nicht gehalten hätte. Ich legte den Bewußtlosen mit Hülfe des Führers auf den Boden und schickte Letzteren zu einem der Herren, welcher für derartige Fälle etwas Branntwein mitgenommen hatte. Nachdem ich das Gewünschte erhalten, flößte ich dem Ohnmächtigen davon ein und benetzte ihm Stirn und Schläfe damit, doch ohne Erfolg. Der Führer versicherte mir, es kämen dergleichen Zufälle hier öfter vor. Die Ursache derselben sei sowohl in der großen Anstrengung, wie auch in dem ungewohnten Einathmen der Schwefeldämpfe zu suchen.

Inzwischen kamen die übrigen Herren zurück; wir beschlossen, einen Führer nach der Station zu schicken, um vier seiner Landsleute mit einem sogenannten Tragsessel, einer ganz roh gezimmerten Sänfte, in der sich oft Damen herauftragen lassen, zu holen. Während dieser Zeit bestieg ich mit einem anderen Führer den Rand des Kraters. Ich wunderte mich sehr, nicht, wie ich geglaubt, in eine unermeßliche Tiefe, sondern in einen an den Kanten unterhöhlten Kessel zu sehen, dessen Boden von Stein, hier und da von Klippen, zerrissenen Lavablöcken und Aschenhaufen angefüllt war. Einzelne Risse und größere Spalten auf dem Grunde des Kessels, aus denen ein dichter grauer und weißer Qualm stieg, zeigten, daß hier noch die Verbindung mit der Tiefe nicht aufgehört habe. Der Abgrund hatte eine graue, oft in’s Gelbliche spielende Farbe. Ein längeres Verweilen war indessen nicht möglich, da der Wind sich drehte und uns den ganzen Schwefelqualm in’s Gesicht blies, so daß wir zu unseren Taschentüchern greifen und, dieselben an die Nase pressend, schleunigst den Rückzug antreten mußten, um nicht zu ersticken.

Noch hatte der Ohnmächtige kein Lebenszeichen von sich gegeben. Seine Gesichtsfarbe war fahl, das halb geöffnete Auge glanzlos. Die Leute mit der Sänfte waren inzwischen angekommen und hoben den Armen auf den Sessel. Langsam ging es den Aschkegel hinunter. Am Fuße desselben angekommen, sandten wir sofort einen reitenden Boten nach Bosco tre Case zum Arzt. Wir bestiegen unsere Pferde, und den Ohnmächtigen mit uns führend, kamen wir tiefer und tiefer – schon zeigte sich hier und da etwas Vegetation, einige verkrüppelte Feigenbäume, etwas Graswuchs, einige Cacteen. Es mochte zwölf Uhr sein, da sahen wir den lang erwarteten Arzt uns entgegenkommen. Wir hielten an; die Sänfte wurde abgesetzt; der Doctor nahm seine Instrumente hervor, und die Untersuchung begann. Athemlos umstanden wir den Arzt. Sein Gesicht wurde immer bedenklicher; er auscultirte noch Lunge und Herz, und der Schluß war: „morte“. „Tod, augenblicklicher Tod durch Herzschlag“, war die weitere Erklärung, die wir erhielten. Zu gleicher Zeit wurde uns aber auch vom Arzte bekannt gemacht, daß die Leiche nicht eher weiter transportirt werden dürfe, bis wir die Erlaubniß dazu vom Boscoer Gericht hätten. Zu diesem Zwecke ritten zwei Herren mit dem Doctor nach Bosco, während wir Andern als Wache zurückblieben. Wir warteten hier von zwölf bis drei Uhr in der glühendsten Sonnenhitze; endlich tauchten ganz unten am Berge Menschen auf, zwei Gensd’armen und vier Mann mit einer Bahre, begleitet von einer durch Neugierde angelockten Menge.

Denn wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht von dem Unglücksfalle im Dorfe verbreitet, und Jeder wollte den Todten sehen. Derselbe wurde nun von den herangekommenen Gensd’armen auf die mitgebrachte Bahre gelegt; was er bei sich trug, Briefe, Papiere und Geld, wurde ihm abgenommen, um dem Gericht übergeben zu werden.

Die Mannschaften, welche die Bahre gebracht hatten, nahmen dieselbe jetzt auf die Schultern, und so ging es dem eine Stunde entfernten Bosco zu. Als wir den Eingang des Dorfes passirten, wurden wir von fast sämmtlichen Einwohnern empfangen. Es waren Männer, Weiber, Kinder, zerlumpte, halbnackte Gestalten, in allen Lebensaltern; sie Alle begleiteten uns bis zum Leichenhause; indeß war es nicht mehr Neugierde oder Mitleid, was sie uns zu folgen bewog, sondern um den Anzug des Leichnams war es ihnen zu thun; diesen wollten sie haben und stießen und schlugen sich in Folge dessen auf der Straße, so daß wir Mühe hatten, mit den Pferden durchzukommen. Selbstverständlich erhielten sie den Anzug nicht, und die Prügelei war vergebens.

Im Leichenhause erwarteten uns die anderen Herren. Wir wurden jetzt auf das Gericht beschieden. So ergriffen und matt wir in Folge des erschütternden Unglücksfalles und der Anstrengung auch waren, konnte unseren müden Sinnen die Nonchalance doch nicht entgehen, mit der die Gerichtssitzung begann. In einem einfenstrigen Raume saßen am offenen Fenster Ortsrichter und Secretär, wir auf Stühlen und Bänken, wie wir gerade Platz fanden. Der Herr Präses rauchte seine Cigarre; wir folgten seinem Beispiele. Die Vernehmung über den Todesfall wurde theils in italienischer, theils in französischer Sprache geführt, die Schriftstücke aufgesetzt, unterschrieben und untersiegelt, und wir waren entlassen.

Wiederum bestiegen wir unsere Pferde und trafen gegen neun Uhr in Pompeji ein. Aber auch hier hatte man von dem Unglücksfalle schon vernommen, und Beamte vom Gericht aus Castellamare, die telegraphisch benachrichtigt worden waren, hatten sich beeilt, die Hinterlassenschaft des Verstorbenen zu protokolliren und zu versiegeln.

Müde und matt an Körper und Geist, setzten wir uns zu Tisch, vor Hunger, Durst und Hitze halb todt; denn seit fünf Uhr Morgens hatten wir nichts genossen, und jetzt war es [843] beinahe zehn Uhr Abends. Nach Tisch stand mir noch eine schwere Aufgabe bevor. Die anderen Herren hatten mich ersucht, die Eltern des Verstorbenen von dem Unglücksfalle zu benachrichtigen, da ich der unmittelbare Zeuge desselben gewesen – aber wie sollte und konnte ich den beklagenswerthen Eltern eine so entsetzliche Nachricht mit Schonung und doch der Wahrheit getreu mittheilen? Zehnmal begann ich, zehnmal zerriß ich das angefangene Schreiben: es mußte indeß zu Ende gebracht werden, da den Armen der furchtbare Schmerz doch nicht zu ersparen war. Am Tage nach dem Unglücksfalle sollte die Section der Leiche und tags darauf die Beerdigung stattfinden. Während der Section traf ein naher Bekannter des Verstorbenen, aus Neapel kommend, in Pompeji ein, der von uns über das Ereigniß benachrichtigt worden war.

Er wollte nun das Arrangement des Begräbnisses übernehmen und fuhr noch an demselben Tage nach Neapel zurück, um mit dem deutschen Consul das Weitere zu besprechen und vielleicht eine Translocirung der Leiche nach dem Protestantenkirchhofe Neapels zu erwirken. Leider gelang ihm Letzteres nicht, wie ich erst in Neapel, wohin ich mich am nächsten Tage zu begeben gezwungen war, erfuhr. Mochte Anstrengung und Aufregung mich zu mächtig ergriffen, mochte das Klima sein Theil dazu beigetragen haben, genug, ich fühlte mich in der Nacht nach dem traurigen Tage so krank, daß ich, um einen Arzt zu consultiren, nach Neapel zurückfuhr. Ich hatte mir das in jener Gegend von Zeit zu Zeit herrschende Sumpffieber, welches unter dem Namen „Malaria“ bekannt und gefürchtet ist, zugezogen. Luftveränderung und richtige Behandlung ließen das Fieber bald verschwinden, und ich konnte, obgleich noch schwach, meine Reise nach Rom antreten.

Als ich Neapel verließ, war es Nacht, in Italien die günstigste Zeit zum Reisen. Das Sternenzelt spannte sich klar über uns, der Vesuv setzte sich mit dem dahinterliegenden Monte Somma tiefschwarz in scharfen Contouren am Firmament ab, und der glühend angehauchte Rauch stieg kerzengerade empor. So hatte dieser Koloß wieder ein Menschenleben gefordert. Nicht genug, daß er Pompeji, Herculanum und Stabiae begrub, nicht genug, daß er Hunderte, Tausende von Menschenleben in alter und neuer Zeit verschlang – noch immer verlangt er seinen Tribut und hat noch nicht das letzte Opfer gefordert.

Oscar Hülcker. 




Blätter und Blüthen.


Wo stecken die Edelmetallschätze? Wo befinden sich die ungeheuren Reichthümer, von denen die Geschichte erzählt und über die wir schon als Schulkinder gestaunt haben? Wo sind die Goldkammern von Krösus und Salomo, von Cyrus und Sesostris? Was ist aus dem Hort geworden, den Schah Nadir dem Großmogul von Indien einst abnahm? Und wo stecken all’ die Massen Silbers und Goldes, welche aus Flüssen gewaschen und aus Bergwerken gewonnen worden sind? Ueber den Verbleib all’ dieser Schätze sind wir ganz und gar im Unklaren. Zwar können wir vermuthen, daß ein großer Theil davon vergraben und vergessen wurde, ein anderer mit untergegangenen Schiffen auf dem schweigsamen Meeresgrunde liegt; doch diese Vermuthungen genügen nicht, um das Verschwinden der zahlreichen Milliarden, welche früher von Menschen besessen wurden, zu erklären. Wahrscheinlich dürfte das Räthsel niemals gelöst werden; es ist keine Aussicht vorhanden, daß die Welt jemals einen verläßlichen Bericht erhalte über den gegenwärtigen Aufenthalt des vermißten Edelmetalles. Auch wissen wir nicht einmal, wieviel wir verloren haben; allerdings können wir es schätzen, aber ohne Anhaltungspunkte für die Richtigkeit oder Falschheit unserer Muthmaßungen.

In der Regel sind, wo es sich um seltsame Statistiken handelt, Engländer diejenigen, die sich damit abgeben; ein Engländer berechnete die Zahl der Haare auf den Menschenköpfen, ein anderer die Zahl der Worte der Bibel, etc. Diesmal jedoch haben wir es ausnahmsweise mit einem Russen zu thun. Es ist ein Herr Tarassenko Otreschkoff, der sich in einem curiosen Buche („Gold und Silber“) unter Anderem die Aufgabe stellt, die Eingangs aufgestellten Fragen zu beantworten und Alles ziffermäßig zu belegen – „beweisen“ kann man nicht recht sagen, denn beweisen läßt sich da schwerlich etwas. Der Curiosität halber mögen einige Daten aus diesen Untersuchungen hier einen Platz finden. Mittelst umfangreicher Berechnungen wird behauptet, daß der Werth sämmtlichen Edelmetalles, welches die Welt von der Erbauung des babylonischen Thurmes an bis zur Entdeckung Amerikas, also bis zum Jahre 1492, besaß, sich auf sechsunddreißig Milliarden Mark (gleich achtzehnhundert Millionen Pfund Sterling) belaufen habe. Es würde uns wenig nützen, hieran zu glauben oder es zu leugnen, denn wir haben weder für das Eine noch für das Andere Argumente. Da bisher eben nur diese eine Berechnung existirt, so müssen wir uns an sie halten.

Was die Zeit nach Columbus betrifft, so hat sie uns mit nahezu doppelt so viel Schätzen an Gold und Silber beglückt, als die Zeit vor diesem Entdecker der neuen Welt, der eigentlichen Goldwelt. Darüber ist kein starker Zweifel zulässig, hat doch sogar der vor zwei Jahren abgehaltene Brüsseler Münzkongreß angenommen, das Gold und Silber, welches seit dem letzten Decennium des fünfzehnten Jahrhunderts in den Besitz von Erdbewohnern gekommen sei, wäre etwa vierundsechszig Milliarden Mark werth. Somit hätten wir eine Summe von hundert Milliarden Mark während der Zeit von der Sündfluth bis zur Enthüllung des Hermann-Denkmals. Wo finden wir nun diese hundert Milliarden?

Gegenwärtig besitzen Europa und Nordamerika nicht mehr Edelmetall als für sechsunddreißig Milliarden Mark (zwanzig Milliarden in Gold, sechszehn in Silber). Auf Südamerika, Australien und die civilisirten europäischen Colonien mögen etwa vier Milliarden kommen. In der christlichen Welt befinden sich also beiläufig vierzig Milliarden. Davon dürften dreizehn Milliarden in Münze factisch circuliren – „darüber sind die Gelehrten ziemlich einig“. Weitere zwanzig Milliarden, also die Hälfte, figuriren als Schmuck, Geschirr und Baumaterial. Wenn wir diese Ziffern acceptiren, so bleibt uns nichts übrig, als von den fehlenden sieben Milliarden anzunehmen, sie seien verborgen. Der jährliche Verlust durch Abnutzung, Schiffbruch und andere Unfälle wird auf anderthalb Procent des umlaufenden Geldes geschätzt; die Abfälle von brachliegendem und von in den Gewerben angewendetem Edelmetall werden auf ein Procent taxirt. Demgemäß entsteht jedes Jahr ein Abgang von dreihundertundzwanzig Millionen Mark. Dagegen aber beträgt die Neugewinnung von Gold und Silber jährlich achthundert Millionen. Hiervon müssen – nach Mac Culloch – außer diesen dreihundertundzwanzig Millionen für Abnützung etc. noch zweihundert Millionen für Vermehrung der Umlaufsmittel und zweihundertundvierzig Millionen für den gewerblichen Gebrauch bestritten werden.

Viel schwieriger ist es, mit den übrigen, in den nichtchristlichen Ländern vorhandenen sechszig Milliarden fertig zu werden. Wohl weiß man, daß davon der größte Theil, besonders viel in Silber, seinen Weg nach Asien genommen, doch ist es schier unmöglich, über die Art der Verwendung Auskunft zu erhalten. Ein Nationalökonom hat sich dahin ausgesprochen, daß in Indien jetzt acht Milliarden in Münzen und Putzsachen zu finden sind. Von 1852 bis 1857 – also blos in sechs Jahren – sollen allein in Vorderindien und China zwei Milliarden in Silber vergraben worden sein. Auch von den ungeheueren Summen, die seit den Phöniciern bis heute nach Arabien gebracht wurden, hat sehr wenig wieder das Land verlassen. Wenn man sogar annimmt, daß von den sechszig Milliarden zwanzig in verschiedenen Gestalten im Umlauf und Gebrauch sind, so bleiben denn doch noch vierzig ohne Paß, und es resultirt hieraus, daß – wie groß auch immer die Verluste durch Unfälle etc. sein mögen – erstaunliche Quantitäten auf eine oder die andere Weise versteckt worden sind.

L. K-r.


Abgelehnt. Meine Bitte an die Frauen, den Lebensversicherungen gegenüber Aberglauben und Vorurtheil schwinden zu lassen (Nr. 41 der Gartenlaube) hat einen lebhaften Wiederhall gefunden, wie mannigfache Zuschriften beweisen. Unter diesen befindet sich ein Brief einer Frau, der von so tiefem Gemüthsleben und feinem Verständniß der Schreiberin Zeugniß giebt, daß ich ihn an dieser Stelle am liebsten wortgetreu mittheilen möchte, wenn die mir Unbekannte sich nicht nachdrücklich dagegen verwahrte. Immerhin aber glaube ich in ihrem Sinne zu handeln wenn ich den Gegenstand, welchen sie berührt, einer kurzen Besprechung unterziehe. Gelingt es mir, damit nur einigen Gemüthern Beruhigung zu verschaffen, so bin ich reichlich belohnt, und die Unbekannte wird mir gewiß aus diesem Grunde meine Indiscretion verzeihen. Die Dame schreibt:

„Beeinflussen Sie, geehrter Herr – und allen Directoren von Lebensversicherungsgesellschaften möchte ich es zurufen – beeinflussen Sie Ihre Agenten, darauf hinzuwirken, daß die Frauen wenn nur irgend möglich, ganz aus dem Spiele bleiben, bis der Antrag angenommen, die Versicherung feststeht. Es ist besser, die Frau erfährt vorher nichts davon, weil die Möglichkeit einer auf ärztliches Gutachten gestützten Abweisung vorliegt. Sie werden mir entgegnen können, daß eine solche Abweisung, Gott sei Dank, höchst selten eintrete, aber gerade deshalb wiegt dieselbe um so schwerer für die Betroffenen, am schwersten wohl für die Frau, die ihren Gatten aufrichtig liebt und in der Verweigerung der Aufnahme eine sichere Bürgschaft dafür erhält, daß unter Vielen gerade ihr Gatte nach ärztlichem Dafürhalten der Wahrscheinlichkeit eines früheren Todes unterliegt. Wenn nun die Hoffnung zu einer Wunderblume für den Erdenwanderer wird, so gestaltet sich jene unbestimmte Furcht zu einer Giftpflanze, die vernichtend wirkt etc.“ –

Die Lebensversicherungsgesellschaften, nach den bisherigen, verhältnißmäßig immer noch geringen Erfahrungen in Dingen, welche die Medicinalstatistik vielleicht erst nach hundertjährigen Beobachtungen endgültig feststellen wird, sind in ihrem heutigen Zuschnitte in Bezug auf Berechnung ihrer Prämientarife darauf angewiesen, Versicherungsanträge, welche nicht nach jeder Richtung hin als absolut ungefährdete erscheinen, zurückweisen zu müssen. Es ist daher für den Leiter einer Lebensversicherungsanstalt die oberste Aufgabe, bei der Aufnahme neuer Anträge überaus vorsichtig zu Werke zu gehen. Hätte man es auf der Welt nur mit aufrichtigen, [844] wahrheitsliebenden Menschen zu thun und spielte nicht das Wörtchen Eigennutz sowohl bei Gesellschaften wie bei Versicherungsuchenden eine so bedenkliche Rolle, wahrlich, das reine, erhabene Bild der Versorgung der Familie über den Tod hinaus, wie es die Versicherung des Lebens bieten will und soll, zeigte in der Wirklichkeit nicht so manchen häßlichen Fleck.

Gewiß ist es ein niederdrückendes Gefühl, wenn der Agent dem Antragsteller mittheilen muß: dein Antrag ist nicht angenommen worden. Und doch hat auch solche Entscheidung für den Betroffenen eine heilsame Wirkung: er wird vorsichtiger und aufmerksamer auf seine Gesundheit.

Ich will mich zunächst an diejenigen wenden, denen das passirt ist. Statt längerer Auseinandersetzung möchte ich zu ihrer Beruhigung folgende Thatsache mittheilen, die sich vor Kurzem abspielte. In dem vorigen Frühjahr kam nämlich eines Nachmittags auf das Bureau einer Gesellschaft (der alten Leipziger Lebensversicherung) ein stattlicher, wohl aussehender Mann, der sich als Filzhutfabrikant aus einer Stadt des sächsischen Voigtlandes vorstellte. Ohne längere Umschweife erklärte er, daß er bereits vor mehreren Jahren von drei Gesellschaften kurz hintereinander mit seinem Antrage abgewiesen worden sei. Auf näheres Befragen theilte er ferner mit, daß er früher ein langer, schmächtiger junger Mann und als Werkführer in einer bairischen Filzfabrik tätig gewesen sei. Diese Momente hätten jedenfalls die früheren Ablehnungen veranlaßt. Unsere darüber eingezogenen Erkundigungen bestätigten dies vollständig; die von unserem hiesigen Vertrauensarzt vorgenommene Untersuchung führte zu einem durchweg günstigen Resultat, so daß wir den Mann mit einer seinen Verhältnissen entsprechenden Summe in Versicherung nahmen. –

Ich will gleich die Nutzanwendung daraus ziehen. – Je aufrichtiger und offener ein Antragsteller der Gesellschaft entgegentritt, je eher wird er auf eine günstige Entscheidung zu rechnen haben. Merkt dagegen die Gesellschaft, hier will man nicht recht mit der Sprache heraus in Bezug auf überstandene Krankheiten, Krankheiten in der Familie, etwaige frühere Abweisungen bei anderen Gesellschaften etc., so faßt der Entscheidende leicht Verdacht und sieht oft an und für sich unverfängliche Sachen mit Mißtrauen an. Geradezu plump ist es aber zu nennen, eine etwa erlittene frühere Ablehnnug zu verschweigen, da, wie die Erfahrung lehrt, solche Verheimlichungen fast nie unentdeckt bleiben. – Ein zweites Moment, auf welches ich jeden Abgewiesenen aufmerksam machen möchte, ist folgendes. Die meisten Abgewiesenen begehen den Fehler, sofort bei einer zweiten, respective dritten Gesellschaft ihr Heil zu versuchen. Das ist geradezu verkehrt, denn jede folgende Gesellschaft ist durch die Entscheidung ihrer Vorgängerin mehr oder weniger im eigenen Urtheile beeinflußt. – Sind dagegen seit der erfolgten Ablehnung mehrere Jahre in’s Land gegangen, so haben sich oft Umstände, auf Grund deren die erstere geschah, wesentlich anders gestaltet, gewisse Befürchtungen sich nicht erfüllt, so daß jetzt der Fall mit ganz anderen Augen betrachtet werden kann.

So viel über diesen Gegenstand.

Und nun wende ich mich noch an Diejenigen, welche sich durch den Gedanken an eine mögliche Abweisung von der Lebensversicherung fern halten oder aus weibischer Furcht vor einer gründlichen körperlichen Untersuchung zurücktreten. Es ist oft unbegreiflich, unter welchen nichtigen Vorwänden so Viele sich ihrer heiligen Pflicht gegen Frau und Kind zu entziehen suchen und das Eingehen des Versicherungsvertrages hinausschieben, bis es oft zu spät ist. Denen möchte ich mit Fiesco zurufen:

„Seid Männer! Ich bitte Euch.“
Director Dr. Gallus.


Zwei Albums für den Weihnachtstisch. Das Deutsche Künstler-Album (Düsseldorf, Breidenbach und Compagnie), herausgegeben von Ernst Scherenberg, bietet in seinem nunmehrigen neunten Jahrgange neben einer Reihe theils recht ansprechender Bilder in Stich und Farbendruck eine reiche Auswahl von Originalpoesien verschiedensten Genres. Lieder und Balladen. Hymnen und Elegien. Gedichte erzählenden und reflectirenden Inhalts stehen hier in buntem Wechsel neben einander. Zu Lyrikern ersten Ranges wie Emanuel Geibel, Anastasius Grün und Alfred Meißner gesellen sich in diesem Album hervorragende dichterische Capacitäten wie Emil Rittershaus, Friedrich Hofmann und Andere. Unter den jüngeren Talenten sind außer dem Herausgeber selbst unter Anderen durch Beiträge vertreten Albert Moeser, Max Schlierbach und Ernst Ziel, dessen Gedichte, nebenbei bemerkt, leider durch eine Reihe sinnentstellender Druckfehler arg verstümmelt worden.

Neben das Scherenberg’sche Album stellt sich würdig das von Albert Traeger herausgegebene Jahrbuch „Deutsche Kunst in Bild und Lied“ (Leipzig, Klinckhardt), welches nunmehr bereits im achtzehnten Jahrgange vorliegt. Nach der illustrativen Seite hin steht das eben genannte Unternehmen diesmal mindestens auf demselben Niveau wie das Scherenberg’sche; denn wenn die technische Ausführung der Bilder in beiden Albums ziemlich dieselbe Höhe behauptet, so bekundet Traeger’s „Deutsche Kunst“ in der Auswahl der Sujets im Allgemeinen eine glücklichere Hand als das „Künstler-Album“. Was die poetischen Beiträge zu dem von Albert Traeger redigirten Jahrbuche betrifft, so tragen die hervorragendsten unter ihnen meistens dieselben Dichternamen, welche wir bereits oben gelegentlich des Hinweises auf das Scherenberg’sche Sammelwerk hervorgehoben. Das Traeger’sche Album hält an der Tradition fest, jedes Bild durch ein Gedicht zu commentiren, ein Brauch, welcher, wie der gegenwärtige Jahrgang zeigt, gar zu leicht zur äußerlichen Manier verführt und daher besser abgestellt werden dürfte.

Wir begrüßen diese beiden elegant ausgestatteten und in Wort und Bild so reichhaltigen Albums mit dem warmen Wunsche, sie mögen als anmuthige Festgaben in zahlreichen Exemplaren den Weg auf die Weihnachtstische dieses Jahres finden.




Cameradentreue. (Mit Abbildung. Seite 833.) Unter den vielen Beispielen von heldenmüthiger Opferfähigkeit für todbedrohte Kampfgenossen ist das folgende der bildlichen Darstellung werth, welche der Düsseldorfer Künstler Chr. Sell ihm hat zu Theil werden lassen und wir dürfen es zur Jahreserinnerung an den Winterfeldzug von 1870 auf 1871 wohl mitteilen.

Es war auf dem Zuge Manteuffel’s, durch welchen er Werder vor Belfort gegen die dreifache Uebermacht Bourbaki’s zu Hülfe eilte, als zwei Husaren, deren Regimentsnummer der Künstler leider nicht erfahren konnte, als Vorposten einen Waldweg untersuchten. Plötzlich kracht es vor ihnen aus dem Gebüsch. Von Franctireurs angefallen, sprengten Beide mit gespanntem Carabiner gegen diese los, wurden aber mit einer abermaligen Salve begrüßt, welche eine böse Kugel sendete. Sie riß das Pferd des Einen nieder und verwundete ihn selbst. Er lag, keiner Vertheidigung mehr fähig, am Boden. In dieser Noth sprang der Andere rasch vom Roß, und suchte dem Verwundeten in seinen eigenen Sattel zu helfen. Mit unsäglichen Schmerzen und mit Anwendung aller Energie einer tüchtigen Husarennatur kam endlich der wunde Mann zum Festsitzen, während die Chassepotkugeln fortwährend an ihnen vorüberpfiffen. Nur im langsamsten Schritt konnte sich der Reiter vom Kampfplatz entfernen. Jetzt galt es vor Allem, eine Verfolgung desselben durch die Feinde abzuwenden. Seinen Carabiner mit Meisterschaft handhabend, huschte unser Husar von Baum zu Baum und ließ so bald mehr links bald mehr rechts seine Schüsse knallen, und es gelang ihm, den Feind über die Zahl der Gegner zu täuschen. Das Schießen hörte auf; freudig holte der glückliche Sieger den geretteten Cameraden ein, nachdem er ihm den Rückzug so listig gedeckt hatte.





Ein Prachtwerk zur Schmetterlingskunde. Schon einmal haben wir unsere Leser auf ein Werk aufmerksam gemacht, das, obgleich scheinbar nur für einen kleinen Theil des naturwissenschaftlichen Publicums geschrieben, doch in weiten Kreisen gerechtfertigtes Aufsehen erregte. Wir meinen „Die Schmetterlinge Deutschlands und der angrenzenden Länder“ von G. Ramann (Commission von E. Schotte und Comp., Berlin). Jetzt wo das Werk vollendet vorliegt, finden wir einen neuen Grund, nochmals das volle Interesse unserer Leser darauf hinzulenken. Kurz vor Beendigung des Werkes starb der auch anderweit verdiente Verfasser. Wie so mancher andere deutsche Gelehrte hatte er für die Durchführung dieses seines letzten Werkes nicht nur viele Jahre der Arbeit, sondern auch den größten Theil seines Vermögens geopfert. Es ist daher zu wünschen, daß durch recht zahlreichen Absatz des Werkes wenigstens die Hinterbliebenen des Verfassers einigermaßen schadlos gehalten werden. Ueber die Gediegenheit und Vorzüglichkeit der Arbeit ist kein Zweifel, und die Abbildungen übertreffen bedeutend alles in dem Fache Geleistete; auch ladet der verhältnißmäßig billige Preis noch besonders zum Ankauf ein. Der leichtverständliche, populäre Text wird allen Naturfreunden, auch wenn sie nicht Schmetterlingsfänger von Fach sind, eine angenehme Lectüre bieten. die prachtvollen Abbildungen aber machen das Werk zur Zierde jedes Salons.




Für den alten Kolter gingen uns wieder zu: B. Z. in Dresden 5 Mk.; eine Leserin der Gartenlaube in Beuthen, in lebhafter Erinnerung an sehr vergnügte Stunden, die Kolter und seine Gesellschaft im Jahre 1836 ihr bereitet haben, 30 Mk; Director Nagler in Breslau 5 Mk.; aus Brieg 10 Mk., Gebrüder C. und O. P. in Eisleben 5 Mk.; Karl Reinhardt in Dresden 10 Mk., mit den Worten:

„Beim Lesen der „Gartenlaube“-Sammlung für den alten, braven Kolter schlägt mich das Gewissen, denn ich habe mich vor circa fünfzig Jahren auf der „großen Funkenburg“ in Leipzig einige Mal in seine Vorstellungen geschlichen und ihn um das Eintrittsgeld geprellt. Ich bitte die Redaction, ihm dasselbe nebst Zinsen in beiliegendem Zehn-Mark-Stück nebst herzlichem Gruße einzuhändigen.“

Guido Schmidt in Bremen 30 Mk.; gesammelt beim Frühschoppen in der Bierhalle zu Sangerhausen 13 Mk. 50 Pf.; vom Kunstreiter von Borkum, der als Knabe Koller’s Circus, nach beendigten Vorstellungen, zu seiner Ausbildung benutzte, 15 Mk.; Karl Piehler in Roubaix 3 Mk.; L. G.: Meinem ehemaligen Tanzlehrer im Baer’schen Saale zu Halberstadt, 6 Mk.; G. Rosener in Illerbach 4 Mk.; Einer, der Kolter in Waldenburg vom Seile fallen sah, 5 Mk.; Sonnabendsgäste vom Bahnhofe Groß-Schönau 3 Mk.; Sammlung von F. Bakof in Hamburg 42 Mk.; Hans und Otto Fechner in Berlin 3 Mk.; von einem Arzte in Leipzig 15 Mk.; M. E. in Dresden 3 Mk.; Dilettanten-Verein in Lünen, zum Zwecke „wo’s noth thut“, 60 Mk.; H. Leube in Gittelde 1 Mk. 50 Pf.; von einer alten Frau, die in ihrer Jugend Kolter tanzen sah, 8 Mk.; Stadtrath in Zittau, in dankbarer Erinnerung der Hülfe, welche Herr Kolter bei dem am 31. Januar 1821 stattgefundenen Brande der Zittauer Hospitalgebäude zur Rettung der Hospitalkirche leistete, 100 Mk. und die Inspection des Hospitals „St. Jacob“ daselbst noch 50 Mk.

D. Red. d. Grtl.




Kleiner Briefkasten


An die Verzweifelnden. Die fast wörtliche Uebereinstimmung der leider so überaus zahlreichen Anfragen erlaubt bei der Unmöglichkeit der Besprechung im Einzelnen wenigstens folgenden Rath. Zur Beruhigung diene, daß der Hauptsache nach der Zustand auf Einbildung beruht. Sofortiges Beiseitelegen medicinischer Bücher, gute Lectüre, Vermeidung von Spirituosen, Bewegung in frischer Luft werden Sie bei Anwendung kalter Bäder und Waschungen bald wieder in den Kreis gesunder Menschen zurückführen. Ja nicht todtschießen!

A. M. Von Ihrer Einsendung können wir keinen Gebrauch machen und halten das Manuscript zu Ihrer Verfügung.

A. H. A. D. Nr. 1117 in Rußland. Ihre Arbeit ist als nicht verwendbar vernichtet worden.



  1. Wir übergeben hiermit unseren Lesern den Prolog zu einer Reihe von Artikeln über die Pariser Commune, die unser geehrter Mitarbeiter, Professor Johannes Scherr in Zürich, unter dem Titel „Das rothe Quartal“ mit dem kommenden Jahrgange unseres Blattes beginnen wird.
    D. Red. 
  2. Zeitungsnachrichten zufolge verkünden die physikalischen Instrumente des Professors Palmieri (Gartenlaube 1873, Nr. 48) einen neuen Ausbruch des Vesuvs. Die obige Schilderung einer Besteigung dieses vulkanischen Bergkegels dürfte daher gerade jetzt von allgemeinem Interesse sein, und dies um so mehr, als sie authentische Mittheilungen aus der Feder eines Augenzeugen über die jüngsthin in allen Blättern so lebhaft besprochene Verunglückung des jungen Malers S. auf dem Vesuv enthält.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Jahrhunderes