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Die Gartenlaube (1864)/Heft 8

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum: 1864
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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No. 8.   1864.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familienblatt.Herausgeber Ernst Keil.


Wöchentlich 1½ bis 2 Bogen. 0Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 15 Ngr. zu beziehen.




Unsichere Fundamente.
Erzählung von Otto Ruppius.
(Fortsetzung.)

Von diesem Tage an aber hatte sich das Verhältniß zwischen dem jungen Manne und den Töchtern des Hauses merkbar verändert. Nach einer schweren Nacht war Gruber zu dem Schlusse gelangt, daß Hellmuth, der ihm jetzt sein ganzes Geschäft anvertraut, doch kaum einen recht stichhaltigen Grund haben könne, ihm nicht auch eine seiner Töchter für das Leben anzuvertrauen – wußte er doch aus einer frühern Aeußerung von Meier, der als untrüglicher Geschäfts-Historiker galt, daß der Principal selbst klein genug angefangen hatte, bis er durch einen unerwarteten, wunderlichen Glücksfall Mittel zur Ausdehnung des Geschäfts erhalten, und wenn Hellmuth nur wollte, brauchte ja nicht einmal eine geschäftliche Aenderung durch eine Verbindung zwischen Gruber und Eugenie einzutreten.

Da kam ihm am andern Morgen ein Gedanke. Gegen Anna, die mit dem ganzen unveränderten Wesen ihrer Kinderzeit ihm gegenüberstand, die erst den jetzigen Brand in seine Seele geworfen, durfte er sich aussprechen, das fühlte er, und ohne weitere Bedenken war er rasch nach der Hausflur gegangen, um dem heimkehrenden Mädchen, ehe es noch die Glocke zog, die Thür nach dem Eingange zu der Familienwohnung zu öffnen. Er hatte dabei nicht wahrgenommen, daß Meier ihm nachgeschlichen, und erst, als er das mit der Eintretenden hastig begonnene leise Gespräch beendet, als diese mit einem Lächeln voller Theilnahme ihm die kleine behandschuhte Hand entgegengestreckt und halblaut gesagt hatte: „Bringen Sie nur erst die Hauptsache in Ordnung; das Uebrige, wenn es auch noch etwas Kampf kosten sollte, wird sich dann schon machen – ich selbst will gern dabei mein Mögliches thun!“ erst da war sein Auge auf einen in der Comptoirthüre verschwindenden Flügel von Meier’s mausegrauem Arbeitsrock gefallen, und damit hatte er auch gewußt, was geschehen. Doch mit der Beruhigung, daß der Schleicher nicht mehr gehört, als Anna’s letzte Aeußerung, hatte sich Gruber mit erleichtertem Herzen an seine verlassene Arbeit gemacht.

Am darauffolgenden Sonntage aber, als er in Eugenie’s Augen geblickt, wußte er auch, daß Anna bereits das Nöthige zu der Schwester gesprochen. Eine noch größere Hoffnung jedoch war ihm geworden, als er sich nicht nur mehrfach zu kleineren zwanglosen Gesellschaften herangezogen gesehen, sondern diese ihm auch Einladungen in befreundete Familien des Hauses gebracht hatten. So war er allmählich seiner bisherigen Scheu und Befangenheit ledig geworden und hatte es im Gefühle eines leisen, inneren Glückes oft sogar vermocht, einen kurzen Mittelpunkt der gesammten Unterhaltung abzugeben, sodaß Hellmuth einmal lächelnd geäußert: „Unser Gruber thaut auf, wie ich es seinem geschäftlichen Wesen bisher kaum zugetraut!“ Trotzdem aber war sein Verhältniß zu Eugenie nur dem eines schweigenden Verständnisses ähnlich geblieben. Noch nie hatte er eine wunderliche Feigheit überwinden können, wie wenig er diese auch in andern Beziehungen zu seinen Fehlern zählte, sobald er an ein offenes Aussprechen seiner Empfindungen dem Mädchen gegenüber gedacht – es war ihm dabei gewesen, als müsse sein erstes Wort das ganze stille Glück, in welchem er jetzt lebte, zerstören.

Und so war es geblieben, bis Meier eines Tages eine halbdunkle Bemerkung über einen angelangten jungen Fremden gemacht, der wohl bald sich im Hause zeigen werde, dabei indessen mit seltsamen Seitenblicken auf den jungen Prokuristen einzelne halblaute Redensarten, wie: „Frühe Herrlichkeit vergeht am schnellsten!“ und „Hintenherum geht oft in die Irre!“ hatte fallen lassen. Gruber hatte wohl gefühlt, daß die ganze Aeußerung in Beziehung auf ihn stehe, ohne sich jedoch diese Beziehung erklären zu können, und erst als am nächsten Tage Meier’s plötzliche Entlassung, die augenscheinlich durch diesen selbst herbeigeführt war, erfolgte, als Willmann sich über den angekommenen Fremden, den der Principal erst nicht gekannt und dann plötzlich zum Mittagsessen eingeladen hatte, gegen ihn aussprach, waren die wunderlichsten Befürchtungen in ihm aufgestiegen.

Alle diese Bilder zogen abgerissen und zerstreut auf dem jetzt unternommenen Wege vor seinem Geiste vorüber, und als ihm endlich die Strahlen der beiden Laternen am Eingange des gesuchten Hotels blendend in die Augen fielen, hob er überrascht den Kopf, verwundert über die vermeintliche Kürze der Zeit, welche er zu seinem Gange gebraucht hatte.

Er war nicht unbekannt in dem allgemeinen Gastzimmer des Hauses; trotzdem zögerte er einen Augenblick, ehe er es betrat – es war ihm fast, als stehe er vor einer der wichtigsten Entscheidungen seines Lebens; dann aber, einen kräftigen Entschluß fassend, öffnete er rasch die Thür.

Er hatte kaum sich an einem Seitentische des weiten, hell erleuchteten Raums niedergelassen und seinen Schoppen Wein bestellt, als auch sein durch die Gruppen der Gäste schweifendes Auge auf den entlassenen Buchhalter Meier fiel, im nächsten Momente aber von diesem hinweggleitend sich fest auf die Gestalt von dessen Nachbar heftete. Es war ein eleganter junger Mann, mit lockigem, glänzend schwarzem Haare, das gebräunte, edel geschnittene Gesicht durch einen leichten dunkeln Schnurrbart gehoben, [114] den Körper mit einer Art vornehmer Nonchalance zurückgelehnt; während Meier, an der anderen Seite des zwischen Beiden befindlichen kleinen Tisches sitzend, sich oftmals eifrig zu dem Ohre seines Gesellschafters bog und in einer lebhaften Auseinandersetzung begriffen zu sein schien. Trotz Meier’s Rede aber war keine Aenderung in der Haltung oder in dem ruhigen Gesichtsausdrucke des jungen Mannes zu entdecken; langsam blies er den Rauch seiner Cigarre von sich und griff nach dem an seiner Seite stehenden Weinglase, bedächtig einen kleinen Schluck des Inhaltes hinabschlürfend, und nur ein zeitweises leichtes Kopfneigen bewies seine Theilnahme an den in sein Ohr fallenden Worten.

Gruber wußte, daß er Den, welchen er suchte, vor sich hatte, und war sich mit dem ersten Blicke auf ihn instinctmäßig klar geworden, daß sich in dieser Erscheinung Reichthum, Stellung und Aeußeres, kurz Alles vereinige, was einem jungen Manne Bedeutung verleihen konnte. Damit aber hatte sich auch plötzlich etwas wie das Bewußtsein des eigenen Werthes in ihm geregt, der kein ihm unthätig zugeflogener, sondern ein aus eigener Kraft erworbener war; indessen gingen alle seine weiteren Gedanken in der Verwunderung über Meier’s Anwesenheit unter, die alle seine bisherigen Voraussetzungen über den Abgang desselben aus dem Geschäfte umstießen. Er meinte einen Ausdruck von ausgeprägt hämischer Genugthuung um die sich bewegenden Lippen des Buchhalters spielen zu sehen, und damit trat auch Willmann’s Aeußerung, daß mit dem Fremden wohl kein guter Engel in’s Haus kommen werde, wieder in sein Gedächtniß. Einer unwiderstehlichen Regung, diese geheimen Mittheilungen zu unterbrechen, folgend, erhob er sich plötzlich und schritt auf das Paar los, ohne daß Einer desselben seine Annäherung zu beachten schien, bis er in unmittelbarer Nähe stand.

„Herr Meier, dies ist jedenfalls Herr Maçon; wollen Sie nicht die Güte haben, mich ihm vorzustellen?“ sagte er. Der Angeredete schrak von der plötzlichen Anrede zusammen und starrte den Sprecher mit ungewissem Blicke an.

„Darf ich nicht bitten, Herr Meier, mich dem Herrn Maçon vorzustellen?“ wiederholte Gruber. „Ich weiß, daß er morgen der Gast unseres Hauses sein wird, und ich möchte die Gelegenheit nicht ungenutzt lassen, schon vorher eine so interessante Bekanntschaft zu machen.“

Der Fremde schien seiner Miene nach kaum ein Wort des Gesprochenen vernommen zu haben. Als aber Meier jetzt mit einem halben Blicke nach seinem Gesellschafter und einem leichten höhnischen Zucken in seinen Mundwinkeln erwiderte: „Ich weiß kaum, ob es dem Herrn angenehm sein wird, sich in unserm augenblicklichen Gespräche unterbrochen zu sehen!“ sprang der Fremde rasch auf und fragte den vor ihm Stehenden musternd: „Mit wem habe ich die Ehre –?“

„Ich heiße Gruber und bin Prokurist des Hauses Hellmuth und Compagnie,“ erwiderte dieser mit einer leichten höflichen Kopfneigung, „indessen folgte ich nur einem augenblicklichen Wunsche und glaubte nicht zu stören –“

„Bitte, Herr Gruber, Sie sind mir höchst willkommen!“ erwiderte der Andere eifrig, als der junge Kaufmann eine Bewegung zum Zurücktreten machte. „Unser Gespräch war ein durchaus nur gelegentliches, und ich hoffe, Sie setzen sich zu uns! – Kellner, noch ein Glas!“ rief er, als der junge Geschäftsmann nach dem von Jenem rasch herbeigezogenen Stuhle griff. „Darf ich mir denn wohl aber die Frage erlauben, was Sie über meine Persönlichkeit so sicher gemacht hat, da wir doch schwerlich schon einander begegnet sind?“ setzte er sich niederlassend hinzu, während unter dem Lächeln sein Auge sich schärfte und Gruber’s Züge durchdringen zu wollen schien.

„Herr Hellmuth ist jedenfalls von Ihrer Persönlichkeit unterrichtet,“ erwiderte der Letztere, mit seinen großen, offenen Augen ruhig den Blick des Andern aushaltend, „wenigstens konnte ich nach den von ihm hingeworfenen wenigen Worten keinen Augenblick über Ihren Namen in Zweifel sein, als ich Sie hier im Gespräche mit Herrn Meier sitzen sah.“

„Ah, Herr Hellmuth hatte bereits Nachricht über mich erhalten!“ versetzte der Fremde, die Augenbrauen leicht in die Höhe ziehend.

„Darf ich mir noch ein letztes nöthiges Wort erlauben, Herr Maçon?“ unterbrach ihn Meier mit einer Art von Hast, „ich werde dann die Herren allein lassen müssen!“ Der Angeredete aber schien jetzt seine ganze Aufmerksamkeit dem von dem Kellner gebrachten Weinglase und dessen Füllen zuzuwenden. „Bitte, Herr Meier, was wir zu reden haben, eilt ja nicht so,“ sagte er gleichmüthig; „ich freue mich augenblicklich, daß mir der Zufall eine so angenehme Bekanntschaft aus dem Hellmuth’schen Hause zugeführt hat! – Lassen Sie uns auf eine gedeihliche Fortsetzung derselben anstoßen, Herr Gruber!“

Das leichte, sichere Wesen des Fremden sprach Gruber wunderbar an, und wäre nicht die drückende Unklarheit über die Zwecke, welche den Fremden hierher geführt, in ihm gewesen, so hätte er ihm mit voller Herzlichkeit entgegenkommen können. „Auf eine gedeihliche weitere Bekanntschaft!“ wiederholte er, mit dem gebotenen Glase zusammenklingend.

Meier hatte währenddem wie unsicher über sein eigenes Verhalten dagestanden. „So will ich auch nicht weiter stören, da mich andere Geschäfte rufen,“ sagte er jetzt mit steifem Gesichte. „Sollten Sie mich weiter zu sprechen wünschen, Herr Maçon, so wissen Sie, wo ich zu finden bin!“

Der Fremde verneigte sich nur mit einem leichten: „Bis auf Weiteres denn, Herr Meier! Ich gestehe Ihnen, Herr Gruber,“ fuhr er fort, nachdem der Alte aus dem Zimmer war, „daß Sie mir bereits eine einigermaßen bekannte Persönlichkeit sind – woher, thut vorläufig nichts zur Sache – aber der ganze Eindruck, den Sie auf mich machen, entspricht dem Bilde, das ich mir von Ihnen geschaffen. Sie haben das Gedeihliche unserer Bekanntschaft betont; nun gut, so sagen Sie mir einmal frei und offen, ob Sie wirklich nur der Zufall hierher geführt, oder ob Sie, wenigstens halb und halb, einem Auftrage des Herrn Hellmuth gefolgt sind.“

Unter dem sonderbar forschenden Blick des Sprechers war ein leichtes Roth in Gruber’s Gesicht getreten. „Die Frage ist für eine klare Antwort wenigsten direct genug, Herr Maçon,“ erwiderte er mit einem leichten Lachen; „indessen will ich Ihnen gern gestehen, daß mich das Interesse für Ihre Persönlichkeit, die, wie es scheint, in einer bestimmten Beziehung zu dem Hellmuth’schen Familienkreise steht, hergeführt hat – was aber Herr Hellmuth, der sich doch bereits mit Ihnen in Verbindung gesetzt hat, mit diesem vielleicht unzeitigen Schritte meinerseits zu thun haben soll, verstehe ich nicht!“

„Und so hatten Sie auch keine Ahnung, den Mann, der so eben von uns gegangen, hier zu finden?“ fragte Maçon mit einem kurzen Zucken der Ungläubigkeit um seinen Mund.

„Im Gegentheil,“ versetzte der Procurist ernster werdend. „Herr Meier ist vor kaum zwei Stunden in einer Weise, die ich mich nicht zu beurtheilen unterstehe, aus dem Geschäfte geschieden, und ihn hätte ich am wenigsten bei einem neuen Freunde des Principals zu treffen erwartet!“

„Und was veranlaßt Sie, eine Beziehung zwischen mir und dem Hause Ihres Principals anzunehmen, wie Sie diese andeuten?“ fragte der Andere, während seine Züge ebenfalls ernst wurden.

„Die Freundlichkeit, mit welcher Herr Hellmuth Ihren Empfang im engen Familienkreise vorbereitet hat,“ versetzte Gruber einfach. „Darf ich nun aber ebenfalls ohne Umschweif fragen, wie meine geringfügige Person bei Ihnen bereits hat erwähnt werden können?“

Der Andere griff nach der Flasche und schenkte rasch beide Gläser voll. „Wenn ich wahr sein soll, so dürfte Ihre Frage nicht so einfach zu beantworten sein, als die meine,“ erwiderte er „lassen wir das also bis zu gelegenerer Zeit, Herr Gruber, wo sich vielleicht noch manche andere Frage und Antwort zwischen uns daranschließen kann – glauben Sie mir nur, daß es mich glücklich macht, Sie schon heute Abend kennen gelernt zu haben, und lassen Sie uns auf jede Art von Zukunft, wenn sie nur freundlich zwischen uns bleibt, anstoßen!“ Er ließ sein Glas mit dem des Prokuristen zusammenklingen, ehe der Letztere nur die Hand gehoben hatte, und leerte es in kleinen, langsamen Schlucken, als prüfe er sorgsam die Güte des Weins. Gruber war fast nur mechanisch dem gegebenen Beispiele gefolgt. Er sah seine einfache Frage in einer Weise und mit so dunklen Aeußerungen zurückgewiesen, die ihm plötzlich alles Geheimnißvolle, womit Willmann die Person dieses Fremden umgeben, wieder drückend auf das eigene Herz legten und trotz des gewinnenden und ansprechenden Wesens seines Gesellschafters ihn mit einer Unruhe erfüllten, für welche er doch kaum einen einigermaßen haltbaren Grund hätte finden können. Eins nur schien ihm aus [115] den Bemerkungen desselben klar zu sein, daß Hellmuth nicht im Entferntesten auf ein Erscheinen dieses Maçon vorbereitet gewesen und daß seine eigenen früheren Befürchtungen, die ihn den Fremden hatten aufsuchen lassen, grundlos gewesen waren, wenn auch bestimmte Beziehungen zwischen diesem und dem Principale bestehen mußten. Wenn er aber an Meier’s plötzlichen Geschäftsaustritt und dessen kaum erst beobachtete angelegentliche Ohrbläsereien und hämische Mienen dachte, so wollte ihm die Beruhigung über die eigene Sorge kaum von rechter Bedeutung erscheinen; er fühlte jetzt mehr als je, wie tief er mit dem Interesse des Geschäfts und der Familie Hellmuth’s verwachsen war und daß jeder Störer derselben unter allen Umständen auch sein Feind werden mußte.

Maçon hatte langsam sein Glas niedergesetzt und blickte, in Gedanken versunken, eine kurze Weile in das Zimmer hinein. Dann wandte er sich mit seiner früheren gewinnenden Freundlichkeit nach dem jungen Kaufmann: „Sie sind schon verschiedene Jahre in Herrn Hellmuth’s Geschäft, wie ich hörte?“

„Ich möchte fast sagen, daß ich darin aufgewachsen bin und Herrn Hellmuth’s Familie als meine eigene Heimath betrachte!“ erwiderte Gruber fest; es war ihm im Augenblicke wie eine Nothwendigkeit, wie ein Herzensbedürfniß, sein inniges Zusammenhängen mit dem Hause, welchem Jener mit so verdeckt gehaltenen Zwecken nahezutreten schien, voll auszusprechen. „Dies erinnert mich aber auch, daß die Zeit, welche mir heute zu einem Ausgange vergönnt war, wohl abgelaufen ist!“ setzte er, sich langsam von seinem Platze erhebend, hinzu.

„Ich will nicht fürchten, Herr Gruber, daß meine vorige Antwort Sie verletzt hat?“ versetzte der Fremde lebhaft. „Ich sagte Ihnen doch, daß wir noch mit einander zu sprechen haben würden, und so einfach Ihre Frage auch erscheinen mochte, so dürften Ihnen doch schon die nächsten Tage zeigen, wie wenig heute, bei unserm ersten Zusammentreffen, eine directe Beantwortung derselben an der Zeit war!“

„Ich bin, aufrichtig gestanden, unfähig, Herr Maçon, mir ein rechtes Verständniß der Andeutungen zu bilden, die Sie mir jetzt wie früher zu geben schienen,“ erwiderte Gruber mit einer leichten Kopfneigung, „indessen seien Sie versichert, daß keines Ihrer Worte etwas mit meinem jetzigen Aufbruche zu thun hat und daß es mich sehr freut, Sie kennen gelernt zu haben.“

Der Andere streckte dem Sprecher die Hand entgegen. „Sie haben auf eine gedeihliche Bekanntschaft mit mir angestoßen,“ sagte er, „also lassen Sie uns auch heute so voneinander gehen, wenn Sie sich nicht länger halten lassen wollen!“

Es lag wieder ein so herzlicher Ton in den Worten, daß der junge Kaufmann fast unwillkürlich die gebotene Hand kräftiger drückte, als die Höflichkeit es verlangt haben würde. „Bis auf morgen also!“ setzte der Fremde hinzu, und Gruber verließ das Hotel, unter den widersprechendsten Empfindungen und den fruchtlosesten Grübeleien den Heimweg einschlagend.

Als er das Geschäftshaus wieder erreicht hatte, sah er hinter den vergitterten Fenstern von Hellmuth’s Arbeitscabinet noch volles Licht, und es fiel ihm auf das Herz, daß dieser vielleicht seiner bedurft haben könne, so wenig er sich auch einen Begriff über die späte Arbeit des Principals zu machen vermochte. Leise nahm er, in’s Haus getreten, seinen Weg nach dem Comptoir, wo er in dem düstern Scheine seiner halb eingeschraubten Lampe den Comptoirdiener, den Kopf in beide Hände gestützt, noch wartend fand.

„Hat Herr Hellmuth nach mir verlangt?“ fragte er den Aufblickenden.

Dieser schüttelte still den Kopf, sagte dann aber halblaut, nach dem Cabinet deutend: „Ich wollte, Sie frügen einmal an; seit Sie weg sind, habe ich noch nicht von einer einzigen Bewegung drinnen gehört!“

Langsam, aber mit hörbaren Schritten ging der junge Mann nach der Thür des Gemachs und öffnete diese, ohne das gewöhnliche Geräusch des Schlosses zu vermeiden. Sein Blick fiel beim Eintritte auf den Principal, der regungslos an seinem Pulte saß und, wie in völliger Abwesenheit des Geistes, auf ein mit Zahlen beschriebenes Papier vor sich hinstarrte. Mochte der Schein des grünen Lampenschirms den Eingetretenen täuschen – dieser aber meinte den Dasitzenden noch nie so blaß und in der Unbeweglichkeit der Züge, welche jede Furche des Gesichts scharf erkennen ließ, noch nie so alt gesehen zu haben.

Zwei Secunden lang stand Gruber schweigend; als er aber bemerkte, daß Hellmuth’s Sinne der Außenwelt ganz verschlossen zu sein schienen, sagte er laut: „Ich bitte um Entschuldigung; ich sah hier noch Licht und wollte nur fragen, ob Sie noch irgend einen Auftrag für mich haben, Herr Hellmuth.“

Der Kaufherr hob langsam den Kopf und blickte den jungen Mann, noch wie völlig der Gegenwart entrückt, an; dann aber strich er langsam mit der Hand über das Gesicht, und seine Brust hob sich unter einem tiefen Athemzuge. „Sie sind es, Herr Gruber,“ erwiderte er, und es war, als müsse er erst den Ton seiner Stimme wieder erwecken, „ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit, bedarf Ihrer aber heute Abend nicht mehr – – in den nächsten Tagen vielleicht, wir werden ja sehen! Wenn Sie Willmann noch wach finden sollten,“ setzte er mit plötzlich gehobenem Kopfe ruhig hinzu, „so senden Sie ihn mir doch!“ “

„Er hat das Comptoir noch nicht verlassen, Herr Hellmuth, und wartet dort!“

Der Kaufherr nickte zweimal in sichtlicher Befriedigung und reichte darauf dem jungen Manne die Hand. „Ich denke, wir werden in den nächsten Tagen mancherlei nicht gerade angenehme Arbeit haben, und ich rechne dabei vor Allem auf Sie, Herr Gruber!“ sagte er.

Der Genannte faßte in einem ihn plötzlich überwallenden warmen Gefühle mit beiden Händen die gebotene Rechte. „Bin ich denn nicht stets und in jeder Beziehung zu Ihrer Disposition gewesen, Herr Hellmuth?“

„Ich weiß es und weiß auch, daß Sie neben dem Geschäfte an uns als Familie hängen,“ war die von einem warmen Handdruck begleitete Antwort, „und nun gute Nacht!“

Gruber lag noch lange wach in seinem Bette, umsonst über das seltsam veränderte Wesen des Principals und die Zwecke des Fremden grübelnd, welche in augenscheinlicher Beziehung zu einander standen, ehe er einschlief.




4.

Es war noch nicht drei Uhr am folgenden Nachmittag, als Hellmuth bereits sein Cabinet verließ und an Gruber vorübergehend mit einem zerstreuten: „Es liegt ja wohl heute nichts Besonderes mehr vor!“ die gewöhnliche Andeutung gab, daß er für den Tag nicht wieder zu erwarten sei. Als er indessen nahe dem Ausgange auf den Comptoirdiener traf, welcher mit dem Ordnen eines Stoßes von Papieren beschäftigt war, hielt er seinen Schritt an. „Ich habe mich den ganzen Morgen vergeblich nach Ihnen umgesehen, Willmann.“

Der Angeredete begann ein Blinzeln und Mundverziehen, das er nur mit Macht in den gewöhnlichen Schranken zu halten schien.

„Bin nur für das Geschäft auf den Beinen gewesen,“ erwiderte er endlich, „und kaum erst zurückgekommen – wußte nicht, daß Herr Hellmuth mich brauchten.“

Der Kaufherr nickte mit den Worten: „Ich werde später mit Ihnen reden!“ und verließ das Comptoir; Willmann aber wandte sich mit einer neuen krampfhaften Gesichtsverzerrung nach dem Prokuristen.

„Er ist auch zu unruhig zum Arbeiten,“ sagte er halblaut. „Es ist noch eine ganze Stunde Zeit, ehe der Mensch kommen wird – oben aber hat Fräulein Eugenie die alte Margarethe schon seit zwei Stunden mit ihrer Frisur und ihrem Anzuge geplagt, als ob ein Prinz erwartet würde –“

„Sind das die geschäftlichen Sachen, um deren willen Sie nicht hier gewesen sind?“ fragte Gruber, sichtlich unangenehm berührt.

„Gehört auch mit dazu,“ nickte der Kleine ruhig, „werden mich vielleicht erst noch verstehen lernen. Ich bin heute dem Herrn Meier auf der Fährte gewesen und weiß, daß er den ganzen Morgen mit dem Deutsch-Franzosen zusammengesteckt und gerechnet hat – ich kenne aber den Herrn Meier länger und besser als Einer von Ihnen hier und auch seine Ratten-Nase, die den gebratenen Speck eine halbe Meile weit riecht – er hat nicht umsonst hier seinen warmen Platz verlassen. Möglicherweise jedoch kann ihm der Speck zu hoch gehängt werden, und wenn ich auch über die ganze Sache, wie sie jetzt vorgeht, nur meine eigenen halben Gedanken habe, so möchte ich Ihnen doch sagen: machen Sie heute, wenn Sie oben sind, die Augen weit auf!“

Gruber ging rasch einige Schritte nach dem Hintergrunde [116] des Zimmers. „Haben Sie über den Fremden etwas Bestimmtes in Erfahrung gebracht,“ sagte er halblaut zu dem ihm Folgenden, „so sprechen Sie es klar aus, ich verstehe Ihre Andeutungen nicht!“

Der Kleine schüttelte indessen rasch den Kopf. „Alles noch zu unreif; aber ich bin auf dem Posten, und Herr Hellmuth soll vielleicht noch merken, daß Willmann nicht so ganz umsonst im Geschäfte ist. Warten Sie nur ein paar Tage ab und halten Sie die Augen auf!“ Damit ließ er unter einem stillen Kopfnicken den jungen Mann stehen und wandte sich seinem Tische wieder zu. – Hellmuth hatte eine kurze Toilette für den Empfang des erwarteten Gastes beendet und schritt schon eine Weile langsam und gedankenvoll in dem leeren Besuchszimmer auf und ab, als Eugenie, strahlend wie der junge Morgen, eintrat und mit der lachenden Frage: „Bin ich Dir so recht, Papa?“ die reichen Falten ihres hellseidenen Kleides ausbreitend, sich vor ihn stellte.

Einen raschen, fast kritischen Blick ließ der Vater über die Erscheinung der Tochter laufen, dann klärte sich sein Gesicht zu einem ernsten, wohlgefälligen Lächeln auf. Es war eine glänzende Einfachheit, die alle Gediegenheit des Reichthums in sich schloß, über das Mädchen verbreitet und brachte den Eindruck der frischen Jugend desselben zur vollsten Wirkung; Hellmuth nickte und sagte: „Recht geschmackvoll, Eugenie!“

„Nun aber sagst Du mir auch zum Lohne, Papa, wer der Gast ist, der Dich so in Anspruch nimmt,“ rief sie, auf ihn zutretend; „es ist etwas Unangenehmes, für einen Menschen, von dem man noch gar nichts weiß, sich zu putzen und sich selbst in Spannung zu erhalten!“

Hellmuth setzte sich und sah mit einem Lächeln voll Laune zu dem Mädchen auf. „Wenn es nun ein junger Mann wäre, den ich mir gern zum Schwiegersohn wünschte,“ sagte er langsam, „was meinst Du?“

„Bah, da wäre das Interesse schon vom Anfange an fort,“ erwiderte sie mit gekräuselter Lippe, „aber an so etwas denkst Du ja gar nicht, Papa!“

Ein eigenthümlicher Ausdruck stahl sich in sein Gesicht. „Du magst nach Deiner Anschauungsweise schon Recht haben,“ sagte er, „allein das einfache Wünschen steht mir hoffentlich frei, und überdies darfst Du nicht annehmen, daß ein reicher, eleganter junger Mann aus einem andern Welttheil voll der schönsten Mädchen, die ihn nicht gefesselt, nur hierher kommt, um nach Dir zu sehen. Es sind ältere Beziehungen, die mich an ihn knüpfen, und bei ihm würde mein Wunsch gerade so viel erreichen, als bei Dir; ich beabsichtigte nur, ihn einen angenehmen Eindruck aus unserm Hause mit fortnehmen zu lassen.“

„Und weshalb ist er hier, Papa?“

„Geschäftssachen von Wichtigkeit, die Dich aber natürlich nicht interessiren, Kind. Er ist hier bereits in mehreren unserer ersten kaufmännischen Familien eingeführt, und jede derselben wünscht vielleicht dasselbe, was ich vorhin aussprach. – Aber wo ist Anna?“

„O, sie sieht nach dem Arrangement des Tisches, damit Du dort nichts auszusetzen habest!“ war die flüchtige Erwiderung. „Also, Papa, wenn ihn nirgends etwas hat fesseln können, so ist er eine Art Damenfeind, oder er hält sich selbst so hoch, daß ihm nichts zur Wahl gut genug dünkt,“ fuhr sie mit leicht aufgeworfener Lippe fort, „und deshalb sollten wir Toilette machen?“

„Das sind Deine Ideen, Kind, ich weiß nichts davon!“ erwiderte Hellmuth, „warte, bis Du an ihm selbst Deine Studien machen kannst, so wirst Du am schnellsten über ihn klar werden!“

„O, Papa, was kümmere ich mich denn weiter um ihn, als daß er Dein Gast ist?“

„Richtig, meine Tochter, indessen hast Du von mir doch nähere Auskunft über ihn verlangt!“

Sie zog den frischen Mund wieder wie in leichtem Unmuthe zusammen. „Ich werde doch einmal sehen, wie weit Anna gekommen ist!“ sagte sie und verließ leichten Trittes das Zimmer. Hellmuth sah ihr sinnend nach, rieb sich dann leicht die Stirn und begann seinen Gang über den parquetirten Fußboden wieder aufzunehmen.

Fünf Minuten darauf trat Gruber in völlig salonmäßigem Anzüge ein. „Wenn ich noch etwas zu früh komme, Herr Hellmuth,“ sagte er mit einem raschen Blicke durch das leere Zimmer, „so wollen Sie das mit der kaufmännischen Pünktlichkeit entschuldigen.“

„Bitte, Herr Gruber, es ist mir ganz lieb, Sie zeitig hier zu sehen, nehmen Sie Platz!“ antwortete der Principal, seinen Schritt anhaltend. „Sie wissen, daß wir einen fremden Gast haben werden?“ fuhr er leicht fort, sich auf das reiche Sopha niederlassend.

„Ich habe ein Wort darüber gehört und bin sogar gestern Abend eine halbe Stunde in Gesellschaft des Fremden gewesen, welchen Sie erwarten!“ versetzte der junge Mann.

Hellmuth sah rasch auf. „Sie kennen ihn bereits?“ fragte er.

„Nur obenhin und äußerlich,“ erwiderte Gruber eifrig, „ich war gestern Abend im Hôtel français und traf dort Meier, mit einem jungen Manne zusammensitzend, welcher mir als Ihr heutiger Gast vorgestellt ward –“

„Ah, Meier war mit ihm zusammen,“ neigte Hellmuth den Kopf, als finde er die Erklärung völlig genügend; auf seiner Stirn aber bildete sich eine Wolke. Noch einmal nickte er langsam vor sich hin, und als jetzt Eugenie wieder eintrat, hob er mit wieder völlig klaren, wenn auch ernsten Zügen das Gesicht. „Und wie haben Sie seine Persönlichkeit, ich meine seine ganze Weise sich zu geben, gefunden?“ fragte er.

„So viel ich von dem ersten Eindrucke sagen darf,“ erwiderte Gruber, welcher beim Eintritt des Mädchens aufgesprungen war und mit einem leichten Erröthen ihre ganze Erscheinung überflogen hatte, „ist mir selten etwas Gewinnenderes und Ansprechenderes vorgekommen; wie weit dies in seinem eigentlichen Wesen begründet ist, weiß ich allerdings nicht, denn mit so wirklicher Liebenswürdigkeit er mir auch als einem Hausgenossen der Familie Hellmuth entgegentrat, so schien er doch den Herrn Meier ziemlich von oben herunter zu behandeln!“

„Könnte auch sonst kaum der wirkliche Sohn seines Vaters sein!“ brummte der Geschäftsherr, der aufmerksam jedem Worte gefolgt war und sich jetzt erhob. „Es ist mir lieb, Herr Gruber, daß Sie mir die Mittheilung gemacht haben!“ Dann nahm er seinen frühern Gang wieder auf, und der junge Mann wandte sich nach dem Mädchen, welches in der Fenstervertiefung ihren Sitz genommen und mit sichtlichem Interesse den letzten Worten gefolgt war.

(Fortsetzung folgt.)




Nicht Waterloo, sondern Belle Alliance.

„Der Ochs will gesattelt sein!“ So lautete jüngst ein Hohn über die Sehnsucht der Deutschen nach einer Kriegsflotte. Woher kam dieser Hohn? Von dem Volke, dessen öffentliche Stimmen seit dem Tode des Dänenkönigs und der deutschen Anfechtung des sogenannten Londoner Protokolls für Deutschland keinen andern Ausdruck mehr hatten, als den der unerhörtesten Beschimpfungen, von den Engländern.

Wir sehen uns vergeblich in Europa nach noch einem Volke um, das im Uebermaß der Gehässigkeit gegen die Deutschen dem englischen nahe käme. Nicht die russische, nicht die schwedische und norwegische Presse, von denen wir eine gerechte Würdigung so wenig gewohnt sind, wie von der französischen, vergessen so weit die Ehre der Wahrheit und den nationalen Anstand, wie die englische; ja selbst nicht einmal der dänischen, der wir in diesem Augenblick die äußerste Gereiztheit nachsehen würden, ist es möglich, die Wuthausbrüche John Bull’s, die lügenselige Rohheit der Organe des freien Albion zu erreichen.

Welch Entsetzliches ist geschehen, was haben wir Gräßliches verbrochen, um von einer Nation, welche die oberste Stufe der Cultur und Macht in Europa beansprucht, in solcher Weise behandelt zu werden?

Wir sehen uns vergeblich nach dem schauderhaften Verbrechen um. Nicht in der Gegenwart, und noch weniger in der Vergangenheit finden wir die Ursachen für eine so tief aufgewühlte Empörung gegen uns.

Wir behaupten ganz einfach unser gutes Recht auf die Selbstständigkeit

[117]

Der entscheidende Moment im Siege von Belle Alliance.
Zieten wirft die Franzosen die steilen Höhen von La-Have-Sainte hinab. (Siehe Text in nächster Nummer.)

[118] von Schleswig-Holstein, wir verlangen, daß diese Herzogthümer, soweit sie deutsch sind, nach ihrem Recht und ihrem Willen auch zu Deutschland gehören.

Und Das ist’s, was das große, mächtige Inselreich in eine Aufregung versetzt, als ob wir die Hand frevelhaft nach seinen heiligsten Kleinodien ausgestreckt hätten. Wir wissen’s: von der gemeinsten Selbstsucht wird die englische Ehre befleckt; die Furcht, der verachtete Deutsche könne zur See doch noch zu Macht gelangen, „der Ochs könne doch gesattelt werden,“ – diese Angst vor der Zukunft des eigenen Lebensbaums durch eine aufgehende fremde Blüthe, – diese jämmerliche Angst hat die englische Nation so tief sinken lassen, daß sie für Ausbrüche wahrhaft ruchloser Versunkenheit keine Scham mehr hat! Oder ist es etwas Anderes, wenn eine Stimme der freiheitsstolzesten Nation „sich und der Welt dazu Glück wünscht, daß die Freiheit in Frankreich dem aufgeklärten Despotismus Platz gemacht habe“ – weil sie in dem Despoten einen Freund gegen Deutschland gefunden zu haben glaubt? Dies Eine genügt, das Gebahren der Engländer zum gemeinen Verbrechen am Geist der Menschheit zu stempeln.[1]

Wir Deutsche haben den Engländern gegenüber uns nur den einen Vorwurf zu machen, daß wir vor lauter Anstaunung ihrer Herrlichkeiten uns, unserer Ehre und unseren Interessen ein halbes Jahrhundert lang das größte Unrecht angethan haben. Von hundert Beispielen wollen wir heute nur eines unseren Lesern vorführen: den wahrhaften Antheil, den die deutschen Waffen an der Entscheidungsschlacht von Belle Alliance hatten.

Jeder Deutsche weiß, welche Zustände uns drückten seit jenem großen Siegestage und wie es möglich war, daß wir selbst unseren Ehrenantheil so gering anschlagen konnten, als der englische Undank nach den Tagen der Noth ihn anschlug.

So erzähle denn die Geschichte einfach, treu und wahr, welchen Dank England bei Belle Alliance uns schuldig geworden, damit sein Undank das gebührende Brandmal um so sichtbarer trage, und damit endlich der Geschichtsverfälschung ein energisches Ende gemacht werde, welche durch die hochmüthigen Rodomontaden der Engländer und ihrer dünkelhaften Presse hinsichtlich des letzten Vernichtungssieges über den gewaltigen Corsen in einem großen Theile der civilisirten Welt so lange Cours und Geltung behauptet hat. –

Es war in der Nacht vom 6. zum 7. März 1815, als Fürst Metternich in Wien eine Depesche aus Genua erhielt, die er anfangs, ermüdet von langer Conferenz, ungelesen zurückschob. Endlich erbrach er sie. Napoleon sei, so wurde darin berichtet, von der ihm angewiesenen Insel Elba entwichen, man wisse nicht, wohin. Am 11. März wurde sodann in Wien bekannt, der gewaltige Mann sei im Süden Frankreichs gelandet. Alle hielten jetzt einen neuen Krieg für unvermeidlich. Die europäischen Mächte erklärten am 13. März, „daß Napoleon Bonaparte sich selbst außerhalb aller bürgerlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse versetzt und sich als Feind und Störer der Ruhe der Welt der öffentlichen Strafe preisgegeben habe“. Ohne Säumen trafen die Fürsten darauf die Anstalten, einen neuen gewaltigen Krieg gegen den Ruhestörer Europa’s zu führen. Vergeblich waren dessen Friedensversicherungen, vergeblich seine diplomatischen Ränke. Unter damaligen Umständen war wirklich die Herrschaft Napoleon’s in Frankreich eine Bedrohung des Friedens in Europa, vor Allem eine Bedrohung der deutschen Selbstständigkeit. Es war freilich zu jener Zeit schon viel gethan, um den herrlichen Geist, der die Schlachten des Freiheitskrieges schlug, zu vernichten; mit Mißtrauen und armseligem Feilschen um die Rechte, die dem deutschen Volke zuzugestehen seien, war dessen Freiheitsthat bereits belohnt; aber trotzdem erhob es sich auf den Ruf der Fürsten von Neuem, um die Gefahr einer Unterdrückung vom Vaterlande abzuwehren. Ehe Napoleon seine gewaltigen Rüstungen beenden konnte, standen ihm die Deutschen schon kampfbereit gegenüber.

Bald aber zogen auch andere ungeheure Heeresmassen den Grenzen Frankreichs zu. Die Russen, welche die Heimath noch nicht einmal erreicht, kehrten schleunigst um, das unterbrochene Werk von Neuem aufzunehmen. Alle Länder Europa’s, die Türkei allein ausgenommen, versprachen, je nach ihren Kräften, zahlreiche Heere zu senden. Menschengetöse erscholl überall. Und wirklich setzten sich bald über eine halbe Million Krieger aller Zungen gegen das Reich Napoleon’s in Bewegung.

Abgesehen von den Truppen in Italien, sammelten sich vier gewaltige Heere der Verbündeten. Südlich, den linken Flügel bildend, stand der österreichische Fürst Schwarzenberg mit 230,000 Mann in Baden. Ihm sollte sich zur Rechten der Russe Barclay de Tolly mit 150,000 Mann anschließen. Da aber dessen Schaaren bei Ausbruch des Krieges noch weit zurück waren, so standen freilich zwischen Schwarzenberg und den niederländischen Heeren vorerst nur kleinere Abtheilungen. In den Niederlanden aber kamen zwei furchtbare Armeen unter den trefflichsten Führern zusammen.

Lord Wellington, der früher siegreich die Franzosen aus der pyrenäischen Halbinsel vertrieben, sammelte hier bald mit rastloser Energie ein verbündetes Heer von mehr denn 100,000 Mann, Alle vom feurigsten Kriegsmuth beseelt. Fast die Hälfte von ihnen bestand aus Deutschen, die theils als englische Söldlinge, theils auch wegen naher Verbindung deutscher Länder und Fürstenhäuser mit dem Inselreich, unter die Fahnen des ruhmreichen Herzogs gestellt waren. Auch das hat uns zum Schaden gereicht. Die Lorbeeren dieser deutschen Truppen pflegen die Engländer für sich in Anspruch zu nehmen, und Wellington vermehrte durch sie seine Erfolge, das schwerste Gewicht für die bourbonische Politik seiner Regierung. Der „Eisenherzog“ berechnete mit diplomatischer Feinheit auch solche Elemente, die zum Zwecke führten, während es dem alten Feldmarschall Blücher, der mit jugendlicher Kraft und altbewährtem Eifer den Kern der deutschen Macht heranführte, nur um die Sache zu thun war, ohne alle Nebenrücksichten. Blücher’s Armee, etwa 112,000 Mann stark, war in vier verschiedene Corps unter der Führung von Zieten, Pirch I., Thielmann und dem trefflichen Bülow von Dennewitz vertheilt.

Auch diese Truppen erfüllte der beste Geist, der nur gewünscht werden konnte. Willig ertrugen sie den durch die üble finanzielle Lage des Staates nicht selten herbeigeführten Mangel, gern thaten sie, was nur immer in ihren Kräften stand, die unvollständige Kriegsbereitschaft zu bessern und zu erhöhen. Auch war die junge wie die alte Mannschaft dieser wackern Preußen erfüllt von unbedingtem Zutrauen zu dem erprobten Marschall Vorwärts und zu dessen feurigem Gesellen, dem General von Gneisenau, der, wie in dem früheren Kriege, dem alten Blücher als aufrichtiger Freund und treuer Rathgeber an der Spitze des Generalstabes zur Seite stand.

Der vorsichtige Fürst Schwarzenberg wünschte, daß die Operationen nicht eher ihren Anfang nehmen möchten, bis Barclay in die Linie eingerückt. Im Blücher’schen Hauptquartiere wurde allerdings ein so langer Aufschub nicht für räthlich gehalten; man meinte, „die verlorene Zeit gewinnt der Feind“; allein selbst Gneisenau war doch noch im Anfange Juni nur für ein sehr langsames und vorsichtiges Ueberschreiten der französischen Grenze. Da kam Napoleon, mit oft befolgter Taktik, den Angriffen seiner Gegner wieder zuvor.

Noch einmal entwickelte der großartige Schlachtenkaiser seine staunenswerthe Thätigkeit in Frankreich. Die Begeisterung freilich, mit der die französische Nation dem durch ihn bewirkten Sturz der verlebten Bourbonen entgegenjubelte, hatte sich bald gegeben, als sie wahrnahmen, daß nun das erschöpfte Land wiederum in Krieg und Noth gestürzt werden mußte. Es bedurfte bald theatralischer Effecte, dem Volke glauben zu machen, es hänge begeistert an dem Kaiser. Aber die Armee war für Napoleon und für Krieg, was davon unzertrennlich. Sie hielt treu zum Kaiser, obwohl selbst die meisten seiner alten Waffenbrüder, die stolzen Marschälle, sich scheu zurückhielten. Dem Heere mußten zum Theil neue Führer gegeben werden. Und nun trieb Napoleon mit rastloser Energie die Mittel zum unvermeidlichen Kriege zusammen. Die Bildung einer zahlreichen Armee wurde vorbereitet. Schon im Mai konnten gegen 90,000 Franzosen an verschiedenen Stellen gegen die drohenden Fremden aufgestellt werden, während Napoleon selbst mit 130,000 der tapfersten und herrlichsten Krieger nach den Niederlanden [119] eilte, um zunächst hier seinen gefährlichsten Feinden mit Macht zu begegnen. Die Verbündeten ahnten kaum sein Kommen, als Napoleon schon eintraf.

Wellington hatte gar keine, Blücher erst spät und dann nur geringe Anstalten getroffen, einem plötzlichen Angriffe zu begegnen. Ein militärischer Geschichtsschreiber sagt deshalb mit Recht, die beiden Feldherren hätten zuerst das Gewöhnlichste versäumt, um nachher Ungewöhnliches zu leisten. Ihre Heere lagerten weitläufig zerstreut.

Am Abend des 14. Juni zeigten aber zahlreiche Wachtfeuer die Nähe des Feindes. Blücher zog jetzt rasch das Corps Zieten’s zusammen und verfügte, alle vier Armeecorps hätten sich unverzüglich bei Sombreffe zu versammeln. Mit Anbruch des folgenden Tages begann der kurze denkwürdige Krieg durch ein rasches und entschlossenes Vordringen der Franzosen. Doch wehrten sich die Preußen tapfer, zogen sich fechtend zurück und verschafften dadurch beiden Armeen der Verbündeten die Möglichkeit, sich zu sammeln. Denn nicht nur Blücher, sondern auch Wellington benutzte diese Zeit, seine Truppen zusammenzuziehen.

Napoleon traf am 15. Juni die allgemeine Anordnung für diesen Feldzug, daß sein Heer in einen linken Flügel unter dem Marschall Ney, der sich soeben erst bei der Armee eingefunden, einen rechten unter dem Marschall Grouchy und eine zwischen beiden marschirende Reserve eingetheilt sein solle. Den Oberbefehl über den letztern Heerestheil behielt sich der Kaiser, nachdem der Marschall Mortier, der dafür bestimmt, erkrankt war, selbst vor. Nach den geringern Gefechten an diesem Tage rückte daher Ney am 16. Juni mit etwa 50,000 Mann gegen Wellington vor, während Napoleon und Grouchy den Feldmarschall Blücher mit seiner Armee über den Haufen zu werfen gedachten. Schon waren die Proklamationen gedruckt, mit denen Napoleon nach dem, wie er wähnte, unzweifelhaft glücklichen Erfolge die Welt von Brüssel aus, das er früh Morgens am 17. zu erreichen gedachte, beglücken wollte.

Blücher hatte die drei Armeecorps von Zieten, Pirch und Thielmann bei Ligny vereinigt und aufgestellt. Er war, obwohl Bülow noch weit zurückstand, entschlossen, hier eine Schlacht anzunehmen. Er ließ die Dörfer St. Amand und Ligny besetzen und dazwischen Truppen von Pirch und Zieten aufstellen. Links, etwas weiter zurück, hatte Thielmann ein Terrain eingenommen, das ihn ebensowohl schützte, aber auch an einem wirksamen Eingreifen in den Gang der Schlacht hinderte. Blücher hatte 83,000 Mann, Napoleon 78,000 zu verwenden. An Artillerie war dieser seinem Gegner überlegen. Gegen ein Uhr erschien, von seiner nahen Aufstellung, Wellington bei den preußischen Führern, sah sich die Lage der Dinge an und versprach, bald mit Verstärkung heranzukommen. „Um vier Uhr werde ich hier sein,“ sagte er, als er wieder von dannen ritt. Er ahnte nicht, daß er selbst zu gleicher Zeit bei Quatrebras angegriffen würde.

Aber auch Napoleon täuschte sich über die Stellung seiner Gegner. Er sandte dem Marschall Ney Befehl, Blücher’s rechte Seite zu umfassen, den Preußen so in den Rücken zu fallen und dadurch den Sieg bei Ligny zu einem entscheidenden zu machen. Der Kaiser dachte sich also, sein Marschall werde entweder bereits im siegreichen Besitz von Quatrebras sein, oder dort doch nur einen geringen Kampf zu bestehen haben. Dem war, Dank einer frühzeitigen Besetzung des wichtigen Kreuzweges durch den Herzog von Weimar, nicht so.

Erst gegen drei Uhr eröffnete Napoleon die Schlacht durch einen Angriff auf den rechten Flügel der Preußen, auf die Dörfer St. Amand, welche nach hartnäckigem Widerstande um vier Uhr von den Preußen geräumt wurden. Allein Blücher befahl, dieselben wieder zu nehmen, was auch unter der persönlichen Leitung des greisen Helden theilweise gelang. Jetzt wurde hier mit abwechselndem Erfolge bis neun Uhr Abends gekämpft.

Fast gleichzeitig mit dem gegen St. Amand wurde auch der Angriff gegen die Mitte der preußischen Stellung, gegen das Dorf Ligny, begonnen. Die Preußen wehrten sich aber hier nicht allein standhaft, sondern verfolgten den zurückgeschlagenen Feind sogar noch eine Strecke. Aber dieser griff sie abermals mit Nachdruck an, warf sie auf das Dorf zurück und machte sich dann schließlich nach Ueberwindung der wackersten Gegenwehr zum Herrn desselben. Mit unwiderstehlicher Gewalt drangen dann aber die jungen preußischen Krieger von Neuem vor; sie nahmen den größten Theil des Dorfes, den festen Kirchhof, selbst das Schloß von Ligny wieder ein und behaupteten sich hier lange, trotz furchtbaren Handgemenges. Auch Blücher hatte sich jetzt hier eingefunden. Der aber sah plötzlich von St. Amand feindliche Truppen fortziehen und hielt dieses für ein Zeichen des errungenen Sieges. Das entflammte seine alte Heldenseele zum kräftigsten Thatendrang. „Vorwärts, vorwärts, dem Feinde nach!“ rief er und warf alle verfügbaren Truppen nach St. Amand. Aber bald zeigte sich, daß jene Truppen eine andere Bestimmung gehabt. Bitter rächte sich die Täuschung, denn jetzt war, besonders auch durch den unbefugten Abmarsch einer Brigade, die günstige Lage in Ligny unwiederbringlich verloren.

Napoleon bereitete einen letzten furchtbaren Schlag gegen Ligny vor. Um acht Uhr ließ er durch seine Garden, von anderen Kerntruppen gefolgt, stürmend das Dorf nehmen, und dadurch, und durch eine gleiche Bewegung weiter rechts die preußische Schlachtlinie durchbrechen. Sofort entfaltete er große Cavalleriemassen. Als Blücher dieses bemerkte, stellte er sich unverzagt an die Spitze eines Uhlanenregimentes, den Feind wieder zu werfen. Aber das muthige Unternehmen mißlang. Der Führer der Uhlanen, der bekannte Oberst von Lützow, wurde gefangen genommen. Und kaum entging der Heldengreis demselben Schicksal. Sein Pferd sank tödtlich getroffen mit ihm nieder, und nur der Geistesgegenwart seines wackern Adjutanten, des Major Grafen Nostitz, ist es zu danken, daß Blücher nicht in die Gewalt der Franzosen fiel, welche der geworfenen preußischen Cavallerie mit Windeseile nachjagten. Ein Uhlanenpferd trug dann den verletzten Feldherrn wieder zu den besorgten Seinen.

Die Schlacht aber war verloren. Thielmann’s Corps war freilich noch unverbraucht, allein es hatte nicht zur rechten Zeit in den Gang des Gefechtes eingegriffen. Jetzt mußte es sich zurückziehen, wie die beiden andern.

Die einbrechende Nacht machte dem Kampfe ein Ende. Schwere Regengüsse strömten nieder. Die preußische Armee entzog sich dadurch den Blicken der Feinde. Gneisenau, dem nach Blücher’s Unfall die ganze Leitung allein oblag, bestimmte jetzt, der Rückzug solle über Tilly nach Wawre gehen. Es war ein kühner Entschluß! Die Verbindung mit Deutschland, möglicherweise selbst mit Bülow, der noch ungeschlagen war, wurde dadurch preisgegeben; aber die Vereinigung mit Wellington festgehalten. Auch Thielmann sollte sich, jedoch über Gembloux, nach Wawre zurückziehen, und Bülow, so wurde ihm vorgeschrieben, gleichfalls dort eintreffen.

Das preußische Heer trat dann geschlagen, jedoch nicht entmuthigt, unter dem Schleier der Nacht und dem dunkeln Wetter seinen Rückzug an. Etwas in Unordnung gerathen, formirte es sich gleich hinter dem Schlachtfelde von neuem, so daß es bereits am folgenden Tage wieder kampfbereit war.

Während Blücher und Napoleon sich bei Ligny schlugen, wurde gleichzeitig bei Quatrebras gekämpft, wo Marschall Ney um Mittag mit überlegenen Kräften die Engländer anfiel und sie anfangs zurückdrängte. Wellington aber, von seiner Unterredung mit Blücher zurückgekehrt, zog neue Truppen heran und brachte das Gefecht auf diese Weise zum Stehen. Der rechte Flügel der Franzosen wurde dann von den ungestümen Briten geworfen. Dem glücklicheren linken stürmte unerschrocken der Herzog Friedrich Wilhelm von Braunschweig-Oels entgegen. Aber der in seinem Leben so vielfach schwergeprüfte Fürst hatte auch hier kein Glück; er wurde geworfen und fand dabei selbst seinen Tod. Den Sterbenden entrissen mit Mühe die Freunde den Händen der Feinde. Nun schwankte der Kampf wieder lange hin und her. Endlich aber, gegen Abend, waren die Engländer durch starken Zuzug den Franzosen überlegen. Sie eroberten jetzt allmählich die Stellungen wieder, die sie früher verloren. Ney zog sich zurück. Er hatte Napoleon’s Befehl, Blücher in die rechte Flanke zu fallen, ebenso wenig erfüllen können, wie Wellington sein Versprechen, den Preußen baldigst Hülfe zu bringen.

Darin lag die größte Bedeutung des Treffens bei Quatrebras.

Blücher vollzog mit den Corps von Zieten und Pirch ungehindert seinen Nachtmarsch nach Wawre. Der alte Herr selbst hatte sehr stark durch den Fall gelitten. Nur mit den größten Schmerzen konnte er sich auf dem Pferde halten, und verlangte oft, was aber, der Nähe der Feinde wegen, nicht anging, nur auf kurze Zeit heruntergehoben zu werden, um sich einigermaßen auszuruhen. Spät Abends fand ihn jedoch Gneisenau bereits in einem kleinen [120] Dorfe auf einem Strohlager, in gewohnter Seelenruhe sein Pfeifchen schmauchend. Er war ungebrochenen Muthes. Und ebenso war, trotz der verlorenen Schlacht, trotz des im starken Regen und mit lerem Magen ausgeführten Nachtmarsches, die ganze preußische Armee am folgenden Tage wieder von dem besten kriegerischen Geiste beseelt, bereit von neuem zu kämpfen. Gegen Abend am 17. Juni standen die Corps von Zieten, Pirch und Thielmann, der selbstständig seinen Marsch ungehindert ausgeführt, bei Wawre vereinigt, und Bülow nicht weit mehr entfernt. Nur den großen Anstrengungen der Befehlshaber ist die so bald wieder hergestellte Schlagfertigkeit der geschlagenen Armee zu danken.

Anders verhielt sich Napoleon, der nicht mehr der Mann jener energischen Thatkraft früherer Jahre zu sein schien.

Der Kaiser ging von der Voraussetzung aus, die ganze feindliche Armee sei flüchtig gegen Deutschland zu auf Namur zurückgeeilt. Daher sandte er nach dieser Seite hin in der kommenden Morgenstunde 6000 Mann unter dem Befehl des General Pajol, und als dieser hier bald eine preußische Batterie antraf und ohne Widerstand nahm, bestärkte das den Kaiser in seiner Täuschung. Allerdings wurde später gemeldet, ein Theil der Preußen habe sich auf Gemblonx zurückgezogen. Aber Napoleon war so sicher in seiner Voraussetzung, das preußische Heer habe sich aufgelöst und sei vernichtet nach Namur geflüchtet, daß er nun sogar jene 6000 Mann noch theilte und den General Berton mit sehr geringer Mannschaft der neuangegebenen Richtung folgen ließ. Dem Marschall Ney aber wurden Befehle gegeben, aus denen ebenfalls ersichtlich ist, daß Napoleon die Wichtigkeit des 17. Juni nicht erkannte. Er blieb unthätig.

Gegen Mittag ließ der Kaiser einige Truppen nach Quatrebras abmarschiren. Zu seinem Erstaunen mußte er bald hören, daß dort Wellington noch immer halte, denn er glaubte, nach der vorausgesetzten Flucht der Preußen gegen Namur würden sich die Engländer auch zurückziehen. Jetzt wandte er sich mit einem Theil seines Heeres ganz gegen Wellington, den andern, etwa 33,000 Mann, stellte er unter die Befehle des Marschalls Grouchy, dem er auftrug, die Preußen hart zu verfolgen, sie nicht aus den Augen zu verlieren. Und doch hatte Blücher schon zehn Stunden Vorsprung! Bald nachher meldete dann Berton, er habe bei Gembloux ein vollständig schlagfertiges Armeecorps – Thielmann – gefunden. Jetzt erst, Nachmittags, erwachte bei Napoleon der Gedanke, daß die Preußen vielleicht noch weitere Pläne verfolgen könnten. Er wies nun Grouchy an, seine sämmtlichen Truppen bei Gembloux zu vereinen und die Pläne des Feindes zu erkunden. Erst Abends, nachdem die Preußen längst verschwunden, traf der Marschall in Gembloux ein. Pajol aber irrte natürlich den ganzen Tag umher, ohne Feinde zu sehen.

(Schluß folgt.

Garnison- und Parade-Bilder.[2]
Nr. 5. Die Besichtigung auf der Landstraße.

In der Morgenkühle eines frischen, aber nicht kalten Octobertages des Jahres 1832 stand eine zu Köln am Rhein garnisonirende Batterie der siebenten Artillerie-Brigade marschfertig vor ihrer Caserne. Dieselbe war auf dem Kriegsfuß und sollte Cantonnirungsquartiere an der Grenze Belgiens beziehen, in welchem Lande Ludwig Philipp, den die Juli-Revolution auf den französischen Thron gehoben hatte, seine Friedenspolitik durch die Belagerung der Citadelle von Antwerpen zu illustriren versuchte. Die Zeiten schienen wieder zurückgekehrt zu sein, da Frankreich stolz und hoch das Haupt nach vorwärts wandte und die Sonne des Ruhms nur im Aufgehen sah. Auf den Rumpf der leichten und frischgemutheten Nation paßte der bedenkliche, sinnende Januskopf des Bürgerkönigs zwar sehr schlecht, aber damals muthete man demselben noch Thatkraft und Entschlossenheit zu und glaubte, daß er sich berufen fühlen könnte, der neue Messias der Zukunft werden zu wollen. Schien es doch bei dem Einmarsch nach Belgien, als sei der Schatten Napoleon’s wieder zu Pferde gestiegen und hätte den Franzosen zugerufen: allons, bouleversons le monde. Da taumelte Deutschland aus seinem Schlafe auf, und Preußen errichtete ein starkes Observationscorps, um seine bedrohte Grenze zu schützen.

Unter der Bedienungsmannschaft der bezeichneten Batterie, die zu jenem Observationscorps gehörte, herrschte ein frisches, fröhliches Treiben. Man merkte es an der Lebendigkeit und Regsamkeit der Leute, daß sie gern hinauszogen aus der finstern Festung, wo ein strenger Dienst jeden ihrer Schritte regelte und sie zu Automaten machte, deren Bewegungen das Befehlbuch vorschrieb. Es lachten ihnen ja gute Quartiere, galante Abenteuer und jene Ungebundenheit entgegen, die das Leben in der Cantonnirung so vortheilhaft vor dem in der Garnison hervorhebt. Auch die bestimmte Aussicht auf einen kecken Feldzug gegen den alten Feind, der widerrechtlich in das Nachbarland eingebrochen war, um die etwas erblindete Glorie seiner Fahne neu zu vergolden, hob die Stimmung der Artilleristen und ließ sie leicht die zarten Beziehungen vergessen, welche bisher einige Blumen auf den öden Pfad ihres Casernenlebens gestreut hatten.

Es war kurz vor 6 Uhr, als der Capitain vor der Front seiner Batterie erschien. Die Zugführer traten ihm meldend entgegen, und der Befehlshaber schickte sich an, den ihm untergebenen Truppentheil vor dem Ausrücken noch einer letzten Revision zu unterwerfen.

Der Batteriechef war ein guter Officier und humaner Charakter. Hochgebildet und noblen Geistes, besaß er dazu noch eine Aeußerlichkeit, die für ihn einnahm. Er war ein braver Camerad und gegen seine Untergebenen gütig und nachsichtig, weshalb er auch allgemein geliebt wurde und bei seinen Befehlen jenen freudigen Gehorsam fand, der die sicherste Bürgschaft für deren exacte Ausführung ist. Der Hauptmann liebte, spielte und trank gern, und war stets geistig und körperlich zu Pferde, wo es galt, das Leben zu attakiren. Den eigentlichen Dienst handhabte er mit unnachsichtlicher Strenge, den Gamaschendienst und die unvernünftige Drillerei, die zu jener Zeit in der Armee en vogue war, und den armen Soldaten zu dem geplagtesten Geschöpf unter Gottes Sonne machte, haßte er gründlich. Vergehungen, die dem jugendlichen Uebermuth oder einer zufälligen Situation entsprangen, verzieh er leicht, Gemeinheiten und brutale Ueberhebungen bestrafte er dagegen mit der vollen Strenge des Gesetzes.

Als er an diesem Tage vor der imponirenden Front der unter seinem Befehle stehenden Batterie erschien, leuchteten seine Augen in sichtbarem Stolze auf. Er mochte wohl schon im Geiste die Triumphe durchleben, welche er mit einer so gut ausgerüsteten Batterie in dem Kriege, der nach seinem Dafürhalten unvermeidlich war, zu erringen gedachte. Daß die mobilisirte Armee unthätig an der Grenze stehen bleiben würde und den gichtischen Kriegsfuß im deutschen Pactolus, im Rhein, baden sollte, daran dachte damals wohl Niemand, am allerwenigsten die Officiere des sogenannten Observationscorps, welche ohne Ausnahme dem Kriege mit Sehnsucht entgegen sahen. Der Ausmarsch aus den Garnisonen war deshalb auch durch eine besondere Freudigkeit gekennzeichnet, die sich in der Haltung und dem ganzen Aeußern der Leute kundgab.

Die Revision der Batterie war bald beendet. Lag auch hier eine Schnalle einen halben Zoll zu weit rechts oder links, mußte auch ein oder der andere Mantelsack fester angezogen werden, so war dies doch dem Hauptmann nicht Veranlassung, darüber ein Geschrei zu erheben, als sei das Vaterland in Gefahr. Die gerügten Ungehörigkeiten wurden rasch abgestellt, und man hörte dabei nichts von jenem rohen Gepolter, wodurch geistesarme Officiere ihre Autorität zu stützen meinen.

„Aufgesessen!“

„Marsch!“

[121] Noch ein freudiges „Hurrah“ der alten Garnison, und die Batterie zog unter schmetterndem Trompetenklang, in sichtbar gehobener Haltung, der unbestimmten Zukunft entgegen.

Es war ein prächtiger Herbsttag. Eine elastische, duftige Atmosphäre von bewunderungswürdiger Durchsichtigkeit zeigte den empfänglichen Augen in wechselnden Bildern die Schönheit einer überreichen Natur. Die Obstbäume waren mit goldenen Früchten beladen, und die Sträucher trugen Beeren, zuweilen farbiger als die Blüthen des Frühlings. Die Waldbäume hatten theilweise bereits das elegische Kleid des Herbstes angelegt, das so wunderbar anregt und in seiner Vielfarbigkeit selbst die grüne Pracht, die duftige Herrlichkeit des jungen Frühlings vergessen läßt. Reiche Triften, auf denen zahlreiche Heerden gemüthlich umherlungerten, faßten die Straße ein, und darüber hinaus leuchteten die zierlichen Land- und Wirthschaftshäuser aus einem Walde von Fruchtbäumen hervor, um welche sich Blumenstücke, geschmückt mit der sinnigen Flora der Jahreszeit, als glänzende Einfassung wanden.

Diese lachende und ansprechende Scenerie weckte in der Batterie jene laute Fröhlichkeit, die das glückliche Erbtheil des leicht angeregten Soldaten ist. Leichten Herzens, mit fröhlichem Gesang marschirte die Batterie der dunklen Zukunft entgegen, die mit Blut und Tod in jeder Stunde über sie hereinbrechen konnte.

„Wie ziehen wir so fröhlich mit Sang und Klang hinaus!“ schallte es aus hundert Kehlen weit über die Heerstraße hinaus, und manches andere Lied, das in gut und schlecht gebauten Versen die Artillerie verherrlichte, reihte sich an diesen Gesang und hob die Leute leicht über die Mühseligkeit des Marsches hinweg.

Die Batterie mochte wohl schon den dritten Theil ihres Weges zurückgelegt haben, als plötzlich das laute Commandowort des Capitains, der an der Spitze des langen Zuges ritt, ein so eben neu improvisirtes Gesangstück unterbrach.

„An die Geschütze!“

„Richt’t Euch!“ ertönte allgemein verständlich seine sonore Stimme.

„Der Brigadier!“ lief es flüsternd von Geschütz zu Geschütz die weitgedehnte Marschkolonne hinunter, und wahrhaftig, auf der Höhe der Chaussee, einige hundert Schritte vor der Batterie, tauchte unerwartet der wohlbekannte Federhut des gefürchteten Obersten v. Tuchsen auf.

Diese Begegnung war gerade keine angenehme. Der Alte hatte seine absonderliche Laune, und es ließ sich wohl annehmen, daß er gerade jetzt, wo die Batterie ins Feld rücken sollten, deren Ausrüstung mit der peinlichsten Genauigkeit inspiciren werde. Das aber konnte sehr unangenehm werden, denn die Fahrzeuge und selbst die Geschützrohre enthielten gewiß so manchen Gegenstand, der nach der Dienstvorschrift nicht zu der Bekleidung der Leute und Pferde gehörte. Und gerade solche Dinge der soldatischen Eitelkeit reizten den Alten sehr leicht zum heftigsten Zorn.

Aber wie kam es denn, daß er gerade an diesem Tage die Marschrichtung der Batterie kreuzte?

Das lag so in seiner Art. Der alte Herr liebte die Ueberraschungen, und da er die Stunde kannte, in welcher die Batterie aus der Garnison abmarschiren mußte, so hatte er beschlossen, ihr von dem Hauptquartier aus, welches sich bereits auf der linken Seite des Rheins befand, eine letzte Visite zu machen. Auf einen raschen Ritt von einigen Stunden kam es ihm bei solcher Gelegenheit nicht an.

Sein rasches Pferd brachte ihn bald vor die Tête der Batterie. Eine Ordonnanz machte sein ganzes Gefolge aus. Der Hauptmann setzte sein Pferd in einen kurzen Galopp, um ihm entgegenzusprengen und die bezügliche dienstliche Meldung zu machen, Der Oberst empfing den Officier, der bei ihm in hoher Gunst stand, sehr freundlich; er zügelte sofort sein Pferd, reichte ihm die Hand, während sein Auge aber schon musternd nach der Batterie hinüberzuckte, die in strammer Haltung seiner Aufstellung entgegenmarschirte.

„Aber Herr Lieutenant v. W.,“ rief er dem Officier zu, der vor dem ersten Zuge auf einem Pferde ritt, welches die üble Eigenschaft hatte, keinen ordentlichen Schritt zu gehen, „können Sie denn die ver– Schindmähre nicht in die geeignete Gangart bringen? Das Thier haspelt und spartelt ja mit den Beinen wie ein Tanzmeister, der die Gicht hat. Himmel-Donnerwetter, es ist ja eine unerträgliche Tortur, so etwas ansehen zu müssen! Die Schenkel hinter den Gurt, Herr Lieutenant, und den alten Ziegenbock heruntergesetzt, als wenn Sie ihm das Kreuz zerbrechen wollten.“

Und sich an den Hauptmann wendend, der an seiner linken Seite hielt, setzte er laut lachend hinzu: „Dazu gehört freilich eine Kraft, die man heutzutage einer lieutenantlichen Wade nicht mehr zutrauen darf. Der ungeheuerliche Wust von Gelehrsamkeit, den die Herren in ihren Köpfen aufspeichern, und ihre leidigen nächtlichen Feldzüge in einem andern Dienste verzehren zuletzt auch das letzte Fünkchen von Lebenskraft, so daß ihnen nichts übrigbleibt, als ein unpraktischer Kopf und ein ohnmächtiger Körper, sorgfältig eingehüllt in eine wohl wattirte Uniform.“

Die Batterie zog im Schritt an der Aufstellung des Brigadiers vorüber. Derselbe bemerkte dabei jeden Riemen, der falsch lag, und fand auch die geringsten Fehler auf, welche hinsichtlich der Beschirrung der Pferde oder in der Ausrüstung der Geschütze und Fahrzeuge gemacht waren. Dabei regnete es so manchen „Millionenhund“ und andere soldatische Kraftausdrücke auf die Leute herab, und selbst die gewichtige Faust des Alten schwebte einmal wie ein riesiger Donnerkeil über dem Kopfe eines Bombardiers, der sich durch ein maladrettes Aeußere und schlechten Sitz sein Mißfallen zugezogen hatte.

Endlich war das letzte Fahrzeug vorüber, und das Schlimmste schien damit überstanden zu sein. Da erfolgte das Commando: „Batterie, – Halt!“

„ Abgesessen! – Rührt Euch!“

„Hab’s mir wohl gedacht!“ brummte ein alter Feuerwerker, der die erste Haubitze führte, vor sich hin. „Na, nu geht der eigentliche Katzentanz erst los, und der kann von Glück sagen, der heut mit heiler Haut davon kommt. Den Alten reitet wieder einmal der leibhaftige Gottseibeiuns.“

Der alte Soldat, der bereits einige zwanzig Dienstjahre zählte, kannte seinen Chef. Er wußte, daß derselbe jetzt eine eingehende Besichtigung der Batterie vornehmen würde, die freilich so Manches an das Tageslicht fördern konnte, was gerade nicht für das Auge des Obersten bestimmt war.

Und so kam es auch. Die Besichtigung fand zugweise statt.

„Der erste Zug – Stillgestanden!“ lautete das Commando.

Der Brigadier empfing die Meldung des Zugführers. Der Lieutenant v. W., der den ersten Zug der Batterie, commandirte, war ein Mann von vieler Gelehrsamkeit, sein Kopf war aber so überfüllt von Wissensschätzen aller Art, daß darin kein Raum mehr vorhanden war, um noch die Vorschriften des Dienst-Reglements aufzunehmen. Es war ein durchaus unpraktischer Officier, der beim Exerciren nicht selten vom Pferde fiel und dem die Ausführung der einfachsten Evolution mehr Kopfzerbrechen verursachte, als die Lösung der schwierigsten mathematischen Probleme.

Dies setzte ihn in den Augen des Obersten tief herunter, wozu noch kam, daß die geschniegelte und gebügelte Aeußerlichkeit des stets nach Moschus und Patschuli duftenden kleinen und schmächtigen Officiers dem alten, rauhen Feldsoldaten, der das Gezierte und Gemachte bis in den Tod haßte, entsetzlich zuwider war und ihn mit Verachtung und Widerwillen erfüllte.

Während der Meldung zuckten die grauen Augen des Alten musternd über die kleine Gestalt des Lieutenants. Plötzlich wandte er sich an den Capitain, und seine Stimme nahm einen hämischen Klang an, während es leise um seinen Mund fast wie Bosheit zuckte, als er sagte: „Was ist denn das für ein penetranter Geruch, der plötzlich in meine Nase steigt? Das riecht ja, als wenn die Batterie ein großer Käsekarren wäre. Das ist ja nicht auszuhalten. In dieser gräulichen Atmosphäre müssen Menschen und Pferde zuletzt den Dummkoller kriegen.“

Dem Lieutenant, der wohl wußte, daß mit dieser herben Auslassung seine bekannte Leidenschaft für starkduftende Parfüms gegeißelt werden sollte, stieg ein dunkles Roth in die Wangen, und es wollte ihm kaum gelingen, eine plötzliche innere Aufwallung von Zorn zu unterdrücken. Er schien nicht übel Lust zu haben, irgend eine rasche Entgegnung zu wagen, der Oberst hatte sich aber schon von ihm weggewendet, und indem er auf den Führer der ersten Haubitze, den alten Feuerwerker, zutrat, klärte sich sein finsteres Aussehen zu einem launigen Lächeln voll sichtbarer Befriedigung auf.

„Guten Morgen, mein alter Camerad,“ rief er, indem er dem Feuerwerker die Hand reichte, der hochaufgerichtet, geschmückt mit dem eisernen Kreuz, in soldatischer Haltung an dem Kopfe seines [122] Pferdes stand. „Wie geht es Ihnen? Haben Sie irgend einen Wunsch, den ich erfüllen kann?“

„Ich bin zufrieden, Herr Oberst, und habe nichts zu bitten.“

„Ja, ja, das dachte ich wohl,“ versetzte der Oberst. „Wir alten Campagne-Soldaten sind immer zufrieden und bescheiden, uns geht das hohe Selbstbewußtsein unserer jungen beepauletteten Gelehrten ab, die es meisterhaft verstehen, ihr winziges Ich durch die dreistesten Prätensionen hervorzuheben. Haben Sie schon gefrühstückt, mein alter Freund?“

„Zu Befehlen, Herr Oberst.“

„Na, aber einen Schluck Cognac aus meiner alten Feldflasche werden Sie doch nicht verschmähen?“

„Gewiß nicht, Herr Oberst. Ich kann, wenn es sich so macht, noch einen tüchtigen Hieb vertragen, und ein kleiner Bombenkessel voll bringt mich, Gott sei Dank, noch nicht aus der Schußlinie.“

„Ha, ha, ha! Das ist ja prächtig!“ lachte der Alte und schaute mit sichtlichem Behagen in das verwetterte Gesicht des alten, eisenfesten Soldaten. Mit einem bedeutungsvollen Seitenblick auf den parfümirten Lieutenant fügte er hinzu: „Doch sagen Sie das nicht zu laut, alter Camerad, das könnte Bauchgrimmen und Ohnmachten in der Batterie veranlassen. Die Feldsoldaten der jetzigen Zeit lieben das geistige Naß nicht, weil es eine Atmosphäre erzeugt, welche den Raupen schädlich ist, die in ihrem Gehirnkasten nisten!“

Nach diesen Worten, die von den Officieren mit tiefer Indignation vernommen wurden, rief er die Ordonnanz und gab derselben den Befehl, die Tasche mit dem Frühstück herbeizubringen.

Der Kanonier brachte eine große Ledertasche, deren Umfang die Vermuthung zuließ, daß sie einen reichen Vorrath an Speise und Trank enthielt.

Der Oberst überreichte dieselbe dem Feuerwerker, indem er sagte: „Nehmen Sie und langen Sie herzhaft zu; für mich findet sich wohl noch ein Schluck bei der Marketenderin. Ihre Leute können sich rühren. Bei Ihrem Geschütz bedarf es der Inspection nicht, ich weiß, daß da Alles in Ordnung ist.“

Er reichte dem Feuerwerker abermals die Hand, und indem er sich in Begleitung des Capitains zum nächsten Geschütz begab, sagte er mit fast weicher Stimme: „Schonen Sie, soweit es der Dienst irgend erlaubt, den alten Schnurrbart; es ist eine ehrliche Haut, wie sie heutzutage schon selten werden in der Armee. Wenn das Verdienst im Heere immer die gebührende Anerkennung fände, so müßte der Feuerwerker an der Spitze einer Brigade stehen, und Himmel-Granaten-Donnerwetter, ich bürge dafür, er würde dieser Stellung keine Schande machen. Aber die Cadettenhäuser und die leidigen Berufsprüfungen, dünkelvolle Aufgeblasenheit und junkerliche Anmaßung verschließen den Unterofficieren die Officier-Carriere und entziehen dem Stande so manchen tüchtigen Mann. Und das ist noch nicht das Schlimmste. Mit dem Gelehrtenschwindel schleicht sich auch jene Demagogie in die Armee, die da drüben in Frankreich so eben wieder einen Thron zerbrochen hat. Auch in der Brigade haben wir ein ganzes Rudel Demagogen. O, ich kenne sie wohl und werde sie schon zur rechten Zeit und in der geeigneten Stunde zu treffen wissen. Ich heiße Tuchsen, der Teufel soll sie fuchsen!“

Der Alte hatte sich in eine bedeutende Aufregung hineingeredet, und seine Augen blitzten unheimlich, als er vor dem zweiten Geschütz anlangte.

„Herr Hauptmann! lassen Sie die Bedienungsmannschaften nach der linken Seite der Batterie hinaustreten,“ sagte er kurz. „Die Unterofficiere und die Herren Zugführer bleiben an meiner Seite. Damit den Leuten nicht das Mittagessen in den Quartieren kalt wird, soll sich meine heutige Besichtigung darauf beschränken, nachzusehen, ob die Batterie nicht Contrebande mit sich fuhrt, d. h. mit solchen Gegenständen beladen ist, die weder zur vorschriftsmäßigen Bekleidung der Leute noch zur Ausrüstung der Pferde und Fahrzeuge dienen. Die Leute haben nämlich die schlechte Gewohnheit, sich in der Garnison eine Menge Quincaillerien anzuschaffen, von denen sie sich bei einem Ausmarsch nicht gern trennen. Den Artilleristen bieten nun die Fahrzeuge eine treffliche Gelegenheit, solche Gegenstände heimlich mitzuführen, und da werden denn namentlich die Kanonenrohre als Magazine des soldatischen Comforts benutzt. Ich kenne das aus langer Erfahrung und hege die Vermuthung, daß auch die Geschütze Ihrer Batterie, Hauptmann v. R., mit einer Munition geladen sind, die gerade nicht den preußischen Pulvermagazinen und Laboratorien entnommen ist.“

Und seine Mienen zu einer komischen Bedenklichkeit verziehend, sagte er zu dem Unterofficier, der das zweite Geschütz führte: „Schrauben Sie das Bodenstück der Haubitze hoch und nehmen Sie den Mundspiegel von der Mündung; ich bin doch neugierig, womit Sie geladen haben.“

Der Unterofficier brachte das Rohr durch die Richtschraube aus der horizontalen Lage, die es in der Laffette einnahm, und als die Mündung sich über den Stirnriegel zur Erde hinabsenkte, wurde der Mundspiegel gelöst, der die Mündung schloß.

Die verschiedensten Gegenstände schossen wie ein unerschöpflicher Strom aus dem Rohr auf die Erde nieder und lagerten sich hier in einem bunten Durcheinander zu den Füßen des Brigadiers, der ein Gelächter erhob, welches so heiser klang, wie das Geheul einer grimmigen Hyäne.

Die weite Mündung der Haubitze hatte aber auch ein Conglomerat der verschiedenartigsten Dinge ausgespieen. Die distinguirtesten Extraits und Parfüms, Vinaigre de Toilette, Bartwuchs-Erzeugungs- und Färbungs-Crême, lagen friedlich neben einem stinkenden, in schmutziges Papier gehüllten Ziegenkäse, lehnten sich vertraulich an einige Schachteln Glanzwichse und ruhten auf einem Topfe, der eine übelriechende weiße Salbe enthielt, welche wohl als Haarpomade gelten sollte. Kämme und Bürsten der verschiedensten Gattung, mehrere Spiele Karten, ein Schachbret, einige abgegriffene Banden salopper Romane, eine alte verbogene Kaffeemaschine von verrostetem Weißblech, einige Mützen mit dem streng verpönten Sammetstreifen, seidene Tücher, Vatermörder und vielfarbige Westen entwanden sich dem Geschütz und thürmten sich unter dessen Mündung zu einem kleinen Hügel auf.

„Da haben Sie die Bescheerung, Herr Hauptmann,“ rief der Oberst, während ein dunkles Roth seine Stirn bedeckte und seine Augen Feuer sprühten. „Sie müssen zugeben, daß sich aus dem, was dies Geschütz geliefert hat, eine Trödlerbude schon recht niedlich ausstaffiren läßt.“

Und indem er wüthend an dem Geschütz auf- und abrannte, schrie er mit einer Stimme, die weit in das Feld hinausschallte und die ländlichen Arbeiter auf das militärische Spectakelstück aufmerksam machte: „Ich möchte den ganzen Lumpenkram zu einer Sauce zusammenhacken lassen und davon den windbeutligen Millionenhunden der Batterie so lange löffelweise eingeben lassen, bis sie wie giftgeschwollene Ratten aufplatzen. Und gerade in meiner Brigade muß solche verteufelte Schweinerei passiren! Aber das kommt davon her, wenn der Herr Hauptmann solche Windbeutelei in der Brigade begünstigt und es sogar gern sieht, daß seine Kanoniere mit geöltem Haar und im dienstwidrigen Anzuge, wie die Paviane, mit allen möglichen Baumeleien behängen, in der Garnison umherflunkern dürfen; das kommt davon, wenn der Gesichtskreis des Herrn Lieutenants nicht über die Vega’sche Logarikhmentafel hinausreicht und der gelehrte Herr erst in der Dienstvorschrift nachsehen muß, ob Vinaigre de Toilette, eine Kaffeemaschine und ellenhohe Vatermörder nicht vielleicht zu der vorschriftsmäßigen Ausrüstung eines preußischen Artilleristen gehören.“

Der Capitain wollte eine Entgegnung wagen.

„Schweigen Sie,“ rief der Oberst mit einer Stimme, die vor Wuth bebte. „Hier giebt es nichts zu entschuldigen, auch habe ich Sie bis jetzt noch nicht nach Ihrer etwaigen Rechtfertigung gefragt, und bis dieses geschieht, muß ich recht sehr bitten, dieselbe zurückzuhalten. Ich liebe die Raisonnements nicht. Soll ich vielleicht demüthig um Verzeihung bitten, daß ich es gewagt habe, Ihre Batterie einer kleinen Inspection zu unterwerfen? Bomben und Granaten, ich heiße Tuchsen, – und wer es wagt, sich auch nur in Gedanken gegen mich aufzulehnen, dem sollen – der hat es mit mir zu thun!“

Der Capitain zitterte vor Zorn, sein Gesicht war bleich und blutarm, und die Blässe nahm jene bleibende Farbe an, die auf Gemüthserregungen hindeutet, die äußerst gefährlich sind. Doch ließ der Oberst es nicht zu einer Entgegnung kommen, indem er plötzlich auf den Führer der unglücklichen Haubitze losfuhr und den ihm wohlbekannten Unterofficier mit donnernder Stimme fragte: „Haben Sie das Geschütz vor dem Abmarsch, wie es Ihre ver– Schuldigkeit war, einer eingehenden Revision unterworfen?“

„Zu Befehlen – nein, Herr Oberst,“ entgegnete zitternd der Mann, der sich keiner besonderen Aeußerlichkeit erfreute und [123] die Gunst des Brigadiers durch eine Inclinations-Heirath verscherzt hatte.

„Bleiben Sie mir mit der dummen Phrase vom Halse,“ schrie der Oberst. „Sie sind ein alter verliebter Kater, eine scrophulöse Thränenfistel, den der liebe Gott in seinem größten Zorn zum Artilleristen gemacht hat.“ Und sich dicht vor ihn hinpflanzend, fragte er: „Darf ich wohl wissen, warum Sie das Ihrer Weisheit und Fürsorglichkeit anvertraute arme Geschütz nicht revidirt haben?“

„Die Zeit war zu knapp. Ich bin Futtermeister der Batterie und –“

„Und ein fauler Millionenhund,“ unterbrach ihn der Oberst, „dem ich die Tressen von der Uniform herunterreißen lassen müßte. Ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie es gekommen ist, daß Ihnen die Zeit zu knapp wurde. Da mußte Ihnen die geliebte ehehälftliche Thusnelda vor dem Ausrücken noch einmal Hektor’s Abschied vorerzählen, der liebenswürdige Erstgeborne konnte sich nicht trennen von der väterlichen Heldenbrust, das Nesthäkchen, die kleine Victorine, mußte des Königs Rock noch zum letzten Male einseifen, und als Sie sich endlich aus den Armen Ihrer unterofficierlichen Nachkommenschaft losgerissen, da war es freilich zu spät zu einer eingehenden Revision; die Batterie war bereits bespannt, und Sie meldeten flottweg, daß das zweite Geschütz marschfertig sei. Das kommt davon, wenn man den Soldaten das Heirathen gestattet und mit Kindern beschweren läßt, die – – – “

„Nun, nun, die muß der Kaiser ernähren;
Die Armee sich immer muß neu gebären!“

ließ sich plötzlich eine hellklingende Stimme mit vortrefflicher Accentuation der Wallenstein’schen Verse an seiner Seite vernehmen.

(Schluß folgt.)




Die Mysterien des Menschenschädels.[3]
Eine phrenologische Beurtheilung von Gustav Scheve.

Beim Baue einer Eisenbahn wird zufällig eine große Zahl alter Schädel ausgegraben. Diese, von den Arbeitern zusammengetragen, gleichen sich alle, jeder macht als Bild des Todes denselben Eindruck auf die Umstehenden. Wer möchte sagen, welcher Schädel einem Könige oder einem Bettler, einem guten oder einem bösen Menschen, einem Krieger oder einem Manne des Friedens angehörte? Unter den Anwesenden sind einige Naturforscher, welche über das Alter der Schädel ihre Ansicht äußern, männliche und weibliche unterscheiden etc. Kein Urtheil über den Geist, dem die Schädel als Hülle dienten, wird gehört. Da tritt ein Phrenolog hinzu. Einige Schädel fesseln vor andern seine Aufmerksamkeit. Er äußert gegen einen Freund, daß sich bei einem Schädel der Zug des Stolzes, bei einem andern der der Gutmüthigkeit, oder der Eitelkeit, oder des Muthes ausgesprochen finde. Die Arbeiter schütteln über den Herrn die Köpfe, die Gelehrten betrachten ihn kaum als einen Mann der „Wissenschaft“. Niemand hält das, was er sagt, für wahr.

Unter den Schädeln findet sich auch die bloße untere Hälfte eines solchen vor. Der Schädel ist in seinem größten Umfange durch eine Säge getheilt, und die obere Hälfte, die ganze Schädelwölbung, fehlt. Ein Arbeiter reicht dem Phrenologen lächelnd das Schädelstück dar. Sein Freund fragt ihn, ob sich auch hieraus etwas über den Charakter bestimmen lasse. Er erhält die Antwort, daß das phrenologische Urtheil immer nur auf der Vergleichung aller Gehirntheile unter sich beruhe, daß es daher hier nur ein äußerst mangelhaftes sein könnte. – Dies Beispiel möge dem Leser die Bedeutung und zugleich die Schwierigkeit des Problems veranschaulichen, um dessen Lösung mich vor Kurzem der Herausgeber der Gartenlaube ersuchte, als er mir auf einem Blatte die 20 Kopfumrisse der umstehenden Abbildung mit dem Wunsche zusandte, „diese Schädelumrisse einer Reihe von Männern phrenologisch beurtheilen und ihm dann gestatten zu wollen, den Befund meiner Untersuchung in seiner „Gartenlaube“ veröffentlichen zu dürfen.“

Das Urtheil nach unserer Umrißlinie gleicht nämlich dem nach jener unteren Schädelhälfte, ist aber noch um Vieles schwieriger und beschränkter. Denn dort, wo ich das Stück des Kopfes selbst vor mir habe, kenne ich genau die Stelle des Umrisses, hier aber weiß ich nicht, wo – ob etwas höher oder niedriger – der Umriß genommen ist. Ich habe also etwas als Grundlage für mein Urtheil, aber ich weiß nicht bestimmt, was ich habe, und habe somit nichts Wissenschaftliches. Ebenso schlimm ist es, daß ich hier nicht so, wie dort, die Stelle des Gehörgangs kenne. Der Gehörgang scheidet Vorderkopf und Hinterkopf, und seine Kenntniß ist durchaus nöthig für die Beurtheilung einiger unmittelbar oder mittelbar vor oder hinter ihm gelegener Organe. Die Aufgabe war also eine sehr mißliche, aber eben in ihrer Schwierigkeit lag auch ein so großer Reiz für mich, daß ich dem an mich gestellten Ansinnen willfahrte. Jedoch, nehmen wir die Umrisse zur Hand, suchen wir trotz aller Schwierigkeiten den todten Bildern Athem und Leben einzuhauchen.

(1. A.)

Der Kopf 1., groß und bedeutend, ist sehr geeignet, den Leser in die Sache einzuführen. Unsere Umrißlinie, etwa da genommen, wo das Band des messenden Hutmachers den Kopf berührt, trifft (auf jeder Seite) zehn Organe. Vier von der Mitte der (oberen) Stirne bis zu den (vorderen) Schläfen einschließlich: Vergleichungsvermögen, Schlußvermögen (an der Stelle der bisweilen gefundenen Stirnhöcker), Sinn für Scherz, Idealität (an den Schläfen). Dann drei bis zur breitesten Stelle unseres Kopfes einschließlich: Erwerbssinn, Verheimlichungssinn, Thätigkeits- oder „Zerstörungssinn“ (gerade über dem Gehörgang). Zuletzt noch drei: Kampfsinn, Anhänglichkeit, Kinderliebe.[4]

Um zu erkennen, ob bei unserem Kopfe eines oder einige dieser Organe groß oder klein sind, müssen wir ihn mit der mittleren Kopfgestalt vergleichen. Diese ist für die Linie unseres Umrisses, – welche uns natürlich hier allein beschäftigt, – die Eiform, deren schmälere Seite den Vorderkopf, deren breitere den Hinterkopf bildet. (Etwa wie die Köpfe 5 und 20.) Ein erster Blick zeigt uns, daß unser Kopf bedeutend von der Eiform abweicht. Um diese Abweichung im Einzelnen kennen zu lernen, zeichnen wir mit einem Bleistift – am Besten nicht blos in Gedanken – die Eiform auf unseren Kopfumriß. In der Mitte der Stirne (bei Vergleichungsvermögen) beginnen wir einen über unseren Umriß etwas hinausreichenden Bogen und setzen diesen seitwärts innerhalb so fort, daß wir einen großen Theil von Schlußvermögen und Idealität abschneiden. Bei Erwerbssinn läuft der Bogen wieder außerhalb, um bald, bei Thätigkeitssinn, abermals [124] innerhalb fortzugehen, indem er hier die größte Breite des Kopfes abschneidet. Gleich hinter Thätigkeitssinn, von Kampfsinn bis Kindesliebe, läuft die Bleistiftlinie mit unserem Umrisse zusammen, da der ganze Hinterkopf ungefähr die Eigestalt hat.

Wir haben auf diese Weise erkannt, daß Schlußvermögen, Idealität und Thätigkeitssinn starke, Erwerbssinn ein schwacher Zug im Charakter des Hrn. A. ist. Diese Urtheile sind schon darum, weil sie so leicht zu finden sind, untrüglich, und wir können gleich hier unser keckes phrenologisches Wort aussprechen, daß, wenn ein einziges dieser Urtheile sich als irrig erwiese, damit die ganze Phrenologie (als Organenlehre) widerlegt wäre. Vorausgesetzt wird hierbei, wie sich versteht, daß das Gehirn des Hrn. A. ein gesundes ist, d. h. daß hier weder wirkliche Geisteskrankheit (Irrsinn), noch jene geistige Kränklichkeit vorliegt, welche z. B. mit einem zerrütteten Nervensystem, oder mit übermäßig vorwaltendem phlegmatischen Temperament verbunden zu sein pflegt. – Die gefundenen Urtheile bedürfen einer kurzen Erläuterung.

Die Stirne unseres Umrisses ist die breiteste von allen. Und das Vordergehirn ist nicht blos breit, sondern auch (vom Ohr oder von der Mitte des Kopfes an gerechnet) lang, so daß die Breite bei dieser Länge eine um so größere Bedeutung hat. Vor allem ist Schlußvermögen, die Gabe der Berechnung von Ursache und Wirkung, der überlegende praktische Verstand für ein folgerichtiges Handeln ein starker Zug des Hrn. A. Ebenso stark ist der Sinn für Ideales oder Schönes. Beide Züge sind Gegensätze, sie beschränken sich daher und schaffen die nöthige Harmonie. Hr. A. ist Verstandesmensch, aber nicht trockener Verstandesmensch, er ist Mann der Phantasie, doch nicht Enthusiast. Wenn der Kopfumriß nicht in so kleinem Maßstabe gegeben wäre, so würde ich wahrscheinlich auch den Sinn für Scherz (zusammen mit starker Denkkraft zugleich Talent des Witzes) als stark bezeichnen können. Durch die starke Fülle des Kopfes an der breitesten Stelle (über dem Gehörgang) ist Thätigkeitssinn als ein starker Zug bezeichnet, also die Kraft und die Fähigkeit, sehr thätig sein, aber eben damit zugleich die Kraft und die Fähigkeit, auflodern, heftig werden zu können.

Gegen die genannten Sinne steht Erwerbssinn weit zurück. Hr. A. ist das Gegentheil jener Geschäftsmänner, deren ganzer Sinn mit Ausschluß aller andern Geistesthätigkeit auf Erwerb gerichtet ist. Ist er Kaufmann, so fühlt er sich in seinem Berufe nicht glücklich und sucht und findet neben demselben andersartige Geistesbeschäftigungen. Den praktischen Verstand, ein guter Kaufmann zu sein, richtig zu speculiren, hätte Hr. A. (durch das Schlußvermögen); nur die Verwendung dieses Verstandes im bloßen Dienste des Erwerbes wäre nicht seine Sache.

Vergleichungsvermögen, welches bei Hrn. A. schon durch die Länge des Vordergehirns als ziemlich stark oder stark erscheint, haben wir etwas schwächer als Schlußvermögen gefunden. Aber so geringe Unterschiede berechtigen uns zu keinem phrenologischen Urtheil.

(2. B.)

Bei dem Umrisse 2. wird unsere Bleistiftlinie die Spitze in der Mitte der Stirne (bei Vergleichungsvermögen) abschneiden, dann (bei Schlußvermögen und Idealität) ein wenig über den Umriß hinausreichen, weiter an der vordern Hälfte des Seitenkopfes (bei Erwerbssinn und Verheimlichungssinn) ebensoviel von dem Umriß abschneiden, als sie an der hinteren Hälfte (bei Vorsicht) hinzusetzt. Von dem Organ der Vorsicht habe ich oben bei dem Kopfe 1. nicht gesprochen. Unsere Umrißlinie kann außer den dort genannten zehn Organen noch ein elftes, Vorsicht, berühren, zwischen Thätigkeitssinn und Kampfsinn, aber über diesen beiden, so daß die drei Organe ein Dreieck bilden, mit der Spitze (Vorsicht) nach oben. Ist die Umrißlinie etwas tiefer genommen, so berührt sie mehr Thätigkeitssinn und Kampfsinn, etwas höher, mehr Vorsicht. Hier scheint mir die Umrißlinie auch Vorsicht zu berühren.

Während bei dem Umrisse 1. Vergleichungsvermögen etwas schwächer erscheint, als Schlußvermögen, so ist bei 2. Vergleichungsvermögen viel stärker, als Schlußvermögen. Ebenso ist Idealität bei 1. viel stärker, als bei 2., wogegen Erwerbssinn, welcher bei 1. schwach ist, bei 2. stark erscheint. Verheimlichungssinn, die Stelle vor Thätigkeitssinn (wo wir uns diesen mit der Ohröffnung ungefähr denken müssen) erscheint bei 2. stark, wogegen die Stelle hinter Thätigkeitssinn (Vorsicht) schwächer ist.

Bei Hrn. B. ist Vergleichungsvermögen, das allgemeine Lerntalent oder die Gabe des Fassens, Begreifens, Urtheilens, weit stärker, als Schlußvermögen, der politische, berechnende, praktische Verstand für’s Handeln. Diese Behauptung ist insofern etwas gewagt, als das schwächere Schlußvermögen von dem starken Verheimlichungssinn, welcher (instinctartige) Klugheit giebt, sehr unterstützt wird, also dadurch stärker erscheinen könnte, als es ist. Auch könnte Schlußvermögen noch durch einen starken Gegenstandssinn unterstützt werden, durch welchen im Verein mit starkem Vergleichungsvermögen ein objectiver, klarer Blick in die Dinge entsteht, was die Fähigkeit, folgerichtig zu handeln, bedeutend steigert. Andererseits ist Schlußvermögen hier nur wenig von der schwächeren Vorsicht unterstützt. Doch wird Vorsicht unterstützt von Verheimlichungssinn und oft damit verwechselt. Hr. B. wird in seinen Handlungen vorsichtig sein, wo die Vorsicht im Schweigen besteht; wo aber Verschwiegenheit oder Offenheit nicht in Frage kommt, wird die Vorsicht oft nicht stark genug sein. Dies letztere Urtheil würde aber nicht gelten, im Falle Selbstgefühl sehr schwach wäre, weil dadurch die Vorsicht gesteigert würde. (Wie viele Wenn und Aber! Diese drängen sich uns nicht blos darum auf, weil wir nur ein Charakterbruchstück vor uns haben, sondern Hr. B. gehört wohl überhaupt zu den etwas schwer zu verstehenden Menschen.) Ist Hr. B. (von Natur) mehr Gelehrter oder mehr praktischer Geschäftsmann? Er kann Beides sein. Als Gelehrter ist er kein Ideologe, kein Utopist, sondern praktisch, lebensklug, auf Erwerb bedacht (vielleicht nicht allzu sparsam). Als praktischer Geschäftsmann kann er sich leicht durch Kenntnisse auszeichnen.

(3. C.)

Die Bleistiftlinie läßt uns hier einen merklichen Unterschied der beiden Linien hauptsächlich bei dem hier schwachen Erwerbssinn erkennen.

3. gleicht mehr 1. als 2., nur daß bei 1. Schlußvermögen und Idealität stärker sind. Auch 3. ist jedenfalls (von Natur) nicht Geschäftsmann, sondern weit mehr Mann des Wissens. Vergleichungsvermögen ist hier nicht nur stärker, als Schlußvermögen und Erwerbssinn, sondern es ist auch überhaupt (im Vergleich zum ganzen Kopf) stark, weil das Vordergehirn (von der muthmaßlichen Ohrstelle an gemessen) entschieden lang ist. Um kurz 3. mit 1. zu vergleichen, würden wir sagen, daß, während Hr. A. das Talent oder den berechnenden Verstand hätte, Geschäftsmann zu sein, aber keine Neigung für diesen Beruf, Hr. C. weder großes Talent, noch Neigung für denselben hat.

(4. D.)

Die Bleistiftlinie hat hier von der Breite des Mittelkopfes einen Theil abzuschneiden, um damit den Vorderkopf, die Stirn breiter und voller zu machen.

Die mangelnde Kenntniß des Gehörgangs macht mir diesen Kopf schwer verständlich und mein Urtheil sehr unsicher. Nehme ich den Gehörgang da an, wo er mir am wahrscheinlichsten ist, ungefähr in der Mitte des Kopfes, so wäre die Stirn sehr klein (sehr kurz bei der Schmalheit) gegen den Hinterkopf, die Denkkräfte und Idealität viel schwächer, als Thätigkeitssinn und Kampfsinn. Herr D. würde dann weniger ein Mann der ruhigen Einsicht und Ueberlegung sein, der gerne Gründe anhört und sich ihnen fügt, sondern mehr ein Mann des raschen, etwas barschen Handelns, geneigt zu zürnen und zu streiten. Er würde dadurch im Umgang nicht immer rücksichtsvoll genug, nicht immer liebenswürdig erscheinen, man würde oft mehr Geduld mit ihm haben müssen, als er geneigt wäre, mit Andern zu haben. Dabei würde er wahrscheinlich sehr thätig in seinem Berufe sein, sehr gut mit seinen Denkkräften arbeiten und, wenn das Gehirn an sich groß ist, Tüchtiges leisten. Was ich eben von der auflodernden Kraft oder der bisweilen mangelhaften Liebenswürdigkeit des Hrn. D. gesagt, könnte als zu gewagt erscheinen, weil ich ja von Wohlwollen, Verehrung etc. nichts weiß. In der That könnte Herr D. sehr gut und wohlwollend, sehr ehrerbietig sein; aber dennoch bliebe ich bei meinem Urtheil stehen, daß abwechselnd mit diesen Zügen auch die von mir genannten bei ihm hervortreten würden. Der Mensch ist ja aus Widersprüchen zusammengesetzt. Neu ist nur, daß diese bisher unerklärten Widersprüche durch unsere Wissenschaft ihre Erklärung finden.

(5. E.)
Abgesehen von der Unregelmäßigkeit an der Stirn, über welche ich bei der starken Verkleinerung keine Vermuthung zu fassen [125]

Menschenschädel.

wage, fällt die Eiform hier ziemlich mit unserem Umrisse zusammen. Keines unserer Organe erscheint als sehr stark oder sehr schwach; doch könnte das eine oder das andere durch sehr starke uns nicht bekannte Sinne besonders unterstützt werden.

Die rechte und die linke Seite eines Kopfes sind natürlich niemals ganz gleich. Hier ist die Ungleichheit eine ziemlich bedeutende. In allen solchen Fällen dürfen wir uns ein Urtheil über die Stärke der betreffenden Organe nicht erlauben.

(6. F.)

Die Eiform bietet auch mit diesem Umrisse – abgesehen von der Ungleichheit der rechten und linken Seite – nur geringe Unterschiede dar: sie schneidet an der Mitte der Stirn (Vergleichungsvermögen) etwas ab, und setzt an der Seite des Vorderkopfs (Erwerbssinn), auch links, etwas zu. Vergleichungsvermögen ist stärker als Erwerbssinn, auch als Schlußvermögen, Idealität ist nicht schwach, Herr F. ist mehr Mann des Wissens, als praktischer Geschäftsmann.

(7. G.)

Große Aehnlichkeit mit 1. Doch sind bei 1. Idealität, Thätigkeitssinn, auch wohl Kampfsinn noch stärker, treten daher wohl noch energischer auf, als bei 7. Ferner ist bei 7. Vergleichungsvermögen und Schlußvermögen ungefähr gleich stark, während bei 1. Schlußvermögen etwas stärker erscheint. Jedenfalls sind aber diese kleinen Unterschiede beider Köpfe für uns kaum von Bedeutung, denn was bei 1. stärker ist, könnte bei 7. durch Anderes, uns nicht Bekanntes, mehr unterstützt werden.

(8. H.)

Man wäre fast versucht, den Kopf umzudrehen, den Vorderkopf zum Hinterkopf zu machen. Die Stirn wäre dann ziemlich regelmäßig gewölbt und der Vorderkopf, wie er soll, schmäler, als der Hinterkopf. Unsere Bleistiftlinie hat daher viel an dem Kopf zu ändern; sie muß die flache Stirn mehr auswölben und die größere Breite des Vorderkopfes abschneiden und dem Hinterkopf zusetzen.

Schlußvermögen, berechnender Verstand, ist bei Herrn H. stärker, als Vergleichungsvermögen, Talent für wissenschaftliche Auffassungen. Erwerbssinn und Verheimlichungssinn sind beide stark; Vorsicht ist schwächer, aber sehr von Schlußvermögen und Verheimlichungssinn unterstützt. Idealität ist schwächer, als Erwerbssinn.

Das Vordergehirn scheint nur kurz, also Vergleichungsvermögen nicht blos gegen Schlußvermögen, sondern überhaupt ziemlich schwach zu sein; allein weil ich leider den Gehörgang nicht kenne, so kann ich mich hier täuschen. Jedenfalls ist Herr H. mehr kluger und praktisch berechnender Geschäftsmann, als Mann des Wissens.

Ich setze hier und sonst dem Geschäftsmann den Mann der Wissenschaft, nicht den Künstler entgegen; dies nur, weil die Sinne, welche die verschiedenen Künstlertalente begründen, unserer Beurtheilung entzogen sind. Wenn z. B. bei Herrn H. Gegenstandssinn, Gestaltsinn, Farbensinn etc. sehr stark wären, so könnte er ein tüchtiger Maler sein, aber doch würde mein Urtheil, daß bei ihm auch Schlußvermögen und Erwerbssinn stark sind, Geltung behalten.

[126]
(9. I.)

Die Bleistiftlinie zeigt uns den Kopf in der Mitte und nach hinten zu etwas schmal.

Die gewölbte und ziemlich breite Stirne wage ich ohne Kenntniß des Gehörganges auch lang zu nennen, so daß die Hauptstärke dieses Kopfes in der Stirn liegt. Besonders stark ist Vergleichungsvermögen, schwächer Vorsicht; auch Thätigkeits- oder Zerstörungssinn ist nicht vorragend. Wir haben hier jedenfalls einen Mann des wissenschaftlichen Talentes vor uns.

(10. K.)

Die Bleistiftlinie schneidet bei Idealität etwas ab und setzt bei Erwerbssinn etwas zu. Die Linie weiter zu führen, verbietet die Unregelmäßigkeit des Seitenkopfes.

Das breite und wohl auch lange Vordergehirn zeigt uns Hrn. K. als einen Mann der Wissenschaft und der Phantasie; vergleichungsweise schwächer ist Vorsicht.

(11. L.)

Da die geringen Unterschiede dieses Umrisses gegen den Umriß 7. in der natürlichen Größe nicht Zolle, sondern nur einige Linien betragen und daher möglicherweise nicht durch den Unterschied in der Größe der Gehirntheile, sondern durch die Unregelmäßigkeiten in der Dicke der Hirnschale verursacht sein könnten, so schließen sie jedes phrenologische Urtheil über sie gänzlich aus.

Natürlich könnte auch bei der vollständigsten Gleichheit unserer Linie der beiden Kopf- und Gehirnumrisse der Charakter der beiden Männer durch andere uns nicht bekannte Züge der allerverschiedenste sein. Daher ist es auch bei allen vorliegenden Beurtheilungen ein beengendes Gefühl für mich, daß ich schlechthin nicht weiß, wie viel oder wie wenig Bedeutung das, was ich über einen Charakter sage, für ihn hat. Meine Urtheile können anderen Zügen gegenüber so unbedeutend sein, daß ich sie bei einer ganzen phrenologischen Beurtheilung vielleicht nicht der Erwähnung werth gehalten hätte und daß der Betreffende selbst, der vielleicht viel wichtigere und bestimmtere Seiten seines Charakters kennt, Mühe hat, sich die Frage zu beantworten, ob meine Urtheile begründet seien oder nicht.

(12. M.)

Die Bleistiftlinie schneidet hier viel von Vergleichungsvermögen ab und setzt viel bei Vorsicht zu.

Vergleichungsvermögen ist das größte Organ dieses Umrisses; Schlußvermögen und besonders Vorsicht ist schwächer. Herr M. ist viel mehr ein Mann von Talent und Geist, als ein Mann des politisch berechnenden Handelns, ja er hat bisweilen Ursache, sich selbst darüber zu wundern, wie er trotz großen Scharfsinns und richtiger Einsicht in die Dinge und Verhältnisse doch oft die Folgen seiner Schritte nicht berechnet, etwas zu rasch und unbedacht handelt.

(13. N.)

Die Bleistiftlinie setzt etwas bei Schlußvermögen und noch viel mehr bei Idealität zu, schneidet dann bei Erwerbssinn, Verheimlichungssinn und Thätigkeitssinn etwas ab, um es bei Anhänglichkeit zuzusetzen.

Wo ist hier der Gehörgang? Idealität ist sehr schwach, Erwerbssinn, Verheimlichungssinn, Thätigkeitssinn sind stark. Wir haben hier keinen Mann von idealer Geistesrichtung, sondern einen Mann praktischen Strebens und Wirkens vor uns. – Ist der Kopf so klein gegen die übrigen, wie er hier erscheint? Möglich wäre es, besonders wenn er sehr hoch ist. Herr M. könnte dann immer bei kräftigem Temperament durch Einsicht und Thätigkeit etwas Tüchtiges leisten. Allein jedenfalls würde er nicht imponiren, sich Andern im Ganzen nicht überlegen zeigen.

(14. O.)

Von der Unregelmäßigkeit der rechten und linken Seite abgesehen, ist unser Umriß ziemlich eiförmig; die Bleistiftlinie schneidet bei Thätigkeitssinn ein wenig ab und setzt es bei Vorsicht zu.

(15. P.)

Die Bleistiftlinie hat hier der Seitenstirn eine weit größere Fülle zu geben und von der großen Breite des Mittel- und Hinterkopfs viel abzuschneiden.

Vergleichungsvermögen stark, Idealität merklich schwächer, Erwerbssinn und Verheimlichungssinn ziemlich stark, Thätigkeitssinn sehr stark, Kampfsinn stark. Herr P. hat bei ziemlich großem vielleicht auch wissenschaftlichem Talent und praktischer Richtung eine sehr große Thätigkeitskraft. Wenn er ein Ziel in’s Auge gefaßt hat, so schaut er nicht viel rechts und links, zersplittert sich nicht (wenn nicht etwa Einheitssinn sehr schwach ist), sondern setzt alle und zwar eine sehr große und unermüdliche Kraft ein, um das Ziel zu erreichen. Herr P. muß viel zu thun haben, seine Kraft im Berufsleben ausbrauchen, sonst stellt sich innere Unruhe, Unzufriedenheit und Launenhaftigkeit, Anlage zum Jähzorn, zur Streitsucht ein. Ist dabei das Wohlwollen sehr schwach, so ist Hr. P. schroff, hart, grausam; ist es sehr stark, so ist mit dem Zug des Aufloderns und Bösewerdens die größte Herzensgüte verbunden.

(16. Q.)

Die Bleistiftlinie hat hier von der Breite des vordersten Viertheils des Kopfes viel wegzunehmen, um es der Breite des hintersten Dritttheils hinzuzusetzen.

Nach meinem phrenologischen Gefühl bin ich versucht, diesen Kopf liebenswürdig zu nennen. Unter allen unseren Köpfen ist diese Stirne die breiteste gegen die übrigen Kopftheile des Umrisses. Vergleichungsvermögen, Schlußvermögen, Idealität (vielleicht auch Sinn für Scherz) sind stark gegen Erwerbssinn, Verheimlichungssinn, Thätigkeitssinn, Kampfsinn. Herr Q. ist ein Mann, der Geist und Phantasie besitzt, der nicht habsüchtig oder geizig, nicht verschlossenen Charakters, nicht streitsüchtig ist, nicht zu Gewaltthat oder zu Zornausbrüchen hinneigt, bei welchem vielmehr in kleinen und großen Dingen die ruhige Einsicht die Herrschaft über die niederen Beweggründe unserer Handlungen behauptet. Andrerseits ist zu vermuthen, daß Herr Q. seine großen Geistesgaben nicht ganz so gut verwerthet, als mancher Andere es thun würde. Geist und Phantasie sind stärker, als Thatkraft; vielleicht auch zersplittert er sich etwas (es sei denn daß Einheitssinn sehr stark ist); auch der Muth, das Vorgehen gegen Hindernisse und Schwierigkeiten, dürfte wohl bisweilen etwas fehlen. Wir sehen, daß die beiden Köpfe 15 und 16 wie in der Gestalt des Umrisses, so im Charakter unter die größten Gegensätze in unsrer kleinen Versammlung gehören. Das günstige Vorurtheil, welches ich nach meinem wissenschaftlichen Gefühl für diesen Kopf gefaßt, ist natürlich bei unsrer Unkenntniß so vieler Züge vor dem wissenschaftlichen Verstand nicht gerechtfertigt.

(17. R.)

Der Umriß ist ziemlich harmonisch, etwa wie 5; doch ist die Stirne länger. Herr R. ist ein Mann des Wissens. Was ist die Unregelmäßigkeit an der Stirn?

(18. S.)

Was die Bleistiftlinie hier an dem hintersten Viertheil des Kopfes in der Breite wegnimmt, setzt sie an dem vordersten Dritttheil zu.

Das Vordergehirn ist noch länger und etwas schmäler, als bei dem vorigen Umriß. Sehr groß ist der Kampfsinn. (Der Kopf behält die volle Breite, die er über dem Gehörgang hat, bis zu etwa zwei Zoll wagrecht rückwärts.) Herr S. ist ein Mann des Muthes, des Kämpfens und Streitens, er ist sehr weit entfernt, in wichtigen und unwichtigen Dingen die Ueberzeugung seines Geistes, die Wünsche seines Herzens für Ruhe und Frieden zu verkaufen. Die Art des Muthes oder des Kämpfens hängt dagegen von Anderem ab.

(19. T.)

Aehnlich dem Umrisse 11 und 7. Herr T. ist kein Mann des Erwerbes.

(20. U.)

Noch einmal ein fast eiförmiger Kopf. Die Bleistiftlinie schneidet an der breitesten Stelle, bei Vorsicht, etwas ab, um es eine Stelle weiter zurück, bei Kampfsinn, anzusetzen. Herr U. ist vorsichtig, sorglich, friedliebend, kein Mann des Kämpfens. Wahrscheinlich ist hier auch Kinderliebe stark, was ich bereits auch bei einigen andern Köpfen hätte äußern können. Aber das Urtheil ist wegen der hier häufigen Ungleichheiten des Schädelknochens nach dem bloßen, zumal so kleinen Umrisse, allzu unsicher. Aehnliches gilt von Anhänglichkeit bei einigen Köpfen. Anhänglichkeit scheint mir z. B. stark bei 3. 11. 15, etwas schwach bei 13; bei 16 scheint mir Anhänglichkeit stark neben ziemlich schwachem Kampfsinn.

Trotz aller Schwierigkeiten der mir gewordenen Aufgabe kann ich, weil die Phrenologie in ihren Wahrheiten so durchaus klar und bestimmt ist, die folgenden Urtheile mit Sicherheit aussprechen.

[127] Vergleichungsvermögen ist (wenn der Umriß überhaupt über die obere Stirne genommen ist) groß in 2. 6. 9. 12. 15. 18; schwächer als Schlußvermögen in 8.

Schlußvermögen ist groß in 1, in 8 gegen Vergleichungsvermögen; in 16 zusammen mit Vergleichungsvermögen; klein gegen Vergleichungsvermögen in 2. 6. 12. 13. 15.

Idealität ist groß in 1, gegen Erwerbssinn in 7. 10. 11. 16. 19; klein in 4. 13.

Erwerbssinn ist (wenn die Umrißlinie, wie über die obere Stirne, so über die Höhe des Seitenkopfes läuft) groß in 2. 8; mittelmäßig oder schwach in 1. 3. 6. 7. 10. 11. 16. 19. (Die Linie niedriger laufend gedacht, würde statt Erwerbssinn Kunst- oder Bausinn treffen.)

Thätigkeitssinn ist groß in 1. 15, viel kleiner oder mittelmäßig in 9. 12. 16, wenn in den drei letzten Fällen die Umrißlinie nicht etwa sehr entfernt über dem Gehörgang läuft, und sich nicht über letzterem doch die starke Auswölbung wie bei 1 und 15 findet.

Kampfsinn ist groß in 18, mittelmäßig in 16 und, wenn die Linie ganz genau ist, in 20. – Zum Schlusse aber erlaube ich mir, an die Herren, von deren Köpfen die Umrisse vor uns liegen, eine ergebene Bitte zu richten. Nachdem ich über die Umrisse mit der größten Mühe nur so wenige und meistentheils unsichere Urtheile aussprechen konnte, so würden mich die Herren zu vielem Danke verpflichten, wenn sie mir freundlichst gestatten wollten, ihre Köpfe zu untersuchen und von ihnen ohne Mühe viel vollständigere und bessere, weit wissenschaftlichere Charakterbilder zu zeichnen.




Blätter und Blüthen.

Eine Posse zum – Weinen. Wie tragisch Ferdinand Raimund geendet hat, er, der einst nicht blos die Zierde der Leopoldstädter Volksbühne in Wien, sondern als echter Dichter anerkannt war überall, wo seine Zauber- und Singspiele mit ihrem naturwüchsigen, immer voll aus dem Volke geschöpften Humor, mit ihrer übersprudelnden Lust und ihrem ergreifenden Leid über die Breter gegangen sind, – das hat die Gartenlaube ihren Lesern schon früher einmal (1861, Nr. 6) erzählt. Schon länger einer immer steigenden Schwermuth zur Beute, wurde er von einem unbedeutenden Ritze, den ihm die Zähne seines spielenden Haushundes beigebracht hatten, vollends in seinem geistigen Gleichgewichte gestört; er wähnte sich von einem tollen Hunde gebissen und suchte sich in der gräßlichen Angst seines Herzens mit einem Terzerolschusse zu tödten, – um erst nach acht Tage langen unsäglichen Qualen, im September 1836, seiner Verwundung zu erliegen.

Die nachstehende Anekdote, welche der Einsender einem glaubwürdigen Zeitgenossen Raimund’s verdankt, knüpft an diesen schmerzlichen Ausgang eines reichen Dichter- und Künstlerlebens an und zeigt, daß die Angst, die den unglücklichen Hypochonder zur That der Verzweiflung trieb, nicht der plötzliche Ausbruch einer krankhaften Sucht, sondern eine schon lange gehegte fixe Idee war. Denn der Vorfall spielt schon vier oder fünf Jahre vor dem Tode des Künstlers. –

Der seiner Zeit bekannte und in komischen Episodenrollen nicht mit Unrecht beliebt gewesene Schauspieler Landner trat eines Tages in das Vorzimmer, das zu demjenigen führte, welches Raimund zur Miethe besaß. Ein kleiner alter bissiger Köter, der in der Durchgangsstube Siesta halten mochte, ward durch Landner’s Eintreten aufgeschreckt und fuhr ihm heiser kneifend entgegen. Landner fand es belustigend, das dumme Thier zu immer größerer Widerspenstigkeit zu reizen, und so kam es, daß die kleine alte Bestie dem lustigen Mann zwischen und an die Beine fuhr und sich in eines derselben mit den kleinen spitzigen Zähnen dermaßen einbiß, daß nach erfolgter Untersuchung am Fuße Landner’n deutlich die blutunterlaufenen Spuren des hündischen Attentats zu sehen waren.

Mürrisch hierüber trat Landner in Raimund’s Stube. Schweigend setzte er sich auf einen Stuhl, und rieb sich das Bein. Raimund, am Schreibtisch arbeitend, hatte mit einem flüchtigen Blick den Eintretenden bemerkt. Es verging eine stille Pause, während welcher man nur das Kratzen von Raimund’s eilender Feder hörte. Endlich brach Raimund das Stillschweigen.

„Seit wann tritt man denn bei Leuten ein, ohne zu grüßen?“ fuhr er gutmüthig aufgebracht in seinem schnarrenden Tone Landner an, schrieb aber dabei weiter.

„Versteht sich, guten Morgen wird man noch wünschen,“ erwiderte Landner murrend, „wenn man, ehe man eintritt, von wilden Bestien angefallen wird! Das ist ja eine Hyäne von einem Schooßhund!“

„Aha! hat Dich das Vieh angeknurrt? – Ist im Grund’ wirklich ein impertinentes Exemplar von einem boshaften Nickel!“

„Was angeknurrt! Da macht man sich den Teufel draus. Aber gebissen hat mich das L -!“

„Gebissen!!“ entfuhr es Raimund, und mit einem Ausdrucke des Entsetzens sah er nun direct auf Landner.

„Da, schau’ her,“ grollte dieser und streifte das Beinkleid auf, „da schau her, das Ding ist ganz blutig.“

Raimund war wie erstarrt. Endlich sprang er auf.

„Unverantwortlich!“ rief er. „Gebissen bist Du, und das sagst Du erst jetzt!!“

„Ja, aber es sind ja keine 10 Minuten …“

„O Du Ignorant! Es giebt Fälle, wo so eine Minute eine Ewigkeit ist! Weißt Du was das heißt, von einem tollen Hunde gebissen sein?“

„Ei laß mich in Ruhe! – Dieser Hund hat nicht einmal die rechte Courage dazu.“

„Nichts da! Keine Späße! Die Sache ist zu ernst.“

Dabei zog Raimund mit Heftigkeit die Klingel. Erschreckt stürzte die Magd herein.

„Eine große Flasche Wasser!“ herrschte er ihr zu, „oder noch besser, ein ganzes „Schaffel“ voll, aber augenblicklich, – es ist keine Zeit zu verlieren …“

Die Magd vollzog den Befehl.

„Was soll denn jetzt das Wasser hier?“ fragte Landner etwas mißtrauisch, da er Raimund’s sonderbare Launenhaftigkeit schon oft kennen gelernt.

„Was das Wasser soll? Dumme Frage!“

Dabei ging Raimund nachgrübelnd und mit verschränkten Armen in der Stube auf und ab.

„Meinetwegen!“ sagte Landner, „gieb mir einen Leinwandlappen, damit ich mir kalte Ueberschläge mache, obwohl ich, auf Ehre, nur ein bischen gekratzt bin.“

„Umschläge? Das ist Nebensache. Die Hauptsache ist, daß Du das Wasser trinkst!“

„Ja, aber ich bin ja nicht durstig …“

„Das brauchst Du auch nicht zu sein. Man muß sich so früh als möglich überzeugen, ob Du nicht schon – wasserscheu bist! Ich habe von einem Fall gelesen, wo die Hundswuth bei einem Menschen fünfzehn Minuten nach dem unglückseligen Biß ausbrach …“

„Aber Raimund, Du bist ein Narr, laß mich in Ruh’ mit Deinen Mucken …“

„Keine Ausflucht, Landner! Hier muß ich unerbittlich sein! Entweder Du trinkst, oder ich habe gerechten Grund, zu glauben, Du seist wasserscheu! Dann bleibt mir nichts übrig, als Dich hier einzusperren, armer Kerl, und bei der Polizei die schreckliche Anzeige zu machen …!“

„Du machst Dich lächerlich, Raimund! Aber gieb her die Flasche; um Dich zu beruhigen, will ich Wasser trinken.“

„Da!“

„So. Jetzt bist Du zufrieden?“

„Du mußt mehr trinken, mehr, lieber Landner!“

„In Gottes Namen. Ich habe schon die ganze Flasche ausgetrunken.“

„So. Spürst Du gar nichts?“

„Nein, ich spüre gar nichts. Was soll ich denn auch spüren?“

„So ein gewissen Gefühl … so eine Neigung zum Beißen – einen leisen Hang – es wäre gräßlich! – zum Bellen …“

„Na, lieber Raimund, jetzt reißt mir die Geduld! Laß mich in Ruhe. Ich will in’s Kaffeehaus gehen …“

„Nicht von der Stelle!“

„Aber, Raimund …!“

„Du setzest Dich nieder und trinkst noch Wasser!“

„Um keinen Preis der Welt! Ich bin schon wie ein Wasserfaß!“

„Siehst Du, Du scheust das Wasser …!“

„Erlaube mir, ich werde doch nicht jetzt, nachdem ich so viel habe hinabschwemmen müssen, noch aus Passion Wasser trinken!“

„Das ist wahr, Landner. Das wäre jetzt wirklich ein zweifelhafter Maßstab zur Beurtheilung der Symptome …“

„Also darf ich gehen, Raimund?“

„Nein, noch nicht!“

Und wieder schritt er grübelnd auf und ab. Wieder zog er die Klingel.

„Ist Milch zu Hause?“ fuhr er die Magd an.

„Nein, Ew. Gnaden.“

„Geschwind, eine „Halbe Milch“ bei der Milchfrau drüben holen! Nur schnell. Ich bezahle das Dreifache.“

Die verlangte Quantität Milch wurde gebracht.

„Da, guter lieber Landner, trinke die Milch aus …“

„Aber zum Kuckuk, warum soll ich denn jetzt wieder auf einmal Milch trinken?“

„Das verstehst Du nicht! Milch ist ein bekanntes Gegengift gegen die meisten Gifte, vielleicht auch gegen das Gift einen tollen Hundes. Wer weiß es? Vielleicht ist’s gut, und schaden kann’s nicht.“

„Aber ich bitte Dich, jetzt Milch auf so viel Wasser –!“

„Landner, hier giebt’s keine Widersetzlichkeit! Also Du trinkst!“

„Die ganze Milch …?“

„Die ganze Milch!“

Landner trank die Milch aus, denn er wußte, daß mit Raimund, wenn er einmal excentrisch war, nicht zu spaßen sei. Nach und nach war Raimund über Landner beruhigt. Dieser aber mußte einige Tage die unausbleiblichen, zum Glück nicht gefährlichen Folgen der heroischen Cur leiden, welcher ihn die Besorgniß und übermäßige Vorsicht seines Freundes unterwarf!

Man kann sich kaum des Lachens enthalten über das Komische dieser Scene, – und doch, welche bittere Tragik spricht aus dem Ganzen!



Deutsche Gespräche von D. F. Strauß. Die von Berth. Auerbach unter dem Titel „Deutsche Blätter“ herausgegebene Beigabe zur Gartenlaube enthält in den letzten Nummern eine fortlaufende Reihe politischer Gespräche von D. F. Strauß, dem Verfasser des „Leben Jesu“, die den großen und klaren Denker in einer ganz neuen Weise zeigen. Wir glauben unsere Leser zu Dank zu verpflichten, wenn wir sie darauf besonders aufmerksam machen. [128] Hermann Marggraff, der Dichter des „Täubchens von Amsterdam“, der Kritiker des „Blattes für literarische Unterhaltung“, der Mitbegründer der „Schillerstiftung“ und einer der besten Menschen, ist am Donnerstag, den 11. Februar, erst 54 Jahre alt, in Leipzig gestorben.

Die Verdienste Marggraff’s um unsere Literatur sind erst in jüngster Zeit, nachdem auch er von der Schillerstiftung eines Ehrensoldes gewürdigt worden, zu öffentlicher Anerkennung gekommen. Die Arbeit des Kritikers ist stets die undankbarste. Wer zählte die Stunden der Nacht, welche Marggraff am Pulte mit Lesen und Prüfen und Nachdenken zubrachte, um als Resultat dieser Arbeit die wenigen Zeilen niederzuschreiben, in denen er dann sein stets gediegenes Urtheil aussprach! Und wie gerecht und mild ist stets dieses Urtheil gewesen, wie ernst und edel stets die Form, in der er es gab!

Aber beglückt hat diese Thätigkeit ihn nicht. Hermann Marggraff war durch und durch Dichter. Zum eigenen Schaffen drängte ihn fortwährend Geist und Herz. Es würde die gerechteste Genugthuung für den lieben Todten sein, wenn eine Gesammtausgabe seiner Dichtungen das Doppelte bewirkte, dem Dichter die verdiente Ehre im deutschen Volk und seinen Lieben den Lohn zu sichern, den der Vater nicht zu gewinnen vermochte.


Zur Beachtung. Nachdem die Nummer schon geschlossen, geht uns der erste Bericht unseres Specialcorrespondenten aus Schleswig zu. Wir sind daher nicht im Stande, den Artikel heute noch zum Abdruck zu bringen, sondern müssen dies für die nächste Nummer versparen.
D. Red. 

Für die braven Schleswig-Holsteiner

gingen ferner bei uns ein: 3 Thlr. 10 Ngr., Naturwissenschaftlicher Verein in Oberoderwitz – 3 Thlr. 21/2 Ngr., ges. auf dem Königsball der Schützengesellschaft in München – 2 fl. 30 kr., ges. bei einer kleinen Punschgesellschaft am Faschingsonntag in Wien – 4 Thlr. 10 Ngr., mehrere Mitglieder der uniformirten Schützen in Lößnitz – 1 Thlr. 15 Ngr., ges. in Etzdorf bei Roßwein durch R. S. – 2 Thlr., ges. bei einer heitern Abendgesellschaft in Nienburg a. Saale – 3 Thlr. 11 Ngr. 3 Pfg., ges. von den Stammgästen im deutschen Hause zu Chemnitz – 4 Thlr. 5 Ngr., ges. bei einem 50jährigen Gesellenjubiläum der Schuhmacherinnung in Bautzen – 3 Thlr. 20 Ngr., ges. bei dem Stiftungsfeste der Bürgerharmonie in Meerane durch A. L. Gé–d – 15 Thlr., Ertrag eines Concerts und laufende Beiträge der Mitglieder des Nationalvereins in Spremberg durch Kr–r. B–n – 2 Thlr. 20 Ngr. (10 Franken), zwei Schweizerinnen in Zürich mit dem Motto: „Nur muthig vorwärts, ihr deutschen Brüder“ – 6 Thlr., ges. am 2. Februar auf dem C. G.-Balle in Bautzen – 2 Thlr. 10 Ngr., „Eine Feder vom deutschen Reichsadler“ – 2 Thlr. 23 Ngr. 4 Pfg., Ertrag einer Sammlung bei einem Vergnügen des Turnvereins in Stollberg bei Chemnitz durch Carl Gerlach – 5 Thlr., ges. bei einer geselligen Abendunterhaltung des Gesangvereins Concordia in Altenburg – 7 Thlr. 5 Pfg., aus Niederrossau bei Mittweida – 2 Thlr. 15 Ngr., ges. beim Karpfenschmaus in Schernberg – 2 Thlr. 14 Ngr. 3 Pfg., bei einer Hochzeit in Mittweida, ges. durch F. R. und B. K. mit dem Motto: „Das schönste Gut auf Erden ist – der Bedrängten Helfer werden“ – 7 Thlr. 21/2 Ngr., ges. beim Stiftungsfeste des Gesangvereins in Machern – 10 Thlr., von A. Hr. u. F. H. in Korsun, Gouvernement Kiew – 3 Thlr., Ertrag einer Sammlung bei einem Kränzchen in Freiberg – 50 fl. östr. W., Theilerträgniß des Handlungsballes in Troppau am 26. Januar d. J. – 7 Thlr. 1 Ngr., ges. beim Stiftungsfeste der Lösch- und Rettungscompagnie des Männerturnvereins in Crimmitzschau – 3 Thlr. 4 Ngr., vom Spinnerverein in Crimmitzschau – 20 Ngr., von einem Beamten in Crimmitzschau – 3 Thlr. B. H. in Leipzig – 1 Thlr. Robert Wollmann in Strehla a. Elbe – 20 Thlr. 7 Ngr., die Schüler des Gymnasiums zu Zittau – 6 Thlr, ein Mädchenkranz in Bautzen – 5 Thlr. 25 Ngr., ges. während der Weihnachtsfeiertage in Schönbrunn i.B. – 25 Thlr., eine Kegelgesellschaft in Leipzig durch H. H. – 15 Thlr., ges. bei einem Concerte in Siegel’s Hotel in Eibenstock – 1 Thlr. A. – 1 Thlr. aus Roda – 5 Thlr. G. F. in Burgstädt mit dem Motto: „Worte sind Wünsche, That bringt Hülfe“ – 1 Thlr. 15 Ngr., Rest einer Sammlung des Buchhändlergehülfenvereins in Leipzig – 3 Thlr. 10 Ngr., ges. bei einer kleinen Geburtstagsfeier in Reudnitz, „nach Kräften“ – 7 Thlr. 20 Ngr., die Obertertia des Gymnasiums in Weimar – 1 Thlr. 9 Ngr., ein kleiner Kreis gemüthlicher Zecher in der Liske’schen Bierstube zu Löbau – 4 Thlr. 11 Ngr., ges. bei einer Abendunterhaltung der Sonntagsschüler Abtheilung A. in Meerane – 4 Thlr., ges. bei dem Stiftungsfeste der Harmonie in Walddorf bei Eibau – 21 Thlr., ges. am Sylvesterabende in einer fröhlichen Gesellschaft in St. Petersburg durch E. E. – 4 Thlr. 10 Ngr., ges. bei einem Gesangvereinsconcerte in Pöhla im Obererzgebirge – 2 Thlr. 6 Ngr., einige Mitglieder des landw. Vereins für Weida und Umgegend – 4 Ngr. ein deutscher Citherspieler – 11 Thlr. 161/2 Ngr. beim Ball des Geselligkeitsvereins in Pristewitz – 2 Thlr. Amtmann Roßberg in Sauslitz – 20 Thlr., Ertrag einer Abendunterhaltung des Gesangvereins Eintracht in Oelsnitz i. B. mit dem Motto: „Euere Rettung unsere Losung!“ – 2 Thlr., eine fröhliche Cerevisgesellschaft zu Lindenbruch bei Schwaan – 12 Thlr. 20 Ngr., ges. bei dem Stiftungsfeste des Gewerb- und Sonntagsschulvereins zu Olbernhau – 30 Thlr. in einem Sichtwechsel auf Berlin, Weihnachtsgabe von deutschen Frauen und Männern in Livland – 1 Thlr. 211/2 Ngr., „Schwarze Dame“ von Malchin in Mecklenburg – 1 Thlr. Actuar Sommer in Blankenburg bei Rudolstadt – 6 Thlr., ges. bei dem Stiftungsfeste des Gesangvereins zu Hartha bei Waldheim – 6 Thlr., die Secundaner des Gymnasiums zu Arnstadt – 2 Thlr., einige Jünglinge und Bewohner von Breitenborn bei Rochlitz, ges. in der Janicand’schen Schenke daselbst – 2 Thlr. 171/2 Ngr., ges. bei dem Stiftungsfeste des Gesangvereins „Asträa“ in Leipzig – 2 Thlr. 221/2 Ngr., ges. bei einem Balle der Sänger des Allgem. Turnvereins zu Kändler – 6 Thlr. Gesellschaft „Eintracht“ in Greiz – 1 Thlr. C. St. in R. – 20 Ngr. von einer Kindermaskerade in … – 2 Thlr. 26 Ngr. beim Abschiede eines Freundes, ges. auf der Verwalterstube in Güntheritz – 1 Thlr., einige Formenstecher in Greiz – 5 Thlr., ges. bei dem Stiftungsfeste des ökon. Vereins in Noßwitz bei Rochlitz – 8 Thlr. 221/2 Ngr., Erlös der bei der Erinnerungsfeier der Leipziger Schlacht in Lugau im Erzgebirge versteigerten Decorationsgegenstande – 2 Thlr. 15 Ngr., Erlös für verkaufte Schleswig-Holsteinlieder aus Lugau im Erzgebirge – 7 Thlr. 6 Ngr., Betrag einer Sammlung beim Stiftungsfeste des geselligen Vereins in Roßwein – 1 Thlr. aus D. bei Belgern – 2 Thlr. von der Freitagsgesellschaft in Döbern bei Muskau – 12 Thlr. vom Gewerbe- und Leseverein in Wolkenstein – 10 Ngr. von vier armen Leipziger Knaben, Erlös der für das Eisbahnkehren erhaltenen kleinen Gaben. (Ein Hoch auf diese braven Jungen!) – 4 Thlr. 4 Ngr. 2 Pf., ges. unter deutschen Frauen und Jungfrauen in Leipzig von einer deutschen Frau – 4 Thlr., ges. in einer lustigen Gesellschaft im Gasthaus zur Stadt Bremen in Waldheim – 1 Thlr., ges. in einer fidelen Gesellschaft in der Bremse zu Waldheim – 5 Thlr., von der Gesellschaft Union in Eibenstock – 2 Thlr. 22 Ngr. vom Schützenball in Wurzbach, ges. durch C. Sp. – 4 Thlr. vom Bürgerverein in Döbeln – 16 Thlr. vom Scatverein zu Wolkenburg – 63 Thlr., Ertrag einer von Frauen und Jungfrauen veranstalteten Verloosung weiblicher Arbeiten, aus Wöhl im Großherzogthum Hessen – 100 fl. rhein., aus dem obern Schwarzathale, Neuwerk und Katzhütte in Thüringen – 12 Thlr., von der Gesellschaft „Freundschaft“ in Eibenstock – 1 Thlr., beim Einziehen einer Rechnung der Frau K. – 10 Thlr., Ergebniß einer theatralischen Vorstellung zu Triptis – 3 Thlr. 15 Ngr., ges. beim Turnerkränzchen in Mügeln – 2 Thlr. J. T. F. – 5 Thlr., ges. bei einem Kränzchen der Gesellschaft „Arion“ in Waldheim durch E. R. F. – 10 Thlr., eine deutsche Frau, mit dem Motto: „Wenn Jeder nach Kräften hilft, wird die Noth deutscher Brüder bald ein Ende nehmen“ – 4 Thlr. 5 Ngr., Ertrag einer in der Abendgesellschaft zu Plagwitz verloosten Flasche Tokayer – 2 Thlr. 5 Ngr., ges. in der Mittagsgesellschaft der Bierhalle in Bautzen – 1 Thlr. 15 Ngr., ges. im Sängerkranze auf dem Meisterhause zu Sebnitz – 16 Thlr. und 20 fl. österr., von einigen deutschen Professoren in Lemberg – 1 fl. österr. in Silber, von einem alten Schwaben in Lemberg – 20 Thlr., Erlös einer Versteigerung im heitern Kreise der Leipziger Liedertafel – 11 Thlr., ges. beim Stiftungsfeste des I. Vereins in Grünhaynichen – 1 Thlr. C. S. – 45 fl. österr., zehn deutsche Gymnasiasten in Prag – 18 fl. österr., Ertrag einer Sammlung in der Himmelsleiter zu Teplitz – 27 Ngr. 6 Pf., ges. bei einer Taufe in Zwickau – 3 Thlr., August vom Hofe in Neuwied – 1 Thlr. Strafgelder eines Leseabends in Heidelberg, durch A. E. – 7 Thlr. -101/2 Ngr., ges. bei einem Vereinsvergnügen in Drößnitz im Herzogthume S.-Altenburg – 2 Thlr. 121/2 Ngr., mehrere Schüler der ersten Knabenclasse der höheren Bürgerschule in Chemnitz – 13 Thlr. 20 Ngr., ges. beim Stiftungsfeste der Liedertafel in Grimma – 17 Thlr. Spielgewinn – 8 Thlr. 20 Ngr. vom gesangverein „Zöllner-Verein“ in Leipzig, durch H. H–g. – 7 Thlr. 20 Ngr., ges. am Schluß einer Bierprobe in Annaberg – 22 Ngr., ges. bei einem Gesangvereinskränzchen in Schönefeld – 203 fl. österr., erste Sammlung des Schleswig-Holstein-Comité’s in Aussig.

Nach einer Bekanntmachung des Feldmarschalls von Wrangel vom 7. Februar d. J. sollen alle jene Schleswigschen Beamten, welche an der Proclamirung ihres allein rechtmäßigen Herzogs, Friedrich VIII., oder überhaupt an politischen Demonstrationen Theil gehommen haben, welche einer andern Richtung galten, als der von den beiden kriegführenden deutschen Großmächten befolgten, sofort aus ihren Stellen entfernt werden. Es dürfte mithin leider der Augenblick nahe genug sein, wo wieder eine Menge der wackersten Patrioten der energischen Hülfe ihrer deutschen Brüder bedürfen.
Ernst Keil 

Namen der Männer, deren Schädelumrisse unsere Abbildung darstellt:

1. Schulze-Delitzsch. (Einige der Hauptseiten im Charakter des großen Volksmanns recht treffend charakterisirt.) – 2. Professor Bock. (Verheimlichungssinn? „Auf Erwerb bedacht?“ Seine vielen Patienten wollen nichts davon bemerkt haben!) – 3. Karl Gutzkow. – 4. Julius Faucher, Mitglied der preußischen zweiten Kammer. – 5. Friedrich Gerstäcker. – 6. Dr. Joseph, der frühere Präsident der sächsischen zweiten Kammer. (Kein praktischer Geschäftsmann? Ziemlich fehlgeschossen, Herr Scheve!) – 7. Professor Roßmäßler. – 8. Max Wirth, der bekannte Nationalökonom. (Erwerbssinn? Verheimlichungssinn stark? Will nicht recht zutreffen!) – 9. von der Pfordten. (Vorsicht schwach? Was meint der Würzburger Diplomat dazu?) – 10. Professor Dr. v. Wächter. (Mann der Phantasie? Verträgt sich das mit dem Corpus juris, mit Pandecten und Institutionen?) – 11. Hofrath Professor Albrecht, einer der Göttinger Sieben. – 12. Minister von Falkenstein in Dresden. – 13. Tichatschek. (Andern im Ganzen nicht überlegen? Wird dem berühmten Tenor nicht in den Kopf wollen!) – 14. Schauspieler v. Fielitz in (Idealität schwächer, Erwerbssinn ziemlich stark, praktische Richtung? Und bei Alledem ein deutscher Dichter?? – 16. Roderich Benedix. (Wir protestiren nicht gegen die „Liebenswüdigkeit“ dieses Kopfes.) – 17. von der Tann. (Ein Mann des Wissens? Vielleicht steckt seine Wissenschaft in der Scheide seines Säbels! – 18. Oberconsistorialpräsident v. Harleß in München. (Ja wohl, Kampfsinn, der Kampfsinn der „Ecclesia militans“) – 19. Hofconditor Stadtrath W. Felsche in Leipzig. (Kein Mann des Erwerbes? Welcher Sinn hat alsdann die großartigen Etablissements und Häuserbauten des Hrn. F. verschuldet?) – 20. Dr. Arthur Lutze in Cöthen. (Wo bleibt hier „der Mann des Wissens,“ der große „Wunderheilkünstler“?)


  1. Wir dürfen wohl unseren Lesern eine neueste Probe englischer Schmähkraft in Erinnerung bringen. Ein „Schleswig-Holstein-Lied“ des englischen Kladderadatsch „Punch“, welches vor einigen Wochen durch unsere Tagesblätter lief, schloß mit den Versen:

    Lumpen! ruft euch England zu,
    Laßt den Kleinen nur in Ruh,
    Bindet doch mit Großen an –
    Schleswig-Holstein woll’n wir ha’n.
    Noble Bande! Könnt ihr stehn,
    Könnt ihr auch zum Kampfe gehn.
    Brüllet, wird’s euch wackelisch,
    Schleswig-Holstein unterm Tisch.

  2. Der obenstehende Artikel rührt von dem nämlichen Verfasser her, welcher der Gartenlaube schon im Jahrgange 1859 eine Reihe von frisch und keck gezeichneten Garnison- und Paradebildern geliefert und dieselben mit Hinzufügung einiger neuen Skizzen kürzlich unter dem Titel: „Militärische Zeit und Charakterbilder. Von G. Ladendorff“ im Verlage des Magazins für Literatur in Leipzig veröffentlicht hat. Auch in unserm beutigen Bilde giebt die originelle Figur des Oberstlieutenants von Tuchsen, die schon von Hackländer’s gewandter Feder, wenngleich mit einiger poetischer Licenz, so lebendig gezeichnet worden ist, den Mittelpunkt ab, um welchen sich die Darstellung gruppirt.
    D. Red. 
  3. Bei einem neulichen Besuche in einer der größten deutschen Hutmanufacturen theilte uns der freundliche Besitzer derselben eine Reihe von Schädelumrissen theils berühmter, theils in weiten Kreisen bekannter und vielgenannter Männer mit, deren Kopfformen als die von stehenden Kunden des Etablissements für eventuelle Hutbedürfnisse aufbewahrt werden. Wir waren frappirt über die hier und da wahrhaft wundersamen und grotesken Gestalten, Ausbauchungen, Ecken und Knüllen, welche der menschliche Schädel bilden kann, und baten um die Erlaubniß, einige der merkwürdigsten und charakteristischsten dieser durch genaue Maßnahme gefundenen Kopfformen – soweit sich an dieselben die Namen bekannter Persönlichkeiten knüpfen – gewissermaßen als ein phrenologischcs Problem in der Gartenlaube veröffentlichen zu dürfen. Dies geschieht denn hiermit. Zugleich lassen wir die Beurtheilung eines geistvollen Phrenologen folgen, dem wir die Schädelcontouren zur Begutachtung einsandten, ohne ihm die Männer zu nennen, deren Köpfe sie umzeichnen. Zur Vergleichung seiner phrenologischen Aussprüche mit der öffentlichen Meinung, wie sie Bedeutung, Wirksamkeit und Erfolge dieser Männer festgestellt haben, geben wir die Namen derselben am Schlusse unserer Nummer, werden uns aber erlauben, bei dem einen und dem andern ein Fragezeichen beizusetzen.
    D. Red. 
  4. Statt Sinn der Kinderliebe oder Organ des Sinnes der Kinderliebe. Ich habe mir überall diese Abkürzungen erlaubt. Für den Leser, welchem die Phrenologie unbekannt ist, nenne ich hier noch die hauptsächlichsten der übrigen Sinne. Organe an der unteren Stirn: Gegenstandssinn, Gestalt- oder Formensinn, Farbensinn, Zahlensinn, Thatsachensinn, Ortssinn, Ton- oder Musiksinn, Kunst- oder Bausinn, Sprach- oder Wortsinn. Organe auf dem Oberkopfe: Wohlwollen, Nachahmung, Sinn für Neues oder Wunderbares, Verehrung, Hoffnung, Festigkeit, Gewissenhaftigkeit, Selbstgefühl, Beifallsliebe, Einheitssinn oder Concentrationsgabe.