Die Gartenlaube (1863)/Heft 38
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Blau wie der Himmel über uns sich ziehet,
Blau wie das sanfte Veilchen auf dem Feld,
Blau wie das Auge, womit Liebchen siehet.
Ist in der Fahne unser erstes Feld.
Denn Blau bedeutet: „Glauben an das Recht!“
Weiß wie der Schnee, den uns der Winter bringet,
Weiß wie das Bild der Unschuld uns erscheint,
Weiß wie das Lämmchen auf der Weide springet,
Wir harren auf Errettung mit Geduld,
Denn Weiß bedeutet: „Leiden ohne Schuld.“
Roth wie das Blut uns in den Adern rinnet,
Roth wie des Weines dunkle Purpurpracht,
Roth ist die Farbe, die den Schluß nun macht.
Wir lassen gern für’s Vaterland das Blut,
Roth ist die Farbe, die bedeutet: „Muth!“
O, blau-weiß-roth! ihr theuren Landesfarben
Auf daß die Helden, die vor Jahren starben,
Geehrt und sanft in freiem Lande ruh’n.
Und gebt uns das, was uns annoch so fehlt:
Das „Schleswig-Holstein ewig ungedeelt!“
Rendsburg in Holstein, im Juli 1862. Fr. Wendell.[WS 1]
Nach einer kleinen Weile traten zwei neue Ankömmlinge in
das Hinterzimmer ein. Einer derselben war ein schon bejahrter
Mann mit grauem Haar und merkwürdig breiter, stark vorspringender
Stirn. Eine Brille mit grünen Gläsern machte die Farbe
seiner Augen und deren Blick unkenntlich. Sein Begleiter war
von untersetzter Statur, schwarzhaarig und von blasser Gesichtsfarbe.
Er trug sich gebückt, hatte ein scharfes, ruheloses Auge,
das auf Alles achtete, und machte entschieden einen unangenehmen
Eindruck. Osten fühlte auf der Stelle, daß dieser Fremde eine
Persönlichkeit sei, vor der er sich zu hüten habe, wenn er nicht
mit ihr in Streit verwickelt werden wolle.
„Er ist’s!“ flüsterte Krahn dem Landsmanne zu, indem er die Karten zu einem neuen Spiele mischte.
„Welcher?“
„Der mit der Brille!“
Osten fiel ein Stein vom Herzen.
„Und der Andere?“ fragte er.
„Kenne ich nicht!“
Er gab aus, und das Spiel begann von Neuem. Die eben Angekommenen sahen zu, ohne mit den Uebrigen ein Wort zu wechseln. Krahn gewann. Als er die feinen Silberdrittel einstrich, fixirte ihn der Fremde mit der Brille und sagte:
„Irre ich nicht, so haben wir auch einmal mit einander gespielt. Sie sind ein sehr vorsichtiger Mann und leidenschaftslos. Wer mit Ihnen Schritt halten will, muß auf seiner Hut sein. Wollen wir es heute mit einander versuchen?“
„Von Herzen gern, wenn der Einsatz mäßig ist.“
„Sie haben als Fremder zu befehlen. Sind wohl erst angekommen?“
„In letzter Nacht!“
Der Mann mit der Brille setzte sich Krahn gegenüber.
„Spielt der andere Herr nicht?“ fragte er, halb Krahn, halb Osten anblickend. Letzterer verneinte so kurz und scharf, daß Alle aufblickten. Es trat eine kurze Stille ein, dann ward das Spiel fortgesetzt. Krahn gewann abermals.
„Ich sag’s ja, man muß bei Ihnen gewaltig aufpassen,“ sprach der in der Brille mit gutem Humor. „Spielen Ihre Landsleute alle so ausgezeichnet?“
„Wer von uns spielt, giebt sich wenigstens Mühe,“ versetzte Krahn. „Haben Sie nicht wieder alte Münzen? Ich bin ein großer Liebhaber davon. Die ich im Herbst von Ihnen gewann, war ein seltenes Stück. Leider aber hätte es mir beinahe Unglück gebracht.“
„Wie so?“ fiel scharf aufhorchend der Schwarzhaarige ein.
„Unglück?“ wiederholte der Herr mit der Brille. „Wie kann ein altes Stück Geld Unglück bringen? Je reicher man an dergleichen Münzen ist, desto besser befindet man sich. Es ist das reinste Silber, das man im Handel bekommen kann.“
[594] „Um Vergebung, Sie sind wahrscheinlich Goldarbeiter?“
„Zu dienen! Es soll mich freuen, wenn Sie mich besuchen wollen. Ich habe manches seltene Stück, von denen das eine oder andere Ihnen vielleicht vorzugsweise gefiele.“
„Darf ich um Ihre Adresse bitten?“
„Hier ist sie.“
Der Goldarbeiter reichte dem Ohllander seine Geschäftskarte. Auf dieser stand in schön litographirter Schrift der Name L. B. Ulfsen.
Unheimlich forschend ruhte das Auge des Schwarzhaarigen auf dem Fremden aus dem alten Lande. Ulfsen, der eine heitere, harmlose Natur zu sein schien, jederzeit aber gerne Geschäfte machte, nahm das Gespräch wieder auf und sagte zu Krahn.
„Unglück also haben Sie mit dem von mir gewonnenen Gelde gehabt? Wie ging das zu, menn ich fragen darf?“
„Es ergab sich später,“ entgegnete Krahn, jedes Wort betonend und jetzt seinerseits den Begleiter des Goldschmiedes fixirend, „daß es gestohlen war!“
„Da haben Sie’s!“ sprach Ulfsen zu dem Schwarzhaarigen und ließ die Karten fallen. „Sie werden sich erinnern, daß ich gleich Bedenken äußerte und die Person kennen zu lernen wünschte, die Ihnen so werthvolle Dinge als Pfand überlassen hatte. Kennen Sie den Eigenthümer?“ setzte er fragend an Krahn hinzu.
„Es ist mein Freund hier, der Baumhofsbesitzer Osten. In seinen Händen befindet sich jetzt das seltene Stück.“
Ulfsen reichte dem Ohllander vertrauensvoll die Hand. „Ich bedauere aufrichtig,“ sprach er, „daß ich ohne Verschulden zu Etwas gekommen bin, das ursprünglich Ihnen gehörte und von Rechtswegen auch noch gehören sollte. Wir Silber- und Goldarbeiter, die wir edle Metalle besitzen müssen, kommen bei Ankäufen alten Silbers und Goldes oft in Verlegenheit, weshalb wir stets mit großer Vorsicht verfahren. Ich wenigstens habe mir es schon seit Jahren zur Regel gemacht, dergleichen Werthgegenstände nie unter der Hand und von mir ganz unbekannten Personen zu kaufen. Von dieser Maxime bin ich auch bei Erwerbung jener alten Münze nicht abgewichen. Ich erstand sie in öffentlicher Auction, und zwar von diesem ehrenwerthen Herrn, der Ihnen über die Persönlichkeit, von der er sie selbst erhielt, wahrscheinlich näheren Aufschluß geben kann.“
„Kann ich nicht! Werd’ ich nicht und will ich nicht!“ fiel aufgebracht und mit großer Heftigkeit der Schwarzhaarige ein.
„Man wird aber eine solche Auskunft verlangen können, Herr Greifson,“ sagte der Goldarbeiter, „und Ihrer selbst, wie auch Ihres Geschäfts wegen, sind Sie verpflichtet, dieselbe so genau wie möglich zu geben. Ich würde sonst genöthigt sein, jede Verbindung mit Ihnen abzubrechen. Und Sie wissen, ich war stets ein williger und zahlungsfähiger Abnehmer.“
„Wie kann ich alle Menschen kennen und sie fragen nach ihrem Renommée, die mir Gold und Silber und Pretiosen anbieten, gute und schlechte, neue und alte, um dafür von mir zu erhalten eine Zeitlang currentes Geld?“ entgegnete Greifson, der sich jetzt ganz offen als Pfandleiher zu erkennen gab. „Wollte ich die Leute fragen nach Namen, Stand und Gewerbe, so würde ich ihnen erweisen keine Gefälligkeit und sie fortscheuchen aus meinem Hause! Pfand ist Pfand, und Geld ist Geld, und wem es rechtmäßig zugehört, kann man nicht sehen, und setzte man sich auch auf tausend Brillen. Sie tragen ja eine Brille, Herr Ulfsen! Warum haben Sie’s denn nicht angesehen dem dummen Stück Silber, daß es berührt gewesen ist von einem langfingerigen Menschen?“
„Damit wären Sie es nicht los geworden, Herr Greifson! Uebrigens äußerte ich ja einige Bedenken …“
„Nicht über die Münzen, blos über den Bernstein! Und die schönen Bernsteinstücke haben Sie auch nicht gekauft, oder nicht erstanden, als sie kamen zum Ausruf!“
Heinz Osten hatte bisher nur die Rolle eines aufmerksamen Zuhörers gespielt. Er war zur Genüge mit den Vorkommnissen in einer großen Stadt vertraut, um auch die etwas anrüchige Geschäftsbranche zu kennen, die Greifson ihrer Einträglichkeit wegen vielleicht mit besonderer Vorliebe cultivirte. Einen Vorwurf konnte er ihm deshalb nicht machen. Was der Gebrauch und die Lebensgewohnheiten der Menge sanctionirt, ist erlaubt, zumal dann, wenn es[WS 2] noch dazu den Schutz der Gesetze genießt. Den Verlust hatte Osten auch schon verschmerzt, da er ja ein reicher Mann war. Ihm lag nur daran, den oder die Diebe kennen zu lernen, die auf so unerhört schlaue Weise und ohne Zweifel schon vor langer Zeit in sein sicheres Haus eingedrungen waren und ihm gleichsam vor seinen Augen gerade das Liebste, was er besaß, in heimtückischer Berechnung entwendet hatten. Die abweisenden Einwürfe des Pfandleihers, der damit anzeigte, daß er Niemand Rede stehen wollte, verdrossen jedoch Osten, und da er Hamburg nicht ganz unverrichteter Sache wieder verlassen mochte, so meinte er, es sei jetzt die Zeit gekommen, wo er ein Recht zu sprechen und ebenfalls eine Meinung zu äußern habe.
„Es liegt nicht in meiner Absicht, Sie zu schädigen,“ wandte er sich an den Pfandleiher, „Sie werden aber mein Verlangen, den Dieben auf die Spur zu kommen und, wenn möglich, sie zur Rechenschaft zu ziehen, begreiflich finden. Aus diesem Grunde bitte ich, mir die Person zu beschreiben, die das mir gestohlne Gut bei Ihnen versetzte.“
„Ich achte grundsätzlich nicht auf das Aussehen der Menschen, die gegen Pfänder Geld von mir leihen.“
„Das ist ein verwerflicher Grundsatz, Herr Greifson, der Ihnen gelegentlich einmal theuer zu stehen kommen kann!“
„Wie so theuer? Hab’ ich statt des Geldes nicht geldeswerthe Gegenstände?“
„Sind diese gestohlen, so gehören sie Ihnen nicht!“
„Sie gehören mir, sobald ich darauf geliehen habe Geld!“
„Nur in Ihren Augen, Herr Greifson, das Gericht würde anders urtheilen.“
„Ich habe nichts zu schaffen mit dem Gericht!“ schrie Greifson so laut, daß es ganz ruhig im Vorderzimmer ward und der Wirth des Hauses mit leisem Finger an die Thür klopfte.
„Sie werden zur Unzeit heftig, Herr Greifson,“ warf der Goldarbeiter ein, „und machen sich durch diese Heftigkeit verdächtig!“
„Bin ich ein Dieb?“ schrie der Pfandleiher und schlug mit geballter Faust auf den Tisch, daß die vor den Spielern aufgehäuften Geldstapel klirrend umfielen.
„Das behauptet Niemand,“ fuhr Osten fort, „wenn Sie aber hartnäckig behaupten, Sie achteten auf das Aeußere derer nicht, die behufs einer Anleihe gegen Einreichung von Pfändern zu Ihnen kommen, so muß ich annehmen, Sie wollen gewissen Personen nicht hinderlich sein in ihrem dunkeln Treiben.“
„Das will ich auch nicht!“ rief unbesonnen der erhitzte Pfandleiher und hob drohend die Hand gegen den Baumhofsbesitzer. „Wie können Sie sich unterstehen, mir Vorschriften machen zu wollen! mich zur Rede zu setzen! Wer sind Sie überhaupt? Ich kenne Sie gar nicht! Beweisen Sie erst, daß Sie ein Recht haben, mitzusprechen! Beweisen Sie, daß die fragliche Münze Ihnen gehört! daß Sie rechtmäßig in ihren Besitz gekommen sind! Ja, beweisen Sie das, oder man macht kurzen Proceß mit Ihnen, Sie – Sie – Butenmensch!“[1]
Das war ein unbedachtes Wort, das sich auf der Stelle an dem, der es gesprochen hatte, rächen sollte. Der längst schon ergrimmte Ohllander fuhr heftig auf und schleuderte ein nicht minder beleidigendes Wort dem Pfandleiher zu. Dieser blieb die Antwort nicht schuldig, ein hartes Wort folgte dem andern, und ehe es den übrigen Anwesenden gelang, den Streit zu schlichten, kam es zwischen Greifson und Osten zu Thätlichkeiten. Krahn stand sogleich dem Freunde und Landsmanne bei. Ulfsen, der Wirth und einige Andere wollten vermitteln. Der Lärm ward aber nur größer, und da Greifson den Ohllander einen bäurischen Lümmel, dieser dagegen den Pfandleiher einen jüdischen Hehler und Diebsgenossen schimpfte, so war an einen friedlichen Ausgleich gar nicht mehr zu denken. Während des Ringens und Balgens rollte das Geld vom Tische. Das Stampfen und Schreien drang hinaus bis auf die bereits still gewordene Straße und erregte die Aufmerksamkeit der Hafenrunde, die eben um die nächste Straßenecke bog.
Laut rufend und Ruhe gebietend drang die Runde, deren Aufgabe und Pflicht es ist, in der Umgebung des Hafens die nächtliche Sicherheit aufrecht zu erhalten, ein und machte die für den Wirth höchst unangenehme Entdeckung, daß verbotenes hohes Spiel getrieben worden war. Das viele auf dem Boden verstreute Geld, die Karten, welche zum Unglück sogar ungestempelt waren, die theils erhitzten, theils verblüfften Gesichter der Ueberraschten, und das höchst verdächtige Wesen des Wirthes, Alles das zusammengenommen berechtigte den Anführer der Runde zur Arretirung [595] aller Anwesenden. Von Einreden und Bitten wollte der pflichtgestrenge Mann nichts hören.
„Findet sich morgen, nachdem ich Bericht abgestattet habe,“ sagte er barsch. „Jetzt gebiete ich Ruhe und vorwärts alle Mann!“
Gegen dies diktatorische Wort gab es keine Einrede. Man mußte sich in das Unabwendbare fügen. Wirth und Gäste wurden in die Mitte genommen, durch verschiedene Straßen nach einem freien Platze geführt, auf dem ein altes, ziemlich großes Wachthaus stand, und hier unsanft in ein paar dunkle Zimmer hineingestoßen, ohne daß der Schließer sich die Mühe nahm, den späten Arrestanten ein Nachtlager oder nur eine Bank zum Ausruhen während der Nacht anzuweisen.
Capitain Moritz Krahn war inzwischen nach dem Wunsche Osten’s zu seiner Braut geeilt. Er fand Dortchen weniger aufgeregt als tief betrübt. Das junge Mädchen hatte ihre Mutter so lange bestürmt, bis diese ihr das Vorgefallene unter vielen Thränen mittheilte. Sie konnte dabei nicht verheimlichen, daß sie für die Tochter fürchte; denn – meinte die brave Frau – eine gestohlene Echte hat noch niemals Segen gebracht!
Die Ankunft des Verlobten erfreute Dortchen zwar, die Angst jedoch, die sich ihrer bemächtigt hatte, vermochte auch der Geliebte nicht von dem Herzen seiner Braut zu nehmen.
„Das Schrecklichste ist,“ wiederholte sie mehrmals, „daß alle Leute mit Fingern auf mich weisen werden! Warum hast Du mir das gethan!“
Moritz Krahn betheuerte unter erneuerten Versicherungen seiner Liebe, daß er vollkommen unschuldig sei und keine Ahnung gehabt habe, auf welche Weise sein Vater in den Besitz des alten Silberstückes gekommen sei. Dortchen glaubte auch diesen Betheuerungen, Trost jedoch für sich selbst konnte sie nicht daraus schöpfen.
„Wir werden uns trennen müssen und ewig geschieden bleiben!“ lautete der Refrain, der sich immer von Neuem auf die Lippen der untröstlichen Braut drängte.
Der Capitain suchte die Brüder Dortchens auf, um sich mit diesen über die Maßregeln zu besprechen, die zur Geheimhaltung des unseligen Vorfalles ergriffen werden müßten. Leider aber fand er beide noch sehr junge Männer wenig zugänglich. Das Mißtrauen, wozu die Mehrzahl der Ohllander eine angeborene Anlage besitzt, hatte sich ihrer bemächtigt und erlaubte ihnen nicht, dem Manne williges Gehör zu schenken, der ihre einzige Schwester höchst wahrscheinlich in’s Unglück stürzen werde. Ob Leichtsinn, eigene oder fremde Schuld oder ein bloßer Zufall, den Niemand ahnen oder voraussehen konnte, die Sache veranlaßt habe, kümmerte Dortchens Brüder wenig.
„Haben Sie auf Niemand Verdacht?“ fragte Moritz Krahn, sich verstimmt wieder an die Mutter wendend. „Es muß ein Feind des Hauses sein, und zwar ein unversöhnlicher, der Euch dies angethan hat! Lebt Osten mit Jemand in Streit?“
„So lange wir zusammen wohnen, haben wir keinen Menschen beleidigt,“ gab die bekümmerte Frau des Baumhofbesitzers zur Antwort. „Heinz ist ein rechtlicher, verträglicher Mann. Er tritt Niemand zu nahe; er behandelt seine Leute wie Kinder; er ist weder geizig noch verschwenderisch; er ist eben ein Mann, vor dem Frau und Kinder, Freunde und Nachbarn Respect haben müssen.“
Die Frau sprach in diesem Lobe, das sie dem eigenen Manne zollte, nur das aus, was alle Bewohner des Ortes über Osten urtheilten. Er hatte wirklich keinen Feind und gab zu Streit und Mißhelligkeiten keinerlei Anlaß. Moritz Krahn aber konnte sich dabei nicht beruhigen. Er besichtigte jetzt das Wohnhaus Osten’s, das sich von anderen Häusern des alten Landes wesentlich freilich von nichts unterschied. Darauf ließ er sich von Dortchens Mutter die Kiste zeigen, in welcher der Schmuck aufbewahrt worden war. Dies führte zu einer Nachfrage über den Aufbewahrungsort auch des Zimmerschlüssels, den Moritz Krahn sehr genau in Augenschein nahm. Das Fenster, hinter welchem dieser Schlüssel hing, öffnend und schließend, sprach er: „Es ist ein Vertrauter Osten’s gewesen, eine Person, die jeden Winkel kennen muß, welche den Diebstahl verübte!“
„Wer kann das beweisen?“
„Die Umstände sprechen dafür! Der Dieb mußte sich erst in den Besitz des Zimmerschlüssels setzen, ehe er zu der Blumenkiste gelangen konnte! Ich wette, es ist ein Mensch, der früher bei Osten diente und Wohlthaten von ihm erhielt!“
„Wir wechselten nur zweimal unsere Dienstboten, und Alle waren ehrliche Leute, die jetzt sämmtlich im Lande angesessen sind.“
„Dann ist der Dieb ein verkappter Feind, ein Schleicher, den Ihr vielleicht heute noch füttert!“
In diesem Augenblicke ließen sich dicht vor der nur angelehnten Hausthüre unsicher schlürfende Schritte hören, und eine matte, klanglose Frauenstimme fragte ängstlich, als fürchte sie, etwas Unpassendes zu thun:
„Sind wir auch recht? Ist das Heinz Osten’s Hof?“
„Es ist der Baumhof, den Ihr sucht,“ entgegnete der Gefragte. „Soll ich Euch nun allein lassen und draußen an der Deichstiege warten, wie Ihr vorhin sagtet?“
„Geht noch nicht von mir, ich will mich erst vergewissern. Wenn ich recht bin, brauche ich durch Hof und Haus, in Küche und Keller keinen Führer!“
Diese Worte hörten sowohl der Capitain wie Dortchens Mutter ganz deutlich. Die Stimme der Sprecherin war Beiden unbekannt. Moritz Krahn öffnete neugierig die Hausthüre und blickte hinaus. Vom Baumhofe herein über den mit grobem Kiessand bestreuten Platz schritt, auf einen langen Stab gestützt, eine Frau in Ohlländer Tracht, um den Kopf den dunkelfarbigen Bund mit flatterndem schwarzem Band, wie ältere Frauen und Wittwen ihn tragen. An der Einhegung des Vorplatzes lehnte ein fremder Mann in Schiffertracht.
Nur drei Schritte von der Thür des Hauses wendete die Frau sich um und sagte in zuversichtlichem Tone zu dem fremden Manne: „Ich bin am rechten Orte. Ihr könnt gehen. Der Besitzer des Hofes selbst wird mich an den Deichstieg zurückgeleiten.“
„Wer ist das Weib?“ raunte der Capitain der Hausfrau zu, die scheu tiefer auf die Diele zurückgetreten war.
„Ich kenne die Frau nicht!“
„Sie scheint blind zu sein.“
„Wahrscheinlich eine Bettlerin.“
Der Stab der Fremden berührte jetzt tastend die Thür. Sie hemmte ihre Schritte und rief laut:
„Holla!“
Moritz Krahn gab der Hausfrau durch einen Wink zu verstehen, daß sie sich ruhig verhalten möge. Dann öffnete er geräuschlos die Thür des gewöhnlichen Wohnzimmers, als trete er eben aus diesem, räusperte sich und sprach: „Was ist Dein Begehr, Mütterchen?“
Ueber das gealterte Antlitz der Blinden glitt ein bitteres Lächeln, indem sie antwortete: „Du bist ein Fremder und kannst mich nicht kennen. Ich suche den Herrn dieses Hauses, Heinz Osten.“
„Osten ist nicht hier.“
„Wo find’ ich ihn?“
„Irgendwo auf dem Elbstrome, denk’ ich.“
„Segelte er nach Hamburg?“
„Kann wohl sein.“
Die Stimme des Capitains mochte der Blinden etwas spöttisch klingen, was sie aufbrachte.
„Du weißt es und willst es mir nicht sagen,“ fuhr sie fort. „Das muß ich tadeln, denn es ist gemein!“
„Hast Du hier zu befehlen?“
„Mehr als Du! Du bist ein Fremdling!“
„Aber ein Ohllander! Begehrst Du eine Gabe, so soll sie Dir gereicht werden.“
„Dir würf’ ich sie vor die Füße!“ grollte die Blinde. „Ich bin keine Bettlerin! Wann treffe ich Heinz Osten?“
„Du? Ich fürchte, für Dich wird Osten niemals zu Hause sein.“
Die Blinde erhob ihren Stab und drohte damit dem Capitain, der ein paar Schritte zurückweichen mußte, um nicht von ihr getroffen zu werden. Dadurch ward der Zugang zur Thür des vorderen Dielenzimmers frei, auf welche die Unbekannte jetzt zuschritt.
„So ist’s recht!“ sprach sie. „Du machst mir, die ich hier zu gebieten mehr berufen bin, als Andere, gebührend Platz. Darum verzeihe ich Dir. Drinnen am Fenster werde ich Osten’s Rückkehr erwarten.“
Der Capitain hinderte die Blinde eben so wenig als Dortchens Mutter, welche diese Unterhaltung schweigend und staunend [596] zugleich angehört hatte. Auch jetzt brach sie dies Schweigen nicht, da Moritz Krahn mit bedeutungsvollem Blick ihre Hand faßte und sie tiefer in’s Haus führte.
„Sprich nicht mit dem Weibe, Mutter, aber achte auf Alles, was sie thut!“ flüsterte er der völlig Unschlüssigen zu. „Die unerwartete Ankunft dieser Fremden hat etwas zu bedeuten! Daß ihr das Augenlicht fehlt, erleichtert uns die Beobachtung. Ich gehe, um den Schiffer aufzusuchen, der draußen am Deich auf sie warten soll.“
Der Capitain verließ Haus und Baumhof, umging den weitläufigen Zaun und näherte sich der Deichstiege, auf deren Höhe er sogleich des Mannes ansichtig ward, der die Fremde begleitet hatte. Es war ein brummiger Gesell, offenbar ein Knecht, der phlegmatisch sein Priemchen kaute.
„Guten Tag, Freund!“ redete Moritz Krahn ihn an, sich ebenfalls auf das Geländer der Stiege lehnend. „Woher kommt die Frau, die Osten sprechen will?“
„Ich hab’ sie von der Lühemündung in meiner Jolle heraufgerudert.“
„Kennst Du sie?“
„Geht mich nichts an.“
„Aber Heinz Osten kennst Du?“
Der Schifferknecht nickte.
„Du bist kein Ohllander?“
„Aus Hadeln, Herr.“
„Und dienst wem?“
„Dem Hirschkrüger. Seine Smak liegt unten in der Elbe. Wartet auf Rückfracht.“
„Hast also Zeit?“
„Ueberflüssig.“
Der Capitain nahm einen Drittel-Species aus seiner Börse und drückte das Geldstück dem Knechte in die Hand.
„Geh’ und trinke auf meine Gesundheit,“ sprach er. „Da unten, wo die Windmühlen den Hauptschmuck der Hauswände bilden, giebt es vortreffliches Getränk. Vor Abend kommt die Blinde nicht wieder.“
Der Schiffer steckte, den Mund zu einem breiten Lächeln verziehend, das erhaltene Geldstück ein, kehrte sich auf dem Absatze seiner plumpen Schuhe um, hakte das Gitterthor auf und schlug die Richtung nach dem Hause ein, das ihm der Capitain so deutlich bezeichnet hatte.
Inzwischen war den Kindern Osten’s die Ankunft der sonderbaren Fremden von der Mutter selbst mitgetheilt und dadurch die Entfernung derselben aus dem Hause ohne Bewilligung der sie beobachtenden Bewohner unmöglich geworden. Sie hatte, anscheinend in tiefen Gedanken, stier vor sich hin gesehen, manchmal schwer aufgeseufzt und einige Male, als rede sie nur mit sich selbst, gesprechen: „Der arme Mensch! Um meinetwegen!“
Capitain Krahn zweifelte nicht, daß Osten die Fremde kenne, und wäre ihm nicht mehr daran gelegen gewesen, sie still zu beobachten, so würde er sie zu erforschen gesucht haben. Absichtlich verhielten sich sämmtliche Bewohner des Baumhofes auf Krahn’s Vorschlag und Wunsch so ruhig, daß die Blinde nach einiger Zeit glauben mußte, sie sei ganz allein im Hause. Das gerade hatte der Capitain beabsichtigt, der an der Seite des bekümmerten Dortchen dem kleinen Fenster gegenüber saß, das aus dem vorderen Zimmer einen Blick auf die Hausflur gewährte.
Plötzlich bewegte sich die Blinde vernehmbar, ihr Stab berührte vorsichtig, aber doch hörbar, den Fußboden, und gleich darauf zeigte sich ihre tastende Hand erst an der schmalen Fensterscheibe, dann an der mit Kacheln belegten Wand.
Sie blieb gerade vor dem Fenster stehen und ließ den Kopf etwas vornüber sinken.
„Fort!“ sprach sie dann leise und riß die blinden Augen weit auf. „Fort! Es ist richtig! Heinz Osten allein kann helfen. Ich muß ihn darum angehen!“
Hinter dem Deiche oder irgendwo in der Nähe des Hauses krachte ein Schuß. Dortchen schrie laut auf und umschlang mit weichen Armen den Geliebten. Die Blinde duckte sich erschrocken und schlich zurück zu ihrem Sitz am Fenster. Hinter dem Hause wurden Männerstimmen laut, die sich schnell dem Baumhofe näherten. Capitain Krahn ging den Ankömmlingen, die sich in so ungewohnter Weise meldeten, Arm in Arm mit Dortchen entgegen.
(Schluß folgt.)
Einen Monat vor den Tagen, wo in der Literatur- und Handels-Metropole Mitteldeutschlands, in dem alt- und weltberühmten Leipzig, das fünfzigjährige Jubiläum der größten Volksbefreiungs-Schlacht der Neuzeit von Tausenden patriotisch gesinnter Söhne Deutschlands wird gefeiert werden, gerade einen Monat früher als dies stattfindet, wird man in einem Winkel des nordwestlichen Deutschlands ein Fest, gleichfalls einer Siegesthat desselben deutschen Freiheitskrieges gewidmet, mit allen Ehren und mit all dem Festschmucke begehen, welchen eine kleinere Zahl noch überlebender Mitkämpfer jener Tage im Verein mit gleichgesinnten Vaterlandssöhnen wird aufbieten können. Es ist die funfzigjährige Gedenkfeier des Treffens bei der Göhrde, welche die kleine hannoversche Landstadt Dannenberg am 16. Sept. d. J. festlich begeht. Und wie dieses siegreiche Gefecht als eines der einleitenden, ermuthigenden Vorspiele zu dem letzten großen Entscheidungsschlage bei Leipzig zu betrachten ist: so werden auch alle im September das Erinnerungsfest des Göhrde-Treffens Feiernden dadurch mit Geist und Sinn schon dem großen Nationalfeste sich zugewendet fühlen, das in den Tagen des 16.-20. Octobers Tausende ihrer deutschen Brüder unter den von der deutschen Fahne überragten Landesbannern aller deutschen Einzelstaaten in und um Leipzig vereinen soll.
Jener Sieg bei dem[WS 3] Göhrde-Walde in der hannoverschen Provinz Lüneburg wurde zwar, der Mehrzahl der Kämpfer nach, von hannoverschen Truppen erstritten, und es wird nicht als ungerechtfertigt erscheinen können, wenn bei der kirchlichen Feier in dem hannoverschen Städtchen Dannenberg – auf dessen Kirchhofe manche bald nachher dort ihren Wunden erlegene Kämpfer begraben liegen – vorweg die Namen gefallener Hannoveraner den Zuhörern aufgenannt werden. Aber man soll auch den Namen der Nichthannoveraner, welche für dieselbe heilige, deutsche Sache dort kühn und opferfreudig den Heldentod starben, nicht vergessen. Vor Allem soll man dann dein nicht vergessen, du schwarze Freischaar, dich, „Lützow’s wilde verwegene Jagd“, nicht mit Schweigen übergehen, denn die Zahl deiner Gefallenen war an jenem blutigen Tage im Verhältniß zu allen anderen Mitkämpfern die numerisch größte; aber Eins noch zeichnet deine Opfer, du kleine Heldenschaar, vor allen andern aus. Bei den andern Fußvolk-Bataillonen und Reitergeschwadern kämpften und bluteten und starben doch nur Männer und Jünglinge, sie alle von dem Geschlecht, das, wie schon Vater Homeros sang, für die „männermordende Feldschlacht“ vom Geschick bestimmt ist, sich hinzugeben auf den Rus der Führer. Unter deinem tapfern Häuflein aber kämpfte und blutete an diesem Tage auch und sank dahin mit deinen andern Gefallenen eine deutsche Jungfrau!
Und ob auch andere Namen, die Namen der ersten Kriegslenker und Feldobersten aus diesem deutschen Befreiungskriege, mit einer weiterhin leuchtenden Gloriola des Ruhmes angethan leuchten, mit einem reineren Lichte strahlt keiner als dieser Mädchenname, und von keinem ergeht eine erhabenere Mahnung uns zum Gedächtnisse wie zur Nacheiferung an das deutsche Volk, wenn es ihm in kommenden Tagen nochmals bestimmt sein sollte, für sein Erbtheil aus der Teutoburger Schlacht zu kämpfen.
„Gebet dem Weibe eine Idee,“ sagte einst Jean Paul, „und es kann auch kämpfen und tödten!“
Das ist es, was sich in jenen Tagen zur Rettung unsres Vaterlandes bewährte. Die Macht der Idee war es, welche ein ganzes Decennium lang dem deutschen Volke wie ein verlorner, versenkter, unauffindbarer Freiheitshort gefehlt hatte, weshalb es ein ganzes Decennium lang vor dem fremden Volke, das selbst doch nur von einer Scheinidee, der des Eroberungsruhmes,
[597][598] angefeuert ward, besiegt, geknechtet, beschimpft darniederlag. Und die Macht der Idee war es, die Idee der wahren Vaterlandsliebe, des Mühens um und für die höchsten Güter des Menschendaseins im Volks- und Familienleben, welche – neu entzündet durch die Freiheitslieder unserer Dichter, durch die philippischen Reden unserer Wissenschaftslehrer – unserem Volke die Hoffnung neu erweckte, daß es doch noch seine Dränger wieder von sich zu schütteln fähig sei, und welche aus der Hoffnung den Muth, und aus dem Muth die Zuversicht des Angriffs erzeugte.
Das aber war das Schöne und Große jener Tage von 1813, daß damals die vom Himmel aus zurückgekehrte Idee die Menschen aller Stände entzündete, daß damals auch die Geringsten und Schwächsten selbst von der Liebe zum Vaterlande erfüllt und getrieben wurden, ein Jeder von seiner Stelle aus groß und edel zu handeln. Denn auch die Frauen blieben diesmal nicht theilnahmlos und thatlos zurück. Nicht aber nur auf Liebesgaben, Pflege der Kranken und Verwundeten, freudiges Ertragen der Trennung von Vater, Bruder, Gatten und Verlobten beschränkten sie sich damals, nein, einige wurden von der allgemeinen Begeisterung so weit fortgerissen, daß sie unerkannt in die Reihen der Kämpfer traten und heldenmüthig an der Seite der Tapfersten fochten, sich weihend und bereit zum Tode für’s Vaterland.
Den ersten Platz nun unter diesen nimmt ein das Soldatenkind aus Potsdam.
Eleonore Prohaska, die achtzehnjährige Tochter eines invaliden Unterofficiers zu Potsdam, verließ heimlich das elterliche Haus und trat unerkannt in das Lützow’sche Freicorps als Jäger zu Fuß ein. Kein Aufruf der Fürsten, kein Schlachtbericht der Feldherren kann für den Geist, welcher damals alle Herzen im preußischen Volksstamm durchglühte und von da ab bald in alle anderen deutschen Stämme übergehen sollte, ein so wahrhaftes Zeugniß ablegen, als zwei Briefe dieser Heldenjungfrau; sie gehören der Geschichte an und verdienen aufbewahrt zu werden.
Lieber Bruder!
Nun habe ich Dir noch etwas ganz Neues zu erzählen, worüber Du mir aber vorher versprechen mußt, nicht böse zu sein. Ich bin seit vier Wochen schon Soldat! Erstaune nicht, aber schelte auch nicht; Du weißt, daß der Entschluß dazu schon seit Anfang des Krieges meine Brust beherrschte. Schon zwei Briefe von Freundinnen erhielt ich, welche mir vorwarfen, ich sei feige, da Alles um mich her entschlossen ist, in diesem ehrenvollen Kriege mitzukämpfen. Da wurde mein Entschluß unumstößlich fest; ich war im Innern meiner Seele überzeugt, keine schlechte oder leichtsinnige That zu begehen; denn sieh nur Spanien und Tyrol, wie da die Weiber und Mädchen handelten! Ich verkaufte also mein Zeug, um mir erst eine anständige Manneskleidung zu kaufen, bis ich Montirung erhalte; dann kaufte ich mir eine Büchse für 8 Thaler, Hirschfänger und Czako zusammen 3½ Thaler. Nun ging ich unter die schwarzen Jäger; meiner Klugheit kannst Du zutrauen, daß ich unerkannt bleibe. Ich habe nur noch die große Bitte, daß Du es Vatern vorträgst, so vortheilhaft wie möglich für mich. Vater wird mir nicht böse sein, glaube ich, denn er erzählte ja selbst Skizzen von den Spanierinnen und Tyrolerinnen, wobei er meinen Entschluß deutlich aus meinem Gesichte sehen konnte. Ich habe aus Vorsicht meinen Namen geändert; wenn Du mir schreibst, so unterzeichne Dich mit meinem angenommenen Namen als mein Bruder, denn Du weißt, Briefe haben mancherlei Schicksale. Wir exerciren, tirailliren und schießen recht fleißig, woran ich sehr viel Vergnügen finde; ich treffe auf 150 Schritt die Scheibe.
Lebe recht wohl, guter Bruder! Ehrenvoll oder nie siehst Du mich wieder. Grüße Vater und Karolinen tausendmal; sage ihnen, versichere sie, daß mein Herz stets gut und edel bleiben wird, daß keine Zeit, Schicksal oder Gelegenheit mich zu Grausamkeiten oder bösen Handlungen verleiten soll und daß stets mein Herz treu und bieder für Euch schlägt. Mit ewiger Liebe
Deine
Leonora genannt August Renz, freiwilliger Jäger bei dem Lützow’schen Freicorps im Detachement erstes Bataillon.“
Lieber guter Bruder!
Uns ist gesagt, daß wir schon in drei Tagen vor den Feind kommen; es ist also vielleicht das letzte Mal, daß ich mit Dir, geliebter Bruder, noch eine Unterhaltung habe; ich bin zwar sehr müde, wir haben in fünf Tagen wohl an dreißig Meilen zurückgelegt und morgen früh um 2 Uhr marschiren wir schon weiter; aber trotz aller Müdigkeit will ich mich diesen Abend nur mit den Meinigen beschäftigen. Es ist mir noch immer geglückt, ganz unerkannt zu bleiben; kann ich nicht ein Quartierbillet für mich allein bekommen, so ist gewöhnlich der kleine Arnold von fünfzehn Jahren mein Camerad. Im Bivouac hab’ ich mein Lager immer für mich allein. Wegen meiner Stimme necken sie mich; da habe ich mich für einen Schneider ausgegeben, die können auch eine feine Stimme haben. Zu thun giebt es im Bivouac auch genug, denn außer mir ist nur noch ein einziger Schneider bei der Compagnie, ein bucklicht altes Männchen, den sie nirgends als Soldat haben annehmen wollen; aber unser Hauptmann sagte: im Kriege sieht Gott nicht den Buckel, sondern das Herz an, wenn das nur auf dem rechten Flecke sitzt. Mit dem halt’ ich zusammen und nähe und wasche fleißig, und weil ich mich auf die Küche verstehe, mögen sie mich alle gern.
Lieber guter Bruder, Du sagtest mir einmal, ich müßte Dein Herz nicht zu dem eines Weibes herabstimmen, sondern in Dir allen Muth zu erwecken suchen. Sieh, Lieber, so denke ich jetzt von Dir und habe die feste Ueberzeugung, daß Du, Vater und Karoline mir nicht böse seid, und so gehe ich, durch diesen Gedanken gestärkt, voll Muth und Entschlossenheit in den Kampf. Komme ich einst glücklich wieder, dann, guter Bruder, wird meine Freude überschwenglich sein; komme ich nicht wieder zurück, dann sage ich Dir in diesem Briefe das letzte Lebewohl, dann, theurer guter Bruder, lebe ewig, ewig wohl. Ich kann vor Thränen nichts weiter sagen, als daß ich auch noch im Tode treu und ewig mit Liebe sein werde Deine Dich ewig liebende Schwester
Leonore genannt August Renz.“
Von den Einzelerlebnissen unserer jungen Heldin in ihrem
Feldzuge vom Frühjahre bis Herbst 1813 liegt in bis jetzt dem
Druck überlieferten Mittheilungen so gut wie gar nichts vor; auch
werden sich dieselben auf die herkömmlichen Strapazen und Gefahren,
wie sie fast jedem Soldaten im Felde beschieden sind, mehr
oder minder beschränkt haben. So viel wissen wir jedoch darüber,
daß August Renz von Anfang bis zu Ende sich als einer der
bravsten Soldaten des ganzen Freicorps bewährte. Derjenige ihrer
Cameraden, welcher ausführlicher die Umstände zu Papier gebracht,
unter denen Eleonore ihren Tod auf dem Schlachtfelde fand, hat
uns auch darüber Einiges berichtet.
Dr. Friedrich Förster (der Geschichtsschreiber der Freiheitskriege), der als Jenaischer Student mit vielen Commilitonen unter die Lützower gegangen, und der auch, bereits zum Lieutenant avancirt, dem Gefecht bei der Göhrde mit beiwohnte, ist es, welchem wir überhaupt die einzigen näheren Angaben über Eleonore Prohaska und insbesondere ihren Tod in dieser Action verdanken.
Eine ausführliche Schilderung des Treffens liegt außer dem Zwecke dieser Erinnerungsblätter, und wir verweisen dafür auf Beamish, Beitzke, Lange und Förster selbst. Hören wir hier nur den Bericht über den Tag des 16. September, so weit er unsere Heldin angeht.
Der Befehl über das zu Ende des Waffenstillstandes im August 1813 an der Niederelbe versammelte Armeecorps des Nordheeres war dem russischen Generallieutenant Grafen Wallmoden, einem gebornen Hannoveraner, zugetheilt worden; er stand unter dem Oberbefehl des Kronprinzen von Schweden, doch war sein Verhältniß ein bei weitem selbstständigeres als das der preußischen Generale, welche sich in der unmittelbaren Nähe der Schweden befanden.
Am 14. September versammelte General Wallmoden etwa 13,000 Mann und vollführte, durch Lützow’s und Tettenborn’s Zureden bewogen, damit einen der glücklichsten Streifzüge, welche in diesem Kriege unternommen worden sind. Unter diesem Streifcorps befand sich auch der Major Lützow mit 500 Mann zu Pferde [599] und 300 Mann zu Fuß. Es war nämlich am 12. September bei Mölln durch eine Lützow’sche Patrouille ein französischer Ordonnanzofficier gefangen genommen worden, bei welchem man einen Brief fand, in welchem erwähnt wurde, daß der Marschall Davoust von seinem zwischen Hamburg und Lübeck stationirten Hauptcorps den General Pecheux mit einer Division von 8000 Mann auf das linke Elbufer entsenden werde, um entweder das Land stromaufwärts von den zahlreichen feindlichen Streifcorps zu säubern, oder auch auf weitere Ordre die Besatzung von Magdeburg zu verstärken.
Der französische General Pecheux war nun auch wirklich am 15. September von Lüneburg über Dahlenburg bis zur Göhrde, einem gut bestandenen großen Forst von Eichen, Buchen und Tannen mit einem gleichbenannten königl. hannoverschen Jagdschlosse, gekommen. Er ließ den Wald und das Jagdschloß besetzen, nahm jedoch Anstand, seinen Marsch weiter fortzusetzen, da hin und wieder streifende Kosaken vermuthen ließen, daß er auf ein größeres feindliches Corps stoßen könne. Auf die Meldung, welche er davon an den Marschall Davoust schickte, erhielt er einen Verweis „wegen seiner zaghaften Besorgnisse“.
Dennoch suchte Davoust sich durch einen Angriff auf die Vorposten bei Boitzenburg auf dem rechten Elbufer zu überzeugen, ob die Linie an der Stecknitz noch von den alliirten Truppen besetzt sei. Wallmoden aber, unterdeß bereits auf das linke Elbufer übergesetzt, ließ sich durch den Kanonendonner, welcher ihm einen Angriff auf den jenseits zurückgelassenen Theil seines Hauptcorps ankündigte, von dem günstigen Erfolg verheißenden Unternehmen gegen Pecheux nicht abrufen, vielmehr wurde, einer mit raschem Ueberblick gemachten Disposition zufolge, der Angriff des Feindes in der Front begonnen, während durch Umgehung seiner Stellung ihm der Rückzug nach Lüneburg abgeschnitten werden sollte.
Der Major Lützow erhielt am 10. Sept. Mittags Befehl, die feindlichen Vorposten im Göhrde-Walde anzugreifen. Seine Tirailleurs trafen mitten im Walde auf den Feind; die Bajonnetjäger unterstützten die Büchsenjäger, und nach anderthalbstündigem Gefecht waren die Feinde aus dem Walde hinausgepirscht.
Hinter dem Göhrde-Walde ist eine hügelige Gegend durch einen Landrücken begrenzt, der dem Feinde Gelegenheit zu vortheilhafter Aufstellllung bot. Auf seinem rechten Flügel hatte er einen Vorberg durch Tirailleurs besetzt; zwischen diesem und dem angrenzenden Höhenzuge führt die Straße nach Lüneburg, vor der Straße hielt Kavallerie, hinter demselben waren zwischen Steinhügeln dortiger Hünengräber eine Haubitze und sieben Kanonen zur rechten und linken Hand geschickt vertheilt und wurden tüchtig bedient.
Die Tirailleurs der Infanterie des Lützow’schen Freicorps vertrieben den Feind aus der Ebene und von dem erwähnten Vorberge. In diesem Augenblicke brach der Major Lützow mit seinen schwarzen Reitern aus dem Walde hervor, um sich auf die französische Cavallerie zu werfen; diese aber erwartete den Angrif nicht, sondern zog sich eiligst hinter ihre Infanterie zurück, welche Vierecke formirte. Lützow und seine muthige Schaar stürzte sich auf die festgeschlossenen Vierecke, welche ihn mit Kartätschen und Bataillonsfeuer empfingen. Die Wirkung in unmittelbarer Nähe vor der Front war mörderisch, Lützow, der Allen vorausritt, wurde durch einen Schuß schwer in den Unterleib verwundet, schwenkte rechts ab, und die Schwadronen, in der Meinung die Attaque sei aufgegeben, folgten ihm.
Es trat jetzt einer jener kritischen Momente ein, welche über Sieg und Niederlage entscheiden. Die Cavallerie und eben so die Infanterie des Freicorps hatten nicht nur die obersten Anführer, sondern auch fast sämmtliche Officiere verwundet oder todt; die Schwadronen sammelten sich rückwärts hinter dem sie schützenden Vorberge. Die Jäger, welche ihre Aufgabe, den Feind aus dem Walde zu vertreiben, erfüllt hatten, waren in kleineren Trupps gefolgt, mehr aus Neugier, wie die Attaque der Cavallerie ablaufen werde, als in Hoffnung auf fernere Betheiligung an dem Gefecht, welches nur durch Cavallerie und Artillerie entschieden werden konnte. Und dennoch kam es diesmal ganz anders; eine Handvoll unternehmender Burschen, man kann sogar sagen, der vorwitzige Einfall eines Einzelnen entschied hier mehr als Strategie und Taktik.
Bei der Verfolgung der Tirailleurs (erzählt Fr. Förster in seinem Tagebuche von 1813 weiter), welche sich, als wir sie aus dem Walde vertrieben hatten, nach den Anhöhen zu ihren Kanonen und Infanteriewaffen zurückzogen, erhielt ich einen Schuß in den rechten Oberarm. Da mir dies einen jener schmerzvollen Mißtöne entlockte, wie man sie bei solchen Veranlassungen unwillkürlich auszustoßen pflegt, eilte mein Nebenmann in der Schützenlinie, der Maler Kersting herbei, mich zu verbinden. Damit er die Kugel aus der Wunde herausdrücken konnte, hieß er mich niedersitzen, wozu sich als geeigneter Sitz die Trommel eines todt an der Erde liegenden französischen kleinen Rataplan darbot. Bald versammelten sich noch eine Anzahl Freunde, und als die Operation glücklich vollbracht war, versuchte ich, um zu probiren, ob meine Armröhre ganz geblieben, die Trommel zu schlagen. Da dies nicht zum Besten gelang, nahm mir der Jäger Renz die Trommel aus der Hand und wirbelte mit großem Geschick darauf herum.
„Du verstehst Dich doch auf Alles,“ rief ein Anderer ihm zu, „Du schneiderst, kochst, wäschst, singst und schießt, wie Keiner es besser versteht, und nun bist Du auch noch Tambour!“
„Ein Potsdamer Soldatenkind,“ sagte Renz, „muß sich auf Alles verstehen,“ und trommelte lustig weiter und sang:
„Zusammen, zusammen, ihr Lumpenhund’,
Ihr sollt’ zu Euerm Hauptmann komm’,
Ihr sollt’ nen Buckel voll Prügel bekomm,“
so daß die kleine Schaar, welche ihm folgte, als ob wir Soldaten spielten, bald auf fünfzig bis siebenzig Mann anwuchs. So waren wir lustiger Dinge über die ebene Haide bis zum Fuße der vor uns liegenden Hügelkette marschirt, als wir da droben Kanonen auffahren, abprotzen und alsbald ein heftiges Feuer auf die sich zurückziehende Cavallerie eröffnen sahen. – „Nun hört aller Spaß auf!“ rief unser Trommelschläger und schlug den Sturmmarsch. Von einem Commando und Erwägung dessen, was zu thun sei, war nicht die Rede. Mit wüthendem Hurrahgeschrei drangen wir in ungeordnetem Haufen, mit Büchsen, wenige nur mit Bajonnetgewehr, den Hügel hinan.
Hier erfuhr ich nun zum ersten Male die furchtbare Wirkung einer vollen Kartätschenladung in einen dichtgeschlossenen Haufen auf etwa 150 Schritt Entfernung. Das stürzte, sprengte, stob und flog auseinander, Jammergeschrei und Hurrah übertönten und übertäubten eines das andere, aber mein tapferer Renz schritt noch immer vorauf, und schlug Sturm auf seiner Trommel. Die auseinandergesprengte Schaar schloß sich in verdoppeltem Sturmschritt wieder zusammen; es galt nur noch einen beherzten Anlauf, und wir waren dann der Batterie so nah, daß die Kugeln über uns wegfliegen mußten. Da warf ein zweiter Schuß seinen zerschmetternden Hagel in unsere Reihen; unser tapferer Trommelschläger stürzte neben mir, krampfhaft hielt er den Zipfel meines Ueberrockes fest und rief mit jammervoller Stimme: „Herr Lieutnant, ich bin ein Mädchen!“ – Ohne darauf zu achten, riß ich mich los; nur wenige Schritte noch, und wir standen in der Schanze. Dieses letzte und entscheidende Wagniß gelang: die Haubitze hatte wiederum ihre Ladung erhalten, allein bevor der Feuerwerker die brennende Lunte daraufhielt, war er von dem Jäger Bachmann niedergestoßen, und sein Schicksal theilten die anderen das Geschütz bedienenden Feinde. Nun aber gab es einen Jubel zum Rasendwerden: zwei französische Kanonen mit Sturm genommen! Wir waren anfänglich kaum ihrer neun bis zehn Mann dabei, sämmtlich in innigster Herzbrüderlichkeit befreundet, die wir in Heidelberg, Jena, Halle und Berlin geschlossen. Wir fielen einander mit Thränen um den Hals, andere stiegen auf die Kanonenläufe und kletterten darauf wie Kinder, mehrere kamen hinzu, wir tanzten wie von der Tarantel gestochen, man könnte das auch ein „Kanonenfieber“ nennen, so außer sich geräth man.
Leider wurden wir bald auf eine sehr überraschende Weise aus unserm Taumel wieder nüchtern gemacht. Nur einige hundert Schritte von den genommenen Kanonen waren zwei französische Bataillons in Colonne angerückt, und das vorderste gab Feuer auf uns. Mehrere der Unsern, die eben noch im Hochgefühl des Sieges mit uns gejubelt, lagen todt am Boden; unter ihnen der 16jährige Pischon aus Berlin, ein Liebling Jahn’s, der gewandteste Springer des Turnplatzes. v. Bärenhorst aus Dessau schien hier freiwillig den Tod zu suchen; er schritt auf das französische Bataillon los und hieß es, das Gewehr zu strecken. Dann mit dem Rufe: „Körner, ich folge Dir!“ stürzte er, von sieben Kugeln durchbohrt – so fanden wir ihn später – nieder.
Hier wurde auch der Lieutnant Lüttwitz schwer verwundet; es [600] war nicht sogleich möglich, dem Lieutnant Müller, der sich auf dem rechten Flügel befand, Nachricht davon zu geben. Die Oberjäger Bellermann, Fallenstein, v. Nostiz, Ackermann, Ribbeck und Förster erhielten indeß das Ganze in bester Ordnung; letzterer, obgleich verwundet, verließ das Gefecht nicht.
Bei Wiederkehr der Besinnung erkannten wir, daß hier für’s Erste nichts weiter zu thun sei, als unsere Geschütze in Sicherheit zu bringen. Das Bataillonsfeuer der Feinde war so hageldick, daß wir nicht im Stande waren, auch nur ein einziges von den Pferden der Bespannung, welche in der Nähe standen, ganzbeinig zu entführen. Einige Wagehälse krochen auf dem Bauche bis an den Pferdestall heran, allein die verwundeten Thiere waren so wild gemacht oder stürzten todt nieder, daß es aufgegeben werden mußte, hier Beutepferde zu machen. Sobald wir die Kanonen nur erst bis an den Abhang hatten, rollten sie von selbst die Anhöhe hinab, und dort fand sich bald die nöthige Mannschaft zur fernerweitigen Abführung. Der Oberjäger Ackermann übernahm es, die von den Lützow’schen Jägern genommene Haubitze gegen anmaßliche Eroberungsgelüste anderer Truppentheile zu schützen und bis zu dem commandirenden General zu geleiten.
Mir war plötzlich bei dem Jubeltanz um das Geschütz der Hülferuf unseres armen Trommelschlägers wieder in’s Gedächtniß gekommen, und nur dunkel schwebte mir vor, daß Renz mich mit den Worten festgehalten: „Herr Lieutnant, ich bin ein Mädchen.“ Ich stürzte zurück nach der Stelle, wo ich noch manchen andern Freund hatte fallen sehen. Um Renz fand ich einen unserer Aerzte beschäftigt; eine Kartätschenkugel hatte ihm den Schenkel zerschmettert; man hatte ihm den beklemmenden Waffenrock geöffnet; der schneeweiße Busen verrieth in pochenden Schlägen das jungfräuliche Heldenherz. Kein Laut der Klage kam über ihre Lippen, um die noch sterbend ein beseligendes Lächeln schwebte. Das heldenmüthige Mädchen war Eleonore Prohaska, 21 Jahre alt, aus Potsdam gebürtig. Unter unsäglichen Leiden, welche sie standhaft und mit Ergebung ertrug, entschlief Leonora am 5. October in Dannenberg. Ein Bericht von da vom 7. meldet: „Heute Morgens 9 Uhr wurde die Leiche der in der Schlacht an der Göhrde verwundeten Eleonore Prohaska zur Erde bestattet, welche als Jäger im Lützowschen Freicorps unerkannt ihren Arm aus reinem Patriotismus der heiligen Sache des Vaterlandes geweiht hatte. Gleich einer Jeanne d’Arc hat sie muthvoll gekämpft den Kampf für König und Vaterland. Trauernd folgten dem Sarge, der von ihren Waffenbrüdern getragen wurde, das hannöversche und russisch-deutsche Jägercorps, der Oberst Graf Kielmannsegge nebst sämmtlichen Officieren. Der königl. preußische Grand maitre de la Garderobe, Minister und außerordentliche Gesandte Graf de Groote hatte sich ebenfalls eingefunden. Eine dreimalige Gewehrsalve rief der vom Sturme des Krieges geknickten Lilie den letzten Gruß nach in das Grab. –
Als dem Könige der Bericht über das Gefecht an der Göhrde vorgelegt wurde, erklärte er: „es werde von ihm auf die Erhaltung des ruhmwürdigen Andenkens der für König und Vaterland in den Tod gegangenen Eleonore Prohaska Bedacht genommen werden.“
Von dem, was dafür geschehen, hat nichts verlautet; dafür ist es unserm Friedrich Rückert gelungen, dem Mädchen aus Potsdam ein unvergängliches Denkmal zu setzen in seinem allbekannten Preisgedicht auf die deutsche Heldin.
Wir schließen dieses Lebensbild mit einem Sonett, desen jetzt noch lebender Verfasser, Herr Dr. Friedrich Helms in Harburg, am 17., 18. und 20. September 1813 in Dannenberg am Schmerzenslager der tödtlich Verwundeten stand, „und“ – schreibt er – „was im Sonett ausgesprochen ist, war der Inhalt ihrer wenigen Worte zu mir.“ Es lautet:
Bleich lag sie, auf das Lager hingetragen,
Als sie durchbohrt ein feindliches Geschoß.
Sie litt so still, als meine Thräne floß;
Ich seufzte schwer, ihr Mund war ohne Klagen.
Das matte Auge zu mir aufgeschlagen,
Durch das ein weiches Lächeln sich ergoß:
„Was trauerst Du,“ sprach sie, „mein Kampfgenoß?
Uns blieb der Sieg, der Feind ist ja geschlagen!“
Zu trösten, forscht’ ich nach der Heimath Lande,
Nach Eltern und Geschwistern; ob die Bande
Der Liebe sie gelöst mit leichtem Muth.
Da strahlt ihr Blick, von Thränenglanz durchleuchtet:
„Mein Volk war meine Lieb!“ Ihr Auge leuchtet:
„Dem Vaterland gehört mein Herz und Blut.“
Wie und wo Körner’s „Leyer und Schwert“ von C. M. v. Weber componirt wurde.[2]
– – Hier (in Berlin im August 1814) trat Weber in eine gewaltig bewegte Sphäre von Anschauungen und Gefühle ein, die in dieser Form, Größe und Allgemeinheit durchaus neu für ihn waren. Die große Volkserhebung vom Jahre 1813 hatte ihre Früchte getragen, die Nation hatte durch eigenen Willen, eigene Opfer, eigene Kraft, den großen Unterdrücker besiegt und stand, wie ein Löwe, ihrer Stärke bewußt, auf dem Siegesfelde. In Prag hatte man den Sieg der Armeen Sr. Majestät des Kaisers Franz über die Sr. Majestät des Kaisers Napoleon gefeiert, in Berlin feierte man den Triumph des deutschen Volkes über seine Dränger, der Freiheit über das Joch, des Nationenrechts über die Eroberergewalt. Dort hatte man sich in Gala gratulirt und dann pflichtschuldigst illuminirt, hier loderte die Begeisterung über die große That in hellern Flammen als alle Illuminationen der Welt! Vom kleinen Straßenjungen an, der seit dem Mai 1814 in Berlin militärisch stramm ging, bis zu dem Generale des aus dem Volke hervorgegangenen Heeres füllte nur ein Gefühl Aller Herzen: Selbsterkämpfter Sieg, Kraft, Freiheit!
Alles was nicht dies zum Hintergrunde, zur Basis hatte, erschien von untergeordneter Bedeutung.
Leben, Kunst, Wissen, Alles mußte sich darauf beziehen, wenn es Gewicht in den Augen des Volkes erhalten, Aufmerksamkeit erwecken sollte.
Wer wollte noch Darstellungen der heiligen Geschichte, des Mittelalters, der süßen Perioden des Friedens sehen, wer noch Liebeslieder singen oder sanfte Weisen hören?
Wie hätten sich so zarte Töne in dem Getöse von Jubel und Kriegslärm lautbar machen sollen? Auf der Bühne wie im Leben hallte es von Waffenrasseln; Schlachtbilder wurden gemalt, und Kriegs-, Sieges- und Freiheitslieder componirt. An letzteren besonders konnte den ebenso musikalischen als patriotischen Berlinern kaum genug producirt werden.
Hoffmann’s „Lobgesang an den Retter Deutschlands“, Methfessel’s Kriegslieder mit Chören, B. A. Weber’s „Patriotischer Rundgesang“, Gottfried Weber’s „Morgenlied der Freien“, des am 8. Mai verstorbenen Himmel „Kriegslieder der Deutschen“ hatten unter der Masse der in dieser Richtung auftauchenden Werke ehrenvolle Aufmerksamkeit erregt, ja selbst des alten Opitz von Boberfeld „Vaterlandslied“ war hervorgesucht und von Max Eberwein componirt worden.
Vor Allem aber legte sich die musikalische Bearbeitung der patriotischen Lieder des jungen deutschen Sängers nahe, der durch seinen poetischen Tod bei Gadebusch auch auf diese an sich schon bedeutsamen Gesänge ein erklärendes Licht geworfen hatte.
Theodor Körner’s Gedichte wurden, von Krufft, Bezwarzowsky, Grund, Gottfried Weber und Anderen componirt, allenthalben gesungen, wo Männer, die Töne im Munde hatten, beisammen saßen.
Berlin hatte z. Z. als Weber daselbst (3. August 1814) ankam, den Charakter des Lagers eines siegreichen Heeres. Glänzende Truppenmassen kamen und gingen, von den Einwohnern begrüßt und entlassen, die Geselligkeit bewegte sich nur um die Kämpfer und feierte sie, und die Rückkunft des Königs wurde als der Glanzpunkt des Siegesfestes erwartet.
Es war ein wunderlicher, damals allenthalben in Deutschland [601] hervortretender Zug im Ideenkreise der siegreichen Völker, daß sich für sie die eigentliche Rückkehr der alten guten Zeit, ja selbst der Freiheit, mit der Rückkehr ihrer alten Fürsten identificirte, mochten dieselben vorher so unbeliebt gewesen sein, so wenig zur Wiedererlangung ihrer Throne geleistet haben, als sie wollten.
Wie viel mehr mußte dies in Preußen der Fall sein, wo man die guten Eigenschaften des gedemüthigten Königs wahrhaft schätzte, ihn liebte und, vor der Hand wenigstens, alle seine beim Durchfechten des großen Kampfes an den Tag gelegte Unschlüssigkeit und Schwäche ignorirte.
Auch hätte zu jener Zeit noch die alte Hyder Zwietracht kein Haar ihres Satansmutterkopfes zu zeigen wagen dürfen, die später so frech und niederträchtig das Haupt erhob, daß sie sogar die Helden in Feld und Cabinet, die Deutschlands Freiheit mit ihrem materiellen und moralischen Herzblute erkauft hatte, als mißliebige Personen von den Stufen des Thrones verdrängte, den sie gerettet hatten und der, von ihren Schultern getragen, einer der ersten Europa’s hätte werden können.
Gerade in den Tagen, wo Weber in Berlin ankam, waren russische Truppen daselbst einmarschirt, und in der Person der schönen, drall uniformirten glänzenden Garden des Kaiser Alexander, deren Officiere von den Berliner Damen fast alle für ebenso schön und liebenswürdig, wie ihr unwiderstehlicher Kaiser und Herr war, erklärt wurden, sollte die Anhänglichkeit an den mächtigen Bundesgenossen gefeiert werden, sobald der König zurückgekehrt sein würde, zu dessen hochfestlichem Empfange die ganze Bewohnerschaft der Residenz aus vollem Herzen bereits Vorbereitungen zu treffen und dieselbe zu schmücken begann.
Alle Berühmtheiten des Kriegs, der Diplomatie, der Kunst und Wissenschaft, die ganze Aristokratie der Geburt, des Geldes und der Stellung strömte zu den bevorstehenden Festen, um den König unter den Ersten begrüßen zu können, nach Berlin zurück. Die Stimmung war festlich, der Ton gehoben, eine heitere Menge wogte durch die Straßen und erfüllte Theater, Concertsäle und öffentliche Locale, die Herzen waren frohen und liebevollen Eindrücken geöffnet und zu enthusiastischen Kundgebungen geneigt.
Es konnte daher kaum einen Moment geben, wo Weber, um bedeutsame Anregungen zu erhalten und durch Liebe und Anerkennung gehoben zu werden, glücklicher nach Berlin hätte kommen können. Gleich den ersten Abend nach seiner Ankunft empfing er, den sein unbeachtetes Wandeln in Prag fast glauben gemacht hatte, er sei von der Welt vergessen, überraschende Beweise von dem guten Andenken, das man ihm in den geistig am höchsten stehenden Kreisen Berlins bewahrte. Er ging, um seine musikalischen Freunde versammelt zu finden, nach der Singakademie, wo eine glänzende Versammlung, 300 Mitglieder und eben so viel Zuhörer, unter denen Blücher, Prinz Georg und andere Sterne der Zeit, beisammen waren, und trat in einer Pause hinein. Da sah ihn Lichtenstein, eilte auf ihn zu, umarmte ihn, dann Wollank, dann Rungenhagen, dann die Seebolds – Einer rief es dem Andern zu, daß er da sei, alle Freunde verließen ihre Plätze, man umdrängte ihn händeschüttelnd, Fremde ließen sich ihm bekannt machen, und ehe er sich’s versah, mußte er bemerken, daß er der Mittelpunkt einer frohen Menge sei, die der, welche Blücher selbst umstand, an Zahl kaum etwas nachgab, und daß der alte Zelter grimmige Gesichter schnitt. – Am andern Morgen setzte sich der erhebende Eindruck fort, als er zum Bankier Beer (Meyerbeer’s Vater) eintrat, der eben die Waisenkinder speiste und mit einer Gesellschaft von 80 Notabilitäten der Kunst bei Tafel saß. Die Mama Beer flog auf ihn zu, umarmte ihn mit dem Ausrufe: „Unser Weber!“ vor allen Kindern und Gästen und rief, als Letztere in Beifall ausbrachen: „Nicht wahr, er darf nicht wieder fort?“ Die beiden Romberg’s und Rhode, die er hier traf, begrüßten ihn auf’s Herzlichste und boten ihm bereitwilligst ihre Dienste bei seinem Concerte. War hier überall sein Empfang auszeichnend, so war er rührend, liebevoll im Kreise seiner „Baschkiren“.[3] Gern, Jordans, Kielmann, Lichtenstein, Wollank, Gubitz fand er wieder und nur das Grab eines einzigen, seines theuren Flemming, hatte er zu besuchen.
Er schreibt über seinen Empfang in Berlin an seine Braut Caroline Brandt:
„Ich kann nicht leugnen, daß diese enthusiastische, beinahe übertriebene Verehrung meiner Arbeiten, und diese herzliche Aufnahme von allen Seiten mich recht aufgeregt und meinem Geiste einen neuen Anstoß und Schwung gegeben hat, und ich hoffe recht viel zu leisten und neue Lust und Kraft zur Arbeit mitzunehmen. Der Gedanke ist mir innig wohlthuend, wenn ich so manchmal hoffen kann, daß meine Lina recht stolz auf ihren Carl sein könnte.“
Dieser Schöpferdrang erhielt in Berlin selbst, trotz des Anliegens seiner Freunde, gleich am Platze eine größere, auf die Zeit Bezug habende Arbeit zu liefern und so mit einem Schlage das ganze Terrain zu erobern, noch keine bestimmte Form, wohl aber eine bestimmte Richtung durch die Kraft der neuen Ideen und Empfindungen, welche die sich vor Weber entrollende Welt in ihm erregte. Zum ersten Male fühlte der bis dahin nur im Königreich des Schönen heimische Künstler sich politisch als Deutscher, zum ersten Male erwärmten die Begriffe von Freiheit, Vaterland, Heldentod, Bürgertugend, Tyrannenhaß seine Seele, und gewanen bald eine so intensive Kraft in ihm, daß sie auf eine Zeit lang alle anderen künstlerischen Motive in den Hintergrund drängten und ihn mit allem Feuer den Stoff suchen ließen, in dessen künstlerischer Gestaltung er seine Wärme für diese Ideen, die sehr bald die Gestalt von glühendem Enthusiasmus annahm, austönen lassen könnte.
Diesem Enthusiasmus, der in seiner directen Beziehung zu den positiven Interessen der Außenwelt zu viel Heterogenes von Weber’s ganzem Kunstdenken hatte, um dauernd dasselbe zu beherrschen, verdanken die unsterblichen Freiheits-Sturm- und Dranglieder ihre Existenz, die einige Monate später entstanden, auf dem Boden des preußischen Enthusiasmus von 1814 gewachsen sind und bald, alle politischen Lieder seiner Vorgänger verdunkelnd, die Herzen der deutschen Jugend entflammten. Sie haben unzweifelhaft nicht wenig dazu beigetragen, die Liebe zur Freiheit und das Gefühl für Völker- und Manneswürde im deutschen Volke heimisch zu machen. Diese Lieder waren es auch, die Weber’s Ruf nicht allein in Ruhm umwandelten, sondern ihm auch eine ehrenvolle Stelle unter den Männern erworben haben, die in dichter, Schulter an Schulter geschlossener Phalanx, von Ulrich von Hutten bis Schlosser und Uhland, geistige und materielle Sclaverei bekämpften und das deutsche Volk sich seines Werthes bewußt machten.
Diese Lieder, die Producte einer fast momentanen Stimmung und Richtung, reihten ihn, den treuen Diener und guten ruhigen Bürger, dem sogar fast vielleicht zu viel Respect vor Fürstenrang und hoher Stellung beiwohnte, aber auch, wunderlicher Weise, für immer unter die den Fürsten nicht sympathischen Individualitäten und, in den Augen der Rückschrittspartei, in die Glieder der Volksführer und Stimmungslenker ein, mit denen er eigentlich niemals Beziehungen pflog, obgleich er aus Jugend und Volk jederzeit unwillkürlich eine fast magnetische Anziehungskraft geübt hat.
Der König von Preußen kehrte in seiner verdrießlichen Weise, alle liebevollen Absichten seiner Residenzbürger kreuzend, mehrere Tage vor der bestimmten Zeit, am 5. August, früh in aller Stille nach Berlin zurück, nachdem ihm schon York, Bülow, Tauenzien, Hardenberg und andere Herrliche vorangeeilt waren, und brachte dadurch alle Festordner in die empfindlichste Verlegenheit.
Trotz der Webern gewordenen trefflichen Aufnahme stellten sich doch der Aufführung der „Sylvana“, die er beabsichtigte, sehr wesentliche Hindernisse entgegen, zu deren Hinwegräumung sich Anselm Weber, dem, wie Carl Maria sich ausdrückt, „beim Gedanken an seine (Carl Maria’s) Anstellung in Berlin schon der Angstschweiß auf der Stirne stand,“ nicht gerade sehr beeifert zeigte. Iffland lag im Sterben, der neue Intendant war noch nicht ernannt, eine Commission verwaltete interimistisch die Bühne, es geschah daher in den königlichen Theatern gerade nur so viel, daß sie nicht geschlossen zu werden brauchten, und die Aufführungen gingen weniger exact und nachlässiger denn jemals. Weber schreibt darüber: „Die hiesigen Vorstellungen wollen mir gar nicht recht schmecken. Der dritte Act von „Fanchon“ ging sehr schlecht, und ich wollte nicht rathen, daß bei uns solche Lücken entständen.“ Dazu kamen Festspiele und Freitheater für die fremden Truppen, so daß an ein festes Arrangement für die fast ganz neu einzustudirende Oper nicht zu denken war.
Indeß ließ Weber den Jubelstrom beim wirklichen öffentlichen Einzuge des Königs am 7. August, die Festvorstellungen in den beiden Theatern, die im Opernhause in einem Prologe von Kotzebue und einem militärischen Ballete, „die glückliche Rückkehr“ betitelt, im Nationaltheater in Himmel’s „Fanchon“ bestanden (!), an sich [602] vorüberbrausen. Bei der Illumination im dicken Menschengedränge hingeschoben, das von einem daher kommenden Wagen eben peinlich vermehrt wurde, so daß sich hier und da Angstrufe hören ließen, sieht er Ludwig Tieck’s wundervollen Kopf sich besorgt umschauend aus dem Wagen neigen, ruft ihm zu, reicht ihm die Hand, wird jubelnd halb in den Wagen gehoben, halb springt er hinein und sieht sich dem freudig bewegten, berühmten Dichter gegenüber, der ausruft: „Jetzt hat die Illumination erst Bedeutung für mich, und ich weiß, warum ich in Berlin bin!“
Mehr als bei irgend einem anderen der hervorragenden Componisten unserer Zeit war Weber’s Schaffen ein Product der Wechselwirkung zwischen seinem Genius und dem Publicum, das ihm lauschte.
Die Beschäftigung mit „Sylvana“ leitete wieder intensiver auf dramatische Composition hin, der Verkehr mit Tieck und dem ebenfalls angekommenen Brentano legte die Gelegenheit zu Erlangung eines wahrhaft poetischen, künstlerisch gestalteten Operntextes nahe, und auch Gubitz las Weber eine Anzahl Entwürfe zu Opern vor. Clemens Brentano besonders zeigte sich geschäftig im Aufstöbern uralter, echt romantischer Sujets, und so kam man denn eines Abende, als Weber, ermüdet von den Vorbereitungen zu seinem Concerte bei Lichtenstein, auf dem Sopha saß, wo ihn Brentano aufsuchte, auf die Fabel vom „Tannhäuser“, die, wie die meisten mittelalterlichen Sagen erst durch spätere Bestrebungen in’s größere Publicum gebracht, damals den vollen Zauber der Neuheit hatte. Brentano erzählte Weber den Stoff, und dieser erkannte ihn sofort voll Feuer als den musikalischsten, den es überhaupt geben könne, da seine tiefsinnigen Motive sämmtlich solche seien, zu deren Verlebendigung die Musik nothwendig sich erfordere und befähigt sei. Der Kampf der Gottesliebe, des Glaubens, der Sinnen- und der reinen irdischen Liebe, fast die einzigen Empfindungen, welche die Musik ganz und voll darzulegen vermag, waren hier das innere Motiv des Ganzen, und welche Pracht und Fülle des Aeußeren entfaltete sich bei dem Gedanken an den Wartburgkrieg, die Sirenenverlockung der Venus und ihrer Welt, den pontificalen Pomp der Scenen in Rom – Musik! rief hier jede Stelle und jeder Vers, Musik!
Brentano sollte sofort, auf Weber’s Bitte, der von dem Stoffe ganz erfüllt war, an die Textbearbeitung gehen, und so war es nahe daran, daß die Fabel, die jetzt einem der größten Kunstwerke der Neuzeit zum Grunde liegt, schon 30 Jahre früher durch Weber ihre musikalische Behandlung gefunden hätte. Anders, melodiöser, reizender, schöner, als sein berühmter Nachfolger auf dem Dirigentenstuhle zu Dresden, würde er ihn aufgefaßt haben, tiefer, gewaltiger, größer – kaum. Obgleich daher die Behandlung eines Stoffs von der Tiefe und poetischen Bedeutung, wie der des „Tannhäuser“, unzweifelhaft die romantische Kraft von Weber’s Genius zu einer noch weit bedeutungsvolleren Entwickelung geleitet haben müßte, als die Trivialitäten des Textes der „Euryanthe“, so wäre doch dann wahrscheinlich der „Freischütz“ und vieles Andere ungeschrieben geblieben, und somit war es gut, wie es der Geist der Kunst fügte, daß die Zeitstimmung so Brentano wie Weber von der Beschäftigung mit der Sache ablenkte, obwohl, wie es scheint, Ersterer ein gut Theil des Textes fertig gemacht hatte.
Weber’s Concert, oftmals verschoben, kam endlich am 28. Aug. zu Stande. Weber hatte diesmal Nichts versäumt, was nach damaliger Sitte zum Erzielen eines guten Concertes erforderlich war, und unzählige Visiten vom Könige und sämmtlichen Prinzen an bis zu den Notabilitäten zweiten Ranges der musikalischen Gesellschaft Berlins herab gemacht, und Stöße von Briefen geschrieben. Der Erfolg des Concertes, der Weber’s Namen trotz der Abgelenktheit der Interessen wieder in Aller Mund brachte, legte den Wunsch nahe, ihn für Berlin zu gewinnen, wo mit dem unausbleiblich nahe bevorstehenden Tode Iffland’s die Oper gründlich reformirt werden sollte und durch Himmel’s Tod eine Vacanz am Dirigentenpult entstanden war. Hardenberg selbst sprach in einer Gesellschaft bei Staatsrath von Jordan mit ihm darüber, stellte aber natürlich Alles in’s Ungewisse, so lange die bevorstehende traurige Katastrophe nicht eingetreten sei.
Auch Bernhard Romberg näherte man sich in gleicher Weise. Das Gerücht hiervon verbreitete sich vielleicht von Weber’s Freunden, den Jordans in Pankow, Lichtenstein, Kielmann, Gern u. s. w. angefacht, sehr rasch und hatte wenigstens die gute Wirkung, daß man ihm von Seiten der unteren Theaterleitung in Betreff der „Sylvana“ geschmeidiger entgegen kam.
Die Proben zu dieser Oper begannen trotz alledem erst am 25. August und die Generalprobe war am 3. September, mitten schon unter den Geschäften, Besuchen und den Unruhen des Abschieds von Berlin (denn Weber beabsichtigte unmittelbar nach der Aufführung, die hier den 5. angesetzt war, die weitere Ausführung seines Reiseplanes fortzustellen, dessen nächster Zielpunkt durch die Einladung des Herzogs Emil Leopold August von Gotha fixirt war), die noch durch eine Einladung des Kronprinzen vermehrt wurden, der, bei einem heitern kleinen Diner, Webern sehr mit seiner Liebenswürdigkeit, Derbheit, seinem geistreichen Witze und seinen klaren Kunstansichten bezauberte, so daß er später öfter äußerte, welche hohe Befriedigung es gewähren müßte, unter den Auspicien eines solchen Fürsten eine Kunstanstalt zu leiten, während die Geschmacksrichtung des damals regierenden Königs ihm wahrhaften Grauen einflößte, welche Ballet und Pantomimen zu den gehätschelten Lieblingskindern der Berliner großen Kunstverbildungsanstalt machte, nachdem Iffland’s wachsames Auge und derb redender Mund sich für immer geschlossen und Graf Brühl’s guter Wille der Graf Redern’schen Unfähigkeit gewichen war.
Sylvana ging am 5. bei brechend vollem Hause in Scene. scheint aber das Publicum kühl gelassen zu haben, da weder die Journale, noch Weber selbst in den Briefen an seine Braut und an seine Freunde irgend erheblichen Beifalls Erwähnung thun. Diese Theilnahmlosigkeit des Publicums erklärt sich sehr natürlich aus der Zeitströmung der Geister, die mit ihrem großen, kräftigen, sonoren Wellenschlage weitab von der sentimentalen Hyperromantik des Süjets der „Sylvana“ lenkte, das mit allem seinem Apparat von pappenen Rüstungen, gemachten Empfindungen, unnatürlicher Situation in dem von Weltereignissen bewegten, kräftig fühlenden Volke nicht allein keine sympathischen Empfindungen wecken, sondern fad und matt erscheinen und mit seinen Ansprüchen auf Erweckung von Interesse in Gemüthern, welche das gewaltigste Drama eben an sich hatten vorüberziehen sehen, sogar vielleicht abweisende Tendenzen oder mitleidiges Lächeln hervorrufen mußte. Im schrecklichsten Regen stieg Weber nach der Vorstellung der Sylvana gleich Nachts noch in den Wagen, und reiste, nach kurzem geschäftlichen Aufenthalte in Leipzig, nach Weimar durch, wo er am 9. Nachmittags 4 Uhr eintraf.
Es ist unzweifelhaft, daß in der Einsamkeit des Wagens, auf den der Regen monoton und unablässig herabrieselte, auf dieser Reise die bedeutsamen und neuen Regungen, welche die Zeit in Berlin in Weber erweckt hatte, ihre künstlerische Form gesucht und gefunden haben. Es ist bedeutungsvoll in Weber’s Leben, daß auf einsamen Reisen, nach an- und aufregenden Zeiten, in fast allen Hauptmomenten seines Kunststrebens die Läuterung seiner Ideen, die Erkenntniß seiner weittragendsten Irrthümer, die Feststellung seiner allgemeinsten Richtungen erfolgte, die, einmal erkannt, er dann mit großer Festigkeit inne hielt.
In Weimar erfuhr er, daß die Großfürstin den 11. nach Wien abreise. Kaum erhielt diese aber Notiz, daß er in Weimar sei, als sie zu ihm schickte, ihn holen ließ und schon in Reisetoilette in der liebenswürdigsten Weise eine Stunde mit ihm verplauderte und ihn für nächstes Jahr einlud.
Der Drang nach einigen ruhigen Arbeitstagen, die er in Gotha zu finden hoffte, und in denen ein Theil des fertig aufgespeicherten Stoffs zu herrlichen Liedern, der ihm Kopf und Brust mit Geburtswehen bedrängte, zu Papier kommen sollte, ließ ihn ohne Aufenthalt am 11. Septbr. nach Gotha fahren. Hier traf er den Herzog nicht an, der eine Zeit lang auf seinem alten, kaum einigermaßen wohnlichen Schlosse Tonna (oder Gräfentonna) hauste, um kürzlich dort entdeckte Schwefelquellen durch eigenen Gebrauch des Bades in Credit zu bringen, und mußte ihn daher daselbst aufsuchen.
Den 12. Septbr. fuhr er nach dem alten Schlosse hinüber, das im Walde an der rauschenden Tonna gelegen, von einer stillen Fasanerie umgeben, mit seinen Giebeln und spitzen Dächern und verschiedenen Baustylen eine ereignisreiche Existenz von der stillen Einwohnerschaft der alten Grafen von Gleichen an, von Noth und Drangsal durch Tilly und Banner, bis zu den phantasiereichen Selbstgesprächen, Concerten und kleinen Gesellschaften, die Herzog Emil August hier hielt, erzählt.
Wir lassen Weber seinen Aufenthalt in Tonna selbst in einem vom 14. und 15. Septbr. datirten Briefe an Caroline erzählen.
[603] “Das uralte Schloß, in dem ich hause und in dessen schauerlichen Gemächern beim Klappern alter Fenster und Thüren ich diese Zeilen schreibe – umfaßt mich recht wohlthätig mit seiner Stille und giebt mir im geistvollen Umgange des Herzogs eine gewisse gemächliche Ruhe, in der ich recht viel zu arbeiten und zu leisten im Stande wäre, wenn ich lange genug da hausen könnte, und nicht gewisse anderweitige Gefühle mich hinweg landeinwärts zögen und sich gar lieblich zudringlich in alles Denken und Trachten einmischten. Doch ich schwatze da in’s Zeug hinein, und Du weißt noch nicht einmal, wo das alte, gute, ehrliche Tonna steckt – etc. Ich kutschirte heraus mit der gewissen ängstlichen Empfindung, die ich immer habe, wenn ich Jemand lange nicht gesehen habe und vielleicht kälter, als ich erwarten zu können berechtigt zu sein glaubte, empfangen würde. Dies war nun aber hier ungegründete Furcht, denn der Herzog[4] empfing mich so herzlich als man nur empfangen werden kann. Nach Tische fuhr ich gleich mit ihm nach Langensalza, wo ein Naturaliencabinet besehen und der Thee bei einem Herrn von Seebach eingenommen wurde.
Den 13. componirte ich zwei neue Lieder, ordnete meine Papiere und brachte von 11 Uhr Morgens den ganzen Tag bis 11 Uhr Nachts beim Herzoge zu, wo natürlich auch Gurgel und Finger herhalten mußten etc. – –“
Mit den beiden hier so einfach erwähnten Liedern war die Blüthe aufgegangen, die der Sonnenschein des großen National-Enthusiasmus in Berlin aus Weber’s Seele herangelockt hatte, die neue Bahn eingeschlagen, die ihn geraden Weges auf den Höhepunkt eines herrlichen Zweiges seines Talentes, an die Pforten des Ruhmes und der echtesten wohlbegründetsten Popularität führen sollte; es waren keine anderen, als „Lützow’s wilde Jagd“ und das „Schwertlied“, die, wie der tönende Athemzug der Begeisterung selbst, aus dem dunkeln, waldesgrünen Arbeitszimmerchen im alten Schlosse Tonna in die ideen- und thatenwogende Welt hinausbrausen sollten!
Er fährt in seinem Briefe an Caroline fort:
„Von meinem baldigen Wegreisen will der Herzog nichts wissen, und kann ich daher noch gar nichts Bestimmtes darüber sagen. Die Güte und Liebe des Herzogs ist wirklich außerordentlich, und so anziehend und brillant sein Witz ist, so oft habe ich auch Gelegenheit sein gutes Herz zu bewundern, das nur so oft verkannt wird, da er allerdings oft etwas scharf mit seinem Witze die Thorheiten der Andern geißelt etc. – Wenigen Menschen würde im Ganzen diese Einsamkeit behagen, in der sich der Herzog so wohl gefällt, wo er, vom lästigen Getümmel des Hofes entfernt, nur die Menschen, die er sehen will, um sich hat. Ueberhaupt ist er mit seiner unendlich regen Phantasie überall zufrieden und zu Hause. Am liebsten sitzt er so neben mir am Clavier und dictirt mir so gleichsam die Gefühle und Bilder, die ich in Tönen ausdrücken soll, so daß er ganze Geschichten erfindet und erzählt, während ich sie zugleich in Musik bringe und durch Töne weiter erzähle.
So vergeht Tag auf Tag, und ich kann darauf rechnen, jeden Abend durch eine neue Idee und Ansicht bereichert in meine Stube zu kommen.“
Dieser glücklichen Muße, diesem fruchtbaren Zusammenleben entriß Weber ein Sturmbrief seines Theaterdirectors Liebich, dem er nicht widerstehen konnte, so daß er sich sogar entschloß, einen Theil des ihm so nöthigen Urlaubes und das fast schon arrangirte Concert in Leipzig, von dem er sich durch Vorführung seiner neuen Lieder, deren zündende Kraft ihm nicht verborgen war, viel Ehre versprach, aufzugeben und sich mit einem kurzen Aufenthalte in Altenburg zu begnügen, wo er am 21. eintraf und am 23. Concert gab. Hier wurde das prachtvolle dritte Körner’sche Lied von „Leyer und Schwert“ „Männer und Buben“ niedergeschrieben. Nach Prag zurückgekehrt, wo er am 25. anlangte, ließ er diesem am 19. Oct. das „Trinklied vor der Schlacht“, am 20. Oct. das „Reiterlied“, am 21. Oct. das „Gebet vor der Schlacht“, am 19. Nov. das „Gebet während der Schlacht“, am 20. Nov. den „Abschied vom Leben“ und gleich darauf den „Trost“ und „Mein Vaterland“ folgen.
Er schreibt darüber an Friedrich Rochlitz am 14. März 1815: – – „Leyer und Schwert“ sind meine liebsten Kinder. Mögen sie Ihnen auch lieb werden! Die 4stimmigen habe ich hier (in Prag) mit 16 Stimmen gegeben, wo sie großen Enthusiasmus erweckten. Die vier mit Clavierbegleitung sprachen sich selbst aus, nur wünschte ich, daß Sie in dem „Gebet während der Schlacht“ nicht etwa ein Schlachtengemälde sehen sollten, nein, das Malen liebe ich nicht, aber die wogende Empfindung in der Seele des Betenden während der Schlacht, indem er in einzelnen betenden, andächtigen langen Accenten zu Gott mit gepreßter Seele ruft – die wollte ich schildern – –.“
Während am Montag (3. August) die durch große Massen in ganz vorzüglicher Weise ausgeführten Freiübungen der Turner bei dem Publicum den lautesten Beifall hervorriefen, war der darauffolgende Tag (4. August) für das eigentliche Wettturnen bestimmt. Hierzu hatte man nicht solche Aufgaben gewählt, deren Erfolg von langen Exercitien abhängig gemacht wird, sondern es waren die einfachsten, aber gleichzeitig auch wieder für Kraft und Gewandtheit wichtigsten Uebungen, welche überhaupt eine möglichst allgemeine Betheiligung zuließen.
Schon früher haben wir die Einzelnheiten und die Erfolge jenes Wettkampfes im Laufen, Hoch- und Weitsprung, sowie im Steinstoßen eingehender beschrieben. Unser Bild zeigt den Augenblick der Verkündigung der Sieger und die Vertheilung der Preise an dieselben. Es war in der That ein unvergleichlich erhebender Act, als der Festpräsident Th. Georgii aus Eßlingen nach einer kräftigen Eingangsrede die Sieger der unabsehbaren, aufmerksam lauschenden Menge nannte und vorführte. Nicht waren es glänzende Preise von edlen Metallen, welche hier vertheilt wurden, denn davon ist man, und zwar mit vollem Rechte, bei den großen Turnfesten ganz abgekommen, aber die Kränze, welche der Festpräsident den kräftigen Männern und Jünglingen auf das Haupt setzte, waren diesen wohl ebenso werth, als wenn es goldene Geschmeide gewesen wären. Die Ehre des Sieges ist ja unbestritten der höchste und unvergängliche Preis. Den Leitern unserer Turnfeste schweben sicher die Einfachheit und der unbestreitbare Nutzen der olympischen Spiele vor, auf denen ja auch meist nur Kränze, aus den Zweigen des Oelbaumes gewunden, vertheilt wurden.
Die dem Untergange schon nahe Sonne beleuchtete mit glühenden Farben die markigen Gestalten der Sieger auf dem am Steigerhause angebrachten hohen Vorbau; war es doch gleichsam, als wollte das freundliche Gestirn des Tages auch zur Verherrlichung der Auserwählten beitragen. Der Festpräsident Georgii überlieferte hierauf noch die aus dem Geburtsorte Jahn’s als Gabe gesandte junge Eiche, so wie den mächtigen Strauß, von Alpenrosen und Edelweiß gebunden, den die braven Söhne der Alpen als Zeichen der Liebe und der steten Hülfsbereitschaft den anwesenden Turnern aus Schleswig-Holstein gewidmet hatten. Bis hinab zu den äußersten Grenzen Deutschlands fühlt man die Schmach, welche dem edlen nordischen Bruderstamme zugefügt wird und wie gern würde man zu seiner Befreiung Blut und Leben statt der Blumen hingeben!
Als die Sieger der Wettkämpfe jetzt den Balcon verließen und wieder herabstiegen, wurden sie von einem nicht endenwollenden Jubel empfangen. Von allen Seiten umringte man sie, kräftige Turngenossen hoben sie auf ihre Schultern, und im Triumphzuge wurden sie so umhergetragen. Alles drängte sich herbei, um die Gefeierten in der Nähe sehen zu können. Man drückte ihnen die Hände und jauchzte ihnen Beifall zu. Hauptsächlich schaarten sich die Landsleute der Betreffenden um sie, die sie ja jetzt mit doppeltem Stolze die Ihrigen nennen konnten. Aber nicht allein, daß [604] sie die Helden des Tages wurden, ihr Ruhm ist in der heimathlichen und auswärtigen Turngenossenschaft für immer begründet, und das Prädicat „Sieger beim großen Turnfest zu Leipzig“ wird ihnen ein mächtiger Freibrief für alle turnerischen Kreise sein.
Jener Alpenblumenstrauß ist seiner schönen Bestimmung gemäß mit hinaufgezogen gen Norden. Der junge Eichbaum aus Jahn’s Geburtsorte Lanz aber hat seinen Platz vor der neuen Turnhalle in Leipzig gefunden, wo er hoffentlich noch künftigen Geschlechtern ein immer frisches Erinnerungszeichen an das herrliche Fest sein wird.
Wie am Schlusse von Nr. 1 dieses Artikels bemerkt ist, kam W. Bauer am 26. Mai 1856, früh 3 Uhr, auf seinem Apparat stehend, von dem nur der schmale Kopf und der breite Rücken, beide schwarz, sich über die Oberfläche erhoben, vor Kronstadt an.
Wer verargt der Schildwache am Thore des Kriegshafens den Schrecken, der sie packte, als plötzlich, wie ein Seegespenst im Morgengrauen aus der Tiefe aufgetaucht, auf den Wogen ihr eine Gestalt näher und näher rückt – und sie endlich sogar mit russischem Commandowort anruft? Hätte der Mann Fassung genug gehabt, auf den fürchterlichen Meergeist zu schießen, wie viel Aerger und Sorge hätte er vielleicht allen Denen erspart, welchen die Störung der ewigen Ruhe des „Ludwig“ im Bodensee so ein Gräuel gewesen ist! – Anstatt zu schießen, lief der Soldat schreiend zum Wachthaus, und ehe man dort über das grause Wunder einig geworden, rannte die Wucht des Seeteufels die Barrière durch, und er hielt auf diese neue Manier seinen Einzug in des Kaisers Hafen.
Nach kurzer Rast begannen die Exercitien mit Schiff und Mannschaft, welche letztere außer Bauer aus einem Officier, 10 Matrosen und einem Schlosser bestand, denen später noch, als beständiger Begleiter Bauer’s im Apparat, ein Lieutenant Fedorowitsch beigegeben wurde.
Bauer nahm zunächst 1800 Pud (1 Pud = 40 Pfd.) Eisenballast auf, wozu noch 540 Pud gußeiserner Auswurfballast in eigenen Hülsen kam. Während dieser Vorarbeiten fuhr der Großfürst Constantin heran, um den ersten Versuchen der Tauchfähigkeit des Boots beizuwohnen. Nachdem das Einlassen von 45,000 Pfund Wasser in die Cylinder begonnen hatte, schloß sich die Luke über der in dem eisernen Ungeheuer eingeschlossenen Mannschaft. Der Apparat hatte jetzt, durch Ballast und Cylinderfüllung, die specifische Schwere des Volumens Wasser, das er verdrängen mußte, um sinkfähig zu werden, erreicht; nur die Deckfenster standen noch über dem Wasser. Alle diese Vorrichtungen waren der Mannschaft neu. Bangen und Neugierde stritt in allen Gesichtern. Nachdem die Cylinder gefüllt sind, geht Bauer zum Directionscylinder und läßt nur 5 Pfund Wasser in ihn eindringen. Da verschwindet das Sonnenlicht von den Fenstern der Decke, die Wogen spielen über sie hin, – völlig gleichmäßig sinkt das Schiff – schreckensstarr, mit offenem Mund, stehen die Matrosen, die Blicke an die Fenster geheftet. Alles schweigt. Da preßt Bauer, mittels der Forcepumpe, das doppelte Quantum Wasser wieder aus, und in fast gleichem Tempo steigt das Schiff zum Niveau, – das Wasser weicht von den Fenstern, – das Licht des Tages dringt wieder in den Raum – und „Staba Bochu!“ – Gott sei Dank! – rufen die aus der Todesangst aufathmenden Russen und bekreuzen sich inbrünstiglich. Es mußte Bauer vor Allem daran liegen, die armen Menschen, die zu diesen Uebungen commandirt waren und denen er nicht das beruhigende und ermuthigende Verständniß der Sachen des Princips, des ewigen Naturgesetzes, nach welchem das Schiff sank und wieder stieg, beibringen konnte, durch die Erfahrung von der Unschädlichkeit dieses Untersinkens bei der Sicherheit des Wiederaufsteigens zu beruhigen und mit Vertrauen zu seiner Führung und mit Stolz auf ihr Schiff zu erfüllen. Und dies gelang ihm schon an diesem ersten Tage. Noch fünf oder sechs Male erbleichten die Gesichter beim Sinken und preßte die gehobene Angst des „Staba Bochu!“ aus, dann war das Submarinefieber für sie vorbei und an die Stelle des Stoßgebets traten gemüthliche, oft recht sinnige und witzige Bemerkungen.
In den folgenden Tagen konnte Bauer mit den Experimenten des Sinkens und Steigens schon weiter gehen und damit nach und nach die der Inclination, des Vor- und Rückwärtsfahrens, des Steuerns, Wendens etc. verbinden. Bis zum 12. Juni waren alle Principbewegungen erprobt und bis auf die Fortbewegungsweise durch Menschenkraft mittelst der Propellerschraube (für die Bauer jetzt eine andere Kraft einsetzt), dem Zweck des Tauchschiffs vollkommen entsprechend gefunden. Daher beging W. Bauer an diesem Tage die stille Feier seiner Erfindung, indem er in 17 Fuß Tiefe den Apparat beharren ließ und hier ein Danksagungsschreiben an den Großfürsten Constantin und an den König Max von Baiern und einige Zeilen an seine Eltern schrieb. Das Schreiben an den Großfürsten unterzeichnete Lieutenant Fedorowitsch mit, für das andere verweigerte er dies, weil ihm der gemessenste Befehl ertheilt sei, alle Experimente mit dem Tauchapparat als strengstes Staatsgeheimniß zu betrachten. Die Schreiben gelangten jedoch sämmtlich an ihre Adresse.
An den nächstfolgenden Fahrten betheiligten sich, auf Bauer’s besondere Bitte und des Großfürsten und des Seeministers Baron v. Wrangel Anordnung, die Akademiker Lenz und Fritsch, um naturwissenschaftliche Beobachtungen in der Meerestiefe anzustellen. Als erstes Resultat dieser Forschungen fand Lenz, und zwar in drei verschiedenen Höhenstellungen, daß der Compaß unter dem Wasser genau so wie über dem Wasser wirke.
Sehr interessante Experimente stellte Bauer über die Beschaffenheit der eingeschlossenen Luft und die Möglichkeit, in ihr zu existiren, in verschiedenen Zeiträumen des Aufenthalts im Schiffe an. Am 2. Juli (1856) nahm er 12 Fläschchen und 12 Pfund Quecksilber in den Apparat und stieg mit dem Lieutnant Fedorowitsch, einem Schlosser und 8 Matrosen Mittags 12 Uhr 30 Minuten in die Tiefe. Jeder Luftzutritt war abgeschnitten, und der Apparat wurde in allen möglichen Bewegungen unterm Niveau und abwechselnd wieder 30 bis 40 Minuten lang und in Tiefen von 12, 15, 17 und 19 Fuß Kiel an der Stelle beharrend erhalten, um die Mannschaft zur äußersten Luftcomsumtion zu veranlassen. Die Temperatur, die beim Einsteigen im Freien 15° R., im Apparat 20° R. war, sank hier nach 30 Minuten bis auf 8° R. und schwankte während des ganzen Experiments zwischen 8 und 10° R. Die Luft wurde von Stunde zu Stunde in ein Fläschchen eingeschlossen und dieses mit genauer Angabe über den Thermometer und Hydrometer, die Flammenlänge brennender Wachs-, Talg- und Stearinkerzen und über menschliche Respiration versehen. Schon nach zwei Stunden zeigte das Talglicht nur noch die halbe Flammenlänge, und nach 4 Stunden 10 Minuten erlosch es. Der Docht desselben konnte von keiner Flamme mehr in Brand gebracht werden; sobald man ihn aber mit Wachs oder Stearin bestrich, brannte er, bis diese Theilchen verzehrt waren, ein Beweis, daß Wachs und Stearin den Sauerstoff noch an sich zieht, wo es der Talg nicht mehr vermag. Das Wachslicht erlosch nach 5 Stunden 5 Minuten, das Stearinlicht nach 6 Stunden 25 Minuten; letzteres hatte gegen sein Ende nur noch eine Beleuchtungskraft von 9 Zoll Durchmesser und zeigte am Flämmchen keine weiße, sondern eine hochrote Spitze. Die im Apparate durch Respiration erzeugte Feuchtigkeit war so groß, daß auf allen Gegenständen große Schweißtropfen sich bildeten und der Docht mit dem Erlöschen der Flamme nicht den mindesten glühenden Rest zeigte. (Hauff, S. 27.)
Da nach dieser Zeit das Athmen in der bereits so sauerstoffarmen Luft noch keine Beschwerden verursachte, die Matrosen sogar ihr vollkommenes Wohlbefinden versicherten, so ließ Bauer aus den großen Cylindern die 45,000 Pfd. Wasser auspressen. Dadurch stieg zwar der Apparat an das Niveau, aber die Luft ward zugleich um so viel verdünnt, als das ausgepreßte Wasser Volumen eingenommen hatte. Ohne den Zutritt frischer Luft zu gestatten, vertheilte er Cigarren an die Mannschaft, die mittelst Feuerschwammes
[605][606] entzündet werden mußten, weil die Zündhölzchen nicht mehr brannten, sondern der Phosphor nur flammenlos sprudelte. Dagegen bot der Schwamm die interessante Erscheinung, „daß die Luft bei der eigenen Verarmung an Sauerstoff so gierig nach Ergänzung desselben war, daß sie sich selbst in den Verbrennungsproceß der einzelnen Salpetertheilchen theilte und das sonst kaum sichtbare Flämmchen zu einer langen Flamme zog, gleich elektrischen Funken.“ Alle die veränderten Umstände zusammen genommen, Tabaksrauch und Phosphorgeruch, verursachten allgemeine Kopfschmerzen und bei Einigen bereits Schwindel. Es waren somit alle Grade der Luftverschlechterung durchmessen. Bauer schloß die heutige Fahrt, aber nicht ohne eine Art Knalleffect; da der Apparat jetzt am Niveau schwamm, so konnte er plötzlich einen frischen Luftstrom eindringen lassen, um die Wirkung desselben zu beobachten, und so öffnete er denn den großen Lufthahn von 5 Zoll Durchmesser. Die Wirkung war zum Erschrecken stark, denn im Moment des Lufteintritts „erfolgte ein solcher Schlag, daß jeder Einzelne einen Druck auf der Brust und am ganzen Körper fühlte.“ Die Fläschchen mit den verschiedenen Luftsorten wurden den Akademikern zur Untersuchung übergeben.
„Diese Versuche,“ sagt Bauer, „warfen eine alte Behauptung um, denn es war nun erwiesen, daß der Mensch nicht durchaus auf den Sauerstoff aus 180 Kubikfuß für die Stunde zum Leben angewiesen sei, sondern daß er unter Verhältnissen auch bei dem Consum aus 31 Kubikfuß arbeitsfähig bleibe.“
Die Fortsetzung dieser Versuche führte auf einer spätern Fahrt zur Erprobung der Lufterneuerung durch künstlichen Regen. Als die Luft bereits so sauerstoffarm war, daß die Stearinlichter zu erlöschen drohten, preßte Bauer mittelst Pumpe durch die feingelöcherte, S. 556 bereits genannte Röhre einen Sprühregen in den Raum. Sofort lebten die Kerzenflammen wieder auf, und vierzehn Menschen konnten noch dritthalb Stunden in einem Raume von 3060 Kubikfuß aushalten. „Dagegen klagte die Mannschaft bei der chemischen Ergänzung der Luft durch Sauerstoff aus chlorsaurem Kali sehr bald über Kopfschmerzen.“
Auf derselben Fahrt stellte sich heraus, daß zur Lufterneuerung aus der atmosphärischen Luft keine Luftpumpe nöthig sei, sondern daß Röhren von 4 Zoll Durchmesser, vom Apparate aus mit der Atmosphäre in Verbindung gebracht, den Luftwechsel für den innern Raum binnen sechs Minuten vermittelten, wobei (bei 1/3 Atmosphärendruck) auf allen schlechten Wärmeleitern sich Reif zeigte und das Thermometer auf + 4° R. fiel.
Höchst interessant waren die Beobachtungen der Lichtwirkung in der Tiefe. Außer den S. 556 genannten fünf Fenstern im Kopf des Apparats ist der ganze übrige Raum mit noch 10 Fenstern von je 11 Zoll Durchmesser und 2 Zoll Dicke und zwar aus reinstem Krystallglas, nach oben, nach den Seiten und nach der Tiefe versehen. Die Erhellung des Raums durch die Ober- und Seitenfenster hängt natürlich ebenso von der Reinheit des Wassers wie von der Tiefe der Stellung des Schiffes ab, denn während Bauer bei Kronstadt, wenn die Newa nach Regentagen ihren Unrath daher trug, nur 6 Fuß tief schon kaum 4 Fuß weit sehen konnte, vermochte er, als er mit seinem schleswig-holsteinischen Seeteufel im Kieler Hafen lebendig begraben lag in einer Tiefe von 52 Fuß die schlechtgedruckte Aufschrift eines Tabakspacketes ganz gut zu lesen.
Ruhige See und klares Wasser vorausgesetzt, wirkt das Sonnenlicht bis in sehr große Tiefen, und wie die oben auf dem Niveau daherfahrenden Schiffe ihren Schatten in die Tiefe werfen und bei hohem Sonnenstande ihr Nahen oft schon in ziemlicher Ferne an ihrem Schatten zu erkennen ist, so begleitet auch die Gegenstände im Wasser ihr Schatten, und Peter Schlemihl würde, um Leidensgefährten in der Schattenlosigkeit zu finden, vergebens in’s Meer gesprungen sein. Bauer schreibt hierüber: „Allerdings sind auf dem Niveau des Wassers schwimmende Gegenstände, wie Schiffe, Balken u. s. w., von dem Apparat in der Tiefe beobachtet, nur so weit zu sehen, als diese in das Wasser eintauchen, aber ihr körperliches Abfangen des Lichts erzeugt unter ihnen eine lichtlose Stelle, welche sich, je nach der Höhenstellung der Sonne oder des Mondes oder auch künstlichen Lichtes, in die verticale oder seitliche Tiefe zieht und je nach Größe des Gegenstandes und Schärfe der Beleuchtung von 100 bis 500 Schritt als verfolgbare Stelle zum Führer wird. Ich hatte leider nicht Gelegenheit, die Beobachtung eines in einer Glaskugel versenkten Lichtes soweit auszudehnen, daß diese zu einer Scala verzeichnet werden konnte, und mußte die angestrebten Versuche für submarine optische Signale mit farbigen Laternen zu früh aufgeben.“
Dagegen machte Bauer auf einer späteren Fahrt einen andern Versuch, der ohne Zweifel auch zum ersten Mal da war. Er stellte nämlich durch die neben dem Kiel des Apparats angebrachten Fenster submarine Grund-Beobachtungen an, und dabei zeigte sich, daß das Sonnenlicht das moorige Wasser bei Kronstadt nicht genug durchdringe, um in der Tiefe selbst von 16 bis 18 Fuß liegende Gegenstände zu beleuchten. Um dies dennoch zu ermöglichen, wurde mittelst einer großen Reflexlampe durch ein Fenster der betreffende Gegenstand beleuchtet und durch das nächste Fenster beobachtet. Dies gelang so vortrefflich, daß Bauer sofort an eine photographische Aufnahme von Steinen, Wracks etc. ging. Wenn nun diese auch nicht sogleich gelang, wenn Ungeübtheit in der Handhabung des Instruments, Lichtreflex, Schrägstehen der Fenster und ein geringes Rollen des Schiffes durch die Seebewegung nur ein langgezogenes und verbranntes Bild zu Wege bringen ließen, so ist doch durch diese Versuche schon 1856 die Ueberzeugung gewonnen, daß man unter dem Meere photographiren kann.
Ein amüsantes Zwischenspiel gewährte die Beobachtung der stummen Bewohner des Meeres, die durch den neuen Gast in ihrem Reiche in große Aufregung versetzt waren. Besonders wenn im Apparate Lichter brannten, kamen die Fische in Schaaren heran und umdrängten mit den Köpfen die Fenster, folgten beim Fortbewegen in allen Richtungen, und nur ein Schlag mit dem Hammer an die Eisenwand des Schiffes vertrieb sie, aber dann so rasch, als ob sie mit einem Ruck in die Ferne geschleudert würden. Es liegt nahe, daß auch für den Fischfang das unterseeische Schiff sehr vortheilhaft ausgebeutet werden könnte.
Ueber die Seebewegung in der Tiefe schreibt Bauer: „Soweit ich solche (bei Kronstadt) beobachten konnte, reichte sie nur so tief, als die Wellen über die gewöhnliche Niveauhöhe stiegen, und war deren Höhe stets an dem Manometer abzulesen, daher die Behauptung, daß die Wellen keinen Druck nach unten äußerten, vollständig widerlegt ist. Unterhalb dieser Bewegung wirken nur Ströme, doch zeigten sich häufig in Folge der Winde und Aufstauungen von Wasser Wechselströme, welche in der Tiefe von 6 bis 8 Fuß und bei einer Stauhöhe von 5 Fuß oft bis 3 Fuß Stromschnelle hatten, während der gewöhnliche Strom in der Tiefe seine Richtung beibehielt; daher kreuzen sich wohl an einer Stelle von 20 Fuß Tiefe oft drei Ströme, falls nicht der Hauptstrom eines mündenden Flusses oder hohes Gefälle an Buchtenengen die anderen Strömungen in ihrer Wirkung stört.“
Es ist selbstverständlich, daß auch die Akustik in den Kreis der unterseeischen Untersuchungen gezogen wurde. Schon auf dem Grund des Kieler Hafens hatte Bauer die Erfahrung gemacht, daß das Geschrei aus den zahlreichen Booten, die über dem untergegangenen Seeteufel schwammen, bis zu ihm hinunterdrang, wie umgekehrt sein Anschlagen an die Wand des Apparats oben gehört wurde. Aus den Proben bei Kronstadt ergab sich, daß dieses Anschlagen auf mehr als 500 Schritt weit vernehmbar war. „Ein unter Wasser gelegtes Metallrohr“ – schreibt Bauer – „oder ein Schlauch, an beiden Enden auf Kautschukstulpen gestützt, pflanzt den Schall fort, und zwar so, daß er ganz gut zu einer submarinen aktstischen Telegraphie zu verwenden wäre.“
Der denkwürdigste akustische Versuch Bauer’s wird aber immer seine Musik unterm Wasser bleiben. Am 6. Septbr. (25. Aug. alten Styls), dem Krönungstage des Kaisers Alexander II., nahm Bauer außer dem Lieutnant Fedorowitsch und den Matrosen noch vier Trompeter von der Equipage der Flotte (Capitain B. v. Taube) mit an Bord. In dem Augenblicke, wo der erste Kanonenschuß von den Kronstadter Batterien den Beginn der Krönungsfeierlichkeit in Moskau verkündete, senkte sich der Apparat in die Tiefe, die Trompeter stimmten die russische Nationalhymne an, und die Matrosen sangen dazu. Wenn alles Kühne und Zukunftverheißende, das zum ersten Male geschieht, die Seelen der Teilnehmer tief ergreift, so mußte das wohl auch hier geschehen, wo offenbar zum ersten Mal, seit Menschen leben, Musik und Gesang unter den Wogen des Meeres hervorschallte. Die Festlichkeit im Boote, in Tiefen von 27 bis 40 Fuß, währte von 9 bis 1 Uhr, wo die von der russischen Flotte gegebene große Salve anzeigte, daß die Krönung vollendet sei. Im Apparat klang der Ton der Trompeten nicht schmetternd, sondern äußerst weich, wie entfernt, und [607] die Trompeter gestanden, daß ihnen die Töne weit leichter in dieser eingeschlossenen Luft gehorchten, als in der freien. Auf dem Niveau aber wurde, wie das Gutachten der Akademie bezeugt, diese unterseeische Musik noch in 145 Schritt Entfernung völlig klar und deutlich vernommen.
Trotz alledem fand die Submarine keinen andern Freund und Bauer keinen andern Beschützer in Rußland, als den Großfürsten Constantin, und nur soweit dessen persönlicher Einfluß reichte, soweit reichte auch die Theilnahme und Anerkennung für Bauer. Die Nationalrussen waren gegen den Deutschen erbittert, die Admiralität haßte den baierischen Artilleriecorporal, der ein Erfinder sein wollte, die Akademie sah halb neidisch, halb mitleidig auf den Erfinder, der ein Corporal war. Allen diesen Corporationen und Einflüssen schien der unserem Bauer beigegebene Lieutenant Fedorowitsch dienstbar zu sein, wie aus mehreren die Wahrheit stark verdrehenden Berichten des Gelehrtencomité (das den Apparat höchst selten selbst betrat, sondern sich über die Vorgänge im Schiff Mittheilungen machen ließ und daraus erst sein Gutachten zusammenstellte) zu schließen war. Deshalb schloß Bauer ihn lange Zeit von seinen Fahrten aus. Als aber am 2. October (1856) in Anwesenheit einer Fachmänner-Commission von der Marine und dem Genie der erste Versuch mit dem unterseeischen Sprengen eines größern Schiffs stattfinden sollte, mußte jener Lieutenant wieder zugezogen werden. Bauer’s Argwohn fand diesmal seine Bestätigung. Wie bisher schon oft, war auch für den vorliegenden Versuch das Mögliche gethan, um ihn unmöglich zu machen. Das zu explodirende Schiff war nämlich, ungefähr 31/2 Werst von Kronstadt, an eine – wie Bauer nachher erst erfuhr – so seichte Stelle gebracht, daß der Apparat, um unter dasselbe zu kommen, nothwendig auf den Grund stoßen mußte. Fedorowitsch saß am Steuer. Das Schiff fuhr in inclinirter Stellung auf sein Ziel los. Da saß plötzlich das Hintertheil des Schiffs auf einem Sandhügel des Seegrunds fest und die Schraube war mit Seegras und altem Tauwerk so umwickelt, daß der Apparat, nur noch 40 Fuß von dem zu sprengenden Fahrzeug entfernt, am Grund fest gehalten wurde. Vergeblich war alles Bemühen, sich aus solcher Verstrickung loszureißen. Nach anderthalbstündiger Anstrengung ließ Bauer das Wasser aus den Cylindern pressen und Ballast auswerfen, so daß der Kopf des Seeteufels sich bis an’s Niveau hob und noch immer stieg. Kaum aber stand die Luke zur Hälfte über dem Meeresspiegel, so riß Fedorowitsch ohne ein Wort zu sagen, dieselbe auf, schwang sich hinaus auf den Kopf des Apparats und rettete sich, ohne die Luke wieder zu schließen, auf das den Apparat begleitende Boot der Commission. Bauer und die Matrosen, die noch mit dem Ausräumen des Ballastes beschäftigt waren, sahen sich plötzlich unter der hereinstürzenden Fluth, und da es ihnen unmöglich war, von innen aus die Luke jetzt wieder zu schließen, so blieb ihnen nichts übrig, als nun ebenfalls den Apparat während seines Versinkens eiligst zu verlassen.
Das war Wilhelm Bauer’s 134. und letzte unterseeische Fahrt in Rußland gewesen. Das Schiff war zwar schon nach vier Wochen wieder gehoben, und Bauer war indeß zum kaiserlich russischen Submarine-Ingenieur mit Uniform und Gage des Staats ernannt; der Haß gegen ihn und sein Werk konnte aber gerade dadurch nur gesteigert werden. Trotz aller Befehle des Großfürsten ließ die Admiralität das unterseeische Schiff statt nach der Leuchtenberg’schen Fabrik, wo die durch die gewaltsame Hebung beschädigten Theile an Steuer, Schraube etc. reparirt werden sollten, am 15. November nach Ochda, 10 Werst von der Fabrik, schaffen und hier an’s Land ziehen. Dort wird es noch heute liegen, wenn es nicht, wie schon manches größere kaiserliche Fahrzeug, so ganz nach und nach gestohlen worden ist.
Bauer erhielt zunächst den Auftrag zur Construction einer unterseeischen Corvette zu 24 Kanonen, mit einer Dampfmaschine zur Bewegung über dem Niveau und mit einer Luftkraft zur Bewegung unterm Wasser. Er vollendete das Modell. Schon während dieser Arbeit und noch während der Anwesenheit des Großfürsten drangen das Leben verbitternde und die Thatkraft störende Intriguen von allen feindlichen Seiten auf ihn ein; als aber der Großfürst aus bekannten Anlässen auf Reisen ging und nun die Admiralität Bauer den gemessenen Befehl zusandte, den Bau der Corvette – angeblich um ihn, als Gegenstand eines Staatsgeheimnisses, gegen jeden Verrath und jede Nachahmung zu sichern – zu Irkutsk am Baikalsee, also in Sibirien, zu vollenden, zog Bauer es vor, seinen Abschied zu fordern und, nachdem er ihn auf viermaliges Ansuchen endlich erhalten hatte, im Frühjahr 1858 nach Deutschland zurückzukehren.
So schlossen W. Bauer’s unterseeische Arbeiten in Rußland.
Wie die Erprobung der Schiffhebung ist somit auch die der unterseeischen Schifffahrt als gelungen zu bezeichnen. Die am russischen Apparat noch ungenügende Fortbewegungsweise hat Bauer verbessert. In allem Uebrigen hat der Apparat nur in der Form, den verschiedenen Zwecken gemäß, nicht im Princip Aenderungen erfahren.
Aus dem Brandtaucher oder Tauchschiff ist hervorgegangen für die Industrie die cylinderförmige Taucherkammer und für den Krieg die langgestreckte Corvette zu 24 Kanonen und 74 Mann Besatzung (mit 350 Pferdekraft Dampf, um auf, und der Luftrepulsionskraft, um unter dem Wasser zu fahren) und die Brandtauchergondel für einen Mann.
Vor jeder neuen Erfindung ist die erste Frage: was nützt sie? – Den Nutzen der Taucherkammer haben wir in dem betreffenden Artikel ausführlich dargethan; über den der unterseeischen Kriegsfahrzeuge wollen wir Bauer selbst sprechen lassen. „Die Kolosse der Marine“ – sagt er – „rücken dem Grabe nahe, aber auch die Eisenpanzerschiffe, wie sie die letzten Jahre geschaffen und wie sie alle Arsenale Frankreichs und Englands förmlich in Glühöfen verwandeln, werden einst der Hyponautik weichen, die Schöpfungen derselben müssen den Todeskampf der See-Giganten der letzten Jahrhunderte herbeiführen. Die Meerbewohner von der Riesenpolype bis zum Seehund herunter werden dem nächsten Jahrtausend die Modelle stellen, um die ewige Harmonie des geistigen Umschwungs um die Achse Natur zu vervollständigen. Monitors und Merrimacs sind nur die Schleppenträger des großen Katafalks der alten Marine. Mögen Tausende lachen ob dieser Behauptung – sind doch alle Vorläufer und Bahnbrecher großer Umwälzungen altgewohnter und sieggekrönter menschlicher Zurichtungen von je verlacht worden, ja sie mußten sich glücklich preisen, wenn es beim Verlachen blieb.
Allerdings ist mir klar geworden, daß, ehe die Regierungen Europa’s zu unterseeischen Flotten gelangen können, sich erst die Industrie der Submarine angenommen haben muß, daß man namentlich gewagt haben muß, neben der Taucherkammer für industrielle Arbeiten, Schiffheben, Perlenfischen, Bauten, Naturforschung etc., auch Passagierschiffe für unterseeische Fahrt nach dem Muster der unterseeischen Corvette zu erbauen, weil diese den Vortheil gewähren, die friedliche See mit Dampfkraft in bedeutender Schnelligkeit zu durchschneiden, herantobenden Stürmen aber unter die Wellentiefe auszuweichen und sich entweder schwebend in beliebiger Tiefe zu erhalten, bis der Sturm ausgetobt hat, oder auch unterm Wasser mit der Kraft comprimirter Luft die Reise fortzusetzen. Auch die Größe solcher Schiffe ist der Wahl überlassen, die sich nur dem Bedürfniß zu unterwerfen braucht; nachdem ich so viele Gelegenheit hatte, mich zu überzeugen, wie ruhig und sicher die Handhabung dieser Apparate in einer commandirenden Seele concentrirt ist, konnte ich in der Construktion derselben von dem Brandtaucher aus zur Gondel hinab- wie zur Corvette hinaufsteigen, ohne in der Anwendung des Princips auf ein Hemmniß zu stoßen.“
Möge, nachdem W. Bauer das Seine gethan, um Vertrauen in seine Erfindungen auch im Vaterlande zu verdienen, endlich Deutschland es sein, dem er sie ganz widmen kann! Möge der Bau der ersten deutschen Taucherkammer nun nicht lange auf sich warten lassen!
Ein noch ungedrucktes Schriftstück von Ludwig Börne. Gewiß sind wenige schriftstellerische Erstlingsversuche mit so begeistertem Enthusiasmus, namentlich von der Jugend, aufgenommen worden, als die von Ludwig Börne. Die originell ansprechende Form, in welcher der für Wahrheit und Recht glühend begeisterte junge Mann seine sittlich ernsten Gedanken und Ideen darzustellen verstand, übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf alle Gemüther, während er sich später durch seine verbitterte Stimmung manche Herzen entfremdete. Sicher wird es den Lesern dieser Blätter von Interesse sein, ein Schriftstück des reich begabten Mannes aus seiner frischesten Blüthenzeit mitgetheilt zu erhalten, welches bis jetzt
[608] noch nirgends in die Oeffentlichkeit gelangt ist. Er ist eine im Oct. 1808 verfaßte Zuschrift an eine höhere sittllche Zwecke verfolgende und die Veredlung der Menschheit anstrebende Gesellschaft in Frankfurt, in welche Börne durch dieses Schriftstück Aufnahme suchte und fand. Sie lautet also:
„Ich habe betrachtet die Geschichte unserer Tage und folgendes gesehen. Alte Formen, ob zwar festgegründet und gehärtet durch die Dauer vieler Jahrhunderte, wurden zersplittert von einem allmächtigen Geiste der Zerstörung. Das gegenwärtige Geschlecht verspottet Regeln und Weisen, die heilig und unverbrüchlich waren den Voreltern. Die Stürme der Zeit haben Grenzsteine weggeschleudert, die seit lange das Eigenthum der Menschheit geschieden; die herrenlosen Glücksgüter wurden von neuem vertheilt und wurden den Stärksten zu Theil, hülflos aber blieb Jeder, der Hülfe von Anderen erwartete. Unsere Hoffnungen und Aengste, vorher wohlthätig eingeengt durch Gewohnheit und Gesetz, schweiften nun in’s Unendliche, nachdem jene Schranken nicht mehr waren, denn man sah, daß Bettler, wie sonst nach Almosen, jetzt nach Kronen die knöcherne Hand ausstreckten und sie nicht leer zurückzogen. Man sah, daß stolze Scepter sich zur Erde senkten, um als Wanderstäbe entthronte Könige durch das Land zu führen. Man sah die Thränen derer, denen der Krieg den Gatten, den Vater und jede Lebensfreude raubte, und die im Schooße des Glücks erzogen nach Brod schmachten.
Zu solcher Zeit nun, wo die Selbstsucht fesselfrei umhergeht, und kein Besitz so gerecht ist, daß er uns sichere vor dem Verluste des Guts, wem drängt sich da nicht der Gedanke schmerzlich auf, daß der Glaube an Tugend und Edelmuth durch jene egoistischen Kämpfe selbst bei den Bessern geschwächt werden müsse? Ja, wer ist stark genug sagen zu können, er werde zu jeder Zeit das eigene Herz vor dem Untergange bewahren?
Aus diesen Gründen habe ich längst gewünscht mich mit denen zu verbinden, die, gleiche Gesinnungen mit mir hegend, sich angelegen sein ließen das Wohl der Menschheit zu befördern und sich und Andere vor dem feindlichen Einfluß zu bewahren, den eine stürmische Zeit auf jene Wohlfahrt haben kann.
Ich kenne zwar factisch die Zwecke der Gesellschaft nicht näher; allein in der Voraussetzung, daß sie nur edle Zwecke habe, bin ich überzeugt, daß von dem Umfange ihrer Thätigkeit kein Gegenstand ausgeschlossen ist, der als ein guter und edler möglicher Weise nur erstrebt werden könnte. Ich habe daher einem Freunde meinen Wunsch eröffnet, Mitglied zu werden, und nach dessen Anweisung wage ich es, verehrungswürdige Gesellschaft, schriftlich um meine Aufnahme zu bitten.
Wenn Sie mich würdigen sollten, mir meine Bitte zu gewähren, so verspreche ich getreu und mit Ernst alle die Pflichten zu erfüllen, die mir die Gesellschaft auflegen wird, in der Gewißheit, daß es nur solche sind, denen kein edler und verständiger Mann seinen Beifall versagen könnte.
Ich verbinde mich insbesondere zur unverbrüchlichen Freundschaft gegen alle Mitglieder der Gesellschaft; ich will zur Verbreitung solcher Grundsätze mitwirken, die, wenn sie angewendet werden, den Menschen zum wahren Glücke führen; ich will mich zur Beförderung solcher öffentlichen Anstalten, durch die das Elend der Mitmenschen vermindert wird, nach meinem Vermögen und nach der Anweisung der Gesellschaft gerne gebrauchen lassen. Ich will endlich die Wittwen und Waisen meiner Freunde in soweit für die meinigen ansehen, daß ich zur Unterstützung der Erstern und zur Erziehung der Letztern nach meinen Kräften gerne beitragen werde.
Ueber dies Alles gebe ich hiermit schriftlich mein Ehrenwort, und sollte ich einer der auf mich genommenen Verbindlichkeiten durch meine Schuld nicht entsprechen, so bin ich’s zufrieden, daß Sie von dieser meiner Handschrift zu meiner Beschämung Gebrauch machen.
Schließlich theilen wir noch als höchst charakteristisch die originellen Antworten Börne’s auf einige ihm von dem Vorstande jener Gesellschaft vorgelegte Fragen mit.
Was ist der Mensch sich selbst schuldig?
„Gerechtigkeit; denn Gerechtigkeit ist Gesundheit; Krankheit ist Zwietracht – ein jeder liebe sich selbst.“
Was ist der Mensch seinem Nebenmenschen schuldig?
„Was sich selbst.“
Was seinem Vaterlande?
„Treue und Dankbarkeit; denn ihm dankt er seine Unsterblichkeit.“
Ein paar Züge vom Fürsten Lichnowsky. Prof. Vischer erzählt in seinen unlängst erschienenen „kritischen Gängen“ seine letzte Begegnung mit dem Fürsten Lichnowsky, ganz kurz vor des Letztern gewaltsamem Tode. Dies brachte dem Einsender dieses ein paar andere charakteristische Anekdoten von Lichnowsky in’s Gedächtniß, die er theils selbst erlebt, theils aus erster Quelle erfahren hat; die eine fällt auch in die allerletzten Tage vor dem blutigen 18. September. Es galt die Abstimmung über irgend eine brennende, die Parteien besonders scharf spaltende Frage. Der Versuch mit Aufstehen und Sitzenbleiben war zweifelhaft; man griff zu dem in solchen Fällen üblichen nächsten Mittel, um das Resultat zu constatiren. Die Schriftführer gingen durch die Reihen der Stehenden und Sitzenden und schrieben die Zahl Beider genau auf. Dabei war es herkömmlich, daß die ihrer Parteifarbe nach der Rechten näherstehenden Schriftführer diese Zählung auf der Linken, die mehr nach links neigenden solche auf der Rechten vornahmen, um möglichste Unparteilichkeit zu bewahren. Einsender, der auch Mitglied des Bureaus war, übrigens dem linken Centrum angehörte, begab sich zu der äußersten Richtung, um das fragliche Geschäft zu vollziehen. Da kam ihm lebhaft erregt und heftig gesticulirend, wie dies seine Art war, Fürst Lichnowsky entgegen und rief mit gewohnter Ungenirtheit ganz laut, indem er nach der Linken hinüberdeutete, wo diesmal ausnahmsweise ein der Linken selbst zugehöriger Schriftführer die Abstimmung notirte, er wolle doch ein Bischen controliren, damit Alles mit rechten Dingen zugehe. Da diese Worte, obgleich an Niemand gerichtet, doch so laut gesprochen wurden, daß die darin liegende verletzende Bemerkung fast absichtlich öffentlich hingeworfen schien, so rief ich dem Fürsten zu: „Sie haben kein Recht, die Unparteilichkeit eines Bureaumitgliedes zu verdächtigen!“ Er wollte sich gegen mich entschuldigen, indem er sagte: „Ah, Sie habe ich ja nicht gemeint, wider Sie habe ich Nichts!“ Ich entgegnete ihm aber ernst: „Gleichviel, alle Schriftführer sind Beamte der Nationalversammlung und von ihr gewählt. Sie dürfen keinem davon eine Pflichtwidrigkeit zutrauen,“ worauf der Fürst zwar noch etwas gegenredete, aber doch seinen Vorsatz auf- und sich auf seinen Platz zurück begab.
Höchst vergnügt sah ich früher einmal den Fürsten Lichnowsky, als bei einer ungewöhnlich stürmischen Sitzung die lärmenden und trotz mehrmaliger Mahnung des Präsidenten Gagern nicht zum Schweigen zu bringenden Gallerien auf dessen Befehl geräumt wurden. Da bei diesem Geschäfte, um ernstere Collisionen zu vermeiden, einige Schriftführer nebst dem Präsidenten selbst halfen, so mochte der Fürst diese für ihm Gleichgesinnte ansehen; er gab daher in meiner Gegenwart unverhohlen seine Befriedigung darüber kund, daß man nun ohne Zuhörer berathen könne, und weil die Zeit schon vorgerückt war, erklärte er, sofort einige Körbe mit Butterbrod und Fleisch aus dem Englischen Hof holen lassen zu wollen, damit die Versammlung die heiklige Frage, an der sie eben war, in geheimer Sitzung sogleich durchberathen und erledigen könne. Diese Freude ward ihm jedoch zu Wasser, da die Versammlung, zur Wahrung des Princips der Oeffentlichkeit, nach Erledigung des einmal in der Abstimmung begriffenen Punktes die Vertagung beschloß. – Wieder bei einer anderen Gelegenheit, wo Lichnowsky auf die Tribüne eilte, um eine seiner gewohnten glänzenden Improvisationen in einer Parteifrage zu halten, rief er einem ihm persönlich befreundeten Mitgliede des linken Centrums im Vorüberstreifen an dessen Sitz halb leise zu: „Halten Sie mir den Daumen, daß ich eine gute Rede zuwegebringe!“ – „Den T– werde ich!“ antwortete Jener, „Sie sprechen ja gegen uns!“ – „Bah, das ist Alles Eins!“ erwiderte lachend der Fürst und schritt sporenklirrend die Stufen zur Tribüne hinauf. – Uebrigens verschönert Vischer den Fürsten Lichnowsky, wenn er ihm einen „edlen Gesichtsschnitt“ und „ein fast griechisches Profi“ beilegt. Der Fürst hatte eigentlich wenig distinguirte, fast plumpe Züge, die nur durch ein blitzendes, aber auch mehr entschlossen und fast keck, als gerade geistreich blickendes Auge und durch ein vornehmes Air, – nicht von jener ruhigen Vornehmheit, welche imponirt, sondern von der herausfordernden und verletzenden Art. – etwas Auffallendes, Hervorstechendes erhielten.
Das Körnerfest betreffend, haben wir auf mehrfache Anfragen und
Anliegen zu antworten, daß die „Gartenlaube“ eine Schilderung jenes
Festes nicht bringen kann. Die Tageszeitungen haben alles Mittheilenswerthe
längst in solcher Fülle gebracht, daß eine Wochenschrift den Raum
dafür sparen kann, und die Gartenlaube um so mehr, als gerade sie Körner
und seine Zeit zu feiern durchaus nicht vergessen hat. – Wäre nur
auch in Mecklenburg, dem Schauplatze der großen nationalen Feierlichkeit,
dieselbe überall mit ebenso warmem Vaterlandsgefühl und würdigem Geist
begangen worden! Leider ist dies nicht der Fall gewesen, leider hat es der
bekannte herrschende Geist der Geistlichkeit jenes Landes nicht zu verwinden
vermocht, eine so einfache, edle, zeitgemäße, ja zeitgebotene Huldigung am
Grabe eines einst hochbegabten Jünglings, der all sein Liebstes auf Erden
für die höchste Idee seines Lebens hochherzig opferte, ganz unbefleckt vorüber
gehen zu lassen. Der Vorstand des Gymnasium Fridericianum zu
Schwerin, der Hauptstadt des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin, hat
seinen Schülern die Betheiligung an jenem öffentlichen Feste untersagt,
„wegen der in jener Feier liegenden allzugroßen Freisinnigkeit“ – und
„damit nicht auch schon die jugendlichen (NB. großherzoglich mecklenburgischen)
Gemüther von jenem Freiheitsschwindel erfaßt würden.“ – Damit
nicht genug, begründete Einer dieser Weisen des mecklenburgischen Klerus
die Anordnung des Vorstandes noch mit dem Ausspruch: „Theodor Körner
sei ein recht braver Mann gewesen. Wenn man aber jedes braven Mannes
wegen nach Ludwigslust reisen wolle, so könne man es 365 Mal im
Jahr thun.“ Wer nun weiß, daß Ludwigslust ein Hauptsitz der Orthodoxen
des Landes ist, der wird auch die tiefe Bescheidenheit begreifen, welche in
dieser Anschauung des Körnerfestes liegt.
- ↑ Butenmenschen nennt der Plattdeutsche jeden Fremden.
- ↑ Ein für die „Gartenlaube“ etwas modificirter Abschnitt aus der demnächst bei Ernst Keil erscheinenden Biographie Carl Maria’s von Weber, von M. M. von Weber.
- ↑ Eine kleine musikalische Gesellschaft. D. Verf.
- ↑ Großvater von mütterlicher Seite des jetzt regierenden Herzogs Ernst. Der Verfasser.