Die Gartenlaube (1857)/Heft 8
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No. 8. | 1857. | |
„Nein, nein,“ rief Peters, „ich werde schweigen wie das Grab. Der Herr Rendant soll durch mich nicht in Unannehmlichkeiten gerathen – ich weiß, daß Sie sein Freund sind – ach, Herr Rath, ich danke Ihnen im Namen meiner armen Familie!“
Dem Kassendiener rannen die Thränen über das Gesicht, als er sich mit dem Gelde entfernte. Der Rath warf seinen Mantel um, und eilte nach der Wohnung des Präsidenten, der den Besuch in seinem Arbeitszimmer empfing. Bronner erzählte, was er so eben erfahren hatte.
„Die Sache wird bedenklich!“ murmelte Seldorf. „Der Rendant führt das Fräulein von Hoym zu Balle, und jetzt gibt er dem Sekretair eine solche Summe aus der fürstlichen Kasse?“
„Vergessen Sie nicht, Herr Präsident, daß er sie in acht Tagen der Kasse zurückerstatten wird.“
„Ernesti und der Sekretair sind Verbündete, und Beide bauen auf den Schutz des Fräuleins von Hoym. Wir wollen sehen, wie weit sich dieser Schutz erstreckt. Mein Freund,“ sagte Seldorf, dessen Augen glüheten, „sobald Sie erfahren, daß Bergt seinen Wechsel eingelöst hat, werden Sie mir es mittheilen.“
Der Rath ging in die Ressource, wo er den Hofkommissär anzutreffen hoffte. Der Jude saß allein an einem Tische und las die Wechselkourse in den Zeitungen.
„Wie stehen die Papiere?“ fragte Bronner, indem er dem Lesenden die Hand auf die Achsel legte.
Der Jude sah lächelnd auf.
„Für mich gut!“ flüsterte er.
„Das heißt?“
„Bergt hat heute bezahlt.“
„So stehen die Papiere auch für mich gut.“
„Freuet mich, Herr Rath! Nehmen Sie Platz, ich habe Ihnen etwas mitzutheilen.“
Bronner setzte sich. Der Jude nahm seine Cigarre aus dem Munde, und flüsterte ihm über den schmalen Tisch zu:
„Ich habe Ihre viertausend Thaler, wie Sie es gewollt, zurückverlangt.“
Wir bemerken, daß der Jude mit dem Gelde des Rathes wucherte, ohne daß Jemand um dies Gewerbe des würdigen Mannes wußte.
„Wollen Sie Ihr Geld zurückhaben oder soll ich es weiter verwenden?“ fragte Spanier.
„Es kommt auf die Verwendung an.“
„Der junge Ernesti sucht fünfhundert Thaler auf zwei Monate.“
„Der Lieutenant?“
„Ja, Herr Rath.“
„Gut, geben Sie ihm das Geld auf Ehrenschein.“
Der Lieutenant Ernesti trat in das Zimmer. Die beiden Männer unterbrachen ihr Gespräch und beobachteten eine Haltung, die nichts von dem geschäftlichen Verhältnisse verrieth, in dem sie standen; man hätte glauben mögen, sie seien sich einander völlig fremd. Der Rath trank eine Tasse Thee, und entfernte sich. Kaum hatte er das Zimmer verlassen, als Albert Ernesti rasch zu dem Juden trat.
„Ich suchte Sie, Herr Hofkommissär.“
„Das konnte ich mir denken, Herr Lieutenant,“ antwortete lächelnd der Jude.
„Nun?“
„Ich habe Alles aufgeboten, um Ihren Wunsch zu erfüllen. Bemühen Sie sich morgenfrüh in meine Wohnung, und Sie werden fünfhundert Thaler auf Ehrenschein erhalten. Zweifeln Sie nicht mehr an der Freundschaft, die ich für Ihre Familie hege.“
Der Lieutenant drückte dem Geschäftsmanne gerührt die Hand.
Der folgende Tag brachte schlechtes Wetter; der Regen fiel in Strömen aus dem düstern Himmel. In den Straßen rauschte das Wasser über das schlechte Steinpflaster, man sah nur wenig Menschen, die flüchtig von einem Hause zu dem andern eilten. Die Residenz war in einen Nebelschleier eingehüllt, der je dichter wurde, je mehr der Abend sich näherte. Das Licht der spärlich angebrachten Laternen war völlig unwirksam. Die sonst so freundliche Stadt bot einen traurigen Anblick. Alte Leute meinten, sie hätten nie einen so starken Regen erlebt.
Es war gegen sechs Uhr Abends, als Henriette in ihrem Zimmer am Klavier saß. Der Regen prasselte an die Fenster wie schwere Hagelkörner. Da ward die Glocke an der Hausthür gezogen. Die junge Frau sah nach der Uhr. Es war noch zu früh, als daß sie ihren Mann erwarten durfte, der erst gegen sieben Uhr sein Bureau verließ. Die Magd trat ein.
„Madame, eine Dame wünscht Sie zu sprechen!“
„Eine Dame, und bei diesem Regenwetter! Wer ist sie?“
„Ich kann sie nicht erkennen, sie ist verschleiert und in einen großen Mantel gehüllt.“
„Cäcilie!“ dachte Henriette, und eilte auf die Hausflur hinaus.
Da stand die verschleierte Dame, durchnäßt von Regen; aber es war nicht Cäciliens Gestalt.
[102] „Madame Bergt,“ flüsterte sie dringend, „kann ich Sie auf einige Augenblicke allein sprechen?“
„Ich bin allein, mein Mann befindet sich noch in seinem Bureau.“
Beide Frauen traten in das durch eine Kerze erleuchtete Zimmer. Die Fremde, die sich in der Eile nicht einmal eines Regenschirmes bedient hatte, schlug den durchnäßten Schleier zurück.
„Fräulein Spanier!“ rief Henriette überrascht.
Lydia’s reizendes Gesicht zeigte sich; es war hochroth von dem raschen Gehen.
„Ich bin es!“ sagte die junge Jüdin bewegt.
Henriette wollte ihr den vom Regen schweren Mantel abnehmen; Lydia lehnte es ab.
„Es bleiben mir nur wenig Minuten, um Ihnen eine Mittheilung von großer Wichtigkeit zu machen,“ flüsterte sie.
„Mir? Mir?“ fragte die junge Frau besorgt.
„Wir kennen uns kaum, Madame; aber ich halte es für meine Pflicht, ein Unglück von dem Haupte eines Mannes abzuwenden, den die ganze Stadt schätzt und achtet.“
„Großer Gott, betrifft es meinen Mann?“ fragte Henriette, die an den Präsidenten dachte.
„Auch den Herrn Sekretair Bergt – hören Sie mich an! Man kann uns doch nicht belauschen?“
„Nein, nein, wir sind allein.“
„Vor kaum einer halben Stunde kam der Kassenrendant Herr Ernesti, von Regen triefend und todtbleich, zu meinem Vater. Ich befand mich zufällig in demselben Zimmer. Der alte Mann brach fast zusammen. Auf einen Wink meines Vaters entfernte ich mich. Das Interesse für Herrn Ernesti trieb mich, an der Glasthür zu lauschen. Da hörte ich die furchtbaren Dinge, die ich Ihnen mitzutheilen gekommen bin. Der arme Rendant hat viertausend Thaler aus der ihm anvertrauten fürstlichen Kasse genommen, und morgenfrüh acht Uhr will der Präsident von Seldorf eine genaue Kassenrevision abhalten; man hat dem Rendanten aufgetragen, Bücher und Bestände vorzulegen.“
„Das ist traurig,“ flüsterte bebend Henriette; „aber wie kommt mein Mann mit dieser Angelegenheit in Berührung?“
„Ernesti hat meinem Vater nichts verschwiegen, um ihn zu bewegen, die fehlende Summe vorzustrecken. Der Zusammenhang der Unglücksgeschichte ist folgender: Herr Bergt hat vor ungefähr einem Jahre viertausend Thaler von meinem Vater auf Wechsel geliehen. Dieses Geld war mein Vater gezwungen zurückzufordern, da es nicht ihm, sondern dem Rathe Bronner gehörte. Man drohete also Herrn Bergt mit Wechselhaft.“
„Entsetzlich!“ flüsterte Henriette bestürzt.
„Ihr Gemahl wandte sich in seiner Angst an den Rendanten, und dieser brave Mann bemühete sich um die Summe. Ein Verwandter versprach ihm, sie in acht Tagen zu liefern. Inzwischen war der Wechsel verfallen, es handelte sich nur um einige Tage – der Rendant nahm das Geld aus seiner Kasse, um es in drei Tagen wieder hineinzulegen. Da ward ihm heute plötzlich die Revision angesagt. Nun kam er zu meinem Vater, um die Summe, die Herr Bergt ihm gestern gezahlt, auf acht Tage zu leihen.“
„Und Ihr Vater hat es verweigert?“
„Weil der Rath Bronner sein Geld bereits empfangen hat. Ich weiß, daß mein Vater in diesem Augenblicke von Kapitalien entblößt ist, denn er hat sich bei einer neuen Kredit-Anstalt in K. betheiligt. Wenn ich Alles zusammenstelle, so läßt sich der Schluß ziehen: der Präsident und der Rath wollen den armen Rendanten in’s Verderben stürzen. Fände die Revision vier Tage später statt, so würde der Kasse kein Thaler fehlen, denn Ernesti versichert, daß er sich auf seinen Verwandten verlassen könne. Nun hörte ich, daß mein Vater ihm den Rath ertheilte, sich an Fräulein von Hoym zu wenden, die allein im Stande sei, zu helfen. „Nie, nie!“ hörte ich den alten Mann ausrufen; „ehe ich diesen Schritt unternehme, will ich lieber untergehen!“
„Mein Gott! Mein Gott!“ flüsterte Henriette unter Thränen.
„Ich habe hin und her gesonnen, um ein Rettungsmittel zu finden,“ fuhr Lydia fort; „aber leider habe ich nur tausend Thaler zusammenbringen können, die ich Ihnen hiermit übergebe.“
Sie legte ein Taschenbuch auf den Tisch.
„Und was kann ich thun?“ fragte Henriette, indem sie die schöne Jüdin mit thränenschweren Augen ansah.
„Ich weiß, daß Sie die Freundin des Fräuleins von Hoym sind. Ein Wort von Ihnen genügt, um die zur Rettung erforderliche Summe vollständig zu machen. Der arme Rendant hat sich für Herrn Bergt geopfert, es kann demnach Madame Bergt nicht schwer werden, sich zu einem Schritte zu entschließen, den zu thun sie für Pflicht erachten muß. Es fehlen noch dreitausend Thaler – –“
„Wie deute ich das Interesse, daß Sie an der Sache nehmen?“ fragte Henriette.
„O, Madame, erlassen Sie mir in diesem Augenblicke jede weitere Erklärung, denn die Zeit ist zu kostbar, als daß wir sie mit Plaudern verbringen sollten. Morgenfrüh acht Uhr findet die Kassenrevision statt, und fehlt ein Thaler, so ist der brave Ernesti verloren. Sie müssen ihm diesen Abend noch ein Mittel zur Rettung seiner Ehre liefern.“
Lydia grüßte und verschwand. Henriette hatte die Entfernung der jungen Jüdin nicht bemerkt; sie betrachtete sinnend das Taschenbuch auf dem Tische. Die Stimme ihres Mannes, der die Treppe heraufkam, scheuchte sie empor. Jetzt erst bemerkte sie, daß sie sich allein befand. Der Sekretair ging in sein Zimmer.
„Was ist das? Was ist das?“ fragte sich Henriette. „Warum weigert sich Ernesti zu Cäcilien zu gehen, da er weiß, daß er von ihr geschätzt wird? Warum soll ich die Freundin in Anspruch nehmen? Und von der Schuldenlast, die meinen Mann drückt, weiß ich nicht ein Wort!“
Sie durchirrte das Labyrinth von Vermuthungen, die sich in ihrem Innern kreuzten; aber keine schien ihr die richtige zu sein, eine hob die andere auf. Nur soviel nahm sie mit Gewißheit an, daß der Präsident einen Schlag gegen sie, die ihn einst verschmäht hatte, ausführte. Die Art und Weise, wie er verfuhr, hatte eine zu große Aehnlichkeit mit der Heldenthat, die er in K. vermöge seiner Stellung ausgeführt, als daß sie noch irgend einen Zweifel hegen konnte. Und der brave Ernesti, der so uneigennützig geholfen hatte, sollte mit in das Verderben stürzen!
„Ich gab die Veranlassung, ich muß auch helfen!“ flüsterte sie. „Aber wie? Cäcilie hat mir Schutz gegen jeden Angriff versprochen – kann sie eine Veruntreuung in Schutz nehmen? Und eine Veruntreuung bleibt es immer, wenn sie auch aus dem edelsten Motive hervorgegangen ist. Aber wenn sie mir einfach die Summe gäbe? Dann wäre Alles, Alles beseitigt. Cäcilie ist gut, ich bin ihre einzige Freundin – wohlan, ich werde mich ihr entdecken!“
Gegen seine Gewohnheit kam Bergt nicht, um seine Frau zu begrüßen. Henriette wollte das Haus nicht verlassen, ohne ihn zuvor gesehen zu haben. Sie ging in sein Zimmer. Der Sekretair saß sinnend in einer Ecke des Sopha’s; er bemerkte nicht einmal das leise Eintreten seiner Frau. So hatte sie ihn nie gesehen. Die Nachricht Lydia’s war also gegründet, es mußte etwas Ungewöhnliches vorgegangen sein.
„Otto!“ rief sie leise, indem sie die Thür hinter sich schloß.
Der Sekretair fuhr erschreckt auf; er zwang sich, ein freundliches Gesicht zu zeigen.
„Henriette!“ sagte er lächelnd, indem er rasch aufstand, sie zärtlich umarmte und küßte.
„Bist Du krank, Otto?“
„Nein, nein! Wie kommst Du zu dieser Frage?“
„Ich muß Dich in Deinem Zimmer aufsuchen, nachdem Du den ganzen Tag fern gewesen bist. Und nun treffe ich Dich – –“
„Ach ja, ich dachte über eine schwierige Arbeit nach, die ich morgen beginnen muß. Der neue Präsident will seine Leute kennen lernen. Ich muß den Mann achten; er ist streng, aber gerecht. In allen Bureaux sieht man ihn. Es wäre mir lieb, wenn ich ihm meine Fähigkeit zeigen und ihn veranlassen könnte, mich zu einem einträglicheren Posten zu avanciren. Ach, Henriette, Du bist jetzt nur die Frau eines einfachen Sekretairs –“
„Und bin ich nicht glücklich, mein lieber Freund? Habe ich mich je beklagt? Besitze ich einen andern Ehrgeiz, als den, Deine Frau zu sein? Glaube mir,“ fügte sie schmerzlich lächelnd hinzu, „ich beneide keine Frau in unserer Residenz.“
Er drückte sie gerührt an seine Brust. Ach, hätte sie in diesem Augenblicke in seiner Seele lesen können!
„Er will mich täuschen!“ dachte sie.
„Sollte sie Argwohn schöpfen?“ fragte er sich besorgt.
Beide Gatten suchten sich gegenseitig irre zu leiten. Henriette [103] wollte sich nicht merken lassen, daß sie den wahren Zusammenhang wüßte, und Otto wollte ihr verbergen, was ihn drückte. Der arme Mann ahnte nicht, daß seine Frau mehr wußte, als er, denn Ernesti hatte ihm die bevorstehende Kassenrevision verschwiegen.
Seine trübe Stimmung war eine natürliche Folge aller Vorgänge der letzten Tage. Die Aeußerung, die er über den Präsidenten ausgesprochen, war wirklich seine volle Ueberzeugung.
„Was beginnen wir diesen Abend?“ fragte er mit erzwungener Heiterkeit.
„Ich muß Cäcilien auf eine Stunde besuchen, Otto.“
„Du willst bei diesem entsetzlichen Wetter ausgehen? Bleibe zu Hause, mein Kind, wir wollen zu Nacht essen und uns am Piano amüsiren.“
„Mein Gott,“ dachte Henriette in großer Bewegung, „er kennt die Noth seines Retters nicht! Würde er sonst daran denken, sich zu amüsiren?“
Sie beschloß, ebenfalls zu schweigen, aber kein Mittel zur Abhülfe unversucht zu lassen. Ihr zärtliches Bitten bestimmte den nachgiebigen Mann, eine Stunde zu bewilligen. Henriette steckte das Portefeuille Ludia’s zu sich und eilte Cäciliens Wohnung zu.
Der Regen goß noch in Strömen herab. Der Abend war sehr finster. An dem Gitter, das das Haus umschloß, stand ein Mann, der entweder schon die Glocke gezogen hatte oder unschlüssig war, sie zu ziehen. Er hatte sich fest in seinen Mantel gehüllt. Eine Ahnung sagte Henrietten, daß es der Rendant sei. Sie sah ihm in das Gesicht – es war der alte Ernesti, der die erleuchteten Fenster des Hauses anstarrte.
„Herr Rendant!“ rief sie unwillkürlich.
„Wer ruft?“ fragte erschreckt der Greis.
„O bleiben Sie, bleiben Sie! Ich kenne die Absicht, in der Sie hierher kommen.“
„Wer sind Sie?“
„Bergt’s Gattin, die Gattin des Mannes, für den Sie Ihre Ehre auf das Spiel gesetzt haben. Ich weiß Alles, würdiger Mann. Die Gefahr ist groß, die Ihnen droht, aber sie muß diesen Abend noch abgewendet werden.“
Henriette zog hastig die Glocke.
„Was wollen Sie bei Fräulein von Hoym?“ fragte mit zitternder Stimme der Rendant.
„Sie ist meine Freundin, sie wird helfen.“
„Nein, entdecken Sie ihr nichts! Ich beschwöre Sie, Madame, bewahren Sie das Geheimniß meines Vergehens!“
„Außer mir kennt Niemand –“
„Und Bergt?“
„Er weiß nichts.“
„Wer aber hat es Ihnen gesagt?“
„Her Rendant, fassen Sie sich; in einer Stunde bringe ich Ihnen Hülfe. Gehen Sie ruhig in Ihre Wohnung, Sie werden sich eine Krankheit zuziehen. Ich vermittele die Angelegenheit, so wahr ich nie vergessen werde, daß Sie unser großmüthiger Wohlthäter sind.“
In dem Hofe ließen sich Schritte vernehmen. Der Rendant ergriff zitternd die Hand der jungen Frau.
„Madame,“ flüsterte er mit tonloser Stimme, „wenn Sie von der Bewohnerin dieses Hauses Hülfe fordern, so fordern Sie nicht in meinem Namen!“
„Das verspreche ich Ihnen!“
„Die Rathlosigkeit trieb mich her; aber ein Etwas, das ich nicht nennen kann, hielt die Hand von dem Glockenzuge zurück.“
„Gehen Sie, gehen Sie, lieber Herr. In einer Stunde bin ich bei Ihnen!“
Der Rendant verschwand. Henriette trat durch die Thür, die ein Diener geöffnet hatte, in den Hof und in das Haus. Sie ließ sich anmelden. Cäcilie eilte ihr bis in das Vorzimmer entgegen. Nach einer herzlichen Umarmung traten beide Freundinnen in das Boudoir.
„Sind Sie allein, Cäcilie?“
„Ganz allein. Wer sollte bei mir sein?“
„Verzeihung, meine beste Freundin, ich bin so aufgeregt, daß ich nicht weiß, was ich spreche.“
„Was ist geschehen? Hat der Präsident seinen Groll ausgelassen?“
„Er will meinen Mann vernichten, und – den wackern Ernesti!“
„Den greisen Rendanten?“ rief Cäcilie lachend. „O meine arme Freundin, und deshalb verlieren Sie den Kopf? Vergessen Sie denn, daß ich Ihnen Schutz versprochen habe?“
Henriette erzählte, was vorgegangen, verschwieg auch das Begegnen des Rendanten nicht, und bat die Freundin um Verschwiegenheit. Cäcilie war ernst geworden.
„Morgenfrüh soll die Kassenrevision stattfinden?“ fragte sie.
„Um acht Uhr.“
„Die Lage ist sehr bedenklich.“
„Es fehlen dreitausend Thaler.“
„Und ich besitze kaum dreihundert!“ flüsterte Cäcilie.
Henriette erbleichte; sie hatte sich eröffnet, ohne ihren Zweck zu erreichen.
„Der Präsident hat einen günstigen Zeitpunkt gewählt,“ fuhr Cäcilie fort, „denn ich kann nicht helfen wie ich möchte – der Fürst ist diesen Morgen nach L. zur Jagd gereist, und wird in fünf bis sechs Tagen erst zurückkehren.“
„Dann ist es zu spät, der arme, brave Rendant wird kompromittirt sein!“
Henriette saß weinend in der einen Ecke des Sopha’s, Cäcilie saß sinnend in der andern. Eine peinliche Pause trat ein.
„O mein Gott,“ flüsterte Cäcilie, „warum mußte der Fürst auch gerade heute verreisen! Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, um Geld zu erhalten. Henriette,“ rief sie plötzlich aus, „nehmen Sie meine Diamanten!“
Sie sprang zu einem Sekretair, und holte mehrere Etuis hervor, die sie auf den Tisch warf.
„Ich gebe Alles hin,“ rief sie aus, „um Ihre Verlegenheit zu beseitigen. Sobald der Fürst zurückkehrt, steht mir mehr zu Gebote, als dreitausend Thaler. Nehmen Sie, man leihet Ihnen auf diese Schmucksachen mehr, als Sie bedürfen.“
„Großmüthige Freundin!“ rief Henriette gerührt. „Auf diesem Wege gelangen wir nicht zum Ziele. Wem sollte ich Ihre werthvollen Diamanten wohl anvertrauen? Es würde dieser Schritt, wenn ich ihn wirklich versuchte, einen nicht minder großen Eclat hervorbringen, als die Kassenrevision selbst.“
„Es ist wahr!“ flüsterte Cäcilie betroffen. „Und wer in dieser kleinen Stadt hat eine solche Summe stets bereit liegen? Wäre doch der Fürst nicht verreist!“ rief sie aus, indem sie zornig mit dem Füßchen auf den Boden stampfte. „Das trifft sich Alles so schlecht, als ob ein böser Stern über uns waltete. Der Präsident muß seine verwünschte Revision um fünf bis sechs Tage aufschieben!“
„Ach, wenn das wäre!“ seufzte Henriette.
„Der Mann ist auch mein Feind, da er die Ehre des Vaters meines Albert antasten will. Das darf nicht geschehen! O, rathen Sie doch, Henriette! Begreifen Sie denn nicht, daß ich eben so viel zu fürchten habe, als Sie? Albert ist Offizier – wie werden ihn die Kameraden anblicken, wenn man sich in der Stadt erzählte: der alte Rendant hat die fürstliche Kasse angegriffen, um – –“
„Um den Sekretair Bergt vom Schuldgefängnisse zu retten!“ fuhr Henriette fort. „O, sprechen Sie es nur aus, es ist ja die Wahrheit!“
Die beiden Freundinnen erschöpften sich in der Aufsuchung eines wirksamen Mittels – aber ihr Bemühen blieb vergebens.
Henriette weinte vor Schmerz, Cäcilie vor Zorn. Die Pendule schlug sieben. Henriette zuckte zusammen, denn sie erinnerte sich, daß die Zeit verfloß, und daß der Rendant ihrer wartete. Sollte sie ihn aufsuchen müssen, ohne Hülfe zu bringen?
„Mir bleibt Nichts übrig,“ sagte sie in kalter Entschlossenheit – „ich selbst muß zu dem Präsidenten gehen.“
„Sie, Henriette?“
„Ich allein trage die Schuld an Allem, was morgenfrüh geschehen kann. Es ist meine Pflicht, daß ich vorzubeugen suche. Bleibt mein Bemühen erfolglos, nun so mag Gott helfen!“
Cäcilie versuchte sie zurückzuhalten – es war vergebens. Der Regen hatte nachgelassen, aber ein schwerer Nebel lag über der Stadt, als die arme Henriette durch die Straßen eilte. Eine Viertelstunde später zog sie die Glocke an der Thür des Präsidenten.
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Henriette ward auf der erleuchteten Hausflur von einem Diener empfangen. Während sie den Wunsch aussprach, dem Präsidenten gemeldet zu werden, kam der Rath Bronner die Treppe herab. Ueberrascht grüßend ging er an der jungen Frau vorüber, denn er erkannte sie, trotzdem sie den Schleier vor das glühende Gesicht gezogen hatte.
Der Präsident befand sich allein, als der Diener Madame Bergt meldete. Er zuckte heftig zusammen bei diesem Namen. Nicht um einen Entschluß zu fassen, sondern um sich zu sammeln, zögerte er einen Augenblick mit der Antwort. An diesen Besuch hatte er nicht gedacht. Er befahl dem Diener, die Dame einzuführen.
„Der Rendant wirkt auf den Sekretair,“ flüsterte er mit einem satanischen Lächeln vor sich hin; „der Sekretair auf seine Frau, die ohne Zweifel wähnt, daß sie noch eine Gewalt über mich ausübt. In diesem Schritte liegt eine Demüthigung, welche die stolze Schöne zehnfach um mich verdient hat.“
Henriette trat schüchtern ein. Der zurückgeworfene schwarze Schleier zeigte ihr hochrothes, reizendes Gesicht. Die Bewegung ihres Busens ließ sich unter der dichten Hülle des seidenen Mantels deutlich erkennen. Es schien, als ob der Anblick des fein lächelnden Präsidenten sie der Sprache beraubt hätte, denn sie grüßte durch eine tiefe, ceremoniöse Verneigung, und blieb schweigend neben der Thür stehen. Das kleine Zimmer war hell von zwei Wachskerzen beleuchtet.
„Man hat mir Madame Bergt angemeldet,“ sagte der Präsident, ihr zwei Schritte näher tretend. „Empfange ich vielleicht die Gattin des Sekretairs Herrn Bergt?“
Henriette schöpfte tief Athem, dann antwortete sie ruhig und fest: „Der Sekretair Bergt, Herr Präsident, ist seit einem Jahre mein Mann.“
„Madame Bergt!“ rief Seldorf scheinbar überrascht, als ob er jetzt erst Henrietten in ihr erkannte.
„Sollten Sie nicht wissen, mein Herr, daß ich K. verließ, um dem Manne, den ich liebte, die Hand zu reichen?“
„Wahrlich nein! Sie waren so plötzlich verschwunden –“
„Sie vergessen den Ball am Geburtstage unsers Fürsten.“
„Ja, ja, ich sah Sie und entdeckte eine Ähnlichkeit mit einer jungen Dame, für die ich mich vor einigen Jahren lebhaft interessirte. Mögen Sie das Glück in der Ehe finden, das Ihnen zu bereiten einst mein sehnlichster Wunsch war.“
Er reichte der jungen Dame lächelnd die Hand, und führte sie zu dem Sopha. Henriette war so erschöpft, daß sie sich niederließ. Seldorf nahm ihr zur Seite seinen Platz.
„Was führt Sie um diese späte Stunde zu mir?“ fragte er höflich, aber mit einer Kälte, die der beobachtenden Henriette nicht entging.
„Eine Bitte, deren Erfüllung Ihnen nicht schwer werden wird, wenn ich Sie daran erinnere, daß Sie der Freund meines seligen Vaters waren.“
Der Präsident betrachtete lächelnd die kostbaren Ringe an seinen Fingern, indem er antwortete:
„Madame Bergt begeht einen Mißgriff in der Wahl des Mittels, das mich geneigt machen soll, wenn es überhaupt eines solchen Mittels bedarf. Die Erinnerung an jene Zeit wird durch einen Schatten getrübt, den kein Sonnenstrahl zu verscheuchen vermag. Sie sehen, ich bin offen –“
„Ich sehe, mein Herr, daß Sie mir die Stellung bezeichnen, die Sie mir gegenüber einnehmen wollen, und daß Sie auch mir die meinige anweisen,“ unterbrach ihn Henriette.
„Sie haben sich Ihre Stellung selbst gewählt, Madame, denn Sie sind die Gattin des Herrn Sekretairs Bergt.“
„Und in dieser Stellung bin ich stolz und glücklich!“ rief Henriette würdevoll.
„O, wer zweifelt daran, Madame! Sind Sie vielleicht gekommen, um mir dies zu sagen?“
„Nein, nein Herr, nein, obgleich ich den Antheil kenne, den Sie an meinem Geschicke nehmen.“
„Sie sind gereizt, Madame!“ sagte der Präsident. „Doch kommen wir auf den Grund zurück, der mir die Ehre Ihres Besuches verschafft.“
„Herr Präsident, Sie wollen morgenfrüh die Ehrlichkeit. des greisen Kassenrendanten Ernesti auf die Probe stellen?“
„Ah, das ist es! Nun?“ fragte er lächelnd.
„Ich bitte Sie, diese Prüfung bis zur Rückkehr des Fürsten aufzuschieben.“
„Warum, Madame?“
„Weil er zuvor mehre Papiere realisiren muß, die erst bei der Rückkehr Sr. Durchlaucht zahlbar sind. Diese Papiere vertreten eine Summe von dreitausend Thalern.“
„Ihre Bitte wirft ein trübes Licht auf die Ehrlichkeit des Rendanten, Madame.“
„So muß es scheinen.“
„Dieser Schein macht es mir zur Pflicht, eine genaue Revision vorzunehmen.“
„Und Nichts kann Sie bestimmen, davon abzustehen?“
„Nichts! Ich bin fürstlicher Diener, und darf die Obliegenheiten meines Amtes nicht versäumen. Sind die Papiere des Rendanten gut, so begreife ich nicht, warum er eine Revision fürchtet.“
„Er fürchtet nur, daß einer seiner Vorgesetzten dabei compromittirt werde.“
„Das fürchtet er?“ rief lachend der Präsident. „Der gute Mann ist um seine Vorgesetzten sehr besorgt! Aber warum sendet er mir eine so liebenswürdige Botin?“
„Ich komme aus freiem Antriebe; Ernesti weiß nicht einmal, daß ich diesen Schritt unternommen habe, den Niemand mehr zu würdigen wissen muß, als Sie. Doch ich sehe, ich habe mich getäuscht, und ziehe mich zurück.“
Henriette erhob sich.
„Wie schön sie ist!“ dachte Seldorf, der die junge Frau mit den Blicken verschlang. „Gewiß, Madame, ich weiß die Ehre Ihres Besuchs zu schätzen, und noch mehr die Ueberwindung, mit der Sie ihn abstatten,“ sagte er laut. „Sie weinen? Ihre Thränen rühren mich, aber ich kann sie nicht trocknen, wenn ich dabei meine Pflicht verletzen muß.“
Ich habe Ihnen in letzter Zeit aus Neapel und schon früher einmal aus Genua von Truppen und Kriegsschiffen geschrieben. Sehen wir uns jetzt auch andere Theile Sardiniens und zwar im Frieden an, zunächst meinen Aufenthaltsort Nizza.
Nizza mit seinem wundervollen blauen Himmel, seinem lachenden Meere vor sich und seinem großen Schutzpatron, der vor dem rauhen Norden und dem barbarischen Osten schützenden Felsenparthie, im Rücken, ist gleichwohl ein sehr langweiliger und eigentlich gar kein Ort. Er ist zunächst durchaus nicht italienisch. Von der nahen Grenze des kaiserlichen Frankreich würde er etwas Französisches haben, wenn er nicht zu englisch wäre. Als zu englisch hat er zugleich zu wenig von dem materiellen Komfort, der in wirklich englischen Städten die Leute für Langeweile und Farblosigkeit ihres Lebens entschädigt, denn er ist außer französisch auch russisch und deutsch. Nizza hat keine Individualität; es fehlt den 35,000 Einwohnern an Allem, was man charakteristisch oder interessant finden könnte. Die Leute haben nicht einmal alle die Schwindsucht, um derentwillen die Meisten sich hier aufhalten sollen. Dieses Privilegium, den Lungenleidenden als Labe zu dienen, hat die Stadt längst verloren, seitdem die Aristokratie und reiche Shopkeeperei Englands sich gewöhnt hat, sie zu ihrem Winterquartiere zu machen. Dies thun zwar auch Deutsche, Franzosen, und neuerdings besonders
[105][106] die Russen u. s. w., aber sie kommen gegen das englische Gepräge nicht auf. Englisch sind die Bademaschinen auf dem sonnigen Gestade, englisch die Kaufläden und Waarenlager, englisch die Apotheken und Restaurationen, englisch die Italiener-Waarenläden, die Klubs, die Doktors, die Juristen, die Agenten, die Diener und Dienstmädchen. Alles hat einen englischen Schnitt bis auf die Kinderhemdchen und Schnürleiber in den Schaufenstern. Der Engländer ist inwendig und zu Hause sehr gemüthlich, wie es heißt, aber er wohnt auch hier dreifach hinter Schloß und Riegel und ist immer zugleich nach allen Richtungen der Windrose exklusiv, so daß diese Engländer für uns andern Leute schlechterdings gar nicht da sind.
Von dem herrlichen Piemont, von der ganzen merkwürdigen „Einsiedelei des Liberalismus,“ wie hier eine Zeitung Sardinien nannte, von dem Leben und Streben der Nation, von den politischen Krisen in der Hauptstadt Turin, ja von Italienern bekommt man hier wenig oder gar nichts zu sehen und zu hören. Ich würde Ihnen also außer von einem Ausfluge nach Genua nichts Erlebtes mittheilen können, ohne Sie zu langweilen, wenn mich nicht ein liebenswürdiger junger Italiener, dessen flüchtige Bekanntschaft ich auf dem Wege gemacht, in’s Leben und in eine italienische Familie eingeführt hätte.
Als ich nämlich in der weichsten, heitersten Seeluft der „englischen Promenade“ („Promenade des anglais,“ wie sie hier allgemein genannt wird) umher schlenderte, begegnete mir der junge Herr mit einem alten Einarmigen, seinem Onkel, der als Oberst im Kriege gegen die Oesterreichs 1849 Invalide geworden war und sich unweit Nizza ein Gut gekauft hatte. Ich sah den Alten zum ersten, den Jungen zum zweiten Male, gleichwohl bekam ich von Beiden eine ganz ehrlich und herzlich gemeinte Einladung, der zu folgen ich durchaus keinen Anstand nahm.
Wohl Jeder hat von der Corniche-Straße – Riviera di Ponente – gehört, die Genua am Gestade des Meeres hin über und durch Felsen und Schluchten mit Nizza verbindet. Der Theil, welcher nach Latte, wo sich der Einarmige angekauft hatte, von Nizza aus führt, ist vielleicht der schönste und malerischste der berühmten Straße. Zuerst windet sich der Weg allmälig in die Höhe durch Wälder und Parke von Oliven, Cherubias, Cypressen und Orangen, die bald landeinwärts unbeschreiblich großartige Aussichten über Wiesen, Weiden, Dörfer und Städte und ansteigende, wilde, in reichsten Farbentinten abgestufte Gebirgslager, bald rechts auf den in’s Unendliche hinflimmernden Spiegel des Meeres eröffnen und einrahmen. Eine plötzliche Wendung führt dicht an die Kante der Felsen, die theils schnurgerade in’s Meer hinabsteigen, theils über dasselbe hinaushängen, da sich unten „der Tropfen, welcher Steine aushöhlt,“ geltend gemacht. An manchen Stellen übersieht man endlose Stufen von Hochlanden mit Meeresbuchten dazwischen, von Städten, die wie Nester an große Felsen angeklebt sind oder hervorragende freie Kämme von Berghäuptern bilden. Unten ruhte das Meer in glänzender Majestät wie ein endloser Spiegel für die dunst- und wolkenlose Schönheit des Himmels.
Hinter Turbia, einem durchweg aus alten römischen Ruinen gebauten Dorfe, senkte sich die Straße allmälig wieder und schlängelt sich hoch am Meere hin vor dem merkwürdigen Fürstenthume Monaco vorbei, dem kleinsten Staate auf Erden, dessen Hauptstadt gleiches Namens unter uns lag, als wäre sie eine der stolzesten Städte und grimmigsten Festungen. Sie streckt nicht nur viele Thürme empor, sondern sieht mit ihren Zickzackfestungswerken auch aus, als wollte sie die Souveränität ihres Staates gegen alle Großmächte der Erde vertheidigen. Der Weg zu ihr führt durch manche enge Windungen hinab. Der rauhe Felsenvorsprung, auf dem sie ruht, legt vom Lande her starke schützende Arme um sie, und bildet eine der lieblichsten Meeresbuchten. Noch abenteuerlicher liegt die zweite Hauptstadt dieses Liliputstaates, Roccabruna, nämlich auf dem ziemlich steil abfallenden Dache eines Felsen. Man begreift nicht, wie Leute überhaupt dort hinklettern konnten und wie sie es anfangen, um sich zu halten, daß sie nicht in’s Meer hinabrutschen. Mein Fuhrmann erzählte mir, daß die ganze Stadt vor etwa hundert Jahren ein paar hundert Fuß herabgerutscht sei, ohne irgend ein Gebäude zu beschädigen.
Durch Alleen und Haine von Rhododendron und Oleandern, durch Wälder von Feigenbäumen, deren dunkeles Grün feierlich kontrastirte zu den lachenden Kleidern der Olivenhaine, kamen wir nach Mentone, der dritten und letzten Stadt in dem Staate Florestan’s, Fürsten von Monaco und Herzogs von Valentinois, der die schweren Geldmassen, die er seinen Unterthanen abtrieb, leichtsinnig in Paris verschwelgte. Das Meiste schüttelte er ihnen mit dem Mehlbeutel seiner Windmühlen aus. Er war nämlich der einzige Müller seines Reiches, deren etwa 5000 Bewohner gesetzlich gezwungen waren, alle bei ihm mahlen zu lassen. Außerdem gehörten ihm auch alle Bäckereien, so daß er als sorgsamer, zärtlicher Landesvater für alle seine Unterthanen Brot buk, das schlechteste, berüchtigste Brot in ganz Italien. So weit ich meinem entsetzlich zwischen Französisch und Italienisch plaudernden Fuhrmann verstand, war der junge Beherrscher des Reiches unlängst mit einer feindlichen Armee von sechs Mann in den Thoren seiner Hauptstadt erschienen, um sich als Souverän zu proklamiren, der noch mehr Geld brauche, worauf ihn seine treuen Unterthanen mit Hülfe österreichischer Schutztruppen arretirt und wieder nach Paris geschickt hätten. – Die Schutztruppcn sollten hauptsächlich dazu dienen, den Plan des Landesvaters, sein Land an Nordamerika gegen eine hübsche Summe auf einmal zu verkaufen, nöthigenfalls mit Gewalt zu vereiteln. Der König von Sardinien hat sich mehrmals als Kauflustiger gemeldet, aber ihm gönnte er den schönen Keil seines Landes, der bei Nizza anfängt und bei Specia aufhört, durchaus nicht. Er möchte dem vom Lande durch Berge und vom Meere her durch freiheitliebendes Seewasser geschützten „Einsiedler konstitutioneller Freiheit“ den Keil eines fremden, mächtigen Staates in’s Herz stoßen.
Hinter Mentone wurde die Straße zuweilen wahrhaft erhaben. Düstere schauerliche Hohlwege zwischen grimmigen Felsen, welche das Meer einst im Zorne wie mit einer Riesenaxt gespalten zu haben scheint, unzuverlässige, liederliche Brücken über diese Klüfte und Spalten hin, lachende Pflanzen-, düstere Baumgruppen dazwischen geklemmt, belebt von malerischen Wanderern und Eselrittern (auch von zwei Pilgrimmen nach Rom aus Spanien, deren Geschichte mich hier zu lange ablenken würde) – kurz eine Naturmalerei, wie sie kein Achenbach, kein Calame künstlich auf die Leinwand hindichten könnte, ohne der Unnatur und Unwahrscheinlichkeit bezüchtigt zu werden.
Um eine Felsenecke herum eröffnete sich ein lachendes Thal mit einer alten Domaine zwischen Bäumen versteckt, die Besitzung des alten Soldaten. Ein Bauer wartete auf uns mit einem Maulesel, dem mein bescheidenes Gepäck aufgeladen ward. Durch Weinpflanzungen, Oliven- und Obstgärten näherten wir uns einem alten Thore, das noch Spuren ehemaliger Ornamente von Trophäen und Waffen trug. Innerhalb desselben wurden wir zunächst von einem großen Hunde empfangen, der seine beiden Vorderpfoten auf die Schultern des Bauern legte und ihm mit großer Herzlichkeit im ganzen Gesichte herumleckte. Dann kam der junge Herr und der alte Herr und dessen Schwester unter einem Hute, der ganz die Gestalt der chinesischen hatte, wie man sie auf Originaltheekisten abgebildet sieht, und halb in deren Kleidern versteckt die kleine briccona, die so wunderlieblich scheu und neugierig aus ihren mandelkernförmigen Augen, den sanften, langen Augen der Provence, auf mich blickte; dann kamen auch die Kühe und die Hühner und die lustig umherschießenden ganz kleinen, runden Hühner und Kinder, und ein langer Weg zwischen weißen Säulen mit Rosen und Wein umschlungen, und ein großer grüner Platz mit Palmen, Oleandern und Citronenbaumgrotten und in der Mitte desselben ein prächtiger Palast mit einer großen Doppeltreppe außen, die vom Porticus aus auf eine breite Plattform und von da in ein Vestibula mit großen Glasthüren führte. Durch letztere ward ich in die Sola, die Prachthalle, in das Besuchzimmer geführt, das auf der andern Seite durch eben so prächtige Glasthüren auf einen Balkon hinauslief, der über das Meer hinaushängend eine Aussicht bot, die ich nie vergessen werde. Das ruhige, sonnige, leuchtende Meer mit drei kleinen grünen Hochlanden, jedes mit der schimmernden Blüthe einer Stadt, im Hintergrunde duftende Grotten von Palmen und allerlei Blumen und Blüthen – alle Schönheit der Riviera in einem einzigen Bilde.
Als ich zu Tische eingeladen ward, entschuldigte sich die Herrin des Hauses, des Obersten Schwester, wegen ihrer einfachen Kost, die sonst nicht Mode sei. Der Oberst habe die verfallene ländliche Besitzung zu Ehren einer verfallenen, verwandten Adelsfamilie gekauft, und man müsse sich hier schon einfach einrichten, [107] da die Bequemlichkeiten, an die man sonst in Piemont gewöhnt sei, hier schlechterdings unerreichbar wären. – Wie luxuriös muß man in Norditalien leben gegen den Süden, da dieses Mahl ein ärmliches genannt ward! Der Speisesaal lag unter dem Prachtzimmer mit großen offenen Thüren gegen Garten und Park und gegen das Meer auf der andern Seite.
Unten ward mir ein Hausfreund, Signor Bonaventura Ricci aus Ventimiglia vorgestellt, ein mittelalterlicher, lebhafter Herr mit einem klugen, offenen Gesichte, ein Exemplar Jung-Sardiniens, gegen den Repräsentanten des alten, den Oberst, wie ich bald merkte. Die Mahlzeit war ein Muster simpler Hausmannskost Norditaliens, so daß ich fast den Speisezettel mittheilen möchte.
Signor Bonaventura weihete mich nachher auf einem Spaziergange durch die Gärten in die Geheimnisse des Citronenbaues ein. Die 500 Bäume dieser Besitzungen hätten in zehn Monaten über 100,000 Citronen gegeben, 30 bis 50,000 seien noch während der beiden andern Monate zu erwarten. Man ernte im Durchschnitte alle zwei Monate das ganze Jahr hindurch. In guten Zeiten bekomme man 50 Francs für jedes Tausend von Schiffskapitainen und Händlern, welche sie nach England und Amerika verschiffen. Citronen- und Olivenbäume werden, wenn sie gut aushalten sollen, aller drei Jahre mit wollenen Lumpen gedüngt, die man einen Fuß tief in einem Cirkel um den Baum herum eingräbt. Er zeigte mir einen Haufen dieser kostbaren Citronenerzeugungsmasse: abgelegte und abgefallene Lumpen der zerlumptesten Lazzaroni von Neapel, von wo sie hauptsächlich eingeführt werden. Jeder Baum verlangt etwa 20 Pfund solcher Speise und außerdem eine zärtliche Hütung, besonders gegen gewisse Insekten und Mehlthau, der sich in Form von schwarzen Flecken auf den glänzenden grünen Blättern ankündigt. In solchen Fällen werden alle Mädchen der Nachbarschaft, die Geld verdienen wollen, zusammengerufen, um jedes Blatt jeden Baumes sorgfältig erst naß, dann trocken abzuwischen.
Abends in der großen Sola wich das buccolische und idyllische Element der Politik. Und jetzt merkte man, daß man in einem freien Lande mit Preßfreiheit und großen Aufgaben, sich auf der Bahn der Freiheit zu halten, und deshalb auch unter Parteien lebte, die zu sprechen und zu streiten wissen. Es waren Zeitungen von Ventimiglia angekommen. Der Oberst und seine Schwester, aus einer alten Adelsfamilie, lasen nur die „Armonia“ (Harmonia) „die Kreuzzeitung“ Sardiniens und speciell Piemonts, worin das Land seit 1848 als am Vorabende einer „atheistisch-socialen Revolution“ stehend, geschildert wird. Die Aufhebung der Klöster wäre gleich der Verstopfung aller Lebensbrunnen der Nation. Die Klöster allein seien noch die Kultusstätten wahrer Religiosität und Achtung vor der „Autorität.“
Bonaventura und der Neffe gehörten zu „Jung-Sardinien“ und hatten unter dem Vorwande, daß man auch die Meinungen Anderer hören müsse, um sie gelegentlich bekämpfen zu können, die „Piedmontese Gazette“, „Il Parliamento,“ und sogar „Italia e Popolo,“ die Zeitung der Mazzinianer und „rothen Republikaner“ eingeführt. Letztere durfte aber „die Tante“ nie zu Gesicht bekommen, weil sie, wie er mir zuflüsterte, einmal beinahe ohnmächtig geworden, als der Neffe ihr wie zum Spaß einen Artikel daraus vorgelesen. Da sich übrigens bald die neunte Stunde näherte, lassen wir uns zum Abendessen und dann in’s helle, helle Mondlicht und die goldene und blaue Nacht am Gestade hinausfahren, blos um damit zu sagen, wie die höhern Stände hier leben und genießen.
Am nächsten Morgen brachte Bonaventura seine beiden Töchter mit, prächtige, reizende Exemplare der mezzo cetto-Sorte italienischer Mädchen, aber von zu ländlicher Einfalt. Sie wunderten sich immerwährend mit großen Augen, und getrauten sich kaum Ja und Nein zu sagen, so daß schlechterdings mit ihnen gar nichts anzufangen war. Sie wußten von A bis Z ganz und gar nichts, selbst nicht in Bezug auf Häuslichkeit, Kleiderstoffe, Moden, so daß sie sich, wie gesagt, immerwährend ungeheuer wunderten, auch über das merkwürdige Schauspiel, wie der Oberst seinen Hund im Meere badete. Aber schön waren sie bis zum Exceß und von so natürlicher Grazie in ihren einfachen, blauen Musselinkleidern und runden, schmucklosen Strohhüten. Der Vater merkte auch, daß ich mich über ihre Einfalt ärgerte, während ich von ihrer Schönheit entzückt war und sagte, daß seine Mädchen noch lange nicht zu den schlechtesten Produkten der hier üblichen Klostererziehung gehörten. Da sie erst vor einigen Wochen zurückgekehrt, werde er lange faule Geschichten aus- und gesunde Ansichten und Kenntnisse eintreiben müssen, ehe es menschlich in ihren Köpfen aussehen könne. Er ärgere sich jetzt oft genug, seiner Frau nachgegeben zu haben. Er selbst bewährte sich durchweg als ein kluger, praktisch erfahrener Mann, so daß ich mich auf unsern Wanderungen während des Vormittags hauptsächlich an ihn hielt.
Am Gestade fielen mir unter den Hütten der Fischer und Bauern ganz sonderbare Gebäude auf, hohe, schmale Thürme, die mit den Wohnungen nur durch hölzerne Ziehbrücken verbunden waren und sonst ganz isolirt standen. Bonaventura gab dazu prächtige historische Kommentare. Die Thürme waren Ueberbleibsel aus jener Zeit, als die Raubstaaten von Algier, Tunis und Tripolis noch auf dem mittelländischen Meere hausten, und die Korsaren nicht selten über Nacht diese Küsten überfielen, um Sachen als Beute und Menschen als Sklaven fortzuschleppen. Die Thürme dienten in solchen Fällen als Zufluchtsort für die Personen, die, wenn die Brücke aufgezogen war, wenigstens sich retten und halten konnten, wiewohl von ihrem Eigenthume nicht viel übrig blieb. Jetzt dienen die Thürme friedlicheren Zwecken. Nach gethaner Arbeit steigt der Bauer hinauf, und weidet sein Auge an seinen Kornfeldern, die hier aus Citronen-, Oliven-, Feigen- und andern Bäumen, auf denen „Italiener-Waaren“ wachsen, aus Schooten, Tomato’s und Melonen bestehen. Das eigentliche Korn und Brot die ganze cornische Straße entlang, zwischen Nizza und Genua, ist die Citrone, die geschützte Orte liebt, wie sie die Berge und Schluchten hier vortrefflich bieten. Jeder Baum gibt im Durchschnitt einen jährlichen Nettogewinn von zehn Francs (etwa drei Thalern), d. h. ein Jahr um’s andere beinahe zwanzig, da er sich jedes zweite Jahr ausruht und nur wenige Früchte liefert. Die Bauern, welche 1000 bis 1200 Bäume haben, gelten als wohlhabende, reiche Grundbesitzer. Selten findet man einen mit weniger als 500.
Nach den Citronen kommt das Olivenöl. Wenn die Früchte anfangen zu reifen und schwarz zu werden, legt man Tücher unter die Bäume und schüttelt sie leise. Die so gesammelten Früchte werden in besondern luftigen Räumen aufbewahrt, bis eine Ladung für die Mühle beisammen ist. Hier wird das klare, schäumende Oel erster Klasse ausgepreßt, das man selten im Handel echt bekömmt, da es durch das Oel zweiter Pressung aus den zermahlenen Oliven gar zu häufig schon getauft wird, ehe es den Producenten verläßt. Zuletzt wird Wasser auf die Steine und den Brei gegossen, welches das Oel in die Höhe treibt. Letzteres gehört dem Müller, der damit allein bezahlt wird.
Die dritte Haupt-Erwerbsquelle fließt von den Feigenbäumen. Ich sah überall lange Flechtwerke von Rohr, auf denen die Feigen getrocknet und dann in Kasten gepreßt werden, in welchen sie durch ganz Europa auf den Markt kommen. Die Feigen von Ventimiglia sollen denen von Smyrna nicht nachstehen. Durch alle diese schöne Naturindustrie ging eine erfreuliche Offenheit, ein nirgend eingezäuntes und abgeschlossenes Vertrauen. Die Gärten blühen und duften und zeitigen am offenen Meere in einladenster Fülle und Appetitlichkeit. Doch bewacht Niemand je seine Schätze und niemals vermißt Jemand nur eine einzige Frucht.
Wir waren bis Ventimiglia geschlendert, so daß der Abend herankam, ehe wir an Rückkehr dachten. Diese Verspätung verschaffte uns das reizendste, malerische Schauspiel einer hier berühmten, populären Art zu fischen, eines Fischfestes „alla fucina“ d. h. mit Fackeln von den duftigen Spänen der Meeresfichte. Die Späne sind im Hintertheile der Bote an Eisenstäbe befestigt und flackern und laufen nun mit vielen Dutzenden anderer ebenso illuminirter Boote durch das blendend scheinende Meer. Die feurigen Ritter des Meeres stürmen in alle die kleinen Buchten hinein, in welchen die Fische so gern schlafen, die nun von dem blendenden Lichte aufgeschreckt, nach allen Richtungen davon schießen, und dabei von der geschickten Hand der Fischer mit einem zwölf Fuß langen Spieße aufgestochen werden. Das Schauspiel, wie wir es vom Lande aus sahen, war von unbeschreiblich malerischem Effect und glich einer geisterhaften Schlacht übermenschlicher Wesen mit den Bewohnern der Tiefe. In hellster Beleuchtung sah man die Fischer in einer Leidenschaft, einem Eifer, einem dramatischen Leben, wie es sonst die Bühne nur in den effektvollsten Scenen letzter Akte zuweilen versucht. Uebrigens ist diese Fischerei alla fucina [108] an der ganzen italienischen Küste entlang eine Hauptlust der Fischer und des in Gondeln und Schiffen zusehenden Volkes.
Am folgenden Morgen bei Milchkaffee und Chocolade (zusammen zur beliebigen Wahl aufgetragen) war fast ausschließlich von Politik die Rede, die ich hier übergehe. Ich spielte, um das Gastrecht nicht zu verletzen, den Neutralen, den Unwissenden, und äußerte nur den Wunsch, mich näher zu unterrichten. Auch von unsern Ausflügen notir’ ich nur den nach Ventimiglia auf einem Felsen dicht am Meere. Er verdient wegen seines echt italienischen Charakters und Gegensatzes zu Nizza ein Wort. Als wir durch die engen, steilen Straßen hinauf holperten, füllten sich alle Fenster und Balkone mit liebenswürdiger Neugier, und es entstand ein allgemeines Grüßen und Verneigen vor uns, besonders dem ehrwürdigen Oberst, der fortwährend seinen grauen Schnurrbart drehte, und angelegentlichst wieder grüßte. Es war die liebenswürdigste Kleinstädterei in einer naiven, graziösen Weise, wie sie nur dem echten, unverdorbenen Italiener gelingt. In den großen Städten Italiens, jenseits Sardiniens, gibt’s mehr Fremde und Flöhe, als Italiener und Citronen, mehr Polizei und Kerker, als Orangen, glühend im dunkeln Laube. Italien kommt zunächst nur in dem felsengeschützten Sardinien wieder zu sich. Weil sich darüber zu viel sagen ließe, schweigen wir lieber ganz.
Der Dom von Ventimiglia, zum Theil aus Ruinen eines Junotempels gebaut, bot außer einem alten Steine mit eingegrabener Schrift (kostbares Kleinod für Antiquare und Philologen) und einer Almosenbüchse vor einem zerfallenen Madonnenbilde mit einer Bittschrift, worin sie bat, man möchte etwas hineinthun, damit sie sich verjüngen könne, nichts Merkwürdiges. Auch über andere Sehenswürdigkeiten eilten wir hinweg, um in ein Herz der Klosterfrage, das Lateranenserkloster zu kommen, ein großes, zerstreutes, mißtönig-düsteres Gebäude, bis zum Ende des siebzehnten Jahrhunderts Schloß der Grafen von Ventimiglia, die von hier aus lange kämpfend eine feudale Selbstständigkeit gegen kleine Nachbarstaaten oder mit denselben gegen das Haus Savoyen zu erhalten suchten, bis endlich die zahllosen kleinen Fürstenthümer, Grafschaften und Republiken, welche das jetzige Königreich Sardinien bilden, durch die Herrscher von Savoyen unterworfen wurden und nun als Theile eines respektabeln ganzen Staatskörpers Sicherheit, Ruhe, Ordnung und Freiheit finden.
Aber ich sehnte mich bald wieder hinaus, wie die kleine briccona, das niedliche Kind mit den langen, sanften, mandelkernförmigen Augen. – Wie heiter und schön grüßte uns jetzt die Meeresküste, als wir aus dem Kloster heraustraten!
Die schöne Küstenstrecke Sardiniens ist das Land, wo die Citronen blühen, im dunkeln Laube Goldorangen glühen; ein ewiges Blühen, Duften und Reifen der süßesten Erquickungen der Natur, ein ewiges Lächeln des Meeres, eine unerschöpfliche Malerei in Landschaften und Menschengesichtern, die so liebenswürdig sind, so treuherzig, so schön und so wißbegierig. Möge dem herrlichen Lande eine Zukunft werden, wie es sie verdient, wie ich sie mir schwärmend erträumte aus den langen, sanften, braunen Augen des Kindes.
Das schöne Kind war mir ein Bild der Zukunft, der Hoffnung für Italien. Freilich die nächste Zukunft hängt nicht von solchen Kindern ab, sondern von bärtigen Männern, besonders dem schnurrbärtigsten von Allen, dem Könige, den wir uns bereits früher und zwar in einem Portrait in Nr. 2 unseres Blattes[WS 1] angesehen haben und das unter den vielen Konterfei’s als das getroffendste gilt.
Es war am vierten Mai. Auf einer Reise im nördlichen Deutschland kam ich nach Christiansfeld. Ich beschloß hier Rasttag zu halten. Eigenthümliche Lebenserscheinungen haben immer ihren Reiz, zumal wenn sie mit dem Schleier des Geheimnißvollen umgeben sind, und das Herrnhuterthum trägt diesen Schleier in vielerlei Hinsicht, wie wenig es sich auch zu verbergen strebt.
Christiansfeld ist eine der jüngsten und bedeutendsten Niederlassungen, welche die Herrnhuter im Norden Deutschlands begründet haben. Angebaut am Tystruphof im Jahre 1773, nachdem die Gemeine Pilgerruh bei Oldeslohe wegen oppositioneller Schwierigkeiten von Innen und Außen hatte aufgegeben werden müssen, zählt Christiansfeld heutzutage etwa 60 Häuser mit 700 Einwohnern. Es wird von Westen nach Osten durch zwei kleinere Straßen, von Süden nach Norden durch die elegante Hauptstraße durchschnitten, die von Hadersleben nach Bolding führt. Die größere Hälfte des Orts ist die westliche. Hier befinden sich auch die größeren, nämlich die öffentlichen Gebäude: Gemeinsaal, Chor- und Anstaltshäuser. Die Privatgebäude sind fast durchweg einstöckig.
Der Ort trägt ganz das Gepräge, das den Gemeinorten eigenthümlich ist. Sauberkeit und Regelmäßigkeit der Straßen und Häuser, reges geschäftiges Treiben neben tiefer Stille, welche nur hin und wieder das Läuten einer Glocke vom Gemeinsaal oder aus den Chorhäusern unterbricht, städtische Verfeinerung bei ländlicher Prunklosigkeit und religiöse Einfalt inmitten socialer Vervielfältigung findet man in Christiansfeld, wie man sie in andern Kolonien der Herrnhuter wiederfindet.
Den vierten Mai feiern die ledigen Schwestern ihr Chorfest. Diese Gliederung der Gemeine in Chöre je nach Verschiedenheit des Geschlechtes, Standes und Alters ist einer der charakteristischen Grundzüge im Wesen des Herrnhuterthums. Jede Gemeine wird eingetheilt in das Chor der ledigen Brüder und der ledigen Schwestern, der verehelichten Geschwister, der Wittwer und Wittwen, der größeren Knaben und Mädchen und der Kinder. Jedes Chor hat einmal im Jahre sein besonderes Chorfest und fast jedes Chor aus seiner Mitte einen besonderen Chorarbeiter. Die Chorarbeiter sollen in möglichst vertrautem Umgang mit den Mitgliedern ihres Chores die Herzensgesinnung derselben bearbeiten und die Chorfeste sind dazu bestimmt, daß die Chorgenossen sich immer von Neuem auf ihren gemeinsamen Beruf in ihren besonderen Verhältnissen mit Gott verbinden sollen. Die Choreinrichtung überhaupt hat den Zweck, daß nicht nur jedem Einzelnen die Pflichten klarer und ununterbrochener vorschweben, die seinem Stand besonders eigen sind, sondern daß auch Bündnisse vertrauter Freundschaft, anständiger Geselligkeit und religiöser Gefühlserwärmung innerhalb der Gesammtheit entstehen, welche das Band gleicher Lebensverhältnisse und Erfahrungen umschließt. Aeußerlich durch ihre Tracht unterscheiden sich nur die Chöre weiblichen Geschlechts: an ihrem selten kleidsamen weißen Häubchen tragen die größeren Mädchen ein dunkelrothes, die ledigen Schwestern ein hellrothes, die verheiratheten Frauen ein blaues und die Wittwen ein weißes Haubenband.
Die Chorprinzipien sind schon zu Anfang des Herrnhuterthums vorhanden gewesen; sie werden aus der Bibel hergeleitet. Die Einrichtung der Chöre aber mit ihren Chorhäusern ist etwas allmälig Gewordenes, mit ihren Chorfesten etwas willkürlich Gemachtes. Sie ging vorzugsweise aus dem Bestreben hervor, die Geschlechter gesondert zu halten, und entwickelte sich ursprünglich aus den sogenannten Banden, kleinen Gesellschaften von Leuten einerlei Geschlechts, welche sich wechselseitig ermahnten, ermunterten und mit einander beteten. Das Chor der ledigen Brüder und das der ledigen Schwestern sind vielleicht die frühesten Chöre. Als die mährischen Flüchtlinge sich zuerst unter dem Grafen Zinzendorf sammelten und 1722 am Hutberg ansiedelten, wußte man noch nichts von ledigen Brüdern und Schwestern. Im Jahr 1728 zogen „die jungen Bursche um Verdachtes, bösen Scheines und unnöthiger Gedanken willen aus den Familienhäusern weg, in denen ledige Frauenzimmer wohnten.“ Noch im selben Jahre wurde der Umgang der Geschlechter förmlich verboten. Eine Wollspinnerin aus Mähren, siebzehn Jahre alt, die in der folgenden Zeit noch Gräfin Zinzendorf werden sollte, schloß am 4. Mai 1730 mit siebzehn ihr gleichgesinnten Jungfrauen den Bund, daß sie niemals einem Heirathsantrage Gehör geben wollten, welcher auf eine dem Sinne der Welt und des Fleisches, nicht aber den Sitten und [109] Ordnungen einer Gemeine Christi gemäße Art, d. h. direkt und nicht durch Vermittlung der „Aeltesten“ an sie gelangen würde. Ein Bäckergesell von sechzehn Jahren brachte vier Wochen nachher, auch unter den jungen Burschen einen näheren Anschluß zu Stande, dessen Tendenz sich jedoch weniger bestimmt aussprach. Die Stifter beider Verbindungen wurden deren Aelteste. Seit dieser Zeit prägte sich die Chorgliederung mehr und mehr aus, ward allgemeiner und strenger. Im Jahre 1736 gab es elf verschiedene Chorabtheilungen, und jeder Chorabtheilung wurden in Chorviertelstunden die Chorhomilien gehalten, in welchen das Verdienst der Menschheit Christi für jedes betreffende Chor auseinandergesetzt wurde. Die jungen Bursche, welche zuerst vom Wollekrämpeln und Spinnen für die Tuchfabriken einer benachbarten Stadt sich dürftig ernährt und sodann eigene Professionen angefangen hatten, erhielten, da ihre Zahl sich mehrte, im Jahr 1739 das erste Chorhaus, um darin beaufsichtigt und vor aller Versuchung bewahrt, ihre Professionen auf Rechnung der Gemeine schwunghafter fortzusetzen. Im Jahr 1740 wurde für den Inbegriff aller Chorabtheilungen die Bezeichnung als Brüderunität, für die „jungen Bursche und Jungfern“ der Name der „ledigen Brüder und Schwestern“ eingeführt. Am 29. August 1741 veranlaßte ein Kandidat der Theologie aus Thüringen, später Zinzendorf’s Schwiegersohn, Reichsfreiherr und Kirchenbischof, mit zwölf Altersgenossen, denen er Unterricht gab in keuscher Bewahrung der Seele und des Leibes, eine „engere Einrichtung der ledigen Brüder.“ In demselben Jahr kamen die Chorfeste auf, welche anfangs von einzelnen Chören an beliebige „Festgelegenheiten“ angeknüpft und in einem Jahre an dem, im andern an jenem Tage gefeiert wurden, bis sie auf der Synode von 1789 ihre endliche Feststellung erhielten.
Christiansfeld hat ein Chorhaus der ledigen Brüder, eins der ledigen Schwestern und eins der Wittwen. Im ersteren wohnen auch die größeren Knaben, im zweiten die größeren Mädchen; die verehelichten Geschwister leben mit ihren Kindern in den Privathäusern. Ich besuchte nur das Brüderhaus. Denn wenn auch im Schwestern- und Wittwenhaus Fremde Zutritt haben, so wird doch am Chorfest ein Besuch als störend nur ungern gesehen, und dann ist auch die Einrichtung und Lebensweise in allen Chorhäusern so ziemlich dieselbe.
Der Hausdiener führte mich zuerst auf den Chorbetsaal, den Speise- und Schlafsaal, sodann in die Werkstätten der Schuhmacher und Schneider, der Tischler, Bäcker und Fleischer, der Gerber und Seifensieder. Diese verschiedenen Gewerbe, wovon die beiden letztgedachten außer dem Chorhause betrieben werden, und die Seifensiederei zur Hälfte der Gemeine Christiansfeld gehört, bilden die „Chordiakonie des Brüderhauses,“ welche Eigenthum der Unität sämmtlicher Brüdergemeinen ist. Beschäftigt sind in den Gewerben meist nur Junggesellen, die jedoch nicht immer Mitglieder der Gemeine zu sein brauchen. Jeder Einzelne, Meister oder Gesell, erhält von der Diakonie den Lohn für seine Arbeit, deren Gewinn oder Verlust der Diakonie zufällt, und vom Arbeitslohn hat er seinen persönlichen Unterhalt zu bestreiten, wenn er sonst nicht von Renten zu leben vermag. An der Spitze der ganzen Genossenschaft steht ein „Vorsteher,“ der die Verwaltung und Kontrole des äußeren Haushalts, und ein „Pfleger,“ welcher die Leitung des inneren Chorlebens hat. Sämmtliche Chor- und Gemeinediakonieen der Herrnhuter sind durch den Grundsatz: „keine derselben jemals fallen zu lassen,“ in einen gegenseitigen Bürgschafts- und Unterstützungsverband gebracht, in welchem sie ein Ganzes, eine Unität ausmachen, und indem die Unität für die Verpflichtungen der Einzeldiakonieen in letzter Instanz haftet, ist jedes Diakonievermögen nur insofern Eigenthum des betreffenden Gemein- oder Chorverbandes, als derselbe einen Theil der Unität bildet.
Das Leben im Chorhaus ist ein stilles, fast eintöniges. Die Leidenschaften sind zwar nicht außerhalb der Pforten zurückgelassen, aber doch innerhalb derselben sorgfältig eingedämmt und enge umzäunt. Vergnügungen, durch welche sie geweckt oder genährt werden könnten, sind in den Chorordnungen strenge verpönt, und jeder Stubenvorgesetzte hat darüber zu wachen, daß auf seiner Stube den Chorordnungen nicht zuwider gehandelt wird. Früh um sechs Uhr wird das Tagewerk mit dem Morgensegen eröffnet, bei welchem der Pfleger oder einer der Meister die „Loosung“ nebst „Lehrtext“ verliest; spät um neun Uhr wird es mit dem Abendsegen geschlossen, der im Absingen einiger Liederverse besteht. Beide Chorversammlungen finden auf dem Chorsaal statt, während die gemeinschaftliche Abendversammlung für alle Chöre der Gemeine um sieben Uhr auf dem Gemeinsaal gehalten wird. Jeder Bruder braut sich seinen Frühtrank und seinen Mittagskaffee selbst; er macht sein Bett selbst, denn bei der Revision des Schlafsaales um acht Uhr Vormittags würde der Hausdiener das Versäumte gegen eine Vergütung nachholen, und die Küchenbrüder bereiten das Mittag- und Abendessen für diejenigen Mitglieder des Chores, welche nicht vorziehen, ihre Kost in Familienhäusern zu nehmen. Im Allgemeinen zeichnen sich die Brüder durch einen gewissen Anstrich von Bildung aus, die zunächst wohl aus dem häufigen Anhören kirchlicher Vorträge, aus dem vielen Lesen guter Bücher erwächst und selbst beim gemeinsten Mann durch eine überraschend reine Aussprache sich kund gibt; eben so scheinen sie aber auch an einer gewissen Unbeholfenheit und Schwerfälligkeit der Umgangsformen zu leiden, welche nicht minder in der Einrichtung ihres Chorlebens den Entstehungsgrund haben dürfte. Im Verkehr mit edlen Frauen wird das Aeußere des Mannes am ersten abgeschliffen und verfeinert.
Die Chorhäuser sind zugleich Pflanzschulen der Missionäre. Es fehlt nicht an Brüdern, die sich zum Missionsdienst melden. In der Gemeine ist ihnen die Gründung eines eigenen Hausstandes erschwert, der Missionsdienst rettet sie vor wahrscheinlichem Cölibat, und sichert ihnen eine lebenslängliche Versorgung. Die jetzigen Missionäre brauchen nicht mehr mit einem Dukaten Reisegeld auf ihren Posten zu gehen, wie weiland Leonhard Dober, noch wenn sie vom Posten zurückgekehrt sind, sich wie Georg Schmidt vom Holzspalten oder Straßenkehren zu nähren, und Conrad Lange, der auf einer Wanderung von vier Jahren, sein Gepäck auf einem Schiebekarren mit sich führend, durch Deutschland, Polen und Rußland bis an die Grenzen von China vordrang, hat in der Gegenwart Nachfolger so wenig, wie das „Pilgerrad“ überhaupt Mitglieder gefunden.
Das Missionswerk der Herrnhuter ist neben dem Erziehungsfach ein hauptsächliches Feld ihrer Thätigkeit. Unleugbar ist diese Thätigkeit eine verdienstliche. Indem sie christliche Religion und europäische Gesittung dem Wilden zuführen, heben sie ihn aus seinem Naturzustand herauf in den Kreis dessen, was das Christenthum vor dem Heidenthum und die Civilisation vor der Barbarei voraus hat. Ihre Missionäre haben den Buschmann seiner Diebereien, den Fingu seiner Raubzüge, den Grönländer seiner Meuchelmorde entwöhnt, und den verthierten Negersklaven Guiana’s leiten sie an, durch eine größere Treue und Zuverlässigkeit sich eine menschlichere Behandlung zu erwerben, oder sie geben ihm Trost und Erhebung in seinen Leiden.[1]
Auf der Küste von Labrador hat vor 1770, in welchem Jahre eine Herrnhutermission daselbst gegründet wurde, kein Europäer eine Nacht bleiben dürfen. Als der Bischof Michael Langguth 1749 zur Visitation auf St. Thomas war, fragte ihn der Gouverneur ob er auch das Kastell schon gesehen habe, und zeigte ihm vom Fenster aus die Plantage der Brüder. „Die,“ sagte er, „macht unsere Sicherheit auf dieser Insel, und daß ich eine Nacht ruhig außer dem Fort auf meiner Plantage schlafen kann, was ich sonst nicht wagen durfte.“ Und als im Jahr 1765 die farbige Bevölkerung von St. Thomas sich wegen eines Sklavenaufsehers gleichwohl empörte, hat die Drohung der herrnhutischen Missionäre, daß sie jeden Empörer vom Abendmahl ausschließen würden, den Aufstand unterdrückt.
Den Anstoß zum Missionswerk gab eine Reise des Grafen Zinzendorf. Er suchte 1731 am dänischen Hofe „ein Engagement, welches ihn mit guter Art aus dem sächsischen Justizdienst brächte und in Dänemark nicht vinkulirte.“ In Kopenhagen lernte er zwei Grönländer und einen Mohren aus St. Thomas kennen. Ihre Schilderungen trafen ihn, und sein Bericht bei der Rückkehr nach Herrnhut traf die Gemeine vorbereitet. Denn Zinzendorf hatte schon als fünfzehnjähriger Knabe einen „Specialbund zur Heidenbekehrung“ mit seinem Mitschüler Wattewille geschlossen und die Gemeine hatte schon seit 1728 ihre jungen Bursche „in Medizin, Geographie, Schreiben und Sprachen unterrichten lassen, damit sie dergleichen einst als Sendboten gebrauchen könnten.“ Als der Mohr selbst in Herrnhut erschien und hier die Lage seines Volkes nochmals vorstellte, erklärten sich Mehrere sofort bereit, die [110] Einen nach St. Thomas, die Andern nach Grönland zu gehen. Jene wurden am 21. August 1732, diese am 19. Januar 1733 auf ihre Posten abgefertigt.
Besonders die Mähren wendeten sich dem neuen Berufe zu. In kühnem abenteuerlichen Wagen erprobter als die übrigen Einwohner von Herrnhut, zogen sie aus mit wenig Mitteln nach Nord und Süd und suchten in Tranquebar, auf Ceylon und den Nikobaren, unter Indianern von Nordamerika, Freinegern von Surinam, Kopten von Abyssinien, Ghebern von Persien, Christensklaven von Algier, Negern von Guinea und Kalmücken von Astrachan Raum zu gewinnen für sich selbst wie für ihre Landsleute, die man in Herrnhut nicht länger aufnehmen durfte.
Die Geschichte dieser ersten Missionäre ist reich an heroischer Gesinnung und That. Als sie hörten, daß man in Grönland keine Häuser bauen könnte, sagten sie: „So wollen wir uns in die Erde graben!“ und als sie erfuhren, daß man in Westindien, um mit den Sklaven zu verkehren, die Arbeit derselben theilen müsse, faßten sie den Entschluß, „sich zu Sklaven zu verkaufen.“ Nach Surinam und Berbien mußten in langer Zeit alljährlich Missionäre nachgeschickt werden, die Lücken auszufüllen, welche das Fieber in ihre Reihen riß, und man betrauerte in Europa noch den Verlust der ersten Opfer, als sich schon wieder neue anboten. Johannes Sörensen, von Zinzendorf gefragt: „willst Du morgen nach Grönland gehen?“ antwortet: „Ja, wenn ich ein paar Schuhe bekomme!“ und am folgenden Tage war er auf der Reise. Georg Weber, von Zinzendorf bei der Einfahrt in den Hafen von St. Thomas darauf vorbereitet, daß sie vielleicht keinen Missionär auf der Insel mehr am Leben fänden, erwiedert: „Nun, so sind wir da!“ Gottlieb Israel scheiterte bei Tortola und rettete sich auf eine Klippe. Während sein Gefährte, der Studiosus Feder, vor seinen Augen vom Meere verschlungen wird, segnet er ihn ruhig zur „Heimfahrt“ ein und während er selbst, ein lahmer Krüppel, jeden Augenblick in Gefahr ist von der Klippe heruntergespült zu werden, singt er wohlgemuth im Tosen der Brandung den Lieblingsvers der ledigen Brüder:
Ihr Mauerzerbrecher, wo sieht man euch?
Die Felsen, die Löcher, die wilden Sträuch’,
Die Inseln der Heiden, die tobenden Wellen
Sind unsre vor Alters bestimmten Stellen.
Gegenwärtig, wo das Missionswerk mit mehr Geldmitteln und weniger Begeisterung getrieben wird, sind in Grönland und Labrador, unter den Indianern von Nordamerika, auf den drei Inseln des dänischen und auf fünf Inseln des englischen Westindiens, in Surinam und auf der Südspitze von Afrika Missionen, die noch aus früherer Zeit herstammen, sowie in Neuholland und auf der Mosquitoküste, welche erst neuerdings unternommen wurden. Wiederholt ist auch ein Versuch für Thibet und die Mongolei gemacht worden, bisher jedoch ohne Erfolg. In diesen 14 Missionsprovinzen arbeiten 300 Missionäre auf 70 Missionsstationen. Die Zahl ihrer Pfleglinge beträgt 70,000. Das ist eine kleine Zahl bei der langen Dauer des Missionswerkes und bei den großen Opfern an Menschen und Geld, welche demselben gebracht worden sind. Indessen ist es den Herrnhutern nicht um Massenbekehrungen zu thun; sie taufen nur die Heiden, welche Rede und Antwort von den Hauptpunkten der christlichen Lehre geben können, und ihren Missionären wurde schon 1742 die Instruktion ertheilt: „nicht auf ein Netz es anzutragen, darin man Alles zusammenfaßt, sondern auf eine Auswahl, ein Bündlein der Lebendigen.“
Der jährliche Kostenaufwand für das Missionswerk beläuft sich auf ungefähr 90,000 Thaler. Einen beträchtlichen Theil dieser Summe nimmt die Erziehung der „Missionskinder“ in Anspruch. Die Missionäre nämlich sind gehalten, ihre Söhne und Töchter im zartesten Lebensalter von sich und nach Europa zu geben, wo sie das „Missionsdepartement“ – meist in den Pensionsanstalten von Kleinwelka – erziehen läßt. Freie Gattenwahl ist den Missionären erst seit 1848 zugestanden. (Schluß folgt.)
Die römische Architektur, welche recht eigentlich zur Dienerin des Lebens wurde, eröffnete sich ein unendlich weites Feld für ihre Thätigkeit. Nicht der Tempel allein ist es mehr, dem eine ideale Ausbildung gebührt; das ausgebildete Rechtssystem erforderte eine Menge von Basiliken, die zugleich dem geschäftlichen Verkehr des Tages eine schirmende Stätte boten. Den Angelegenheiten des Staates diente das Forum mit seiner complicirten, großartigen Gestaltung; die leidenschaftliche Lust der Römer an Schaudarstellungen aller Art rief die, meistens riesenhaften Anlagen der Theater, Circus, Amphitheater hervor; dem öffentlichen Vergnügen, überhaupt waren die kolossalen Gebäude der Thermen (ursprünglich warme Bäder) geweiht. Sodann brachte die Sitte, ausgezeichneten Personen Denkmäler zu errichten, die prächtig geschmückten Triumphthore, die Ehrensäulen und Grabmonumente hervor. Die Paläste, Villen und Wohnhäuser überboten sich einander an Glanz und Größe; unübertroffen sind aber die Nützlichkeitsbauten (Brücken, Wasserleitungen, Heerstraßen und Befestigungen) der Römer.
Aus der früheren Epoche der römischen Architektur, welche die ersten Zeiten der Republik umfaßt, wissen wir nicht viel; nur daß die Anlegung der berühmten Heerstraße, der Via Appia, sowie der Bau großartiger Wasserleitungen schon in jene Periode fällt, ist bekannt. Auch das Forum der Stadt Rom erhielt damals bereits eine bedeutsame Anlage. Erst gegen 150 v. Chr., als Griechenland römische Provinz geworden war, begann eine höhere Entwickelung der Architektur. In jener Zeit wurden in Rom die ersten prachtvollen Tempel (des Jupiter Stator, der Juno) ausgeführt. Besonders aber gehört die erste großartige Ausbildung der Basiliken in ihrer römischen Eigenthümlichkeit jener Zeit an. – Den Höhepunkt ihrer edelsten Blüthe erlebte die römische Architektur unter Augustus.
In der Augusteischen Periode entstanden prachtvolle Tempel (des Quirinus), das Pantheon, die großartigen Thermen des Agrippa, das Theater des Marcellus, das riesige Mausoleum (Grabdenkmal) des Augustus u. s. f. Was uns aus dieser Zeit (aus welcher auch Vitruv’s architekton. Lehrbuch stammt) enthalten ist, zeichnet sich durch eine gewisse Harmonie und einfachen Adel der Verhältnisse vortheilhaft aus. – Zur Zeit des Titus treten gewisse römische Eigenthümlichkeiten schärfer hervor, wie denn auch an seinem Triumphbogen
[111] das römische Kapitäl zuerst vorkommt (70 nach Chr.). Charakteristisch für diese Epoche sind die Gebäude von Pompeji, an denen übrigens der dorische Styl vorwiegt. Auch das Kolosseum, jenes riesige Amphitheater verdankt dem Titus seine Vollendung. Nach ihm zeichneten sich Trajan und Hadrian durch ihre Bauthätigkeit aus. – Von Anfang des 3. Jahrh. nach Chr. bis zur Mitte des 4. bricht immer entschiedener der Verfall herein. Er machte sich durch ein unruhiges, unharmonisches Wesen in der Architektur, sowie durch phantastische und üppige, den asiatischen Völkern entlehnte Formen (der erste Rokoko) bemerkbar.
Von den römischen Gebäuden sind eine Menge auf unsere Zeit gekommen. Nur von den Tempeln, welche meistens der Anordnung des griechischen Tempels folgten, sind gewöhnlich nur geringe Reste der äußeren Säulenhallen stehen geblieben, wie vom Tempel des Capitolinischen Jupiter, des Mars Ultor, der Minerva oder des Jupiter Stator, des Antonius und der Faustina u. s. w. Besonders charakteristisch für die römische Architektur und ihr vorzugsweise eigenthümlich sind die runden Tempel und die gewölbten Tempel. – Einer der imposantesten Reste römischer Architektur und vollständiger als jeder andere erhalten ist das Pantheon, vom Baumeister Valerius unter Augustus erbaut. Es war ursprünglich ein zu den Thermen des Agrippa gehörender Nebenbau, zugleich als Tempel dem Jupiter Ultor geweiht. – Eine wichtige Gattung römischer Gebäude, die auch eine eigenthümliche Ausbildung erfuhr, waren die Basiliken, welche zum Sitze für Gerichtshof und Geschäftsverkehr dienten, und in mehrere Räume abgetheilt (drei- und fünfschiffig) waren. Berühmt sind die B. Julia, Aemilia und Fulvia. – Dem Forum (dem Mittelpunkte des staatlichen Lebens, wo sich das Volk zu Berathungen und Versammlungen einfand) gaben die Römer eine großartigere Durchführung als die Griechen; es war meist kostbar ausgestaltet, mit Marmorplatten gepflastert, mit Bilderwerken, Ehrensäulen, Triumphpforten geschmückt und rings von schattigen Säulen umzogen; in seiner Nähe standen in reicher Gruppirung die Tempel, Basiliken und andere Prachtgebäude. Das Forum Trajanum übertraf alle übrigen Fora (von Cäsar, Augustus, Domitian. Nerva). – Von den Nützlichkeitsbauten ist vorzüglich der Aquädukt des Claudius, die jetzige Porta Maggiore in Rom, und die berühmte Via Appia erwähnenswerth. – Das Theater wurde von den Römern mit verschwenderischem Luxus ausgestattet; doch sind nur wenig Reste davon zu uns gekommen. – Noch großartigere Bauten als die Theater waren die für blutige Kampfspiele bestimmten Amphitheater; unter ihnen ist das als Kolosseum bekannte Flavische Amphitheater zu Rom, von Vespasian begonnen und von Titus im Jahre 80 nach Chr. vollendet, das berühmteste. – Hierher gehört auch der Circus, ein Schauplatz für die Wettläufe der Wagen und Reiter. – Complicirte, fast labyrinthische Prachtbauten von kolossaler Anlage, die oft ein ganzes Stadtviertel einnahmen, waren die Thermen, in denen sich Schwimmbassins, offene Höfe mit Säulenhallen für die Ringer, Säle für das Ballspiel, für freie Unterhaltung, Bibliotheken, ja selbst Gemäldesammlungen befanden, und die mit kostbaren Kunstwerken, Bildsäulen, Skulpturgruppen u. s. w. ausgeschmückt waren.
Die erheblichsten Ueberreste solcher Bauten sind die Thermen des Titus, des Caracalla, des Diokletian (in denen 3200 Personen zugleich baden konnten) und des Agrippa (mit dem Pantheon). – Die Ehrendenkmäler, welche durch Beschluß des Senats und der Volksversammlung den heimkehrenden Siegern oder in späterer Zeit den Cäsaren errichtet wurden, waren meistens prachtvolle Triumphthore (des Titus 70 nach Chr., des Trajan 103 nach Chr., des Severus und Konstantin); oder Ehrensäulen, kolossale einzeln stehende Säulen, welche das Standbild der Cäsaren (des Trajan, Marc Aurel) trugen. – Die Grabmonumente waren entweder unterirdische gewölbte Kammern (Columbarien) mit kleinen Nischen für die Aschenkrüge, oder freistehende Grabmäler von der Form des Tempels, des Altars, der Pyramide oder eines thurmartigen Rundbaues, welcher letztere durch Verschmelzung mit der Pyramidenform bei kolossaler Ausbildung die riesigen Mausoleen [112] (des Augustus, Hadrian) darstellte. – Auch die Privat-Architektur war bei den Römern glänzend und verschwenderisch entfaltet; dies zeigte sich ebenso an den Wohngebäuden, wie an den Palästen und Villen (Landhäusern) der Vornehmen. Die Ausschmückung der Wohnungen bestand hauptsächlich in Wandmalerei, wie sie zur Zeit noch in Pompeji und Herculanum sichtbar ist.
Nach dem Verfalle des Römerthums entfaltete sich die Architektur in Folge der Herrschaft des Christenthums und des Islams nach zwei verschiedenen Richtungen, deren Mittelpunkte Rom und die neugeschaffene Hauptstadt des oströmischen Reiches, Constantinopel, bilden. (Davon später.)
Ein Bataillon Frauen. Ein Augenzeuge gibt im Pariser „Moniteur
de l’Armee“ folgende Schilderung des Heeres des Königs von Siam, der
vielleicht nächstens in dem indisch-persischen Kriege eine Rolle spielen wird.
Unter den verschiedenen Korps, aus denen das Heer Siam’s zusammengesetzt
ist, fesselt Eines besonders die ganze Aufmerksamkeit des Fremden, nämlich das
Bataillon Frauen, welches die Leibgarde des Königs bildet. Es besteht
dieses Bataillon aus vierhundert Frauen, mit der möglichsten Sorgfalt
aus den schönsten und rüstigsten jungen Mädchen des Landes gewählt.
Dieses Korps ist ungewöhnlich reich besoldet und eben so vollkommen disziplinirt.
Mit dem dreizehnten Jahre treten die weiblichen Gardisten in
das Korps und gehören mit dem fünfundzwanzigsten zur Reserve. Dann
verlassen sie den persönlichen Dienst des Souveräns und werden bis zu
ihrem Hinscheiden als Hüter der königlichen Schlosser und Domänen verwandt.
Beim Eintritt in’s Heer legen sie das Gelübde der Keuschheit ab,
das sie nur dann brechen können, wenn sie vorn Könige ausersehen werden,
unter die Zahl seiner gesetzmäßigen Weiber zu treten, was zuweilen
stattfindet. Bei dieser Wahl läßt sich der König mehr von seinem Vortheile,
als von seinen Gefühlen leiten: denn es fällt dieselbe nicht auf die
schönsten, sondern auf diejenigen Frauen, die sich durch ihre Gewandtheit
in der Handhabung der Waffen und in den kriegerischen Uebungen
hervorthun. Natürlich hält die Hoffnung einer solchen auszeichnenden
Belohnung in dem ganzen Bataillon einen ungewöhnlichen Wetteifer rege,
– gerade eine Hauptursache, daß die Frauenschaar die Europäer durch ihr
kriegerisches Auftreten, ihre Gewandtheit in allen Uebungen und ihre musterhafte
Disziplin zur Bewunderung zwingt. Das Costüme dieser Frauen
ist äußerst reich. Ihre Paradeuniform besteht aus einer weißen wollenen
Robe von dem feinsten Stoffe und reich in Gold gestickt, die bis auf die Knie
reicht. Darüber tragen sie ein leichtes, geschmeidiges Panzerhemd und zum
Schutze des Oberkörpers einen vergoldeten Panzer; die Arme sind frei,
um sie nicht in der Handhabung der Waffen zu hindern. Den Kopfschmuck
dieser Kriegerinnen bildet ein schön geformter, vergoldeter Helm. In diesem
Anzuge, der nur bei feierlichen Gelegenheiten, Hoffesten etc. getragen wird,
sind sie einfach mit einer Lanze bewaffnet, die sie mit bewunderungswürdiger
Geschicklichkeit führen, Ihr gewöhnliches Kostüme in einfacher, und
dann besteht ihre Waffe in einer Flinte, die sie nicht minder geschult handhaben.
Das Bataillon besteht aus vier Kompagnieen, jede zu hundert Frauen,
unter dem Befehl Einer, welche Hauptmannsrang hat. sobald diese Letztere
stirbt, versammelt sich ihre Kompagnie sofort zu dreitägigen Waffenübungen
in Gegenwart des Königs, welcher die Fähigste und Geschickteste
zu der Anführerstelle aus der ganzen Compagnie wählt. Seit fünf Jahren steht
das Bataillon unter dem Oberbefehle einer Frau, welche im Jahre
1851 bei einer Tigerjagd dem Könige durch ihren persönlichen Muth und ihre
Gewandtheit das Leben rettete. Sie genießt ein hohes Ansehen bei Hofe
und hat die größte Autorität über ihre Gefährtinnen. Ihr Hausstand ist
völlig dem eines Mitgliedes der königlichen Familie gleich, und zehn Elephanten
sind ihrer Verfügung angewiesen. Keinen Feldzug unternimmt
der König ohne Begleitung seiner weiblichen Leibgarde; er macht keine
Jagdparthie, keinen Spaziergang, ohne von einer Abtheilung derselben begleitet
zu sein, da die Ergebenheit der Leibgarde für seine Person eine
grenzenlose ist. Jede Frau des Bataillons hat fünf Negerinnen zur Bedienung,
braucht sich also gar nicht um ihren Haushalt, ihre Toilette zu
kümmern, kann sich vielmehr ganz dem ruhmreichen Waffenwerke widmen.
Amtliche Indianerjagd. Ein Indianeragent in Florida fordert in einer offiziellen Bekanntmachung zum Einfangen, resp. zur Anwerbung von Indianern auf. Dieselben müssen in ein Fort abgeliefert und sollen nach dem Westen abgesandt werden. Die ausgebotenen Preise sind nicht unbeträchtlich: 250 bis 500 Dollars für jeden Krieger, 150 bis 200 Dollars für jede Squaw, 100 bis 200 Dollars für jeden Knaben über zehn Jahre. Das Maximum soll für jedes rüstige Individuum, für Kranke und Altersschwache je nach Abschätzung, jedoch nie weniger als das oben genannte Minimum, bezahlt werden. Für Kinder unter zehn Jahren wird kein Cent vergütet; ob man sie nach Einfangung ihrer Eltern und Geschwister sich selbst zu überlassen gedenkt, ist aus der Bekanntmachung nicht zu ersehen. Es ist dies wohl eine neue Art der Kriegsführung, von der es sich nicht leugnen läßt, daß sie ihre überraschenden und pikanten Seiten hat. Für 100 bis 500 Dollars unterzieht man sich schon einer Strapaze und im Nothfall auch einiger Gefahr. Man wird den Indianern Schlingen und Gruben jeder Art stellen, wird sich ihnen unter dem Anscheine freundlicher Absichten nähern und sich ihrer dann bemächtigen; man wird großartige Treibjagden veranstalten und allen Scharfsinn aufbieten, das edle Wild nicht zu verletzen, weil eine Hieb-, Stich- oder Schußwunde den Werth desselben verringern würde. Der Zweck des liebenswürdigen Aufgebots und die Bestimmung der Eingefangenen wird nicht ausgesprochen. Will man auf diese Weise Florida von Indianern säubern, so verdient der Umstand, daß nur für Lebende und nicht für Todte Preise ausgeboten werden, lobende Anerkennung. Aus dem Umstande, daß so besonderes Gewicht auf das Alter und die körperliche Beschaffenheit der Aufgejagten gelegt wird, scheint hervorzugehen, daß man sie irgendwo im Westen zu irgend Etwas zu benutzen und auf diese Weise den Kaufpreis wieder einzubringen gedenkt. Will man sie als Heloten in Texas und Mexico anbringen, oder, wie die Chinesen, als freiwillige Lehrlinge nach Kuba senden? Wir wissen es nicht, müssen aber noch einmal dem Agenten, welcher nicht zur Einbringung von Köpfen, sondern von lebenden Menschen auffordert, unsere aufrichtige Bewunderung zu erkennen geben. Nach Ausspruch des Kongresses sind die Indianer als selbständige Nationen zu betrachten. Daß man auf solche Jagd zu machen pflegt, haben wir freilich nicht gewußt.
Ein südamerikanisches Urtheil über Leipzig. Während meines Aufenthaltes in St. Jago, der Hauptstadt der Republik Chile in Südamerika, fiel mein Auge eines Abends im Hotel auf ein Zeitungsblatt, el Ferro-carril (die Eisenbahnn und nicht wenig erstaunt war ich, in einem Artikel des Feuilleton das Wort „Leipzig“ zu finden. Als Leipziger nahm ich mit Interesse das Blatt zur Hand und las mit Vergnügen einen Reisebericht, den ein Chilene, der von 1853-55 in Europa gereist war, seinen Landsleuten vorlegte. Sein Urtheil über Leipzig gebe ich hier wörtlich wieder und ich hoffe, daß es von den Leipzigerinnen nicht allzu ungünstig aufgenommen werden wird.
„Nach einem angenebmen und nützlichen Aufenthalte von zwei Tagen in Freiberg, reisten wir nach Leipzig, der zweiten Stadt Sachsens, berühmt durch seine Universität, welche auch Leibnitz und Goethe unter ihre Schüler zählt. Jetzt ruht seine größte Wichtigkeit auch mit in den Buckdruckereien und dem Buchhandel, welchen es mit ganz Deutschland unterhält, denn es ist der Brennpunkt der intellektuellen Thätigkeit dieser großen Nation, welche nur von Intelligenz lebt. Alle Jahre vereinigen sich in den beiden großen Messen über 600 Buchhändler, die in ihren Geschäften einen Umsatz von zwei Millionen Species geben.
„Die Stadt besteht aus drei oder vier großen Straßen mit alten und hohen Gebäuden, die sich in verschiedenen Ricktungen innerhalb der Stadtmauern jetzt in öffentliche Spaziergänge verwandelt ausdehnen, und durch enge und krumme Gäßchen verbunden sind. Ein großer und alterthümlicher Platz als Markt dienend, nimmt den Mittelpunkt der Stadt ein und ist, wie die größere Anzahl der Straßen, mit einigen Brunnen geziert. In der Abendstunde sah ich zu diesen Brunnen die Dienstmadchen gehen, mit ihren reinlichen Einern, welche sie füllten und dann wieder gingen. Es war ein Anblick, dessen Betrachtung entzückte; diese Gruppen der Mädchen von zauberischer Schönheit, die sich gegenseitig in ihrer Arbeit halfen, sich mit Lächeln Dank sagten und auf dem Trottoir entfernten, mit niedergeschlagenen Augen, keuscher Stirn, und bloßen weißen Füßen, alle den Neid und alle die Bewunderung mit sich nehmend, welche die Schönheit einflößt. Ich gestehe, daß ich in keiner Stadt Enropa’s so viel schöne Gesichter gesehen habe als in Leipzig, schon durch die Bescheidenheit und jungfräuliche Schüchternheit, durch die Sanftmuth ihrer Augen, aus denen die Seele zum ersten Male vor den Geheimnissen der Leidenschaften und des Lebens zu erschrecken schien.“
Nach einigen Bemerkungen über die Pariserinnen, Engländerinnen etc. schließt der Reisende den Abschnitt über Leipzig mit den Worten:
„Und ich begnüge mich, zu wiederholen, daß es in Leipzig war, wo ich die schönsten Frauen gesehen habe.“
Ein Kampf zwischen zwei Wallfischen. In der Rahe der kleinen Seestadt Robster in Schottland, in einer Entfernung von etwa zweitausend Schritt vom Ufer, fand kürzlich ein Kampf zwischen zwei Wallfischen statt, dem viele Fischer und andere Leute als Augenzeugen beiwohnten. Die beiden Wallfische schossen wiederholt mit großer Schnelligkeit gegen einander, und der eine sprang dabei zwanzig bts dreißig Fuß hoch in die Luft, und stürzte dann mir zermalmender Wucht auf seinen Feind herab. Dabei versetzten sie sich mit ihren Schwänzen laut klatschende Schläge, und die rings um sie zu Schaum gepeitschten Wellen nahmen bald eine hellrothe Farbe an. Dieser Kampf dauerte volle drei Stunden, wo dann einer der Wallfische bewegungslos ward, und der andere langsam hinwegschwamm. Den erstern, welcher todt war, zog man bald darauf an’s Land. Er maß sechzig Fuß, war sehr zerschlagen, und die obere Kinnlade zerbrochen.
- ↑ Man kann solche Resultate nicht allen Missionären nachrühmen. D. Redakt.