Die Gartenlaube (1854)/Heft 46
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No. 46. | 1854. |
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Ein bewegter Abend.
„Das Mädchen hat seinen eigenen Kopf; war immer etwas absonderlich,“ meinte jetzt der Schultheiß zum Junker, der wie träumend noch hinausschaute, wo das Mädchen verschwunden war. Jetzt wachte er gleichsam auf, und rief: „Das Mädchen kann keine Bäuerin sein!“
„Ihr werdet doch ihre Mutter nicht noch im Grabe beschimpfen wollen“, entgegnete der Schultheiß, halb ernst, halb komisch.
„O, selig der Leib, der sie gebar?“ rief nun schwärmerisch der Junker aus.
Der Schultheiß schüttelte mit leichtem Lächeln den Kopf und wendete sich dann zum Pater, der die Zeit über in sorgenvollem Brüten bei Seite gestanden hatte:
„Ehrwürdiger Herr! Ihr müßt verzeihen, wir konnten Eure Botschaft nicht mehr geziemend empfangen, derweil die Sonne untergegangen war. Bis morgen müßt Ihr Euch gedulden, und wollt denn auch Ihr nun mein Gast sein? Oder dürft Ihr nicht ruhen, nicht Trank und Speise nehmen, bei dem Ketzer?“
Dieses Wort betonte der Fragende mit leise vorwurfsvollem und etwas ironischem Ton. – Der Pater sah ihn mit wehmüthigem Ernste an und antwortete:
„Der Erzbischof hat mir Dispens ertheilt zu diesem Gang in Euer Land. Ich darf.“
„Uns auch die Hand reichen, wie in guter alter Zeit?“ Und der Schultheiß hielt ihm treuherzig die braune, schwielige Hand entgegen. Die Augen des Paters füllten sich mit Thränen; aber er drängte sie zurück, daß sie nicht überströmten, während er mit halber Stimme antwortete:
„Nein, Schultheiß, das darf ich nicht!“
„Nun, doch nicht minder willkommen, ehrwürdiger Herr. – Drinnen beim Weine wollen wir ein gutes Wort mit einander reden. Herr Junker, wenn’s –“
Er wollte sagen, „wenn’s beliebt“ – aber da sah er erst, daß der Junker mit hellem Zorn im Antlitz dem bleichen Kurt vom Büchel gegenüber stand. Es waren schon böse Worte gewechselt, dem Kurt hatte es wüthend an Hirn und Herz gezerrt, was der Junker gesprochen von der Elsbeth. Er war zu ihm herangetreten mit höhnischem Erinnern:
„Als wir Euch bei Himmelskamp die Köpfe entzwei schlugen, sahet Ihr nicht so glückselig drein, als jetzt, Herr Junker.“
„Einfältiger Prahler!“ entgegnete der Junker, „ein paar Miethlinge erschlugt Ihr uns; das ist Alles.“
„Nun, Ritter können auch an die Reihe kommen. Aber Söldner-Blut ist fruchtbar; unsere Felder wuchsen prächtig drauf. Vielleicht wachsen sie später noch prächtiger.“
„Frecher, – Du wagst es? Wärst Du dem Ritter nur schwertfähig“ –
„Schwertfähig? Hoho! Junker, Junker! wir sprechen uns noch von wegen der Schwertfähigkeit; verlaßt Euch darauf.“ – Mit diesen Worten klopfte er dem Junker auf die Schulter; heftig stieß dieser den Arm zurück, – zornig wollte Kurt ihn fassen, – neugierig, abwehrend, zudrängend, kamen Männer, Bursche, Knaben hervor; da drehte sich der Schultheiß um, da war aber auch auf einmal Alles still und ruhig. Der Junker warf nur noch rasch einen Blick zurück auf die Menge und folgte mit klopfendem Herzen dem Schultheiß und dem Pater in’s Haus. Der Klaus bekam vom Schultheiß noch den Auftrag, Alles was Füße und Gurgeln habe, zum Abendtanz und Abendtrunk einzuladen. –
„Aber daß Ihr mir den Junker ehrt und seinem Stande gebt, was Recht ist, derweil er unser Gast; führt er sich nicht würdig seines Ranges, so wollen doch wir uns zeigen als wackere Leute. Doch er ist gut im Gemüthe; ich hab’ ihn schon fast lieb gewonnen, – das richte Du aus!“ So schloß der Schultheiß seinen Auftrag an den Klaus und ging dann hin, seine Elsbeth zu suchen. Der Klaus sah ihm nach und murmelte vor sich hin:
„Der Schultheiß wird mir zu vernünftig. O, den Henker über so Halb und Halb. Ich wollt’, es wäre erst wieder Zeit zum Dreinschlagen; dann weiß man doch, woran man ist, und wo das Recht steckt. Mein Recht ist: was ich fassen kann mit meiner Faust. Wenn ich nur zugreifen dürfte, – ich wollte sie schon zusammendrücken.“
Derweil stand Elsbeth vor dem großen Herde, – und war es nur noch das Fener des einen Augenblicks, oder war es das Feuer des Herdes: sie glühte noch immer an Wangen und Augen, und wenn der Schaum auf den Töpfen überlief, sah sie dem ruhig zu und rührte sich nicht; sie zählte die Blasen die zischend von den Kohlen aufstiegen. Wohl hatte der Vater Recht gehabt, wenn er sie ein „absonderliches Mädchen“ genannt; wohl war sie das echte Kind ihrer schwarzen Erde; stark, muthig, rüstig, gesund an Leib und Seele und Gedanken. Kein besseres Hauswesen war zu finden als das, was sie führte, an der frühverstorbenen Mutter Stelle. Kein Vater konnte treuer geliebt, sorgsamer gepflegt [550] werden, als der Vater der Elsbeth es wurde. Sie ehrte die Schöffen, liebte die Nachbarn und Landsleute, hielt treue Freundschaft mit den Mädchen, gute „Kameradschaft“ mit den Burschen und war zuthätig, wo es des Rathens und Thatens bedurfte. – So stand sie hochgeachtet und wenn man will, auch geliebt, auf ihrem Erbe und in ihrem Gaue; aber so die rechte, eigentliche Liebe, die zuthunliche, offen vertrauende Liebe hatte sie nicht. Die Einen meinten: „Wir haben zu viel Respekt vor ihr;“ die Andern meinten: „Sie ist hoffährig;“ dem stritten wieder Andere entgegen, und sagten: „Ja, sie ist stolz, aber sie weiß es nicht, sie will es nicht sein; es würde sie betrüben, wenn sie wüßte, daß sie es wäre.“ „Sie hat kein Herz,“ meinten einige Burschen, die so von fern um sie angehalten und abgewiesen waren. „Sie hat ein Herz, aber ein anderes wie wir,“ hieß es dann.
Was war es denn nun in dem Mädchen, was zu solchem Gerede den Anlaß gab? So wenig und doch so viel. So leicht und doch so schwer zu beschreiben. Es war ein eigenthümliches Etwas, ein Würde- und Hoheitsvolles bei aller einfachen Bauernheit, ein Unnahbares für jeden rohen und gemeinen Sinn; ein nole me tangere gegenüber dem täglichen Brauch des Lebens, bei allem frisch kräftigen Zugreifen und Zuthun, was nur dieses Leben forderte. Dann war sie viel zarter gebaut, auch viel kleiner, wie die übrigen Mädchen und doch eben so stark und rüstig. Sie trug dieselben Kleider, wie alle Andern und doch stand ihr Alles schöner, sonntäglicher, vornehmer. Sie sprach gewiß nichts Anderes, als was die Andern sprachen, aber wie sie es sprach, das war klang- und seelenvoller und oft fühlte man heraus: sie empfindet und denkt auch noch viel mehr als sie spricht; nicht als ob sie das stolz hätte verbergen wollen; nein, sie fand nur nie die Stunde, die Gelegenheit, es auszusprechen; vielleicht hätte sie’s auch nicht gekonnt; vielleicht lag diese neuere, höhere Seele in ihr noch unerschlossen in ihrer jungfräulichen Brust und wartete nur des erweckenden Hauches, des Auferstehungskusses, um auf goldenen Flügeln emporzuschweben. – Und wie sie jetzt so da stand am Herde, da schien dieser erweckende Hauch ihre Seele schon berührt zu haben, und wie sie nun vom Herde weg in das Zimmer treten und dem schönen, prächtigen Jüngling des alten Brauches Gastkuß geben mußte: da schien das der Auferstehungskuß zu sein, der jene Seele zu hohem Fluge durchdrang. Der Kuß dauerte lange, lange – und Beide zitterten dann, als hätten sie ein Verbrechen begangen; aber ein Verbrechen, durch das sie in den Himmel gekommen seien.
Vor dem Fenster aber stand Kurt vom Büchel und glaubte in der Hölle zu sein. Er hatte die Faust auf die offene Brust gelegt und dann drückte er die Nägel in die Brust.
„Eine Stunde an ihrem Herzen und, dafür drei Jahre in der Hölle!“ so hatte er oft gerufen, so war der einzige Bursche des Stedinger Gaues, der für das Mädchen in Liebe entbrannt war; aber auch so, daß wie ein Lavastrom es in ihm kochte.
Er war schon hinausgefahren auf’s Meer, ein bis zwei Jahre lang, bis hinauf zu den Grönländern; aber so kalt es dort auch war, seine Liebe war nur noch heftiger entbrannt.
„Drei Jahre in der Hölle für eine Stunde an ihrem Herzen,“ so rief er jetzt wieder und dann dazu: „Und sechs Jahre in der Hölle für einen Griff an des Junkers Gurgel.“
Durch solch unmittelbare wilde Naturkraft rauschte die Leidenschaft noch hin wie ein fesselloser Bergstrom, grausige Schluchten reißend und die tiefsten Tiefen durchwühlend. Er war schrecklich und bemitleidenswerth, wie er so da stand und durch das Fenster schaute und Musik um ihn her klang und Jubel und Tanz ihn umwogte, und die thönernen Becher ihm klangen wie sein Grabgeläute. Der Klaus trat hinzu und brachte ihm des Schulzen mahnendes Wort und einen vollen Becher, – er nickte nur. Dann hetzte der Klaus ihn bitter und scharf, da zuckte er zusammen.
„Der Teufel soll leben!“ rief er jetzt, indem er dem Klaus den Becker entriß.
„Soll leben! Wir müssen ja doch zu ihm, wie die Pfaffen geschrien haben; da ist’s gut, wenn wir ihm freundlich thun,“ entgegnete der Klaus, und riß den Kameraden mit fort in das dichteste Gewühl der Tänzer und Trinker.
Ein friedlicheres Gespräch hatte während dem zwischen dem Schultheiß und dem Priester begonnen. Sie waren allein; ein alter guter Wein stand vor ihnen und die Abendstunde hatte ihre Milde ausgegossen auf die ehrwürdigen Häupter. Der Schultheiß ergriff den Becher und sagte:
„Laßt den guten, dritten Freund hier zwischen uns mitthaten. Sagt mir, ehrwürdiger Herr, was wollt Ihr Morgen auf dem Landthing vorbringen? Sagt’s jetzt schon, wo ein gutes Wort ein gutes Ort findet.“
„Friede will ich bringen, Schultheiß! Friede!“
„Das ist ein kostbares Wort, Pater; aber – aber – um welchen Preis? Eure Kirche, nehmt’s nicht übel, Pater! Eure Kirche, thut wenig um Gottessohn. Sagt’s kurz heraus: was fordert der Erzbischof?“
„Für sich die neuen Zehnten und für die Oldenburger das Herrengericht. O gebt’s, gebt’s Schultheiß! Lasset Euch versöhnen mit Gott.“
„Das bin ich, Herr Pater! Das hoff’ ich zu sein! Durch guten Wandel, Gebet und Fürbitte. Aber – – Herr Pater – ich wär’ es nicht, wenn ich dazu thät, was Ihr verlangt, denn Eure Kirche verlangt das Unrecht.“
„Rom hat gesprochen in dieser Sache; hat gerichtet.“
„Rom kann nicht richten in seiner eigenen Sache.“
„Was die Kirche spricht, hat Gott gesprochen –“
„Und was das Recht sagt, ist auch Gotteswort. Und unser Recht spricht, daß wir freie Bauern sind; nur Unterthan dem Kaiser und nicht schuldig zu geben Zins, Schoß oder Zehnten, wie Ihr verlangt; als Ihr bei uns waret, – sagt – Herr Pater: war da ein Mann reicher im Stedingerland als Ihr? Gaben wir Euch nicht in Hülle und Fülle, was nur Euer Herz begehrte? Wir gaben’s Euch, als dem Diener Gottes, als dem Verkünder der heiligen Christuslehre, die uns hell und froh und gut gemacht hat, und gaben’s gern, weil wir wollten und weil wir Euch liebten. Ihr verließet uns in unserer Noth. Ihr – – doch still davon; still, sonst rüttelt’s zu sehr am Herzen. Schenkt ein! – So! Und nun trinkt mit mir: Es lebe das deutsche Reich! Es lebe der Kaiser, unser Herr!“
Der Schultheiß war aufgestanden voll Begeisterung; Hand und Stimme zitterten noch von tiefer Bewegung. Der Priester stand ihm gegenüber, den feuchtglänzenden Blick in das goldene Naß gesenkt, und sprach mit bebender Stimme:
„Er lebe!“
Dann klangen die Becher aneinander hell durch die tiefe Stille des Zimmers und ein einsames Licht an der Decke warf seltsamen Schein auf die beiden ehrwürdigen Feinde, die hier so freundschaftlich vereint waren.
Und auch draußen standen zwei Feinde, vereint in Freundschaft und Liebe: der trotzige, dräuende Graf von Oldenburg und die Tochter des starren Bauern. Sie waren – sie wußten selbst nicht wie – vom Tanze weggekommen, unter eine hohe, breitgeästete Buche getreten, doch immer noch Hand in Hand, wohl gar Arm in Arm, als wenn sie wieder antreten müßten zum Tanze. Sie hatten erst kein Wort mit einander gesprochen; dann sprachen sie auf einmal vom Abschiede, den der Junker morgen früh nehmen müßte. Da bebten Beide, und Eines fühlte das Beben des Andern und bebte darum um so heftiger. Dann sprachen sie auf einmal von Krieg und Tod, von der Fehde zwischen Steding und Oldenburg und Eins warf dem Andern das Verderben vor. Dann sprachen sie wieder nichts; aber sie saßen auf einem Steine und hielten sich leise umschlungen; nun hörte man nichts anderes als das Klopfen zweier Herzen, dann Flüstern, dazu sah man Thränen blinken; dann standen sie wieder auf, – und was sie nun sprachen, das hörte Niemand als die schon leise vergehende Nacht, – das war ihr Abendmahl der Liebe.
„Engel seien um Deinen Schlaf,“ das waren des Junkers letzte Worte, mit denen er Elsbeth küßte.
Sie ließ es ruhig geschehen und schritt dann langsam dem Hause zu.
Der Junker lehnte noch eine Weile an der Buche und schaute glänzenden Auges in den fernaufsteigenden Morgen. Die erste Lerche stieg empor über die grüne Saat, der Nebel dampfte auf, das Meer erglitzerte, das Land lag herrlich, prächtig vor dem schwärmenden Jüngling.
„Mann, Ihr seid glücklicher hier, als wir in unsern Burgen!“ rief er jetzt dem hinzutretenden Klaus entgegen und wollte ihm die Hand reichen.
„Das hab ich nie bezweifelt, darum schwing ich auch das [551] Schwert für unser Glück,“ entgegnete der Klaus, ohne die dargebotene Hand anzunehmen.
„Laß doch das Schwert ruhen, Klaus! – Jetzt wo ich Dich, wo ich die Welt in die Arme schließen und fest, fest an dies heißschlagende Herz drücken möchte. – Klaus! – Komm her! Laß mich sein als Einer der Eurigen.“
Klaus sah den Junker ernst, forschend, doch nicht ohne Theilnahme an. Er hatte ihn schon verwundert betrachtet, als er gekommen war ihn abzuholen zur Ruhe und ihn stehen sah an der Buche, in verklärter Begeisterung. Und nun jetzt erst, so hatte er noch nie einen Menschen gesehen und gehört; nie gedacht, daß ein Mensch so aussehen, so sprechen könne; am wenigsten ein Junker. Aber noch wollte der Haß sich nicht lösen und das Mißtrauen stak zu tief in dem trotzigen Gemüthe. So antwortete er denn jetzt zwischen Trotz und Theilnahme getheilt:
„Wir stoßen Niemanden aus. Das Land ist weit. Wer unser Recht und Gericht anerkennt, mag wohnen bei uns wo er will.“
Der Junker hatte die Antwort überhört. Er war in tiefes Träumen versunken. Wie es in frühern Tagen oft durch seine Seele gezogen war, so stand es jetzt wieder vor seinen Blicken: das Bild eines stillen befriedigten Daseins; vier Pfähle und statt des Schwertes die Pflugschaar und Vogelsang statt Trommetenschall und Gottessegen dabei, statt des Blutes. Frei sein freies Land bauen; Nahrungskraft saugen aus der mütterlichen Brust der Erde und Abends froh sein mit den Fröhlichen und das Weib seiner Liebe zur Seite. Dieses Bild, – o wie faßt es jetzt ihn wieder an, so wunderbar, so mächtig! Und siehe, – so nahe, nahe lag ihm das Gute! Die Seele kündete es ihm an in freudiger Ahnung, das Herz forderte es mit gewaltigen Schlägen, – sollte es nun ein rascher Entschluß, ein kraftvoller Wille nicht erobern können?! Und dieser Entschluß riß ihn jetzt empor aus seinen Träumen, spannte jeden Nerv seines Wesens, jagte sein Blut wild klopfend durch die Adern.
„Mein Roß! Mein Roß!“ rief er jetzt.
„Herr Junker! Herr Junker! Was fällt Euch an?“ mit diesen Worten trat der erstaunte Klaus ihm entgegen, „begebt Euch zur Ruhe! Kommt, kommt!“ und er faßte den Junker gleichsam schützend bei der Hand.
„O laß mich Klaus! Laß mich hinaus in die Dämpfe oder Nebel, den Sonnenstrahlen entgegen. Dort find’ ich Ruhe. Auch in mir flammt eine Sonne empor und jagt die grausen Nebel auseinander, die mich bedrückten. Fort mit dem falben, falschen, todten Schein, der bisher mein Leben war. – Mein Roß! Mein Roß! – Wo ist mein Knappe?“
In diesem Augenblicke trat Ehrenfried der Knappe ihm entgegen, besorgt um seinen edeln Herrn.
„Sattle den Falken! Wir reiten – rasch!“
Der Knappe ging und Klaus trat dicht zum Junker heran; sein eisern kaltes Gesicht war weicher geworden; seine trotzige Stimme klang milder.
„Ihr wollt uns schon verlassen, Junker? Und ohne Abschied?“ „Kein Abschied, Klaus! Ein seliges Willkomm! Nur einen wilden, wüthenden Ritt, daß ich Ruhe gewinne und meine Seele Klarheit. – Klaus, sage mir: Kannst Du beten?“
Da wurde des Klaus Gesicht wieder starr und sein Ton wieder trotzig und mit zuckenden Lippen antwortete er: „Ich hab’s verlernt, seit der Pater fort ist. Nur das Vaterunser kann ich noch, glaub ich; doch hab’ ich’s lange nicht probirt! – Ist auch dem Ketzer nichts nutze.“
Der Junker faßte beide Hände des Klaus, sah ihn tief und herzlich an und sagte mit unendlicher Rührung: „Bete es für mich in dieser Stunde; bete es für Euch Alle.
Ich bin zu glücklich, ich kann nicht beten. Aber bete Du, daß in dieser Stunde ein guter Engel den Sieg behält über den Dämon des stolzen Blutes in mir. Dann wird Alles gut; dann werdet Ihr alle glücklich durch dieser Stunde Entschluß und Entscheidung.“ Damit ließ er die Hände des wie fest gebannt stehenden Klaus leise nieder sinken, sah flammend hin zum Hause des Schultheiß, bestieg das vom Knappen herbeigeführte Roß, schwang sich behend in den Sattel, winkte der blickenden Sonne zu und rief aus: „Ich bin wie ein junger Aar, der zum ersten Male seine Heimath sucht.“ Und auf dem stolzen Rosse flog er dahin, wirklich wie der königliche Vogel der stolzen Firne.
Der Klaus sah ihm nach bis er verschwunden war, dann murmelte er vor sich hin: „Sollte denn doch die Adelsnatur anders sein als die Bauernnatur? So hab’ ich von den unsern noch Keinen reden hören und suche ich an mir herum, so finde ich nirgend ein Loch, wo so kuriose Gedanken herauskommen könnten. Ich will sein Todesbruder sein, wenn er ehrlich ist; aber ich will auch sein Henker sein, wenn er sich falsch hält.“
Das war der bewegte Abend auf dem Stedinger Bauernhof.
Am Grafen-Hof.
Am Grafenhof zu Oldenburg ging’s derweilen auch bewegt zu. Boten und Herolde kamen und gingen. Reisige und Knappen zogen ein und aus. Grafen, Fürsten, Herzoge aus Lüneburg, Braunschweig und Sachsen waren zu schauen. Der Krieg um den deutschen Kaiserthron, den Vater und Sohn mit einander führten, rüttelte und schüttelte das liebe heilige römische Reich zusammen und die kleinen widerhaarigen Fürsten trieben und drängten, ihre Macht zu erweitern; und dies nicht allein gegenüber dem Reiche, sondern auch gegenüber der Kirche zu Rom. Die rüstete und warb, die bannte und segnete dann nun nach allen Seiten hin; sie hatte eben die Albigenser zu Boden geworfen und stand nun wieder da in ungeheuerer Macht über die Welt. Doch aber brodelte, kochte und schäumte es überall im Hexenkessel der Zukunft; – es war eine merkwürdig bewegte, ungeduldige Zeit. Die und die Stedinger hatten nun auch den Erzbischof Gerhardt II. von Bremen nach Oldenburg geführt, um mit dem starken Grafen Burkhardt sich über die Zeitläufte und den Krieg mit Steding zu besprechen. Hier erwartete er den Pater Hieronymus aus Steding zurück, während der Graf seinen Neffen und Erben von dort zurück erwartete. Doch der kam noch nicht und konnte doch schon zurück sein. Der alte Herr war tief erregt, ihm bangte; vielleicht konnte das grause Volk seinen heißgeliebten Erben und Neffen erschlagen haben und damit ihn selbst und alle seine Hoffnungen, denn diese und sich selbst sah er in Georgen; für ihn wirkte, schaffte, kämpfte er, um ihm ein starkes, stolzes Land und ein mächtiges Schwert zu hinterlassen. Und dazu schien ihm jetzt der rechte Augenblick. Als die beiden mächtigen Herrn zusammen beim Weine saßen, meinte er: „Die höchsten Häupter streiten, darüber wachsen wir. Manchmal ist’s gut, daß das Recht nicht Alles in Frieden entscheidet, dann kommt die Kraft und ersetzt das Recht.“
„Die Gewalt, wollt Ihr sagen,“ warf der Erzbischof ernstmahnend ein.
„Und wenn auch!“ rief der Graf und stieß sein Schwert klirrend auf den Estrich. „Und wenn auch! Jetzt ist die Stunde für uns kleine Fürsten, unsere Macht zu mehren. Seht mein Oldenburg, wie ist’s gestiegen! Und wodurch? Ich habe gehandelt, wo andere schliefen; rasch und entschieden und ich sollte meinen: mein Land ist glücklich.“ Und er hatte Recht, der alte, strenge, harte Herr! Er war sonst kein übler Mann, eben bis auf diese Strenge und Härte, wo es galt seine Macht zu mehren.
Der Erzbischof sah still darein und der Graf fuhr mit erhitzter Stimme fort: „Und jetzt den Hauptschlag, Erzbischof. Mein soll Steding werden! Mein und Euer; ich schwör’s Euch bei diesem Schwerte.“
„Hätten wir’s nur erst! Und wär’s vollendet; o Gott weiß, ich dürste nicht nach Blut und Gewalt; ich möchte so gern den Frieden.“
Und auch der alte Erzbischof sprach wahr. Er hatte den Krieg mit Steding nur geerbt von seinem Vorfahren, dem fürchterlichen Hartwich und glaubte dessen starker Testamentsvollstrecker sein zu müssen. Denn hatte Rom ihn schon bedräuet, ob des halben Vollzugs, und in seinem streng katholischen Glauben war er doch wirklich der Ueberzeugung: es sei zum Seelenheil der Stedinger nothwendig, daß sie mit Gewalt der Kirche wieder unterthan würden. Noch hoffte er von seiner Sendung und bangte nicht minder wie der Graf um seinen Erben, daß sein Bote so lange blieb. Doch da wurde der Bote schon gemeldet; Pater Hieronymus trat ein und brachte einfach und kurz der Stedinger „Nein.“ Der Erzbischof flammte auf; er wollte seinen Fluch den [552] Stedingern entgegen donnern, doch ließ er ihn nicht bis über die Lippen kommen; der Graf forschte nun nach dem Junker und der Priester erzählte, was er gesehen und gehört: Der Junker habe sich mit des Schultheißen Tochter verlobt, feierlich beim Vater um sie angehalten, das Jawort bekommen und dem Pater zugerufen: „Geht mit Gott, Pater, ich bleibe.“
Der Graf sah stieren Auges den Erzähler an, er rührte kein Glied seines starken Körpers, seine Füße waren wie eingewurzelt im Erdboden, seine Rechte war eingekrallt in den Becher, seine Linke lag wie angeschmolzen auf dem Schnitzwerk des Eichentisches. Die Lippen lagen wie geronnenes Blut fest an den Zähnen; er sah schrecklich aus.
„Ich habe alle Angelhaken gebraucht ihn loszureißen;“ fuhr der Pater fort, „aber umsonst. Er ist wie verzaubert.“
„Ich breche diesen Zauber und muß ich ihm auch den Schädel brechen!“ knirschte jetzt der Graf, doch ohne noch sich zu rühren; „ich will seine Ehre schänden, sein Ritterthum ihm abreißen wie einen gestohlenen Lappen. Ich fluche ihm.“ Erst jetzt begann der Graf konvulsivisch sich zu rühren; die furchtbar angespannten Nerven ließen nach, er wurde matter, weicher und mit fast wehmüthigem Tone meinte er: „Erzbischof, nicht wahr, er wird meinem Fluche nicht widerstehen können?“
„Ich halte ihn für treu und unschuldig,“ erwiederte der Erzbischof mit Sanftmuth; „ich kenne ihn ja, meinen geliebten Schüler; er ist weich, leicht hingebend. Vielleicht haben sie ihn verhext, die bösen Ketzer.“
„Ja, das ist’s! Ja, ja, das ist’s!“ rief jetzt auffahrend der Graf und sprang auf. „Aber die Bauern sollen bluten; sie allein tragen die Schuld. Aber ich will meine Eisenhand auf sie legen und sie zerquetschen, daß sie meinen jungen Löwen mir so zähmten.“
In diesem Augenblicke hörte man im Hofe in eigenthümlich schauerlichem Tone den Büßerchor des „Media vita“ anstimmen.
„Was ist das?“ rief der Graf und sprang an das Fenster, während der Erzbischof erbleichte und der Pater mit schmerzlichen Blicken nach Oben die Hände faltete. Der Graf erblickte vor dem Thore einen Zug von Männern in schwarzer Tracht. Sie trugen ein großes goldenes Kreuz und eine Fahne, mit dem Bildniß eines Lammes. Vorne stand ein langer, hagerer Mann, sein Gesicht gelb und hart wie aus Thon geformt; die Augen voll fürchterlicher Lohe, die ganze Erscheinung unheimlich, gespensterhaft.
„Was ist das?“ rief der Graf noch einmal, während er fast entsetzt vom Fenster zurücktrat.
„Das ist was Schreckliches!“ antwortete der Erzbischof. „Das ist Conrad von Marpurg, der fürchterliche Ketzermeister von Deutschland. Eine finstere Wolke lagert sich über mein Gemüth.“
„Ich weise ihn ab!“ rief der Graf entschlossen; „was will er hier? Ich bin ein freier Herr meines Landes. Ich lasse ihn nicht ein.“
„Bei Euerm Leben, seid ihm willfährig! Er ist mächtiger als wir Alle, mächtiger als der Kaiser, mächtiger als der Papst. Und er ist so unversöhnlich als mächtig. Ich beschwöre Euch, seid ihm gefällig.“
Die Thüre ging auf und einer der schwarzen Männer trat gebeugten Hauptes ein.
„Friede mit diesem Hause und Allen, die reinen Glaubens hier ein- und ausgehen,“ sprach er mit dumpfem Tone und ein „Amen“ klang aus dem Munde der Hörer. Der Mönch erhob sich nun stolzen Hauptes und sprach laut dröhnend durch den weiten Saal:
„Konrad von Marpurg hat dies Schloß zu seinem Sitz erwählt, Graf Burkhardt von Oldenburg, um zu forschen, ob nicht das Gift der Ketzerei eingedrungen ist in diese Lande. Frankreich und die Rheinlande sind gereinigt in Kraft des Feuers. Es gilt einen Kampf auf Leben und Tod. So ist des heiligen Vaters Befehl.“
„Mein Schloß ist gastfrei gegen Jedermann, meldet Euerm Herrn, daß ich ihn erwarte,“ sprach nun der Graf mit sichtlichem Widerstreben; der Mönch murmelte: „Pax vobiscum,“ und schritt wieder gebeugten Hauptes hinaus, die Anwesenden in langer, unheimlicher Spannung zurücklassend. Da auf einmal Pferdegetrappel, ein Reiter sprengte in den Hof, es war Ehrenfried, der Knappe des Junkers Georg, und er rief vom Pferde aus dem an das Fenster geeilten Grafen zu: „Er kommt! Er kommt!“
„Wer kommt?“ herrschte der Graf hinunter.
„Mein gnädiger Herr, der Junker Georg von Oldenburg!“
„Dank dir, o Gott!“ jauchzte der Graf und stürmte zur Thüre hin, – als ihm Konrad von Marpurg den Weg vertrat.
Das Ketzer-Gericht.
Der Graf trat zurück und mit herber, starrer Stimme rief Konrad von Marpurg: „Ich grüße Euch, wenn Ihr getreu seid.“
„Wir sind’s, und erwiedern Euern Gruß in Ehrfurcht,“ entgegnete der Erzbischof.
„Seid willkommen und ruht Euch aus,“ sagte der Graf.
Der Ketzermeister setzte sich nieder und murmelte: „Ja, ich bin müde geworden im Dienste meines Gottes, der mir ein eisern Amt auferlegte. Der Weg zu Euch war weit und schwierig.“
„Ihr solltet doch ein Roß brauchen,“ meinte der Graf.
„Der Knecht des Herrn verschmäht des Ritters Art. Ich wandere.“
„So thut uns Bescheid mit diesem Becher.“
„Ich trinke nicht Wein.“
„So esset von diesem Eber, den ich selbst erlegte.“
„Ich esse nicht Fleisch. Meine Speise ist, daß ich thue den Willen Dessen, der mich gesandt hat; dabei genügt mir Brot und Wasser und Wurzel. Doch jetzt nicht von irdischen Dingen.“
Er stand auf, sah den Grafen und den Erzbischof mit furchtbarem Blicke an und sprach mit markdurchdringendem Tone: „Warum lebt noch der Name Steding auf Erden?“
„Wir kämpften gegen sie seit Jahren, doch vergebens,“ sprach der Graf, und der Erzbischof ergänzte:
„Gott segnete unsere Waffen nicht!“
„Weil Ihr sie nicht führtet im rechten Glauben!“ zürnte Konrad entgegen und fuhr mit fanatisch-flammenden Blicken fort: „Schmach dem Fürsten, der nicht Leib und Blut für Christum einsetzt, Schmach dem Priester, der noch leben kann, wenn Gottes Feinde in seinem Sprengel leben!“
„Ihr seid zu strenge, hochwürdiger Herr. Die Sümpfe sind kaum zu erobern,“ lenkte der Graf ein.
„Wer glaubt, dem bauen Engel die Brücke.“
„Ihr traft uns, Hochwürdiger, als wir eben gegen diesen Stamm uns beriethen.“
„So ist es Euer Ernst, sie zu vernichten, Erzbischof?“
„Nicht sie zu vernichten, aber zu bekehren, zu besitzen.“
„Doch um sie zu besitzen, müssen wir sie wohl vernichten,“ meinte der Graf.
Der Ketzermeister wandte sich zufriedenen Blickes zum Grafen: „Ihr sprecht weise, sonst hätte Euch der Blitz mit versengt. Ihre Stunde hat geschlagen. Sie sind Ketzer; sie sollen Ketzer sein; wer ist hier, der Zeuge wider sie geben kann?“
Der Erzbischof nannte den Pater Hieronymus, der Graf den Knappen Ehrenfried, die so eben zurückgekommen; auch seinen Neffen, der jeden Augenblick zurückkommen müsse. Er verschwieg, daß nur der Eintritt des Ketzermeisters ihn gehemmt, dem bang Erwarteten schon entgegenzueilen.
„Was thut Euer Neffe bei den Verräthern?“ rief der Ketzermeister mit stechendem Blicke. „Es stirbt, wer mit den Frevlern hält; sucht ihn eilig zu retten, wie einen Brand aus dem Feuer. Laßt die Zeugen vortreten. Zweie genügen: Und Ihr meine Brüder“ so wendete er sich zu den mit ihm eingetretenen Mönchen – merkt auf!“ – Pater Hieronymus, der schon vor dem Eintritt Konrad den Saal verlassen, trat ein. In schlichter Einfalt erzählte er Alles, was er von den Stedingern wußte, alles Gute und Böse, doch des Letzteren nicht viel.
Wie die Schlange ihr Opfer, so sah der furchtbare Meister den Pater an und indem er ihm Abschied zuwinkte, murmelte er vor sich hin: „Du bist auch schon reif zum Verderben.“ Ein stummer Wink zu seinen Mönchen – und sie verstanden, was er gesagt. Furchtsam, an allen Gliedern zitternd, trat nun der Knappe ein.
„Wo ist Dein Herr?“ fragten gleichzeitig der Graf und der Ketzermeister.
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Zu den in Nr. 18 und Nr. 27 der Gartenlaube gebrachten Abbildungen der englischen und französischen Truppengattungen, welche im Oriente gegen Rußland kämpfen, bringen wir heute, um auch den Moslims gerecht zu werden, eine Abbildung türkischer Truppen, wodurch wir unsere Darstellung der Vertheidiger des osmanischen Staats vervollständigen.
Der Nizam ist in der Türkei das, was bei uns die stehende Armee ist, der Kern der Militärmacht, wobei man freilich an keine streng geordnete Aushebung denken muß, die in der Türkei, wo keine Volkszählung stattfindet, und die Regierung nie recht weiß, über welche Menschenkräfte sie verfügen kann, unmöglich ist. An den Nizam schließen sich die halbregulären Redifs, welche man am Besten als Landwehr bezeichnet. Die reguläre Cavallerie, an welcher es in der türkischen Armee sehr gebricht, und die Artillerie, von deren rühmlichen Leistungen dieses Jahr glänzende Beweise gebracht hat, bilden von den Nizam getrennte Waffengattungen.
In sämmtlichen Corps ist die Kleidung ein Gemisch von europäischer Uniformirung mit Reminiscenzen an die alte türkische Tracht. Die Infanterie ist nach französischem Exerciz eingeschult, die Artillerie wurde meist von preußischen Offizieren herangebildet, die Cavallerie trägt noch am Ausgeprägtesten den türkischen Charakter.
Die türkische Armee, wie sie gegenwärtig organisirt ist, ist ein Produkt vieler Jahre, und nur langsam hat sie den Standpunkt erreicht, den sie jetzt einnimmt. Nächst den fremden Offizieren gebührt dem Muschir Omer Pascha das Verdienst, an dieser Umwandelung mitgewirkt zu haben; Irrthum jedoch ist es, den polnischen und ungarischen Emigranten in dieser Beziehung Ansprüche auf den Dank der türkischen Regierung zuerkennen zu wollen. Als die Emigration in der Türkei eine Zufluchtstätte fand, war die Organisation und Ausbildung des türkischen Heeres längst vollendet, und die Anstellung einzelner Ungarn und Polen in der Armee machte diese wohl um die so vermißten tüchtigen Offiziere reicher, übte aber auf die Gestaltung der türkischen Waffenmacht selbst durchaus keinen Einfluß aus. [554] „Er muß im Augenblicke hier sein – er jagte mich fast zu Tode voraus, um Euch zu melden, daß er komme.“
„Brav, brav!“ jauchzte der Graf, – doch der Knappe fuhr fort: „Das heißt, um desto eher wieder zu Hause zu sein.“
„Zu Hause?“ fragte der Graf tonlos, während Konrad den Mönchen bedeutsame Winke gab, und dann den Knappen wie mit Schlangenblicken zu durchbohren schien.
„Ja,“ fuhr dieser fort, „er meinte, er sei nun in Steding zu Hause und nur weil sein Schwiegervater, der Schultheiß, durchaus es wollte, daß er herreiten und es ehrlich Euch sagen solle, wie es mit ihm stehe, auf daß Ihr ihm nicht fluchtet hinter seinem Rücken: nur deswegen kehre er zurück. Er war aber doch ganz betrübt dabei und das Mädchen weinte.“
„Blut soll sie weinen! Sollen sie Alle weinen – und er sei verdammt!“ so kochte und zischte es jetzt hervor aus des Grafen Brust.
„Das laßt nun unsere Sorge sein, Graf Burckhardt von Oldenburg, Euer Neffe gehört jetzt mir,“ sagte der Ketzermeister und wendete sich dann fragend zum Knappen. Aber so fragend, daß jede Antwort eine Anklage fürcherlicher Ketzerei sein mußte und so fragend, daß der Knappe nur antworten konnte, was der Ketzermeister wollte. „Du sollst nun dreimal baden in fließendem Wasser am St. Johannistage und hundert Vaterunser beten, auf daß Du gereinigt seiest von der verdammlichen Sünde: gegessen, getrunken, geathmet zu haben mit den Verruchten. Die Kirche begehrt nicht unnöthiges Blut. Deine Sünde war Unwissenheit.“ Mit diesen Worten entließ der Ketzermeister den Knappen, der rasch zur Türe eilte und vor sich hin brummte:
„Was war ich doch für ein Esel, daß ich all die gräuliche Ketzerei nicht gemerkt habe.“ In der Thüre stieß er auf seinen jungen Herrn, schlug bebend drei Kreuze und drückte sich weit ab von ihm vorbei.
Erstaunt blickte der Junker ihm nach, erstaunt blickte er die fremden Männer an und trat keck, mit einem kurzen „Was giebt’s denn hier?“ vor.
Der Graf zückte sein Schwert und wollte aufspringen. Ein Wink Konrad’s gebot ihm Ruhe und Konrad rief:
„Junker Georg von Oldenburg, tretet vor diesen Stuhl.“
Der Junker fuhr auf: „Wer seid Ihr, mir im Schlosse meiner Ahnen zu gebieten? Die Zeichen der Vehme seh ich nicht an Euch.“
„Wahre Deine Zunge, Jüngling! Du stehst unter schlimmer Anklage.“
„Anklage, – hier! Der freie Edelmann?!“
„Niemand ist frei vor Gott und seinem Stellvertreter dem Papst, der mich gesandt hat: Konrad von Marpurg, deutscher Großmeister der heiligen Inquisition.“
Der Junker erbebte. Er sprach leise: „Furchtbare Gewalt! was willst Du von mir?“
„Schweigend höre, wahrhaft rede. Ich schuldige Dich, Jüngling, des Bundes mit Ketzern, der Liebe zu Einer, die das Kainszeichen an der Stirne trägt.“
Nun aber flammte der Junker wieder auf, seine Hände faßten krampfhaft nach dem Schwert, seine Augen sprühten Funken und mit hellem Zorn der Stimme donnerte er: „Schwarzer Pfaffe, Du lügst! Sie ist rein, wie der Leib des Herrn im Abendmahl!“
Der Ketzermeister schlug ein Kreuz; sonst aber blieb er eisern ruhig in Ton und Mienen. Dann fragte er:
„Du liebst das Mädchen im Stedingerland?“
„Wie meinen Gott!“
„Du willst sie ehelichen?“
„Ich will’s! Bei allen Heiligen schwör ich’s!“
„Und willst leben mit den Stedingern?“
„Wie mit meinen Brüdern!“
„Es ist genug!“ Er stand auf, erhob die langen, magern, gelben Arme und rief mit Grabeston: „So künd ich über dich den Bann der Kirche, Gericht soll über dich ergehen auf Leben und Tod zu Ehren Gottes. Graf Burkhardt von Oldenburg, ich übergebe Euch diesen Mann als verhaftet der heiligen Inquisition. Ich rufe auf Eure Macht an Waffen und Schlüssel, daß Ihr ihn aufbewahrt dem Gericht und lasse für ihn haften Euer Haupt, auf Tod und Leib. Führt ihn hinweg.“
„Und dreifache Kette um seinen verrätherischen Leib!“ schrie der Graf. „Er hat gefrevelt an meinem Blute und zum Fluche der Kirche gebe ich ihm den Fluch des Vaters.“
„Zu viel! O gräßlich! Zu viel!“ Das war das Einzige was der Junker sagen konnte, während die Knappen seinen fast geknickten Körper ergriffen und ihn in sonderbarer Mischung von Ehrfucht, Mitleid und Abscheu hinausführten.
Nun aber brach auch die wild Wuth des Grafen mürbe zusammen; tief ergriffen schaute er dem Jüngling nach, – die alte Liebe regte sich in ihm, er schaute mit Entsetzen auf die bleichen todtverkündenden Züge des Ketzermeisters; eine unsägliche Angst um den doch immer noch Geliebten, durchschüttelte ihn und der wilde, starre, trotzige Mann beugte auf einmal sein Knie vor dem armen, kranken Mönche und flehte: „Gnade, Gnade für meinen unglücklichen Jüngling.“
Dem Ketzermeister zuckte ein wilder Stolz durch das glühende Auge, als er den Grafen so vor sich sah; er legte die Hand auf des Grafen Haupt und sprach: „Die Kirch verzeiht dem Büßer; – er büße, er demüthige sich, entsage seiner Liebe und sei gerettet.“
Der Graf wendete nun das flehende Haupt zum Erzbischof: er konnte nicht reden, nur mit dem gebrochenen Auge.
„Ich werde thun, was meines Amtes ist, den Sünder zu bekehren suchen,“ sprach mild der Erzbischof.
Dann faßte er den unglücklichen Mann unter den Arm und führte ihn sanft hinaus.
Der Ketzermeister stand unbeweglich da, sah unbeweglich ihnen nach, dann stieg es in seinen Zügen auf wie Wetterleuchten und die Arme verschränkend, knirschte er vor sich hin:
„Herrschen über die Herrscher, das ist Wollust. Herrschen nicht durch Geburt, durch Prunk, durch das Schwert; herrschen durch den Gedanken, durch den Geist, durch das was Niemand sieht, Niemand hört, Niemand faßt: das ist göttlich. – Arm sein, geknechtet, darben, ohne Weib, ohne Herd, ohne jegliche Freude der Erde, – und den Fuß setzen auf den Nacken Derer, deren Blicke Tausende erzittern machen: das ist die Schwindelhöhe des Lebens; – aber ich werde nicht schwindeln.“ –
Starr wie immer wendete er sich nun zu den zurückgebliebenen Mönchen:
„Nach der Zeugen Aussage ist kein Zweifel mehr an der verdammlichen Ketzerei Derer in Steding, und darum soll es brennen im Feuer des Glaubens. Gehet nur hin und prediget das Kreuz aller Orten, das Kreuz gegen Steding. Ich führe dann die Schaar in’s Feld. – Rasch, rasch, – und lasset den Schweiß nicht trocknen an Euren Stirnen.“ –
Er segnete die Mönche, die tief verbeugend sich entfernten und dann wie schwarze Raben unheilverkündend davon flohen.
Die Diener an der Thüre erwarteten des Ketzermeisters Wink, um ihn zum reichsten Ruhegemach der Burg zu führen.
Er aber verlangte zum schlechtesten Ruheort des niedrigsten Knappen geführt zu werden, dort legte er sich auf den steinernen Estrich, nur ein Pferdehaarkissen stützte seinen Kopf und bei Brot und Wasser schlief der mächtigste Mann des deutschen Reiches ein und träumte von Roms Herrlichkeit, träumte von Scheiterhaufen und Blutströmen.
Die Haut bedarf ihrer vierfachen Bestimmung wegen, als Schutz-, Tast-, Absonderungs- und Aufsaugungsorgan (s. Gartenlaube Nr. 44, S. 527), sowie mit Rücksicht auf ihren großen Blut- und Nervenreichthum, der ganz besondern Pflege. Diese wird auch deshalb schon so nöthig, weil die Haut mit dem uns umgebenden Luftkreise, der [555] vermöge seiner Eigenschaften (seiner Temperatur, Feuchtigkeit, Strömungen, Witterungsverhältnisse) einen bedeutenden Einfluß auf unsern Organismus ausübt, in der unmittelbarsten Berührung steht. Uebrigens kann kein Lebensalter, wenn es gedeihen will, der Hautpflege entbehren, jedoch ist das erste Kindes- und das Greisenalter ihrer am Bedürftigsten. Das der Hautcultur förderlichste Hülfsmittel ist allgemeine Reinlichkeit und diese wird durch Waschungen, Bäder und Abreibungen der Haut bei reiner Wäsche erzielt. Man erinnere sich nur, daß die Oberfläche der Haut, auf welcher die Talg- und Schweißdrüsen, sowie die Haarbälge ausmünden und Hauttalg, Schweiß und Hautdunst abgeschieden wird, fortwährend ihre ältesten, obersten Plättchen der Hornschicht abzustoßen hat. Wird die Entfernung dieser abgestoßenen und durch den klebrigen Hauttalg zurückgehaltenen Hornschüppchen (mit Schmutz) nicht befördert, so verlegen letztere die Mündungen der Hautdrüschen und machen die Oberhaut undurchdringlicher für den Hautdunst. So geht dann die Ausscheidung ebensowohl des Hauttalges und Schweißes, wie die des Hautdunstes weniger gut vor sich und Haut wie Blut können dadurch Nachtheil erleiden; es kann sonach durch Zurückhaltung der genannten Ausscheidungsstoffe ebensowohl eine (örtliche) Hauterkrankung, wie auch ein (allgemeines) Blutleiden zu Stande kommen. Ein gewisser Physiolog (Schultz von Schultzenstein) bewundert die Güte Gottes darin, daß es diese so eingerichtet hat, daß wenn der faule Mensch in Schmutz versinkt, sich bei ihm thierische Parasiten (Läuse, Flöhe, Wanzen, Milben) einfinden, um ihn durch Jucken zum Kratzen und so zur Mauserung seiner Haut zu zwingen. – Außer der Reinhaltung der Haut ist ferner noch auf ihre Bedeckung (Kleidung) die gehörige Rücksicht zu nehmen, sowie auf Kräftigung derselben hinzustreben; auch bedürfen die Nerven der Haut und der Blutlauf in derselben der Berücksichtigung.
Die Reinigung der Haut, von Schmutz, Oberhautschüppchen, eingetrocknetem Schweiße und altem Hauttalge, ist am Besten durch warme Waschungen und Bäder, unterstützt von Seife und Abreibungen (mit Flanell oder Bürste) zu erreichen. Ein Dampfbad kann von Gesunden von Zeit zu Zeit als Hauptreinigungsmittel benutzt werden. Auch trockene Abreibungen sind in Ermangelung warmen Wassers sehr vortheilhaft und können die Mündungen der Hautdrüsen freimachen, dadurch aber gegen Mitesser und Blüthen schützen. Was die Temperatur des zu benutzenden Wassers betrifft, so ist eine Wärme von 26–28 Grad am Meisten zu empfehlen und wöchentlich ein – oder zweimaliges Baden oder Waschen des ganzen Körpers im warmen Zimmer hinreichend. Kalte Bäder und Waschungen haben niemals die vortheilhaften und die Hautthätigkeit unterstützenden Wirkungen des warmen Wassers, können sogar in sehr vielen Fällen durch ihre, die Hautnerven zu stark reizende Kälte Nachtheile bringen (s. später). Neugeborne und Säuglinge, sowie Kinder bis zum vierten Jahre sind wo möglich täglich und stets warm zu baden oder zu waschen; nur ganz allmälig ist bei ihnen die Temperatur des Wassers zu erniedrigen und niemals darf ein kleines Kind mit nasser Haut der Luft ausgesetzt werden. Sehr oft ist es von Nutzen, beruhigend und schlafbringend, wenn kleine Kinder Abends unmittelbar vor dem Schlafengehen und nicht am Morgen gebadet werden. Nach dem fünften Jahre etwa läßt man lauwarme Bäder nur noch zwei Mal wöchentlich nehmen, jedoch täglich Waschungen des ganzen Körpers machen.
Die Kräftigung und Abhärtung der Haut, so daß die Fasern der Haut straffer werden und verschiedene Witterungsverhältnisse, vorzüglich Temperaturwechsel, nicht so leicht sogenannte Erkältungskrankheit (Katarrhe, Rheumatismen, Nervenschmerzen u. s. f.) erzeugen, kann nur durch allmälige Gewöhnung der Haut an Kälte erreicht und durch die gehörige Bewegung der unter der Haut liegenden Muskeln befördert werden. Diese Kälte in der Form des kalten Wassers und der kalten Luft angewendet, verlangt aber hinsichtlich ihres Grades und der Dauer ihrer Einwirkung nach und nach eine Steigerung, denn kurze Zeit gebrauchte kalte Bäder, kalte Waschungen und Uebergießungen der Haut, wirken wohl als Reizmittel auf die Nerven und Fasern der Haut, aber nicht als Kräftigungsmittel (s. unten). – Mit der Abhärtung der Haut durch Kälte beginne man nicht vor dem 5. Lebensjahre, denn kleine Kinder gedeihen, wie junge Pflänzchen, nur bei Wärme; auch gehe man jetzt nicht etwa von warmen Bädern und Waschungen sofort auf kalte über, sondern erst auf lauwarme und ganz allmälig auf kühle und kalte. Ebenso sollte mit der wärmern und leichtern Kleidung verfahren werden. Uebrigens hat auch die Abhärtung ihre Grenzen und selbst bei ziemlich abgehärteter Haut ist das warme Reinigungsbad (Waschung und Abreibung), so wie eine wärmere Bekleidung in Fällen, wo die erhitzte und schwitzende Haut schnell kalt werden könnte, nicht zu entbehren. Gar nicht selten gehen Abhärtungs-Renommisten an Herzentzündungen und organischen Herzfehlern zu Grunde und äußerst nachtheilig ist es, wenn blutarme, bleichsüchtige, nervöse oder gar schwindsüchtige Personen, denen gerade Wärme zusagt, vom Abhärtungs-Fanatismus und der Kaltwasser-Modethorheit befallen werden.
Die Wirkung plötzlicher und schnell vorübergehender Kälte, besonders kalter Begießungen und Waschungen der Haut ist ebensowohl an den Nerven, wie an den Blutgefäßen und Fasern der Haut sichtbar und giebt sich theils durch eine empfindliche Erregung der ersteren, theils durch Zusammenziehung der letzteren zu erkennen. In Folge der Zusammenziehung der Blutgefäße (Haarröhrchen) wird die Haut blaß und kühl, und das am Einströmen in die Haut verhinderte Blut muß sich natürlich in inneren Organen anhäufen, was daselbst recht gut zu entzündlichen Zuständen und Blutungen (Bluthusten, Schlagfluß) Veranlassung geben kann und gar nicht selten auch wirklich giebt. Allerdings folgt dieser Zusammenziehung der Gefäße sehr bald eine Ausdehnung derselben und es strömt dann mehr Blut als vorher in die Haut, weshalb diese auch röther, wärmer und in ihrer Absonderungsthätigkeit gesteigert wird. – Die Zusammenziehung der Hautfasern, wobei die Ausgänge der Hautdrüschen verengert oder geschlossen werden, macht die Haut derber und durch Hervordrängen der Talgdrüschen zur Gänsehaut. Auf diese Zusammenziehung folgt bald wieder Ausdehnung, so daß die vorher feste und derbe Haut nun weich und schlaff wird. – Die Einwirkung der Kälte auf die zahlreichen Empfindungsnerven der Haut, die alle im Gehirne wurzeln, ist eine ziemlich stark erregende und hinterläßt in der Regel, wie alle kräftigern Reizmittel, wenn sie oft angewendet werden, vielleicht in Folge einer falschen Ernährung des Nervengewebes, eine sogen. reizbare Schwäche des Hirnnervensystems, welche der Laie als Nervös- oder Reizbarsein bezeichnet und die bei fortgesetzter Reizung endlich gar nicht selten zu einer Geisteskrankheit, selbst zum Blödsinn führt. Daß man sich gleich nach einer kalten Begießung oder Waschung des Körpers in Folge der Erregung des Hirnnervensystems scheinbar wohler, belebter fühlt, ist sonach ganz natürlich, ebenso wie das scheinbare Wohlsein nach dem Genusse spirituöser Getränke. Aber was auf diese belebende Erregung durch Spirituosa folgt, ist bekannt. Die vielen blassen, reizbaren und nervösen Subjekte mit Eingenommenheit des Kopfes, Schlaflosigkeit, großer Empfindlichkeit gegen Licht und Schall, Herzklopfen u. dgl., welche sich und ihre Aerzte abquälen, sind meistens Früchte der jetzt so beliebten kalten Begießerei und Wäscherei. Dr. Munde sah bei Prießnitz in Gräfenberg in kurzer Zeit viermal Starrkrampf in Folge der Kaltwasserkur entstehen und daß die meisten Nervenschwachen aus den Seebädern nicht nur nicht gebessert, sondern im Gegentheil verschlimmert zurückkommen, wird trotz aller Anpreisungen des Seebades doch nicht weggeleugnet werden können. (Ueber Stärkungsmittel s. Gartenlaube Nr. 23, S. 270). – Verfasser will durch diese Darlegung nun aber ja nicht etwa die kalten Bäder, so wie die allmälige Abhärtung der Haut durch Kälte verdammt wissen, nur eine vernünftigere Anwendung derselben, in warmer Jahreszeit und mit Maaß und Ziel bei passendem Lebensalter und Gesundheitszustande, hält er für wünschenswerth. (Ausführlicheres über die Wirkung und Anwendung kalter, lauer, warmer und Dampfbäder s. später.)
Bewegungen, besonders geregelte, nach und nach alle Muskeln des Körpers in Thätigkeit versetzende Turnübungen, zumal wenn sie in freier frischer Luft vorgenommen werden, tragen zum Gesund- und Kräftigsein der Haut, sowie zur Unterstützung ihrer Thätigkeit insofern viel bei, als sie den Blutlauf durch die Hautgefäße bethätigen und mittelst der Nerven (wahrscheinlich durch Mittheilung der Erregung von den Bewegungsnerven der Muskeln auf die der Haut) die Straffheit der Hautfasern befördern. Die Wahrheit dieser Behauptung läßt sich auf Turnplätzen mit Händen greifen, man untersuche nur die Haut vor und nach dem Turnen.
Daß die Kleidung auf das Befinden der Haut großen Einfluß [556] ausüben muß, geht daraus hervor, daß wir uns durch Kleider gegen die Unbilden der Witterung, gegen Kälte und Hitze, wie gegen übermäßiges Licht, gegen Nässe und rasche Temperaturwechsel schützen können. Allerdings ist der Hauptzweck des Bekleidens die Erhaltung unserer Eigenwärme (s. Gartenlaube Nr. 33, S. 386), da nur bei einer gewissen Temperatur alle lebenswichtigen Processe innerhalb unsers Körpers vor sich gehen können, und deshalb muß sich auch die Kleidung nach dem Grade unserer eigenen und der äußern Wärme richten, überhaupt den klimatischen Bedingungen und der verschiedenen Beschäftigung entsprechen. Doch davon in einem spätern Aufsatze. Für das Wohlbefinden der Haut ist große Reinlichkeit in der Kleidung, besonders häufiger Wechsel der Leibwäsche unerläßlich.
Schließlich sei es wiederholt, daß Reinhalten der Haut durch Waschungen, Bäder und Abreibungen des ganzen Körpers, sowie durch reine Wäsche, eine wesentliche Bedingung zur Erhaltung der Gesundheit ist. Ohne Zweifel trägt der Mangel einer tüchtigen Hautcultur zur Zeit einen großen Theil der Schuld mit am Verfalle des Menschengeschlechtes in gesundheitlicher Hinsicht und jedenfalls dürfte die Gründung öffentlicher Badeanstalten für die ärmeren Volksklassen dem weiteren Verfalle Schranken setzen helfen.
Die Farbe, welche in Kunst und Industrie, in unsern Wohnungen und Kleidern, in unsern Freuden und Genüssen über die Schönheiten der Natur und der lebendigen Wesen darin, ja selbst in unsern Gemüthsstimmungen und Launen eine viel wichtigere Rolle spielt, als wir im Allgemeinen glauben, ist bis jetzt gleichwohl noch ein ziemlich dunkeles Geheimniß der Männer der Naturwissenschaft, welche sich besonders mit den optischen Wissenschaften mit Katoptrik und Dioptrik beschäftigen, (d. h. den Theilen der Optik, welche vom zurückgeworfenen und gebrochenen Lichte handeln) geblieben. Ein Professor der Physik fing seine optischen Vorträge ehrlich damit an: „Es giebt keine dunklere Parthie in den Naturwissenschaften, als die Lehre vom Lichte.“ Wir halten uns hier blos an die praktische Wichtigkeit der Farben, von der jeder Maler, Färber, Musterzeichner, Kattundrucker, Tapezierer, kurz jeder praktisch beschäftigte und mit Schönheitssinn begabte Mensch eine Ahnung, eine praktische Erfahrung oder durch natürlichen „Farbensinn“ eine Art Gefühls-Aesthetik, aber sehr selten eine wirkliche Wissenschaft besitzt. Kunst und Industrie und Cultur überhaupt sind wie die Sonne, die, wie Goethe sagt, „kein Weißes duldet,“ da sie stets Alles mit Farben beleben will. Wie wichtig ist daher eine wirkliche Farben-Wissenschaft, welche es jedem möglich macht, den Natur- und Seh- und Schönheitsgesetzen gemäß zu färben, Farben zusammenzustellen oder gefärbte Waaren- und Lebensverschönerungsmittel zu beurtheilen und danach zu wählen! Woher kommt die Ueberlegenheit der Franzosen in Dessins und Farben? Warum sind die meisten englischen Fabrikate geschmacklos in Form und Farbe? Die Ersteren besitzen nicht nur natürlichen Schönheits- und Farbensinn, sondern auch eine Menge Schulen, Akademien und praktische Lehranstalten, worin die Schönheitsgesetze der Form und Farbe Handwerkern, Fabrikaten und Künstlern unentgeltlich gelehrt werden, während letztere mit natürlicher Geschmacklosigkeit Mangel oder zu große Theuerung solcher Anstalten verbinden.
Die Farbenwissenschaft für Kunst und Industrie hat in Chevreul seit vielen Jahren in Frankreich den größten Meister und praktischen Lehrer gefunden. Man kann eine ordentliche Landkarte von seiner Wirksamkeit machen und in den Fabrikaten der verschiedenen Städte Frankreichs nachweisen, bis wohin seine Farbenwissenschaft gedrungen und wo er sie vorgetragen. Seine Wissenschaft ist jetzt Gemeingut aller Völker geworden und zwar durch seit veröffentlichtes Werk „die Principien der Harmonieen und Contraste der Farben und deren Anwendung auf Künste, Handwerk u. s. w.“ Eine englische Uebersetzung desselben wurde in der Times als der Anfang einer neuen Periode der Kunst und Industrie bezeichnet. Für England hat dies seine volle Richtigkeit. In Deutschland, wo man durch natürlichen Farbensinn und Geschmack, durch Erfahrung und Schaden, aus dem man klug wurde, den Mangel an wirklicher Wissenschaft besser zu ersetzen weiß, wird man nicht gerade „Periode“ zu sagen brauchen, gewiß aber „Epoche“. Die Wichtigkeit des Chevreul’schen Werkes besteht darin, daß sich Jeder auch ohne den natürlichen Farbensinn und ohne die Erfahrungen praktischer Maler, Färber, Drucker u. s. w. ein klares Wissen und eine sichere Anwendung von Farben und deren Harmonieen aneignen kann.
Wir geben hier eine gedrängte Skizze des meisterhaft ausgeführten, nach allen Seiten hin praktischen wissenschaftlichen Gebäudes, welches Chevreul aufgestellt und seit Jahren bewährt gefunden. Schon daraus wird man sich eine Vorstellung machen können, wie wichtig und interessant es sich bekunden muß.
Um allgemein verständlich zu sein, müssen wir die natürlichen Licht- und Farbengesetze und den bestimmten Sinn verschiedener Ausdrücke angeben.
Das Gesetz von den Farben-Contrasten gründet sich auf die physiologische Thatsache, daß unser Auge für das Sehen weißen Lichtes construirt ist. Mit andern Worten: weißes Licht ist die Einheit des Lichtes, welche das Auge bei allen Vielheiten oder Brüchen desselben voraussetzt. Das Auge bezieht alle Farben auf diese Einheit, dieses Weiß. Wohl Jeder weiß, daß man den natürlichen weißen Lichtstrahl durch Prismen und sonst eckig und winkelig geschliffene Gläser in Farben brechen kann. Diese Farben bestehen aus einer unendlichen Menge verschieden gebrochener Lichtstrahlen, wie im Regenbogen. Man theilt sie in 6 Gruppen: Roth, Blau, Gelb, Violett, Orange und Grün. Die drei ersten heißen primäre (erste), die drei letzten secundäre (zweite) Farben, weil sie sich durch Mischung aus den drei ersten bilden: Violett aus Roth und Blau, Orange aus Roth und Gelb, Grün aus Blau und Gelb. Um aus diesen verschiedenen Farben wieder zu weißem Lichte zu kommen, mischt man die primäre Farbe mit der secundären, die durch Mischung der beiden anderen primären entstand, also Roth mit Grün (Gelb und Blau), Blau mit Orange (Roth und Gelb), Gelb mit Violett (Roth und Blau). Durch Mischung von primären Farben entsteht immer nur eine secundäre, während durch Vereinigung je einer primären und secundären Farbe immer alle Elemente zusammenkommen, die weißes Licht (d. h. die Einheit aller Farben) hervorbringen. Die Farbe nun, welche zu irgend einer gegebenen Farbe nöthig ist, um die Elemente des weißen Lichtes zusammenzubringen, heißt die complementäre oder Ergänzungsfarbe zu der letzteren. Die Ergänzungsfarbe einer primären ist allemal die secundäre, welche aus den beiden andern primären entstand. Wenn dies Vielen ganz bekannt ist, mögen sie es entschuldigen, da es zur Vollständigkeit der Skizze gehört, die in ihrem Verlaufe gewiß Jedem etwas Neues und Praktisches geben wird. Sieht das Auge auf eine bestimmte (besonders primäre) Farbe allein und längere Zeit, entsteht in ihm gleichsam der Instinct und das Bedürfniß, weißes Licht zu sehen. Diesem physiologischen Bedürfnisse kommt die Natur des Auges selbst zu Hülfe: sie schafft das weiße Licht d. h. sie überhaucht die angesehene Farbe mit dem Complement, der Ergänzung derselben zum weißen Lichte, also z. B. Roth mit Grün. Ungeübte oder ungebildete Augen merken davon nichts und werden höchstens, aufmerksam gemacht, finden, daß z. B. Roth, lange angesehen, etwas von seiner Röthe verliert und schwächer erscheint oder sich grünlich überhaucht; geübte und gebildete Augen sehen dies aber genau und gewisse Augen, welche danach in der Augenheilkunde verschiedene Krankheitsnamen [557] haben, können überhaupt viele primäre Farben von secundären gar nicht unterscheiden, wie z. B. der Verfasser dieses Artikels gerade ein gewisses Ziegelroth nicht von Grün unterscheiden kann. Dieses Phänomen, dieser physiologische Proceß des Auges, zu bestimmten Farben immer selbst weißes Licht herbeizurufen („und wär’ das Aug’ nicht sonnenhaft, wie könnt’s das Licht erblicken?“) und dadurch diese bestimmte Farbe zu modificiren, nennt Chevreul den „successiven Contrast“. Diese Einsicht ist von der größten praktischen Wichtigkeit. Der successive Contrast ändert und modificirt alle unsere Ansichten von farbigen Gegenständen bedeutend. Alle Erscheinungen der Farben-Contraste gehen aus der Sehnsucht des Auges, weißes Licht zu erblicken, hervor. Wer denkt hier nicht an Schiller’s wundervolles Räthsel:
„Ein kleines Bild aus zartem Grunde:
Es giebt sich selber Licht und Glanz.“
Das Resultat dieser Sehnsucht und dieses sich selbst Erleuchtens ist, daß wir nie auf längere Zeit ohne Wechsel primäre Farben sehen können, ohne daß sie in secundäre hinüberschimmern oder förmlich übergehen. Und so kommen wir zum Verständniß dessen, was Chevreul das Gesetz vom simultanen oder gleichzeitigen Contrast“ nennt. Es zeigt sich darin, daß jede Farbe neben einer andern sich durch diese für unser Auge ändert, daß beide durch ihr Nebeneinander modifizirt erscheinen. Aus dieser wichtigen Wahrheit ergeben sich eine Menge Modifikationen, die unser Urtheil über Farben bedingen. Beispielsweise: man lege zwei farbige Streifen neben einander, etwa Roth und Blau. Das Auge in seinem Verlangen nach weißem Licht ruft zu diesem Zweck die Ergänzungsfarben hervor: zu Roth – Grün, welches zum Blau kommend dasselbe grünlich macht und zu Blau – Orange, das mit Roth das letztere erhellt, also gelblich erscheinen läßt. Mit andern Worten: Die fehlende primäre Farbe Gelb wird vom Auge geschaffen und zu den beiden primären Farben Roth und Blau hinzugefügt. Dieses einfache Experiment zeigt drei Arten von Contrasten, den simultanen mit Contrast der Farbe und des Tons, den succesiven, d. h. die Farbe, welche der gesehenen folgt als Ergänzungsfarbe und der gemischten d. h. die Modification, welche durch die Ergänzungsfarbe in der wirklich vorhandenen (Roth und Blau) entsteht. Der Anblick des Rothen ergänzt sich durch Grün, dieses das Blau modificirend giebt den gemischten Contrast.
Gegenseitige Ergänzungsfarben erhöhen sich neben einander, geben sich einander „Intensität“ oder „Contrast des Tons.“ Man nehme Roth und Grün. Grün, Ergänzungsfarbe des Roth, erscheint neben Grün röther, wie das Grüne grüner erscheint. Eben so erhöht sich ein und dieselbe Farbe in ihrer Intensität durch Nebeneinanderstellung verschiedener „Töne“ oder Schattirungen derselben. Zwei rothe Streifen, der eine hell, der andere dunkel, neben einander, lassen den hellen lichter, den dunkeln tiefer erscheinen. Läßt man beide Streifen auseinander laufen und nur in einem Punkte zusammentreffen, erscheint der „Contrast des Tons“ am Berührungspunkte am Stärksten und verliert sich, je weiter beide „Töne“ sich von einander entfernen.
Der Klarheit wegen muß man sich von den verschiedenen Ausdrücken ganz bestimmte, sachgemäß begrenzte Begriffe machen. So werden unter dem Ausdrucke „Ton“ die Modificationen verstanden, die eine Farbe in ihrer größten Intensität oder Reinheit noch durch Weiß oder Schwarz fähig ist. Weiß schwächt, Schwarz vertieft die Intensität. Die Modifikationen durch Weiß heißen „Tinten,“ die durch Schwarz „Schattirungen.“
Modificationen einer Farbe durch eine andere (nicht Schwarz oder Weiß, welches keine Farben sind) heißen „Abtönungen,“ wofür die Engländer bezeichnender „hues“ sagen.
Reine Farben heißen die primären und secundären und deren Abtönungen je einer durch je nur eine andere.
Gebrochene Farben oder Grau’s entstehen durch Hinzutritt einer primären Farbe in eine schon gemischte. Normale Grau’s entstehen, durch Mischung von Weiß und Schwarz, deren verschiedene Verhältnisse verschiedene Töne des normalen Grau geben. Colorirte Grau’s ergeben sich aus Mischung von primären oder secundären Farben mit einem normalen Grau. So haben wir blaue, rothe, gelbe, orange, violette und grüne Grau’s. Da unsere gewöhnlichen Färbestoffe fast alle mehr oder weniger unrein sind, finden wir fast alle gefärbten Gegenstände mehr oder weniger vergraut, zumal da auch rein gefärbte Sachen durch Hervorrufung ihrer Ergänzungsfarben etwas mit Weiß gemischt d. h. grau abgedämpft erscheinen.
Hier ist ein Beispiel für den Kattundrucker:
„Blicken wir einige Secunden auf ein Stück Zeug mit gefärbtem Grunde, auf welches wir weiße Muster aufgedruckt finden, doch so, daß dieselben in Folge eines unvollkommenen Druckprozesses einen leichten Ton des Grundes beibehalten, so werden diese weißen Muster in der Ergänzungsfarbe des Grundes erscheinen und nicht weiß. Auf chromgelbem Grunde sehen sie violett aus, auf Orange-Chrom blau, auf Grün rothschillernd. Um diese Illusion zu zerstören und die wahre Farbe des Musters zu sehen, braucht man den Grund nur mit Papier, in welches das Muster geschnitten ist, zu bedecken. Dann sieht man das weiße Muster nur insofern es durch die Grundfarbe modificirt worden ist (da angenommen ward, das Weiße lasse etwas Grundfarbe durchschimmern). Der Einfluß des starken Tons auf einen schwachen ist so, daß der letztere nicht nur neutralisirt wird, sondern auch durch seine Ergänzungsfarbe getintet erscheint.“
Aus Mangel an Kenntniß der Farbencontrastgesetze finden sich Kattundrucker so oft den größten Irrthümern ausgesetzt, indem sie Rezepte für Farbencompositionen beurtheilen. Wie sollte man sich sonst die vielen, oft wahrhaft widerlichen Kattunmuster erklären, die von England aus die Märkte überschwemmen?
Chevreul theilt hier noch folgende interessante Thatsache mit: „In einer Kattundruckerei hatte man ein gutes Rezept zum Grünfärben, welches sich eine Zeit lang sehr günstig erwies. Später wollt’ es auf einmal gar nicht mehr damit gehen. Sie zerbrachen sich die Köpfe darüber, bis ein Arbeiter, der meine Vorträge über die Gobelins mit angehört, ihnen mittheilte, daß das Grün, welches sie jetzt auf blauen Grund druckten, durch den Einfluß von Orange, die Ergänzungsfarbe zu Blau, vergilbe. Man möge deshalb nur die Intensität des Blau erhöhen, um die Wirkung des Contrastes zu corrigiren. Man versuchte es damit, und das Grün war so schön, wie früher.“
Dies Beispiel zeigt zugleich, wie Maler auch ohne Kenntniß der Farbengesetze sich viel leichter helfen können, als Kattundrucker. Wird dem Ersteren das Grün neben dem Blau zu gelblich, mischt er einfach etwas Blau hinzu. Der Letztere kann dem Kattune nicht mit dem Pinsel nachhelfen.
Vor einigen Jahren wurde das Haymarket-Theater in London auf’s Neue prächtig ausdecorirt und die Logen mit bernsteingelben Linien versehen. Die Wahl dieser Farbe ward sehr angegriffen, da sie die Damen mit einer leichenbläulichen Tinte überhaucht und den Verbrauch der Schminke zu sehr erhöhe. Andere traten dogmatisch auf und behaupteten: Bernsteinspitzenfarbe ist hier gerade am Orte, wie man schon aus den Goldrahmen der Gemälde ersehe. Das war ein guter, englischer Beweis. Kluge Maler nehmen entweder gleich Rücksicht auf den goldenen Rahmen, der leider einmal Mode und bei Vielen so sehr die Hauptsache ist, daß sie Bilder kaufen, um den schönen Rahmen zu haben, oder sie wundern sich hernach selbst über die schlechte Farbenharmonie in ihren Werken. Und hier darf man nur weiter gehen in Haus-, Stuben- und Menschendecorationen, um sich zu überzeugen, wie der Mangel an Kenntniß der Contraste und Neutralisationen der Farben die kostspieligsten Ornamente lächerlich oder widerlich macht. In Häusern thun Maler und Tapezirer ihre Schuldigkeit, jeder für sich, dann kommt der Ausmöblirer, dann kommt der Hausherr, dann die Hausfrau und ein Hausfreund. Jeder decorirte und färbte nach seinem besondern Geschmacke und so schreien die Farben Wehe über die Bewohner und bringen durch ihre Disharmonien Unfrieden in’s Haus. Der Engländer Jones zankte stets mit seiner Frau in der feurig-roth-tapezirten Stube, in der lichtgrünen waren sie immer einig und glücklich. Farbendisharmonien wirken eben so störend und ärgerlich auf die Nerven, wie der verstimmte Leierkasten vor unserer Thür. Dabei ist gerade Roth sehr berüchtigt. Puterhähne und Ochsen im Stiergefecht werden durch Roth eben so aufgebracht, wie 1848 u. s. w. gewisse Beamte, denen das Rothe in der deutschen Kokarde so empörend vorkam, daß sie um sich schlugen oder den Schuldigen arretiren ließen. Ganz im Ernste und aus Erfahrung kann man sagen, daß eine harmonische Färbung im Hause den Nerven und Sinnen wohlthut und also die Farbenwissenschaft wesentlich zu Häuslichkeit, Bürgerwohl und Familienglück beitragen wird.
Unsere Damen gehen in den Laden, um sich Zeug zu neuen [558] Kleidern zu kaufen. Sie verlangen rothen Merino zu sehen und der Ladenbesitzer, glücklich in der Aussicht, ein Geschäft zu machen, wirft ein Dutzend Rollen auf den Tisch, lauter ganz gleich gefärbte Merinos. Aber die Damen behaupten und bleiben dabei, daß die letzten fünf bis sechs Stücke nicht von derselben frischen Röthe seien. Wie geht das zu? Die Antwort ist einfach. Ihre Augen sehen die rothe Farbe nicht mehr, wie sie wirklich ist, sondern durch das komplementäre Grün (vermittelst des successiven Contrastes) abgeschwächt und gleichsam beschmutzt. Versteht der Ladenbesitzer Farbe und seinen Vortheil, legt er grüne Stoffe neben die rothen. Der Contrast beider giebt dem Auge sofort seine normale Unterscheidungskraft wieder. Die rothen Stoffe sehen nun sogar schöner in der Farbe aus, als sie wirklich sind, da der Anblick des Grünen dessen Complement-Roth hervorruft und letzteres zu den rothen Stoffen hinzuthut.
Das Chevreul’sche Werk ist mitten in seiner wissenschaftlicken Strenge und Klarheit reich an solchen handgreiflichen Beispielen, welche beweisen, wie alle Künstler und Handwerker, die mit Färbungen zu thun haben und alles Publikum, welches in seinen Einkäufen, Kleidern, Verzierungen u. s. w. auf Farben sieht, durch die Unkenntniß dieser Farben Schaden hat und anrichtet und durch deren Kenntniß unberechenbare Vortheile genießt. Das Buch verdient deshalb in allen Kreisen und Klassen der Gesellschaft genau bekannt und studirt zu werden und wer eine wohlfeile deutsche Ausgabe davon veranstaltete, würde sich eben so viel Verdienste um die praktische Bildung und Aesthetik des Volkes, Verschönerung industrieller und künstlerischer Fabrikate als Geld für sich erwerben.
Von allen Anwendungen der Gesetze von den Farbencontrasten ist die auf Gärten und Blumenbeete die anmuthigste und reichste. Man kaufe einen Blumenstrauß auf dem ersten besten Markte von Paris, und man wird sich allemal über das gefällige Arrangement von Farben freuen. Und man kaufe für den sechsfachen Preis in Conventgarden zu London das beste Bouquet, einen in weißes Papier gesteckten, plumpen Knäuel von Blumen, dessen Buntscheckigkeit eben so gemein ist, als dessen dickbäuchige Form, in welcher er die Brust des herrschaftlichen Kutschers verunstaltet.
Wie wir hören, will Sir Joseph Paxton in den herrlichen Parkräumen des Krystall-Palastes zu Sydenham die Chevreul’sche Farbenwissenschaft im Großen durch die Blume zu verstehen geben und danach schon diesen Herbst seine Einrichtungen treffen, so daß diese in blühendes, duftiges Leben verwandelte Wissenschaft ein herrliches Seitenstück zu dem Arboretum, einer classificirten, wissenschaftlichen, lebendigen Zusammenstellung aller Bäume und Gesträuche bilden würde.
Jeder unparteiische Kenner giebt zu, daß die Franzosen in Farbe und Form industrieller und künstlerischer Produktionen die ersten sind. Was ihren Geschmack in Zusammenstellung und Verschmelzung von Farben betrifft, so ist Chevreul thatsächlich bereits der Schöpfer einer neuen Epoche geworden, wie Diterle (von Geburt ein Deutscher, Director der Porzellan-Manufactur zu Rouen) der Reformator in Formen und Desseins keramischer und plastischer Produkte. Chevreul’s Name war schon lange berühmt unter den praktischen und wissenschaftlichen Chemikern, aber sein Werk über die Farben ist sein Monument, denn hiermit hat er für immer einen der mächtigsten Factoren in Leben, Industrie und Kunst von der empirischen Unsicherheit der Charlatans und Dilettanten befreit. Viel Dank gebührt hier der französischen Regierung, die, wie sie auch zu verschiedenen Zeiten auftrat, absolutistisch, constitutionell, republikanisch, tyrannisch, doch immer Wissenschaft und Kunst zu fördern und Eins durch das Andere zu heben suchte. Sie lud 1836 Chevreul ein, seine Farbenwissenschaft den Gobelins gegenüber für die Arbeiter an derselben und sonstige Künstler vorzutragen. Das Direktorium der polytechnischen Schule gewann ihn darauf, seine Vorträge in dieser Anstalt zu wiederholen. Sie waren so berühmt, daß das Handelsamt zu Lyon nicht eher ruhte, bis Chevreul auch die Seidenweber u. s. w. mit seiner Wissenschaft bekannt machte. Dies war 1842. Und seit dieser Zeit wurden die Fabrikate von Lyon so schön in Muster und Farbeneffect, daß sie förmlich sprichwörtlich geworden sind.
Die englische Kritik begrüßte die Uebersetzung des Chevreul’schen Werks als die Bürgschaft einer neuen Epoche in Industrie und Kunst. Alle Befriedigungs- und Verschönerungsmittel des Lebens im weitesten Sinne sind jetzt über den bloßen Zweck des Nutzens hinaus. Jeder verlangt mit Recht, daß der Rock nicht nur warm halten, sondern auch „sitzen,“ daß der Stiefel nicht nur ganz, sondern auch schön sein soll, so daß selbst Schuster und Schneider ganz wesentlich zu den Künstlern gehören müssen, wenn sie gute Geschäfte machen wollen. Daß neben der schönen Form die schöne Farbe überall an und um uns her von der größten Wichtigkeit ist und daher das Chevreul’sche Werk auch ein deutsches Volksbuch zu werden verdient, wird schon nach diesen hier gegebenen Andeutungen keines Beweises mehr bedürfen.
In einer der Hauptstraßen Havanna’s, der Kaufmannsstraße, war der Cigarrenladen der schönen Kreolin Miralda Estalez fast eben ein solches Mekka für junge und alte liebebedürftige Jünglinge und Männer, wie jetzt das Bierhaus zu London in der Oxfordstreet mit der im ganzen Umfange Londons berühmten schönen Schottin den Hauptwallfahrtsort fahrender und reitender, gehender und englisch stelzender Liebesritter bildet und wie einst die schöne Alma die Berliner Jünglinge entzückte und anzog.
Miralda war erst sechszehn Jahre alt und schon alleiniger und einzeln stehender Herr des ganzen Ladens und Hauses. Vater und Mutter, kurz hinter einander verstorben, hatten ihrem einzigen Kinde nichts hinterlassen, als das Geschäft. Sie war ein Gemälde tragischer Schönheit, mit einer fein gerundeten Form, einem sanften, länglichen, zarten Gesicht mit etwas gelblichem Hauch, das aus dem blendend schwarzen Haar mit dunkeln, blitzenden Augen und schneeweißen Zähnen wie verkörpertes Morgenroth hervorleuchtete. Dabei stand das frische, unschuldige, ovale Köpfchen so keck auf dem schlanken, elastischen Körper, und über den schneeweißen „Zaun der Zähne“ und die Rosenknospen der Lippen sprudelten die graciösen Scherze und pikanten Zurechtweisungen gegen die Stutzer von Havanna so treffend und schlagend, daß Niemand jemals klug wurde, ob sie wirklich in Naivität und Unschuld unwillkürlich alle Anbeter in bestimmter Entfernung halte, ohne Einem den Vorzug zu geben, oder ob Koketterie im Interesse ihrer Cigarren dahinter stecke. So viel ist gewiß, Niemand, der jemals dort seine Cigarren genommen, konnte anderswo kaufen. Niemand konnte aus dem Zauberkreise, der sie umgab, wieder heraus, weder mit Centrifugal-, noch Centripetalkraft. Jeder mußte zugleich in einer bestimmten Entfernung und Nähe bleiben. Aber endlich kam’s doch heraus unter den Cigarrenrauchern höherer Art, daß sie einen straffen, jungen Bootschiffer, der zwischen Punta und dem Moro-Schlosse an der andern Seite des Hafens Waaren und Menschen fuhr, vor allen Andern begünstige. Dadurch ward Petro Mantanez (das ist der Name des Bootsmannes) bald ziemlich eben so berühmt, wie Miralda. Das weibliche Geschlecht interessirte sich für ihn, weil man neugierig war, wie der Held aussähe, der das Herz der Schönsten, die unter den Reichsten und Schönsten der Antillen-Perlen-Residenz nur zu wählen brauchte, so unauflöslich gefesselt habe; und die Herren studirten ihn förmlich, in der Hoffnung, daß sie durch Nachahmung seines Wesens mit Addition ihrer gesellschaftlichen und Vermögensvorzüge ihn vielleicht verdrängen könnten.
Doch dies schien dem Grafen Almante, dem Don Juan von Havanna, zu langweilig und gemein für seine Stellung und die Liste seiner Siege. Er war ihr getreuester und liberalster Kunde. Miralda plauderte mit ihm so treuherzig, munter und graciös, wie mit jedem Andern; aber in seiner wirklichen tragischen Leidenschaft hielt er sich für den Auserkornen. In seiner hochgebornen Leichtfertigkeit [559] und Siegesgewißheit rauchte er eines Nachts, als die meisten Läden schon geschlossen waren, noch die beste Cigarre an, die sie geben konnte, und blieb, mit ihr plaudernd sitzen, bis er sich überzeugt hatte, daß es auf der Straße still und leer geworden war. Jetzt bot er ihr mit der liebenswürdigsten Unverschämtheit (die nur durch sogen. „noble“ Bildung und fortwährenden „auserlesenen“ Umgang gewonnen werden kann) jede beliebige Summe für ihr Haus und Geschäft und sein Schloß in Cerito, unweit Havanna, wenn sie jetzt gleich davon Besitz nehmen und die „freie Geliebte seines Herzens“ werden wolle. Miralda machte kurzen Prozeß mit ihm und nannte ihm einen Laden, wo die Cigarren viel besser wären, so daß sie hoffe, er werde sich nie wieder zu ihr bemühen. Er scherzte und wollte sich ihr nähern. Mit einem blitzenden Dolche blieb sie ruhig vor ihm stehen und sah ihn fest an. Der Graf schlug die Augen nieder und ging.
Einige Tage darauf machten in der Dämmerungsstunde ein paar Dutzend Soldaten vor Miralda’s Laden Halt. Ein Lieutenant trat ein und erklärte sie im Namen des Gesetzes für seine Gefangene. Sie schloß ihren Laden und ließ sich im Namen des Gesetzes, das unter dem Gouverneur Tacon durchaus keinen Spaß verstand, ruhig forttransportiren. Aber sie wurde unruhig und unruhiger, als der Marsch auch jenseits der Arresthäuser und endlich gar jenseits der Stadt kein Ende nehmen wollte. Allen ihren Fragen und Angstrufen ward ein militärisches Schweigen entgegengesetzt. So wurde sie in der langen Palmenallee, die nach Cerito führt, immer weiter und endlich in das Schloß des Grafen Almante hineingetrieben. Er empfing sie an der Hauptthür und sprach mit lächelnder Liebenswürdigkeit die Hoffnung aus, daß sie nun wohl mit der Zeit zu einer bessern Verständigung kommen würden. Miralda zeigte blos ihren Dolch, den männliches und weibliches Geschlecht der bürgerlichen und niedern Klassen immer bei sich führt, und einen Blick der tiefsten Verachtung. Ruhig ging sie in die Prachtzimmer, die ihr zur Verfügung gestellt wurden, und verlebte dort die Tage und Nächte ihrer Gefangenschaft immer mit dem Dolche in der Hand. Sie hatte Pedro von der Unverschämtheit des Grafen erzählt und hoffte nun, daß ihm die Liebe Mittel und Wege zu ihrer Befreiung ausfindig machen lassen werde.
Und so geschah es. Pedro wagte sich zunächst in der Verkleidung eines Mönchs im Schlosse Zutritt und Gewißheit zu verschaffen. Und jetzt blieb er vorsichtig genug, die ganze Angelegenheit für sich zu behalten, und sie nur dem Gouverneur mitzutheilen, der auf der ganzen Insel als der strengste und gerechteste Herr gefürchtet und geliebt ward und bis heute ein sprüchwörtlicher Mann des Volks auf Cuba geblieben ist.
So stand Pedro eines Tages vor dem Gouverneur Tacon und erzählte ihm das Schicksal der Miralda Estalez in einer männlichen, freien, durch Entrüstung und Liebe beredtsamen, eindringlichen Weise.
„Und das Mädchen?“ frug der Gouverneur mit einer finstern Wolke in seinem Gesicht. „Sie ist Deine Schwester?“
„Nein, Excellencia, mehr. Meine Verlobte!“
Der Gouverneur ließ ihn näher treten, hielt ihm ein goldenes Crucifix hin und forderte ihn mit durchdringendem Blicke auf, bei Himmel und Seligkeit zu schwören, daß er die Wahrheit gesagt habe.
Pedro kniete nieder, küßte das Kreuz und sprach fest: „Ich schwöre!“
Jetzt schrieb der Gouverneur einige Zeilen, klingelte und gab sie dem Pagen für den Kapitain der Wache. Pedro ward in einem andern Zimmer untergebracht und ihm geheißen, zu warten, da seine Angelegenheit gleich erledigt werden solle.
Nach zwei Stunden standen Graf Almante und Miralda vor dem Regenten der Insel. Letzterer frug Ersteren: „Sie haben die Uniform der Wache für Ihre Privatabsichten auf dieses Mädchen mißbraucht, nicht?“
„Excellencia, ich bin leichtsinnig gewesen. Ich kann es nicht vor dem obersten Richter leugnen.“
„Der oberste Richter später. Jetzt stehen Sie vor mir. Erklären Sie auf Ihre Ehre, Graf, daß Ihrer Gefangenen keine Gewalt geschehen?“
„Auf Ehre, Excellencia, kann ich diese Versicherung geben.“
Nachdem der Gouverneur einem Pagen einen Befehl von drei Worten auf Papier übergeben, setzte er seine Fragen gegen den Grafen und Miralda fort, bis auch Pedro dazu gerufen und die verschiedenen Aussagen Aller verglichen wurden.
Nach dieser Untersuchung trat auf einen Wink des Gouverneurs ein Mönch der Santa Clara-Kirche im vollen Ornate ein. Der Gouverueur sagte:
„Heiliger Vater, Du wirst jetzt die Hände dieses Grafen Almante und dieser Miralda Estalez zur Ehe verbinden.“
„Excellencia!“ rief der Graf in erbleichendem Schrecken.
„Nicht ein Wort, Sennor! Sie haben hier blos zu gehorchen.“
„Mein Adel, Excellencia!“
„Ist verfallen,“ unterbrach ihn Tacon mit einem Schrecken erregenden Blick und Ausdruck. Tacon’s Art und Weise war bekannt. Er war der unbeugsamste Despot für Ausführung seines Gerechtigkeitssinnes. So fügten sich der Graf, Pedro und Miralda – Jedes in ein ihm furchtbares Schicksal.
Nach einigen Minuten war die Trauung vollzogen. Tacon befahl dem Grafen sich zu entfernen und Pedro und Miralda zu bleiben und arbeitete dann amtlich weiter. Nach kurzer Zeit erschien der Capitain der Wache und stellte sich militärisch auf, ehrerbietig auf den Moment wartend, wenn ihn der Regent anreden werde.
„Capitain, ist der Befehl vollzogen?“
„Ja, Excellencia, der Graf ist todt. Als er den Pasco-Winkel passirte, trafen ihn von den zwölf befohlenen Kugeln neun, obgleich er sehr eilig ritt.“
„Gut, Capitain! Sie können gehen. Heiliger Vater, Du wirst in üblicher Weise die Verehelichung des Grafen Almante mit Miralda Estalez und den Tod des ersteren bekannt machen und bekannt machen lassen, so wie daß die Wittwe des Grafen einzige und alleinige Erbin alles Vermögens und aller Titel ihres Gatten ist.“
Und zu Pedro und Miralda gewandt, sagte er lächelnd: „Ihr werdet nun wohl Eure Angelegenheiten ohne mich vollends zur Ordnung bringen“ und setzte ernst und finster hinzu: „Kein Mensch, und sei er der niedrigste, soll in diesem heißen, leidenschaftlichen Lande, wo Blut und Willkür sich so oft gegen das Gesetz richten, vergebens um die Unterstützung nachsuchen, die ich diesem Gesetze schuldig bin.“
Dieser wirkliche Vorfall könnte aus der Geschichte der Regentschaft Tacon’s noch durch viele andere ähnlicher Moral vermehrt werden. Wenn die Strenge und Grausamkeit der Despotie, die in heißen Klimaten und aus heißer, gemischter, uncultivirter Bevölkerung heraus sich oft als Bedürfniß für dieselbe gestaltet, zugleich als strenger Gehorsam gegen einmal geltende Gesetze und den natürlichen und sittlichen Gerechtigkeitssinn auftritt und sich behauptet, hat sie immer etwas Populäres und bietet sich selbst, verschiedenen Formen der Poesie als willkommner Stoff. Tacon’s Verwaltung Cuba’s ist Volkspoesie geworden, die neuerdings in ihrem Contraste zu Willkür, Erpressung und Despotie ohne Gesetz und gegen Recht und Sitte neue Bedeutung gewonnen hat, so daß Cuba nur noch sehr lose an Spanien hängt und es sich bald selber Regenten wählen würde, wenn es nicht in die amerikanische Civilisation mit aufginge.
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Ein Stück Australien. Das „glückliche Australien,“ wie der Port-Philipp-Distrikt von Neu-Süd-Wales mit der Hauptstadt Melbourne genannt ward, war 1827, als die Auswanderung dahin langsam begann, noch unbekannt. Major Mitschell, damals Gouverneur von Australien, theilte am 24. Oct. 1836 den ersten Bericht über die erste Entdeckung dieses Theiles mit: „der bereit liegt für den Pflug, wie ganz besonders von dem Schöpfer vorbereitet für die industrielle Hand des Engländers.“ Und was ist jetzt daraus geworden? Im Jahre 1852 hatte er 200,000 Bewohner, welche für 130,000,000 Thlr. Güter aus- und für 28,000,000 Thlr. einführten, so daß etwa auf jeden Bewohner für 150 Thaler eingeführte Gegenstände, also Luxusartikel kommen. Welche Familie von fünf Personen kann in Deutschland für etwa 800 Thaler Colonialwaaren und Luxusgegenstände consumiren? Etwa die, wo Papa 400 Thaler Gehalt oder Thaler Einkünfte erarbeiten kann? Im Jahre 1853 wurde in Victoria (wie jetzt dieses glückliche Australien heißt) für 140,000,000 Thaler Gold gewonnen. Der Werth der eingeführten Waaren betrug 106,000,000 Thaler (im Jahre vorher 28,000,000). Die 200.000 Einwohner von 1852 stiegen bis Ende Juni dieses Jahres auf mehr als 600,000. Im Jahre 1788 landeten die ersten Europäer unter Capitain Philipp in Neu-Süd-Wales. Der erste Auswanderer, welcher hier Land von der englischen Regierung (die ganz Australien durch ein Bischen Trommelschlag in einer Ecke und durch Erklärung, daß es nun England gehöre, erobert hatte) erhielt, war ein Deutscher, der von der Regierung zu weiterer Nachforschung des Landes ausgesandt war. Es bestand aus etwa 120 Morgen, die er für ein Spottgeld wieder verkaufte. Zwanzig Jahre später waren die 120 Morgen etwa 800,000 Thaler werth. Der erste Forscher in das Innere hinein war ebenfalls ein Deutscher, Dr. Leichardt, der von seiner letzten Expedition nicht wiederkehrte, so daß er als umgekommen betrachtet wird. Die erste sichere Kunde von den fruchtbaren Gegenden im tiefsten Innern, jenseits der Wüsten, verdanken die Engländer ebenfalls Deutschen, besonders dem jüngeren Dr. Schomburgk in Buchsfelde, bei Adelaide, wohin er 1848 mit einer wohlhabenden geschlossenen Gesellschaft berliner Familien auswanderte. Durch Tausende meteorologischer (Wetter- und Wind-) Beobachtungen und deren Feuchtigkeitsgehalt stellte sich’s wissenschaftlich fest, daß im Innern fruchtbare Gegenden sein mußten. Durch wissenschaftliche Beobachtungen an Flußmündungen und der Züge von Papageien, die nur fruchtbare Stellen wählen, von Engländern rings um das Land angestellt und durch wissenschaftliche Combination beider Beobachtungsreihen rechnete A. Petermann in London (jetzt in Gotha) die Lage und Ausdehnung dieser fruchtbaren Züge genau geographisch heraus. Und es war ebenfalls ein Deutscher, der ehemalige General Haugh, welcher diese Entdeckungen der Wissenschaft charakteristisch durch eine Expedition weiter verfolgen wollte, wozu er von der englischen Regierung schon eine hübsche Summe Geldes angewiesen bekommen hatte, als die londoner „geographische Gesellschaft“ unter dem Pantoffel eines heimtückischen Dänen, der die Deutschen grimmig haßt, die Expedition zu vereiteln wußte, unter dem Vorwande, daß die Regierung sie selbst machen lassen werde. Aber bisher hat sich die englische Regierung, wie jede andere, wenn sie mit der deutschen Wissenschaft concurriren wollte, als machtlos erwiesen. Sie hat noch nicht an die Expedition gedacht und wenn sie von Regierungsbeamten wirklich noch ausgeführt werden sollte, wird sie viel Geld kosten, aber der Wissenschaft schmale Bissen bieten.
Glücklich wie ein König! Mag diese Redensart in andern Ländern mit Recht ihre Anwendung finden, so wird man dies doch in Beziehung auf Frankreich nicht behaupten können, wenn man – ganz abgesehen von den Gräueln, die in den frühesten Zeiten des Reiches den Thron befleckten – sich in das Gedächtniß zurückruft, wie viele, ja beinahe die meisten Könige der neueren Dynastien starben: Karl VI. wahnsinnig; – Karl VII. ließ sich verhungern, aus Furcht, von seinem Sohne vergiftet zu werden; – Ludwig XI. starb in seinem freiwilligen Gefängnisse zu Plessis-les Tours, umgeben von seinen Opfern, gemartert von Reue und Gewissensbissen; – Karl VIII. wurde in seinem zwanzigsten Jahre vergiftet; – Franz I. starb an den Folgen seiner Ausschweifungen; – Heinrich II. an einem, in einem Turniere empfangenen Lanzenstoße; – Franz I. wurde durch seine Mutter vergiftet; – Karl IX. ebenfalls, und starb unter gräßlichen Qualen und blutiger Reue über die Pariser Bluthochzeit; – Heinrich III. wurde durch einen Dominikaner und Heinrich IV. durch einen Jesuiten ermordet; – Ludwig XIV. wurde unter dem dumpfen, vorwurfsvollen Schweigen – Ludwig XV. unter den lauten Verwünschungen des Volkes begraben; – Ludwig XVI. endete auf dem Blutgerüste; – Ludwig XVII. unbekannt, vielleicht im Elend; – Ludwig XVIII. starb nach einer Verbannung von zwanzig Jahren und einer zweiten von hundert Tagen; – Napoleon I., Karl X. und Ludwig Philipp starben in der Verbannung!!!
Spanisches Leben. Insofern es nicht politisch ist, gehört das spanische Leben nicht zu den schlechtesten Arten, die süße Gewohnheit des Daseins zu genießen. Die Familie steht früh oder auch spät auf, nimmt etwas Kaffee oder Chokolade und einen Mund voll Brot, worauf Jeder bis 10 oder 11 Uhr macht, was er will. Jetzt wird substantiell gefrühstückt und dann von der Anstrengung ausgeruht, was man „Siesta“ nennt, welche verschiedene Ausdehnungen hat. Wer sich den Spanier zum Freunde erhalten will, darf sich nie einfallen lassen, ihn während der „Siesta“ zu stören. Wer ihn während dieser Zeit beunruhigt, ist sein ärgster Feind. Der Spanier wird dann ein Wilder. Abends bis Mitternacht ist er ein Menschenfreund, während der Siesta ein Tiger. Wecke ihn und er zerreißt Dich! Mittagsessen giebt’s nicht. Jeder ißt nach Belieben, wenn er ausgeschlafen hat. Um 8 bis 9 Uhr Abends erst kommt das gemeinschaftliche, feierliche, freudige Mahl. Die Familie versammelt sich, Freunde gucken herein und essen mit, die Mädchen bringen ihre Guitarren und es wird bis Mitternacht gesungen und getanzt. Das ist die Zeit, wo man eine spanische Familie sehen muß. Von neun Uhr bis Mitternacht ist Alles Lust, Freude und Gemüthlichkeit. Wer einmal bekannt, einmal eingeführt ist, kann während dieser Zeit kommen und gehen, wie er will und Fremde mitbringen. Ist er bekannter, steht ihm Haus und Herd und Speisekammer, jeder Theil des Hauses zu jeder Zeit zur Verfügung. Er kann überall herumlaufen, wie ein Liedlingshund. Frauen und Mädchen laufen im tiefsten Negligé nicht von ihm, sondern plaudern mit ihm. Der Bekannte im Hause wird nie angemeldet. Er wird vom Diener eingelassen und macht dann, was er Lust hat, ohne daß es Jemandem einfällt, etwas zu Familiäres darin zu finden, wenn er in der Speisekammer (wo freilich Vorräthe nicht Mode sind) sich selbst bedient oder zusieht, wie sich die Dame des Hauses das Haar kämmt oder die Strumpfbänder zubindet.
Eine Engländerin im „freien“ Griechenland. Als die Engländer und Franzosen in Griechenland gelandet waren, fanden sie unter Sklavinnen, die im Felde hart arbeiteten, auch eine Engländerin. Zunächst wurde sie von einer englischen Soldatenfrau entdeckt, der sie erzählte, daß sie schon vier Jahre in griechischer Sklaverei lebe. Auf der Reise mit ihrem Vater habe sie Schiffbruch erlitten, als sie erst zwölf Jahr alt war und sei hierher verschlagen von einem Seeräuber überfallen und genöthigt worden, ihm seitdem stets als Sklavin zu dienen. Die Soldaten Englands, davon benachrichtigt, forschten ihre Landsmännin und deren Herren aus, machten fünf Personen, die Familie des Piraten, zu Gefangenen und befreiten zwanzig Sklavinnen, unter welchen aber die Engländerin nicht war. Jetzt machten sie Anstalten, die Piratenfamilie zu hängen, da sie sich weigerte, zu sagen, wo die Engländerin sei. Endlich, schon mit dem Stricke um den Hals, beichteten sie. Man fand die Engländerin in einem unterirdischen Gefängniß, schwer in Eisenkettcn, und einer schweren Kiste auf ihrer Brust. Man hatte sie aus Rache, daß sie sich zu erkennen gegeben, auf diese Weise umbringen wollen. Nun wurden zwar die Piraten nicht volksjustizlich gehangen, wohl aber hinterher kriegsgerichtlich erschossen.
Literarisches. Von Joseph Rank wird nächstens ein historisches Drama in 5 Akten: der Herzog von Athen erscheinen. Ist damit Ilm-Athen gemeint? Auch die Gräfin Hahn-Hahn, die fromme Büßerin, tritt wieder aus ihrer Einsamkeit in die literarische Oeffentlichkeit hinaus und wird binnen Kurzem einen Band frommer Gedichte unter dem Titel: „Ein Jahr der Kirche“ erscheinen lassen. – Wir erlauben uns bei dieser Gelegenheit diejenigen unserer Leser, welche an Literar-Kritik Gefallen finden, auf die „Blätter für literarische Unterhaltung“ aufmerksam zu machen. Seit Herrmann Marggraff die Redaktion derselben übernommen, hat das Blatt ungemein an Gehalt, Frische und Tüchtigkeit des Urtheils gewonnen. Besonders sind Marggraff’s eigene Beiträge eine Zierde des Blattes.
Im Verlage des Magazins für Literatur in Leipzig erschien so eben:
von
F. Neudörfer.
14 Bogen. Elegant broschirt. 22 Ngr.
Der Verfasser, ein deutscher Arzt, und erst vor wenigen Wochen aus Australien zurückgekehrt, giebt in diesem Buche eine Schilderung der dortigen Zustände, die er während eines dreijährigen Aufenthalts vielfache Gelegenheit hatte, kennen zu lernen. Es existirt weder in England noch in Deutschland ein Buch, welches so authentische und neue Mittheilungen über Australien brächte, wie das vorliegende.