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Die Gartenlaube (1853)/Heft 45

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Autor: Verschiedene
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Titel: Die Gartenlaube
Untertitel: Illustrirtes Familienblatt
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Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum: 1853
Erscheinungsdatum: 1853
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[485]

No. 45. 1853.
Die Gartenlaube.


Illustrirtes Familien-Blatt. – Verantwortlicher Redakteur Ferdinand Stolle.


Wöchentlich ein ganzer Bogen mit Illustrationen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter vierteljährlich für 10 Ngr. zu beziehen.


Der Möwenberg bei Schleswig.

Von Ernst Willkomm.


Gegenüber der Stadt Schleswig, mitten im breiten Schleistrome liegt eine kleine unfruchtbare Insel, in deren hohem Binsengrase zahllose Möwen nisten. Sie heißt „der Möwenberg“ und hat gegenwärtig gar keinen Werth für Schleswigs Bewohner. Wohl aber knüpfen sich an diesen von der salzigen Meerfluth umspülten wüsten Erdfleck bedeutsame historische Erinnerungen, die nicht verloren gehen werden noch vergessen werden dürfen, so lange der Name Schleswig fortlebt in der Geschichte. Oben im Norden, an den Küsten der Ost- und Nordsee, in der fruchtbaren Marsch wie auf der dürren Geest, wo der Wind mit mannshohem Haidekraut spielt, kennt diese Erinnerungen, die Verschmelzung von Sage und Geschichte darin ein Jeder, in Innerdeutschland aber, wo man sich bis zum Jahre 1848 um Schleswig gar wenig kümmerte, dürften auch nur Einzelne von den Sagen und Geschichten des Möwenberges etwas gehört haben. Für solche im Innern Deutschlands wohnende Leser will ich deshalb das Nachstehende erzählen. Man glaube nicht, daß ich eine Geschichte in romantischer Umhüllung den Lesern vorführe oder eine Novelle, auf historischem Grunde ruhend; ich gebe nur einfache Thatsachen in schmuckloser Darstellung, wie uns alte Chronikbücher dieselben überliefert haben oder wie die Tradition sie von Geschlecht zu Geschlecht weiter trägt. Es vollzieht sich aber in dieser Verschmelzung von Geschichte und Sage ein Gottesgericht, wie die kühnste Phantasie eines begabten Dichters es ergreifender nicht erfinden könnte. Und weil zugleich an dieser Sagengeschichte das Wohl und Wehe eines ganzen Landes und Volkes sich emporrankt, will ich vor den Augen deutscher Landsleute die wappen- und helmgeschmückten Deckel zweier Königssärge öffnen, deren längst vermoderte Bewohner bei ihrem Lebzeiten sich eine traurige Berühmtheit erwarben. –

Im dreizehnten Jahrhundert erhob sich auf dem Möwenberge in der Schlei eine stark befestigte Burg, deren Zinnen weit in’s Land hinein sichtbar waren. Ueberhaupt gab es damals in der Nähe der Stadt Schleswig eine Menge Burgen, von denen noch heute einige Spuren zu entdecken sind. Man zählte deren um die Zeit der größten Blüthe Schleswigs sieben. Die Herzöge von Schleswig oder Süderjütland, wie

[486] damals alles Land von der Königsau bis zur Eider mit Ausschluß des von den Nordfriesen bewohnten westlichen Marschlandes und den jetzt sogenannten Inseln der Westsee[WS 1] hieß, waren Erbauer und Bewohner dieser Burgen. Am Wohlsten schienen sie sich jedoch auf der Jurisburg zu befinden, jenem festen Schlosse, welches den Möwenberg in der Schlei krönte.

Hier schlug auch Herzog Abel von Süderjütland sein Hoflager auf, nachdem er in einem langen Kriege mit seinem leiblichen Bruder Erich, rechtmäßigem Könige von Dänemark, sich diesem hatte unterwerfen müssen. Schon dieser blutige Krieg zwischen beiden Brüdern, der sich über die Frage erhob, ob das Herzogthum Schleswig ein Erblehn sei oder nicht, bewies zur Genüge die feindselige Gesinnung der Brüder gegen einander. Es schien ein Fluch auf dem Ehebündniß ihres verstorbenen Vaters, Waldemar’s II. mit der portugiesischen Prinzessin Berengaria zu ruhen, die ihnen das Leben gegeben hatte. Unsichern Ueberlieferungen zufolge ward diese Verbindung Waldemar’s II. ohne Neigung geschlossen, selbst das Volk mochte der Fremden abgeneigt sein. Wie dem aber auch sein mag, des Himmels Segen beschirmte den Ehebund nicht. Zwischen den Brüdern Erich und Abel war kein Friede, kein Einverständniß von Jugend auf, und als sie zu Männern herangereift, ließen sie die Unterthanen entgelten, was ihr bruderfeindlicher Streit verbrochen hatte. In diesem Kampfe blieb der ältere Erich Sieger. Abel behielt das vom Schwerte verwüstete Süderjütland und setzte sich grollend auf die Jurisburg, in seinem finstern Geiste auf Rache gegen den glücklicheren Bruder sinnend.

War Herzog Abel ein versteckter, rachgieriger und hinterlistiger Charakter, Eigenschaften, die als Erbtheil seiner portugiesischen Abstammung ihm nicht blos anklebten, sondern ihn gänzlich beherrschten, so ließ sich zum Lobe seines Bruders, des Königs Erich gerade auch nicht viel Preiswürdiges sagen. Sinn für Recht und Gerechtigkeit im edlern Sinne des Wortes ging ihm ebenfalls ab. Das Volk war ihm blos ein Schwamm, den er so lange drückte oder durch seine Helfershelfer drücken ließ, als er noch etwas von sich gab. Weigerten sich Bürger und Bauern, ihre Truhen zu öffnen, damit Erich das Nöthige daraus entnehmen könne, so erbrach man sie und bemächtigte sich alles darin Vorgefundenen. An einen vernünftigen Staatshaushalt war nicht zu denken. Die Schätze des Reiches wurden vergeudet, das blühende Land durch unablässige Kriegszüge verödet. Niedergebrannte Städte, rauchende Dörfer und Weiler bezeichneten den Weg der Kriegshaufen, welche[WS 2] der König jetzt gegen seinen aufrührerischen Bruder, dann wieder gegen die halsstarrigen Geest- und Marschfriesen Süderjütlands in’s Feld führte.

Als die Schatzkammer erschöpft und nirgend mehr Geld aufzutreiben war, besteuerte Erich selbst den Pflug des Landmannes, weshalb ihn das Volk den Ekelnamen „Pflugpfennig“ gab.[WS 3] Diese Steuer, welche den Landmann eben so sehr drückte als empörte, wurde mit unglaublicher Härte eingetrieben. Allein das Volk der Friesen und Dithmarsen, eingedenk ihrer altgermanischen Freiheit und nicht gewillt, dieselbe einem fremden Könige zum Opfer zu bringen, lehnten sich gegen die erbarmungslosen Dränger auf, griffen zu den Waffen und waren entschlossen, das Aeußerste zu wagen.

Dieser bewaffnete und energische Widerstand der Nordfriesen und Dithmarsen, denen sich als Bundesgenossen auch die Holsteiner anschlossen, ist der Beginn jener Jahrhunderte lang fortgesetzten Kämpfe der deutschen Bevölkerung in Schleswig und Holstein gegen die dänischen Unterjochungsgelüste. Seit jenem ersten blutigen Kampfe dieser Volksstämme war bis auf unsere Tage immer nur Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit zwischen denselben und den Dänen, und haben sich inzwischen auch die politischen Verhältnisse mannigfach geändert, die Grundursache zum Kampfe, zu erneuter Gegenwehr blieb von jenem ersten Aufstande im Anfange des dreizehnten Jahrhunderts bis auf unsere Tage ziemlich dieselbe.

Erich hatte wenig Glück. Die Nordfriesen nöthigten ihn, südwärts zu ziehen, ohne die begehrte Pflugsteuer zu bezahlen. Auch war seine Gegenwart im Süden gar nöthig. Denn an der Eider lagerten nebst Bremer und Paderborner Hülfsvölkern die mannhaften Holsteiner und bedrohten die hier errichtete Veste mit Sturm zu nehmen. Das heutige Rendsburg, in jenen Tagen der Vorzeit Reinoldsburg genannt, war von dänischen Mannen besetzt, die jedoch zu schwach waren, um noch lange gegen die vereinten Heerhaufen der Belagerer sich halten zu können. Diesen zu Hülfe zu eilen, war Zweck und Plan Erich Pflugpfennig’s. Allein er sollte nicht soweit kommen. Mehr leichtsinnig und unbeständig als bösartig, machte er am steilen, öden Erdwalle des Danevirke,[WS 4] das hinter dem Selcker Noor über das Blachfeld emporragt und als eine ungeheure Riesenschanze tief in’s Land hineinläuft, Halt, um das Land rund um zu betrachten.

Es ist ein schönes, ein bezauberndes Landschaftsbild, das von dieser sagenreichen Erdhöhe herab den Blicken sich eröffnet. Im Süden liegt die Geest, öde, traurig-wüst, fahl-grau und gelblich-weiß, wie ein Stück der lybischen Wüste, von Geisterhänden in diesen germanischen Norden versetzt. Der Sand rollt sich auf zu Hügeln vor dem scharf wehenden Westwinde und verwandelt das feste Land in ein bewegtes erdiges Meer. In der Ferne schimmern die Zinnen von Rendsburg, während gen Osten aus dem bebauten Flachlande schön bewaldete Höhen auftauchen, bekannt unter dem Namen der „Hüttener Berge.“

Gefesselt von diesem Anblick blieb der König lange Zeit in Betrachtungen versunken am Danevirke stehen. Auf den stolzen Zinnen der Jurisburg lag goldener Sonnenschein. Die Schlei flimmerte wie ein See geschmolzenen Silbers. Vom Dom herüber und aus dem Thale unter seinen Füßen, wo etwas versteckt die Haddebyer Kapelle lag, scholl Glockengeläute. Da überschlich den König ein Gefühl der Wehmuth. Er schlug ein Kreuz, lüftete seinen Hut und sprach ein Gebet, denn er gedachte der Vergangenheit und mußte sich sagen, daß er nicht immer so gehandelt habe, um sich des Himmels Beifall dadurch zu erwerben. Diese [487] weichmüthige Stimmung ließ ihn auch seines Bruders, gedenken, dessen Schloß so freundlich zu ihm heraufblickte. Noch hatte er sich nicht mit ihm ausgesöhnt und doch lächelte die Sonne so gnadenreich auf dessen Wohnsitz herab, als wolle der Himmel dadurch zu erkennen geben, daß er dem Besiegten vor Andern hold sei.

Rasch in seinen Beschlüssen, wandte Erich sein Roß und trabte heitern Sinnes, von nur wenigen Mannen seines Gefolges begleitet, hinab in’s Schleithal, um nach längerer Zeit den finstern Bruder wieder einmal zu sehen. Er glaubte, dieser Besuch werde ihm Glück bringen und seine Unternehmung gegen die Holsten an der Eider fördern helfen.

Herzog Abel hatte sich eines so unerwarteten Gastes nicht versehen; er war aber sehr erfreut, den ihm verhaßten Bruder zu so glücklicher Stunde bei sich sehen zu sollen. Als ihm der königliche Herr angemeldet ward, ging Abel seinem Bruder mit der freundlichsten Miene, die er erheucheln konnte, entgegen, begrüßte ihn an der Pforte der festen Burg, half ihm liebreich aus dem Nachen, der ihn vom Festland herüber an die Insel getragen hatte, und geleitete ihn unter den Versicherungen brüderlicher Liebe in das Innere der Jurisburg.

Beide Brüder verkehrten recht einträchtig zusammen, so daß es schien, als hätten sie sich wirklich von Herzen versöhnt. Abel besonders war die Freundlichkeit selbst. Als man sich an Speise und Trank gelabt, nahm man seine Zuflucht zum Brettspiel, das in jenen Tagen in eben so hohem Ansehen stand als heutzutage das Kartenspiel, wohlzumerken mit französischen Karten! Erich hatte Glück, Abel verlor. Des Letzteren Tochter brachte den spielenden Brüdern ein paar Humpen Wein. Da sprach Herzog Abel, das Trinkhorn ergreifend und es zum Gruße gegen König Erich aufhebend:

„Erinnerst Du Dich noch der vergangenen Tage, wo Du mir gegenüber ebenso im Glücke warest, wie jetzt? Es war nicht weit von hier. Damals verfolgtest Du Deinen Vortheil mit solchem Eifer, daß ich mit den Meinigen kaum Deinem Zorne enteilen konnte. Besonders übel erging es meiner Tochter. Sie mußte baarfuß fliehen und in rauchigen Hütten bei niedrigen, gemeinen Leuten bettelnd ein dürftiges Unterkommen suchen. Das war nicht fein von Dir, mein Bruder!“

„Laß die Vergangenheit ruhen,“ erwiederte Erich, dem Bruder Bescheid gebend. „Geschehenes muß zwischen uns vergessen werden. Uebrigens,“ setzte er heiter lachend hinzu, „besitze ich trotz der halsstarrigen Friesen, Sachsen und Holsten, die sich meinen Befehlen widersetzen, doch noch so viel, daß ich Deiner Tochter ein paar Schuhe kaufen kann.“

„Meinst Du?“ versetzte Abel höhnisch, mit seiner Hand das Brettspiel zerstörend. „Ich bedarf Deiner Almosen nicht. Aber weißt Du, daß Du jetzt in meiner Macht bist und daß ich mit Dir thun kann, was mir beliebt?“

Erich sah ihn stolz an. „Ich bin Dein Gast,“ sagte er, „und kann nicht glauben, daß Du die Gastfreundschaft verletzen wirst.“

Abel lachte. „Es ist nur meiner Tochter wegen,“ versetzte er. „Wer giebt mir Gewähr dafür, daß Du nicht eines Tages wieder über mich herfällst und mein Kind abermals gezwungen wird, in der Flucht ihr Heil zu suchen? Damit dies nicht geschehen könne, will ich Dich unschädlich machen. Du bist allein, ich bin Dein Gebieter. Was Du an mir verbrochen, sollst Du jetzt büßen!“

So sprechend stampfte Abel mit dem Fuße, daß die Trinkhalle erdröhnte, die Thür ward geöffnet und herein traten die Schergen des Herzogs, ergriffen auf den Wink ihres Gebieters den König und schlugen ihn in Ketten.

Erich mußte das Unabwendbare über sich ergehen lassen. Er ward von herzlosen Knechten die Wendelstiege hinabgestoßen und nach einer Pforte geführt, die auf die Schlei mündete. Hier lagen einige offene Böte. In eines derselben warf man den heimtückisch Ueberfallenen. Die Bootsleute ergriffen die Ruder und trieben den Nachen mit ihrem Gefangenen durch die aufrauschenden Wogen des Meerstromes. Erich wandte seine Blicke rückwärts der Jurisburg zu, deren gothische Zinnen im weichen Dämmer der hellen Augustnacht deutlich zu erkennen waren. Dann und wann glitzerte um die dunkeln schlanken Thürmchen etwas Weißes und lang austönende Klagerufe, die fast einer wimmernden Menschenstimme glichen, ließen sich hören. Das waren Möwen, von denen einzelne zuweilen von der Ostsee herauf bis nach Schleswig sich verirrten. Auch über dem breiten Wasserspiegel der Schlei schwebten die graziösen Vögel.

Dem rasch stromabwärts schwimmenden Boote, welches den gefesselten König trug, folgten bald mehrere andere. Hinter diesen zogen die Möwen, immer lauter klagend, fort, daß Erich selbst auf das Geschrei derselben aufmerksam ward. Er fragte seine Wächter wer die Männer in den ihnen folgenden Böten wären und als man ihm bedeutete, daß ihr Anführer wahrscheinlich Abel’s Vertrauter, Lauge Gudmansoe, der geschworene Feind Erich’s sei, entsetzte sich der König, das Schlimmste ahnend.

Zwei Stunden meerwärts von Schleswig verengert sich die Schlei zu einem schmalen Strome. Hier auf dem hohen Ufer stand damals eine Kapelle. Als Erich dieser Kapelle ansichtig ward, bat er seine Wächter, sie möchten den daneben wohnenden Priester rufen, damit er beichten und sich auf sein, wie er vermuthen müsse, nahes Ende vorbereiten könne.

Man gewährte dem Gefangenen diese Bitte. Der Priester erschien. Inzwischen hatten die nachrauschenden Böte den König eingeholt und umringten den Nachen des Gefangenen. Erich aber kniete nieder und beichtete. Um ihn versammelten sich die Möwen, umflatterten sein Haupt, während die Hand des Priesters ihn segnete, und ihr Geschrei in der stillen Nacht klang, als ob sie laut klagend den Namen „Erich!“ riefen.

Lauge Gudmansoe befahl seinen Leuten, die lästigen Schreier zu vertreiben, allein wie diese auch nach den Vögeln schlugen, sie zu tödten oder zu verscheuchen wollte ihnen doch nicht gelingen. Die Möwen schwangen [488] sich höher in die Luft und schwebten gleich einem Kranze beweglicher Silberfittige über dem Haupte des betenden Königs.

Da wandte sich der böse Gudmansoe zu dem Gefesselten und sagte mit grimmiger Stimme: „König Erich, Du mußt sterben!“ Darauf trat Einer von Gudmansoe’s Leuten in den Nachen des Königs, schwang eine Axt und zerschmetterte damit Erich’s Kopf. Als dies geschehen war, ließ Gudmansoe Steine um den Leichnam des Königs befestigen und ihn so beschwert in die Tiefe des Schleistromes versenken. Niemand, als die Schergen und Bootsleute hatten die scheußliche That gesehen, weshalb Herzog Abel sie geheim halten und durch ein verbreitetes Mährchen vertuschen zu können glaubte. Es hieß, König Erich sei auf der Schlei ertrunken!

Allein was Menschen nicht ausplaudern sollten, das ließ die rächende Hand Gottes durch die Möwen, die Zeugen der Blutthat, allem Volk verkündigen. Denn kaum hatten die gurgelnden Wellen der Schlei den Leichnam verschlungen, da legten sich auch die Möwen über das Wasser, als wollten sie das Grab des rechtlos Erschlagenen bewachen. Sie schwebten auf und nieder über dem Strome, rastlos die weißen Fittige bewegend, und Tag und Nacht den Namen „Erich!“ rufend, daß es den Anwohnern der Schlei grauste und Jedermann der Ueberzeugung lebte, Herzog Abel habe seinen königlichen Bruder ermorden lassen. Dabei mehrte sich die Zahl der Möwen mit jedem Tage. In ganzen Schwärmen zogen sie vom Meer her und legten sich in solchen Massen auf die Schlei, daß der ganze Strom von ihnen gleichsam bedeckt ward. Deshalb nannte man die Stelle fortan „Mösund,“ d. h. Möwensund, woraus späterhin „Missunde“ entstanden ist.

(Schluß folgt.)




Omer Pascha.

Zu den Männern, welche aus den Wogen der Zeitgeschichte hoch empor getaucht sind, gehört Omer Pascha, der gegenwärtige Oberbefehlshaber der türkischen Truppen in Bulgarien. Große Thaten sind es jedoch bis jetzt gerade nicht, die ihn zu einem der Helden der Tagesgeschichte gemacht haben, sondern nur die Laune des Zufalls und die Hoffnungen der Osmanen auf seine militärischen Talente, über die wir indeß noch nicht endgültig urtheilen können.

Omer Pascha, dessen christlicher Name Lattas ist, wurde im Jahre 1811 zu Plaski in der kroatischen Militärgrenze geboren. Schon in früher Jugend kam er in die mathematische Schule zu Thurm bei Karlstadt, trat später in ein Grenzregiment und fand, da er eine sehr schöne Hand schrieb, hauptsächlich im Verwaltungswesen Verwendung. Unlust an seiner Beschäftigung ließ ihn dieselbe vernachlässigen, so daß er um einer ihm deshalb drohenden Strafe zu entgehen, im Jahre 1833 aus Oesterreich nach der Türkei floh. Hier fand er anfangs bei einem türkischen Kaufmann als Contorist Verwendung und avancirte, als er später den mohamedanischen Glauben angenommen, zum Hauslehrer. In dieser Eigenschaft kam er auch nach Konstantinopel und erhielt daselbst binnen Kurzem in einer militärischen Lehranstalt die Stelle eines Schreiblehrers. In der Türkei ist eine schöne Handschrift ganz besonders hoch geschätzt und der gegenwärtige Oberbefehlshaber der türkischen Armee leistete mit der Feder so Vorzügliches, daß er nach kurzer Zeit mit dem Range eines Jüz-Baschi (Capitän) von dem verstorbenen Sultan Mahmud zum Schreiblehrer des jetzt regierenden Sultans Abdul-Medjid erhoben wurde.

Als der jetzige Sultan den Säbel des Padischah umgürtete, hatte der ehemalige Schreiblehrer bereits den Rang eines Obersten erreicht, und von nun an sehen wir ihn statt der Feder nur das Schwert führen. So machte er 1840 den Feldzug in Syrien mit, bekämpfte zwei Jahre später die Christen des Libanon, wo er sich schon durch seine Härte das Mißfallen der christlichen Großmächte zuzog, und half 1843 den Aufstand in Albanien bezwingen. Die einige Jahre später erfolgte Besiegung der Kurden war hauptsächlich sein Werk, wie wir ihn denn auch im Jahre 1848 als Unterdrücker des in den Donaufürstenthümern ausgebrochenen Aufstandes sehen, der ihm zur Beschießung der Kaserne von Bukarest Veranlassung gab. Seine der Pforte geleisteten zahlreichen Dienste zogen ihm um diese Zeit die Erhebung zum Muchir (Feldmarschall) zu, womit er den höchsten Grad in der türkischen Armee erreichte. Die Jahre 1850 und 51 brachte Omer Pascha damit zu, den in Bosnien und der Herzogowina ausgebrochenen Aufruhr zu dämpfen, mehr noch aber wurde sein Name von der Zeit an genannt, wo er die blutige Expedition gegen Montenegro befehligte. Die Vorstellungen Oesterreichts machten damals den Kriegsthaten Omer Pascha’s ein rasches Ende, bis die gleich darauf folgenden Verwicklungen mit den Russen ihn auf’s Neue an die Spitze einer Armee riefen, wie er sie noch nie unter seinen Befehlen gehabt.

Omer Pascha ist von stattlichem Wuchse und ausdrucksvoller Physiognomie. Er spricht gleich gut türkisch, kroatisch, deutsch und italienisch, und hat sich in hohem Grade die Liebe der Soldaten zu erwerben gewußt, mit denen er sich nach Art Cäsar’s, Napoleon’s und anderer großer Heerführer, häufig in Unterhaltungen einläßt, sie in ihren Zelten besucht, ihre Speisen kostet und nach ihren Bedürfnissen fragt. Auch nennt er die Soldaten gern bei Namen, wie andere große Generäle gethan. Trotzdem hält er auf strenge Ordnung und Disciplin, und zeichnet sich vor den übrigen türkischen Generälen hauptsächlich durch seine [489] dem so wichtigen militärischen Verwaltungswesen gewidmete Sorgfalt aus. In den von ihm mehrfach ausgeführten Expeditionen, so noch in Montenegro, ist er häufig der Grausamkeit geziehen worden, was jedoch wohl die in jenen Ländern herrschenden halb barbarischen Zustände und Sitten mit sich bringen mögen.

Omer Pascha.

Zur Stunde gilt Omer Pascha, und das mit Recht, für den tüchtigsten Heerführer der Türken, und unbestreitbar ist es auch, daß er hohe militärische Befähigungen entwickelt hat. Was er gegen europäische Taktik zu leisten vermag, lehrt vielleicht die nächste Zeit. Die ihm mehrmals angebotenen Stellen als Gouverneur, Gesandter und Minister schlug Omer Pascha stets beharrlich aus; er will nur der Armee angehören. Hieraus und aus dem Umstande, daß er mit vielen der polnischen und ungarischen Flüchtlinge auf vertrautem Fuße steht, hat man bisweilen schließen wollen, der Renegat dürfe einmal bei günstiger Gelegenheit seine Waffen gegen den Sultan selbst kehren. Andere halten den Pascha für zu klug zu so gewagtem Spiel, und bis jetzt hat auch der Sultan noch keinen Grund, an der Treue und Ergebenheit eines Mannes zu zweifeln, den die Osmanen als eine ihrer mächtigsten Stützen im Kampfe gegen Rußland betrachten und auf den die Augen der ganzen civilisirten Welt voller Spannung gerichtet sind.




[490]

„Rübezahl.“

Keine Dichtung aus dem Leben eines deutschen Dichters.
Von Ludwig Storch.


Himmelfahrt ist in unserm rauhen Norden in der Regel das erste sonnige Frühlingsfest. Jede deutsche Stadt hat ihren besondern Land- und Vergnügensort, wohin sie ihre Bevölkerung zu Himmelfahrt schickt. Es ist wirklich eine Fahrt in den irdischen Himmel der jungen Frühlingsfreude. Man muß die lebenslustige Frau eines nicht minder heitern deutschen Professors sein, der eine starke Ausnahme von der Regel macht und Zopf und Haarbeutel - auch die ideellen und metaphorischen - längst abgeschnitten und dem Teufel der gelehrten Pedanterei zugeschickt hat, obgleich man erst im Jahre 1782 nach Christi Geburt lebt, man muß im schönen Weimar wohnen, wo der junge geniale Herzog Karl August glänzenden Hof hält, wo seine Mutter, die treffliche Herzogin Anna Amalia, selbst noch von den Göttern der Jugend, Anmuth und Schönheit umwaltet, in Tieffurth alle Herzen entzückt, wo Adel und Beamtenthum Pracht und Wohlhabenheit entfalten und wo der Herr Geheime Rath und Kammerpräsident von Goethe für sinnreiche Feste und poetische Unterhaltung sorgt; man muß das Alles so zusammen haben, und wegen Mangels eines modischen Envelöppchens oder eines neuen Hutes zu Himmelfahrt nicht nach Tieffurth können, wohin wahrscheinlich die ganze weimarische Welt strömen wird, um nicht eben so in stiller Verzweiflung zu sein, wie es die Frau Professorin Musäus wirklich war, als nur noch zwei Tage zwischen heute und Himmelfahrt vorhanden waren, nirgend aber sich eine Aussicht zeigen wollte, wie die besagten Paradestücke annoch anzuschaffen sein möchten.

Es ist stets ein großes Mißverhältniß zwischen der gesellschaftlichen Stellung und der Besoldung der Professoren an den deutschen Gelehrtenschulen gewesen. Sie gehören zu den vornehmen Ständen und sollen mit drei oder vierhundert Thalern Besoldung allen Ansprüchen genügen, welche die Welt an diese Stände macht. Jedermann verlangt und die Frau Professorin verlangt es auch, daß sie gerade so geputzt einhergehe, wie die Frau Präsidentin oder die Frau Commerzienräthin, deren Männer jährlich so viel Tausende einnehmen, wie der Herr Professor Hunderte. Schulden dürfen nicht gemacht werden; denn wovon sollten sie denn bezahlt werden? und das Oberconsistorium, die Behörde des Herrn Professors, ist in diesem Punkte abgeschmackt streng, macht in vorkommenden Fällen ganz fatale Abzüge von der Besoldung und droht wohl gar im Wiederholungsfalle mit Absetzung. Da soll’s nun an der Bibliothek, am Frühstück und Abendbrot des Herrn Professors erspart werden. Du liebe Zeit! Das läßt sich der gelehrte Hausvater, wenn er eine gute Haut ist – und deutsche Professoren sind in der Regel gute Häute - eine Zeit lang gefallen, hernach braucht er aber doch Bücher für die geistige und eine Flasche Wein für die leibliche Nahrung (vorzüglich wenn eine so starke poetische Ader in ihm pulsirt, wie in dem lieben trefflichen Musäus), und die Frau Professorin hat feuchte Augen; denn das Fest rückt heran und der neue Hut fehlt und das Envelöppchen. Diese häusliche Noth hat schon manchen guten deutschen Professor zum Schriftsteller gemacht und auf die schlüpfrige Bahn der Oeffentlichkeit hinaus getrieben.

Johann Karl August Musäus hatte schon zwanzig Jahre früher als Candidat des heiligen Predigtamts in Eisenach seine Schriftstellerlaufbahn mit einem guten Romane, dem „deutschen Grandison“ eröffnet, worin er mit Glück gegen die Narrheit ankämpfte, welche Richardson’s englischer „Grandison“ in deutschen Köpfen hervorgerufen, wie heutigen Tags die köstliche Onkel-Tomelei aus Amerika. Als Professor am Gymnasium zu Weimar hatte er dann vor vier Jahren - so lange hatte er geschwiegen - gegen eine andre grassirende Narrheit, die der gute Lavater aufgebracht und der sich selbst Goethe nicht hatte entziehen können, in seinen „Physiognomischen Reisen“, 4 Hefte, angekämpft; aber diese wenigen Schriften hatten ihm begreiflicher Weise auch sehr wenig Geld eingebracht. Die Herren Verleger pflegten vor siebzig Jahren noch weit geringere Honorare zu zahlen als heutiges Tags. Aber in Musäus lebte und webte ein echter Genius, die Besoldung war gering, die Frau hatte kleine Bedürfnisse, und er selbst war ja der gutmüthigste Mensch, den Gottes Sonne beschien. So schrieb er denn aus seiner gesunden Seele heraus schöne deutsche Volkssagen in seiner harmlosen, etwas breiten, aber köstlichen Weise, voll satyrischer Anspielungen auf geistige Zeitkrankheiten. Sie sollten einen Damm gegen die Thränenfluth sentimentaler Romane bilden, welche mit Goethe’s „Werther“ und mit Miller’s „Siegwart“ einige Jahre zuvor über Deutschland hereingebrochen war. Gegen diese kranke Empfindsamkeit konnte es kein besseres Mittel geben, als die gesunde Kost, welche Musäus in seinen „Volksmärchen der Deutschen“ auftischte. Wer kennt sie heute nicht diese lieblichen Schöpfungen eines gesunden poetischen Humors, die mit dem treuherzigen Kindeslächeln der Unschuld die süße Schalkhaftigkeit einer reinen Dichterseele vereinigen? Wer hat sich nicht an ihnen ergötzt in der Jugend und im Alter? Welches unverdorbene Gemüth hat nicht über den neckischen Kobold des Riesengebirges und seine strenge poetische Gerechtigkeit gejauchzt! O Rübezahl, der treffliche Berggeist, der unverhofft und mit den köstlichsten Späßen jedermann nach wahrem Verdienst belohnt, ist in Deutschland erst durch Musäus zu Ehren gekommen! Die deutsche Bildung verdankt den Volksmärchen von Musäus mehr als man meinen sollte. –

[491] Zu jener Zeit war die Ettinger’sche Buchhandlung in Gotha eine der ersten Verlagsbuchhandlungen Deutschlands, und Musäus war veranlaßt worden, das Manuscript des ersten Bandes seiner Volksmärchen an Ettinger mit einer sehr mäßigen Honorarforderung zu schicken. Zu seiner und seiner Ehehälfte großen Freude hatte Ettinger das Manuscript für den genannten Preis behalten und das Honorar unverzüglich geschickt. Zu Weihnachten war aber der kleine Schatz schon ausgeflogen, und nun waren Himmelfahrt und Pfingsten vor der Thüre, und die Frau Professorin wußte nicht, wovon dies und das Nothwendige anschaffen, und der Herr Professor wußte es auch nicht. Ach, Rübezahl kam nicht nach Weimar! Längst lag ein zweiter Band von den Volksmärchen fertig im Schreibpult, und der Verfasser hatte dieses Umstands mit der beiläufigen Bemerkung, daß ihm der Verkauf dieses Manuscripts sehr erwünscht wäre, an Herrn Ettinger in Gotha geziemende Meldung gethan, darauf aber die wenig tröstliche Antwort erhalten, man müsse den Erfolg des ersten Bandes erst abwarten. Ueber das Schicksal dieses ersten Bandes war Musäus natürlich ganz in Ungewißheit und er versprach sich davon keineswegs etwas Gutes. Denn alle Welt drohte sich wie Werther zu erschießen und eine nicht geringe Anzahl verrückter Menschen erschoß sich wirklich, oder seufzte, stöhnte und flennte mit „Siegwart“, winselte den Mond an und löste sich in tugendhafter Liebe, frommer Schwärmerei und trauernder Empfindsamkeit auf, so daß dafür die technischen Ausdrücke siegwartisiren und siegwartsche Liebe aufgekommen waren. Was man mit Werthern und Lotten für Affenschande trieb, davon kann man sich heute gar keine rechte Vorstellung machen. Es klingt Alles wie Fabeln. Das weiße Taschentuch einer Dame von gutem Geschmack mußte durchaus feucht sein, so verlangte es die Mode, und man setzte voraus, daß die Feuchtigkeit von Thränen herrühre. Die Romane „Leiden des jungen Werther“ und „Siegwart“ wurden Gott weiß wie vielmal nachgeahmt, und alle diese schlechten Bücher fanden Käufer, das Werther- und Siegwartsfieber schien noch im Steigen begriffen zu sein und die Helden der Romane mußten sich entweder wie Werther erschießen, oder auf dem Grabe der Geliebten in einer Mondscheinnacht vor süßem Schmerz und Sehnsucht umkommen, wie der Klosterbruder Siegwart. Wie durfte eine so unberühmte Feder wie die unseres heitern lebensfrohen Musäus gegen diesen Unfug aufzukommen hoffen?

So standen die Dinge im Musäus’schen Hause zwei Tage vor Himmelfahrt. Die Frau Professorin machte ein verdrießliches Gesicht und war sehr schweigsam; der Herr Professor schielte zuweilen nach ihr hinüber, während er sein frugales Frühstück einnahm und schnitt dann seinerseits ein drolliges Gesicht. Endlich fragte er ironisch: „Soll ich Dir etwa ein lustiges Stückchen vom Rübezahl vorlesen?“

„Ach davon kommt er nicht in’s Haus und bringt uns nichts von seinen Schätzen! Du hast Dich so nobel gegen ihn benommen; er führt sich dagegen schlecht gegen Dich auf. So geht’s den Dichtern immer. Sie erfreuen alle Welt; Niemand erfreut sie.“

„Das solltest Du in Weimar nicht sagen. Du bist ungerecht.“

„Du bist nicht Wieland, nicht Goethe und nicht Herder. Zu diesen kommt Rübezahl mit vollen Händen, nicht zu uns.“

„Wer weiß! Es ist noch nicht aller Tage Abend,“ versetzte Musäus, nahm sein Lehrbuch unter den Arm, pfiff den Dessauer Marsch leise durch die Zähne und verfügte sich zu seinen Tertianern.

Er mochte ohngefähr eine Stunde aus dem Hause sein, als ein stattlicher Fremder mit einem sehr ehrlichen und gutmüthigen Gesicht, fein und modern gekleidet mit einem Diener hinter sich, der einen großen Carton trug, in dasselbe trat und bei der Frau Professorin anfragte, ob er die Ehre haben könne, den Herrn Professor zu sprechen?

„Mein Mann ist im Gymnasium,“ versetzte die Frau, „und wird erst in einer Stunde zurückkehren.“

„Desto besser,“ sagte der Fremde. „Dann werde ich mich mit Ihrer gütigen Erlaubniß so lange mit Ihnen unterhalten. Zuvor habe ich aber eine etwas delikate Bitte an Sie zu richten. Meine Gesundheitsumstände verlangen nämlich, daß ich salva venia die Leibwäsche öfter wechsele, und ich fühle mich nicht eher behaglich und zu einer muntern Unterhaltung aufgelegt, bevor ich nicht dieser Pflicht gegen mich selbst genügt habe. Gestatten Sie mir also in einem Zimmer meinem Bedürfniß zu genügen.“

Die Frau Professorin fand dieses Verlangen allerdings etwas sonderbar und begriff nicht, weshalb der fremde Herr nicht vorher im Gasthofe seinem Reinlichkeitssinne das nöthige Opfer gebracht, zumal sie den Diener als Lohndiener eines der ersten Gasthöfe erkannte, inzwischen bat der Unbekannte so höflich und benahm sich so fein, daß sie ihm ohne Weiteres ihre Putzstube öffnete. Der Diener stellte den Carton dort ein und empfahl sich. Der Herr riegelte die Thür zu und hielt sich eine geraume Zeit zurückgezogen. Dann trat er sehr freundlich heraus, setzte sich zu ihr nieder und brachte sie bald zum Plaudern. Da waren es theils die kleinen häuslichen Verhältnisse, theils die größern öffentlichen, die er ihr so fein, so geschickt, so treuherzig abzufragen verstand, daß sie ihm, sie wußte selbst nicht wie, nicht nur über das eigne Hauswesen detaillirte Mittheilungen gemacht und über die unzureichende Besoldung und die stille Resignation auf kleine freundliche Wünsche geseufzt hatte, sie war auch in glänzende Schilderungen des Hofs und des Adels gerathen; sie hatte von den Liebschaften des Herrn Geheimenraths von Goethe mehr fallen lassen, als sie selbst gewollt, über das seltsame eheliche Leben des Herrn Generalsuperintendent Herder und dessen Gemahlin Einiges gesprochen, was ihr nicht lieb war und über des Hofrath Wieland’s Eigenthümlichkeiten Erörterungen gegeben, die wohl auch besser unterblieben wären; denn sie kannte ja den Herrn, zu dem sie sprach, nicht. Das Alles überlegte sie sich aber erst, als der gute Musäus hereingetreten und sich mit dem Fremden bekomplimentirt hatte. Es war ihr, als habe es ihr der fremde Herr angethan. „Mit wem habe ich die Ehre?“ fragte der Professor.

[492] „Ich bin ein Buchhändler, der von der Jubilate-Messe zurückkehrt. Mein Name thut vor der Hand nichts zur Sache, doch sollen sie ihn nachher erfahren. Ich habe da Ihre Volksmärchen der Deutschen gelesen und möchte Ihres eignen Besten wegen wohl mit Ihnen über Ihre Schriftstellerei reden.“

„Wissen Sie wohl, wie das Büchlein gegangen ist? Hat wohl Herr Ettinger einigen Absatz erzielt?“ fragte Musäus etwas ängstlich.

„Das ist’s eben, weshalb ich zu Ihnen komme. Mein Freund Ettinger hat schlechte Geschäfte mit Ihren Märchen gemacht. Das ist kein Artikel, wie ihn die beutige Lesewelt verlangt.“

„Ich dachte es mir gleich,“ sagte Musäus resignirt; die Frau Professorin hatte aber plötzlich ihre ganze Munterkeit verloren. „Herr Ettinger wird Schaden an dem Buch gehabt haben; ich werde ihm den zweiten Band ohne Honorar überlassen. Ich kann nicht zugeben, daß er durch mich zu Schaden kommen soll.“ Die Frau Professorin seufzte und eine Thräne des Unmuths stieg ihr in’s Auge. Sie verwünschte im Stillen den Fremden, der sie so schlau ausgefragt und dafür so schlechten Trost ins Haus brachte.

„Ja, lieber Herr Professor, mit einem zweiten Band Märchen wird meinem Freund Ettinger nicht gedient sein. Damit können Sie ihn nicht entschädigen, er würde ja nur noch größern Verlust haben.“

„Sie sind also ein Beauftragter des Herrn Ettinger an mich, mit mir zu unterhandeln?“

„Gewissermaßen, ja!“

„Er hat mir wohl die Hiobspost nicht selbst bringen wollen?“

„Er wird aber doch selbst kommen. Erst muß ich mit Ihnen reden, Herr Professor. Sie haben ein schönes Talent; Sie würden gewiss einen guten Roman à la Werther oder Siegwart schreiben. Damit würden Sie nicht nur meinen Freund Ettinger hinlänglich entschädigen, sondern er würde Ihnen auch ein ansehnliches Honorar herauszahlen. Was meinen Sie dazu? Der Held muß aber durchaus vor schwärmerischer Liebe auf unnatürliche Weise umkommen. Was die Flammen der Sehnsucht nicht verbrannt haben, das muß in den Thränenbächen der Schwärmerei ertrinken. Je mehr unvergleichlich herrliche und vollkommene Menschen Sie auf diese Weise umbringen, desto reichlicher wird das Honorar sein, welches Ihnen Freund Ettinger zahlt.“

(Schluß folgt.)




Aus der Menschenheimath.

Briefe
Des Schulmeisters emerit. Johannes Frisch an seinen ehemaligen Schüler.
Fünfzehnter Brief.
Die Sternschnuppen-Nächte des 12. und 13. November.


Laß Dich, mein theurer Freund, heute einmal von der Erde auf den Himmel verweisen, nämlich den sichtbaren, leibhaftigen Sternenhimmel, der jetzt in den schönen frischen Herbstnächten uns so absonderlich klar und funkelnd zugeblinkt hat.

Zwar ist unsere liebe kleine Erde, unsere mütterliche Heimath, nicht zu klein, um Kopf und Herz jedes rechten Menschen sein Leben lang auszufüllen mit großen und heroischen Dingen; aber gut ist’s doch, daß man sich dann und wann einmal daran erinnert, daß sie auch zu der großen Heerde gehört, welche „der Hirt mit dem Silberhorne“ nächtlicher Weile austreibt auf dem dunkeln Plane des Firmamentes.

Da läuft sie denn mit ihren Genossen, den übrigen Planeten, deren Zahl in den letzten Jahren durch immer neue Entdeckung mehrerer bedeutend zugenommen hat, unermüdet in ihrer so viele Millionen Jahre alten Bahn um ihre Sonne, wie das Kind, aus einer Hand in die andere, um seine Mutter läuft.

Wenn wir aber hinauf sehen in einer klaren dunkeln Herbstnacht, so sehen wir eben Alles ruhig und fest an seinem Platze. Die 7 schönen Sterne des großen Himmelswagens stehen Jahr aus Jahr ein in derselben Ordnung zu einander, wenn auch der ganze Wagen selbst nach den verschiedenen Jahreszeiten mit der Deichsel einmal aufwärts, einmal links abwärts, wie z. B. gerade jetzt, steht, was wir leicht mit der Laufbahn unserer Erde um die Sonne in Verbindung bringen. Blos unsere Stellung zu den Sternen ändert sich, die der Sterne unter einander bleibt sich ewig gleich. Ewig gleich? Nein. Aber sie sind eben so unendlich weit von uns entfernt, daß ihre Bewegungen für unser Auge keine wahrnehmbare Ortsveränderung hervorbringen können. Bewegung herrscht im Weltall allerorten, weil überall Leben herrscht, das sich immer und überall durch Bewegung des Stoffes ausspricht. Aber es ist noch nicht lange her, daß man mit den stärksten Fernröhren unbedeutende Ortsveränderungen einiger Fixsterne zu einander, also doch Bewegung, beobachtet hat.

Doch es herrscht am nächtlichen Sternenhimmel nicht blos diese langsame Bewegung unendlich ferner Weltkörper, die wir eben nicht selbst wahrnehmen können, die uns vielmehr blos aus der von ihr bewirkten veränderten Stellung der Weltkörper zu einander in einzelnen Fällen kund wird; sondern mit der Schnelligkeit der die Luft durchschneidenden Schwalbe fahren, uns ganz nahe, Himmelskörper über unserem Haupte hin.

Das sind die sogenannten Sternschnuppen. Welch sonderbare Benennung! Man möchte sie gemein [493] finden, wenn nicht etwas naiv Kindliches darin läge, was wir dem ununterrichteten Volke, welches diesen Namen gab, schon zu gute halten müssen. Der Name hat aber doch auch etwas, was Anerkennung verdient. Es liegt ihm der Drang zu Grunde, nach dem Ursprung der Dinge zu forschen; ein Drang, der es eben in unserer Zeit des gewaltigen Fortschrittes zu geistiger Befreiung dem Lehrer in natürlichen Dingen so leicht macht, Ohr und Herz des Volkes für seinen Unterricht zu gewinnen.

Ja, es liegt ein kühnes Erfassen in dem Namen Sternschnuppe. Wenn man in nächtlicher Wanderung auf offener Flur ahnungsvoll und doch ohne bestimmte Gedanken nach dem sternbesäeten Himmel aufblickt – da fährt plötzlich, als fiele ein Stern aus seiner Stelle, ein leuchtender Punkt herab, der so schnell da, aber auch so schnell wieder weg ist, daß man nicht weiß, an welchem Punkte des Himmels er zuerst aufblitzte. Da griff denn der feste Haltpunkte fordernde Gedanke des Menschen kühn hinein in dieses weite wüste Himmelsmeer, ohne andere Marksteine als eben die Sterne, und einen Stern ließ er den Ausgangspunkt der schönen Lichterscheinung sein.

Der Aberglaube, der Bastard von Glauben und Wissen, hängte seinen Plunder dran, der jetzt von der Wissenschaft beseitigt ist. Aber wenn auch nur noch wenige umnebelte Köpfe etwas Spukhaftes in den Sternschnuppen sehen, so mögen noch Viele es nicht wissen, daß sie kleine Weltkörper sind, die in ihren eigenen Bahnen die Sonne umkreisen. Es sind keine wilden Schwärmer, die von irgend einem anderen Weltkörper sich los machten, um unstät im Weltenraume herumzutaumeln.

Freilich scheint es gegen die regelmäßige Bahn dieser Asteroiden, wie man diese kleinen Weltkörper nennt, zu sprechen. daß man sie meist blos über einen Theil des uns sichtbaren Himmelsgewölbes hinwegziehen sieht. Warum, so könnte man fragen, werden sie nicht schon am Horizonte sichtbar, um dann je nach Verhältniß ihrer Bahn zu unserer Erdstellung in einem bald höheren, bald flacheren, bald größeren, bald kleineren Bogen über den ganzen Himmel hinwegzuziehen?

Die Wissenschaft hat auf diesen sehr berechtigt scheinenden Einband zu erwiedern, daß die Asteroiden an sich dunkle Körper sind und nur hell und uns sichtbar werden, so lange sie unsern Dunstkreis durchschneiden. Daraus ergiebt sich von selbst, daß die der Erdoberfläche näher kommenden, also tiefer in unsern Dunstkreis einschneidend, uns in einer längeren Bahn sichtbar werden müssen, als andere, welche den Dunstkreis der Erde blos oberflächlich berühren. Manche dieser kleinen Geschwister unserer Erde kommen der großen Schwester so nahe, daß sie von der Anziehungskraft derselben angezogen, ihr in den Schooß fallen. Das sind die sogenannten Feuerkugeln, welche mit einem langen Lichtschweife hinter sich oft in geringer Höhe über den Himmel ziehen, und dann oft mit einem lauten Knall zerbersten und in Stücken als die bekannten Meteorsteine herabfallen, deren man schon bis zu mehreren Hundert Centnern Gewicht gefunden hat.

Solcher kleinen Sternenkinder führt die Hand der das Weltall durchdringenden Bewegung ganze Schwärme von vielen Tausenden durch die Himmelsräume.

Ein solcher schwebt alljährlich während des 12. und 13. Novembers über die nördliche Halbkugel der Erde hin. Alle Jahre besucht er in eiligem Streifzuge unsere Atmosphäre, wie alle Jahre zu anderer Zeit die Züge der Störche unsere Wiesen und Sümpfe als länger verweilende Gäste besuchen.

Versäume es nicht, an diesen beiden Tagen darauf zu achten, ob ihnen ein wolkenloser Nachthimmel folge; und ist dies der Fall, dann tritt hinaus in stiller Nacht und achte auf den unhörbaren Flug dieser kleinen mit unserem Lichte leuchtenden Feuerwürmchen des Weltenraumes. Wenn der trübe November in jenen Nächten seinen Regenmantel trägt, so warte bis zum nächsten August, wo vom 9. bis 14., namentlich am 10. August. wiederum Sternschnuppen-Nächte sind.




Vom Baue des menschlichen Körpers.

IV.0 Das Blut.


Aus dem Blute quillt das Leben, weil aus dieser rothen, in Röhren durch alle Theile des Körpers rinnenden Flüssigkeit das Material zur Unterhaltung des Stoffwechsels (s. Gartenlaube Nr. 39, S. 423) stammt. Dieses flüssige Material, Ernährungsflüssigkeit genannt, dringt nämlich fortwährend aus dem Blutstrome durch die äußerst dünnen Wände der feinsten Blutgefäßchen (Haargefäße) heraus in alle Substanzen des Körpers und durchtränket dieselben, um ihnen alle die Stoffe zum Ersatze darzubieten, aus denen diese Substanzen zusammengesetzt sind und an welchen sie immerfort Verluste erleiden. Damit nun aber das Blut jedem Theile des Körpers die richtige Ernährungsflüssigkeit darbieten könne, muß es nicht nur mit Hülfe des Kreislaufes (s. Gartenlaube Nr. 9, S. 91) durch alle Theile gehörig hindurchfließen, sondern es muß auch durch die Nahrung und die Verdauungsorgane die Stoffe zugeführt bekommen, aus welchen Blut und Körpersubstanz zusammengesetzt sind, demnach: Wasser in großer Menge, eiweißartige Materien (Faserstoff, Eiweißstoff und Käsestoff), Fett, Salze (besonders Kochsalz und Kalksalze) und Eisen, welches Letztere dem Blutfarbstoffe (Hämatin) zu Grunde liegt. Außer diesen Stoffen findet man im Blute aber [494] auch noch Gase, nämlich Sauerstoff, Stickstoff und Kohlensäure, sowie die in Folge des Stoffwechsels abgestorbenen und in’s Blut zurückgeführten Gewebsbestandtheile, welche Gewebsschlacken auch Extractivstoffe genannt und, nachdem sie mit Hülfe des Sauerstoffs verbrannt worden, an verschiedenen Stellen des Körpers (durch Haut, Lungen, Leber, Nieren) aus dem Blutstrome herausgeschafft werden.

Blutkörperchen gegen 500 Mal vergrößert.

I. Farbige Blutkörperchen des Menschen. II. Farblose menschliche Blutkörperchen (Lymphkörperchen). III. Farbige Blutkörperchen: a) vom Elephanten, b) vom Kameel, c) von der Ziege. IV. Blutkörperchen der Taube. V. der Schlange. VI. des Frosches. VII. des Fisches. VIII. der Raupe und des Regenwurms. IX. des Krebses.

Das Blut des Menschen und der Säugethiere ist, so lange es in den Blutgefäßen des lebenden Körpers fließt, eine etwas zähe klebrige Flüssigkeit, von größerer Schwere als das Wasser, von rother Farbe (hochroth in den Pulsadern, dunkelblauroth in den Blutadern), von etwa 28–30° R. Wärme, eigenthümlich fadem Geruch und salzig-süßlichem Geschmacke. Die Menge des Blutes im menschlichen Körper ist nach Alter, Körperbau, Temperament und Lebensweise sehr verschieden; man hat sie bei Erwachsenen auf 15–20 Pfund angegeben, so daß etwa der sechste bis achte Theil des Körpergewichts von Blut gebildet würde. Mit Hülfe des Mikroskops zeigt sich, daß das Blut aus zwei ganz verschiedenen Bestandtheilen zusammengesetzt ist, nämlich: aus einer gleichförmigen, fast farblosen Flüssigkeit (Blutliquor, Plasma, Intercellularflüssigkeit) und aus einer unzähligen Menge von kleinen Bläschen, Blutkörperchen genannt. Diese im Liquor fließenden Bläschen sind doppelter Art; die einen sind farbig (gelblich) und geben dem Blute, aber nur wenn viele derselben über einander liegen, seine rothe Farbe, die andern sind farblos. Die ersteren oder die farbigen Blutkörperchen sind weit zahlreicher und kleiner als die farblosen, stellen kreisrunde Scheiben dar, welche auf beiden Flächen etwas tellerförmig vertieft sind, und bestehen aus einer farblosen Umhüllungshaut und einem röthlich-gelben zähflüssigen Inhalte. Sie sind die einzigen Träger des rothen Farbstoffes des Blutes und in so ungeheurer Menge vorhanden, daß sie für sich allein das Blut zu bilden scheinen. Die meisten Beobachter stimmen jetzt darin überein, daß diese Blutkörperchen zum größten Theile keinen eigentlichen Kern in ihrer Höhle haben, sondern nur einzelne derselben in der vertieften Mitte ein nicht scharf umschriebenes lichtes Körnchen enthalten. Die farbigen Blutkörperchen zeichnen sich übrigens durch eine den verschiedenen Thierarten eigenthümliche Gestaltung und Größe aus, so daß man dadurch nicht blos Menschenblut vom Thierblute, sondern auch das Blut verschiedener Thiere durch das Mikroskop von einander unterscheiden kann. Bei den Säugethieren bilden die Blutkörperchen wie [495] beim Menschen ebenfalls vertiefte runde Scheiben, nur sind diese entweder größer (doch nur selten, beim Elephanten) oder gewöhnlich kleiner, blos das Kameel, Dromedar und Lama besitzen längliche und gewölbte Blutkörperchen. Alle niederen Wirbelthiere haben fast ohne Ausnahme ovale kernhaltige Blutkörperchen von der Form von Kürbiskernen. Bei den Vögeln finden sich länglich-ovale, in der Mitte erhabene und am Rande scharf zulaufende Blutkörperchen; die der Amphibien sind oval und stark convex und bei weitem größer als die menschlichen Blutbläschen. Die Blutkörperchen der wirbellosen Thiere gleichen den farblosen Blutkörperchen der höheren Thiere und sind fast immer ungefärbt. – Die farblosen Blutkörperchen (oder Lymphkörperchen) sind weit größer als die farbigen, von kugeliger Gestalt und in viel geringerer Anzahl (etwa 5 auf 2000) vorhanden; sie sind auch ihres Fettgehaltes und des Mangels an eisenhaltigem Farbstoffe wegen leichter, ihr Ansehen ist körnig und im Innern bergen sie einen Kern. Sie stammen aus dem Speisesafte und der Lymphe und wandeln sich höchst wahrscheinlich allmälig zu rothen Blutkörperchen um, indem sie ihren Kern verlieren, sich abplatten und Blutfarbstoffe in sich erzeugen. Die farbigen Blutkörperchen, nachdem sie eine Zeit lang durch die Adern circulirt haben, werden zuletzt in der Leber und Milz zerstört. Auf diese Weise entstehen fortwährend neue Blutkörperchen und alte gehen unter.

Wird Blut aus der Ader in ein Gefäß gelassen, so stößt es zuvörderst an der Luft einen in der Kälte sichtbaren Dampf (Wasserdunst mit Riechstoff) mit dem eigenthümlichen Blutgeruche (Blutdunst) aus, welcher bei verschiedenen Menschen und Thieren verschieden ist, bei Männern etwas stärker als bei Frauen. Nach einigen (2-14) Minuten gerinnt das Blut, indem es von der Oberfläche und dem Umfange her allmälig zäher und gallertartig, nach und nach immer fester wird und endlich (nach 12–40 Stunden) in zwei Theile, in einen flüssigen und einen festen geschieden ist. Der flüssige heißt Blutwasser (Serum), ist schwach-gelblich und enthält den in viel Wasser aufgelösten Eiweißstoff nebst den Blutsalzen. Der feste Theil, welcher nach und nach die Gestalt vom Innern des Gefäßes, in welches das Blut gelassen wurde, annimmt, wird Blutkuchen genannt und besteht aus dem festgewordenen, früher im Blutliquor aufgelösten Faserstoffe und aus den Blutkörperchen. Im Blute der Männer geht die Gerinnung langsamer vor sich, der Kuchen wird aber dichter als im weiblichen Blute; das Pulsaderblut gerinnt schneller als das der Blutadern; atmosphärische Luft, sowie Schütteln, Umrühren und Quirlen (geschlagenes Blut) beschleunigt das Gerinnen, während Säuren, Salze und Alkalien dasselbe verzögern oder ganz aufheben. Am schnellsten gerinnt das Blut der Vögel, langsamer das der Säugethiere und am langsamsten das der Amphibien und Fische. Das Wesen der Gerinnung (Coagulation) ist noch in tiefes Dunkel gehüllt.

Das Blut der wirbellosen, der sogenannten kalt- oder weißblütigen Thiere unterscheidet sich von dem Blute der Wirbelthiere nicht blos durch seine geringere Wärme, sondern auch durch seine Färbung, welche hier nicht an den Blutkörperchen, sondern am Blutliquor haftet, und durch die Blutkörperchen selbst, welche in viel geringerer Anzahl vorhanden sind. – Von den Gliederthieren hat das Blut der Insecten eine helle farblose oder grünliche Beschaffenheit und längliche oder ovale, farblose Blutkörperchen; die Spinnen- und Krustenthiere besitzen theils ein farbloses, theils ein gelbliches oder grünliches Blut; das Blut der Würmer zeichnet sich durch seine rothe Farbe (die aber ebenfalls am Liquor haftet) vor den meisten übrigen wirbellosen Thieren aus. Von den Weichthieren (Mollusken) besitzt das Blut der Kopffüßler (zu denen der Tintenfisch gehört) eine weißliche Farbe, das der Schnecken eine schmutzig weiße oder gelbliche, röthliche, braune oder grüne Farbe; das Blut der kopflosen Mollusken (Austern, Muscheln) ist farblos. Bei den niedrigsten Thieren, wie bei den Strahlthieren (Stachelhäutern, Quallen, Polypen) giebt es kein eigentliches Blut mehr, die Stelle desselben vertritt hier der Speisesaft.

(Ueber Bereitung, Reinigung und Kranksein des Blutes beim Menschen siehe den nächstfolgenden Aufsatz.)

(B.) 




Blätter und Blüthen.

Menschliches Elend in Sicilien. Alexander Dumas giebt in seinen Italienischen Reisen eine herzzerreißende Schilderung von dem Elende der Armen in Sicilien, diesem vom Himmel gesegneten Südlande, der einstigen Kornkammer Roms! In Bezug aus die Austheilung von Suppe, welche Arme täglich an der Pforte eines Klosters abholen, erzählt er Folgendes: „Alle diese armseligen Geschöpfe hatten nichts gegessen seit einem Tage. Sie kamen heute hierher, um ihre Schüssel Suppe zu holen, wie sie gestern gekommen sind und morgen wieder kommen werden. Diese Suppe ist fast ihre ganze Nahrung vierundzwanzig Stunden lang, wenn sie nicht etwa von ihren Mitbürgern oder mitleidigen Fremden etwas geschenkt bekommen, was aber selten der Fall ist, da die Syrakuser den Anblick des Elends vor sich haben und nicht mehr davon gerührt werden und wenig Fremde Syrakus besuchen. – Als der Vertheiler der gesegneten Suppe erschien, drängte sich die ganze hungrige Schaar herbei, oder jeder suchte mit seinem hölzernen Napfe zuerst anzukommen. Einige, welche zu schwach oder leidend waren, um sich vorzudrängen oder zu rufen, krochen seufzend, auf Händen und Füßen, nach der Pforte des Klosters. In der Mitte des Haufens erblickte man ein Kind, welches weiter nichts auf dem Leibe hatte als ein dünnes, durchlöchertes Hemdchen; das arme Geschöpf hatte keine hölzerne Schüssel, es streckte seine Händchen flehend aus, indem es, beide hohl zusammenhaltend, eine tellerartige Vertiefung bildete. Der Koch goß gedankenlos einen Löffel Suppe in dieselbe. Die heiße Suppe verbrannte des Kindes Händchen; es stieß einen Schrei des Schmerzes aus, indem es die Suppe [496] auf den Boden fallen ließ. Es legte sich auch sogleich der Länge nach auf die Erde und leckte die Suppe von derselben auf, gleich einem Hunde.“ – An einer andern Stelle seiner Reisen ruft Dumas: „Dieses ewige Geschrei der Sicilianer um Brot! Ich habe in den drei Monaten, da ich in Sicilien war, fast gar keinen andern Ruf des Volkes gehört, als den Ruf nach Nahrung und Brot. Es giebt Menschen in Sicilien, die sich in ihrem Leben nie vollkommen satt aßen von dem Tage an, da sie als Säuglinge an den Brüsten ihrer erschöpften Mütter lagen, bis zu dem Augenblicke ihres Lebens, da sie die heilige Hostie genossen, welche ihnen der Priester auf die bleiche zitternde Zunge legte. Gräßlich ist es zu denken, daß es menschliche Geschöpfe gebe, welchen es eine glückliche Erinnerung für ihr ganzes Leben ist, sich nur einmal recht satt gegessen zu haben – in einem von der Natur reich ausgestatteten Lande, das einst, wie gesagt, die Kornkammer Roms war, bei einem Volke, das sich rühmt, eins der allerchristlichsten zu sein!“


James Johnson, der berühmte englische Arzt und Redakteur einer medizinischen Zeitschrift, sagt wörtlich: „Ich erkläre als meine feste Ueberzeugung, gegründet auf lange Erfahrung, daß, wenn es keinen einzigen Arzt, Apotheker und Droguisten, keine einzige Hebamme in der Welt gäbe, viel weniger Krankheiten und Todesfälle vorkommen würden, schon deshalb, weil sich dann Jeder mehr in Acht nehmen und studirt haben würde, wie man sich am Besten selbst helfen kann.“


Zur Nachahmung dringend empfohlen. Die Feuerspritze schreibt aus Berlin: „Auf unseren Wochenmärkten hat sich seit ein paar Tagen Wunderbares ereignet. Es erschienen Verkäufer, die eine lange Reihe von Säcken mit Kartoffeln gefüllt, vor sich aufpflanzten und davon die Metze mit – sechs Dreiern verkauften, aber Niemandem mehr als höchstens vier Metzen auf einmal. Das gab unter den Hökern und unter den Bauern, die’s Höken nicht minder verstehen, ein großes Maulaufsperren, und wo die Berliner Höker den Mund aufthun, da hagelt es Schimpfworte und anzügliche Reden. Aber die Leute hinter der langen Reihe von Kartoffelsäcken ließen sich nicht irre machen; die Marktpolizeibeamten standen ihnen treulich bei, und wenn die Säcke leer waren, wurden immer wieder frische herbeigeschafft (auch die Höker kauften davon) – und siehe da! nachdem man drei Tage lang rumort und geschimpft und conferirt und conspirirt hatte, da entschlossen sich am Sonnabend die Höker und die Bauern einzeln, Einer nach dem Andern, die Metze Kartoffeln auch für sechs Dreier zu verkaufen. Die Concurrenz, die diesen günstigen Erfolg herbeigeführt hat, geht von einem hiesigen Privatmanne aus, der ohne Absicht auf Gewinn, aber auch ohne Absicht Verluste zu machen, ein namhaftes Kapital angelegt hat, um die hohen Kartoffelpreise durch Concurrenz zu besiegen. Das Resultat beweist, daß dieser Zweck vielleicht schneller erreicht wird, als man erwarten konnte. Mit Zuverlässigkeit erfahren wir übrigens, daß bei diesem Unternehmen die Behörde in keiner Weise betheiligt ist. - Welche Erleichterungen würden den Armen geschafft werden, wenn in jeder Stadt unseres Vaterlandes nur ein Reicher diesem Beispiele folgte, das nicht einmal mit Verlust verbunden ist! Wie bald würden überall die künstlich in die Höhe geschraubten Preise der Kartoffeln und des Getreides fallen! Ist kein Dalberg da?


Riesendampfschiff. Zwei Engländer, Brunell und Scott Russel, dirigiren jetzt den Bau eines Dampfschiffes von 680 Fuß Länge mit 2600 Pferdekraft, welches in seiner furchtbaren Länge im Stande sein soll, auf zwei der höchsten Wogen im Sturme zugleich getragen zu werden, so daß das Schiff stets ruhig zwischen Amerika und England (stets in 51/2 Tagen) hin und herschießen würde.


Lord Westmoreland’s Violine. Der jetzige englische Gesandte in Wien ist bekanntlich ein großer Musiker und Componist. Als er früher einmal als junger Lord mit dem Schiffe Sir John Duckworths durch die reißende Fluth der Dardanellen fuhr, schien das Fahrzeug im Strome und Sturme seinen sichern Schritt zu verlieren und Alles in seinem Bauche durcheinander werfen zu wollen. Plötzlich erschien der junge Lord mit verstörtem Gesicht auf dem Verdeck und stammelte zu dem ersten Lieutenant: „O, Herr –, das ist ein schrecklicher Vorfall!“ „Was, Mylord?“ rief der Offizier, der nichts Anderes zu hören glaubte, als daß das Schiff brenne. „Ein Schuß von den Türken ist durchgekommen und hat meine Violine zerschmettert!“ – Der Offizier empfand wenig Rührung und der junge Lord sammelte traurig die Reste seines Instruments. Ob er’s jetzt den Türken gedenken will?


Australische Universitäten. Der neuen Universität in Sidney, von der Regierung gestiftet, soll eine private Universität in Melbourne folgen. Bei der Bildung der letztern ist unter Anderm der ehemalige Präsident der badischen Nationalversammlung betheiligt, der Sage nach auch der ehemalige preußische Lieutenant Techow, der das Berliner Zeughaus aufgab. Der frühere österreichische Revolutionsgeneral Haugh rüstet sich bekanntlich zu einem großartigen Eroberungszuge in Australien, um dort die Natur durch Erforschung zu überwinden. Wenn sich Australien aus dem Gröbsten, aus Gold und Schmutz herausgehauen, werden Wissenschaften und Künste rascher und kräftiger erblühen, als irgendwo, da es in der Cultur da anfängt, wo Europa und Amerika aufhören. Alle die Hindernisse, die auch in Amerika sich einer vorurtheilsfreien, wirklich humanen Bildung entgegenstellen (von Europa und besonders England mit herübergeschleppt), fallen in Australien gleich von vornherein weg.


Getreide-Einfuhr nach England. Nach einer Berechnung in dem Journal der Londoner Bankiers müssen während der nächsten 10 Monate 18 Millionen Scheffel Getreide nach England eingeführt werden, wenn alle Leute während der Zeit sich satt essen sollen. In dem schlechten Jahre 1847 genügten 5 Millionen Scheffel.


Literarisches. Trotz den traurigen Erfahrungen, welche bisher mit den sogenannten „Musen-Almanachen“ gemacht worden sind, wird doch hier und da wieder ein neuer Versuch gewagt. So kündigt eine Dessauer Buchhandlung unter dem etwas sonderbaren Titel „Argo, ein belletristisches Jahrbuch an, das von Th. Fontane und Franz Kugler herausgegeben und nächstens erscheinen wird. – Auch Freiligrath läßt wieder von sich hören, vorläufig nur als Sammler. Unter dem Titel: Dichtung und Dichter wird er eine Anthologie Gedichte herausgeben, die sich – nach der Versicherung des Verlegers – durch den wissenschaftlichen und ideellen Werth der Zusammenstellung vor allen übrigen derartigen Sammlungen auszeichnen soll. Während nämlich nach einer Seite hin alle Stimmungen des Dichtergemüths, alle Anschauungen des Dichtergeistes vertreten sind, charakterisirt eine andere Reihe von Liedern die Elemente und die Formen der Dichtung, als solcher, so wie die Persönlichkeit der Dichter. Auf diese Weise findet der Leser hier in unmittelbar künstlerischer Gestalt verbunden: Poesie und Poetik, Mustersammlung und Dichtercharakteristik. – Von Ludwig Storch sind zwei Bände Novellen und Erzählungen unter dem Titel: Am warmen Ofen, erschienen. – Eine bis jetzt noch unbekannte Schriftstellerin, Louise Pichler, hat einen dreibändigen Roman: „Friedrich von Hohenstaufen“ erscheinen lassen. E. K.     



Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Westsee: ehemals gebräuchlicher Name der Nordsee, vgl. den zugehörigen Eintrag in der Wikipedia
  2. Vorlage: weiche
  3. Das Pfluggeld war eine Abgabe auf dem Land, die der Landmann auf die zur Bearbeitung seines Ackers nötigen Pflüge zu zahlen hatte. vgl. Pflugschatz, in: Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, Band 3. Leipzig 1798, S. 749. zeno.org
  4. Danevirke: eine früh- bis hochmittelalterliche Befestigungsanlage der Dänen gegen die Sachsen und slawische Stämme