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Die Biergasse

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Das Hahnengefecht W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Die Biergasse
Das Branntweingäßchen
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Die Biergasse.
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DIE BIERGASSE.
BEER STREET.

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Die Biergasse.


(Beer-Street.)




Der Künstler hat hier John Bull in seinen glücklichsten Augenblicken bei jenem Getränke dargestellt, welches die Verehrer mit dem Namen des britischen Burgunders (British Burgundy) beehren, und zugleich in einer Schlußfolge voll Weisheit als die Ursache der englischen Körperkraft und Gediegenheit nachweisen. Mag Letzteres richtig oder falsch sein, so gilt doch der britische Porter-Krug, der in ziemlicher Anzahl auf diesem Blatte zu erblicken ist, wenigstens als ein Zeichen der Nationalität in der Art, daß sogar Byron in der freiwilligen Verbannung erklärte, er werde durch die Erinnerung an dies Geschirr bis zu Thränen gerührt (Don Juan X. 77.). Ohnedem diente ja auch das nahrhafte Bier von jeher nicht allein als Aufreizungsmittel, sondern vertritt ja auch, besonders bei den untern Volksclassen, manche Speise mit concentrirtem Nahrungsstoff, und war seit undenklichen Zeiten das Lieblingsgetränk wenigstens bei Engländern und Schotten. Somit wählt [632] Hogarth hier ein nationales Sujet, und zeigt auch nach seiner Weise das Wohlbehagen der niederen Volksclassen London’s in aller Glorie, und zwar in einer imaginären Straße der Hauptstadt, die man jedoch in den gewerbthätigen Theil der City verlegen mag.

Einem Bierhause gegenüber, vermuthlich an einem heißen Sommertage, sitzt eine Gruppe, welche auf gut englische Weise politisirt und die Angelegenheiten der Nation in Ordnung gebracht hat, denn eine Zeitung, der Daily Advertiser, liegt auf dem Tische, und man bemerkt darin folgende Stelle aus der Thronrede von 1748, die freilich nur eine allgemeine Phrase bildet: „Mylords und Gentlemen vom Hause der Gemeinen! Lassen Sie mich die Beförderung unseres Handels und die Ausbildung der Friedenskünste Ihnen sorgfältig empfehlen. Sie können sich hierin auf meine herzliche Mitwirkung und Ermuthigung verlassen.“ Nach der politischen Verhandlung wird der Patriotismus durch Porter angefrischt. Ein Fleischer und ein Hufschmied offenbaren ihr Wohlbehagen auf unverkennbare Weise. Letzterer will mit dem Porter-Trinken noch zweierlei andere Genüsse vereinigen, denn er hält eine Pfeife im Munde und schwingt zugleich eine Hammelskeule in der Linken. Auf den ersten Abdrücken vertrat ein magerer und schwächlicher Franzose die Stelle der Letztern; Hogarth veränderte dies aber auf den späteren Blättern, weil die Figur in der Gruppirung einen unangenehmen Eindruck machte. Aus Milderung des Franzosenhasses hat er dies sicherlich nicht gethan. Die dritte Figur, welche politisirt und dann getrunken hat, ein Bierschröter, ist in einer noch angenehmeren Beschäftigung begriffen. Er caressirt sein Liebchen, eine Hausmagd, die voll Sorgsamkeit ihren Hausschlüssel wohlverwahrt in der Hand hält, und ihr eingekauftes Gemüse neben sich hingestellt hat. Diese Scene scheint die gute Laune des genannten Fleischers neben dem Porter zu erwecken; sein Blick ist wenigstens auf das in seiner Art verliebte Paar gerichtet. – Seitwärts von dieser Gruppe sitzen zwei Häringsverkäuferinnen, die sich am Porter erquickt haben, und sich auf den Verkauf ihrer Waare vorbereiten wollen. Sie beabsichtigen nämlich durch den Reiz der Poesie ihre Käufer herbeizulocken, und üben zu [633] dem Zwecke eine auf den Straßen abzusingende Ballade über die Häringsfischerei von Lockman[1] ein.

Ueberall wird auf dem Blatte mit größtem Wohlbehagen das Porterbier getrunken. Ein Lastträger hat seinen Korb auf den Boden gesetzt, und erquickt sich mit einem Kruge. Nebenbei fällt übrigens der Inhalt des Korbes in die Augen, denn dieser besteht aus Maculatur, welche an einen Verfertiger von Koffern, Mr. Pastem (verkleistert sie), adressirt ist, damit dieser die inneren Wände seiner Fabrikate damit verklebe. Die zu dieser Nutzanwendung verurtheilten Bücher sind, wie der mitunter nicht ganz richtig geschriebene Titel zeigt, der 999ste Band einer Sammlung von politischen Schriften (Politics vol. 999). Turnbull über antike Malerei (der vollständige hier nicht ganz sichtbare Titel heißt: The Art of painting in ancient Greece & Rome); Hell’s Abhandlungen über den Nutzen und die Einrichtung gelehrter (königlicher) Gesellschaften (Hell on royal societies); Tragödien aus Hogarth’s Zeit und auch wahrscheinlich bis auf den Anfang des achtzehnten Jahrhunderts, mit Inbegriff von Addison, Rowe u. s. w. (Modern tragedies), und endlich ein gelehrter Commentar über einen Lieblingsdichter des Künstlers, über Milton’s verlorenes Paradies (Lauder on Milton).

Von den andern Portertrinkern sind zwei Sänftenträger im Hintergrunde sichtbar. Sie ruhen für den Augenblick aus, um bei der Passage vor dem Wirthshause zur Sonne sich zu laben. Wie es scheint, haben sie eine Erquickung wohl verdient, denn die Dame in der Sänfte, deren Bediente vorangegangen ist, muß einen bedeutenden Körperumfang besitzen, darf man den Schluß aus ihrem sichtbaren Busen ziehn. Nicht weit davon ruht ein Pflasterer von der Arbeit aus, oder sucht vielmehr frische Kräfte aus dem Inhalt eines Kruges zu sammeln. An einem [634] Fenster sitzen drei Schneider mit gekreuzten Beinen und haben die Nadel mit dem Porterkruge vertauscht. Sogar auf dem Dache des Wirthshauses fehlt es nicht an Trinkern. Dort feiern Schieferdecker mit emporgeschwungenem Hute die Glorie des „Hans Gerstenkorn“ (John Barleycorn von Burns) eben so, wie ein Arbeiter, welcher die Fässer hinauf windet. Ueberhaupt scheint der Bierwirth bei dem Geschäfte zu gedeihen; er läßt sein Gebäude, wo oben die Unions-Fahne weht, verschönern oder vergrößern; dem gegenüberliegenden Hause geht es dagegen desto schlimmer, denn dort wohnt ein Pfandverleiher mit dem Namen N. (Nicholas, oder abgekürzt Nick, ein Name, der an den Teufel old Nick erinnert) Pinch (Kneipen), welcher in einer Straße, wo durch Bier Kräfte zur Arbeit mit Munterkeit geschaffen werden, sehr schlechte Geschäfte macht. Seine Wohnung hat gestützt werden müssen, denn sie ist dem Einsturz nahe, und das Zeichen seines Geschäftes, drei blaue Kugeln an einem Kreuz, ist bereits im Sinken begriffen; die Thür hat er verrammelt, denn aus Furcht, wegen Schulden verhaftet zu werden, wagt er nicht, aus dem Hause zu gehen[2]. Somit hat er ein Loch in der Thüre angebracht, um mit der Welt zu verkehren, und erhält für den Augenblick durch dasselbe einen Porterkrug von einem jener Ausläufer, welche, zu einem Bierhause gehörend, das Getränk den Kunden außer demselben in die Wohnungen zu überbringen pflegen.

Das Schild des Wirthshauses enthält einen Gerstenschober beim Erntefest mit der Unterschrift: Gesundheit dem Gerstenschober (Health to the barley-mow.). Ein noch anlockenderes Zeichen wird unter demselben gemalt, nämlich eine volle Flasche, aus der sich ein Strahl in ein Glas ergießt. Der Künstler scheint sich auch seines Werkes zu freuen, indem er einen Blick auf das Modell wirft. Dieser Spott über einen Maler, der nicht einmal eine Flasche ohne Modell darstellen kann, [635] war auf einen Porträtmaler jener Zeit, einen halben Franzosen, Diodat aus Genf, gerichtet, welcher unter Georg’s II. Regierung nicht unbekannt war, und der wenigstens die Lumpen nicht verdiente, womit ihn Hogarth hier ausgeschmückt hat. Obgleich nicht unbeliebt, weil er mit vieler Geschicklichkeit treffen konnte, war er jedoch nur mittelmäßig in seiner Kunst. Horace Walpole charakterisirt ihn auf folgende Weise: Der Einbildungskraft, und man möchte beinahe glauben, sogar des Gedächtnisses entbehrend, konnte er nichts Anderes darstellen, als was er unmittelbar vor Augen hatte. Sommersprossen, Blatternarben, kurz Alles wurde von ihm wiedergegeben, nicht so sehr aus Treue, sondern vielmehr deßhalb, weil er es sich nicht denken konnte, irgend Etwas, welches ihm erschien, dürfe ausgelassen werden. Wahrheit herrscht in allen seinen Werken, Grazie in wenigen oder in keinem.




  1. Lockman war Secretär der Gesellschaft zur Beförderung britischer Fischereien, welche für den damaligen Handel nicht ohne Einfluß war. Die hier erwähnte Ballade wurde zu des Künstlers Zeiten in den Concerten von Vauxhall aufgeführt.
  2. Bekanntlich dürfen die Gerichtsdiener, die wegen Schulden verhaften, nicht in die Wohnung des Schuldners mit Gewalt dringen, und müssen dies entweder durch List bewerkstelligen, oder den Schuldner außer dem Hause in Haft nehmen.