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Das Branntweingäßchen

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Die Biergasse W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Das Branntweingäßchen
Columbus, wie er ein Ei zerbricht
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Das Branntweingäßchen.
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DAS BRANNTWEINGÄSSCHEN.
GIN LANE.

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Das Branntweingäßchen.


(Gin-Lane.)




Als Gegensatz zu allen Beweisen des Wohlbehagens, welches durch den Genuß des gesunden und nahrhaften Bieres bewirkt wird, werden hier die Folgen des Branntweintrinkens geboten, und zwar in dem Brantweinngäßchen (Gin-lane), nach einer Phrase, die zu Hogarth’s Zeiten allgemein war, da der englische Wachholder, welcher im Vergleich mit dem holländischen bei weitem schlechter und somit schädlicher ist, damals nur in den eigentlichen Pöbelquartieren, in abgelegenen und verfallenen Straßen, in Sackgassen u. s. w. verschenkt wurde, wo denn auch die Brantweinnkneipen der Localität entsprachen. Gegenwärtig hat sich Letzteres freilich geändert; die Verführung der Armen, an jenem verderblichen Getränke sich zu berauschen, ist durch die Pracht und die comfortable Einrichtung der Brantweinschenken erhöht worden, welche dehhalb den Namen der Paläste (Gin palaces) nicht mit Unrecht erlangten, und wo der Fabrikarbeiter wenigstens auf Augenblicke seine dumpfe und ärmliche [640] Wohnung in der Fluth des Gaslichtes vergessen kann. Jene Vermehrung des Branntweintrinkens verdankt übrigens die Nation jener Partei, welche niemals das Wohl der unteren Volksclassen in der Gesetzgebung berücksichtigte, so lange sie das Ruder des Staats in Händen hielt, obgleich sie jetzt eine andere Sprache führt. Die Tory-Verwaltungen während des Krieges bis zum Ministerium Wellington hatten das Bier in der Art besteuert, daß sein Genuß den niederen Volksclassen so gut wie entzogen wurde.

Die Localität des vorgeblichen Branntweingäßchens hat Hogarth in das Kirchspiel von S. Giles verlegt, in ein vollkommenes Pöbelquartier zu jener Zeit. Gegenwärtig ist dies freilich nicht mehr der Fall, da die Oberfläche von London seit neunzig Jahren sich gänzlich veränderte, und da andere Stadttheile das Vorrecht erlangt haben, den Pöbel vorzugsweise zu beherbergen. Die Localität ist an den Armschilden der Kinder zu erkennen, welche sich am Branntweinladen gütlich thun (durch das S. G. wird angedeutet, daß sie zum Waisenhause oder zur Armenschule jenes Kirchspiels gehören); ferner an dem Thurme von S. George in Bloomsbury, dessen geschmacklose Bauart sogleich in die Augen fällt. An dem Fuße der Thurmspitze, die in Treppen aufgeführt ist, befinden sich nämlich die britischen Wappenthiere, und oben auf thront der König in römischer Rüstung als Wetterfahne.

Einen besondern Gegensatz zum vorhergehenden Blatte bietet das Haus des Pfänderverleihers. Während dasselbe dort verfiel, ist es hier nebst dem des Branntweinbrenners und des Begräbnißunternehmers in trefflichstem Zustande. Alle anderen Gebäude sind in der Art verfallen, durch welche nur die äußerste Grenze der Armuth angedeutet werden kann. Der Pfandverleiher führt den bezeichnenden Namen Gripe (Griff, Unterdrückung), und steht, sein Geschäft ausübend, vor der Thüre. Ein Zimmermann hat ihm sein Werkzeug und seine Säge zum Versatz übergeben, die er sorgfältig untersucht; ein bereits zerlumptes Weib bringt ihm ihr Küchengeräthe, worunter ein Theekessel, dessen sich auch der ärmste Engländer sonst nicht gerne entäußert. Der Pfänderverleiher hat ferner zur Beförderung seines Geschäftes eine Branntweinkneipe in [641] seinem Keller mit der bezeichnenden Inschrift errichtet: Betrunken für einen Penny, todtbetrunken für zwei. Reines Stroh umsonst. Von allem dem findet sich der Beweis. An der Brüstung schläft ein betrunkenes Weib, und hinter ihr kriecht eine Schnecke, das Emblem der Faulheit, und zugleich ein Beweis des reinen Strohs unter der Treppe. Daneben benagt ein durch Branntwein vor der Zeit gealterter Knabe in höchster Gier einen Knochen, den ihm ein ausgehungerter Hund für den Augenblick streitig macht. Auf der Treppe sitzt eine betrunkene Mutter, durch Laster entstellt und mit Geschwüren bereits bedeckt; sie läßt ihr Kind nachläßig über das Geländer hinabstürzen, und nimmt dabei eine Prise Schnupftabak. Eine eben so scheusliche Figur, ein Balladenverkäufer, sitzt todtbetrunken einige Stufen niedriger. Er hat seine Wäsche bereits in Branntwein umgesetzt; der entblößte und abgemagerte Leib beweist sein Elend, die Züge seines Gesichtes vollkommene Stumpfheit als die Folge des Lasters. Die Ballade, die er verkauft, ist bezeichnend genug: Der Fall von Madame Branntwein (The downfall of Mad. Gin). Nach Ireland ist dieser Mensch nach dem Leben gezeichnet. Er trieb sich in den Straßen der Hauptstadt herum, verkaufte Balladen an den Pöbel, und gab den Kunden ein Glas Branntwein mit in den Kauf.

Auf der entgegengesetzten Seite, dem Hause des Pfänderverleihers gegenüber, steht ein Branntweinladen mit der Inschrift: Kilman, Distiller (Menschentödter, Branntweinbrenner). Männer und Weiber haben sich hingedrängt: zwei kleine Mädchen aus dem Waisenhause des Kirchspiels trinken sich einander zu; eine Mutter gießt ihrem Säugling Branntwein in den Hals; eine ältere Frau, deren Beine wegen des Rausches den Dienst versagen, wird auf einem Schiebkarren fortgebracht, und ein mitleidiger Freund reicht ihr zum Abschiede noch ein Glas. Zwei Bettler (scheinbare Krüppel) sind in Streit gerathen, der Branntwein läßt sie ihre Schwäche oder ihre Rolle vergessen; der eine gebraucht seine Krücke als Waffe, der andere hebt einen Stuhl zum Schlage empor. Seitwärts vom Branntweinbrenner hängt ein (englischer) Sarg als Schild für einen Begräbnißunternehmer. Dieser hat auch genug zu thun; eine schöne, [642] junge Frau, die wahrscheinlich an den Folgen des flüssigen Feuers gestorben ist, wird auf Befehl des Büttels in einen Sarg gelegt, denn sie wird auf Kosten des Kirchspiels begraben werden müssen. Ihr trauerndes Kind sitzt daneben. Ein Betrunkener hat sein Kind mit einem Bratspieß durchbohrt; unbekümmert um das Geschrei der verzweifelnden Mutter tanzt er zum Pfänderverleiher, um einen Blasebalg dort zu versetzen. Ein Barbier, dessen Wohnung durch den Pfahl des Handwerkes an der Mauer kennbar ist, hat sich erhängt. Sicherlich war er durch Branntweintrinken moralisch und physisch zu Grunde gerichtet. Seine Armuth wird übrigens durch die verfallene Mauer der Wohnung zur Genüge angedeutet.