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Die Beißwanger Kapelle

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Textdaten
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Autor: Gustav Schwab
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Titel: Die Beißwanger Kapelle
Untertitel:
aus: Gedichte. 1. Band, S. 350–352
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
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Erscheinungsort: Stuttgart und Tübingen
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Originaltitel:
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Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung: Raubritter-Sage: göttlich verhinderte Beraubung der Beiswanger Kapelle
Siehe auch Rosenstein
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[350]

Die Beißwanger Kapelle.

Die Ritter von dem Rosenstein,
Sie ritten aus beim Sonnenschein,
Sie ritten aus mit ihren Knappen,
Wenn mit den düstern Nebelkappen

5
Die Berge regendurstig nickten,

Und in die Eb’ne finster blickten,
Ja, wenn das Wetter blitzt’ und kracht’,
Sie ritten aus in schwarzer Nacht;
Denn immer war der Fang gelungen,

10
Wenn durch die stillen Niederungen

Ein Wandersmann, ein Kaufherr zog,
Und sich’re Fahrt die Straße log.
Jetzt zogen sie an einem Morgen,
Noch war die Welt in Schlaf geborgen,

15
Von ihrem hohem Felsen aus,

Zur Eb’ne nach dem Gotteshaus.
Das hob sich aus den grünen Matten
In seiner Linden kühlem Schatten,
Als fürchtet’ es, umrankt mit Laub,

20
Von keiner Seite Hohn und Raub.

Es hingen an den schmucken Wänden,
Gestiftet rings von frommen Händen,
Die Weihgeschenke silbern, golden,
Marien dargebracht, der Holden;

25
Dem Gläubigen zur Augenweide,

Dem Räuber zur geheimen Freude.
Dahin lenkt sich der Ritterzug,
So rasch ging nie der Pferde Flug;

[351]
Der Boden ist so fest und trocken,
30
Die goldnen Sonnenstrahlen locken,

Und höhnend spricht die freche Schaar:
Wie ist der Himmel hell und klar,
Unendlich wolkenlos und blau!
Maria winkt, die schöne Frau,

35
Dort aus der Fenster Glanz verstohlen,

Die Gaben ihrer Gunst zu holen.
Ein einzig Silberwölklein helle
Schwebt lächelnd über der Kapelle;
Die Reiter flügeln ihren Lauf;

40
Die kleine Wolke steiget auf –

Erst duftig in dem Sonnenlichte,
Drauf, sich entfaltend, Schicht’ auf Schichte:
Sie traben an von Gluth ermattet,
Da fühlen sie sich jäh beschattet;

45
Die Sonn’ ist hin, die Wolke grau

Laust über in des Himmels Blau. –
„Was ist’s? noch schreckt uns nie ein Regen!
Dort winkt uns die Kapell’ entgegen!“
Sie sprengen rüstig an zum Ziele;

50
Herab vom Roß, hin geht’s zur Diele,

Sie treten zu den Hallen ein,
Des Silbers winkt, des Goldes Schein,
Die Jungfrau sehn sie in der feuchten
Gesteine Glanz entgegenleuchten:

55
Ausstrecken sie die freche Hand –

Da zückt es durch die Deckenwand,
Ein einz’ger Blitzstrahl fährt hernieder;
Die gold’gen Wände leuchten wieder,
Die ganze Wolke rauscht herein,

60
Ein Regenguß, durch Wand und Stein;

Er schwemmt der wilden Räuber Leichen,

[352]
Begleitet von des Donners Streichen,

Fort aus dem Heiligthum mit Macht.
Da leuchtet neu der Sonne Pracht,

65
Da lacht das Feld verklärt, erneuet,

Die ganze Schöpfung steht erfreuet,
Es wölbt ein sel’ges Himmelblau
Sich über dem geschirmten Bau.