Der kranke Verfasser des Walladmor
Wer zu Anfang der dreißiger Jahre Nachmittags seinen Kaffee bei Stehely trank, der allbekannten Conditorei Berlins, und so glücklich war, ein gewünschtes Journal aus den Armen des sogenannten Journaltigers erobert zu haben, der bekanntlich zur festgesetzten Stunde auf die Minute eintrat – er soll Schreiblehrer an mehreren Schulen gewesen sein – rechts und links alle Zeitschriften und Zeitungen ergriff, so viel er deren erreichen konnte, um sich auf einige zu setzen, andere unter dem rechten und linken Arm festzuhalten, während er eins der Blätter eifrig las und studirte, bis er sie alle gelesen, der wird sich auch eines Mannes erinnern, der schüchtern einzutreten pflegte, mit etwas gebücktem Oberkörper, während der kleine schwarze Schnurrbart, wie um Verzeihung bittend, daß er überhaupt da sei, unter der Nase hervorschaute. Es war Wilibald Alexis – Wilhelm Häring, geb. 1798 zu Breslau – der pensionirte Referendarius, wie er sich selber wohl scherzweise zu nennen beliebte, wenn er seiner juristischen Carriere gedachte, die er, um sich ganz dem Schriftstellerthum zu widmen, aus eigenem Antriebe aufgegeben und verlassen hatte. Seine Bekannten und Verehrer nannten ihn damals schon den deutschen Walter Scott, während das deutsche Element sich später mehr auf das preußische, zuletzt vorzugsweise auf das märkische reducirte. Der geniale Verfasser des Cabanis, mit seinem prächtigen längst zum Volksliede gewordenen „Fridericus Rex, unser König und Herr“ – Alexis ist auch ein zwar wenig gekannter, aber kernhafter Dichter – verengte sich selber mehr und mehr den Kreis seines Schaffens, um zuletzt fast gänzlich und einzig allein im märkischen Sande haften zu bleiben. Der Sand der Mark und die Kiefern ihrer Waldungen bilden die Staffagen seiner Landschaftsbilder. Ein überaus guter, prächtiger Kern liegt in dem Herzen des Verfassers, er liebt sein Vaterland, sein Preußen, und vorzugsweise die Mark Brandenburg, mit Berlin an der Spitze, die ihm zur Heimath geworden, mehr denn Schlesien. Das zeigt sein Roland von Berlin, sein markiger Roman: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Und wer „die Hosen des Herrn von Bredow“, seinen „falschen Waldemar“, hie und da gern anders gestaltet haben möchte, der bedenke die Zeit, die geschildert wurde, die Männer und Frauen, um die das Ganze sich künstlerisch gruppiren mußte. Wie wenig war dazumal, als jene Bücher erschienen, überhaupt für die Geschichte der Mark gethan; es gehörte ein Muth, eine Thatkraft dazu, in diesen unangebauten Schacht hinabzusteigen, der Bewunderung
[233] verdiente. Es mußte Alles und Jedes gleichsam erst entdeckt und zu Tage gefördert werden. Fontane hatte seine Wanderungen durch die Mark Brandenburg noch nicht geschrieben, auch Klöden die Geschichte Waldemar’s noch nicht herausgegeben, selbst die nächsten Insassen ahnten und wußten es kaum, daß auch die sandige, verrufene Mark landschaftliche Schönheiten aufzuweisen habe. Heinrich von Kleist mit seinem Michael Kohlhaas war eine Oase in dürrer Wüste, die aber mehr dichterische Schönheit, als Treue der Natur besaß. W. Alexis wollte mehr sein und werden. Er wollte und strebte danach, der Walter Scott der Mark Brandenburg zu sein. Und daß er das Zeug, die Kraft dazu besaß, weiß Jeder, der sich der Zeit erinnert, wo sein „Walladmor“ als frei nach dem Englischen des Walter Scott an das Licht des Tages trat, während der Roman, aus einer scherzhaften Wette hervorgegangen, doch rein aus der Hand und der Feder W. Alexis’ geflossen ist. Nannte ihn, diesen Roman, ein englischer Kritiker, der, wie es heißt, W. Scott selber war, doch die kühnste Mystification unsers Jahrhunderts und wurde der Pseudo-Walter-Scott’sche Roman doch in fast alle lebende Sprachen übersetzt.
W. Alexis war von dem Beruf eines Schriftstellers durch und durch durchdrungen; seine Kunst war ihm eine ernste, heilige, er wollte nicht blos durch seine Schriften unterhalten, was dieselben ja auch stets in so reichem Maße thaten, mehr, als die meisten der jetzt hochgepriesenen Werke der Heerführer einzelner literarischer Cliquen; er wollte belehren, das Gute fördern. Man vergleiche z. B. nur einen Jahrgang seines vor Jahren erschienenen Volks-Kalenders mit einzelnen der Jetztzeit, die berühmte Namen deutscher Autoren als Aushängeschild auf ihren Titeln tragen. Welche Kraft, welche Mannheit liegt in dem, was er bietet! Es ist Alles überdacht, und mit Achtung vor sich selbst und dem Leser geschrieben. Die meisten seiner kleineren Novellen sind musterhaft. In einer derselben z. B. wußte er geschickt viel Selbsterlebtes mit hinein zu verweben aus der Zeit, wo er als Freiwilliger im Regiment Kolberg den Feldzug im Jahre 1815 mitmachte und als Belagerer vor einzelnen Festungen der Ardennen lag. Es findet sich wohl so leicht kein Taschenbuch, keine Zeitschrift der dreißiger oder vierziger Jahre, in denen sich nicht Beiträge von W. Alexis finden sollten, seien es nun Novellen, Erzählungen oder kritische Aufsätze. Auch der Bühne blieb er nicht fern; der jetzt von dem jüngeren Dichter Ludwig Kuhls zu einem fünfactigen Schauspiel bearbeitete Stoff „Aennchen von Tharau“ findet sich bereits im achten Jahrgange des Holtei’schen Jahrbuchs deutscher Bühnenspiele, als Lustspiel von W. Alexis bearbeitet, vor; auch sein verwunschener Schneider und der Prinz von Pisa erhielten sich einige Zeit auf der Bühne. Seine Hauptstärke liegt und lag aber im Roman und in der Erzählung. Daß er es in damaliger Zeit selbst nicht verschmähte, jüngern, aufstrebenden Talenten durch seinen Namen und seine Beiträge emporzuhelfen, beweist die Herausgabe der „Babielen“, einer Sammlung von Novellen und polemischen Papierstreifen, die er mit E. Ferrand und Arthur Mueller (Eduard Joseph Müller), dem nachmaligen Herausgeber der ewigen Lampe, unternahm; wie er denn überhaupt als Redacteur des Freimüthigen und nachmaligen Berliner Conversationsblattes sich jüngeren Talenten gegenüber besonders freundlich und anregend, fördernd und unterstützend bewies. Wir erinnern nur an A. Bernstein und das erste Berliner Lesecabinet, welches Alexis gründete.
Ich gedenke eines Tages. Es war zu Anfang der dreißiger Jahre. W. Alexis wohnte noch in der Zimmerstraße; es wird die Nummer 91 gewesen sein, die das Haus trug. Sein Arbeitszimmer war auf dem Hofe rechter Hand, einfach, schmucklos, aber dennoch echt gemüthlich eingerichtet. Es war Vormittags, als wir, ein Freund und ich, bei dem Verfasser der verbotenen Wiener Bilder eintraten. Alexis stand an den Ofen gelehnt, er klagte, daß das Arbeiten ihm heut’ nicht von der Hand ginge. Hermann Marggraff, der angehende Kritiker, trat ein – es war das erste Mal, daß ich denselben sah – schüchtern, beladen mit Büchern, deren Beurtheilung er vollendet hatte. Er bat um neue Arbeit, die ihm auch sofort in reichlichem Maße gewährt wurde. Alexis wurde munterer, die trübe Stimmung verschwand, und als er noch die Angst beseitigt sah, die er ausgestanden, weil ich auf einem zierlichen Sessel Platz genommen, der, wie er fürchtete, durch mein Wiegen mit demselben zerbrechen könnte, wurde er die Liebenswürdigkeit selbst. Sonst sprach er eben nicht von den Arbeiten, die er unter der Feder hatte, an diesem Tage wurde es ihm ordentlich zum Bedürfniß, man sah, man fühlte es: er mußte an seinen eigenen Arbeiten zu neuem Schaffen erstarken. Er schrieb an dem „Hause Düsterweg“, einer Geschichte aus der Gegenwart; er las die tiefergreifende Stelle, den Tod der jungen, schönen Engländerin schildernd, die mit ihrem Pferde im Sande der Tiber ihren Untergang fand. Ist das Leben Wahnsinniger jemals ergreifender geschildert worden, als es in jenem Werke geschehen? Voll Hochachtung und mit Liebe zu dem Verfasser schieden wir. Sein späteres, kurz vorübergehendes Auftreten als politischer Schriftsteller in den Spalten der Berliner Vossischen Zeitung wird den älteren Lesern derselben noch im Gedächtniß sein, auch hier zeigte er sich als Mann von Gesinnung und Offenheit; auch sein Verhalten in Bezug des Briefes, den er von höchster Hand, in Rücksicht dieses seines politischen Auftretens, erhalten, wird nicht ganz vergessen sein.
Trotz diesem wurde ihm der früher so liebe Aufenthalt in Berlin mehr und mehr unbequem. Er sehnte sich von hinnen, er verlangte nach Ruhe. Die alten Freunde der Mittwochs-Gesellschaft waren zum Theil dahin; der Tod hatte den Kreis bedeutend gelichtet; er fühlte sich einsamer mehr und mehr, zumal auch der politische Himmel für ihn kein sonniger war, die düstern Nebeltage keinen lichten Morgen verhießen. Endlich hielt es ihn nicht länger, sein Herz sehnte sich nach Waldesduft und Blättergrün – die Mark hatte ihren Reiz für ihn verloren – er siedelte nach Thüringen über, nach Arnstadt, um Ruhe und Frieden zu finden; Vielleicht daß auch dazumal die Verboten der Krankheit naheten, die ihn gegenwärtig geistig und körperlich gelähmt hat und zu Allem unfähig macht.
Die Mark mit ihren Geschichten und Sagen war für ihn verloren; wie sein Herz sich nach milderen Fluren sehnte, so folgte auch die Feder diesem Zuge des Herzens, er schrieb als Bruchstück und Vorbote eines größeren Werks sein „Ja, in Neapel“ und documentirte dadurch, daß er an der Grenzscheide seines geistigen Schaffens stehe. Alexis hat seit diesem Werkchen nichts geschrieben. Es ist verfehlt. Der tückische Geist jener Krankheit, der die Reihen der deutschen Schriftsteller aus jener älteren Zeit mehr und mehr auf jahrelange Krankenbetten wirft, der einen Julius Mosen nicht genesen läßt, der einem Heine das Sterben zu einer jahrelangen Pein und Tortur machte, der einen Otto Ludwig noch so jung dahinraffte, einen Sternberg unheilbar dahinsiechen läßt – der hat auch den Walter Scott der Mark erfaßt, hat seinen Körper gelähmt und seinen Geist mehr oder weniger, den einzelnen Stunden nach, brach gelegt, so daß er zu geistigen Arbeiten nicht mehr kommen kann, daß ihm oft das Wort für den auszudrückenden Gedanken mangelt.
Ein Schlaganfall hat ihn getroffen.
So lange die Tage noch mild und sonnig waren, ließ er sich auf seinem Ruhebett hinausfahren in Gottes freie, schöne Natur. Sein Auge sollte und mußte sich laben an dem Duft der Blumen, dem Grün der Bäume; die Schwalben zogen ihm vorüber, die Kraniche folgten ihnen nach. Ob er der eigenen Worte gedacht, die er vordem gesungen:
Immer kannst Du ja nicht trinken,
Aus der Klarheit Silberbach –
und ob er ruhiger, stiller geworden?
W. Alexis bezieht von der Schillerstiftung einen Ehrensold, wie ihn auch Mosen bezieht. Wird im Hinblick hierauf der Segen einer Stiftung der Art noch geleugnet werden können? Ob preußische Krieger wohl, vom Norden kommend, sie trunken vor dem Hause des kranken Dichters und Verfassers des Cabanis gesungen haben mögen:
Denn träf’ jede Kugel apart ihren Mann,
Wo kriegten die Könige ihre Soldaten dann?
Die Kugeln sind alle von Eisen und Blei,
Und manche Kugel geht Manchem vorbei.
Wie viel der freudig Heimziehenden, wie wenige derjenigen, die das gesegnete Thüringen in dieser Zeit durchwandert sind, mögen des Kranken gedacht und sich in dankbarer Erinnerung der Schönheiten seiner Werke gefreut haben?
Möge ein gnädiges Geschick den Kranken vor langem Leiden bewahren! Genesung ihm!