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Der deutsche Liederfürst

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Titel: Der deutsche Liederfürst
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aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 388–390
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Franz Schubert
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[388]
Der deutsche Liederfürst.


Wer zählt wohl die Namen der vielen Einheimischen und Fremden, welche seit Beethoven’s und Schubert’s Tod nach dem in der Nähe von Wien gelegenen Währinger Ortsfriedhof gewallt sind, um sich die zwei edelsten Besitzthümer dieses Gottesackers, die Gräber der beiden großen Tondichter, zu besehen und vor denselben in stiller Andacht zu verweilen! Träumerisch durchwandelt man die langgestreckten Gräbergassen; nur selten zieht ein Grabdenkmal, eine Inschrift, ein sorgsam gepflegtes Blumenbeet oder eine Trauerweide den Blick auf sich, nur flüchtig bemerkt man die nahegelegenen Ausläufer des Wiener Waldes, der in den stillen Friedhof hereinsieht, denn immer wieder fliegt der Sinn nach den beiden Gräbern zurück, deren Gedenksteine – nur durch die Ruhestätten der O’Donnell’s und Schlechta-Hardtmuth’s von einander getrennt – sich an die Langmauer des Kirchhofes anlehnen.

Die denkbar stolzeste Grabschrift trägt der Leichenstein Beethoven’s. Sie ist in großen goldenen Buchstaben an den Grabstein geheftet und lautet einfach: Beethoven. Man liest den Namen, der ja Alles besagt. Auf dem Grabmonumente Schubert’s finden sich die Worte Franz Grillparzer’s eingemeißelt: „Der Tod begrub hier einen reichen Besitz, aber noch schönere Hoffnungen“, ein Ausspruch, den der Schubertenthusiast Robert Schumann, als er im Jahre 1838 die beiden Gräber besuchte, dahin zurechtlegte: „Nachzugrübeln, was er noch hätte leisten können, führt zu nichts, wir wollen nur des reichen Besitzes gedenken.“

Und in der That, wenn man die musikalischen Schätze jeder Art überschaut, wie diese – abgesehen von Schubert’s unerreichtem Lied – erst in neuerer und neuester Zeit aus tiefster Verborgenheit in Staunen erregender Fülle an das Tageslicht gefördert wurden, [389] drängt sich einem wohl die Gewißheit auf, daß Franz Schubert auf den verschiedensten Gebieten musikalischer Kunst die Palme der Unsterblichkeit errungen und, wenngleich in seinem zweiunddreißigsten Lebensjahre – so früh, wie keiner der großen Tondichter – dieser Welt entrissen, dennoch seine Mission auf das Herrlichste erfüllt habe. Das bescheidene Grabmonument auf dem erwähnten Friedhofe, dessen enge, gedrückte Verhältnisse, vom künstlerischen Standpunkte aus betrachtet, keinen sonderlich günstigen Eindruck machen, wird in nicht ferner Zeit durch ein von echter Künstlerhand in Erz ausgeführtes, überlebensgroßes Standbild Franz Schubert’s verdunkelt werden, zu dessen Errichtung in dem „Stadtpark“ von Wien vorläufig durch Sammlung von Geldbeiträgen und Einsendung von Modellen seitens mehrerer dazu berufener Künstler die erste Einleitung getroffen ist.

Franz Schubert.

Das einzige bis jetzt existirende plastische Gedenkzeichen an den Liederfürsten findet sich, in Form einer gelungenen Büste, in dem Tabernakel des Grabmonumentes, aus welchem Schubert’s Kopf lebensvoll heraussieht. Alles an diesem athmet Kraft und gesunde Sinnlichkeit: die runde, volle Gesichtsform, der üppige, krause Haarwuchs, die kurze Stirn mit den breiten Schläfen, das unter buschigen Brauen tiefeingesenkte, nicht eben große Auge, die kurze, starke Nase, das energische Vollkinn mit tiefer Grube, die aufgeworfenen Lippen und die in Schlangenwindungen sich verlierenden Mundwinkel. Man denke sich dazu eine untersetzte Statur unter Mittelgröße, einen gewaltigen Nacken, fleischige Arme und Hände und kurze Finger, – die übrigens auf den Claviertasten mit merkwürdiger Leichtigkeit operirten, – und man wird zugeben, daß die Arbeit jenes Künstlers, welchem es beschieden sein wird, den Wiener Barden in ideal-plastischer Form darzustellen, sich zu einer ziemlich heiklen gestalten dürfte. Ohne diese gediegene Grundlage einer gewaltigen Physis voll strotzenden Lebens und sehniger Kraft wäre übrigens das erstaunliche Productionsvermögen Schubert’s kaum erklärlich. Die Saiten seines tiefen Gemüths waren jedenfalls über feste Stege und einen tüchtigen Resonanzboden gespannt; dabei aber war dieser gedrungene, kräftige Bau vom zartesten Nervenleben durchzogen, von einem Gewebe feinster Art, dem die Fühlung und Witterung des modernen Lebens voll innewohnte, und so hat denn auch Schubert neue, musikalische Ideale aus sich geboren.

Als anläßlich der Uebertragung von Beethoven’s und Schubert’s irdischen Resten in neue, metallene Särge (im Jahre 1863) Schubert’s Schädel der Waschung unterzogen wurde, vermochten sich die dabei anwesenden Aerzte ihres Erstaunens über den zart geäderten, fast weiblichen Organismus desselben nicht zu erwehren. Aus Schubert’s Musik spricht das reizvollste Nervenleben mit tausend Stimmen, und auch nur von dieser Seite her ist es dem Tod gelungen, den kräftigen Bau, welcher von der Natur auf ein hohes Alter angelegt zu sein schien, zu untergraben und urplötzlich niederzuwerfen.

Es ist eine auffallende Thatsache, daß – wenn man von einigen ziemlich dürftigen Aufzeichnungen Spaun’s absieht – keiner dieser Zeugen von des Tondichters Erdenwallen den Beruf in sich fühlte, ein möglichst getreues Lebensbild Franz Schubert’s zu entwerfen, welches als biographisches Denkmal der Mit- und Nachwelt zu überliefern gewesen wäre. Der einzig denkbare und von einigen Freunden wirklich auch hervorgehobene Grund davon liegt in der Dürftigkeit von Schubert’s äußerer Existenz. In seinem dem Außenblick wahrnehmbaren Leben gab es nicht Berg, nicht Thal, nur gebahnte Fläche, auf welcher er sich in gleichmäßigem Rhythmus fortbewegte. Sein Gemüthszustand glich einer spiegelglatten Fläche und war durch Vorkommnisse in der Außenwelt nur schwer zu erregen; er befand sich im schönsten Einklang mit dem Grundwesen seines Charakters. Die Tage flossen ihm dahin, wie es dem Armgeborenen und Armgebliebenen in bürgerlicher Sphäre geziemt. Ihm war der köstliche Schatz eines tiefen, reichen Gemüthes zu Theil geworden; sein schlichter, gerader Sinn, frei von falschem Zierrath, seine Treuherzigkeit, sein Wohlwollen für Andere, seine Hochherzigkeit, die nichts von Neid und Mißgunst wußte, sein fast übertrieben bescheidenes Wesen und eine gewisse, mit Genußliebe verbundene Art von Behäbigkeit, welcher sich ein entschiedener Geselligkeitstrieb beigesellte, erwarben ihm viele Freunde und Genossen, die an seiner anspruchslosen Gemüthlichkeit Gefallen fanden, wenn auch nicht Alle von ihnen den Genius erkannten, mit welchem sie so oft zu Tische saßen. Es hat aber noch keinen großen productiven Künstler gegeben, dessen äußere Existenz von alledem, was ihn innerlich bewegte, so gänzlich losgelöst und in keiner Beziehung dazu gestanden hätte, wie dies bei Schubert der Fall gewesen ist, und so einzig und eigenartig seine Tonmuse uns fesselt und anmuthet, so eigenthümlich gestaltet sich Schubert’s äußere Erscheinung in ihrem Verhältnisse zu seinem geistigen Schaffen. In diese Werkstätte aber hineinzublicken, mochte nur Wenigen, und diesen in seltenen, geweihten Stunden, vergönnt gewesen sein.

In dem Leben des Menschen überhaupt und namentlich in jenem großer, bedeutender Naturen spielen Herzensneigungen eine hervorragende Rolle. Wie hätte die Liebe einem musikalischen [390] Poeten fremd sein können, der, wie Franz Schubert, diesem höchsten aller Gefühle in hundert und mehr Gesängen bald seine innigst-zarten, bald seine leidenschaftlich-ergreifendsten Töne geliehen hat! Und dennoch ist auch nach dieser Seite hin aus seinem Leben nur wenig zu berichten. Schubert war allerdings dem schönen Geschlecht gegenüber nichts weniger als unempfindlich. Ueber die Sentimentalität verliebter Freunde machte er sich hie und da – doch immer in gutmüthiger Weise – lustig; er selbst blieb, wie dies wohl bei einem Menschen von so tiefem Gefühl und lebhafter Phantasie sich von selbst versteht, nicht frei von erotischen Regungen. Von einem dauernden Verhältnisse ist nichts bekannt geworden, und an eine Verbindung für das ganze Leben hat er wohl nie gedacht. Uebrigens pflegte er über derlei Beziehungen auch seinen vertrautesten Freunden gegenüber große Zurückhaltung zu beobachten.

Nur von einer Herzensneigung weiß die Lebensgeschichte Schubert’s Näheres zu berichten, und es hat diese Episode in des Tondichters einförmigem Erdenwallen insofern eine anziehende Seite, als sie uns in den Kreis einer hochgestellten Familie führt, dessen Mittelpunkt der schöpferische Genius Schubert’s und der ausübende Künstler Carl von Schönstein bildeten.

Es war im Jahr 1818, als der damals. einundzwanzigjährige, noch wenig bekannte Liedercomponist durch den Wirthschaftsrath Unger (Vater der nachmals berühmten Sängerin Caroline Unger) der Familie des Grafen Johann Esterhazy vorgestellt und als Musiklehrer, oder richtiger als Begleiter des Gesanges am Pianoforte, empfohlen wurde. Die gräfliche Familie war durchweg musikalisch. Graf Johann befand sich im Besitz einer Baßstimme, die damals achtundzwanzigjährige Gräfin Rosine und die jüngere der beiden Töchter, Caroline, sangen Alt, und Comtesse Marie erfreute durch eine hohe, schön klingende Sopranstimme; Freiherr von Schönstein, ein trefflich geschulter Sänger und intimer Freund des Hauses Esterhazy, vervollständigte mit seinem für das Schubert’sche Lied so recht geschaffenen Tenor-Bariton das Gesangsquartett. Caroline, deren Stimme etwas schwach klang, befaßte sich gelegentlich auch mit der Begleitung am Flügel, worin sie excellirte.

Graf Esterhazy pflegte die Sommerzeit auf seinem Gute Zelécz in Ungarn (nahe bei Preßburg gelegen) zuzubringen, und dahin folgte auch Schubert der Familie in den Jahren 1818 und 1824. Schönstein fand sich ebenfalls daselbst ein, und so fehlte es nicht an den wunderbarsten Reizen musikalischer Unterhaltung.

In Zelécz fand Schubert oftmals Gelegenheit, die schwermüthige Weise ungarischer und slavischer Nationalmelodieen zu hören, von denen er so manche sich aneignete, um sie in freier künstlerischer Weise auf das Reizendste zu verarbeiten. Die ungarische (Zigeuner-)Musik, derzeit ein kaum zu entbehrender Factor der modernen, insbesondere der Instrumentalmusik, erscheint in scharf ausgeprägter Weise und mit einer gewissen Vorliebe behandelt in mehreren seiner Clavier- und Orchesterstücke. Von dem Thema des Divertissement hongrois weiß man, daß es aus der Esterhazy’schen Schloßküche stammt, wo es eine Magd sang, als Schubert, von einem Spaziergange mit Schönstein zurückkehrend, eben vorüberging. Während des wiederholten Aufenthaltes in Zelécz entstanden mehrere bedeutende Compositionen, unter diesen auch das Gesangsquartett: „Gebet vor der Schlacht“. Die Entstehung dieses Musikstückes ist einer der glänzendsten Belege von Schubert’s musikalischer Schlagfertigkeit. Eines Morgens – im September 1824 – forderte die gräfliche Hausfrau während des gemeinschaftlichen Frühstückes den kleinen behäbigen Tondichter auf, das eben erwähnte Gedicht von de la Motte Fouqué, welches aufgeschlagen vor ihr lag, mit Tönen zu umkleiden. Schubert steckte das Buch zu sich und zog sich, wie dies seine Art war, wenn er componiren wollte, in die Einsamkeit zurück, um in Tönen zu dichten. Noch am Abend desselben Tages wurde die umfangreiche Composition von dem musikalischen Kreise aus dem Manuscript heraus durchgesungen. Die Freude an dem höchst gelungenen Musikstück steigerte sich in dem Maße, als dasselbe bei wiederholter Vornahme an Klarheit und Schönheit fort und fort gewinnen mußte. Der geniale Meister hatte die ganze Composition in zehn Stunden geschaffen und fehlerfrei niedergeschrieben.

Die schöpferische Kraft Schubert’s wurde selbstverständlich in diesem Kreise hochgeschätzt. Er ward alsbald ein Liebling der Familie und besuchte auch außer den Musikstunden das Haus des Grafen. Für die jüngere Tochter Caroline aber schlug in seinem Herzen eine Flamme empor, die bis an sein Ende im Stillen fortloderte. Die Comtesse achtete und bewunderte den Tondichter und sein Genie auf’s Höchste, erwiderte übrigens seine ohne Zweifel sehr schüchtern sich kundgebende Neigung in keiner Weise und hatte überhaupt von dem Vorhandensein dieser Sympathie, oder wenigstens von dem Grad derselben, kaum eine Ahnung. Eine Aeußerung Schubert’s – vielleicht die einzige, welche er in dieser Richtung zu thun wagte – hätte dem Gegenstand seiner Neigung allerdings eine Andeutung davon geben können; seine Worte wurden aber nicht verstanden. Als nämlich Caroline dem Tondichter im Scherz den Vorwurf machte, daß er eben ihr noch keine seiner Compositionen gewidmet habe, antwortete Schubert: „Wozu denn? Ihnen ist ja Alles von mir gewidmet!“ Ein paar Brief- und Tagebuchsstellen aus dieser Zeit scheinen auf den Herzenskampf hinzuweisen. Von bestimmten Aeußerungen über diese Liebesepisode in Schubert’s Leben findet sich nicht die Spur; es war eben nicht seine Art, derlei Seelenzustände Andern rückhaltlos mitzutheilen.

Franz Schubert schied der Erste für immer aus diesem Kreise. Sechzehn Jahre nach seinem (im November 1828 erfolgten) Tode vermählte sich die von ihm Geliebte mit dem Grafen Folliot von Crenneville, Major in der österreichischen Armee. Sie starb im Jahr 1851, nachdem der Vater und die beiden Geschwister, Marie (mit dem Grafen August Breuner vermählt) und Albert, ihr im Tode bereits vorausgegangen waren. Drei Jahre nach Carolinens Tod schied die Gräfin Rosine aus dem Leben, und so ist derzeit von jenem merkwürdigen Schubertkreise nur noch der einst gefeierte Sänger des Schubert’schen Liedes, Carl von Schönstein, übrig, welcher als siebenzigjähriger, aber immer noch rüstiger Mann den Rest seiner Tage in Wien verlebt. Möge es ihm, der so gern in der Erinnerung an jene längst verschwundenen denkwürdigen Tage schwelgt, und den wenigen noch am Leben befindlichen Freunden des großen deutschen Liederfürsten vergönnt sein, den Tag zu schauen, an welchem von dem Standbilde Franz Schubert’s die Hülle fallen und dieses als ein stolzes Wahrzeichen der Dankbarkeit und Bewunderung emporragen wird, welches seine Vaterstadt einem der größten und berühmtesten ihrer Söhne in ihrer Mitte errichtet hat.[1]




  1. Unsere Leser, die sich über Franz Schubert und dessen Leben und Streben genauer unterrichten wollen, finden die werthvollsten Mittheilungen in einem soeben[WS 1] bei Gerold in Wien erschienenen sehr fleißigen Werke von Kreißle „Franz Schubert“, dem wir auch das umstehende Portrait verdanken.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: soben