Zum Inhalt springen

Silhouetten aus der guten alten Zeit/1. Doctor Eisenbart

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: M. B.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Silhouetten aus der guten alten Zeit/1. Doctor Eisenbart
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 390–393
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Scharlatanerie in der Heilkunst
1. Doctor Eisenbart
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[390]
Silhouetten aus der guten alten Zeit.
1. Doctor Eisenbart.


Daß die Erde sich bewegt, ist nachgerade allgemein zugestanden, seit etwa vierzig Jahren sogar von den Gelehrten des heiligen Vaters, der dieser Wahrheit wie mancher andern bis dahin ein beharrliches Non possumus entgegengesetzt hatte. Daß wir uns mit der Erde bewegen, läßt sich nun selbstverständlich auch nicht gut mehr leugnen. Wohl aber wollen gewisse Liebhaber patriarchaler Zustände und ein gewisser Chor von Herren in schwarzen Röcken, weißen Halstüchern und à la Seraph gescheitelten Haaren in Abrede stellen, daß wir uns vorwärts bewegen, und eine Anzahl von braven Leuten seufzt mit ihnen, wenn sie bekümmerten Herzens die schnöde Welt von heutzutage mit der „guten alten Zeit“ vergleichen. Die deutsche Treue und Redlichkeit, die Reinheit, der Sitten, die Gottesfurcht und was Alles noch soll Rückschritte gemacht haben, die Milch der Menschenliebe sauer geworden, Respect vor dem, was Respect verdient, Pietät und Zucht geschwunden sein, und, um das Maß voll zu machen, soll sogar die Gemüthlichkeit der Deutschen nicht recht mehr gedeihen wollen.

Wer sich in der „guten“ alten Zeit umgesehen hat, wird [391] solchen melancholischen Betrachtungen nicht beizupflichten vermögen. Er wird gern zugeben, daß die Gegenwart noch mancherlei zu wünschen übrig läßt, aber noch viel bereitwilliger wird er anerkennen, daß die Menschheit ohne Zopf und Haarbeutel sich schöner, sauberer und stattlicher ausnimmt, als die, welche mit diesen Zierden des Rockkragens einherging, oder, deutlicher ausgedrückt, daß wir Menschen des neunzehnten Jahrhunderts nicht nur ein gutes Theil klüger und reicher, sondern auch erheblich besser sind als die Zeit. da der Urgroßvater die Urgroßmutter nahm. Noch deutlicher läßt sich diese geschichtliche Wahrheit dahin formuliren, daß man sagt: der Glaube an den höheren sittlichen Werth, an die größere Wahrhaftigkeit und Treue, an das gemüthlichere und behaglichere Wesen der Vergangenheit ist nichts mehr und nichts weniger als Aberglaube und zwar – mit Erlaubniß der Patriarchalischen und à la Seraph Gescheitelten – ein recht drolliger Aberglaube.

Dieser Aberglaube ist in den letzten Jahren oft als solcher aufgedeckt worden, wir meinen jedoch, daß darin nicht zu viel gethan werden kann. Um indeß dem Bedürfniß nach Abwechselung gerecht zu werden, führen wir statt Gründe einmal eine Sammlung von Schattenrissen aus der „guten“ alten Zeit gegen ihn zu Felde. Den Vergleich dieser schwarzen Physiognomien der Vergangenheit mit den entsprechenden Typen der Gegenwart möge der verehrte Leser selbst vornehmen. –

Ein seltsamer Anblick für uns Menschen der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, wenn wir uns in das Treiben eines Jahrmarktes in der Zeit zwischen dem dreißigjährigen und dem siebenjährigen Kriege zurückversetzen. Nicht sowohl der ehrliche kleine Kaufmann und der Handwerker, als das fahrende Volk der Gaukler und Gauner spielt hier die Hauptrolle und macht hier die besten Geschäfte. Der lächerlichste Schwindel wird dem guten dummen Bäuerlein und dem nicht viel klügeren Kleinbürger als heilsame Wahrheit geboten, und die Reclame florirt wie heutzutage nirgends, selbst nicht in den Spalten amerikanischer Zeitungen. Die wunderlichste Figur aber unter diesem Volk von Bärenführern und Luftspringern, unter diesen bunten Landstreichern mit abgerichteten Affen, Murmelthieren und Hunden, unter diesen Burschen, die sich das Gesicht ohne Schaden mit geschmolzenem Blei waschen, oder Werg essen und darauf Feuer speien, unter diesen Grimassenschneidern, Possenreißern, Schaufechtern und Komödianten aller Art, ist die, welche das Volkslied noch jetzt unter dem Namen des Doctors Eisenbart feiert, des vagirenden Volksarztes und Volksapothekers der „guten“ alten Zeit, mit ihrer rührenden Unwissenheit, ihrem Ueberfluß an Aberglauben und ihrem Mangel an aller und jeder Wohlfahrtspolizei. Schildern wir den würdigen Herrn einmal, ohne uns lange mit allgemeinen Betrachtungen aufzuhalten, in einigen der Gestalten, in denen er vorzüglich auftrat.

Ein kaiserlicher Soldat im dreißigjährigen Kriege ist nach allerlei Abenteuern nach Frankreich, verschlagen worden und auf dem Rückweg von da an seiner Habe so herabgekommen, daß er sich entschließen muß, entweder zu betteln oder, wie er selbst uns naiv erzählt, ein Arzt zu werden. Er resolvirt sich zu letzterem und ist sofort in der Sache zu Hause. In der Apotheke kauft er sich für das anspruchsvollere Dorfpublicum die Materialien zu einem Theriak, der damals in der Medicin als vortreffliches Mittel gegen allerlei Vergiftung galt, obwohl die Stoffe, aus denen er zusammengesetzt war, theils ganz unwirksam waren, theils einander aufhoben. Für die einfacheren Bauern verschafft sich unser resoluter Aesculap Wachholderlatwerge, die er mit Eichenlaub, Weidenblättern und andern herben Ingredientien zu Pillen dreht. Ferner macht er sich aus Kräutern und Wurzeln verschiedener Art, Butter und Oel eine grüne Wundsalbe zurecht, „mit der man wohl ein gedrucktes Pferd hätte curiren können“. Desgleichen aus Galmei, Kieselsteinen, Krebsaugen, Schmirgel und Trippel ein Pulver, um die Zähne damit weiß zu machen. Ferner ein blaues Wasser aus Lauge, Kupfer, Salmiak und Kampher, für Mundfäule sowie für – Augenweh gut. Diese kostbaren Arzeneien gießt und streicht er in eine Anzahl Blech- und Holzbüchsen und Gläschen, und „damit es ein Ansehen habe“, läßt er sich einen Zettel drucken, auf welchem man sehen kann, wozu das Eine und Andere gut ist. Nach Verlauf von drei Tagen ist er mit seiner Arbeit fertig, und als er sich seine Ausgaben überrechnet, findet er, daß ihm sein ganzer Medicinvorrath nicht mehr als drei Kronthaler kostet.

Er probirt nun sein Glück vor der Kirche eines Dorfes, macht aber, da es ihm mit dem Aufschneiden noch nicht recht gelingt, zunächst schlechte Geschäfte. Zudem hört er von dem Wirth in der Schenke, daß die Bauern hier nur gute Waare kaufen wollen und daß sie mit dem Gelde gewaltig zurückhalten, wenn sie keine gewisse Probe sehen, daß der Theriak vorzüglich ist. Da kommt ihm ein gescheidter Einfall. Er verschafft sich ein halbes Glas voll starken Straßburger Branntwein und fängt sich in einer benachbarten Pfütze eine recht häßliche schwarz und rothgelb gefleckte Unke. Diese setzt er in ein Schoppenglas mit Wasser und stellt sie, als er wieder hinter seinem Stand unter der Dorflinde Platz genommen, neben seine Waare auf den Tisch. Und von jetzt an wollen wir ihn in der Sprache heutiger Zeit selbst weiter erzählen lassen.

Wie sich nun die Leute zu sammeln anfingen und um mich herumstanden, meinten einige, ich würde mit der Zange, die ich aus der Küche der Wirthin entlehnt, Zähne ausbrechen. Ich aber fing an:

„Ihr Herren und guten Freunde, ich bin kein Zahnbrecher, aber ich habe gutes Wasser für die Augen, es treibt alle Flüsse aus den rothen Augen.“

„Ja,“ antwortete Einer, „man sieht’s an Euren Augen, die brennen ja wie zwei Irrwische.“

„Das ist wahr,“ sagte ich, „hätte ich aber das Wasser nicht gehabt, so wäre ich wohl schon blind geworden. Uebrigens verkaufe ich das Wasser nicht, nur den Theriak und das Pulver für die weißen Zähne und die Wundsalbe verkaufe ich, das Wasser schenke ich dann dazu. Ich bin keiner von den Schreiern und Leutebetrügern. Wenn ich meinen Theriak probirt habe und er Dir dann nicht gefällt, so brauchst Du mir ihn nicht abzukaufen.“

Indessen ließ ich einen der Umstehenden eins von meinen Theriakbüchschen auswählen, und daraus nahm ich soviel wie eine Erbse und that es in meinen Straßburger Branntwein, den die Leute für Wasser hielten, zerrieb es darin und zog hierauf mit der Zange die Unke aus dem Wasserglase, indem ich sagte: „Seht, ihr guten Freunde, wenn dieses giftige Gewürm meinen Theriak trinken kann ohne zu sterben, so ist er nichts nütze, dann kauft mir ihn nicht ab.“ Damit steckte ich das arme Ding, welches im Wasser geboren und erzogen war und nie in einer andern Flüssigkeit gelebt hatte, in meinen Branntwein und hielt das Glas mit einem Papier zu, daß es nicht heraus konnte. Da fing es fürchterlich zu wüthen und zu zappeln an und geberdete sich nicht anders, als ob ich es auf glühende Kohlen geworfen hätte, und nachdem es dies eine Weile getrieben, starb es und streckte alle vier Beine von sich. Die Bauern aber sperrten Mund und Beutel auf, als sie diese gewisse Probe mit eignen Augen angesehen hatten. Nun war kein besserer Theriak auf der Welt als der meinige, und ich hatte alle Hände voll zu thun mit Einwickeln des Plunders und Geldeinstreichen. Etliche kauften es wohl fünf- und sechsfach, damit sie für den Nothfall mit so köstlicher Giftlatwerge versehen wären, ja sie kauften auch für Freunde und Verwandte, die an andern Orten wohnten, so daß ich von ihrer Einfalt, obwohl kein Markttag war, diesen Abend zehn Kronthaler löste und doch noch mehr als die Hälfte meiner Waare behielt. –

Unser Doctor Eisenbart zog dann weiter von Dorf zu Dorf, und namentlich so lange er Unken haben konnte, ging sein Geschäft ganz vorzüglich. Wo die Unken fehlten, wußte er als kluger Kopf die Vortrefflichkeit seiner Giftlatwerge auf andere Manier zu beweisen. Ich machte mir, erzählt er weiter, aus Mehl, Safran und Gallus einen gelben Arsenik und aus Mehl und Vitriol einen Quecksilber-Sublimat. Und wenn ich vor den Bauern die Probe thun wollte, so hatte ich zwei gleiche Gläser mit frischem Wasser auf dem Tische, von denen das eine ziemlich stark mit Scheidewasser oder Vitriolöl gemischt war. In diesem zerrührte ich ein wenig von meinem Theriak und schabte alsdann in beide Gläser von meinen beiden Giften so viel, als genug war, hinein. Davon wurde das eine Wasser, welches keinen Theriak und also auch kein Scheidewasser hatte, so schwarz wie Tinte, das andere aber blieb wegen des Scheidewassers so klar, wie es gewesen.

„Ha!“ riefen dann die Bauersleute, „seht an, das ist fürwahr ein köstlicher Theriak um so geringes Geld.“

Mischte ich dann den Inhalt der beiden Gläser untereinander, so wurde Alles wieder klar. Darüber zogen dann die Leute ihre Beutel und kauften mir ab, was nicht blos meinem hungrigen Magen zu Paß kam, sondern mich auch beritten machte und mir die Taschen mit Geld füllte, mit welchem ich glücklich an die deutsche Grenze gelangte.

[392] Hier geht unserem wandernden Volksapotheker sein Theriak aus, und da er sich aus Furcht, als entlaufener Soldat von den kaiserlichen Besatzungen wieder eingefangen zu werden nicht in die Städte getraut, so muß er sich einstweilen anders zu helfen suchen. Er weiß sogleich Rath, kauft sich zwei Maß Branntwein, färbt ihn mit Safran, füllt ihn in halblöthige Gläschen und verhandelt ihn der glaubensstarken Bauernschaft als ein kostbares Goldwasser, welches gut für das Fieber sei, und womit er an seinem Branntwein gegen dreißig Gulden verdient. Als ihm die Gläschen ausgehen, will er sie in einer Glashütte bei Philippsthal ergänzen, hier aber erreicht ihn die Nemesis in Gestalt einer Streifpartie aus der genannten Festung, die ihm Alles, was er den Bauern abgezwackt hat, wieder abnimmt und ihn nöthigt, wieder in die Soldatenjacke zu kriechen und dem Kalbfell zu folgen. Schade um sein Genie, er hätte es damit vermuthlich noch zu der vornehmeren Species der Doctores Eisenbart gebracht, die wir jetzt schildern wollen.

Der Eisenbart höherer Ordnung ist gewöhnlich ein gravitätischer Herr mit großer Lockenperrücke, rothem oder zeisiggrünem Rock, Dreispitz und Galanteriedegen. Aus den Aermeln schauen Spitzenmanschetten hervor, die Finger zieren Ringe mit funkelnden Steinen, die Schuhe silberne Schnallen. Er kündigt sich als Doctor mehrerer Facultäten, als weitgereister, in vielen Wissenschaften erfahrener Mann in Reden an, die zuweilen mit lateinischen und griechischen Floskeln gespickt sind. Geringschätzig steht er auf die niederen Branchen des Geschäfts herab, denn er kann sich einen Bedienten halten und zieht wohl gar in eigenem Fuhrwerk zu Markte. Ein anderer Unterschied freilich besteht zwischen ihm und den weniger anspruchsvoll auftretenden Collegen nicht. Er ist derselbe Gauner, nur schneidet er im höheren Stil auf, und während jene ihre Waare auf einem einfachen Tisch ausbreiten und mit ein paar Taschenspielerstückchen die Menge anlocken, perorirt er von einer prunkend ausstaffirten Bühne zu den Massen, oder führt, um die Augen auf seinen Kram zu lenken, förmliche Komödien auf, in denen sein Bedienter, bisweilen auch seine Frau oder sonst ein Compagnon mit ihm auftritt. Bilder mit Wundercuren seiner Elixire und Pflaster mit ungeheuerlichen Operationen, Zettel mit bombastischen Anpreisungen der Panaceen, die er feil hat, Gläser mit Schlangen, Kröten oder Mißgeburten in Spiritus müssen ihm wirthschaften helfen. Häufig läßt er sich durch Trommelschlag in den Gassen oder durch schmetternde Trompeten von seinem Gerüst herab der Welt als der große, Alles heilende, kaiserlich, königlich, desgleichen päpstlich privilegirte Magus Bombastus Theophrastus ankündigen. Häufig treffen mehrere der Art auf einem Markte zusammen, und lustig ist es dann, zu sehen und zu hören, wie sie sich einander den Rang abzulaufen suchen. Viele dieser Doctoren sind Italiener, die sich besonders gut auf bezeichnende Gesten und große Worte verstehen. Die meisten treiben dabei die Kunst des Zahnausziehens, die natürlich öffentlich, auf der Schaubühne, ausgeübt wird. Manche verkaufen außer ihren angeblichen Arzeneien, unter denen der Theriak immer die erste Stelle einnimmt, auch Liebestränke, Schönheitsmittel, Amulette und Brillen. Der Eine hat Wurmsamen, der Andere Bilsensamen gegen Zahnweh feil, ein Dritter Philosophenöl und die „Quintessenz, womit man bald reich werden kann“, ein Vierter oleum Tassi barbassi wider den Frost. Wieder ein Anderer preist Salbe zur Stärkung des Gedächtnisses, noch ein Anderer eine köstliche Pommade aus Hammelschmalz gegen den Schorf an. Daß bei den Meisten auch Menschenfett, Mückenfett und ähnliche von dem altgläubigen Landvolk noch heute hochgeschätzte und vielgesuchte Artikel zu haben sind, versteht sich von selbst.

Hier, etwas von den Bildern eines solchen Marktes aus dem siebenzehnten Jahrhundert. Gehen wir hinüber zunächst an jene Ecke, wo so ein Fortunatus mit seiner Fributa das Spiel begonnen hat. Er hat eine Stimme wie Stentor und gesticulirt wie eine Windmühle. Jetzt erzählt er eine lustige Anekdote, jetzt eine neue Nachricht von Krieg und andern Staatsactionen. Dann folgt ein Dialog zwischen Beiden mit allerlei groben Späßen und Zweideutigkeiten, dann Gesang, dann ein verstellter Zank mit seinem Bedienten, der mit einer Prügelsuppe endigt. Bald lacht er, daß ihm die Augen überlaufen, bald wird er pathetisch, bis er endlich meint, genug Volk angelockt zu haben, und nun zur Hauptsache, zum Herausstreichen der köstlichen Mittel übergeht, die er zum Heile der geschätzten Umstehenden mitgeführt hat.

Fortunatus ist eben im besten Verkaufen, als an einer andern Ecke Trompetenstöße ertönen und ein College sich ankündigt, der ihm den besten Theil seiner Kunden abspenstig macht. Er hat ein Mädchen in Knabenkleidern bei sich, die wie ein Affe durch einen Reifen springen kann und ähnliche Jongleurstückchen mit Virtuosität ausführt. Während die Kleine sich producirt, erzählt ihr Herr der Menge allerlei Possen und Schwänke, bis auch er auf das eigentliche Capitel kommt, seine Salbenbüchsen und Medicinflaschen offerirt und den Einen und den Andern beredet, davon zu kaufen.

Wieder an einer andern Ecke tritt mit Trommeln und Pfeifen ein großer, bunter Herr auf die Bühne, daß alle Welt zusammenströmt, zuhören, was er zu sagen hat. Er unterhält sich mit seinem Knecht im Stil unserer heutigen Kasperle-Theater. Der Herr erklärt dem Knecht, wie er ihn liebe, dieser aber macht allerlei Grimassen, renommirt, daß er sich für den guten Herrn Doctor todtschlagen lassen will, kriecht aber, als andere Schauspieler, die als Feinde des Doctors auftreten, auf dem Gerüste erscheinen, zitternd unter die Bank und schreit, daß der ganze Markt herbeiläuft, worauf auch für den Herrn Wunderdoctor und Theriakskrämer dieser Ecke die Zeit gekommen ist, merken zu lassen, woran ihm gelegen ist, nämlich mit seiner kostbaren Arzenei allen Beladenen zu dienen und zunächst die, welche an ihrem Gelde zu schwer zu tragen, von solchem Ungemach zu erlösen.

Bisweilen kommt auch ein Herr Magister So und So mit seiner Apotheke für allerlei Gebrest angezogen, von deren wunderbaren Tincturen und Mixturen er eine Weile tapfer lügt, bis die Bauern ihren Säckel ziehen. Will sich das nicht machen – es ist gar zu viel Concurrenz – so bestellt er ein paar gute Freunde, die sich herzudrängen und ihm abkaufen. Sie geben dann in der Regel vor, schon früher seinen unübertrefflichen Theriak oder seine Alles heilende Wundsalbe gebraucht zu haben und ihm weit nachgereist zu sein, um sie sich wieder zu verschaffen. Mit lauter Stimme und vor Freude weinend, den verehrten Wohlthäter der Menschheit endlich wiedergetroffen zu haben, preisen sie die Güte seiner Waaren. Die Umstehenden lassen sich das natürlich gesagt sein. Sie kaufen, was sie vermögen, und der gute alte Herr ist noch so liberal, daß er jedem der Kunden noch ein Dütchen mit Wurmsamen für die Kinderlein zu Hause oder sonst etwas für das Fieber, für Zahnschmerzen, für das Ohrensausen und dergleichen verehrt, „was allein schon das Geld werth ist, und wo gar Mancher viel darum gäbe, daß er es nur sehen möchte“.

Endlich erschien auf Messen und Jahrmärkten noch ein ganz besonderer Stamm der medicinischen Marktschreier, die „Söhne des heiligen Paulus“. Sie zogen, wie in Matthäus Merian’s „Allgemeiner Schauplatz aller Künste, Professionen und Handwerke“ erzählt wird, mit einer großen, fliegenden Fahne auf, deren eine Seite der Stammvater ihres Geschlechts, Sanct Paulus mit seinem Schwert, schmückte, während die andere einen Haufen Schlangen zeigte, „welche also gemalet sind, daß man sich fürchtet, von ihnen gebissen zu werden.“ Sobald sie aufmarschirt sind, fängt Einer von Ihnen an, den Ursprung ihres Geschlechts zu erzählen, wie der Apostel der Heiden auf der Insel Melite von einer Otter gebissen worden, aber ohne Schaden, und wie dieselbe Gnade nachher sich auf seine Nachkommen (Paulus war bekanntlich unverheirathet) fortgepflanzt habe. Der Redner versichert, man habe dies vielfach probirt, vielfach Anfechtung erlitten, aber allezeit die Oberhand behalten, wie mit Brief und Siegel zu beweisen sei. Endlich ergreift er die auf dem Tische oder der Bank stehenden Schachteln und langt aus der einen – gräulich anzusehen! – einen zwei Ellen langen und armsdicken Molch, aus der andern eine große Schlange. Bei einem jeden der garstigen Reptilien erzählt er, wie die Brüderschaft ihn gefangen, als die Bauern beim Kornschneiden gewesen, die deshalb in großer Gefahr gestanden hätten. Darüber erschrecken die Landleute dermaßen, daß sie nicht wieder nach Hause gehen zu dürfen meinen, sie hätten denn zuvor eins von den Pulvern eingenommen, welche der Nachkomme des heiligen Paulus ihnen jetzt anbietet und welche vor allem Biß giftiger Creaturen schützen. Und je mehr sie kaufen, desto mehr Schachteln werden geöffnet: in der einen liegt eine rauhe Otter, in der anderen ein todter Basilisk, in einer dritten eine Tarantel aus Campanien, wieder in einer andern ein junges Krokodil aus Aegypten oder eine indianische Eidechse. Daß einige dieser schrecklichen Thiere gar nicht, andere nicht bei uns existiren, weiß die Einfalt vom Lande nicht, und so zieht [393] sie auch vor ihnen den Beutel, um sich der Gnade Sanct Pauli zu versichern.

Noch Vieles ließe sich über den Doctor Eisenbart sagen, der sich bisweilen auch in viel höheren Regionen, als den geschilderten, bewegte und selbst an Höfen und Universitäten, wenn auch hier mit weniger plumpem Schwindel, Glück machte. Es mag indeß genug sein. Erst gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts verschwand er von den deutschen Märkten. Einige wollen ihn in der Türkei noch in den letzten Jahren gesehen haben, Andere meinen, er sei nach Amerika ausgewandert und habe dort nacheinander unter den Namen Morrison, Brandreth und Townshead als Pillenfabrikant und Sarsaparillatränkchenbrauer kolossale Geschäfte gemacht. Wieder Andere glauben zu wissen, daß, wenn nicht der alte Doctor selbst, doch Nachkommen von ihm noch in ziemlicher Anzahl und bei recht stattlichem Verdienst mitten im erleuchteten Deutschland wohnen, einer als Dickbierbrauer mit einem halben Dutzend Preismedaillen, einer als heilsamer Kräuterschnaps-Destillateur, ein dritter als Persönlichkeit, welche sich den Schutz ihrer Mitchristen vor gewissen unnennbaren Leiden angelegen sein läßt, und so noch ein paar Dutzend andere Heilande der kranken Menschheit. Ob das wohl wahr ist?
M. B.