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Der Schreibmeister (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Der Schreibmeister
Untertitel: Von Gerard Dow
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
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Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Scan auf Commons
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The Writing Master.     Der Schreibmeister.

[65]
Der Schreibmeister.
Von Gerard Dow.

Einen ungemein lieblichen, reizenden Eindruck macht es, wenn man unter den holländischen Meisterwerken der Kunst den Bildern des Gerard Dow begegnet.

Während die Bilder seiner Kunstgenossen, das niedere, nicht selten rohe Leben mit fast absichtlicher Verschmähung jeder Veredlung der Figuren darstellend, sich drängen, ist bei Dow Alles voll zartester Harmonie. Sanft und wohlthuend angesprochen, bewundern wir in seinen Gemälden einen idyllisch milden, wahrhaft poetischen Hauch.

Auch Dow band sich genau an die Wirklichkeit, genauer, als vielleicht irgend ein anderer Maler. Die geringsten Einzelnheiten sind bei ihm mit undenkbarster Sorgfalt gearbeitet; er ist derjenige Holländer, welcher drei volle Tage nöthig hatte, um einen gewöhnlichen Besenstiel darzustellen. Aber eben durch diese minutiose Sorgfalt, durch diese vollkommenste Wiedergabe der unbedeutendsten Dinge erreichte Dow die bewunderungswürdige Höhe in dem ihm eigenthümlichen Streben. Er stellt das unendliche Behagen der heimischen Existenz, den vollen Frieden, die gesättigte Ruhe der Häuslichkeit dar.

Hier am heimischen Herde gewinnt das Geringfügigste Bedeutung. Alle Geräthe und [66] Kleidungsstücke – deren Stoffe Dow täuschend malte – spielen ihre Rolle in der Lebensgeschichte der dargestellten Person. Durch den Anblick des bekannten, alltäglichen Beiwerks wird der Beschauer im Bilde heimisch; er fühlt sich gefesselt und gerührt. Die ganze Existenz harmloser Menschen rollt sich vor ihm auf, die Poesie wird lebendig und der Meister feiert seine Triumphe.

Gerard Dow ist unstreitig nach seiner durchaus richtigen Zeichnung, nach seiner herrlichen Färbung und seiner genauen Beleuchtung einer der ersten holländischen Genremaler. Er wird auch Dou oder Douw genannt und ist der 1613 zu Leyden geborne Sohn eines Glasmalers. Sein Tod erfolgte im Jahre 1680. Rembrandt war sein Lehrer; gleich ihm besaß Dow das Geheimniß der malerischen Harmonie im hohen Grade. Seine meist räumlich kleinen Gemälde sind sehr hoch geschätzt; die „wassersüchtige Frau“ ward mit 30,000 Gulden bezahlt; ebenfalls wurde unser Bild, der „Schreibmeister“, von der königlichen Gallerie zu Dresden zu einem ungemeinen Preise erstanden.

Wirklich ist dieser „Schreibmeister“ eine vollendet reine Perle Dow’scher Kunst. Jeder Zug, jede Linie im Bilde ist lebendig, und wenn jemals, so ist hier die gemüthlichste Ruhe, die heiterste Selbstzufriedenheit mit dichterischer Meisterschaft gemalt. Es ist vorzugsweise ein Bild, welches keine kritische Beschreibung erträgt, sondern empfunden sein will. Könnten wir daher auf den Inhalt des Gemäldes mit liebevollerer Genauigkeit eingehen, als dadurch, daß wir, während der Beschauung desselben, ein Stück poetischen Stilllebens hervorrufen? – Wir sind gewiß, daß wir damit zugleich die eigenthümliche Disposition in Dow’s Werken bezeichnen.

Gerard Dow konnte nicht wie die Teniers, Ostade’s, Brouwers und Bega’s die Vorbilder seiner Schöpfungen, den realen Grund seiner künstlerischen Phantasie und Conception, in jeder Dorf- oder Matrosenschenke finden. Er bedurfte eben so eigenthümlicher als anspruchsloser Charaktere und Situationen, welche sich zu Trägern der in dem häuslichen Leben sich spiegelnden Innerlichkeit eigneten. Ein wahres Pracht-Original dieser Gattung fand Dow’s sechzehnjährige Tochter Duyveke in einem alten, zu einer Armenschule eingerichteten Franciscanerkloster. Es befand sich hier ein kleines Gäßchen, daß Judengäßchen genannt, obgleich Amsterdam bekanntlich lange Zeit gar keine der Kinder des gelobten Landes innerhalb seines Weichbildes duldete. Auf dies dunkle Gäßchen sahen[1] einige der gewölbten Fenster des Klosters, und vor demjenigen, welches am meisten durch einige Strahlen der Sonne begünstigt war, saß vom frühen Morgen bis zum späten Abende Rafael Huelst, der Schreibmeister für die Armenschüler. Der siebzigjährige, silberlockige Junggesell nahm aber noch einen wichtigeren Platz ein; er schrieb mit der damals fast zu Grabe gegangenen Kunst der alten Zeit Urkunden und Documente für die Kanzleien der Generalstaaten. Duyveke flog zu ihrem Vater und beschrieb den alten Rafael Huelst mit seinem Barett, seiner Klemmbrille und seinem, die glücklichste Selbstzufriedenheit ausdrückenden, charakteristischen Gesichte, nicht minder mit dem noch aus Kaiser Karls V. Zeiten stammenden halb-spanischen Oberkleide so hinreißend, daß Gerard Dow von seiner Staffelei bedächtig aufstand, höchst sorgfältig das in Arbeit befindliche Gemälde durch ein seidenes Tuch vor etwaigem Staube schützte und, die Mappe unterm Arme, seine die bewunderungswürdigste Sauberkeit zeigende Werkstatt verließ.

Dow konnte den Eingang zu der alten Schule nicht finden. Er trat daher, indeß er seinen [67] großen Federhut nachlässig lüftete, dicht vor die graue Mauer von Rafael Huelst’s Fenster. Dow war entzückt, als er den Kopf des Schönschreibers prüfend betrachtete; als er den runden Sessel desselben, eine Sanduhr und das alte Pult mit vergilbten, zerrissenen Pergamenten erblickte, und oben an dem gewölbten Gestein einen Vogelbauer mit einem Gimpel darin und in der Schlafstube eine runde Laterne von eigenthümlicher, fast antiker Form entdeckte.

Huelst grüßte den blassen Meister mit großer Freundlichkeit, setzte aber, ohne sich stören zu lassen, seine Arbeit fort. Der Maler war durchaus kein Freund von Complimenten; er sagte heute aber dem Alten einige Artigkeiten, weil er, seinen Mann mit richtigem Blicke taxirend, neben der heitern Gutmüthigkeit desselben eine ziemliche Störrigkeit in seinen Zügen zu lesen glaubte. Huelst hörte mit bescheidenem, aber würdig-mildem Lächeln das Lob, welches Dow dem mit unendlicher Mühe gemalten großen „F“, dem Anfangsbuchstaben einer, mit „Frederik van Nassauen“ beginnenden Urkunde spendete. Der Schreibmeister wurde heiter, er lud den Maler, obgleich seine Schüler versammelt waren, ein, in sein Zimmer zu kommen.

– Mynheer, ich werde Euch einige Pergamente zeigen, sprach Rafael Huelst stolz, auf welchen Ihr in jedem großen Buchstaben Malereien bewundern sollt, vor denen die Leistungen unserer Miniaturmaler in Nichts verschwinden. Ich halte mein Urtheil zurück, aber Ihr, der Ihr die Sache zu verstehen scheint, werdet offen gestehen müssen, daß unsere hochgepriesenen Maler, daß Dow, Mieris und Metzu gegen die Feinheit meiner Arbeit ihre Leistungen als Sudelei ansehen müssen!

– Dow thut’s ganz gewiß, lieber Meister Huelst! sagte der Maler still lächelnd. Ich bin’s selbst, deswegen kann ich dafür einstehen. Erlaubt, Mynheer, daß ich von Euch lerne; mein Wille ist der beste, den es geben kann. Besonders aber vergönnt, daß ich Euch male; ich möchte das Bild eines so ausgezeichneten Mannes täglich und stündlich vor Augen haben.

Der Schreibmeister starrte den Maler sprachlos an; dann stand er, bestürzt und aufgebracht zu gleicher Zeit, auf und ließ rasch den zur Seite geschlagenen bunten Vorhang herab, um sich mit seinem gekränkten Stolze, seiner beschämten Prahlerei zu verbergen. Mynheer Huelst, sonst ein sehr gottesfürchtiger Mann, fluchte vernehmlich; der Gimpel im Bauer, durch die Finsterniß erzürnt, schrie erbärmlich und fiel vor Aerger todt auf den Boden des Käfigs nieder. Beim Anblicke dieses Unglücks fing der alte Junggeselle auf’s Herzbrechendste zu klagen an.

– Oh, Monbijou! rief er, seinen todten Liebling, große Thränen weinend, an die Lippen drückend. Stirb nicht, verlaß mich nicht! Du aßest aus meiner Hand und schliefst in meinem Busen! Du, mit der kleinen Kehle voll sanfter Lieder, mein Freund, mein Trost . . . da halt’ ich dich, deine arme Leiche, in meiner Hand und weine vergebens, um dich zu erwecken, den die Laune eines schändlichen, herzlosen, eingebildeten Malers hinopferte!

Dow sah ein, daß hier kein Trost nützen könne. Er schlich sich tief betrübt fort; aber eben diese Scene mit dem alten, armen Schönschreiber und seinem Dompfaffen zeigte ihm, daß nimmer ein Anderer als Rafael Huelst vollständiger für sein zartes, poetisches Darstellungstalent geschaffen sei. Er machte Anstrengungen, sich mit dem Schreiblehrer auszusöhnen, um ihn zu bewegen, daß er ihm sitzen möge; aber Huelst war unerbittlich. Und anders konnte Gerard Dow sich seiner nicht bemächtigen, denn er hatte sicherlich acht Tage nöthig, um den Alten zu zeichnen.

[68] Die schöne Duyveke fand wiederum das Auskunftmittel. Sie ruhte nicht eher, bis sie, als sie bemerkte, der Bauer des Schreibmeisters sei noch immer leer, einen Gimpel auftrieb, der das Nationallied:

„Wilhelmus van Nassauen
Ben ick van Duytschen Bloed“ u. s. w.

vom Anfange bis zum Ende mit seltener Virtuosität pfiff. In einem prächtigen Käfig brachte das reizende Kind den neuen Montbijou nach dem Judengäßchen, trat in die Stube des Schreibmeisters und das Dompfäffchen schmetterte dem Alten die schwungreiche Melodie unter unzähligen Verbeugungen glücklich entgegen. Rafael Huelst faltete, indeß ihm Thränen in die Augen traten, andächtig die Hände.

– Montbijou! flüsterte er. Und ich armer Mann habe nicht Geld, um mir dies himmlische Vöglein zu kaufen . . .

Die Duyveke, selbst tiefer gerührt, als sie sich merken ließ, fing für ihren Vater Dow zu unterhandeln an. Der Schreibmeister widerstand nicht länger.

– Mit nichten, Meister Huelst, lächelte der eintretende berühmte Meister; ich will Euch auf keine Weise beschwerlich sein: der Staat und der Bratenrock ist überflüssig; ich möchte Mynheer Huelst gern so haben, wie ich ihn zum ersten Male sah . . . Und da trugt Ihr diese ewig unbezahlbare spanische Kapuze. . .

Dow hatte die Arbeit an einem seiner lieblichsten Bilder begonnen.

  1. Vorlage: sahe