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Ich kam von meiner Herrin Haus

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Textdaten
Autor: Heinrich Heine
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Titel: Ich kam von meiner Herrin Haus
Untertitel:
aus: Buch der Lieder, Junge Leiden, Traumbilder, S. 25–33
Herausgeber:
Auflage: 1
Entstehungsdatum: 1817–1821
Erscheinungsdatum: 1827
Verlag: Hoffmann und Campe
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans der Ausgabe 1827 auf den Commons
Kurzbeschreibung:
Auch unter dem Titel »Der Kirchhof« (»Traumbilder« zyklus, VII) in Gedichte 1822 (S. 22-31)
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[25]

VIII.

     Ich kam von meiner Herrin Haus,
Und wandelt’ in Wahnsinn und Mitternachtgraus.
Und wie ich am Kirchhof vorüber gehn will,
Da winken die Gräber ernst und still.

5
     Da winkt’s von des Spielmanns Leichenstein;

Das war der flimmernde Mondesschein.
Da lispelt’s: Lieb Bruder, ich komme gleich!
Da steigt’s aus dem Grabe nebelbleich.

     Der Spielmann war’s, der entstiegen jetzt,

10
Und hoch auf den Leichenstein sich setzt.

In die Saiten der Zither greift er schnell,
Und singt dabei recht hohl und grell:

     Ei! kennt Ihr noch das alte Lied,
     Das einst so wild die Brust durchglüht,

15
     Ihr Saiten dumpf und trübe?

     Die Engel, die nennen es Himmelsfreud,
     [26] Die Teufel, die nennen es Höllenleid,
     Die Menschen, die nennen es: Liebe!

     Kaum tönte des letzten Wortes Schall,

20
Da thaten sich auf die Gräber all’;

Viel Luftgestalten dringen hervor,
Und umschweben den Spielmann und schrillen im Chor:

     Liebe! Liebe! deine Macht
     Hat uns hier zu Bett gebracht,

25
     Und die Augen zugemacht, –

     Ei, was rufst du in der Nacht?

     So heult es verworren, und ächzet und girrt,
Und brauset und sauset, und krächzet und klirrt;
Und der tolle Schwarm den Spielmann umschweift,

30
Und der Spielmann wild in die Saiten greift:


     Bravo! bravo! immer toll!
     Seyd willkommen!
     Habt vernommen
     Daß mein Zauberwort erscholl,

35
     [27] Liegt man doch jahraus, jahrein,

     Mäuschenstill im Kämmerlein;
     Laßt uns heute lustig seyn!
     Mit Vergunst, –
     Seht erst zu, sind wir allein? –

40
     Narren waren wir im Leben,

     Und mit toller Wuth ergeben
     Einer tollen Liebesbrunst.
     Kurzweil soll uns heut nicht fehlen,
     Jeder soll hier treu erzählen,

45
     Was ihn weiland hergebracht,

     Wie gehetzt,
     wie zerfetzt
     Ihn die tolle Liebesjagd.

Da hüpft aus dem Kreise, so leicht, wie der Wind,

50
Ein mageres Wesen, das summend beginnt:


     Ich war ein Schneidergeselle,
     Mit Nadel und mit Scheer’;
     Ich war so flink und schnelle
     Mit Nadel und mit Scheer’.

55
     Da kam die Meisterstochter

     Mit Nadel und mit Scheer’;
     Und hat mir in’s Herz gestochen
     Mit Nadel und mit Scheer’.

[28] Da lachten die Geister im lustigen Chor;

60
Ein Zweiter trat still und ernst hervor:


     Den Rinaldo Rinaldini,
     Schinderhanno, Orlandini,
     Und besonders Carlo Moor
     Nahm ich mir als Muster vor.

65
     Auch verliebt – mit Ehr’ zu melden –

     Hab’ ich mich, wie jene Helden,
     Und das schönste Frauenbild
     Spukte mir im Kopfe wild.

     Und ich seufzte auch und girrte;

70
     Und wenn Liebe mich verwirrte,

     Steckt’ ich meine Finger rasch
     In des Herren Nachbars Tasch’.

     Doch der Gassenvogt mir grollte,
     Daß ich Sehnsuchtsthränen wollte

75
     Trocknen mit dem Taschentuch,

     Das mein Nachbar bei sich trug.

     Und nach frommer Häschersitte
     Nahm man still mich in die Mitte,
     Und das Zuchthaus, heilig groß,

80
     Schloß mir auf den Mutterschooß.


     [29] Schwelgend süß in Liebessinnen
     Saß ich dort beim Wollespinnen,
     Bis Rinaldos Schatten kam,
     Und die Seele mit sich nahm.

85
Da lachten die Geister im lustigen Chor;

Geschminkt und geputzt trat ein Dritter hervor:

     Ich war ein König der Bretter,
     Und spielte im Liebhaberfach,
     Ich brüllte manch wildes: Ihr Götter!

90
     Ich seufzte manch zärtliches: Ach!


     Den Mortimer spielt’ ich am besten,
     Maria war immer so schön!
     Doch trotz der natürlichsten Gesten
     Sie wollte mich nimmer versteh’n. –

95
     Einst als ich verzweifelnd am Ende

      „Maria, du Heilige!“ rief,
     Da nahm ich den Dolch behende –
     Und stach mich ein bischen zu tief.

Da lachten die Geister im lustigen Chor;

100
Im weißen Flausch trat ein Vierter hervor:


     [30] Vom Katheder schwatzte herab der Professer,
     Er schwatzt’, und ich schlief oft gut dabei ein;
     Doch hätt’ mir’s behagt noch tausendmal besser
     Bei seinem holdseligen Töchterlein.

105
     Sie hatt’ mir oft zärtlich am Fenster genicket,

     Die Blume der Blumen, mein Lebenslicht!
     Doch die Blume der Blumen ward endlich gepflücket
     Vom dürren Philister, dem reichen Wicht.

     Da flucht ich den Weibern und reichen Halunken,

110
     Und mischte mir Teufelskraut in den Wein, –

     Und hab’ mit dem Tode Smollis getrunken,
     Der sprach: Fiduzit, ich heiße Freund Hein!

Da lachten die Geister im lustigen Chor,
Einen Strick um den Hals trat ein Fünfter hervor:

115
     Es prunkte und prahlte der Graf beim Wein

     Mit dem Töchterchen sein und dem Edelgestein.
     Was scheert mich, du Gräflein, dein Edelgestein,
     Mir mundet weit besser dein Töchterlein.

     Sie lagen wohl beid’ unter Riegel und Schloß,

120
     Und der Graf besold’te viel Dienertroß.

     [31] Was scheeren mich Diener und Riegel und Schloß, –
     Ich stieg getrost auf die Leitersproß.

     An Liebchens Fensterlein klettr’ ich getrost,
     Da hör’ ich es unten fluchen erbost:

125
     „Fein sachte, mein Bübchen, muß auch dabei seyn,

     Ich liebe ja auch die Edelgestein.“

     So spöttelt der Graf und erfaßt mich gar,
     Und jauchzend umringt mich die Dienerschaar.
     „Zum Teufel, Gesindel! Ich bin ja kein Dieb;

130
     Ich wollte nur stehlen mein trautes Lieb!“


     Da half kein Gerede, da half kein Rath,
     Da machte man hurtig die Stricke parat;
     Wie die Sonne kam, da wundert sie sich,
     Am hellen Galgen fand sie mich.

135
Da lachten die Geister im lustigen Chor;

Den Kopf in der Hand trat ein Sechster hervor.

     Zum Waidwerk trieb mich Liebesharm;
     Ich schlich umher, die Büchs’ im Arm.
     Da schnarret’s hohl vom Baum herab,

140
     Der Rabe rief: Kopf – ab! Kopf – ab!


     [32] O, spürt’ ich doch ein Täubchen aus,
     Ich brächt’ es meinem Lieb nach Haus!
     So dacht’ ich, und in Busch und Strauch
     Späh’t rings umher mein Jägeraug’.

145
     Was koset dort? was schnäbelt fein?

     Zwei Turteltäubchen mögen’s seyn.
     Ich schleich’ herbei, – den Hahn gespannt, –
     Sieh’ da! mein eignes Lieb ich fand.

     Das war mein Täubchen, meine Braut,

150
     Ein fremder Mann umarmt sie traut, –

     Nun, alter Schütze, treffe gut!
     Da lag der fremde Mann im Blut’.

     Bald drauf ein Zug mit Henkersfrohn –
     Ich selbst dabei als Hauptperson –

155
     Den Wald durchzog. Vom Baum herab

     Der Rabe rief: Kopf – ab! Kopf – ab!

Da lachten die Geister im lustigen Chor;
Da trat der Spielmann selber hervor:

     Ich hab’ mal ein Liedchen gesungen,

160
     Das schöne Lied ist aus;

     [33] Wenn das Herz im Leibe zersprungen,
     Dann gehen die Lieder nach Haus!

Und das tolle Gelächter sich doppelt erhebt,
Und die bleiche Schaar im Kreise schwebt.

165
Da scholl vom Kirchthurm’ „Eins“ herab,

Da stürzten die Geister sich heulend in’s Grab.