Der Beruf der evangelisch-lutherischen Kirche zum Amt der Diakonie/6. Stunde
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Gebet: O Herr, Der Du allen den Deinen das Verlangen nach Dir, und der bei Dir bereiteten Heimat geschenkt hast, wir bitten Dich, laß alle Deine Dienerinnen in dem festen Bewußtsein Deiner Hilfe zu der ewigen Heimat hin wandern, die sie in allem Erdenweh grüßt, und erfülle ihr Tun und Werk mit Ewigkeitsgedanken, auf daß sie durch die zeitlichen Güter und Gaben also gehen, daß sie die ewigen darüber nicht verlieren, um Deines Erbarmens willen. Amen.
An Löhe’s Diakonissenhaus, das nicht umsonst am Tage Hiob (9. Mai 1854), des Helden in der Geduld und gekrönten Glaubensmannes, gegründet ward, kann man lernen, wie unsere Kirche ausreifen mußte. Zuerst Festigung der Lehre, um zu wissen, Klarstellung des Begriffes von der Kirche (in den drei Büchern von der Kirche 1845, jenem „wahren Hochgesange auf die Kirche des reinen Wortes und Sakraments“), dann Taten der äußeren Mission (Aussendung nach Nordamerika) und der innern.
(Vergessen sollte doch nie werden, daß nicht ohne Gottes Fügung am hiesigen Orte der Katholizismus nur in seiner idealen Gestalt je und je bekannt war, in einer hoffnungsvollen, zur Nennung der Schwesterkirche einigermaßen berechtigenden: daß auch andere Auffassung am Platze und im Rechte ist, soll aber auch betont und nicht vergessen werden.)
Kann man nun nach alle dem von einem speziellen Charisma unserer Kirche in bezug auf die Diakonie sprechen? Ja und nein. Von einem Charisma in dem Sinn, wie es anfangs dieser Stunden vorgeführt worden, kann nicht wohl die Rede sein; denn das einzig bleibende mütterliche Charisma unserer Kirche ist die Lehre, alle anderen Charismen, die unsere Kirche wohl besitzen mag, ordnen sich diesem Charisma ein. In abgeleiteter Bedeutung, in sekundärer Weise hat unsere Kirche um deswillen das Charisma zur Diakonie, weil sich die Barmherzigkeitserweisung gründet auf die Lehre von dem barmherzigen Herrn, und das Charisma unserer Kirche zur Barmherzigkeitsübung ruht auf dem bleibenden Dank für Seine Barmherzigkeit. Indem dogmatisch festgestellt| werden muß, daß alle guten Werke bei uns auf der Rechtfertigung allein aus dem Glauben ruhen, in so fern als alle guten Werke die spontanen Ergebnisse der in Jesu gegründeten Persönlichkeiten sind, kann von einem Charisma die Rede sein, weil von einer Gnadenfreudigkeit zu guten Werken überhaupt. Die guten Werke sind in der römischen Kirche mitwirkend, in der reformierten Kirche sind sie doch in gewisser Beziehung Mittel zum Zweck, in unserer Kirche sind sie freiwillig, in ihrer Freiheit aber notwendige Ergebnisse. Der katholische Christ will mit seinen Werken etwas verdienen, der reformierte Christ will mit seinen Werken etwas erreichen, der lutherische Christ freut sich, daß er leben darf in guten Werken. Bei den Reformierten gilt: „So suchen wir, ob wir daheim sind oder wallen, wie wir Ihm wohlgefallen.“ Das ist im letzten Grunde nicht lutherische Art sondern: „Was soll ich Dir, mein Seelenfreund, für solche Treue schenken? Ich will mich ganz und gar in Deine Gnad einsenken“, das Uebrige ergibt sich von selbst. „So gewiß“, sagt Luther in seiner Vorrede zum Römerbrief, „alles neu wird im Christenleben, so gewiß ist der Glaube ein mächtig und schäftig Ding. Er fragt nicht erst, ob Werke zu tun seien, ehe er fragt, hat er sie schon getan.“ Bei uns ergeben sich die Werke aus der von Jesu geheiligten Persönlichkeit, darum wird unsere Kirche nicht müde, Ihm zu danken für alle Seine Treue. Deshalb vergißt sie nie, was er ihr wohlgetan hat. Sie weiß nicht, sie kann es nicht wissen, wie sie ihrem Herrn wohlgefällt, sondern wie die Pflanze nicht weiß, wie sie prangt in ihrer Blüte, so wie der Baum blühen muß, so muß ein Christ in guten Werken stehen, wenn er wirklich vom Strahl der göttlichen Gnade ergriffen ist. In dieser Stellung zu den guten Werken liegt die Größe der Kirche. Die Gnade hat ihr der Herr verliehen, daß sie in der Lehre immer und immer wieder die Rechtfertigung aus dem Glauben betont. In dieser Glaubensgerechtigkeit hat sie ein gutes Werk um das andere getan. Welche Geschichte haben die guten Werke in unserer| Kirche und wie hat immer der gesunde Sinn der Kirche sich dagegen gesträubt, daß dieselben Werke irgend welchen verdienstlichen Charakter an sich tragen. Werke sind da, wo Glaube ist. Zum Dank für genossene Treue und Liebe tut der evangelisch-lutherische Christ Seinem Herrn alles zu lieb. Wenn man daran festhält, so wird man immer des inne werden, wie alles und jedes bei uns freiwillig kommen muß. Wie betont die Konkordienformel immer und immer wieder die freie Opferung, die freie Hingabe. „Dann ist der Christ am größten, wenn er nicht weiß, was er seinem Herrn tut.“ „O Herr“, sagt ein Mann unserer Kirche, „wenn Dir es gefällt, so solls mir auch gefallen, aber ehe es mir gefällt, solls doch immer Dir belieben. Ich kann nicht viel geben, wenns aber Dir gefällt, dann soll es mir auch recht sein. Es verlangt mich nicht, daß ich Freude an meinen guten Werken habe, aber daß Du Freude an mir hast.“ In dieser vollkommenen natürlichen Art liegt die eigentliche Wirksamkeit des lutherischen Christen. Es ist das so ernst, daß alle reformatorischen Schriften auf den guten Schatz des Herzens hinweisen, die Bekehrung des Christen, die Sinnesänderung, die vollkommen erfahrene persönliche Gnade voraussetzen und dann der Dank. In welche Formen dann der Dank sich gießt, das schreibt der Herr vor; daß nur Dank geopfert werde, darauf kommt unsere Kirche immer wieder zu sprechen. Darum stellt sie wenig Lehrsätze über die guten Werke auf. Unter den Artikeln der Augsburgischen Konfession sind nur drei, die sich über die guten Werke aussprechen. Im übrigen gehen unsere Dogmatiker mit großer Ruhe darüber hinweg, weil sie die guten Werke als etwas selbstverständliches ansehen. Das Beste entzieht sich auch hier im letzten Grund dogmatischer Behandlung: Es ist das Geheimnis des Dankes, welchen die einzelne Seele ihrem Herrn opfert. Je mehr nun diese guten Werke als einfache Dankesbetätigung erstattet und aufgefaßt werden, desto größer werden sie. Das Wort ist so tief: Dann ist Liebe am größten, wenn sie nicht weiß, wie groß Liebe ist.| Der Herr hat ja wohl deswegen an Seinem großen Tage so ernste Worte für solche, die Hervorragendes in Seiner Nachfolge getan haben, weil sie es wußten. „Ich, Der Ich nie wußte, nie wissen mochte, was Ich in Meiner Hingabe der Menschheit getan, kenne die nicht, welche es wissen.“ Wie ernst weist der Herr den aufdringlichen Dank zurück. Er, Der so groß vom Danke denkt, legt allen Dank weit von sich, der sich des Dankens bewußt ist. Alle, die dem Herrn dankten, haben es nicht gewußt, daß sie Ihm, ihrem Erlöser dankten. Sie haben nicht anders gekonnt, als Ihm ihr ganzes Leben weihen und wenns auch nur schwach gewesen. Daran nimmt der treue Herr den Anstoß, so daß wir nie ernst genug nehmen können, wenn Seelen Ihm ihren Dank irgendwie vorrücken und rühmend vortragen. Dann ist die Liebe am größten, wenn sie sich nimmer genug tut, wenn sie nur die eine Klage hat: Wie wenig kann ich Dir, mein treuer Herr, doch schenken! Dann ist die Liebe am größten, wenn sie ins Geringste sich selbst legt. Das arme Weib in Bethanien empfängt von dem Herrn das Zeugnis der Großtat und jene Heroen christlicher Liebestätigkeit, die in Seinem Namen Dämonen ausgetrieben und große Taten getan, empfangen von Ihm das Zeugnis der Untat. Weil es uns täglich aufs tiefste demütigt, weil wir den Gedanken kaum fassen können, mit Prätentionen in die Ewigkeit zu treten, dann alle diese Prätentionen fallen sehen zu müssen, darum wollen wir je länger je mehr, darin unsere höchste Freude finden, Ihm zu danken. So wenig man dem Menschen das Atmen irgend verwehren kann, er müßte denn sterben sollen, so wenig kann man dem Christenmenschen, der in Christo lebt, wehren, daß sein Dank sich in guten Werken zeigt. Wenn die neue Kreatur sich vollzogen haben wird, dann erblühen aus dieser Neuschöpfung alle die Pflanzen und Gewächse, die Seinem himmlischen Vater gelten. Als der Herr erstmalig das allmächtige Werde über dies Chaos hingerufen bei der Erstgeburt der Welt, da hat es nicht anders sein mögen, als daß es allenthalben| keimte und sproßte, und wenn er über einem Menschen in der Wiedergeburt das zweitmalige Werde gerufen, so kann die Menschenseele auch nicht anders, als Ihm zu Ehren Neues hervorbringen. Er gibt die Kraft, die Kraft regt sich, es geht aus freien Stücken von Leben zu Leben. Diese guten Werke, welche sich aus dem Ruhen in der Liebe Jesu Christi ergeben, sind der Schatz unserer Kirche geworden, ein Schatz, so arm, gering und unscheinbar vor der Welt und nie mit dem Glanze versehen, mit dem die Werke der beiden andern Kirchen ausgerüstet sind; aber wie schon angedeutet, es setzen sich bei uns die guten Werke eines größeren Ganzen nicht zusammen aus den guten Werken einzelner geheiligter Persönlichkeiten, sondern nach unserer Anschauung sollen sich zusammenreihen solche, die in persönlicher Wiedergeburt, jede Seele an ihrem Teil, Ihm zu Ehren danken und dienen.Und hier setzt für Sie die Frage ein: In wie weit sind Ihre Werke Dank, den Sie, ob auch in anderer Form, Ihm hätten erstatten müssen, auch wenn Sie nicht in diese Genossenschaft getreten wären? In wiefern ist Ihr ganzes Leben eine beständige Hingabe Dem, der Sein Leben für Sie geopfert? Hat diese Hingabe erst angehoben, als Sie in die Genossenschaft traten? Hat sie noch nicht angehoben? Soll sie überhaupt nicht anheben? Das sind alles Fragen, welche der ernstesten Ueberlegung wert sind. Der Herr schenke Ihnen, der Seele zum Leben, daß sie sagen könne: Auch wenn ich nicht wäre, was ich bin, würde ich Ihm danken in meinem Leben. Daß ich aber das bin, was ich bin, das danke ich Ihm vornehmlich und will es Ihm ferner danken. Als innerlich Erfaßte bin ich bereits hieher gekommen, und mein Dank soll ein wahrer sein und bleiben für alle die Treue, die Er an mir getan hat, als Er mir täglich meine Sünde vergab und meiner Gebrechen milde Sich erbarmte. Amen.
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