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Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren/Zwölftes Capitel

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Elftes Capitel Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren (1877)
von Charles Darwin
Dreizehntes Capitel


[255]
Zwölftes Capitel.
Ueberraschung. — Erstaunen. — Furcht. — Entsetzen.
Überraschung, Erstaunen. — Erheben der Augenbrauen. — Öffnen des Mundes. — Vorstrecken der Lippen. — Geberden, welche die Überraschung begleiten. — Verwunderung. — Furcht. — Äußerste Angst. — Aufrichten der Haare. — Zusammenziehung des Platysma myoides — Erweiterung der Pupille. — Entsetzen. — Schluß.

Wird die Aufmerksamkeit plötzlich erregt und ist sie scharf, so geht sie allmählich in Überraschung über, diese wieder in Erstaunen, und dies endlich in bestürztes Entsetzen. Der letztere Seelenzustand ist dem Schrecken nahe verwandt. Aufmerksamkeit wird gezeigt durch leichtes Erheben der Augenbrauen; und in dem Maße als dieser Zustand sich verschärft, werden sie in einem viel höheren Grade erhoben, während die Augen und der Mund weit geöffnet werden. Das Erheben der Augenbrauen ist nothwendig, damit die Augen schnell und weit geöffnet werden können; diese Bewegung bringt quere Falten auf der Stirn hervor. Der Grad, bis zu welchem die Augen und der Mund geöffnet werden, entspricht dem Grade der gefühlten Überraschung; es müssen aber diese Bewegungen coordinirt sein; denn ein weit geöffneter Mund mit nur unbedeutend erhobenen Augenbrauen gibt nur eine bedeutungslose Grimasse, wie Dr. Duchenne in einer seiner Photographie gezeigt hat.[1] Auf der andern Seite kann man häufig sehen, wie eine Person ihre Überraschung durch bloßes Erheben ihrer Augenbrauen zu erkennen gibt.

Dr. Duchenne hat die Photographie eines alten Mannes gegeben, dessen Augenbrauen durch Galvanisirung des Stirnmuskels ordentlich [256] erhoben und gewölbt sind und dessen Mund willkürlich geöffnet wurde. Diese Abbildung drückt Überraschung mit großer Treue aus. Ich zeigte sie vierundzwanzig Personen, ohne ein Wort der Erklärung zu sagen, und nur eine einzige sah durchaus nicht ein, was damit gemeint war. Eine zweite Person antwortete: Schrecken, was nicht so weit ab falsch ist; indessen fügten einige der Andern den Worten Überraschung oder Erstaunen noch die Bezeichnung hinzu: entsetzlich, kummervoll, schmerzlich oder widerwärtig.

Das weite Offenhalten der Augen und des Mundes ist eine ganz allgemein für die der Überraschung oder des Erstaunens erkannte Ausdrucksform. So sagt Shakespeare: „Ich sah ’nen Schmid mit seinem Hammer, so, Mit offnem Mund verschlingen den Bericht von einem Schneider“ (König Johann, Act IV., Scene 2); und ferner: „sie schienen fast, so starrten sie einander an, ihre Augenlider zu zersprengen; es war Sprache in ihrem Verstummen, und Rede selbst in ihrer Geberde; sie sahen aus, als wenn sie von einer neu entstandenen oder untergegangenen Welt gehört hätten.“ (Wintermärchen, Act V., Scene 2).

Meine Correspondenten beantworteten meine Fragen in Bezug auf die verschiedenen Menschenrassen mit einer merkwürdigen Gleichförmigkeit in demselben Sinne; die eben erwähnten Gesichtszüge werden häufig von gewissen, sofort zu beschreibenden Geberden und Lauten begleitet. Zwölf Beobachter in verschiedenen Theilen von Australien stimmen über diesen Punkt überein. Mr. Winwood Reade hat diese Ausdrucksform bei den Negern der Küste von Guinea beobachtet. Der Häuptling Gaika und Andere beantworten meine Frage in Betreff der Kaffern von Süd-Africa mit „Ja“; dasselbe thun Andere ganz ausdrücklich in Bezug auf die Abyssinier, Ceylonesen, Chinesen, Feuerländer, verschiedene Volksstämme von Nord-America und die Neu-Seeländer. Bei den letztern zeigt sich, wie Mr. Stack angibt, diese Ausdrucksform bei gewissen Individuen deutlicher als bei andern, obschon sie alle so viel als möglich ihre Gefühle zu verheimlichen suchen. Der Rajah Brooke sagt, daß die Dyaks von Borneo, wenn sie erstaunt sind, ihre Augen weit öffnen, ihren Kopf hin und her schwingen und sich ihre Brust schlagen. Mr. Scott theilt mir mit, daß den Arbeitsleuten im botanischen Garten in Calcutta streng verboten ist zu rauchen; sie gehorchen aber häufig diesem Befehle nicht und wenn sie plötzlich auf der That ertappt werden, so öffnen sie [257] zuerst ihre Augen und ihren Mund weit. Dann zucken sie oft leicht mit den Schultern, sobald sie wahrnehmen, daß die Entdeckung unvermeidlich ist, oder runzeln die Stirn und stampfen vor Ärger auf den Boden. Bald erholen sie sich aber von ihrer Überraschung und nun zeigt sich die unterwürfige Furcht an der Erschlaffung aller ihrer Muskeln; ihr Kopf scheint in die Schultern hineinzusinken; ihre niedergeschlagenen Augen wandern da und dorthin und sie bitten nun um Vergebung.

Der bekannte australische Forscher Mr. Stuart hat eine sehr drastische Schilderung[2] des bestürzten Entsetzens in Verbindung mit Furcht bei einem Eingeborenen gegeben, welcher noch niemals zuvor einen Menschen hatte ein Pferd reiten sehen. Mr. Stuart näherte sich ihm ungesehen und rief ihn aus einer geringen Entfernung an. „Er drehte sich herum und sah mich. Was er sich einbildete, daß ich wäre, weiß ich nicht; ich habe aber niemals ein schöneres Abbild von Furcht und Erstaunen gesehen. Er stand da, unfähig ein Glied zu rühren, an die Stelle gepflockt, den Mund offen, die Augen starrend. . . Er blieb bewegungslos, bis unser Schwarzer auf ein paar Yards von ihm gekommen war; da warf er plötzlich seine Strohbündel nieder und sprang so hoch als er nur konnte in ein Mulga-Gebüsch.“ Er konnte nicht sprechen und antwortete nicht ein Wort auf die Erkundigungen, die der Schwarze an ihn richtete; sondern vom Kopf bis zu den Füßen zitternd, „winkte er uns nur mit der Hand zu, daß wir fort sollten.“

Daß die Augenbrauen durch einen angeborenen oder instinctiven Antrieb erhoben werden, läßt sich aus der Thatsache schließen, daß Laura Bridgman ausnahmslos so handelt, wenn sie erstaunt ist, wie mir die Dame versichert hat, welche sie in der letzten Zeit unter ihrer Pflege hatte. Da Überraschung durch irgend etwas Unerwartetes oder Unbekanntes erregt wird, so wünschen wir natürlich, wenn wir aufgeschreckt werden, die Ursache so schnell als möglich wahrzunehmen; wir öffnen in Folge dessen unsere Augen weit, damit das Gesichtsfeld vergrößert werde und die Augäpfel sich leicht nach allen Richtungen bewegen können. Dies erklärt aber kaum die so bedeutende Erhebung der Augenbrauen und das wilde Starren der weit geöffneten Augen. Die Erklärung liegt wie ich glaube darin, daß es unmöglich [258] ist die Augen mit großer Schnelligkeit durch das bloße Erheben der obern Augenlider zu öffnen. Um dies zu bewirken, müssen die Augenbrauen energisch in die Höhe gehoben werden. Jeder, welcher es versuchen will, vor einem Spiegel seine Augen so schnell als möglich zu öffnen, wird finden, daß er so handelt, und das energische Hinaufziehen der Augenbrauen öffnet die Augen so weit, daß sie starren, da alles Weiße rings um die Regenbogenhaut sichtbar wird. Überdies bietet die Erhebung der Augenbrauen auch einen Vortheil beim Sehen nach oben; denn so lange sie gesenkt sind, hindern sie unser Sehen in dieser Richtung. Sir Ch. Bell gibt einen merkwürdigen kleinen Beweis[3] für die Rolle, welche die Augenbrauen beim Öffnen der Augenlider spielen. Bei einem schwerbetrunkenen Menschen sind alle Muskeln erschlafft; in Folge dessen fallen die Augenlider matt herab, in derselben Weise wie es beim Einschlafen geschieht. Um dieser Neigung entgegenzuwirken, erhebt der Trunkenbold seine Augenbrauen; und dies gibt ihm einen verlegenen dummen Anblick, wie es auf einem der Hogarth’schen Blätter gut dargestellt ist. Ist nun einmal die Gewohnheit, die Augenbrauen zu erheben, um so schnell als möglich Alles rings um uns her übersehen zu können, erlangt worden, so wird diese Bewegung in Folge der Association eintreten, sobald aus irgend einer Ursache, selbst in Folge irgend eines plötzlichen Lautes oder einer Idee, Erstaunen empfunden wird.

Wenn bei erwachsenen Personen die Augenbrauen erhoben werden, so wird die ganze Stirn stark in queren Linien gefaltet; bei Kindern tritt dies aber nur in einem geringen Grade ein. Die Falten laufen in Linien, welche mit jeder Augenbraue concentrisch oder parallel sind, und fließen zum Theil in der Mitte zusammen. Sie sind für den Ausdruck der Überraschung oder des Erstaunens in hohem Grade characteristisch. Jede Augenbraue wird auch, wie Duchenne bemerkt,[4] wenn sie erhoben wird, stärker gewölbt als sie es vorher war.

Die Ursache, warum der Mund geöffnet wird, wenn man Erstaunen empfindet, ist eine in hohem Maße complicirtere Sache; allem Anscheine nach wirken auch mehrere Ursachen zur Einleitung dieser Bewegung zusammen. Man hat häufig die Vermuthung geäußert,[5] [259] daß dadurch der Gehörsinn geschärft werde; ich habe aber Personen beobachtet, welche mit gespannter Aufmerksamkeit auf ein unbedeutendes Geräusch hörten, dessen Natur und Quelle sie ganz gut kannten, und sie öffneten ihren Mund nicht. Eine Zeit lang bildete ich mir daher ein, daß das Öffnen des Mundes vielleicht dazu helfen könne, die Richtung, von welcher ein Laut ausgeht, zu unterscheiden, und zwar dadurch, daß man dem Laute noch einen andern Canal für seinen Eintritt ins Ohr, nämlich durch die Eustachische Trompete, darböte. Dr. Ogle[6] aber, welcher so freundlich gewesen ist, die besten neueren Autoritäten über die Functionen der Eustachischen Trompete zu consultiren, theilt mir mit, daß es beinahe zur Evidenz erwiesen ist, daß sie, ausgenommen beim Acte des Schlingens, verschlossen bleibt und daß bei Personen, bei denen die Trompete abnormer Weise offen bleibt, der Gehörsinn durchaus nicht vollkommener ist; er wird dann im Gegentheil dadurch beeinträchtigt, daß die Athemlaute viel deutlicher werden. Wird eine Uhr in den Mund gehalten, ohne aber dessen Wände irgendwo zu berühren, so wird das Picken derselben viel weniger deutlich gehört, als wenn sie außen gehalten wird. Bei Personen, bei denen die Eustachische Trompete in Folge einer Krankheit oder eines Katarrhs permanent oder zeitweilig verschlossen ist, ist das Hören beeinträchtigt. Dies dürfte aber durch die Anhäufung von Schleim in der Trompete und die hieraus folgende Abschließung der Luft zu erklären sein. Wir können daher schließen, daß unter dem Eindrucke des Erstaunens der Mund nicht deswegen offen gehalten wird, damit die Laute deutlicher gehört werden, trotzdem daß die meisten tauben Personen ihren Mund offen halten.

Eine jede plötzliche Seelenerregung, mit Einschluß des Erstaunens, beschleunigt die Herzthätigkeit und mit dieser auch die Respiration. Nun können wir, wie Gratiolet bemerkt[7] und wie es auch mir wohl der Fall zu sein scheint, viel ruhiger durch den offenen Mund als durch die Nase athmen. Wenn wir daher mit gespannter Aufmerksamkeit auf irgend einen Laut zu hören wünschen, so unterbrechen wir entweder das Athemholen oder wir athmen, indem wir unsern Mund öffnen und gleichzeitig unsern Körper bewegungslos halten, so ruhig als möglich: Einer meiner Söhne wurde in der Nacht durch [260] ein Geräusch aufgeweckt, unter Umständen, welche naturgemäß zu großer Behutsamkeit veranlaßten, und nach wenig Minuten bemerkte er, daß sein Mund weit offen stand. Er wurde sich dann dessen bewußt, daß er ihn deshalb geöffnet hatte, um so ruhig als möglich zu athmen. Diese Ansicht erhält noch durch die entgegengesetzte, bei Hunden vorkommende Erscheinung Unterstützung. Wenn ein Hund nach starker Köperbewegung keucht oder an einem sehr heißen Tage ruht, so athmet er laut; wird aber seine Aufmerksamkeit plötzlich erregt, so spitzt er sofort seine Ohren zum Horchen, schließt seinen Mund und athmet, wie es ein Hund zu thun im Stande ist, ruhig durch seine Nase.

Wenn die Aufmerksamkeit eine Zeit lang mit gespanntem Eifer auf irgend einen Gegenstand, äußern oder innern, concentrirt wird, so werden sämmtliche Organe des Körpers vergessen und vernachlässigt,[8] und da die nervöse Energie eines jeden Individuum der Quantität nach beschränkt ist, so wird nur wenig irgend einem andern Köpertheile übermittelt mit Ausnahme dessen, welcher zu der Zeit in energische Thätigkeit versetzt wird. Viele Muskeln neigen daher zur Erschlaffung und die Unterkinnlade sinkt durch ihr eigenes Gewicht herab. Dies dürfte das Herabsinken des Unterkiefers und den offenen Mund bei einem Menschen erklären, welcher vor Verwunderung bestürzt und vielleicht schon wenn er weniger heftig afficirt ist. Wie ich in meinen Notizen verzeichnet finde, habe ich diese Erscheinung bei sehr kleinen Kindern bemerkt, wenn sie nur mäßig überrascht waren.

Es gibt noch eine andere und in hohem Grade wirksame Ursache, welche dazu führt, daß der Mund, wenn wir erstaunt sind, und ganz besonders, wenn wir plötzlich aufgeschrekt werden, geöffnet wird. Wir können eine ausgiebige und tiefe Inspiration viel leichter durch den weit geöffneten Mund als durch die Nasenlöcher ausführen. Wenn wir daher über irgend einen plötzlichen Laut oder Anblick zusammenschrecken, so werden beinahe sämmtliche Muskeln des Körpers unwillkürlich und augenblicklich in heftige Thätigkeit gesetzt, um uns gegen die Gefahr zu schützen oder um von ihr wegzuspringen, die wir ja gewohnheitsgemäß mit allem Unerwarteten associiren. Wir bereiten uns aber zu jeder großen Anstrengung unbewußter Weise, wie früher [261] erklärt wurde, dadurch vor, daß wir zuerst tief und voll einathmen, und demzufolge öffnen wir unsern Mund. Wenn keine Anstrengung folgt, wir aber noch immer erstaunt bleiben, so hören wir eine Zeit lang zu athmen auf oder athmen so ruhig wie möglich, damit jeder Laut deutlich gehört werden könne. Oder ferner, wenn unsere Aufmerksamkeit lange Zeit und gespannt absorbirt bleibt, so werden alle unsere Muskeln erschlafft und der Unterkiefer, welcher anfangs plötzlich geöffnet wurde, bleibt herabhängen. So treten mehrere Ursachen für eine und dieselbe Handlung zusammen, sobald Überraschung, Erstaunen oder verwunderndes Entsetzen empfunden wird.

Obschon wir nun in diesem Affecte allgemein den Mund öffnen, so werden doch häufig noch die Lippen ein wenig vorgestreckt. Diese Thatsache erinnert uns daran, daß dieselbe Bewegung, freilich in einem viel stärker ausgesprochenen Grade, vom Chimpanse und Orang ausgeführt wird, wenn sie in Erstaunen gerathen. Da eine starke Exspiration naturgemäß der tiefen Inspiration folgt, welche das erste Gefühl der aufschreckenden Überraschung begleitet, und da die Lippen häufig vorgestreckt werden, so können allem Anscheine nach hieraus die verschiedenen Laute erklärt werden, welche dann gewöhnlich ausgestoßen werden. Zuweilen wird aber nur eine Exspiration gehört; so rundet Laura Bridgman, wenn sie in Entsetzen geräth, ihre Lippen und streckt sie vor, öffnet dieselben und athmet stark.[9] Einer der gewöhnlichsten Laute ist ein tiefes „Oh“; und in Folge der von Helmholtz gegebenen Erklärung muß derselbe naturgemäß erfolgen, wenn der Mund mäßig geöffnet und die Lippen vorgestreckt werden. In einer ruhigen Nacht wurden vom „Beagle“ in einer kleinen Bucht an Tahiti einige Raketen abgebrannt, um die Eingebornen zu unterhalten; sowie jede Rakete ausgeschossen worden war, herrschte absolutes Stillschweigen, diesem folgte aber ausnahmslos ein tiefes stöhnendes „Oh“, was ringsum in der ganzen Bucht erklang. Mr. Washington Matthews sagt, daß die nord-americanischen Indianer das Erstaunen durch ein Stöhnen ausdrücken; der Angabe Mr. Winwood Reade's zufolge strecken die Neger an der Westküste von Africa ihre Lippen vor und gehen einen Laut von sich wie heigh, heigh. Wenn der Mund nicht sehr geöffnet wird, während die Lippen beträchtlich vorgestreckt [262] werden, so wird ein blasendes, zischendes oder pfeifendes Geräusch erzeugt. Mr. K. Brough Smyth theilt mir mit, daß ein Australier aus dem Innern mit nach dem Theater genommen wurde, um einen Akrobaten zu sehen, der sich schnell überschlug: „er war in hohem Grade erstaunt, streckte seine Lippen vor und machte mit dem Munde ein Geräusch, als bliese er ein Zündhölzchen aus.“ Nach der Mittheilung Mr. Bulmer's lassen die Australier, wenn sie überrascht sind, den Ausruf korki hören, „und um diesen hervorzubringen, wird der Mund so vorgezogen, also sollte gepfiffen werden.“ Wir Europäer pfeifen häufig als Zeichen der Überraschung; so wird in einem neueren Romane gesagt:[10] „hier drückte der Mann sein Erstaunen und seine Misbilligung durch lange anhaltendes Pfeifen aus.“ Mr. J. Mansel Weale theilt mir Folgendes mit: als ein Kaffer-Mädchen den hohen Preis eines Artikels nennen hörte, zog sie ihre Augenbrauen in die Höhe und pfiff genau so wie es ein Europäer gethan haben würde.“ Mr. Wedgwood bemerkt, daß derartige Laute mit whew (wjuh) niedergeschrieben werden; sie dienen als Ausrufungslaute der Überraschung.

Nach der Angabe von drei andern Beobachtern geben die Australier häufig das Erstaunen durch ein schnalzendes Geräusch zu erkennen. Auch Europäer drücken zuweilen eine leichte Überraschung durch ein unbedeutendes klucksendes Geräusch nahezu derselben Art aus. Wir haben gesehen, daß wenn wir aufgeschreckt werden, der Mund plötzlich geöffnet wird; und wenn dann die Zunge zufällig dicht an den Gaumen angepreßt ist, wird deren plötzliches Abziehen einen Laut dieser Art hervorrufen, welcher dadurch zu der Bedeutung gelangen könnte, Überraschung auszudrücken.

Wenden wir uns nun zu den Geberden des Körpers. Eine überraschte Person erhebt oft die geöffneten Hände hoch über den Kopf oder mit einer Beugung der Arme nur bis zu gleicher Höhe mit dem Gesicht. Die geöffneten Handflächen sind nach der Person hingekehrt, welche dies Gefühl verursacht, und die ausgestreckten Finger sind gespreizt. Diese Geberde ist von Mr. Rejlander auf Taf. VII, Fig. 1 dargestellt. Auf dem „Abendmahle“ von Leonardo Da Vinci halten zwei der Apostel ihre Hände halb erhoben und drücken dadurch deutlich ihr Erstaunen aus. Ein zuverlässiger Beobachter erzählte mir, [263] daß er vor Kurzem seine Frau unter den unerwartetsten Umständen angetroffen habe: „sie starrte vor sich hin, öffnete den Mund und die Augen sehr weit und warf ihre beiden Arme hoch über den Kopf.“ Vor mehreren Jahren war ich überrascht, mehrere meiner kleinen Kinder zusammen ernstlich mit irgend Etwas auf dem Boden beschäftigt zu sehen; die Entfernung war aber zu groß, als daß ich sie hätte fragen können, was sie vorhätten. Ich hob daher meine offnen Hände mit ausgestreckten Fingern über den Kopf und wurde mir, sobald ich sie ausgeführt hatte, auch der Bewegung bewußt. Ich wartete dann ohne ein Wort zu sagen, um zu sehen, ob die Kinder die Geberde verstanden hätten; und als sie zu mir heran gelaufen kamen, riefen sie aus: „Wir sahen, daß Du über uns erstaunt warst.“ Ich weiß nicht, ob diese Geberde verschiedenen Menschenrassen eigen ist, da ich versäumt habe, über diesen Punkt Erkundigungen anzustellen. Daß sie angeboren oder natürlich ist, könnte man aus der Thatsache schließen, daß Laura Bridgman, wenn sie in plötzliches Erstaunen geräth, „ihre Arme ausbreitet und ihre Hände mit ausgestreckten Fingern nach oben wendet“;[11] auch ist es in Anbetracht dessen, daß das Gefühl der Überraschung allgemein nur ein schnell vorübergehendes ist, nicht wahrscheinlich, daß sie diese Geberde durch ihren scharfen Gefühlssinn erlernt haben sollte.

Huschke beschreibt[12] eine von der eben geschilderten etwas verschiedene, aber damit verwandte Geberde, welche, wie er sagt, Personen darbieten, wenn sie erstaunt werden. Sie halten sich aufrecht, die Gesichtszüge wie vorhin beschrieben, aber die gerade gehaltenen Arme werden nach hinten ausgebreitet, wobei die ausgestreckten Finger von einander gespreizt werden. Ich selbst habe diese Geberde niemals gesehen; doch ist Huschke wahrscheinlich correct; denn einer meiner Freunde frug einen Andern, wie er wohl großes Erstaunen ausdrücken würde, und sofort warf er sich in die angegebene Stellung.

Wie ich glaube, sind diese Geberden nach dem Grundsatze des Gegensatzes erklärbar. Wir haben gesehen, daß, wenn Jemand indignirt [264] ist, er seinen Kopf aufrecht hält, seine Schultern festrückt, die Ellenbogen nach außen dreht, häufig seine Fäuste ballt und seinen Mund schließt, während die Stellung eines hülflosen Menschen in jedem einzelnen dieser Details gerade das Umgekehrte ist. Ein Mensch nun im gewöhnlichen ruhigen Seelenzustande, der nichts thut und an nichts Besonderes denkt, läßt gewöhnlich seine beiden Arme schlaff an der Seite herabhängen, wobei die Hände etwas gebogen und die Finger nahe aneinander gehalten werden. Das plötzliche Erheben der Arme, entweder der ganzen Arme oder der Vorderarme, das flache Öffnen der Hände und das Auseinanderspreizen der Finger — oder auch das Geradehalten der Arme und das Ausstrecken derselben nach hinten mit gespreizten Fingern — sind daher Bewegungen, welche in vollkommenem Gegensatze zu der Haltung stehen, welche unter einem indifferenten Seelenzustande eingenommen wird; sie werden in Folge hiervon von einem erstaunten Menschen unbewußt ausgeführt. Häufig ist auch der Wunsch vorhanden, Überraschung in einer auffallenden Weise an den Tag zu legen, und die erwähnten Stellungen sind für diesen Zweck sehr passend. Man könnte fragen, warum nur Überraschung und einige wenige andere Seelenzustände durch Bewegungen sich darstellen, welche zu andern im Gegensatz stehen. Dies Princip wird aber bei denjenigen Seelenerregungen nicht in's Spiel gebracht, wie Schrecken, große Freude, Leiden oder Wuth, welche naturgemäß schon zu gewissen Handlungsweisen führen und gewisse Wirkungen auf den Körper ausüben: es sind hier nämlich alle Körpersysteme schon präoccupirt; auch werden diese Gemüthserregungen hierdurch bereits mit der größten Deutlichkeit ausgedrückt.

Es gibt noch eine andere kleine Geberde, welche für das Erstaunen ausdrucksvoll ist, für die ich aber keine Erklärung darbieten kann, nämlich das Legen der Hand an den Mund oder an irgend einen andern Theil des Kopfes. Dieselbe ist bei so vielen Menschenrassen beobachtet worden, daß sie irgend einen natürlichen Ursprung haben muß. Ein wilder Australier wurde in ein ganz mit officiellen Papieren erfülltes Zimmer gebracht; dies überraschte ihn in hohem Grade, er rief aus: cluck, cluck, cluck und brachte den Rücken der Hand gegen seine Lippen. Mrs. Barber sagt, daß die Kaffern und Fingos ihr Erstaunen durch einen ernsthaften Blick und dadurch ausdrücken, daß sie die rechte Hand auf den Mund legen, wobei sie das Wort mawo ausrufen, welches „wunderbar“ bedeutet. Die Buschmänner [265] legen, wie man sagt,[13] ihre rechte Hand an den Hals und biegen den Kopf nach hinten, wenn sie erstaunt sind. Mr. Winwood Reade hat beobachtet, daß die Neger der Westküste von Africa, wenn sie überrascht sind, ihre Hände gegen den Mund schlagen und gleichzeitig sagen: „Mein Mund klebt an mir“, d. h. an meiner Hand; er hat auch gehört, daß dies die gewöhnliche Geberde bei derartigen Gelegenheiten ist. Capitain Speedy theilt mir mit, daß bei solchen Veranlassungen die Abyssinier ihre rechte Hand an die Stirn legen, mit der Fläche nach außen. Endlich führt Mr. Washington Matthews an, daß das conventionelle Zeichen für das Erstaunen bei den wilden Stämmen der westlichen Theile der Vereinigten Staaten darin besteht, „die halbgeschlossene Hand über den Mund zu legen; während sie dies thun, biegen sie häufig den Kopf nach vorn und zuweilen werden Worte oder ein leichtes Stöhnen geäußert“. Catlin[14] macht dieselbe Bemerkung über das Drücken der Hand auf den Mund in Bezug auf die Manda-Indianer und andere Indianerstämme.


Bewunderung. — Hierüber braucht nur wenig gesagt zu werden. Bewunderung besteht allem Anscheine nach aus Überraschung in Begleitung von etwas Vergnügen und einem Gefühle der Zustimmung. Wird sie lebhaft empfunden, so werden die Augen geöffnet und die Augenbrauen erhoben. Das Auge wird strahlend, anstatt ausdruckslos zu bleiben, wie beim einfachen Erstaunen; und der Mund verbreitet sich zu einem Lächeln, statt weit offen zu stehen.


Furcht, Schrecken. — Das Wort „Furcht“ (und das englische fear) scheint von dem abgeleitet zu sein, was plötzlich und gefährlich ist;[15] und das Wort terror (lateinisch und englisch, deutsch Schrecken) von dem Zittern der Stimmorgane und des Körpers. Ich gebrauche das Wort „terror“ für die äußerste Furcht; manche Schriftsteller sind aber der Meinung, daß es auf Fälle beschränkt werden sollte, bei denen ganz besonders die Einbildungskraft in Betracht [266] komme. Der Furcht geht häufig ein Erstaunen voraus; und in so weit ist sie dem letzteren verwandt, daß beide dazu führen, die Sinne des Gesichts und des Gehörs augenblicklich anzuspannen. In beiden Fällen werden die Augen und der Mund weit geöffnet und die Augenbrauen erhoben. Der zum Fürchten gebrachte Mensch steht anfangs bewegungslos wie eine Statue und athemlos da oder drückt sich nieder, als wollte er instinctiv der Entdeckung entgehen.

Das Herz zieht sich schnell und heftig zusammen, so daß es gegen die Kippen schlägt oder anstößt; es ist aber sehr zweifelhaft, ob es dann wirksamer als gewöhnlich arbeitet, so daß eine größere Menge Blutes allen Körpertheilen zugeführt wird; denn die Haut wird augenblicklich bleich, wie bei einer beginnenden Ohnmacht. Dieses Bleichsein der Oberfläche ist indessen wahrscheinlich zum großen Theile oder ausschließlich eine Folge davon, daß das Nervencentrum, von dem aus die Gefäßnerven beeinflußt werden, in einer solchen Weise afficirt wird, daß es die Zusammenziehung der kleinen Arterien der Haut verursacht. Daß die Haut unter dem Gefühle großer Furcht bedeutend afficirt wird, sehen wir an der merkwürdigen und unerklärlichen Weise, in welcher die Perspiration sofort aus ihr hervorbricht. Diese Ausscheidung ist um so merkwürdiger, als die Oberfläche der Haut dann kalt ist, woher ja der Ausdruck „kalter Schweiß“ rührt, während gewöhnlich die Schweißdrüsen zur Thätigkeit angeregt werden, wenn die Oberfläche warm ist. Auch die Haare auf der Haut richten sich auf und die oberflächlichen Muskeln zittern. Im Zusammenhange mit der gestörten Thätigkeit des Herzens wird auch das Athmen beschleunigt. Die Speicheldrüsen fungiren unvollkommen, der Mund wird trocken[16] und häufig geöffnet und geschlossen. Ich habe auch bemerkt, daß bei geringer Furcht eine starke Neigung zum Gähnen eintritt. Eines der am besten ausgesprochenen Symptome ist das Erzittern aller Muskeln des Körpers: dies zeigt sich häufig zuerst an den Lippen. Aus dieser Ursache und wegen der Trockenheit des Mundes wird die Stimme heiser oder unbestimmt, oder kann [267] auch gänzlich versagen. „Obstupui, steteruntque comae, et vox faucibus haesit.“

Von der unbestimmten Furcht findet sich eine bekannte und großartige Beschreibung im Buche Hiob: — „Da ich Gesichte betrachtete in der Nacht, wenn der Schlaf auf die Leute fällt, da kam mich Furcht und Zittern an, und alle meine Gebeine erschracken. Und da der Geist vor mir übergieng, standen mir die Haare zu Berge an meinem Leibe; da stand ein Bild vor meinen Augen, und ich kannte seine Gestalt nicht; es war stille und ich hörte eine Stimme: Wie mag ein Mensch gerechter sein, denn Gott? Oder ein Mann reiner sein, denn der ihn gemacht hat?“ (Hiob 4, 13—17.)

In dem Maße, wie sich Furcht zu einer Seelenangst des Schreckens (oder äußerster Furcht) vergrößert, sehen wir, wie bei allen heftigen Gemüthserregungen, verschiedenartige Resultate. Das Herz schlägt stürmisch oder versagt ganz zu fungiren und es tritt Ohnmacht ein; es ist Todtenblässe vorhanden; das Athmen ist beschwerlich; die Nasenflügel sind weit ausgedehnt; „die Lippen schnappen und bewegen sich convulsivisch, die hohle Wange zittert, die Kehle schluckt und zieht sich zusammen“;[17] die unbedeckten und vortretenden Augäpfel sind auf den Gegenstand des Schreckens fixirt oder sie können auch ruhelos von der einen zur andern Seite rollen, „huc illuc volvens oculos totumque pererrat“.[18] Der Angabe nach werden die Pupillen enorm erweitert. Alle Muskeln des Körpers können steif oder in convulsivische Bewegungen versetzt werden. Die Hände werden abwechselnd geballt und wieder geöffnet, häufig mit einer zuckenden Bewegung. Die Arme können vorgestreckt sein, als wollten sie irgend eine fürchterliche Gefahr abwenden, oder wild über den Kopf geworfen werden. Mr. Hagenauer hat diese letztere Bewegung bei einem vor Furcht entsetzten Australier gesehen. In andern Fällen tritt eine plötzliche und unbezwingbare Neigung zur kopflosen Flucht ein; und diese ist dann so stark, daß die tapfersten Soldaten von einem plötzlichen panischen Schrecken ergriffen werden können.

Wenn die Furcht auf den höchsten Gipfel steigt, dann wird der fürchterliche Schrei des Entsetzens gehört. Große Schweißtropfen [268] stehen auf der Haut. Alle Muskeln des Körpers werden erschlafft. Das äußerste Gesunkensein aller Kräfte folgt bald und die Geisteskräfte versagen ihre Thätigkeit. Die Eingeweide werden afficirt. Die Schließmuskeln hören auf zu wirken und halten den Inhalt der Körperhöhlen nicht länger mehr zurück.

Dr. J. Crichton Browne hat mir eine so bezeichnende Schilderung intensiver Furcht bei einer wahnsinnigen fünfunddreißig Jahre alten Frau mitgetheilt, daß ich es, so traurig die Beschreibung ist, für gut halte, sie hier nicht wegzulassen. Wenn sie einen solchen Anfall bekommt, schreit sie auf: „Dies ist die Hölle!“ „Da ist eine schwarze Frau!“ „Ich kann nicht heraus!“ — und andere derartige Ausrufungen. Wenn sie in dieser Weise schreit, sind ihre Bewegungen die abwechselnder Anspannung und Zitterns. Einen Augenblick lang schließt sie ihre Hände fest, hält ihre Arme in einer steifen halbgebeugten Stellung vor sich hin; dann biegt sie plötzlich ihren Körper nach vorn, schwingt sich schnell hin und her, zieht ihre Finger durch die Haare, packt sich am Halse und versucht sich die Kleider abzureißen. Die Kopfnicker-Muskeln (Musc. sterno-cleido-mastoidei, welche vereint dazu dienen, den Kopf auf die Brust zu beugen) treten auffallend vor, als wären sie geschwollen und die Haut über ihnen ist stark gefaltet. Ihr Haar, welches am Hinterkopf kurz geschnitten und welches glatt ist, so lange sie ruhig ist, steht jetzt aufrecht; das vordere Haar ist durch die Bewegungen ihrer Hände völlig durcheinander gewirrt. Das Gesicht drückt große Seelenangst aus. Die Haut ist am Gesicht und Hals abwärts bis zu den Schlüsselbeinen geröthet und die Venen der Stirn und des Halses springen vor wie dicke Stränge. Die Unterlippe hängt herab und ist etwas umgestülpt. Der Mund wird halb offen gehalten, der Unterkiefer springt etwas vor. Die Wangen sind hohl und tief in gekrümmten, von den Nasenflügeln nach den Mundwinkeln hinauflaufenden Zügen gefurcht. Die Nasenlöcher selbst sind erhoben und erweitert. Die Augen sind weit geöffnet und unter ihnen erscheint die Haut geschwollen; die Pupillen sind erweitert. Die Stirn ist quer mit vielen Falten bedeckt und an den innern Enden der Augenbrauen ist sie stark in divergirenden Richtungen gefurcht in Folge der kraftvollen und andauernden Zusammenziehung der Augenbrauenrunzler.

Auch Mr. Bell[19] hat die Seelenangst in äußerster Furcht und [269] Verzweiflung beschrieben, welche er an einem Mörder beobachtete, der in Turin zum Richtplatze geführt wurde. „Auf jeder Seite im Karren saßen die dienstthuenden Priester und in der Mitte saß der Verbrecher selbst. Es war unmöglich, den Zustand dieses unglücklichen Kerls ohne Schrecken mit anzusehen; und doch war es andererseits unmöglich, (als würde man durch einen fremdartigen Zauber immer wieder dazu getrieben), den so wilden, so von Schauer erfüllten Gegenstand nicht anzublicken. Er schien ungefähr fünfunddreißig Jahre alt zu sein, war von großer muskulöser Gestalt; sein Gesicht zeigte starke und wilde Züge; halb nackt, bleich wie der Tod, in tödtlicher Angst und Furcht, jedes Glied vor angstvoller Qual angespannt, die „Hände convulsivisch zusammengeballt, mit ausbrechendem Schweiß und zusammengezogenen Augenbrauen, küßte er beständig die Figur des Heilandes, welche auf der vor ihm aufgehängten Flagge gemalt war, aber mit einer solchen Seelenangst der wildesten Verzweiflung, daß Nichts, was nur jemals auf der Bühne dargestellt werden könnte, auch nur den leisesten Begriff davon geben kann“.

Ich will nur noch einen andern Fall hinzufügen, der das äußerste Gesunkensein aller Kräfte im höchsten Grade der Furcht bei einem Menschen erläutert. Ein bösartiger Mörder zweier Personen wurde in ein Hospital gebracht in Folge eines irrigen Eindrucks, daß er sich selbst vergiftet habe; als er am andern Morgen mit Handschellen versehen und von der Polizei weggeführt wurde, beobachtete ihn Dr. W. Ogle sorgfältig. Seine Blässe war ganz extrem und das Gesunkensein seiner Kräfte so groß, daß er kaum im Stande war, sich selbst anzukleiden. Seine Haut transpirirte; seine Augenlider und sein Kopf hiengen so bedeutend herab, daß es unmöglich war, auch nur einen Blick seiner Augen zu erhaschen. Sein Unterkiefer hieng herab. Es war keine Zusammenziehung irgend eines Gesichtsmuskels zu sehen, und Dr. Ogle ist beinahe sicher, daß das Haar nicht aufgerichtet war; denn er beobachtete ihn sehr nahe, da es zum Zwecke der Täuschung gefärbt war.

In Bezug auf die Art und Weise, wie die Furcht von den verschiedenen Menschenrassen dargestellt wird, stimmen meine Correspondenten darin überein, daß die Zeichen bei ihnen dieselben sind wie bei den Europäern. Sie werden von den Hindus und den Eingeborenen von Ceylon in übertriebenem Grade dargeboten. Mr. Geach hat gesehen, wie Malayen vor Furcht entsetzt bleich wurden und [270] zitterten; Mr. Brough Smyth gibt an, daß ein eingeborener Australier „als er bei einer Gelegenheit in heftige Furcht gerieth, eine Gesichtsfarbe zeigte, welche dem, was wir Blässe nennen, so nahe kam, wie man es sich bei einem sehr dunkeln Menschen nur vorstellen kann.“ Mr. Dyson Lacy hat gesehen, wie sich äußerste Furcht bei einem Australier durch ein nervöses Zucken der Hände, Füße und Lippen, und durch den auf der Haut stehenden Schweiß darstellte. Viele Wilde unterdrücken die Zeichen nicht so stark wie es Europäer thun; häufig zittern sie bedeutend. Der Kaffer Gaika sagt in einer ziemlich komischen Redeweise: das Schütteln „des Körpers wird häufig erfahren und die Augen sind weit offen.“ Bei Wilden werden die Schließmuskeln häufig erschlafft, genau so, wie man es bei stark in Furcht gebrachten Hunden sehen kann und wie ich es bei Affen gesehen habe, die darüber in entsetzlichen Schrecken geriethen, daß sie gefangen wurden.


Das Aufrichten der Haare. Einige Zeichen der Furcht verdienen noch etwas weitere Betrachtung. Dichter sprechen beständig vom Sträuben der Haare; Brutus sagt zum Geiste Cäsars: „Bist du ein Gott, ein Engel oder Teufel, der starren macht mein Blut, das Haar mir sträubt?“ [Julius Cäsar, Act IV., Scene 3.] Cardinal Beaufort ruft nach der Ermordung Gloster’s aus: „Kämmt nieder doch sein Haar: seht, seht! es starrt!“ [Heinrich VI. 2 Theil, Act III., Scene 3.] Da ich nicht sicher war, ob die Dichter nicht etwa auf den Menschen angewendet hätten, was sie häufig bei Thieren beobachtet hatten, bat ich Dr. Crichton Browne um Auskunft in Bezug auf ähnliche Erscheinungen bei Geisteskranken. In Antwort hierauf führte er an, daß er wiederholt gesehen habe, wie sich das Haar unter dem Einflusse plötzlicher und äußerster Furcht emporgerichtet habe. Es war z. B. nothwendig, bei einer geisteskranken Frau Morphium unter die Haut einzuspritzen; sie fürchtete die Operation außerordentlich, obschon sie sehr wenig Schmerz verursachte; sie glaubte nämlich, daß Gift in ihren Körper eingeführt würde und daß ihre Knochen bald erweicht und ihr Fleisch zu Staub verwandelt würde. Sie wurde todtenbleich, ihre Gliedmaßen wurden durch eine Art tetanischen Krampfes steif und das Haar richtete sich am Vordertheile des Kopfes theilweise in die Höhe.

Dr. Browne bemerkt ferner, daß das borstige Sträuben des [271] Haares, welches bei Geisteskranken so gewöhnlich ist, nicht immer mit äußerster Furcht verbunden ist. Es zeigt sich vielleicht am häufigsten bei chronischen Tobsüchtigen, welche in unzusammenhängender Weise rasen und zerstörende Triebe haben; das borstige Sträuben des Haares ist aber am meisten während ihrer Paroxysmen zu beobachten. Die Thatsache, daß das Haar unter dem Einflusse sowohl der Wuth als der Furcht sich aufrichtet, stimmt vollständig mit dem überein, was wir bei niederen Thieren gesehen haben. Als Beleg hiefür bringt Dr. Browne mehrere Fälle bei. So richtet sich bei einem jetzt in der Anstalt befindlichen Manne vor dem Wiedereintritt jedes tobsüchtigen Paroxysmus „das Haar an seiner Stirn in die Höhe wie die Mähne eines Shetland-Ponys.“ Er hat mir von zwei Frauen Photographien geschickt, welche in den Zwischenzeiten ihrer Paroxysmen

Fig. 19. Nach der Photographie einer geisteskranken Frau, um den Zustand ihres Haares zu zeigen.

aufgenommen wurden und fügt in Bezug auf die eine dieser beiden Frauen hinzu, „daß der Zustand ihres Haares ein sicheres und angemessenes Criterium ihres geistigen Zustandes sei“. Eine dieser Photographien habe ich copiren lassen und der Holzschnitt gibt, wenn er aus einer geringen Entfernung betrachtet wird, eine treue Darstellung des Originals mit der Ausnahme, daß das Haar im Ganzen etwas zu grob und zu stark gekräuselt erscheint. Der außerordentliche Zustand des Haares bei den Geisteskranken ist nicht bloß Folge des Aufrichtens desselben, sondern auch seiner Trockenheit und Härte, was wiederum davon abhängt, daß die Hautdrüsen nicht thätig sind. [272] Dr. Bucknill sagt[20], daß ein Wahnsinniger „wahnsinnig bis in die Fingerspitze ist“; er hätte noch hinzufügen können: und häufig bis zur Spitze jedes einzelnen Haares.

Dr. Browne erwähnt als eine empirische Bestätigung der Beziehung, welche bei Geisteskranken zwischen dem Zustande des Haares und dem der Seele besteht, Folgendes: Die Frau eines Arztes, welche die Pflege einer an acuter Melancholie mit starker Furcht vor dem Tode für sich selbst, ihren Mann und ihre Kinder leidenden Dame übernommen hatte, berichtete ihm am Tage, ehe er meinen Brief erhalten hatte, wörtlich wie folgt: „Ich glaube, Mrs. — wird sich bald bessern, denn ihr Haar fängt an, glatt zu werden; und ich habe immer bemerkt, daß unsere Patienten besser werden, sobald ihr Haar aufhört, kraus und unbehandelbar zu sein.“

Dr. Browne schreibt den beständigen rauhen Zustand des Haares bei vielen geisteskranken Patienten zum Theil dem Umstande zu, daß ihr Geist fortwährend etwas gestört ist und zum Theil den Wirkungen der Gewohnheit, — d. h. dem Umstande, daß das Haar während der vielen wiederkehrenden Paroxysmen stark aufgerichtet wird. Bei Patienten, bei denen das borstige Sträuben einen extremen Grad erreicht, ist die Krankheit meist dauernd und tödtlich; bei andern aber, wo das Sträuben nur mäßig eintritt, erhält das Haar, sobald sie den gesunden Zustand ihres Geistes wieder erlangen, auch seine Glätte wieder.

In einem frühern Capitel haben wir gesehen, daß bei Thieren das Haar durch die Zusammenziehung außerordentlich kleiner, nicht gestreifter und unwillkürlicher Muskeln aufgerichtet wird, welche an jeden einzelnen Haarbalg treten. Mr. J. Wood hat, wie er mir mittheilt, deutlich durch das Experiment ermittelt, daß außer der Wirkung jener Muskeln beim Menschen die Haare auf dem vordern Theile des Kopfes, welche nach vorn niedergelegt sind, und diejenigen am hintern Theile des Kopfes, welche nach hinten herabliegen, durch die Zusammenziehung des Hinterhaupt-Stirnmuskels oder Kopfhautmuskels in entgegengesetzten Richtungen aufgerichtet werden. Es scheint daher dieser Muskel das Aufrichten der Haare am Kopfe des Menschen in derselben Weise zu unterstützen, wie der Panniculus carnosus, oder der große Hautmuskel, bei der Aufrichtung der Stacheln am [273] Rücken einiger der niedern Thiere unterstützend wirkt oder geradezu den größten Theil der Bewegung ausführt.


Zusammenziehung des Platysma-myoides-Muskels. — Dieser Muskel breitet sich über die Seiten des Halses aus und erstreckt sich nach abwärts etwas über die Schlüsselbeine und nach aufwärts bis an die untern Theile der Backen. Ein Theil von ihm, der Risorius oder Lachmuskel genannt, ist in dem Holzschnitt Fig. 2 M. (S. 22) dargestellt. Die Zusammenziehung dieses Muskels bewirkt die Bewegung der Mundwinkel und der untern Theile der Wangen nach unten und hinten. Gleichzeitig ruft sie divergirende, längsverlaufende vorspringende Falten an den Seiten des Halses bei jungen Individuen und bei alten magern Personen feine quere Falten hervor. Man sagt zuweilen, dieser Muskel stehe nicht unter der Controle des Willens; aber fast Jedermann setzt ihn in Thätigkeit, wenn ihm gesagt wird, er solle die Mundwinkel mit großer Kraft nach hinten und unten ziehen. Ich habe indessen von einem Manne gehört, welcher ihn willkürlich nur an einer Seite des Halses zusammenziehen kann.

Sir Ch. Bell[21] und andere haben angegeben, daß dieser Muskel unter dem Einflusse der Furcht stark zusammengezogen werde; und Duchenne betont seine Bedeutung beim Ausdruck dieser Gemüthsbewegung so stark, daß er ihn den „Muskel der Furcht“ nennt[22]. Er gibt indessen zu, daß seine Zusammenziehung völlig ausdruckslos ist, wenn sie nicht von weiter Öffnung der Augen und des Mundes begleitet wird. Er hat eine (im umstehenden Holzschnitt copirte und verkleinerte) Photographie des bei früheren Gelegenheiten schon erwähnten alten Mannes gegeben, als dessen Augenbrauen erhoben, der Mund geöffnet und das Platysma zusammengezogen war, und zwar alles dies mittelst des Galvanisirens. Die Originalphotographie wurde vierundzwanzig Personen gezeigt und diese wurden einzeln gefragt, ohne daß irgend eine Erklärung gegeben worden wäre, welche Ausdrucksform wohl beabsichtigt sei. Zwanzig antworteten augenblicklich: „intensive Furcht“ oder „Schauder“, drei sagten „Schmerz“ und [274] eine „äußerstes Unbehagen“. Dr. Duchenne hat noch eine andere Photographie desselben alten Mannes gegeben, mit zusammengezogenem Platysma, geöffnetem Munde und schräg gestellten Augenbrauen, wiederum mit Hülfe des Galvanismus. Der hierdurch bewirkte Ausdruck ist sehr auffallend (s. Taf. VII, Fig. 2); die schräge Stellung der Augenbrauen fügt noch die Erscheinung großer geistiger Trübsal oder Angst hinzu. Das Original wurde fünfzehn Personen gezeigt;

Fig. 20. Äußerste Furcht, nach einer Photographie von Dr. Duchenne.

zwölf antworteten äußerste Furcht oder Schauder und drei Seelenangst oder großes Leiden. Nach diesen Fällen und nach einer Untersuchung der andern von Dr. Duchenne mitgetheilten Photographien, zusammen mit seinen darüber gemachten Bemerkungen, glaube ich, daß nur wenig Zweifel darüber bestehen kann, daß die Zusammenziehung des Platysma bedeutend den Ausdruck der Furcht erhöht. Nichtsdestoweniger sollte doch dieser Muskel kaum der der Furcht [275] genannt werden, denn seine Zusammenziehung ist sicherlich kein nothwendiger Begleiter dieses Seelenzustandes.

Ein Mensch kann nämlich die äußerste Furcht in der deutlichsten Weise durch todtenähnliche Blässe, durch Tropfen Schweißes auf der Haut und durch vollkommene Abspannung der Kräfte darbieten, und doch sind alle Muskeln mit Einschluß des Platysma vollständig erschlafft. Obgleich Dr. Browne häufig diesen Muskel bei Geisteskranken zucken und sich zusammenziehen gesehen hat, so ist er doch nicht im Stande gewesen, die Zusammenziehung desselben mit irgend einem bestimmten Seelenzustande in Verbindung zu bringen, trotzdem er sorgfältig Patienten beobachtet hat, die von Furcht bedeutend litten. Andererseits hat Mr. Nicol drei Fälle beobachtet, in denen dieser Muskel unter dem Einflusse der Melancholie, verbunden mit großer Furcht, mehr oder weniger permanent zusammengezogen zu sein schien; doch waren in einem dieser Fälle verschiedene andere Muskeln am Halse und Kopfe krampfhaften Zusammenziehungen unterworfen.

Tab. VII

Dr. W. Ogle beobachtete für mich in einem der Londoner Hospitäler ungefähr zwanzig Patienten, gerade ehe sie behufs einer Operation der Einwirkung des Chloroforms ausgesetzt wurden. Sie zeigten etwas Zittern, aber keine äußerste Furcht. Nur bei vier Fällen unter diesen war eine Zusammenziehung des Platysma sichtbar, und der Muskel begann nicht eher sich zusammenzuziehen, bis die Patienten anfiengen, zu schreien. Der Muskel schien sich im Momente einer jeden tief eingezogenen Inspiration zusammenzuziehen, so daß es sehr zweifelhaft ist, ob die Zusammenziehung überhaupt von der Erregung der Furcht abhängig war. In einem fünften Falle war der Patient, welcher nicht chloroformirt worden war, in sehr großer Furcht, und sein Platysma war gewaltsamer und dauernder zusammengezogen als in den andern Fällen. Aber selbst hier kann man noch zweifeln; denn Dr. Ogle hat gesehen, daß sich dieser Muskel, welcher hier ungewöhnlich entwickelt zu sein schien, zusammenzog, als der Mann seinen Kopf vom Kissen in die Höhe hob, nachdem die Operation vorüber war.

Da ich mich darüber sehr in Verlegenheit fühlte, warum in irgend einem Falle ein oberflächlicher Muskel am Halse speciell von der Furcht afficirt werden sollte, wandte ich mich an meine vielen freundlichen Correspondenten mit der Bitte um Auskunft über die Zusammenziehung [276] dieses Muskels unter andern Umständen. Es würde überflüssig sein, alle die Antworten hier mitzutheilen, die ich erhalten habe. Sie zeigen, daß dieser Muskel unter vielen verschiedenen Bedingungen, häufig in einer verschiedenen Art und in einem verschiedenen Grade in Thätigkeit tritt. Er wird in der Wasserscheu heftig zusammengezogen und in einem etwas geringeren Grade bei Kinnbackenkrampf; zuweilen auch in einer ausgesprochenen Weise während der Unempfindlichkeit nach Chloroform. Dr. W. Ogle beobachtete zwei Patienten, welche an einer solchen Schwierigkeit beim Athmen litten, daß die Luftröhre geöffnet werden mußte; in beiden Fällen war das Platysma stark contrahirt. Einer dieser Männer hörte das Gespräch der ihn umgebenden Ärzte mit an, und als er fähig war, zu sprechen, erklärte er, daß er sich nicht gefürchtet habe. In einigen andern Fällen äußerster Schwierigkeit des Athemholens, trotzdem sie keine Tracheotomie nöthig machten, bemerkten Dr. Ogle und Dr. Langstaff keine Zusammenziehung des Platysma.

Mr. J. Wood, welcher, wie aus seinen verschiedenen Veröffentlichungen hervorgeht, die Muskeln des menschlichen Körpers mit so großer Sorgfalt untersucht hat, hat das Platysma häufig beim Erbrechen, bei Übelkeit und Abscheu oder Widerwillen sich zusammenziehen sehen; auch bei Kindern und Erwachsenen unter dem Einflusse der Wuth, — z. B. bei Irländerinnen, welche mit zornigen Gesticulationen zankten und schrieen. Dies wird möglicherweise eine Folge ihrer hohen und zornigen Stimmen gewesen sein; denn ich kenne eine Dame, welche ausgezeichnet musikalisch ist, und beim Singen gewisser hoher Noten immer ihr Platysma zusammenzieht. Dasselbe thut, wie ich gesehen habe, ein junger Mann beim Angeben gewisser Töne auf der Flöte. Mr. J. Wood theilt mir mit, daß er das Platysma am besten bei Personen mit dickem Hals und breiten Schultern entwickelt gefunden habe, und daß bei Familien, in denen sich diese Eigenthümlichkeiten vererben, seine Entwickelung gewöhnlich in Verbindung mit einer bedeutenden Fähigkeit, willkürlich auf den homologen Hinterhaupt-Stirnmuskel einzuwirken, durch welchen die Kopfhaut bewegt werden kann, auftritt.

Keiner der vorstehend angeführten Fälle scheint irgend welches Licht auf die Zusammenziehung des Platysma unter der Erregung der Furcht zu werfen; anders verhält es sich indessen, wie ich meine, mit den folgenden Fällen. Der vorhin erwähnte Herr, welcher [277] willkürlich auf diesen Muskel nur an einer Seite des Halses wirken kann, sagt positiv, daß derselbe sich an beiden Seiten zusammenziehe, sobald er erschreckt werde. Es sind bereits Belege angeführt worden, welche zeigen, daß sich dieser Muskel zuweilen, vielleicht um den Mund weit öffnen zu helfen, zusammenzieht, wenn das Athmen in Folge einer Krankheit schwierig wird und während der tiefen Inspirationen der Schreianfälle vor einer Operation. Sobald nun Jemand über irgend einen plötzlichen Anblick oder Laut zusammenschrickt, so holt er augenblicklich tief Athem; hiernach könnte möglicherweise die Zusammenziehung des Platysma mit der Empfindung der Furcht associirt worden sein. Es besteht indessen, wie ich glaube, eine noch wirksamere Beziehung. Die erste Empfindung der Furcht oder die Einbildung irgend etwas Fürchterlichen erregt gewöhnlich ein Schaudern. Ich habe mich selbst dabei überrascht, daß ich bei einem schmerzvollen Gedanken unwillkürlich ein wenig schauderte und ich nahm dabei deutlich wahr, daß sich mein Platysma zusammenzog; dasselbe geschieht, wenn ich ein Schaudern nachmache. Ich habe Andere gebeten, dies zu thun; bei Einigen zog sich der Muskel zusammen, bei Andern nicht. Einer meiner Söhne schauderte vor Kälte, als er aus dem Bette aufstand und da er zufällig seine Hand am Halse hatte, fühlte er deutlich, daß sich dieser Muskel zusammenzog. Er schauderte dann willkürlich zusammen, wie er es bei früheren Gelegenheiten gethan hatte; das Platysma wurde aber dabei nicht afficirt. Mr. J. Wood hat auch mehrere Male beobachtet, wie sich dieser Muskel bei Patienten zusammenzog, welche sich der Untersuchung wegen auszukleiden hatten, und zwar nicht, weil sie sich gefürchtet hätten, sondern weil sie leicht vor Kälte schauderten. Unglücklicherweise bin ich nicht im Stande gewesen zu ermitteln, ob, wenn der ganze Körper wie im Froststadium eines Anfalles von kaltem Fieber geschüttelt wird, das Platysma sich zusammenzieht. Da dasselbe sich aber sicher häufig während eines Schauderns zusammenzieht, und da ein Schaudern häufig die erste Empfindung der Furcht begleitet, so haben wir, meine ich, hierin einen Schlüssel zum Verstehen seiner Thätigkeit im letztern Falle[23]. [278] Seine Zusammenziehung ist indessen kein unabänderlicher Begleiter der Furcht; denn der Muskel tritt wahrscheinlich niemals unter dem Einflusse äußersten, ertödtenden Schreckens in Thätigkeit.


Erweiterung der Pupillen. — Gratiolet hebt wiederholt hervor,[24] daß die Pupillen enorm erweitert werden, sobald äußerste Furcht empfunden wird. Ich habe keinen Grund, die Genauigkeit dieser Angabe zu bezweifeln, habe aber vergebens nach bestätigenden Belegen gesucht, den einen vorhin mitgetheilten Fall einer geisteskranken Frau ausgenommen, welche an großer Furcht litt. Wenn Dichter davon sprechen, daß die Augen stark erweitert worden seien, so vermuthe ich, daß sie die Augenlider meinen. Munro's Angabe,[25] daß bei Papageien die Regenbogenhaut durch die Leidenschaften afficirt wird, unabhängig von der Lichtstärke, scheint sich auf diese Frage zu beziehen. Professor Donders theilt mir indessen mit, daß er bei diesen Vögeln häufig Bewegungen der Pupille gesehen habe, welche sich aber, wie er meint, auf das Vermögen dieser Vögel, das Auge verschiedenen Entfernungen zu accomodiren, beziehen, in nahezu derselben Weise, wie sich unsere eignen Pupillen zusammenziehen, wenn unsere Augen zum Nahe-Sehen convergiren. Gratiolet bemerkt, daß die erweiterten Pupillen so erscheinen, als starrten sie in tiefe Finsternis. Ohne Zweifel ist die Furcht bei den Menschen häufig im Dunkeln erregt worden, aber kaum so oft oder so ausschließlich, daß es die Entstehung einer fixirten und associirten Gewohnheit erklären könnte. Angenommen, daß Gratiolet's Angabe correct ist, scheint es wahrscheinlicher zu sein, daß das Gehirn direct durch die gewaltige Erregung der Furcht afficirt wird und auf die Pupillen zurückwirkt; doch theilt mir Prof. Donders mit, daß dies ein äußerst complicirter Gegenstand ist. Ich will noch hinzufügen, da es möglicherweise Licht auf den Gegenstand wirft, daß Dr. Fyffe vom Netley-Hospital bei zwei Patienten beobachtet hat, daß die Pupillen während des Froststadiums eines Fieberanfalls deutlich erweitert waren. Prof. Donders hat auch häufig Erweiterung der Pupillen bei beginnenden Ohnmachten gesehen.

[279] Entsetzen. — Der durch diesen Ausdruck bezeichnete Seelenzustand schließt äußerste Furcht ein und ist in manchen Fällen beinahe synonym mit ihr. So mancher Mensch schon muß vor der glücklichen Entdeckung des Chloroforms beim Gedanken an eine bevorstehende chirurgische Operation Entsetzen empfunden haben. Wer einen Menschen fürchtet, ebenso wenn er ihn haßt, wird, wie Milton das Wort braucht, ein Entsetzen vor ihm fühlen. Wir empfinden Entsetzen, wenn wir irgend Jemand, beispielsweise ein Kind, einer augenblicklichen zermalmenden Gefahr ausgesetzt sehen. Beinahe ein Jeder würde dies selbe Gefühl im höchsten Grade an sich erfahren, wenn er Zeuge davon sein sollte, daß ein Mensch gemartert würde oder gemartert werden sollte. In diesen Fällen ist keine Gefahr für uns selbst vorhanden; aber durch die Kraft der Einbildung und der Sympathie versetzen wir uns selbst in die Lage des Leidenden und empfinden etwas der Furcht Verwandtes.

Sir Ch. Bell bemerkt,[26] daß „das Entsetzen voll von Energie ist; der Körper ist im Zustande äußerster Anspannung, nicht durch Furcht entnervt“. Es ist daher wahrscheinlich, daß das Entsetzen allgemein von einer starken Zusammenziehung der Augenbrauen begleitet sein wird. Da aber Furcht eine der darin enthaltenen elementaren Empfindungen ist, so werden die Augen und der Mund geöffnet und die Augenbrauenrunzler diese Bewegung gestatten. Duchenne hat eine Photographie[27] (Figur 21) des bereits wiederholt erwähnten alten Mannes gegeben, wo die Augen etwas starrend, die Augenbrauen zum Theil erhoben und gleichzeitig stark zusammengezogen, der Mund geöffnet und das Platysma in Thätigkeit gesetzt war, und zwar auch hier wieder Alles durch Anwendung des Galvanismus. Er ist der Ansicht, daß die hierdurch hervorgebrachte Ausdrucksform äußerste Furcht mit entsetzlichem Schmerz oder Qualen anzeigt. Ein gemarterter Mensch wird, so lange ihm seine Leiden gestatten, vor dem Kommenden irgend welche Furcht zu empfinden, wahrscheinlich Entsetzen im allerhöchsten Grade darbieten. Ich habe die Original-Photographie dreiundzwanzig Personen beiderlei Geschlechts und verschiedenen Alters gezeigt; dreizehn antworteten sofort: Entsetzen, [280] großer Schmerz, Marter oder Seelenangst; drei antworteten: äußerstes Erschrecken; so daß also sechzehn nahezu in Übereinstimmung mit Duchenne's Ansicht antworteten. Sechs sagten indessen: Zorn, ohne Zweifel durch die stark zusammengezogenen Augenbrauen verleitet und den eigenthümlich geöffneten Mund übersehend. Eine Person sagte: Abscheu. Im Ganzen weisen diese Thatsachen daraufhin, daß wir hier eine ziemlich gute Darstellung des Entsetzens und der Todesangst

Fig. 21. Entsetzen und Todesangst, copirt nach einer Photographie von Dr. Duchenne.

vor uns haben. Die vorhin angezogene Photographie (Taf. VII, Fig. 2) zeigt gleichfalls Entsetzen; bei dieser weist aber die schiefe Stellung der Augenbrauen große geistige Angst nach statt der Energie.

Das Entsetzen wird allgemein von verschiedenen Geberden begleitet, welche bei verschiedenen Individuen verschieden sind. Nach Gemälden zu urtheilen, wird häufig der ganze Körper weggewandt [281] oder fährt zusammen, oder die Arme werden heftig vorgestreckt, als wollten sie irgend einen fürchterlichen Gegenstand fortstoßen. So viel aus der Handlungsart von Personen geschlossen werden kann, welche versuchen, eine lebhaft eingebildete Scene des Entsetzens auszudrücken, ist die häufigste Geberde das Erheben beider Schultern, wobei die gebogenen Arme dicht gegen die Seiten der Brust gedrückt werden. Diese Bewegungen sind nahezu die gleichen mit denen, welche gewöhnlich ausgeführt werden, wenn wir stark frieren; allgemein werden sie von einem Schaudern, ebenso auch von einer tiefen Exspiration oder Inspiration begleitet, je nachdem die Brust zu der Zeit zufällig erweitert oder zusammengezogen ist. Die hierdurch hervorgebrachten Laute werden in Worten wie uh oder ugh ausgedrückt.[28] Es ist indessen nicht recht klar, warum wir, wenn wir frieren oder ein Gefühl des Entsetzens ausdrücken, unsere gebogenen Arme gegen den Körper drücken, unsere Schultern erheben und schaudern.


Schluß. — Ich habe nun versucht, die verschiedenartigen Ausdrucksweisen der Furcht, in ihren Abstufungen von bloßer Aufmerksamkeit zu einem überraschten Zusammenfahren bis zu äußerster Furcht und Entsetzen, zu beschreiben. Einige der Zeichen können durch die Principien der Gewohnheit, Association und Vererbung erklärt werden, — so das weite Öffnen des Mundes und der Augen mit aufgehobenen Augenbrauen, so daß wir so schnell als möglich rund um uns her sehen können und deutlich hören, was für Laute überhaupt nur unsere Ohren erreichen mögen. Denn wir haben uns in dieser Weise gewohnheitsgemäß vorbereitet, irgend eine Gefahr zu entdecken und ihr zu begegnen. Einige der andern Zeichen der Furcht können gleichfalls, wenigstens zum Theil durch diese drei Principe erklärt werden. Die Menschen haben zahllose Generationen hindurch versucht, ihren Feinden oder Gefahren durch ungestüme Flucht oder durch heftiges Kämpfen mit ihnen zu entgehen; und derartige Anstrengungen werden es verursacht haben, daß das Herz geschwind schlägt, das Athmen beschleunigt ist, die Brust sich schwer hebt und die Nasenlöcher erweitert werden. Da diese Anstrengungen sich [282] häufig bis zur äußersten Höhe andauernd wiederholt haben, wird äußerste Kraftlosigkeit, Blässe, Schweiß, Zittern aller Muskeln oder ihre völlige Erschlaffung das endliche Resultat gewesen sein. Und nun sind, sobald die Erregung der Furcht stark empfunden wird, trotzdem sie zu keiner Anstrengung zu führen braucht, die durch die Gewalt der Vererbung und Association angeregten Resultate geneigt, wieder zu erscheinen.

Nichtsdestoweniger sind doch wahrscheinlicherweise viele oder die meisten der eben geschilderten Symptome äußerster Furcht, so das Klopfen des Herzens, das Zittern der Muskeln, der kalte Schweiß u. s. w., zum großen Theile directe Folgen der gestörten oder unterbrochenen Übermittelung von Nervenkraft von dem Gehirn-Rückenmarksystem an verschiedene Theile des Körpers, weil der Geist dabei so mächtig afficirt ist. Wir können dies zuversichtlich, unabhängig von Gewohnheit und Association, in solchen Fällen für die Ursache ansehen, wo z. B. die Absonderungen des Darmcanals modificirt werden und die Thätigkeit gewisser Drüsen versagt. In Bezug auf das unwillkürliche Sträuben des Haares haben wir guten Grund zur Annahme, daß, was die Thiere betrifft, dieser Act, wie er auch ursprünglich entstanden sein mag, in Verbindung mit gewissen willkürlichen Bewegungen dazu dient, dieselben ihren Feinden schrecklich erscheinen zu lassen; und da dieselben unwillkürlichen und willkürlichen Bewegungen von solchen Thieren ausgeführt werden, welche mit dem Menschen nahe verwandt sind, so werden wir zu der Annahme geführt, daß der Mensch durch Vererbung ein jetzt nutzlos gewordenes Überbleibsel derselben beibehalten hat. Es ist gewiß eine merkwürdige Thatsache, daß die äußerst kleinen, nicht quergestreiften Muskeln, durch welche die dünn über den beinahe nackten Körper des Menschen zerstreut stehenden Haare aufgerichtet werden, bis auf den heutigen Tag erhalten worden sind und daß dieselben sich noch immer unter denselben Gemüthserregungen, nämlich äußerster Furcht und Wuth zusammenziehen, welche das Aufrichten der Haare bei den niedern Gliedern der Ordnung, zu welcher der Mensch gehört, verursachen.


  1. Mécanisme de la Physionomie, Album, 1862, p. 42.
  2. „The Polyglot News Letter.“ Melbourne, Dec. 1858, p. 2.
  3. The Anatomy of Expression, p. 106.
  4. Mécanisme de la Physionomie Humaine, Album, p. 6.
  5. s. z. B. Dr. Piderit, Mimik und Physiognomik, S. 88, welcher eine gute Erörterung über den Ausdruck der Überraschung gibt.
  6. Auch Dr. Murie hat mir, zum Theil der vergleichenden Anatomie entnommene, Aufschlüsse gegeben, welche zu demselben Schlusse führen.
  7. De la Physionomie, 1865, p. 234.
  8. s. über diesen Gegenstand Gratiolet, a. a. O. p. 254.
  9. Lieber, On the Vocal Sounds of Laura Bridgmann, Smithsonian Contributions, Vol. II. 1851, p. 7.
  10. ,Wenderholme', Vol. II, p. 91.
  11. Lieber, On the Vocal Sounds etc., a. a. O. p. 7.
  12. Huschke, Mimices et Physiognomices Fragment, physiol. 1821, p. 18. Gratiolet (De la Physion. p. 255) gibt die Abbildung eines Menschen in dieser Stellung, welche indessen nur Furcht in Verbindung mit Erstaunen auszudrücken scheint. Auch Le Brun (Lavater, Vol. IX, p. 299) erwähnt das Öffnen der Hände bei einem erstaunten Menschen.
  13. Huschke, a. a. O. p. 18.
  14. North American Indians, 3. edit., 1842, Vol. I, p. 105.
  15. H. Wedgwood, Diction. of English Etymology, Vol. II, 1862, p. 35; s. auch Gratiolet (De la Physionomie, p. 135) über die Quellen solcher Worte, wie terror, horror, rigidus, frigidus etc. [Über Furcht und fear s. dagegen Grimm's Wörterbuch, Bd. 4, Sp. 683, wonach beide die innerlich „aufwühlende“ Erregung ausdrücken.]
  16. Mr. Bain (The Emotions and the Will, 1865, p. 54) erklärt in der folgenden Art und Weise den Ursprung des Gebrauchs, „Verbrecher in Indien dem Gottesgerichte des Bissens von Reis zu unterwerfen. Man läßt den Angeklagten „einen Mund voll Reis einnehmen und denselben nach einer kurzen Zeit auswerfen. Ist der Bissen ganz trocken, dann wird der Mensch für schuldig gehalten, — sein eigenes böses Gewissen wirkt darauf hin, die Speicheldrüsen zu lähmen.“
  17. Sir Ch. Bell, Transactions of Royal Soc. 1822, p. 308. „Anatomy of Expression“, p. 88 und p. 164—169.
  18. s. Moreau über das Rollen der Augen in der Ausgabe von 1820 des Lavater, Tom IV, p. 263, s. auch Gratiolet, De la Physionomie, p. 17.
  19. Observations on Italy, 1825, p. 48, citirt in: The Anatomy of Expression, p. 168.
  20. citirt von Dr. Maudsley, Body and Mind, 1870, p. 41.
  21. Anatomy of Expression, p. 168.
  22. Mécanisme de la Physionomie Humaine, Album, Légende XI.
  23. Duchenne hat in der That diese Ansicht (a. a. O. p. 45), da er die Zusammenziehung des Platysma dem Schaudern vor Furcht (frisson de la peur) zuschreibt; an einem andern Orte vergleicht er aber die Thätigkeit mit der, welche das Haar erschreckter Säugethiere sich aufzurichten verursacht: und dies kann kaum als völlig correct betrachtet werden.
  24. De la Physionomie, p. 51, 256, 346.
  25. citirt in White's Gradation in Man. p. 57
  26. Anatomy of Expression, p. 169.
  27. Mécanisme de la Physionomie Humaine, Album, pl. 65, p. 44, 45.
  28. s. Bemerkungen hierüber bei Mr. Wedgwood in der Einleitung zu seinem Dictionary of English Etymology. 2. ed., 1870, p. XXXVII.
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