reiche, junge Graf aus der Nachbarschaft, denn er hatte sie am meisten geliebt; und weil er sie nicht zur Frau bekommen konnte, so wollte er wenigstens seinen Ärger an ihr auslassen. Darum ritt er jeden Morgen, wenn er zum Könige mußte, über den Fußsteig auf des armen Edelmanns Land hart an des Fräuleins Fenster vorbei. Und wenn sie dann an dem Fenster saß und nähte, so rief er ihr zu:
„Bar Geld lacht! |
Das trieb er ein paar Wochen lang; und endlich konnte es das Fräulein nicht mehr ertragen und beschloß, ihm einen Streich zu spielen.
Als der Edelmann auf eine Reise gegangen war, zog es sich schlechte Arbeitskleider an und drückte sich eine abgetragene Mütze ins Gesicht, nahm einen Spaten über die Schulter und ging dann den Fußsteig auf und ab, wie ein Knecht, den sein Herr dorthin geschickt.
Wie nun der junge Graf seiner Gewohnheit nach den Fußsteig einbog, um das stolze Edelfräulein zu kränken, trat es schnell auf ihn zu, ergriff das Pferd beim Zügel und sprach:
„Mein Herr, Ihr seid gepfändet! Steigt herab, daß ich das Pferd in den Stall führe, bis Ihr es eingelöst habt.“
„Dummes Zeug,“ antwortete der Graf, „wie wird ein Nachbar den andern so behandeln!“
„Das weiß ich nicht,“ versetzte das Fräulein, „der Edelmann hat es mir so befohlen.“
Ulrich Jahn: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Mayer & Müller, Berlin 1890, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Schwaenke_und_Schnurren_aus_Bauernmund.djvu/11&oldid=- (Version vom 1.8.2018)