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Das Theater und Drama der Chinesen

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Textdaten
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Titel: Das Theater und Drama der Chinesen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 351–352
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[351] Das Theater und Drama der Chinesen. Eben so eigenartig wie die staatlichen Einrichtungen und Lebensgewohnheiten der Chinesen ist auch die Kunst im Reiche der Mitte. Soweit dieselbe im Dienste des Kunstgewerbes steht, ist sie längst den europäischen Völkern bekannt; aber die reine Kunst, namentlich die Dichtung, vermochte uns bis jetzt kein tieferes Interesse abzugewinnen. Die chinesischen Schauspieler haben noch keinen Manager gefunden, der ein fliegendes chinesisches Theater durch die Großstädte des Abendlandes geführt hätte, und offen gestanden, die bezopfte Truppe würde bei uns ohne Zweifel vor leeren Häusern spielen; denn es fehlt der Schaubühne der Chinesen der Reiz der Ausstattung, welcher die Massen anlockt.

Ihr Theater ist zwar alt und seine Geschichte reicht bis in das 8. Jahrhundert vor Christo zurück; aber der scenische Apparat ist nur wenig entwickelt und erinnert an den „Mann mit Mörtel und Steinen“ und den „Mann mit Laterne und Hund und Dornbusch“ im „Sommernachtstraum“. Ein Schrank genügt zuweilen, um ein Zimmer darzustellen, aus welchem ein Schauspieler zum Vorschein kommt. Wenn ein General den Befehl zu einem Zug in ferne Provinzen erhalten, so schwingt er eine Peitsche oder nimmt in seine Hand den Zügel eines Zaumes, marschirt drei- oder viermal unter einem schrecklichen Lärmen von Gongs, Trommeln und Trompeten rund um die Bühne und macht dann Halt, um dem Publikum mitzutheilen, daß er angekommen ist. Nur in einer Beziehung dürften die chinesischen Vorstellungen mit den europäischen rivalisiren: in dem Glanz der Schauspielerkostüme: seidene Gewänder, mit kunstvollen Stickereien verziert, fehlen selten auf der Bühne, und die Garderobe wird oft gewechselt; denn die Chinesen gehen, was die Treue des Kostüms anbelangt, sehr sorgfältig zu Werk und unterlassen es nicht, es im Text des Stückes anzugeben, wenn eine Standeserhöhung des Helden eine Veränderung seines Kostüms nothwendig macht.

Dem Toilettenluxus fehlt jedoch der Reiz der weiblichen Schönheit, die uns auf europäischen Bühnen so oft blendet. Im chinesischen Theater werden augenblicklich die Frauenrollen nur von Knaben und Jünglingen gespielt. Zur Blüthezeit des chinesischen Dramas unter der Mongolendynastie gab es allerdings auch in China Schauspielerinnen.

Man nannte sie damals in der Volkssprache: Nao-Nao, Affenweibchen, was mehr für ihre Nachahmungskunst als für ihre Tugend spricht. Sie spielten auch im Strafgesetzbuch eine Rolle; denn ein Paragraph desselben verhängt über Civil- und Militärbeamte, welche eine Schauspielerin besuchen, die Strafe von 60 Bambushieben. Trotzdem gab es unter ihnen schöngeistige Frauen, die eine gewisse Bedeutung in der Litteratur gewonnen hatten; eine derselben wurde sogar von Kaiser Khien-long unter seine Nebenfrauen aufgenommen. Diese Standeserhöhnng einer Schauspielerin brachte jedoch dem ganzen Stande den Untergang; denn ihr auf dem Fuße folgte das kaiserliche Verbot, Frauenrollen durch Schauspielerinnen darzustellen.

Die Schauspieler des Reiches der Mitte werden noch heute mit den Sklaven, Lohndienern etc. zur niederen Klasse gerechnet, welche den vier ehrbaren Klassen der Bevölkerung entgegengesetzt wird. Der Grund dieser Mißachtung liegt nicht in dem Beruf des Schauspielers, sondern darin, [352] daß die Direktoren meistens Sklavenkinder aufzukaufen pflegen, um sie zu diesem Berufe auszubilden.

Sind nun die äußeren Verhältnisse des chinesischen Theaters nur wenig anziehend, so erscheint uns die dramatische Dichtung an und für sich viel interessanter. Wir dürfen sie allerdings nicht mit unserem Maßstab messen, sondern müssen sie von dem Standpunkt eines Historikers der Weltlitteratur betrachten. Sie bietet uns alsdann tiefe und belehrende Einblicke in den Einfluß der Religionen, der staatlichen Einrichtungen und socialen Formen auf die Entwickelung der Volksdichtung, und andererseits ist das Drama, der Spiegel seiner Zeit, ein trefflicher Schlüssel zur Enträthselung dunkler, dem Geschichtsforscher noch nicht genügend bekannter Sitten und Gewohnheiten des Volkes. Besser als irgend eine Kulturgeschichte oder Reisebeschreibung illustrirt uns das chinesische Drama die Bewohner des Reiches der Mitte in ihren innersten Regungen, in ihrem ganzen Thun und Treiben; wollen wir den Chinesen kennen lernen, wie er leibt und lebt, so brauchen wir nur seine überaus reichhaltige dramatische Litteratur aufzuschlagen; er steht in ihr vor uns da, von jedem künstlichen Schleier entblößt, mit allen seinen Tugenden und Schwächen.

Ein solches, durchaus eigenartiges Spiegelbild einer der seltsamsten Welten bietet uns ein soeben erschienenes Werk Rudolf von Gottschall’s „Das Theater und Drama der Chinesen“ (Breslau 1887, Verlag von Eduard Trewendt). Es bildet einen werthvollen Beitrag zur Geschichte der Weltlitteratur, um welche sich der Fleiß deutscher Gelehrten so rühmliche Verdienste erworben, und es besitzt außerdem den Vorzug einer populären und fesselnden Darstellungsweise, welche auch dem Laien das Lesen des Werkes genußreich gestaltet. *