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Hermann Heiberg (Die Gartenlaube 1887)

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Textdaten
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Titel: Hermann Heiberg
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aus: Die Gartenlaube, Heft 21, S. 351
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[351] Hermann Heiberg. Von den Autoren, die in jüngster Zeit aufgetaucht sind, hat sich der Schleswiger Hermann Heiberg rasch einen Namen und ein Publikum verschafft. Schon erschienen in der W. Friedrichs’schen Buchhandlung sechs Bände seiner gesammelten „Schriften“; daneben gehen noch verschiedene Erzählungen und Skizzensammlungen ihren eigenen Weg, bis auch diese Nebenflüsse in den Hanptstrom münden werden.

Man mag an einen andern Autor aus dem stammverwandten Schleswig-Holstein denken, an den Holsteiner Wilhelm Jensen, der ja auch auf dem Gebiete der erzählenden Litteratur sich vorzugsweise ausgezeichnet hat, und nach Aehnlichkeiten zwischen den beiden Schriftstellern suchen, die aus demselben Volksstamme hervorgegangen sind. Und in der That wird man manches Gemeinsame finden, das der landschaftlichen Eigenart angehört: Beide schildern mit Vorliebe Strandgegenden mit ihren Dörfern und Städten, und ein frischer Meereshauch durchweht viele ihrer Erzählungen; Beide besitzen das Talent stimmungsvoller Naturmalerei und zeichnen mit Vorliebe Charaktere, welche den kräftig trotzigen Sinn und die unbeugsame Eigenart jenes Volksschlags nicht verleugnen.

Doch größer als die Aehnlichkeit ist die Verschiedenheit der beiden Erzähler.

Bei Wilhelm Jensen herrscht eine träumerische Beleuchtung vor; die Gestalten sind wie in ein magisches Licht getaucht, und der Dichter läßt sein psychologisches Senkblei mit Vorliebe in schwer zu ergründende Seelentiefen fallen. Eben so liebt er es, große Gedankensymphonien in seine Erzählungen zu verweben, ganze Kapitel mit geschichtsphilosophischem Inhalt einzuschieben, geistreich Funkelndes und Tiefsinniges, oft mit einem gewissen priesterlichen und phantastischen Anstrich in seine Werke hineinzugeheimnissen, so daß seinen Tragödien niemals schwunghafte, oft langathmige Chorgesänge fehlen.

Von diesem Allem findet sich nichts in Heiberg’s Schriften; das träumerisch Brütende liegt ihm fern; wenn er auch hin und wieder mit einem kühnen Gedankenblitz in das Stillleben, das er schildert, hineinleuchtet: er trägt kein sterngeschmücktes Magiergewand und hütet keine heiligen Opferflammen an geheimnißvollen Altären: ihm steht in erster Linie das, was der Dichter die gemeine Deutlichkeit der Dinge nennt; er sieht Alles mit voller Klarheit und giebt Alles wieder in scharfen, festen Umrissen; er ist ein feiner Beobachter nicht bloß der äußeren Welt, sondern auch der inneren Vorgänge des Seelenlebens; er ist ein trefflicher Genremaler, dem kein Detail entgeht und der es in feiner Ciselirung in seine Schilderungen hineinarbeitet; er besitzt den Verstand des praktischen Welt- und Lebemannes und wird unsere Phantasie nie in ein Netz unmöglicher Ereignisse einzufangen suchen; er schweift nicht über das Leben der Gegenwart hinaus, versenkt sich nicht in den Geist der vergangenen Zeiten; er ist ein getreuer Photograph, aber er strebt dabei nach künstlerischer Auffassung.

Das erste Werk, durch welches sich Heiberg in die Litteratur einführte, waren die „Plaudereien mit der Herzogin von Seeland“, die jetzt unter dem Titel „Aus den Papieren der Herzogin von Seeland“ neu aufgelegt worden sind. Offen gestanden, uns erschien der erste Titel richtiger und bezeichnender, wenn auch manche Skizze und Novelette nicht gut darunter passen wollte. Das Ganze ist ein Skizzenbuch, doch nicht im Stil Washington Irving’s – dazu fehlt ihm zu sehr die feste Charakterzeichnung, auch nicht im Stile der „Grönländischen Prinzessin“ Jean Paul’s – dazu fehlt ihm die langathmige Satire.

Wenn irgend ein neuer Dichter, so hat Heine bei diesen Skizzen Pathe gestanden, was den kurz angebundenen Ton und die heitere Zwischenrede betrifft; auch verspürt man bisweilen den frischen Hauch der Brise, die in den poetischen „Nordseebildern“ jenes Dichters weht. Es ist eine Sammlung von feinen Skizzen und Humoresken, von Lebensbildern und unausgegohrenen Noveletten; ungleich in Ton und Werth, aber das Sprühfeuer eines liebenswürdigen Geistes. In den Novellen und Geschichten, welche einige Bände der „Schriften“ bilden, ist das Meiste viel ausgearbeiteter und geklärter, und nur hin und wieder herrscht die Kohlenskizzenmanier, welche mit leicht hingeworfenen Umrissen an die Wand zeichnet.

Schärfer prägt sich die Physiognomie des Dichters in den kleinen Romanen aus, welche großentheils der Sammlung seiner Schriften eingereiht sind. Für den bedeutendsten und abgeschlossensten halten wir „Apotheker Heinrich“. Das Charakterbild dieses Apothekers, eines Egoisten von Kopf zu Fuß, ist mit großer Lebenswahrheit entworfen; die kleinsten und feinsten Züge darin sind der Natur abgelauscht. Der Roman schildert eine unglückliche Ehe, und daß diese Ehe unglücklich wird, ohne alle romanhaften Wendungen und Ueberraschungen, nur durch den Charakter des Mannes, der keine Lebensfreude bei der Frau aufkommen läßt: darin liegt eine Moral, die sich gegen die sogenannten Verstandesehen richtet. Der Physikus und seine Frau glaubten ihre Tochter Dora gut untergebracht, als sie dieselbe dem hochachtbaren und vermögenden Apotheker vermählten. Und doch entwickelt sich aus der Unerträglichkeit seines Charakters eine Tragödie, die mit dem Selbstmord Dora’s endet. Das Leben der kleinen Stadt ist dabei mit einer trefflichen Genremalerei geschildert und einzelne Bilder, wie die Hochzeit der Schneiderin mit dem Barbier, erinnern an die kecken kleinbürgerlichen Humoresken von Paul de Kock, wobei natürlich dessen herausfordernde Ungezogenheiten gänzlich aus dem Spiel bleiben.

„Apotheker Heinrich“ ist ein Gemälde im Stil der niederländischen Schule, in welchem das Interieur einer Apotheke mit allen darin befindlichen Geräthschaften, allen darin vorgenommenen Arbeiten einen breiten Raum einnimmt; „Die goldene Schlange“ aber gehört der italienischen Schule an; der Kleinkram des Lebens spielt darin keine Rolle; es ist eine Seelenstudie, knapp gehalten, wie es Heiberg liebt, und drei anmuthige Frauengestalten, von denen Manja, die goldene Schlange, mit dem Pinsel eines Makart portraitirt ist, bestimmen den Verlauf der Handlung. Das Schicksal des Helden, des etwas weichherzigen und schwankenden Grafen Detlef Rauch, wird von diesen drei jugendlichen Nornen gesponnen, die sich abwechselnd an die Spindel setzen. Der Verrath Detlefs und Manja’s an dem gemeinsamen Freunde, der sich bei Beginn des Romans so rasch vollzieht, befremdet einigermaßen, doch fehlt nicht die ausgleichende Gerechtigkeit. „Ein bischen französisch“ ist dieser Roman, mehr als die anderen Heiberg’s.

„Eine vornehme Frau“ fesselt durch scharfe Charakteristik der Hauptfiguren und durch die vortreffliche Darstellung eines bei großem äußeren Luxus ärmlich verfallenen Hausstandes. Der rückenmarkskranke Graf, der sich und die Seinen durch Börsenspiel ruinirt, der treue, verschwiegene Kammerdiener Tibet, der energische Baron Teut interessiren ebenso wie die prächtig ausgeführten Kinderköpfe und Kinderscenen. Praktische Lebenskenntniß, die bis ins Detail der Geldgeschäfte geht, zeigt sich in den eingehenden Schilderungen, wie die verwittwete Gräfin Ange ihre zerrütteten Vermögensverhältnisse arrangirt.

„Ausgetobt“, der vierte größere Roman, ist eine Folge bunter, locker an einander gereihter Reise- und Lebensabenteuer, in allen Tonarten spielende Liebesgeschichten, Vieles mit neckischer Laune ausgeführt.

Der Dichterkopf Hermann Heiberg’s hat freie offene Züge, ein Auge mit scharfem Blick, doch auch sanfte Empfindung wiederspiegelnd, wo es die Schönheit der Natur und das wechselnde Geschick der Menschen gilt. Seine Romane und Erzählungen haben zahlreiche Leser gefunden: ungezwungene Natürlichkeit, schalkhafter Humor und ein anspruchsloser Ton sind ihre anerkennenswerthen Vorzüge. †