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Szene aus dem Leben Kaiser Heinrichs des Vierten

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Textdaten
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Autor: Johann von Kalchberg
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Titel: Szene aus dem Leben Kaiser Heinrichs des Vierten
Untertitel:
aus: Neue Thalia. 1792–93.
1793, Vierter Band,
S. 3–15
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1793
Verlag: Georg Joachim Göschen
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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[3]
I.
Szene aus dem Leben Kaiser Heinrichs des Vierten.

(Gegend bey Speier. Man sieht in der Ferne die Thürme des prächtigen Domes. Heinrich wandlet in elender Gestalt und Kleidung an der Heerstraße von einem Knappen geführt.)


Heinrich. Halt an – halt an, lieber Treuhold! Nimmer vermag ich es, meinen müden Fuß zu erheben und diesen kranken Körper weiter zu schleppen – Sieh! hier ist ein Mahlstein. Hier will ich ausruhen. (setzt sich.) – O, wie thut das so wohl! Wie sitzt sich’s hier so gut! – Ach, ein brennender Durst hat meine Zunge wie Leder zusammengeschrumpfet. – Geh, guter Junge! hohle mir einen Trunk kühlendes Wasser aus der Quelle, die dort im Thale rauschet.

[4] Treuhold (für sich.) Unglücklicher Fürst! (Wischt sich eine Thräne aus dem Aug’ und geht ab.)

Heinrich. Der Arme! – Wie traurig er dahin schleicht! Eine Thräne des Mitleids glänzte in seinem Auge. – O, Dank Dir, allmächtige Gottheit! daß Du mir noch diesen Schatz übrig ließest! Du nahmst mir viel – sehr viel. Aber noch bin ich nicht ganz elend; weil unter den Millionen, die ich verlor, doch noch ein Freund mir übrig blieb, noch ein Herz für mich fühlet, noch ein Menschenaug mir des Mitleids edle Thräne weihet – – Aber, nur – nur einer blieb mir übrig, von all den Tausenden, die in dem Sommer meines Glücks sich an den Strahlen meiner Kaiserkrone erwärmten. – Alle, alle übrigen wichen vor dem Ungewitter meines widrigen Schicksals. Die Donnerkeile des dreyfachgekrönten Geistestirannen jagten sie von mir, daß sie flohen wie Sperlinge vor den Krallen des Geiers. – O Heinrich, Heinrich! wie tief ist der Abgrund in den Dich Priesterbosheit und Kinderundank herabschleuderten? – O, wer kann den Ozean des Elends ergründen, in den dich zwey gränzenlosboshafte Päbste und zwey undankbare Söhne versenkten? – Die Menschheit schaudert zurück. Die Natur empört sich, und die Teufel in der Hölle selbst erröthen bey der Riesengröße dieser Bubenstreiche.

[5] Treuhold (kommt zurück.) Da, gnädiger Herr! Labt Euch! Es ist kühles, reines Wasser. Ihr müßt schon aus meiner Blechhaube trinken. Ich habe kein anderes Gefäß Euch darzureichen.

Heinrich. Ach, gieb – gieb nur! (trinkt.) Dank dir, lieber Treuhold! – O, wie das mundet! besser als der köstlichste Wein, den mir einst mächtige Fürsten in goldenen Bechern reichten – Aber warum, guter Junge! schauest du so traurig auf mich? – Was soll dieser Blick des Mitleids? – diese Thränen, die auf deinen Augenwimpern schimmern?

Treuhold. Gnädiger Herr! Ich bin im Küraß zum Mann gewachsen, habe in blutigen Fehden und schrecklichen Schlachten gekämpfet: habe Vater und Brüder an meiner Seite hinstürzen und das Blut aus meinen eignen Adern fließen gesehen: Aber nie kam eine Thräne in meine Augen – und nun, wenn ich Euch betrachte; wenn ich all die zahllosen Ungerechtigkeiten überdenke, die man an Euch verübte; so muß ich weinen, wie eine schwache Dirne, wie ein Bube unter den Streichen der Ruthe.

Heinrich. Gott wird dir’s lohnen, biederer Knappe! daß du deinem unglücklichen Kaiser [6] eine Zähre schenkest. Ach, wie gern wollt’ ich deine Treue vergelten! Aber, ich bin ein Bettler! kann dir nichts geben als diesen brüderlichen Händedruck und diesen Kuß des Dankes – Ach, Treuhold! kein Menschenkind unter den Millionen, die auf dem Strome der Zeit aus der Urne der schaffenden Natur hervorrennen, hat so viel des Unglücks und der Leiden erduldet, als ich! – Ich habe die Schlangen in meinem Busen erzogen und ernährt die nun mein Herz mit giftigen Zähnen verwunden. Das Fleisch von meinem Fleisch, das Blut von meinem Blut, hat sich wider mich empört, und die, die ich mit zahllosen Wohlthaten überhäufte, rissen die Krone von meiner Scheitel, gaben mir diesen Stein zum Throne, diesen Stab zum Szepter, und diese Bettlerlumpen für den kaiserlichen Purpur. – Unstät, geächtet, verlassen von all meinen Kriegern und Höflingen; verfolgt von dem allvermögenden Fluche teuflischer Priester, muß ich umherirren in meinen eignen Landen wie ein Dieb – wie ein flüchtiger Mörder! – Jeder Gassenbube ist befugt, den Dolch in mein Herz zu stoßen und sich mit meinem Blut Ablaß seiner Sünden zu erwuchern. Meine eignen Kinder haben mir Krone und Länder gestohlen, und streben sogar nach meinem Leben. Selbst der mütterlichen Erde ist es verboten, mir eine Grabstätte zu verleihen, [7] wenn der wohlthätige Tod das Gewebe meines Jammers zerreisset. – O Treuhold – Treuhold! Sage, wo ist ein Mensch in der weiten Natur dessen Unglück das meinige erreichet? dessen Elend dem meinigen gleichet? Sag’ es – sag’ es, um Gottes willen! daß ich nicht verzweifle! –

Treuhold. Wovor Euch Gott behüte. Trauet auf die göttliche Vorsicht, gnädiger Herr! Sie wird Euch nicht verlassen; sie lenket den Gang aller Dinge und nichts bleibt ihr verborgen.

Heinrich. Nichts sagst du? Du irrst! – Auch ich lebte einst in diesem seligen Wahne. Aber, die Erfahrung zeigte mir den Betrug. – Schau umher in der weiten Natur! Sieh hier die unterdrückte – leidende Tugend! – Sieh dort das siegende, triumphirende Laster! Sieh hier einen tückischen Priester, der hinter dem Schilde der heiligen Religion, die Gesetze der Natur zu Boden tritt; Kinder gegen Väter, Väter gegen Kinder, Unterthanen gegen ihre Fürsten empört. und jeden nur denkbaren Greuel verübet! – Sieh dort einen undankbaren Sohn, der die diamantenen Bande der Natur zerreisset, und dem, der ihm das Leben gab, Habe und Leben raubet. – Sieh das alles! – und sage mir dann, kann eine [8] gerechte Vorsicht bestehen und das alles ungestraft geschehen lassen? Nein! sie bestehet nicht; sonst hätte ein Hildebrand nie das Licht des Tages erblicket; oder ein Donnerkeil hätte ihn in eben dem Augenblicke zu Boden geschmettert, als er den Fuß auf die Stufen des päpstlichen Thrones setzte.

Treuhold. Und doch, dünkt mich’s, könne trotz dem allen, eine gerechte Vorsicht bestehen. Der allmächtige Schöpfer verschiebt seine Strafen nur, die aber früh oder spät gewiß erfolgen. Starb nicht selbst Hildebrand im Elende? – Auch an Euren Söhnen wird der Himmel den Undank rächen, den sie an Euch verüben.

Heinrich. Wird er das? Glaubst du es? – – Nein, er soll es nicht! Mag ihnen Gott verzeihen; so wie ich ihnen vergebe. Zwar herb ist der Wermuth, den sie in die Schaale meines Lebens gossen – – Aber doch sind sie mein Blut – meine Kinder! – Nie würden sie so tief gesunken seyn, hätte sie nicht die Schlange der Priesterschaft verführet! Die speite Gift in ihre unbefangenen Seelen, machte den Saamen des Bösen in ihrem Herzen aufkeimen, und zerhaute mit dem Schwerte eines lügenhaftverdrehten Glaubens die heiligen Bande der Natur.

[9] Treuhold. O, wie seyd Ihr doch so gut – so edel! – Die beyspiellose Bosheit Eurer unmenschlichen Söhne vermochte noch nicht, die Liebe des Vaters aus Eurem Herzen zu tilgen. Nein, so hoch vermag sich meine Seele nicht zu erheben. – Glühende Wuth rollt durch jede meiner Adern, wenn ich daran denke, wie Euer eigner Sohn Euch mit bübischer List gefangen nahm, als Ihr an der Spitze eines mächtigen Heeres ihm mit väterlicher Milde zum gütlichen Vergleich die Hand reichtet, und wie er selbst mit nie erhörter Unverschämtheit die Kaiserkrone von Eurem grauen Haupte, und den Reichsapfel aus Euren Händen riß. –

Heinrich. Laß uns das vergessen, lieber Treuhold! Vielleicht werden sie einst ihr Unrecht erkennen und bereuen. Mögen sie es doch förder glücklich genießen, was sie mir raubten. Ich vergönne es ihnen aus der Fülle meines Herzens: Denn ich sehne mich nach Ruhe. – Die Größe, das Glück der Menschen ist ein Schiff mit dem die Wellen des unbeständigen Schicksals spielen. – Siehst du dort in der Ferne die prächtigen Thürme, die ihre Häupter majestätisch zum Himmel empor heben?

Treuhold. Wohl seh’ ich sie. Es sind die Thürme des Doms zu Speyer.

[10] Heinrich. Ja, das sind sie! – Diesen Dom hab’ ich mit Wohlthaten bereichert, habe dort der heiligen Jungfrau eine große Kirche erbauet, habe die Besitzungen dieses Stifts bis zu diesem Mahle erweitert, und dem Bischoff, meinem Freunde, viele Gnaden bezeiget. – Dorthin will ich mich verfügen, will eine geistliche Präbende annehmen, und das Geschäft meiner lezten Tage sey: für meine Feinde beten!

Treuhold. Ich folge Euch, gnädiger Herr! Ich hab’ ein Gelübde gethan, das ich halten will, so gewiß als ich wünsche, daß Gott mir in meiner lezten Stunde gnädig seyn wolle. Ich habe geschworen, Euch nie zu verlassen, bis der Tod uns scheidet.

Heinrich. Gottes Segen über dich, biederer Knappe! – Ja, du sollst mich begleiten, sollst mein Gefährte seyn, bis an die Schwelle des Todes, und sterb’ ich einst, so schließe du meine Augen, und bringe dem deutschen Vaterlande den lezten Gruß von seinem unglücklichen Kaiser. – Vielleicht wird es einst meine Unschuld erkennen, wenn meine Asche längstens ein Spiel verwehender Winde ist. – Komm! laß’ uns unsre Wanderschaft fortsetzen. Bald wird sie sich enden.

Treuhold. Der Himmel füge es.

(Sie gehen ab.)

[11]
Zweite Szene.

(Kreuzgang im Stifte zu Speyer. Der Bischoff in seinem Ornate, von vielen Domherren umgeben, geht stolz einher. Heinrich steht mit Treuholden schüchtern an der Pforte.)


Bischof (zu einem Domherrn.) Die heurige Jahreszeit verspricht eine reichliche Weinlese. Wenn er gedeiet, so laß’ ich Euch die Becher des Vespertrunks vergrößern.

Alle Domherren (mit tiefer Verbeugung) Dea gratias!

Bischof. Bruder Schaffner, sagt den Klosterknechten, daß sie das Frohngesinde mit größerer Strenge zur Arbeit antreiben. Man muß diese Hunde in der Zucht erhalten. Der Vogt soll die Gebühren des Stifts mit mehrerer Genauigkeit eintreiben, sonst werd’ ich ihn seines Dienstes entsetzen. (Einer von den Domherren verbirgt sich und geht ab. Der Bischof erblickt den Heinrich.) Was wollen die Leute dort? Vermuthlich ist’s wieder ein lumpichtes Bettelgesindel. Man muß den Thorwächtern gebieten, dergleichen schlechtes Gepak von den Pforten wegzupeitschen.

[12] Heinrich (naht sich schüchtern.) Gott zum Gruß, Ehrwürdiger Abt!

Bischof (düster.) Was verlangt ihr? Fremdlinge!

Heinrich. Eine Gnade, frommer Bischof! Ich bitt’ Euch, nehmet uns auf in Eurem Stifte. Wir wollen Euch dienen! Ich habe einst den Wissenschaften obgelegen und kann noch im Chore beten und singen.

Bischof. Welch eine vermessene Bitte? Wer seyd ihr, daß ihr euch erfrechet, so ein kühnes Gesuch zu wagen?

Heinrich. Wie? kennet Ihr mich nicht mehr? – Ist mein Name auch in Speyer schon vergessen? – O, fragt die prächtigen Kirchen und Thürme dieser Stadt! – Fragt selbst diese Wände, die Euch umgeben! – Sie werden Euch laut meinen Namen zurufen! Bischof! Du warst einst mein Freund, hast mir bey Deinem Priesterthume ewige Treue und Freundschaft geschworen. Ich habe Dich und Deine Stadt mit Gütern bereichert – Ach! habe nun auch Erbarmen; mit mir – Deinem Wohlthäter! Nimm mich auf in Deinen Dom und gieb mir nur eine [13] geringe Pflege für mein kränkliches Alter; nur ein Plätzchen, wo ich mein graues Haupt zur Ruhe legen kann! – Sieh! ich habe Reich und Hoffnung verloren. Die Fesseln meines Sohnes haben meine Arme wund gerieben und diesen alten Körper seiner letzten Kräfte beraubt – Um Gotteswillen! habe Mitleid – erbarme Dich des unglücklichen – verlassenen Heinrichs, daß sich einst auch der Himmel Deiner erbarmen möge. Nur eine einzige schlechte Zelle. Täglich ein Stückchen Brod und einen Trunk frisches Wasser, ist alles, was ich von Dir verlange – Bey den Wunden des gekreuzigten Heilands, dessen Priester Du bist, bitt’ ich Dich, hab’ Mitleid! erfülle meine Bitte!! –

Bischof. Nein, bey der mildthätigen Mutter des Herrn schwör ich’s, das werd’ ich nicht thun! – Wie? soll ich den Bannfluch unsres obersten Seelenhirten auch auf mich laden, der so schwer auf Euch ruhet! – Ihr seyd ausgestoßen aus der Gemeinde der Gläubigen, weil Ihr Euch der höchsten Gewalt unserer allein seligmachenden Kirche widersetztet, und ihr die rechtmäßigererbten Güter rauben wolltet. Der Fluch der ganzen Christenheit schwebet über Euch! – Kein frommer Gläubiger darf sich Eurer erbarmen. – Verdammt ist die Luft, die Ihr athmet! [14] Verdammt die Quelle, die Euch tränket, und verdammt die Speise, die Euch nähret! – Fliehet – Fliehet, Unglücklicher! aus dem Gebiete meines Bisthums, oder ich werd’ Euch dem Rachschwerte unserer heiligen Kirche, und ihrer mächtigen Freunde überliefern.

(ab.)

Heinrich (aus einer stummen Betäubung erwachend.) Allmächtige, gerechte und unbegreifliche Gottheit! Du siehst diesen gränzenlosen Frevel: und brauchst Deiner Donner nicht, diese Ungeheuer zu zerschmettern? – Sind das Deine Priester? – Priester eines Glaubens, dessen Grundfeste Sanftmuth und Liebe seyn soll? – Nein, nein! das ist nicht Christuslehre! – Die Teufel in der Hölle haben sich in seine Priester verwandlet um seine heilige Religion mit unerhörten Schandthaten zu beflecken.

Treuhold. Kommt, gnädiger Herr! Laßt uns fliehen aus diesem undankbaren Natternneste. Ich habe einen Vater, der ferne von hier, in einem düstern Walde eine kleine Hütte bewohnet – Dorthin will ich Euch führen, und die Arbeit meiner Hände soll Euch ernähren!

Heinrich (fällt ihm um den Hals.) Ja, ja, guter Treuhold! Ich folge dir! Führe mich bis [15] an das Ende der Welt, laß Wurzeln und Kräuter meine einzige Speise, und Löwen und Tiger meine einzigen Gesellschafter seyn – – Alles – alles ertrag’ ich gerne – nur bringe mich in einen Ort, der von keinem Priester verpestet wird.

(Beyde ab.)

Johann von Kalchberg.