Das Löchle
Franken und seine Dichter. – Amarants als Lichtverlöscher. – Der Alte in Streitberg. – Gößweinstein und seine Kirche. – Die Heiligenbilder der neuen Kirche. – Lessing und seine Gegner. – Warmensteinach und seine Paterlesfabriken. – Die Paterles, die Kaiserin von Brasilien und die Königin Pomare. – Das Löchle. – Die Zusammenkunft der Burschenschafter. – Das Stammbuch. – Jean Paul Richter und Sand. – Des Alten Name.
Auf die Höhen! Auf die Berge! Sie sind immer das Ziel meiner Wanderungen. Deshalb ging ich auch diesmal aus den Ebenen Nürnbergs und den engen Thälern der fränkischen Schweiz, in welchen es noch ziemlich düster aussieht, den Höhen des Fichtelgebirges zu, in welchem Jean Paul Friedrich Richter geboren wurde.
Es ist ein eigenthümliches Land, dieses Franken, voll schroffer [207] Gegensätze und Widersprüche. Dem mächtigen Frankreich und der großen Nation darin hat’s den Namen gegeben, während es selbst keine Macht und kein Volk mehr besitzt. Seine Geschichte ist ein wunderliches Durcheinander von aufblitzender Geistesthat und wasserspritzender Kapuzinade. Das katholische Land des ehemaligen Erzbisthums Bamberg liegt mitten im protestantischen Land des ehemaligen Markgrafenthums Bayreuth, und zuweilen bildete die Grenze einen tief aus den Besitzungen der brandenburger Fürsten in die der geistlichen, von der Jagdlust der erstern hineingetriebenen mächtigen Keil; denn die Nimrodsgelüste und die davon nicht selten bestimmte Jagd- und Landesgrenze wurden maßgebend, ob die Bauern nach der einen oder der andern Façon selig werden sollten, wie Ritter Lang in seiner Geschichte des Fürstenthums Bayreuth berichtet. So liegen denn noch heute katholische und protestantische Orte seltsam durcheinander, und wenn man von der ehemals markgräflich bayreuthischen Universitätsstadt Erlangen den geraden Fußweg nach Bayreuth wandern will, muß man durch die sehr bigot katholische fränkische Schweiz, einen der reizendsten Erdwinkel im lieben deutschen Vaterlande, ein wahres Cabinetsstück. Ein gleiches Verhältniß ist’s mit den Geistern; in Nürnberg lebt Daumer, der unversöhnliche Feind des Christenthums, und in Anspach Herr Oscar von Redwitz, der Verfasser des Amarant, der minnesingende Feind des Pantheismus, ja sogar des unschuldigsten, zahmsten und flachköpfigsten Rationalismus, und beide Herren sind deutsche Dichter, und machen ausgezeichnet schöne Verse.
Die Nürnberger hatten 1848 und 1849 viel lebendige Köpfe unter sich, und nachher bildeten sie eine freie Gemeinde. Damit ist’s freilich vorbei, und die Spitzen dampfen nur noch leise drüben „im Lande der Freiheit,“ denn die amerikanische Luft verhindert bekanntlich das Feuerspeien. Jetzt sind die Nürnberger erst wieder bei „Soll und Haben“ angelangt. Inzwischen zeigte mir doch Einer ein allerliebstes Nippes-Stück, das er sich nach seiner Angabe von einem Silberschmied hatte machen lassen, eine ganz kleine niedliche Dame, eine Art weiblichen Däumling von echtem Silber, halb als Ritterdame, ohngefähr à la Pucelle d’Orléans, halb als Nönnchen gekleidet, mit Schwert, Lanze und Fahne ausgestattet, einen großen Harfenstein unter dem Arme, knieend und ihren Rosenkranz abbetend. Aber das Figürchen war hohl bis in den Kopf und diente als Lichtverlöscher, als „gute Nacht.“ Auf dem betreuzten Schilde des Dämchens stand mit goldenen Buchstaben: „Amarant.“ Die Idee gefiel mir, und ich gebe sie hiermit den Fabrikanten anheim, ob sie nicht aus dem prächtig klingenden Worte Amarant einen passenden Gattungsnamen für die nützlichen Lichtkäppchen machen wollen. Vielleicht erleben die Amaranten in den Läden der Blechschmiede noch einmal einen reißenden Absatz und dann mögen sich die Herren dankbar des witzigen Nürnbergers erinnern.
Ich hatte den Sonnabend in dem köstlichen Streitberg im comfortablen Posthause zugebracht, wo ich wieder viel Nürnberger schöne Welt gefunden, und ging in der frischen, herrlichen, grünen Sonntagsfrühe das Thal der Wisent aufwärts nach Gößweinstein. Eh’ ich das grüne Streitberg verließ, warf ich noch einen Blick auf seine hübschen Häuser, seine malerische Ruine und seine freundlichen Gärten zurück. In einem der letzteren saß ein nicht mehr jugendlicher Mann von auffallendem Aeußern und speiste Milchsuppe aus einem irdenen Napfe. Seine Tracht erinnerte an die Jean Paul’s, wie sie die Statue auf dem Gymnasiumsplatze in Bayreuth so treu wiedergibt: Hemd ohne Halstuch und Weste, das den Hals offen, die Brust frei ließ; alter dunkelgrüner weiter salopper Ueberrock, alter lederner Gugelhut, wie ihn die Bilder Ulrichs von Hutten zeigen. Das lange, schmale, bleiche, runzelige Gesicht mit dem großen schneeweißen Geisbart rief mir die Gestalt Friedrich Ludwig Jahn’s zurück, des Turnvaters, doch hatte das alte Gesicht auch einige Aehnlichkeit mit dem Friedrich Fröbel’s, des Kindergärtners. Der ärmliche Mann machte einen seltsam tiefen Eindruck auf mich; ich konnte den ganzen Weg über sein Bild nicht wieder los werden.
Gößweinstein ist die Perle der fränkischen Schweiz. Die noch ziemlich erhaltene Burg liegt in schwindelnder Höhe auf dem schroffen Muschelkalkfelsen des linken Ufers der Wisent. Der Altan oben, von dem man aus das Thal und die weite Umgegend schaut, erinnert an die Bastei der sächsischen Schweiz. Jenseits des Burgberges zieht sich der freundliche Marktflecken, von waldigen Höhen und Schluchten umgeben, malerisch an der Bergwand hinab. Hier ragt auf einer andern Höhe die prächtige, zweithürmige heilige Dreifaltigkeitskirche, aus Sandsteinquadern erst vor hundert Jahren erbaut, einer der schönsten christlichen Tempel in einem so edlen und großartigen Styl, daß man ihn dem vorigen Jahrhundert kaum zutraut. An den Bezirk der Kirche stößt das stattliche Franciscanerkloster mit seiner Kirche, dessen Mönche sehr freundliche und liebenswürdige Herren sind. Vom Wirthshause unten im Thale bis zur Kirche zieht sich der angenehme Weg mit überraschenden, wechselnden Ansichten auf das Thal und die umliegenden Berghöhen fast eine halbe Stunde hinauf, in kleinen Zwischenräumen mit steinernen Stationen, die unter kleinen Dächern Bilder der heiligen Dreifaltigkeit haben, besetzt.
Aus dem tiefen Thale rutschten Bauernfrauen auf den Knieen in ziemlicher Anzahl, sonntäglich geputzt, die dicken Gebetbücher unterm Arm, die Rosenkränze in den Händen, betend den hohen Berg hinauf und in die Kirche, wo sie dann lange um den Hochaltar marschirten, die Kniee als Füße gebrauchend, immer Eine hinter der Andern, eine lange bunte Reihe. Vor den Stationen machten sie Halt und beteten Paternoster, die bekanntlich am Rosenkranz abgezählt werden. Auf der Plattform, von welcher sich die Kirche erhebt, stehen in Nischen und frei um sie viele steinerne Heiligenbilder, die nicht ohne Kunstwerth sind, meist Kirchenfürsten mit dem Krummstab und Mitra und Insul. Andere mögen Apostel vorstellen. Von Leuten aus dem Volke konnte ich die Namen dieser Heiligen nicht erfahren, und ein Kleriker, der sie mir hätte angeben können, war nicht zur Hand. Ich sah mir die schönen, frommen Gestalten lange und mit prüfendem Auge an.
„Die andre Kirche fängt jetzt auch an, ihre Heiligenbilder aufzustellen,“ sagte plötzlich ein Mann neben mir, in welchem ich den milchspeisenden Alten aus dem grünen Garten in Streitberg wieder erkannte.
„Welche andre Kirche meinen Sie?“ fragte ich erstaunt.
„Die Kirche der Humanität und der Aufklärung, die Gemeinschaft aller Menschen von Geist, Gemüth und wahrer Bildung. In Frankfurt am Main steht eine solche Heiligenstatue, in Stuttgart steht eine, in Weimar eine dritte, in Braunschweig eine vierte, im nahen Bayreuth eine fünfte; Berlin und Wien haben zwei Reiterstatuen von echten Wunderthätern des deutschen Volks. Bald wird sich zu der in Weimar errichteten noch eine zweite Statue, die des großen Carl August, erheben. Wir beugen nicht das Knie vor ihnen; aber die Glieder jener Kirche, welche, wenn auch nicht an Quantität, so doch an Qualität die bedeutendste der Welt ist, werden jedesmal von jener echten Andacht ergriffen, die zur That spornt für das Heil der Menschheit, wenn sie vor solch einem ehernen Heiligenbilde stehen. Unser Deutschland ist trotz alledem der Hauptsitz dieser Kirche.“
Es schimmere feucht in des Mannes Auge. Ich gab ihm schnell die Hand mit den Worten:
„Ich bin auch ein Glied dieser deutschen Kirche. Und die Heiligenbilder in Berlin und Wien, in Braunschweig und Bayreuth sind mir gar sehr lieb und werth. Die beiden Königssöhne und Vernunftkönige sitzen natürlich zu Pferd, während die beiden schlichten Pfarrerssöhne und Humanitätspriester zu Fuß sind; aber ehrliche, herrliche Menschen waren sie alle Viere. Der Pfarrersohn in Weimar hätte es gar zu gern auch ganz ehrlich gemeint, und er hatte das Zeug dazu, aber zu seinem Unglück war er herzoglich sachsen-weimarischer Generalsuperintentent.“
„Trotz aller Amaranten und Redwitziaden in zwölf Auflagen ist Deutschland die Wiege des Gedankens, und seine Kirche wird, wenn auch langsam, wachsen und gedeihen und den andern Ländern vorleuchten, bis Italien seinem Giordano Bruno, Spanien seinem Miguel Serveto, Holland seinem Baruch Spinoza die eherne Statue errichten wird.“
Der Sprecher entschwand mir wieder im Gedränge, und ich wanderte über die Bergrücken und lieblichen Thäler durch katholische und protestantische Dörfer nach Bayreuth hinüber, wo ich vor der Jean Pauls-Statue meine Andacht verrichtete. Die Ideenverbindung führte mir zugleich die Lessingstatue aus Braunschweig in die Seele, und mir fiel eine artige Geschichte ein, die mir dort erzählt wurde.
Als der große Lichtträger in dem hervorspringenden Hause auf dem Aegidienkirchhofe in der Blüthe des Mannesalters gestorben war, todt geärgert von Zeloten, die sich christliche Priester nannten, erhoben diejenigen der letztern, welche in Braunschweig das Recht hatten, das Volk von den Kanzeln zu belehren, ein Triumphgeschrei von ihren heiligen Rednerstühlen: „Seht, der Teufel hat den verruchten Gottesleugner, den Christusschänder geholt.“ Und sie fanatisirten den Pöbel in einem solchen Grade, daß er wuthschnaubend [208] in das Leichenhaus brach und die Leiche thätlich beschimpfte, die Leiche des größten deutschen Mannes! Dreißig Schritte vom Hause, wo diese Schandthat geschah, steht jetzt das herrliche Standbild von Erz, das Lessing’s Züge treu der vernünftigen und humanen Nachwelt überliefen.
Gedankenvoll wanderte ich in eins der schönsten Thäler des Fichtelgebirges, in das der Steinach, ein. Das Wandern auf Gebirgswegen erfrischt mich stets ungemein, und so langte ich denn am Spätnachmittag in einem hochgelegenen Dorfe an, wo ich mein Nachtlager aufzuschlagen gedachte, um in der frischen Frühe des folgenden Morgens den Ochsenkopf zu besteigen und die Quellen der vier Flüsse zu besuchen, welche von diesen Berghöhen nach den vier Weltgegenden ausgehen, der Main, die Saale, die Eger und die Raab. – Das Fichtelgebirge ist das kleinste Gebirge in Deutschland, und doch hat kein anderes so viel heimlich süße Romantik, so viel echte Bergpoesie.
Das Dorf Warmensteinach ist in mehrfacher Hinsicht merkwürdig. Erblich ist der obere Theil desselben katholisch und hat eine katholische Kirche, der untere Theil dagegen protestantisch, und hat eine lutherische Kirche, Sodann liegen die Häuser des Dorfes nicht, wie in der Regel die anderer Gebirgsdörfer, im Thale hübsch nachbarlich in Reih und Glied bei einander, sondern an den Bergwänden rechts und links und auf den Höhen so einzeln und weit von einander zerstreut, daß man eine volle Tagereise braucht, um jedes Haus nur auf einige Minuten zu besuchen. Dieser Umstand gibt begreiflicher Weise dem Dorfe ein sehr malerisches und fremdländisches Ansehen. Eine dritte Merkwürdigkeit sind die vier Paterlesfabriken, armselige, am klaren Bachgerinne, dessen Wasser sie nöthig haben, gelegene Hütten.
„Was ist eine Paterlesfabrik?“ fragen die Leser verwundert. Paterles sind massive Glasperlen von mannichfacher Größe, Form und Farbe; die meisten in Größe und Rundung einer Sauerkirsche ähnlich. Die zunächst häufige Form ist die von Tauben- und Hühnereiern. Endlich werden noch ganz kleine Ringe von Glas in großer Masse fabricirt, so klein, daß sie auch nicht an den Finger eines zweijährigen Kindes gesteckt werden können.
Die vierte und für mich größte Merkwürdigkeit von Warmensteinach ist ein altes, kleines, unscheinbares Haus, in den Eingang eines engen, düstern Seitenthalgrundes hart an die steile mit Tannen dicht bewachsene Berghöhe angedrückt; doch davon will ich nachher reden.
Ich besuchte eine der Paterleshütten. Ein mächtiger Ofen, aus Stein und Lehm in Häuserform erbaut, hatte ringsum 32 Oeffnungen. Im Ofen loderte ein Feuer, „als gält’ es Felsen zu verglasen.“ Hinter jeder Oeffnung über der Gluth erblickte ich eine thönerne Pfanne mit geschmolzener Glasmasse, jede anders gefärbt. Vor jeder Oeffnung saß ein Mann mit einer eisernen Spindel in der Hand, eine andere lag neben ihn, in einem Kästchen mit nassem Thon. Auf der Base hatte er eine Brille, um die Augen vor der Feuerhitze zu schützen. Abwechselnd bald mit der einen, bald mit der andern Spindel tauchte er in die weiche feurige Glasmasse im Ofen und drehte eine Perle in der Form, die ihm beliebte, ganz aus freier Hand. Daß dazu eine nur durch lange Uebung zu erlangende Geschicklichkeit gehört, leuchtet sogleich ein. Die fertige Perle fiel in ein vor der Ofenöffnung angebrachtes Kästchen; der Mann legte die erhitzte Spindel bei Seite und ergriff die andere, tauchte ihre Spitze erst in den nassen Thon, dann in das flüssige Glas und drehte eine Perle. Diese spielende Arbeit geht außerordentlich schnell von der Hand. Ich habe vergessen, wie viele hundert Perlen jeder Arbeiter täglich drehen kann, aber ihre Anzahl setzte mich in Erstaunen und läßt sich nach dem Preise bemessen, welchen der Mann täglich verdient. Der geringste Lohn für Anfänger ist nämlich 42 Xr. rhein., der höchste für den vollendeten fleißigen Arbeiter 1 fl. 45 Xr. rhein.
Ich stand und sah dem rührigen Schaffen der Leute zu, als ich eine Hand auf meiner Schulter fühlte. Mich umwendend, sah ich in das hagere alte Gesicht meines neuen bekannten Unbekannten aus Streitberg und Gößweinstein.
„Wissen Sie auch,“ fragte er mit seinem vertraulichen Tone, „wozu diese Glasperlen zumeist verwendet werden?“
„Wozu anders als zu weiblichem Schmuck, zu Hals- und Armbändern?“ versetzte ich.
„Fehlgeschossen!“ Und mit heiserer Stimme fuhr er leise und meinem Ohre nahe fort: „Zu Rosenkränzen! Die ganze katholische Christenheit, als da vorzüglich sind die österreichischen Staaten, Belgien, Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, Brasilien, Mexico, bezieht ihren Bedarf an Rosenkranzmaterial aus diesem Thale. Ja, mein Bester, in diesen unscheinbaren Glashütten werden Jahr ein Jahr aus Millionen Merkkügelchen für Millionen Gebete der alleinseligmachenden Kirche gedreht, und zwar von sündhaften protestantischen Händen; denn nur hier in dem lutheranischen Unterdorfe werden die Paterles von Ketzern gemacht: das katholische Oberdorf fabricirt keine. Wär’ es anders, die Fülle des Segens, die, ob solcher gottseliger Arbeit, auf diese Hütten und Perlendreher sich senken müßte, hätte ihres Gleichen in der Welt nicht; aber so – Sie sehen, wie ärmlich hier Alles aussieht!“
„Woher haben aber diese Perlen den seltsamen Namen Paterles?“ fragte ich meinen, wie es schien, gut unterrichteten neuen Bekannten.
„Eben vom Rosenkranz, der ja, wie Ihnen bekannt sein wird, von dem Gebete aller Gebete, dem Vaterunser, lateinisch Paternoster genannt wird. Das „noster“ wurde von dem Volksmund apokopirt und das Pater für die einzelne Perle mit der süddeutschen Diminutiv-Endung versehen, so entstand das neue Wort „Paterlein, Paterle.“ Cicero und die altrömischen Grammatiker hätten sich freilich nicht träumen lassen, daß das altgriechische in ihre Sprache übergegangene Wort pater im Fichtelgebirge eine solche naive Umwandlung erfahren und eine kleine Glasperle bedeuten würde. So haben auch Worte ihre wunderlichen Schicksale.“
„Und werden blos Rosenkränze aus den Paterles gemacht?“
„O nein! Sie hatten recht, auch Hals- und Armbänder in großer Anzahl. Namentlich werden die eiförmigen zu solchem Schmuck verwendet. Aus demselben Tiegel entwickeln sich die Mittel der Frömmigkeit und der Eitelkeit, und der Rosenkranz in der Hand der knierutschenden Amarant ist aus demselben Stoff wie das Halsband an ihrem Halse. Mit jenem will sie Gott gefallen, mit diesem dem Manne. Himmel und Erde liegen immer dicht neben einander, ja gehen in einander über, und Heiliger und Weltkind werden aus einem Topfe gespeist. Einer meiner Freunde aus diesen Bergen sah in der Hand der Kaiserin von Brasilien in der Kathedrale zu Rio de Janeiro einen prächtigen Rosenkranz und erkannte nicht ohne patriotischen Stolz in den Kugeln Paterles aus Warmensteinach. Hernach kam er auch auf die Gesellschaftsinseln und an den Hof der Königin Pomare. Diese prächtige dunkle fürstliche Dame war mit Perlenschnüren von grüner, rother, gelber und blauer Farbe fast ganz bedeckt. Es waren dabei welche aus Perlen von der Größe eines großen Hühnereies. Wie wuchs meinem Freunde der vaterländische Kamm, als er in diesem herrlichen Schmucke abermals Warmensteinacher Paterles erkannte! O mein Deutschland, wie bist du so reich! Die Kaiserin von Brasilien betet und die Königin von Otahiti schmückt sich aus dem irdenen Tiegel, der in diesem Ofen alte Glasperlen schmelzen läßt.“
„Von solcher Wichtigkeit sind diese Glasperlen!“ rief ich verwundert aus.
„Fragen Sie nur die speculativen protestantischen Herren von Nürnberg, die hier für ihre Rechnung arbeiten lassen, welchen Absatz sie davon nach Westindien, Südamerika, den Südsee-Inseln und Centralafrika haben, und Sie werden noch mehr erstaunen. Tag und Nacht wird in diesen vier Hütten gearbeitet, und doch ist nirgends Vorrath. Wie warme Semmeln gehen die Paterles ab. – Ganz unerklärlich bleibt die Verwendung der Paterles in der eigenthümlich kleinen Ringform. Dieser Artikel ist in der Levante, Berbern, Egypten, Ostindien und Südamerika so stark begehrt, daß man den jährlichen Absatz in dieser Sorte allein mit 1500 Centnern nicht zu hoch anschlägt, und 1000 Stück wiegen erst 1¼ bis 1 Pfund. Was machen die Leute dort damit? Jederfalls erstreben auch sie fromme und eitle, himmlische und weltliche Zwecke mit Glasringen, wie ihre Mitmenschen anderwärts mit Glasküglein. London, Paris, Leipzig, Frankfurt und Barmen beziehen meist nur kleine runde schwarze Perlen, deren Masse der Lava nachgeahmt ist, woraus dann an den genannten Orten Armbänder für die civilisirten Damen Europas fabricirt werden. Man darf den jährlichen Umsatz der vier Fabriken in Warmensteinach auf viele hunderttausend Gulden rhein. anschlagen.“
„Eine artige Summe!“ sagte ich mit voller Anerkennung, „zumal wenn man bedenkt, daß das Material nur wenig kosten kann.“
„Der Betrag ist kaum in Anchlag zu bringen. Meist entsteht diese ganze gläserne Herrlichkeit aus alten Glasscherben, die [209] im Lande für einige Kreuzer aufgekauft werden. Mittels Potasche und Soda werden sie eingeschmolzen, während welchen Processes durch andere Zusätze die Färbung bewerkstelligt wird. Bei einigen Farben können Glasscherben nicht verwendet werden, sondern zu diesen muß die flüssige Glasmasse aus Quarz, Flußspats, Land, Soda etc. erst erzeugt werden. Die Minerale werden in der Nähe gegraben, Soda und Potasche aus Unterfranken, letztere auch aus Ungarn bezogen. Die Masse wird erst in großen Tiegeln geschmolzen, aus diesen in frisch zuströmendes Wasser geschöpft, worin sie zwölf bis vierundzwanzig Stunden abgekühlt und dann in die kleineren Tiegel eingelegt wird, woraus die feinern Perlen einzeln, die ordinären in Rudeln zu zehn bis vierzehn Stück an eisernen Spindeln gedreht werden. Sie werden an der Luft abgekühlt, von Frauen an Maschen gezählt und dutzendweise zusammengebunden, worauf sie verpackt werden.“
Ich war während dieser Unterhaltung mit dem alten Manne, der mir immer interessanter wurde, aus der Hütte getreten und an seiner Seite einen lieblichen Pfad über die Sammtwiese einem engen Grunde zugewandert, der sich zwischen zwei steilen Bergen vor unsern Blicken aufthat und uns ein krystallklares Bächlein entgegen schickte. Am Eingange erblickte ich ein einfaches, mit grauen Brettern beschlagenes Haus von zwei Stockwerken und geringem Umfange, halb in Tannen und im Thalgrunde versteckt. Wir standen bald vor dem ärmlichen Gebäude. Mein Begleiter warf einen funkelnden Blick darauf. Mir schien es mehr als Zufall, daß er den Hut lüftete.
„Kennen Sie dieses Häuslein?“ fragte er mich plötzlich mit seinem heisern geheimnisvollen Tone.
„Nein!“ versetzte ich befremdet. „Was ist’s damit?“
„Ein Wirthshäusle ist’s, worin man sehr gutes Bier trinkt und äußerst schmackhafte Forellen speist. Es ist berühmt wegen dieser beiden Artikel.“
Das war wieder mit dem mir bekannten spöttischen Tone gesprochen.
„So kommen Sie herein!“ sagte ich herzlich, „und seien Sie mein Gast. Wir wollen Forellen essen und Bier trinken und uns dabei näher rücken. Wenn ich Ihnen nur halb so gefalle, wie Sie mir, so gehen wir als Freunde wieder heraus.“
Er blieb aber mit entblößtem Haupte und unverkennbarer Rührung in den altergrauen Zügen vor der schwelle stehen, faßte meine Hand und fragte mich bewegt: „Haben Sie nie vom Löchle gehört?“
Mir kam der Name nicht ganz unbekannt vor, doch fiel mir seine Bedeutung nicht bei, und ich fragte deshalb:
„Was hat das Wort zu bedeuten?“
„Es ist die landesübliche Abkürzung von Löchlein, Diminutiv von Loch, also kleines Loch. Sie haben doch auf einer deutschen Universität studirt. Waren Sie nicht ein Burschenschafter?“
„Ich hielt mich als Student von allen Verbindungen fern und studirte in den Jahren 1824 bis 1827 und zwar in Göttingen und Leipzig, wo damals die Blüthe der Burschenschaft vorüber war.“
„Das ist wahr. Nur die Jenaer und Erlanger Studenten aus jener Zeit wissen noch etwas vom Löchle zu erzählen.“
„Und doch kommen Name und Sache mir in die Erinnerung. So viel ich mich jetzt entsinne, ist es das Versteck, wo die Burschenschafter und Demagogen in den Jahren 1819 bis 1823, nachdem die seit 1815 von Jena aus gebildete allgemeine deutsche Burschenschaft von den Kalsbadischen Beschlüssen geachtet war, ihre heimlichen Zusammenkünfte hielten. Ich habe nie erfahren, wo dieses geheimnißvolle Haus lag.“
„Sie stehen davor. In diese einsame tiefe und schauerliche Bergschlucht in der Mitte Deutschlands, in dieses graue unscheinbare [210] Haus kam die Blüthe der deutschen wissenschaftlichen Jugend heimlich auf schwachbetretenen Gebirgspfaden von Jena und Halle an der Saale herauf, die unweit von hier über uns auf dem Berge entspringt, in der Nacht schweigsamer Tannenwälder, eine keusche, spröde Bergtochter. Ueber die Berge kamen diese herüber, und von Erlangen her wanderten andre am weißen Main herauf, in welchen auch dieses Bächlein fließt, wenn es erst in den rothen Main sich ergossen. Hier in dieser Stube saßen sie beisammen, die heißen, für Deutschlands Ruhm und Größe begeisterten Herzen, die noch für wahre Religion, für Treue und Glauben, für Tugend und Wahrheit, für Fleiß, Ordnung und Sittsamkeit, für eine keusche deutsche Wissenschaft und für freie Forschung in allen Gebieten derselben, für ein ehrliches Regiment und für den vernünftigen billigen Gesetzen schuldigen Gehorsam schwärmten. Hier hielten die Jenaer und Erlanger Burschenschaftsglieder ihre heimlichen Burschentage, wie die Heidelberger und Würzburger im Odenwalde, als der Herr Polizeiminister von Kamptz in Berlin die Burschenschafter als Majestätsverbrecher denuncirte, als die Ministerialconferenzen in Wien die Schlußacte vom 15. Mai 1820, den Hemmschuh der deutschen Geistesentwickelung, fertig machten, die Centraluntersuchungscommission in Mainz acht Jahre lang die deutsche studirende Jugend und ihre Lehrer belehrte, wie und auf welche Weise sie die Interessen des Vaterlandes zu fördern hätten.
„Sobald „die Mißverständnisse und Irrthümer“ über den Sinn des vielbesprochenen[WS 1] 13. Artikels der deutschen Bundesacte, die in den deutschen Ländern und namentlich unter der Verbindung der Burschenschaft auf den Universitäten obwalteten, so nachdrücklich in Wien, Berlin und Mainz zur Sprache kamen, und man von Köpenik aus, wo Burschenschafter in Masse in schwerem Gefängniß Geständnisse gemacht, immer stärkere Anklagen gegen den „verderblichen“ Geist der deutschen wissenschaftlichen Jugend erhob, wuchs die schwer verpönte Burschenschaft im Dunkel des Geheimnisses und der Wälder des Fichtelgebirges und des Odenwaldes reißend schnell. Und nun erst wurde zum Theil daraus, wessen man sie beschuldigt. Es ist wahr, in dieser Stube und draußen im Grunde sind Deutschlands politische Zustände einer scharfen, von Vaterlandsliebe und Jugendmuth, von stürmischer Begeisterung für eine der deutschen Bildung analoge staatliche, ausgesprochenen Kritik unterworfen worden. Freilich – freilich, es lief auch manche unreife Idee, manche hohle Phrase mit unter und die glühende Vaterlandsliebe ließ sie manche Thorheit sprechen! Mein Gott, aber auch welche flammende, welche erhabene Reden haben diese Wände vernommen!“
Wir waren unterdessen in die Stube getreten.
„Sie stehen an einer heiligen Stätte,“ fuhr der alte Mann feierlich fort, der mir in diesem Augenblicke sich um zwanzig Jahre verjüngt zu haben schien. Sehen Sie das Stammbuch der jungen redlichen herrlichen Männer um sich aufgeschlagen, die zum großen Theil in den Schlachten des deutschen Freiheitskampfes die Bluttaufe des deutschen Heldenthums erhalten, dann wenige Jahre später am unvergeßlichen Wartburgfeste die „überhand nehmende Neigung zu unfruchtbaren und gefährlichen Theorien“ auf drastische Weise documentirt hatten, und die nun hier den kühnen Gedanken aussprachen, wie solche Theorien, nach ihrer Meinung zum Heil Deutschlands und der Cultur, in die Praxis übersetzt werden könnten und müßten. Herr, Sie werden hier Namen lesen, würdig, in einem Pantheon der Menschheit zu glänzen, Namen, welche die Unsterblichkeit verdient hätten, wie irgend welche, die uns die Geschichte mit ihren heiligsten Segenssprüchen aufbewahrt hat, und die nun verhallt und verklungen sind, wie die Klage Ossians im Windsgeräusch. Ach, was ist aus ihren Trägern geworden? In den Schlachten der nordamerikanischen Union gegen die der kalten schlauen Krämerpolitik ungefügigen Rothhäute oder gegen die für die trockne Yankee-Weisheit nicht empfänglichen Mexicaner haben sie ihr edles Leben auf fremder Erde für eine fremde lügnerische Freiheit, die sie mit falschem Schimmer anzog, ausgehaucht, oder sie liegen gar in Afrika’s heißem Boden begraben, gefallen als französische Dienstknechte gegen die Bewohner der Berberei und des Atlas. Andre haben die Thränen zurückgedrängt und sich der höheren Staatsweisheit gefügt, Manche haben sich auch aufrichtig bekehrt und sind gute und treue Staatsdiener geworden. Was von diesen Namen noch lebt, ist nun alt und grau wie ich; ein leises Frösteln rinnt durch unsere Adern und ein ironisches Lächeln zuckt um unseren Mund, wenn wir die Steinmetzen der Harfensteine, diese Amarante, sich breitmachen sehen in diesen Landen und ihre zwölf Auflagen überzahlen.“
Er deutete mit der zitternden Hand auf die Tische, Thür- und Fensterbekleidungen. Da sah ich eine große Menge Namen eingeschnitten, alles Holz- und Täfelwerk war damit bedeckt. Ich las bekannte, ja berühmte Namen, aber ich nenne keinen, obgleich die besten davon die todter Männer sind. Ich las sie mit hoher Ehrfurcht. Sie gehören einer nun abgeschlossenen Periode der Geschichte an. Die Acten derselben können heute noch nicht vervollständigt werden, aber sie werden es einst, und die künftige Culturgeschichte Deutschlands wird auch von diesem „Löchle“ zu reden wissen. Damals sah nur ein deutscher Fürst, Carl August von Weimar, der Große, der „alte Herr,“ wie ihn die Gartenlaube so oft genannt hat, dem man jetzt das langverdiente Denkmal setzen wird, nur dieser eine Fürst sah klar genug, um den edlen, schönen Kern zu erkennen, der diesen Bestrebungen zu Grunde lag, und er war auch der einzige Fürst, der die großen hochfliegenden Träume der damaligen Jugend nicht geradezu verdammte und den verfolgten Jünglingen ein theilnehmender und helfender Beschützer blieb.
„Wann war wohl die erste Zusammenkunft der Burschenschafter hier?“ fragte ich meinen mir so lieb gewordenen Cicerone.
„Im Frühling 1818, als das Thal hier in üppiger Blüthe stand. Da kamen die prächtigen ehrlichen Burschen, voll von jungen Wartburgsideen, von Jena, Halle, Leipzig, Erlangen, Gießen auf einer heitern Burschenfahrt hier zusammen. Sie besuchten Jean Paul’s Geburtsstadt und die Orte, wo er gelebt und zum originellsten Dichter des deutschen Volkes aufgewachsen war, er, der die hohen heiligen Ideen der Freiheit mit glühender Seele ausgesprochen hatte, die sie nun mir glühender Seele als Thaten in’s Leben einführen wollten. Das Warmensteinacher Thal gefiel ihnen vorzüglich und das Löchle mit seinem Bier zumeist. Da war auch der unglückliche Sohn dieses Gebirges dabei, der mit Jean Paul Richter den gleichen Geburtsort hat, der beklagenswerthe Jüngling, der, dem finstern Geiste einer fanatischen Mystik verfallen, die unselige That beging, welche so großes Elend über Tausende seiner Brüder brachte, deren Folgen hemmend in die naturwüchsige Entwickelung des deutschen Geisteslebens eingriffen und ihr eine andere unerwartete Richtung gaben.“
„Sie meinen den unglücklichen Schwärmer Karl Ludwig Sand aus Wunsiedel.“
„Er hat den Beweis geliefert, daß jede Begeisterung für die heiligsten Güter des Lebens, Liebe, Vaterland, Tugend, Religion, wenn sie sich nicht eines klaren vernünftigen Zieles bewußt wird, zur unsittlichen Schwärmerei werden muß. Sand’s Geist hat sich auf ein Gebiet verirrt, wo noch nie Segen gesprossen ist, auf das der religiösen Mystik. Was er Religion nannte, ist jenes chamäleonische Wahngebilde, das den menschlichen Geist erhitzt und verwirrt, ihm die Schärfe der Vernunftschlüsse raubt und ihn zur unsittlichen That drängt, die er für ein Werk zur Ehre Gottes vollbracht hält. Keine Menschen werden dem ruhigen sichern Fortschritt der Geistescultur gefährlicher, als die religiösen Mystiker und Schwärmer, die doch gerade sie am meisten zu fördern wähnen. Darum kann man nicht genug auf die Verderblichkeit der modernen Amaranten-Schöpfungen hindeuten. Zum Glück ist die Schwärmerei der heutigen Herren Poeten eine gemachte, und das düster flammende Auge ist nicht vom Spiritus sanctus, sondern von einem andern erhitzt. Nur im kühlen Schatten der Vernunft gedeiht das wahre Heil des Menschengeschlechts. Rufen Sie die deutsche Jugend zu den Standbildern Lessing’s, Herder’s, Jean Paul’s, Friedrich’s des Großen und Joseph’s II. und machen Sie ihr begreiflich, was diese Männer in Wort und That erstrebten, und wenn sie den Geist derselben begreift, so hat Niemand Schlimmes von ihr zu fürchten.“
„Es ist ein eigenthümliches Schicksal der kleinen Gebirgsstadt Wunsiedel, daß sie einen so erhabenen Geist, wie Jean Paul, und einen unseligen Schwärmer, wie Sand, hervorbrachte, und das Thun und Treiben Beider zeigt, daß Deutschland seit einer Generation wieder zurückgegangen ist.“
„Nicht doch!“ lächelte mein Alter, „das ist nur scheinbar. Jean Paul war ein mächtiger Schritt vorwärts, Sand nur ein kleiner Schritt rückwärts. Das Löchle steht verödet, was darin einst verhandelt wurde, ist scheinbar alles vergebens gewesen; aber wie der Wind den leichten Samen der größten Gewächse weit von dannen und auf öde Felder führt, die sich dann mit fruchtbarem Grün überkleiden, so der geheimnißvolle Hauch des Geistes, der aus der abgeblühten Geistesarbeit den Samen pflückt und ihn der Nachwelt Überbringt. Ein anderes Geschlecht nimmt dann die Arbeit auf, wo wir sie [211] fallen lassen mußten; „denn Alles ist Frucht und Alles ist Samen.“ Glauben Sie mir, Lessing, Herder, Jean Paul, Carl August, König Friedrich und Kaiser Joseph haben nicht vergebens gelebt; auch nicht die jungen Männer, die hier sprachen und sangen, obgleich es ihren Ideen an der nöthigen Reife fehlte und ihre Namen vergessen sind. Auch diese graue Hütte ist eine Entwickelungsstufe des deutschen Geistes, der Weltcultur. Auch hier versuchte die Puppe den Sarg zu durchbrechen; aber die jungen Flügel waren noch nicht stark genug, ihn auf die Höhen zu tragen, von wo das Leben ganz zu überblicken ist. Vergessen Sie aber nur nicht, daß die Welt ein Ganzes ist, und in diesem All kein Sonnenstäubchen verloren geht.“
„Sie saßen also selbst mit unter den Burschenschaftern in diesem Hause?“
Sein blaugraues Auge blitzte.
„Freilich!“ entgegnete er wieder im geheimnißvollen Tone. „Auf der Wartburg war ich auch dabei.“
„Und Sie scheinen sich nicht zum Staatsdienst bequemt zu haben.“
„Nicht doch. Der paßt für mich nicht. Ich muß ein armer Mann bleiben.“
„Darf ich nicht Ihren Namen erfahren? Er wird mir unvergeßlich sein.“
„Wozu ein Name?“
„So wollen Sie mich nicht wissen lassen, wer Sie sind?“
Er sah mich eine Weile ruhig an. Dann spielte das ironische Lächeln stärker als zuvor um seine Lippen.
„Ich bin Ulrich von Hutten’s Erbe,“ sagte er spöttisch. „Als er starb, hinterließ er mir all’ seine Habe, sein Schwert und seine Feder. Ich habe sie jetzt in einem Schreine wohl verschlossen. Ich bin’s auch, der Martin Luthern die Nägel reichte, als er die Theses gegen den Ablaßkram an die Kirchenthür in Wittenberg schlug. Ich habe noch einige von diesen Nägeln; sie liegen bei Hutten’s Schwert und Feder.“
Es war Nacht geworden. Mit leisem, halb ironischen, halb wehmüthigen Lachen verlor er sich vor meinen Augen im Föhrenwalde.
War der Mann ein Wahnsinniger oder ein Fabulist? Ich habe nie seinen Namen erfahren können, so sehr ich auch danach forschte.
Am andern Morgen stand ich auf der Kuppe des Ochsenkopfs und schaute rückwärts in das sonnig überglänzte Frankenland.
Dort unten in der Eremitage bei Bayreuth hatte Friedrich der Einzige vor hundert Jahren gewohnt, im Lande seiner Väter, dort hatte Voltaire Komödie gespielt, dort hatte Jean Paul mit Frau Rollwenzel disputirt. Weiter unten sind Friedrich Rückert und August Platen geboren. Zwar liegt Redwitz nicht weit von Wunsiedel und Gößweinstein nicht weit von Nürnberg. Aber getrost! Jene Saat gesäet von Gott wird doch ihre Früchte tragen.
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