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Das Kloster – 2 (Gemälde der Dresdener Gallerie)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Adolph Görling
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Titel: Das Kloster
Untertitel: Von Philipp Wouvermann
aus: Stahlstich-Sammlung der vorzüglichsten Gemälde der Dresdener Gallerie
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1848–1851
Verlag: Verlag der Englischen Kunst-Anstalt von A. H. Payne
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Erscheinungsort: Leipzig und Dresden
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Quelle: Commons
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[Ξ]

II. Abtheilung.
The Cloister.     Das Kloster.
Klasztor.

[344]
Das Kloster.
Von Philipp Wouvermann.

In Brabant, im Hennegau und an den französischen Ostgrenzen herrschte eine pestartige Seuche, welche dem Tode eine reiche Ernte zuführte. Diese war im höchsten Grade ansteckend und die Furcht vor der Ansteckung machte die Menschen unbarmherzig; sie schlossen und sperrten sich ab; flohen von ihren nächsten Verwandten, sobald diese von der Krankheit ergriffen wurden und nur die Zellenbrüder, von der Regel des heiligen Franziscus von Assisi, wagten es, die Todten aus den Häusern zu holen, und sie still ohne Sang und Klang zu begraben. Zur Kirche [345] ging längst Niemand mehr, denn man hatte sich vollständig davon überzeugt, daß der heilige Rochus nicht zu bewegen war, der Pest Einhalt zu thun.

Die Mönche beteten wohl wie ihre Vorschrift ist, in ihren Kirchen und Kapellen, aber es half auch nicht viel, denn die armen Klostergeistlichen starben unaufhaltsam hin, so daß manches Monasterium nicht so viel Hände mehr hergeben konnte, um den Todten die letzte Liebe zu erweisen. Die frommen Väter schrieben nach Lothringen und nach Frankreich, um sich neue Brüder zu erbitten; aber diese blieben aus, obgleich viele Segenswünsche ankamen.

Damals lag dicht an der Straße, unweit eines Städtchens zwischen Lüttich, Namur und Huy ein uraltes Kloster, das nach einander das Besitzthum verschiedener Orden gewesen war. Die Mönche hatten sich hier aber nie sehr gefallen, denn zuerst hatten sie keine Einkünfte, sondern mußten arbeiten, pflügen und graben und auf die Früchte ihres Gartens Acht haben, wenn sie leben wollten, weil sie von den, durch den beständigen Krieg ganz verarmten Bewohnern der Gegend sehr wenig Unterstützung erbitten konnten und dann war das Klostergebäude selbst in sehr erbärmlichem Zustande, verfallen vor Alter und dazu von Kanonenkugeln allenthalben sehr übel zugerichtet.

Endlich kamen Capuziner zu vier oder fünf und hatten sich’s im Kloster bequem gemacht, wobei ihnen die Bauern getreulich Beistand geleistet. Sie hatten ihre Brüder in Frankreich nach ihrem Kloster eingeladen und es kamen noch mehre Väter des Ordens, die sich ziemlich wohl befanden, denn sie arbeiteten fleißig und der Prior, welcher sonst ein sehr finsterer und strenger Oberherr für die Mönche war, verstand die Kunst, die Leute aus weit entfernten, gesegneten Gegenden zu bewegen, daß sie dem armen Kloster Geld schickten, wofür die zerschossene kleine Kirche wieder aufgebaut werden sollte. Die Kirche ist zwar nie wieder erbaut, der Bau selbst nicht einmal begonnen. Das schadete indeß nichts, die Mönche konnten ganz gut in ihren Zellen und auf dem weiten Flur mit den großen Kreuzgewölben beten, obgleich sie an letzterem Platze nicht vor Regen sicher waren – und das thaten sie auch und dankten Gott besonders dafür, daß er ihnen die Mittel bescheerte, in dem guten Refectoriums-Saal vorzüglich zu speisen, anstatt verurtheilt zu sein, nach langem Fasten sich ein anderes Asyl zu suchen.

Diese Mönche hatten den Pestkranken des Städtchens und der Umgegend nach allen Kräften beigestanden, bis zuletzt auch sie bis auf drei herabgeschmolzen waren. Diese drei Patres-Capuziner waren schon ziemlich alt; der jüngste war der Prior des Klosters selbst, welcher sechzig Jahr zählte. Sie hatten einmüthig beschlossen, sich weiter um keinen Menschen zu bekümmern, sondern im Kloster zu bleiben bis die Pest vorbei sein würde und das war auch gut möglich, denn die drei Menschen hatten auf lange Zeit Mundvorrath in ihren Kellern. Sie schlossen also das Kloster zu und ergaben sich stillen Betrachtungen; öffneten auch die Thüren nicht, die Leute mochten läuten oder pochen, wie sie wollten.

In dieser Zeit war’s, daß eines Abends – es war im Frühlinge – inmitten des strömenden Regens ein Capuziner durch die leeren Straßen des Städtchens schlich, neben welchem das alte Kloster lag. Er klopfte an mehre Thüren und fand endlich Einlaß. Die arme Frau, welche ihm öffnete, hatte augenscheinlich nicht viel im Fall ihres Todes auf der Welt zu verlieren, darum freute sie sich über den geistlichen Besuch und beichtete mit wahrer Herzensandacht, während der Capuziner ihr gegenüber am Tische sich setzte, seinen Schnappsack öffnete und nicht im [346] geringsten sich um das Sündenbekenntniß bekümmernd, Brod und Käse und Zwiebeln aß und dann eine Flasche mit Wein hervorzog, der er mit der Miene eines zum Tode Erschöpften zusprach.

– Ehrwürdiger Pater, aber Ihr hört ja gar nicht! sagte die Frau, ihre drei Kinder zur Ruhe verweisend und verwundert aus ihrer demüthigen Stellung aufblickend.

– Das ist auch gar nicht nöthig, liebe Frau. Der heilige Vater in Rom hat hier der ganzen Gegend, so lange die Pest währt, vollen Ablaß ertheilt . . . Warum soll ich Euch noch erst abhören und absolviren?

– Ach ja, da habt Ihr Recht!

– Ueberdem bin ich so sehr ermüdet, daß ich kaum reden kann.

– Großer Gott, Ihr spürt doch nicht etwa, als ob Ihr die Krankheit bekämet? Ihr seid ja blaß wie der Tod!

In der That war der Mönch auffallend blaß und sein schwarzer Bart und seine dunklen Augen ließen diese Blässe fast erschreckend erscheinen.

– Ja ich bin blaß, sagte der Capuziner, die Pest ist zwar hinter mir – er lächelte bitter – aber über mich hat sie keine Gewalt. Von welcher Regel sind die Mönche in dem Kloster drüben am Felde?

– Es sind heilige Väter Capuziner wie Ihr! sagte die Frau.

Der Mönch machte ein finsteres Gesicht.

– Sind viele Mönche oben?

– Drei; aber sie lassen Niemand in’s Kloster; sie fürchten sich vor der Krankheit.

– Es ist nicht anders möglich; vorsprechen muß ich . . . murmelte der Pater . . . Gott segne Dich! Hier hast Du eine Belohnung für deine Gastfreundschaft.

Er reichte ihr ein kleines Papierpäckchen.

– Jesus! Ihr tragt Geld bei Euch? rief die Frau, die Hände zusammenschlagend.

– Nein! Dies ist ein Pulver. Werdet Ihr oder eines der Kinder von der Pest ergriffen, so genießt hiervon und Ihr werdet nicht sterben.

Die Frau küßte das triefende Ordenskleid des Paters und dieser ging, da der Regen vorüber war, nach dem Kloster zu.

Eine zerfallene Mauer zog sich um den weiten Klosterhof. Man konnte ungehindert hineinsehen und gehen, denn die Thür fehlte. Gleich neben dem Eingange war die von Quadersteinen gebaute Treppe angebracht, welche in’s Innere des Gebäudes führte. Hier sah man noch Spuren von Kanonenkugeln. Lange Grasbüschel drängten sich zwischen den verschobenen Steinen hervor und melancholisch hingen Moose und Schlingpflanzen, von dichtem Epheu durchwebt um die Haupteingangsthür. Oben über dem Gesims stand wie zum Spott: Domine, non recuso laborem! Weiter hinten auf dem Klosterhof stand die zerstörte Kapelle, die Geldquelle der Väter und ein paar alte Wirthschaftsgebäude. Uebrigens war, wenn man einen halbverhungerten Hund ausnimmt, welcher vor Freuden heulend den Pater begrüßte, Alles öde und leer. Seltsamerweise schien dieser Anblick dem Pater sehr wohl zu thun, denn sein Gesicht erheiterte sich auffallend.

– Hier ist vielleicht das Ende meiner Pilgerschaft mir beschieden! sagte er für sich.

Er zog die Klingel an der Thür. Die Glocke über der Thür läutete hell und durchdringend . . . Es erschien Niemand. Der Capuziner läutete mit großer Beharrlichkeit immerfort, [347] hielt einen Augenblick inne, rief aus allen Kräften; dann läutete er wieder und der Hund begleitete mit Heulen den ungewohnten Ton.

Der Capuziner nahm seinen Schnappsack von der Schulter, horchte blitzenden Auges nochmals und nahm mehre eiserne Instrumente heraus. Er drehte das Thürschloß auf . . . Der Riegel aber hielt noch; einen Augenblick und der Pater hatte einen starken Stab gefunden an welchem er eine Art von Brecheisen befestigte, womit er rasch das Schloß sprengte. Nachdem er seine Instrumente wieder vorsichtig beigesteckt hatte, ging er auf den Flur des Klosters. Er durchwanderte die Gänge . . . eine sonderbar widerwärtige Atmosphäre umgab ihn . . . Als er eine der Zellen öffnete, lag ein todter Pater drin. Im Refectorio, wo der Tisch gedeckt und jetzt verschimmelte Speisen aufgesetzt waren, lag ein anderer Mönch mit dem Gesicht auf dem Tische – todt.

– Es waren drei Patres im Kloster, sagte die arme Frau. Der Capuziner flüsterte: Hoffentlich wird der letzte auch todt sein.

Er fing an, die sämmtlichen Zimmer zu durchsuchen. Aber er war nicht weit gegangen, da hörte er Aechzen und halberstickte Klagen. Als er das Zimmer öffnete, lag der Prior Deodatus, wie zum Hochamt angekleidet, auf seinem Ruhebett, das heilige Oel neben sich um das letzte Sacrament sich selbst zu geben. Sein Auge leuchtete noch einmal auf, als er den Ordensbruder erblickte.

– Gott zum Gruß und Jesum zum Trost, flüsterte der Prior. Ich werde nicht ohne Beichte und Absolution sterben.

– Ihr habt die Pest! sagte der Fremde, ihm fest in’s Gesicht blickend. Ich will es wenigstens versuchen, ob es noch hilft . . .

– O, ich sterbe leichter!

– Nein, Ihr sollt womöglich das Mal gar nicht sterben.

Und der fremde Pater schüttete dem vergebens Widerstrebenden eine große Dosis von dunklem Pulver ein.

– Du vergiftest mich! stöhnte der Prior, fast erstickend.

– Das würde nichts ausmachen, wenn der Vergiftete ohnehin nur noch ein paar Minuten zu leben hätte.

Der Prior fiel bald in tiefen Schlaf, aber in drei Tagen war er vollkommen genesen. Der Fremde – er hieß Rochus – war dagegen so schwach geworden, daß er sich in seine Zelle zurück zog und selbst nicht an dem Gebete und Gesange Theil nehmen konnte, sondern nur zuhörte was der Prior sagte. Rochus war ein Laienbruder aus Frankreich; aber der Erzbischof von Cambray schickte ihm die Decretalien als Ordensgeistlicher und versprach, ihn sofort zu weihen, wenn die Zeit der leiblichen Trübsal vorüber gegangen sein werde. Rochus blieb in dem alten Kloster und fing an, für die Pestkranken Medizin zu machen und in der That heilte er Alle, die sein Mittel gebrauchten.

Der Prior Deodatus schrieb diese Erfolge, die weit und breit bekannt worden waren, einem alten hölzernen Marienbilde zu, das seit langer Zeit neben alten halb vermoderten Altardecken und abgenutzten Kirchengeräthen in einer dunklen Kammer gelegen hatte. Er forderte zu Wallfahrten nach diesem Bilde auf und bat um reiche Almosen, denn wie bemerkt, er liebte [348] sehr das Gold und war unermüdlich, immer mehr zusammenzutreiben. Die Wallfahrer kamen und die Almosen blieben auch nicht aus, so daß der Schatz des Klosters sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit vermehrte. Doch weigerte sich seltsamerweise der Prior, noch Brüder außer dem Pater Rochus anzunehmen, indeß er vorschützte, daß endlich erst gründlich das Kloster in den Stand gesetzt werden müsse, um eine mäßige Zahl von Ordensleuten nicht allein aufzunehmen sondern auch auf die Dauer zu erhalten, damit nicht das alte Elend wiederkehre und das Kloster am Ende gänzlich aufgegeben werden müsse. Der Bischof und der Erzbischof wollten mit Gewalt dem Prior Klosterleute aufzwingen; aber Deodatus schrieb an den päpstlichen Nuntius am kaiserlich-östreichischen Hofe, da der Nuntius bei der Krone Frankreich des Erzbischofs Bruder war. Er schrieb aber: daß das der Maria geopferte Geld und die sonstigen Kostbarkeiten ihr Eigenthum sein und bleiben und nicht zum Unterhalte von Ordensleuten gebraucht werden sollten. Dem Papst selbst stände der Schatz zu Gebote, aber keinem Menschen weiter in der Welt und Kraft seines Juraments bezeuge er, daß er – der Prior – und Pater Rochus von ihrer eignen Hände Arbeit lebten und selbst entbehren müßten. Der Prior behielt das Geld, welches sich täglich vermehrte und blieb mit Rochus allein, ohne jedoch aber zu entbehren.

Dazu hatte er noch einen besondern Grund, welcher sich wiederum auf Deodatus’ Habsucht stützte.

Pater Rochus hatte nämlich nicht allein unter den ersinnlichsten Vorwänden immer noch seine Ordination hinauszuschieben gewußt, sondern nie noch geistliche Uebungen mit seinem Vorgesetzten abgehalten. Er schützte ein Gelübde vor, sich dieser Uebungen so lange enthalten zu wollen, bis er wahrhaft ihrer würdig sei. Deodatus hatte nicht mehr aus ihm herauszubringen vermocht, und, fanatisch und streng, wie der Prior war, würde es dem blassen Besieger der Pest bei der gedrohten Anzeige seiner schändlichen Weigerung gar schlecht ergangen sein, wenn Rochus nicht ein unfehlbares Mittel angewandt hätte, um den Prior zum Schweigen zu bringen.

Rochus begann damit, eine Beichte, und zwar die erste seit er im Kloster war, abzulegen. Er gestand dem Prior, daß er erst dann seinem Profeß nachzukommen geschworen habe und nicht mehr im Stillen seine Andacht und seine Gebete verrichten werde, wenn Gott ihm das Zeichen dazu gebe.

– Und welches soll dies eigenthümliche Zeichen sein? fragte der Prior.

– Wenn ich Edelsteine machen kann, die ächt sind, wie die aus der Erde gegrabenen – dann, dann ist mein Ziel erreicht[WS 1] und das Zeichen gegeben. Gold kann ich bereits machen!

In der That konnte Pater Rochus als ihn der Prior zum Beweis seiner Behauptung drängte aus Quecksilber, Schwefel und Kupfer eine Composition herstellen, die vom ächten Golde nur durch die genauesten Untersuchungen eines Kenners zu unterscheiden war. Seit dieser Zeit brauchte Pater Rochus gar nicht mehr zuzuhören, wie der Prior betete, denn dieser arbeitete mit ihm unermüdet im Laboratorio und machte Gold. Hieraus ließ der Prior in Lüttich Monstranzen arbeiten „zum wunderthätigen Marienbilde,“ die vom Erzbischofe geweiht, als von persischem Golde gemacht, sehr theuer verkauft wurden. Nie aber noch hatte der Prior das eigentliche Geheimniß der Kunst des Pater Rochus diesem abzulocken vermocht. Das Gold, welches der Prior allein machte, hatte noch nie Probe gehalten.

[349] – Ich sage es nicht! hatte der Pater Rochus auf alle Fragen und Bitten geantwortet, worüber der Prior ganz tiefsinnig wurde, obgleich sein Reichthum sich reißend schnell vermehrte.

Der Erzbischof von Cambray überraschte die beiden laborirenden Capuziner eines Tages fast bei der Arbeit. Er und sein Gefolge besahen sich das Marienbild und dann kündigte der Würdenträger dem Bruder Rochus an, daß er für seine bei der Pest erworbenen Verdienste am andern Tage im Dome zu Huy als Priester geweiht werden solle. Vergebens betheuerte Rochus, daß das Marienbild die Heilungen bewirkt habe; der Erzbischof drehte verachtend dem Bilde, das ihm vielen Aerger verursacht hatte, den Rücken und befahl, sich bereit zu halten.

An demselben Abende heulte und schrie Prior Deodatus durch die zerfallenen Mauern seines Klosters. Pater Rochus war fort, sein Schnappsack, seine Instrumente und – sein Geheimniß mit ihm. Der Prior ließ die Bauern aufbieten und diese brachten am andern Morgen den flüchtigen Capuziner richtig wieder in’s Kloster. Rochus mußte neben dem Prior mit einer Procession nach Huy gehen, und sich zum Priester weihen lassen. Seit dieser Zeit sagte er kein Wort mehr, arbeitete auch nicht mehr. Der Prior verzweifelte.

– Du sollst nichts mehr thun, rief er, ich wills allein machen . . . Sag mir aber die Kunst, sag sie . . .

Rochus schwieg wie ein Trappist. Er mochte etwa fünfzehn Monate im Kloster gewesen sein, als der Prior eine Gelegenheit fand, seinen widerspenstigen Untergebenen in die Gewalt zu bekommen. Es war eines Abends im Herbst die Klosterglocke geläutet. Der Prior sah aus dem Fenster: eine Gesellschaft von armen Reisenden befand sich vor der Thür und bat um Almosen. Ein alter, bärtiger Jude mit einem Zinngießer-Korbe auf dem Rücken stand neben seinem zerlumpten Weibe, die ein etwa zweijähriges Kind auf dem Arm trug und mit gellender Stimme ihren schwarzkopfigen sechsjährigen Jungen rief, welcher noch immer an der Thürglocke zog. Baarhäuptig, mit ungeschornem Kinn stand beschämt ein kaum dreißigjähriger Mann hinter ihnen – er trug die Kleidung eines Festungssclaven mit der odiösen Nummer auf Brust und Rücken. Augenscheinlich hatte er seine Strafzeit überstanden und kehrte in die Heimath zurück – ein saurer Weg. Dicht am Eingange der offnen Pforte saß ein jugendliches Weib, eine Jüdin mit festgebundenem Kopftuch. Sie war besser, als die Andern gekleidet und blickte starr und trübe zur Erde, während sie ihr kleines Kind tränkte. Deodatus sah gleichgültig über diese Gruppen hinweg, als Pater Rochus mit dem großen Küchenlöffel erschien, welcher mit kalter Hafersuppe gefüllt war. Der Alte zog eine Schale hervor und Judoh, der Junge empfing triumphirend seine Portion. Dem Sträfling brachte Rochus als er zum zweiten Mal erschien, selbst eine alte Schale. Kaum aber hatte er den Mann befriedigt, so ließ der Capuziner seinen Löffel fallen und erhob beide Arme zum Himmel. Die an der Pforte sitzende Frau hatte ihm das Gesicht zugewandt.

– Mirjam! rief der Pater und im nächsten Augenblicke hatte er das Weib und ihr Kind umschlungen.

– Ben Salomon! Mein Herr und mein Gatte! kreischte die Frau. Ich sehe Dich wieder . . . Aber, o Adonai, wie sehe ich Dich wieder . . . Du bist ein Christ und ein Priester, gleich unsern Verfolgern geworden . . .

Ben Salomon besann sich.

[350] – Schweig, schweig! Geh auf der Straße nach Lüttich fort. Heute Nacht bin ich bei Dir! sagte er in Ebräisch.

– Du gehst nicht! rief der Prior.

Ein kleiner Krüppel dem ein Schlitten statt der Beine diente, brachte aber sammt dem Sträflinge die Nachricht ins Städtchen, daß Pater Rochus ein Jude sei. Und während dieser sich damit in ängstlicher Hast beschäftigte, dem Prior seine Geheimnisse zu offenbaren und zu erklären, um fliehen zu dürfen, kam ein Schlag andrer Art für den falschen Capuziner. Stadtknechte erschienen und verlangten den Juden Ben Salomon zu sehen, den sie augenblicklich banden und nach dem Gefängnisse brachten. Er, der Chemiker, der blasse Adept war derjenige, welcher in Valenciennes dadurch die Pest gemacht hatte, daß er die Brunnen vergiftete. Man hatte sein Vermögen längst eingezogen und seine Frau zum Thore hinausgejagt. Jetzt hatte sich der Jude sogar als Klostergeistlicher weihen lassen . . . Der Prior seufzte; Salomon war unrettbar dem Tode verfallen und das Urtheil, er solle in Cambray aus Gnade mit einem Pulversack unter dem Halse verbrannt werden, ließ vom geistlichen und weltlichen Gerichte bestätigt, nicht lange auf sich warten. Während Mirjam in Namur im Gefängniß als seine vermuthliche Mitschuldige schmachtete, mußte Ben Salomon den Holzstoß in Gegenwart einer unübersehbaren Menschenmenge besteigen. Die hohen Gerichtspersonen, der ganze Klerus war gegenwärtig . . . Der Henker hielt bereits die brennende Fackel in der Hand um dem armen Sünder sein Phönixfeuer anzuzünden.

Da wird die Menge unruhig, Geschrei ertönt; die Leute drängen sich . . . Der fette Erzbischof ist unter Convulsionen niedergesunken und liegt im Sterben.

Der Prior Deodatus hatte vergebens Alles angewandt, um seinen getreuen Gefährten zu retten. Jetzt trat er vor.

– So fiel ich nieder und der dort am Pfahl gab mir das Leben wieder, wie so vielen unter Euch! Laßt ihn wenigstens lebendig, damit er den hochwürdigsten Erzbischof rette; denn ich weiß, er kann’s! rief der Prior aus allen Kräften.

Ben Salomon ward losgebunden. Mit schwimmenden Blick sah er den dicken Prälaten an.

– Die Pest! sagte er. Schlagt dem Herrn Erzbischof, bis die Fußsohlen bluten und laßt mich frei. Ich schwöre, ich kehre zurück.

In seinem Leichenhemde, von Schaaren des Volkes umgeben, schritt der arme Sünder zum Apotheker, kam in einer halben Stunde zurück und eine Stunde darauf konnte der Erzbischof befehlen, daß Ben Salomon sammt seiner Familie frei und ehrlich nach Deutschland geschafft werde.

Prior Deodatus wußte die Kunst Gold zu machen; der Jude hatte sie ihm aus Dankbarkeit schriftlich erklärt. Aber der Prior nahm sein Geheimniß in’s Grab. Von Ben Salomon hörte man nichts mehr.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ereicht