Benutzer:Shruggy/Baustelle/4
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Erster Auftritt.
[Bearbeiten]Achilles. Der Chor.
Achilles.
Wo find’ ich hier den Feldherrn der Achiver?
(Zu einigen Sclaven.)
Wer von euch sagt ihm, daß Achill ihn hier
an des Euripus Mündung nun das Heer;
ein jeder freilich nimmt’s auf seine Weise.
Der, noch durch Hymens Bande nicht gebunden,
ließ öde Wände nun zurück und weilet
entwich von Weib und Kindern. So gewaltig
ist diese Kriegeslust, die zu dem Zug
nach Ilion ganz Hellas aufgebothen,
nicht ohne eines Gottes Hand! – Nun will ich,
wer sonst was vorzubringen hat, verfecht’
es für sich selbst! – Ich habe Pharsalus
verlassen und den Vater – Wie? Etwa,
daß des Euripus schwache Winde mich
ich meine Myrmidonen, die mich fort
und fort bestürmen – „Worauf warten wir
denn noch Achill? Wie lang’ wird noch gezaudert,
bis wir nach Troja unter Segel gehn?
uns lieber wieder heim, anstatt noch länger
ein Spiel zu seyn der zögernden Atriden.“
Zweiter Auftritt.
[Bearbeiten]Clytemnestra zu den Vorigen.
Clytemnestra.
Glorwürd’ger Sohn der Thetis! Deine Stimme
vernahm ich drinnen im Gezelt, drum komm’ ich
Achilles
(betroffen.)
Heilige
Schamhaftigkeit! – Ein Weib – von diesem Anstand –
Clytemnestra.
Kein Wunder, daß Achill mich nicht erkennet,
der mich vordem noch nie gesehn – Doch Dank ihm,
daß ihn der Scham Gesetze heilig sind!
Achilles.
in’s griech’sche Lager, wo man Männer nur
und Waffen sieht?
Clytemnestra.
Ich bin der Leda Tochter,
und Clytemnestra heiß’ ich. Mein Gemahl
ist König Agamemnon.
Achilles.
Viel und genug
Nicht wohlanständig wäre mir’s, mit Frauen
Gespräch zu wechseln.
Clytemnestra.
Bleib. Was fliehest du?
Laß, deine Hand in meine Hand gelegt,
das neue Bündniß glücklich uns beginnen.
Achilles.
Zu sehr verehr’ ich Agamemnons Haupt,
als daß ich wagen sollte, zu berühren,
was mir nicht ziemt.
Clytemnestra.
Warum dir nicht geziemen,
da du mit meiner Tochter dich vermählest?
Achilles.
Doch nein, du redest so, weil du dich irrest.
Clytemnestra.
Auch dieß Erstaunen find’ ich sehr begreiflich.
Uns alle pflegt – ich weiß nicht welche – Scheu
bei’m Anblick neuer Freunde anzuwandeln,
Achilles.
Nie, Königinn, hab’ ich um deine Tochter
gefreit – und nie ist zwischen den Atriden
und mir ein solches unterhandelt worden.
Clytemnestra.
Was für ein Irrthum muß hier seyn? Gewiß,
die deine mich nicht minder in Erstaunen.
Achilles.
Denk nach, wie das zusammenhängt! Dir muß,
wie mir, dran liegen es herauszubringen.
Vielleicht, daß wir nicht beide uns betrügen!
Clytemnestra.
Vermählung, fürcht’ ich, läßt man mich hier stiften,
die nie seyn wird und nie hat werden sollen.
O wie beschämt mich das!
Achilles.
Ein Scherz vielleicht,
den jemand mit uns beiden treibt! Nimm’s nicht
Clytemnestra.
Leb’ wohl. In deine Augen kann ich ferner
nicht schaun, da ich zur Lügnerinn geworden,
da ich erniedrigt worden bin.
Achilles.
Mich laß
vielmehr so reden! – Doch ich geh’ hinein,
(wie er auf das Zelt zugeht, wird es geöfnet.)
Dritter Auftritt.
[Bearbeiten]Der alte Sclave zu den Vorigen.
Sclave.
(in der Thüre des Gezelts.)
Halt Aeacide! Göttinnsohn, mit dir
und auch mit dieser hier hab’ ich zu reden.
Achilles.
Wer reißt die Pforten auf und ruft – Er ruft
wie außer sich.
Sclave.
Ein Knecht. Ein armer Nahme,
mich –
Achilles.
Wessen Knecht? Er ist nicht mein, der Mensch.
Ich habe nichts gemein mit Agamemnon.
Sclave
Des Hauses Knecht, vor dem ich stehe. Tyndar,
(auf Clytemnestra zeigend)
ihr[WS 1] Vater, hat mich drein gestiftet.
Achilles.
Nun!
mich aufzuhalten.
Sclave.
Ist kein Zeuge weiter
vor diesen Thoren? Seid ihr ganz allein?
Clytemnestra.
So gut als ganz allein. Sprich dreist – erst aber
verlaß das Königszelt und komm hervor.
Sclave
(kommt heraus.)
erretten, die ich gern erretten möchte!
Achilles.
Er spricht von etwas, das noch kommen soll,
und von Bedeutung scheint mir seine Rede.
Clytemnestra.
Verschieb’s nicht länger, ich beschwöre dich,
Sclave.
Ist dir bekannt, was für ein Mann ich bin,
und wie ergeben ich dir stets gewesen,
dir und den Deinigen?
Clytemnestra.
Ich weiß, du bist
ein alter Diener schon von meinem Hause.
Sclave.
das du dem König zugebracht – Ist dir
das noch erinnerlich?
Clytemnestra.
Recht gut. Nach Argos
bracht’ ich dich mit, wo du mir stets gedienet.
Sclave.
So ist’s. Drum war ich dir auch jederzeit
Clytemnestra.
Zur Sache.
Heraus mit dem, was du zu sagen hast.
Sclave.
Der Vater will – mit eigner Hand will er –
– das Kind ermorden, das du ihm gebohren.
Clytemnestra.
Was? Wie? – Entsetzlich! – Mensch! du bist von Sinnen.
Sclave.
will er mit mörderischem Eisen schlagen.
Clytemnestra.
Ich Unglückseligste! – Ras’t mein Gemahl?
Sclave.
Sehr bei sich selbst ist er – Nur gegen dich
und gegen deine Tochter mag er rasen.
Clytemnestra.
Sclave.
Ein Götterspruch, der nur um diesen Preis,
wie Kalchas will, den Griechen freie Fahrt
versichert.
Clytemnestra.
Fahrt! Wohin? – Beweinenswerthe Mutter!
Beweinenswürdigeres Kind, das in
Sclave.
Die Fahrt nach Ilion, Helenen heim
zu hohlen.
Clytemnestra.
Daß Helene wiederkehre
stirbt Iphigenie?
Sclave.
Du weißt’s. Dianen
will Agamemnon sie zum Opfer schlachten.
Clytemnestra.
die mich von Argos rief – Wozu denn die?
Sclave.
Daß du so minder säumtest, sie zu bringen,
im Wahn, sie ihrer Hochzeit zuzuführen.
Clytemnestra.
O Kind! Zum Tode kamest du. Wir kamen
Sclave.
Ja, bejammernswürdig, schrecklich
ist euer Schicksal. Schreckliches begann
der König.
Clytemnestra.
Weh mir! Weh! Ich bin verloren.
Ich kann nicht mehr. Ich halte meine Thränen
nicht mehr.
Sclave.
Ein armer, armer Trost sind Thränen
Clytemnestra.
Sprich aber: Woher weißt du das? Durch wen?
Sclave.
Ein zweiter Brief ward mir an dich gegeben.
Clytemnestra.
Mich abzumahnen oder anzutreiben,
daß ich die Tochter dem Verderben brächte?
Sclave.
Der Herr war Vater wiederum geworden.
Clytemnestra.
Unglücklicher! Warum mir diesen Brief
nicht überliefern?
Sclave.
Menelaus fieng
ihn auf. Ihm dankst du alles was du leidest.
(er geht ab.)
Clytemnestra
(wendet sich an Achilles.)
Achilles.
Bejammernswerthe Mutter! – – Aber mich
hat man nicht ungestraft mißbraucht.
Clytemnestra.
Mit dir
vermählen sie mein Kind um es zu würgen!
Achilles.
Ich bin entrüstet über Agamemnon,
Clytemnestra
(fällt ihm zu Füßen.)
Und ich erröthe nicht, mich vor dir nieder
zu werfen, ich, die Sterbliche, vor dir,
den eine Himmlische gebahr. Weg eitler Stolz!
Kann sich die Mutter für ihr Kind entehren?
der Mutter, mit der Unglückseligen Erbarmen
die deiner Gattinn Nahmen schon getragen!
Mit Unrecht trug sie ihn. Doch hab’ ich sie
als deine Braut hieher geführt, dir hab’ ich
hab’ ich geschmückt, ein Opfer hergeführt!
O! das wär’ schändlich, wenn du sie verließest:
War sie durch Hymens Bande gleich die Deine
noch nicht – Du wardst als der geliebteste
Bei dieser Wange, dieser Rechte, bei
dem Leben deiner Mutter sei beschworen!
Verlaß uns nicht! Dein Nahme ist’s, der uns
in’s Elend stürzt – Drum rette du uns wieder.
Altar, zu dem ich Aermste fliehen kann.
Hier lächelt mir kein Freund. Du hast gehört,
was Agamemnon gräßliches beschlossen.
Da steh ich unter rohem Volk – ein Weib,
zu jedem Bubenstück bereit – auch brav,
gewiß recht brav und werth, sobald sie mögen![1]
Versichre du uns deines Schutzes, und
gerettet sind wir! Ohne dich verloren.
Chor.
gebiert das Weib, und quält sich für’s Gebohrne!
Achilles.
Mein großes Herz kam deinem Wunsch entgegen.
Es weiß zu trauern mit dem Gram und sich
des Glücks zu freuen mit Enthaltsamkeit.
Chor.
das ist es, was den Weisen macht!
Achilles.
Es kommen Fälle vor im Menschenleben,
wo’s Weisheit ist, nicht allzuweise seyn,
es kommen andre, wo nichts schöner kleidet,
in Chirons Schule, des Vortrefflichen.
Wo sie gerechtes mir befehlen, finden
gehorsam die Atriden mich, die Stirne
von Erzt, wo sie unbilliges gebiethen.
und den Achiverkrieg, was an mir ist,
mit meines Armes Heldenthaten zieren.
Du jammerst mich. Zu viel erleidest du
von dem Gemahl, von Menschen deines Blutes.
erwart’s von mir! – Er soll dein Kind nicht schlachten.
An eine Jungfrau, die man mein genannt,
soll kein Atride Mörderhände legen.
Es soll ihm nicht so hingehn, meines Nahmens
Mein Nahme, der kein Eisen aufgehoben,
mein Nahme wär’ der Mörder deiner Tochter,
und Er, der Vater, hätte sie erschlagen.
Doch theilen würd’ ich seines Mordes Fluch,
gegeben hätte, so unwürdig, so
unmenschlich, ungeheuer, unerhört,
die unschuldsvolle Jungfrau zu mißhandeln.
Der Griechen lezter müßt’ ich seyn, der Menschen
Als Menelaus müßt’ ich seyn[2]. Mir hätte
nicht Thetis, der Erinnen eine hätte
das Leben mir gegeben, wenn ich mich
des Königs Mordbegier zum Werkzeug borgte.
der Göttlichen, die mich zur Welt gebohren!
Er soll sie nicht berühren – nicht ihr Kleid
mit seines Fingers Spitze nur berühren.
Eh’ dieß geschiehet, decke ewige
wenn der Atriden Stammplatz, Sipylus,
im Ohr der Nachwelt unvergänglich lebet.
Es mag der Seher Kalchas das Geräthe
zum Opfer nur zurücke tragen – Seher?
für eine Wahrheit zehen Lügen sagt.
Geräth es? Gut. Wo nicht, ihm geht es hin.
Es gibt der Jungfraun Tausende, die mich
zum Gatten möchten – Davon ist auch jezt
In meinen Willen hätt’ er’s stellen sollen;
ob mir’s gefiele, um sein Kind zu frein?
Gern’ und mit Freunden würde Clytemnestra
in dieses Bündniß eingewilligt haben.
alsdann zum Opfer sie verlangt, ich würde
sie meinen Kriegsgenossen, würde sie
dem Wohl der Griechen nicht verweigert haben.
So aber gelt’ ich nichts vor den Atriden,
Doch dürfte, eh’ wir Ilion noch sehn,
dieß Schwerdt von Blut und Menschenmorde triefen,
wenn man’s versuchte, mir sie zu entreissen.
Sei du getrost. Ein Gott erschien ich dir.
Chor.
An dieser Sprache kennt man dich, Achill,
und die Erhabene, die dich gebohren.
Clytemnestra.
O Herrlichster! Wie stell ich’s an, wie muß
ich reden, um zu sparsam nicht zu seyn
durch mein ausschweifend Rühmen zu verscherzen.
Zu vieles Loben, weiß ich wohl, macht dem,
der edel denkt, den Lober nur zuwider.
Doch schäm’ ich mich mit ew’ger Jammerklage,
den Glücklichen, den Fremdling zu ermüden.
Doch Fremdling oder nicht – wer Leidenden
beispringen kann, wird auch mit ihnen trauern.
Drum hab’ mit uns Erbarmen. Unser Schicksal
dich Sohn zu nennen – ach sie war vergebens!
Auch schreckt vielleicht dein künftig Ehebette
mein sterbend Kind mit schwarzer Vorbedeutung,
und du wirst eilen, sie zu fliehn![3] Doch nein,
und willst du nur, so lebt mein Kind. Soll sie
etwa selbst flehend deine Knie umfassen?
So wenig dieß der Jungfrau ziemt, gefällt
es dir, so mag sie kommen, züchtiglich,
Wo nicht, so laß an ihrer Statt mich der
Gewährung süßes Wort von dir vernehmen.
Achilles.
Die Jungfrau bleibe, wo sie ist. Daß sie
verschämt ist, bringt ihr Ehre.
Clytemnestra.
Auch verschämt seyn
Achilles.
Ich will es nicht. Ich will nicht, daß du sie
vor meine Augen bringest, und wir beide
boshaftem Tadel Preis gegeben werden.
Ein zahlreich Heer, der heimatlichen Sorgen
mit häm’schen, ehrenrührigen Gerüchten.
Und mög’t ihr flehend oder nicht vor mir
erscheinen, ihr erhaltet weder mehr
noch minder – denn beschlossen ist’s bei mir,
Das laß dir gnügen. Glaub’, ich rede ernstlich.
Und sterben mög’ ich, hab’ ich deine Hofnung
mit eitler Rede nur getäuscht. Rett’ ich
die Jungfrau – nein, da werd’ ich leben.
Clytemnestra.
Lebe
Achilles.
Nun höre,
wie wir’s am besten einzurichten haben.
Clytemnestra.
Laß hören! Dir gehorch’ ich gern.
Achilles.
Zuvor erst
muß man es mit dem Vater noch versuchen.
Clytemnestra.
Ach, der ist feig und zittert vor der Menge!
Achilles.
Clytemnestra.
Ich hoffe nichts. Doch sprich, was muß ich thun?
Achilles.
Fall’ ihm zu Füßen! Fleh’ ihn an, daß er
sein Kind nicht tödte! Bleibt er unerbittlich,
dann komm zu mir! – Erweichst du ihn, noch besser.
bleibt leben, ich erhalte mir den Freund,
auch bei dem Heer vermeid’ ich Tadel, hab’ ich
durch Gründe mehr als durch Gewalt gestritten.
Und so wird alles glücklich abgethan,
und meines Armes braucht es nicht.
Clytemnestra.
Du räthst
verständig. Es geschehe, wie du meinest.
Mißlingt mir’s aber – wo seh’ ich dich wieder?
Wo find’ ich Aermste diesen Heldenarm,
Achilles.
Wo’s meiner Gegenwart bedarf, werd’ ich
dir nahe seyn, und dir’s ersparen, vor
dem Heer der Griechen dich und deine Ahnherr’n
durch Jammer zu erniedrigen. So tief
– ein großer Nahme in der Griechen Land!
Clytemnestra.
Wie dir’s gefällt. Ich unterwerfe mich.
Und, gibt es Götter, Treflichster! Dir muß
es wohl ergehn! Gibt’s keine – Warum leid’ ich?[4]
(Achilles und Clytemnestra gehen ab.)
Vierte Zwischenhandlung.
[Bearbeiten]Chor.
der Hochzeitgesang,
den zu der Zitter tanzlustigen Tönen,
zur Schalmei und zum libyschen Rohr,
sang der Kamönen
auf Peleus Hochzeit und Thetis der Schönen!
Wo die Becher des Nektars erklangen
auf des Pelion wolkichten Kranz,
kamen die zierlich gelockten und schwangen
Mit dem melodischen Jubel der Lieder
feierten sie der Verbundenen Glück.
Der Berg der Centauren hallte sie wieder,
Pelions Wald gab sie schmetternd zurück.
schöpfte des Nektars himmlische Gabe
Jovis Liebling, der phrygische Knabe
in die Bäuche des goldnen Pokals.
Funfzig Schwestern der Göttlichen hüpften
tanzten den Hochzeitreigen, und knüpften
reitzende Ring’ mit verschlungener Hand.
Gegenstrophe.
Grünen Kronen in dem Haar,
und mit fichtenem Geschosse,
kam auch der Centauren Schar,
angelockt von Bromius Pokale
kamen sie zum Göttermahle.
Heil dir, hohe Nereide!
der Thessalierinnen Chor,
Heil dir! sang der Mädchen Chor.
Heil dir! Heil dem schönen Sterne,
das aus deinem Schooß ersteht!
der verborgnen Zukunft späht,
und der auf den unbekannten
Stamm der Musen sich versteht,
Chiron, der Centaure – nannten
der zu Priams Königsitze
kommen würde an der Spitze
seiner Myrmidonenscharen
in des Speeres Wurf erfahren,
in des Räubers Vaterland –
auch die Rüstung, die er würde tragen,
künstlich von Hephästos Hand
aus gediegnem Gold geschlagen,
die den Seligen empfangen.
So ward von den Himmlischen
Thetis Hochzeitfest begangen!
Epode.
Dir, Agamemnons thränenwerthem Kinde,
erzogen, und der Pfeife Klang,
still aufgeblüht im mütterlichen Schooß,
dem Tapfersten der Inachiden
dereinst zur süßen Braut beschieden,
Dir flechten einen Kranz von Blüthen
die Griechen in das schöngelockte Haar.
Gleich einem Rinde, das der wilde Berg gebahr,
das, unberührt vom Joch, aus Felsenhöhlen,
wird dich der Opferstahl entseelen.
Dann rettet dich nicht deine Jugend,
nicht das Erröthen der verschämten Tugend,
nicht deine reitzende Gestalt!
Es spricht mit frechem Angesichte
den heiligen Gesetzen Hohn.
Die Tugend ist aus dieser Welt geflohn,
und dem Geschlecht der Menschen drohn
Anmerkungen.
[Bearbeiten]- ↑ [63] Gewiß recht brav, sobald sie mögen.) Diese Stelle hat Brumoy zwar sehr gut verstanden, auch den Sinn, durch eine Umschreibung freilich, sehr richtig in’s Französische über getragen, aber ihre wirkliche Schönheit scheint er doch nicht erkannt zu haben, wenn er sagen kann: je crains, de n’avoir été que trop fidelle à mon original, à ses dépens et aux miens. Die Stelle ist voll [64] Wahrheit und Natur. Clytemnestra, ganz erfüllt von ihrer gegenwärtigen Bedrägniß, schildert dem Achilles ihren verlassenen Zustand im Lager der Griechen, und in der Hitze ihres Affekts kommt es ihr nicht darauf an, in ihre Schilderung des griechischen Heers einige harte Worte mit einfließen zu lassen, die man ihr als einer Frau, die sich durch ein außerordentliches Schicksal aus ihrem Gynäceum plözlich in eine ihr so fremde Welt versezt, und der Discretion eines trotzigen Kriegsheers überlassen sieht, gerne zu gute halten wird. Mitten im Strom ihrer Rede aber fällt es ihr ein, daß sie vor dem Achilles steht, der selbst einer davon ist; dieser Gedanke, vielleicht auch ein Stirnrunzeln des Achilles, bringt sie wieder zu sich selbst. Sie will einlenken, und je ungeschickter desto wahrer! Im Griechischen sind es vier kurze hinein geworfene Worte: χρήσιμον δ᾽, ὅταν θέλωσιν[WS 2], woraus im Deutschen freilich noch einmal soviel geworden sind. Prevôt, dessen Bemerkungen sonst voll Scharfsinn sind, verbessert seine Vorgänger hier auf eine sehr unglückliche Art: Clytemnestre, sagt er, veut dire et dit, à ce qu’ il me semble, aussi clairement qu’il étoit nécessaire, qu’Achille peut se servir de son ascendant sur l’armée pour prévenir les desseins d’Agamemnon. Le P. Brumoy n’eût point trahi son auteur en [65] exprimant cette pensée. Nein! Ein so gesuchter Gedanke kann höchstens einem eiskalten Kommentator, nie aber dem Euripides oder seiner Clytemnestra eingekommen seyn!
- ↑ [65] Ja, hassenswerther selbst als Menelaus müßt’ ich seyn.) Der griechische Achilles drückt sich beleidigender aus. „Ich wäre gar nichts und Menelaus lief in der Reihe der Männer.“ Hassen konnte man den Menelaus als den Urheber dieses Unglücks, aber Verachtung verdiente er darum nicht.
- ↑ [65] Und du wirst eilen sie zu fliehn!) Ich weiß nicht, ob ich in dieser Stelle den Sinn meines Autors getroffen habe. Wörtlich heißt sie: „Erstlich betrog mich meine Hofnung, dich meinen Eidam zu nennen; alsdann ist dir meine sterbende Tochter vielleicht eine böse Vorbedeutung bei einer künftigen Hochzeit, wovor du dich hüten mußt. Aber du hast wohl gesprochen am Anfang wie am Ende.“ Der französische Uebersetzer erlaubt sich einige Freiheiten, um die Stelle zusammenhängender zu machen. Mais d’un autre côté, quel funeste présage pour votre hymen, que la mort de l’épouse, qui vous fut destinée! le second malheur intéresse l’épous aussi bien que la [66] mère. Enfin qu’ajouterois - je à vos paroles etc. Hier und nach dem Buchstaben des Textes ist es nur eine Warnung; ich nahm es als einen Zweifel, eine Besorgniß der Clytemnestra. So sehr diese durch Achilles Versicherungen beruhigt seyn könnte, so liegt es doch ganz in dem Charakter der ängstlichen Mutter, immer Gefahr zu sehen, immer zu ihrer alten Furcht zurück zu kehren. Auch das, was folgt, wird dadurch in einen natürlichen Zusammenhang mit dem vorhergehenden gebracht. „Aber alles, was du sagtest, war ja wohl gesprochen,“ d. i. ich will deinen Versicherungen trauen.
- ↑ [66] Gibt’s keine Götter – warum leid’ ich?) Gewöhnlich übersetzt man diese Stelle: ἐι δὲ μὴ, τί δεῖ πονεῖν; als eine allgemeine moralische Reflexion: gibt’s keine Götter – wozu unser mühsames Streben nach Tugend? Moralische Reflexionen sind zwar sehr im Geschmack des Euripides, diese aber scheint mir im Mund der Clytemnestra, die zu sehr auf ihr gegenwärtiges Leiden geheftet ist, um solchen allgemeinen Betrachtungen Raum geben zu können, nicht ganz schicklich zu seyn. Der Sinn, in dem ich diese Stelle nahm, wird durch seine nähere Beziehung auf ihre Lage gerechtfertigt, und der Buchstabe des Textes schließt ihn nicht aus. [67] „Gibt es keine Götter, warum muß ich leiden, d. h. warum muß meine Iphigenie einer Diana wegen sterben?“
Anmerkungen (Wikisource)
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