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Benutzer:Shruggy/Baustelle/5

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Vierter Akt Iphigenie in Aulis von Euripides, übersetzt von Friedrich Schiller
Fünfter Akt.


Erster Auftritt.

[Bearbeiten]
[24]

Clytemnestra kommt. Der Chor.

Clytemnestra.
Ich komme, meinen Gatten aufzusuchen,
noch immer bleibt er aus, es ist schon lange,
daß er das Zelt verließ – und drinnen weint
und jammert die Unglückliche, nun sie

1370
erfuhr, was für ein Schicksal sie erwartet.

Er nähert sich, den ich genannt. Der ist’s,
das ist der Agamemnon, den man bald
verrucht wird handeln sehn an seinen Kindern.


Zweiter Auftritt.

[Bearbeiten]
[24]

Agamemnon. Vorige.

Agamemnon.
Gut, Clytemnestra, daß ich außerhalb

1375
des Zelts dich treffe und allein. Ich habe

mich über Dinge mit dir zu besprechen,
die einer Jungfrau, die bald Braut seyn wird,
nicht wohl zu hören ziemt.

[25]

Clytemnestra.
 Und was ist das
wozu die Zeit sich dir so günstig zeiget?

Agamemnon.

1380
Laß deine Tochter mit mir gehen! – Alles

ist in Bereitschaft, das geweihte Wasser,
das Opfermahl, das heil’ge Feu’r, die Rinder,
die vor der Hochzeit am Altar Dianens,
in schwarzem Blute röchelnd, fallen sollen.

Clytemnestra.

1385
Gut redest du. Daß ich von deinem Thun

ein Gleiches rühmen könnte! – Aber komm’
du selbst heraus, mein Kind!
(Sie geht und öfnet die Thür des Gezelts.)
 Was dieser da
mit dir beschlossen hat, weißt du ausführlich.
Nimm unter deinem Mantel auch den Bruder

1390
Orestes mit dir.

(Zu Agamemnon, indem Iphigenie heraustritt.)
 Sieh’, da ist sie, deine
Befehle zu vernehmen. Was noch sonst
für sie und mich zu sagen übrig bleibt,
werd’ ich hinzuzusetzen wissen.



Dritter Auftritt.

[Bearbeiten]
[26]

Iphigenie mit dem kleinen Orestes zu den Vorigen.

Agamemnon.
Was ist dir Iphigenie? – – – Du weinst?

1395
Du siehst nicht heiter aus – du schlägst die Augen

zu Boden und verbirgst dich in den Schleier?

Iphigenie.
Ich Unglückselige! Wo fang’ ich an?
bei welchem unter allen meinen Leiden?
Verzweiflung, wo ich nur beginnen mag,

1400
Verzweiflung, wo ich enden mag[1].


Agamemnon.
 Was ist das?
Hat alles hier zusammen sich verstanden,
mich zu bestürzen – Kind und Mutter außer sich
und Unruh’ im Gesichte –

Clytemnestra.
 Mein Gemahl,
antworte mir auf das, was ich dich frage,

1405
aufrichtig aber!


Agamemnon.
 Braucht’s dazu Ermahnung?
Zur Sache.

[27]

Clytemnestra.
 Ist’s an dem – willst du sie wirklich
ermorden, deine Tochter und die meine?

Agamemnon.
(fährt auf)
Unglückliche! Was für ein Wort hast du gesprochen!
Was argwöhnst du? – Du sollst es nicht!

Clytemnestra.
 Antworte

1410
auf meine Frage!


Agamemnon.
 Frage was sich ziemt,
so kann ich dir antworten, wie sich’s ziemet.

Clytemnestra.
So frag’ ich. Sage du mir nur nichts anders.

Agamemnon.
Furchtbare Göttinnen des Glücks und Schicksals
und du mein böser Genius!

Clytemnestra.
 Und meiner –

1415
und dieser hier! Ihn theilen drei Elende!


Agamemnon.
Worüber klagst du?

[28]

Clytemnestra.
 Dieses fragst du noch?
O dieser List gebricht es an Verstande.

Agamemnon.
Ich bin verloren. Alles ist verrathen.

Clytemnestra.
Ja, alles ist verrathen. Alles weiß ich

1420
und alles hört’ ich, was du uns bereitest.

Dieß Schweigen, dieses Stöhnen ist Beweises
genug. Das Reden magst du dir ersparen.

Agamemnon.
Ich schweige. Reden was nicht wahr ist, hieße
mein Elend auch durch Frechheit noch erschweren.

Clytemnestra.

1425
Gib mir Gehör. Die rätselhafte Sprache

bei Seit’. Ich will jezt offen mit dir reden.
Erst drangst du dich – das sei mein erster Vorwurf –
gewaltsam mir zum Gatten auf, entführtest
mich räuberisch, nachdem du meinen ersten

1430
Gemahl erschlagen, Tantalus, – den Säugling

von seiner Mutter Brust gerissen, mit
grausamem Wurf am Boden ihn zerschmettert.
Als meine Brüder drauf, die Söhne Zevs,

[29]

die Herrlichen mit Krieg dich überzogen,

1435
entriß dich Tyndar, unser Vater, den

du knieend flehtest, ihrem Zorn, und gab
die Rechte meines Gatten dir zurücke.
Seit diesem Tag – kannst du es anders sagen?
fand’st du in mir die lenksamste der Frauen,

1440
im Hause fromm, im Ehebette keusch,

untadelhaft im Wandel. Sichtbar wuchs
der Segen deines Hauses – Lust und Freude,
wenn du hineintratst! Wenn du öffentlich
erschienst, der frohe Zuruf aller Menschen!

1445
Solch eine Eh’genossinn zu erjagen,

ist wenigen bescheert. Desto gemeiner sind
die schlimmen! Ich gebähre dir drei Töchter
und diesen Sohn – und dieser Töchter eine
willst du jezt so unmenschlich mir entreissen!

1450
Fragt man, warum sie sterben soll – was kannst du

hierauf zur Antwort geben? Sprich! Soll ich’s
in deinem Nahmen thun? Daß Menelaus
Helenen wieder habe, soll sie sterben!
O treflich! Deine Kinder also sind

1455
der Preis für eine Buhlerinn! Und mit

dem Theuersten, das wir besitzen, wird
das Hassenswürdigste erkauft! – Wenn du
nun fort seyn wirst nach Troja, lange, lange,
ich im Pallast indessen einsam sitze,

1460
leer die Gemächer der Gestorbenen,
[30]

und alle jungfräulichen Zimmer öde,
wie glaubst du, daß mir da zu Muth seyn werde?
Wenn ungetrocknet, unversiegend um
die Todte meine Thränen rinnen, wenn

1465
ich ewig, ewig um sie jamm’re: „Er,

der dir das Leben gab, gab dir den Tod!
Er selbst, kein and’rer, er mit eig’nen Händen!“
Sieh’ zu, daß dir von deinen andern Töchtern,
von ihrer Mutter, wenn du wiederkehrst,

1470
nicht ein Empfang dereinst bereitet werde,

der solcher Thaten würdig ist. O um
der Götter willen! Zwinge mich nicht, schlimm
an dir zu handeln! Handle du nicht so
an uns! – Du willst sie schlachten? Wie? Und welche

1475
Gebethe willst du dann zum Himmel richten?

Was willst du, rauchend von der Tochter Blut,
von ihm erflehen? Fürchterliche Heimkehr
von einem schimpflich angetret’nen Zuge!
Werd’ ich für dich um Segen flehen dürfen?

1480
Um Segen für den Kindermörder flehn,

das hieße, Göttern die Vernunft abläugnen!
Und sei’s, daß du nach Argos wiederkehrst,
denkst du dann, deine Kinder zu umarmen?
O dieses Recht hast du verscherzt! Wie könnten

1485
sie dem in’s Auge sehn, der Eins von ihnen

mit kaltem Blut erschlug? – Darüber sind

[31]

wir einverstanden. – Mußtest du als König,
als Feldherr dich betragen – kam es dir
nicht zu, bei den Achivern erst die Sprache

1490
der Weisheit zu versuchen? „Ihr verlangt

nach Troja, Griechen? Gut. Das Loos entscheide,
weß’ Tochter sterben soll!“ Das hätte einem
gegolten wie dem andern! Aber nicht,
nicht dir von allen Danaern allein

1495
kam’s zu, dein Kind zum Opfer anzubiethen!

Da! deinem Menelaus, dem zu Lieb’
ihr streitet, dem hätt’ es gebührt, sein Kind,
Hermione, der Mutter aufzuopfern!
Und ich, der immer keusch dein Bett’ bewahrte

1500
soll nun der Tochter mich beraubet sehn,

wenn jene Lasterhafte, glücklicher
als ich, nach Sparta heimzieht mit der Ihren!
Bestreit’ mich, wenn ich Unrecht habe! Hab’
ich recht – O so geh’ in dich! – Bring’ sie nicht

1505
um’s Leben deine Tochter und die meine.


Chor.
Laß dich erweichen, Agamemnon! Denk’,
wie schön es ist, sich seines Bluts erbarmen!
Das wird von allen Menschen eingestanden!

Iphigenie.
Mein Vater, hätt’ ich Orpheus Mund, könnt’ ich

1510
durch meiner Stimme Zauber Felsen mir
[32]

zu folgen zwingen, und durch meine Rede
der Menschen Herzen, wie ich wollte, schmelzen,
jezt würd’ ich diese Kunst zu Hülfe rufen.
Doch meine ganze Redekunst sind Thränen,

1515
die hab’ ich und die will ich geben! Sieh’,

statt eines Zweigs der Flehenden leg’ ich
mich selbst zu deinen Füßen – Tödte mich
nicht in der Blüthe! – Diese Sonne ist
so lieblich! Zwinge mich nicht, vor der Zeit,

1520
zu sehen, was hierunten ist! – Ich war’s

die dich zum erstenmale Vater nannte,
die erste, die du Kind genannt, die erste,
die auf dem väterlichen Schooße spielte,
und Küsse gab, und Küsse dir entlockte.

1525
Da sagtest du zu mir: „O meine Tochter,

werd’ ich dich wohl, wie’s deiner Herkunft ziemt,
im Hause eines glücklichen Gemahles
einst glücklich und gesegnet sehn?“ – Und ich,
an diese Wangen angedrückt, die flehend

1530
jezt meine Hände nur berühren, sprach:

„Werd’ ich den alten Vater alsdann auch
in meinem Haus mit süßem Gastrecht ehren,
und meiner Jugend sorgenlose Pflege
dem Greis mit schöner Dankbarkeit belohnen?“

1535
So sprachen wir. Ich hab’s recht gut behalten.

Du hast’s vergessen, du, und willst mich tödten.
O nein! bei Pelops, deinem Ahnherrn! Nein!

[33]

bei deinem Vater Atreus und bei dieser,
die mich mit Schmerzen dir gebahr, und nun

1540
auf’s neue diese Schmerzen um mich leidet!

Was geht mich Paris Hochzeit an? Kam er
nach Griechenland mich Arme zu erwürgen?
O gönne mir dein Auge! Gönne mir
nur einen Kuß, wenn auch nicht mehr Erhörung,

1545
daß ich Ein Denkmal deiner Liebe doch

mit zu den Todten nehme! Komm, mein Bruder!
Kannst du auch wenig thun für deine Lieben,
hinknien und weinen kannst du doch. Er soll
die Schwester nicht um’s Leben bringen, sag’ ihm.

1550
Gewiß! Auch Kinder fühlen Jammer nach.

Sieh’ Vater! Eine stumme Bitte richtet er
an dich – Laß dich erweichen! Laß mich leben!
Bei deinen Wangen flehen wir dich an.
zwei deiner Lieben, der unmündig noch,

1555
ich eben kaum erwachsen! Soll ich dir’s

in ein herzrührend Wort zusammenfassen?
Nichts süßers gibt es, als der Sonne Licht
zu schaun! Niemand verlanget nach da unten.
Der raset, der den Tod herbeiwünscht! Beßer

1560
in Schande leben, als bewundert sterben![2]


Chor.
Dein Werk ist dieß, verderbenbringende
Helene! Deine Lasterthat empöret
die Söhne Atreus gegen ihre Kinder!

[34]

Agamemnon.
Ich weiß, wo Mitleid gut ist, und wo nicht.

1565
Liebt’ ich mein eigen Blut nicht, rasen müßt’ ich.

Entsezlich ist mir’s, solches zu beschließen,
entsezlich mich ihm zu entziehn – Seyn muß es.
Seht dort die Flotte Griechenlandes! Seht!
Wie viele Könige in Erzt gewaffnet!

1570
Von diesen allen sieht nicht Einer Troja,

und nimmer fällt die Burg des Priamus,
du sterbest denn, wie es der Seher fordert.
Von wüthendem Verlangen brennt das Heer,
nach Phrygien die Segel auszuspannen,

1575
und der Achiver Gattinnen auf ewig

von diesen Räubern zu befrein. Umsonst,
daß ich dem Götterspruch mich widersetze,
ich – du – und du – und unsre Töchter in
Mycene würden Opfer ihres Grimmes.

1580
Nein Kind! Nicht Menelaus Sclave bin ich.

Nicht Menelaus ist’s, der aus mir handelt.
Dein Vaterland will deinen Tod – ihm muß ich,
gern oder ungern, dich zum Opfer geben.
Das Vaterland geht vor! – Die Griechen frei

1585
zu machen, Kind, die Frauen Griechenlandes,

was an uns ist, vor räubrischen Barbaren
zu schützen – das ist deine Pflicht und meine!
(er geht ab.)


Vierter Auftritt.

[Bearbeiten]
[35]

Clytemnestra. Iphigenie. Der Chor.

Clytemnestra
Er geht! Er flieht dich! – Tochter – Fremdlinge –
Er flieht! – Ich Unglückselige! Sie stirbt!

1590
Er hat sein Kind dem Orkus hingegeben!


Iphigenie.
O weh’ mir! – Mutter! Mutter! Gleiches Leid
berechtigt mich zu gleicher Jammerklage![3]
Kein Licht soll ich mehr schauen! Keine Sonne
mehr scheinen sehn! – O Wälder Phrygiens!

1595
Und du, von dem er einst den Nahmen trug,

erhab’ner Ida, wo den zarten Sohn,
der Mutter Brust entrissen, Priamus
zu grausenvollem Tode hingeworfen!
O hätt’ er’s nimmermehr gethan! den Hirten

1600
der Rinder, diesen Paris, nimmermehr

am klaren Wasser hingeworfen, wo
durch grüne, blüthenvolle Wiesen, reich
beblümt mit Rosen, würdig von Göttinnen
gepflückt zu werden, und mit Hyazinthen,

1605
der Nymphen Silberquelle rauscht – wohin,

mit Hermes, Zevs geflügeltem Gesandten,
zu ihres Streits unseliger Entscheidung,

[36]

Athene kam, auf ihre Lanze stolz,
und stolz auf ihre Reitze Cypria

1610
die Schlaue, und Saturnia die Hohe

auf Jovis königliches Bette stolz!
O dieser Streit führt Griechenland zum Ruhme,
Jungfrauen, mich führt er zum Tod!

Chor.
 Du fällst
für Ilion Dianens erstes Opfer.

Iphigenie.

1615
Und er – o meine Mutter – Er, der mir

das jammervolle Leben gab, er flieht!
Er meidet sein verrathnes Kind! Weh’ mir,
daß meine Augen sie gesehen haben,
die traurige Verderberinn! Ihr muß

1620
ich sterben – unnatürlich muß ich sterben,

durch eines Vaters frevelhaften Stahl!
O Aulis, hättest du der Griechen Schiffe
in deinem Hafen nie empfangen! Hätte
ein günst’ger Wind nach Troja sie beflügelt,

1625
kein Zevs hier am Euripus sie verweilt!

Ach! Er verleiht die Winde nach Gefallen,
dem schwellt er mit gelindem Wehn die Segel,
dem sendet er das Leid, die Angst dem andern,
den läßt er glücklich aus dem Hafen steuern,

[37]
1630
den führt er leicht durch’s hohe Meer dahin,

den hält er in der Mitte seines Laufes.
War’s nicht schon leidenvoll genug, nicht etwa
schon thränenwerth genug, des Menschen Loos,
daß er dem Tod noch rief, es zu erschweren?

Chor.

1635
Ach! wie viel Unheil, wie viel Elend brachte

die Tochter Tyndars über Griechenland!
Du aber, Aermste, jammerst mich am meisten.
O hättest du solch Schicksal nie erfahren!


Fünfter Auftritt.

[Bearbeiten]
[37]

Achilles, mit einigen Bewaffneten, erscheint in der Ferne. Die Vorigen.

Iphigenie
(erschrocken.)
O Mutter! Mutter! Eine Schar von Männern

1640
kommt auf uns zu.


Clytemnestra.
 Der Göttinnsohn ist drunter,
für den ich dich hieher gebracht.

Iphigenie.
(eilt nach der Thür und ruft ihren Jungfrauen.)
 Macht auf!
Macht auf die Pforten, daß ich mich verberge.

[38]

Clytemnestra.
Was ist dir? Vor wem fliehest du?

Iphigenie.
 Vor ihm –
vor dem Peliden – ich erröthe, ihn

1645
zu sehn –


Clytemnestra.
 Warum erröthen, Kind?

Iphigenie.
 Ach! die
beschämende Entwicklung dieser –

Clytemnestra.
 Laß
die Glücklichen erröthen! – Diese zücht’ge
Bedenklichkeiten jezt bei Seite, wenn
wir was vermögen sollen –

Achilles
(tritt näher.)
 Arme Mutter!

Clytemnestra.

1650
Du sagst sehr wahr.


Achilles.
 Ein fürchterliches Schreien
hört man im Lager.

[39]

Clytemnestra.
 Ueber was? Wem gilt es?

Achilles.
Hier deiner Tochter.

Clytemnestra.
 O das weißagt mir
nichts Gutes.

Achilles.
 Alles dringt auf’s Opfer.

Clytemnestra.
 Alles?
Und niemand ist, der sich dagegen sezte?

Achilles.

1655
Ich selbst kam in Gefahr –


Clytemnestra.
 Gefahr –

Achilles.
 Gesteinigt
zu werden.

Clytemnestra.
 Weil du meine Tochter
zu retten strebtest?

[40]

Achilles.
 Eben darum.

Clytemnestra.
 Was?
Wer durft’ es wagen, Hand an dich zu legen?

Achilles.
Die Griechen alle.

Clytemnestra.
 Wie? Wo waren denn

1660
die Scharen deiner Myrmidonen?


Achilles.
 Die
empörten sich zuerst.

Clytemnestra.
 Weh’ mir! Wir sind
verloren, Kind!

Achilles.
 Die Hochzeit habe mich
bethöret, schrie’n sie.

Clytemnestra.
 Und was sagtest du
darauf?

Achilles.
 Man solle die nicht würgen,

1665
die zur Gemahlinn mir bestimmt gewesen.


[41]

Clytemnestra.
Da sagtest du, was wahr ist.

Achilles.
 Die der Vater
mir zugedacht.

Clytemnestra.
 Und die er von Mycene
ausdrücklich hatte kommen lassen.

Achilles.
Vergebens! Ich ward überschrie’n.

Clytemnestra.
 Die rohe

1670
barbar’sche Menge!


Achilles.
 Dennoch rechne du
auf meinen Schutz.

Clytemnestra.
 So vielen willst du’s biethen
ein Einziger?

Achilles.
 Siehst du die Krieger dort?

Clytemnestra.
O möge dir’s bei diesem Sinn gelingen!

[42]

Achilles.
Es wird.

Clytemnestra.
 So wird die Tochter mir nicht sterben?

Achilles.

1675
So lang’ ich Athem habe, nicht!


Clytemnestra.
 Kommt man
etwa, sie mit Gewalt hinweg zu führen?

Achilles.
Ein ganzes Heer. Ulysses führt es an.

Clytemnestra.
Der Sohn des Sisyphus etwa?

Achilles.
 Derselbe.

Clytemnestra.
Führt eigner Antrieb oder Pflicht ihn her?

Achilles.

1680
Die Wahl des Heers, die ihm willkommen war.


Clytemnestra.
Ein traurig Amt, mit Blut sich zu besudeln!

[43]

Achilles.
Ich werd’ ihn zu entfernen wissen.

Clytemnestra.
 Sollte
er wider Willen sie von hinnen reissen?

Achilles.
Er? – Hier bei diesem blonden Haar!

Clytemnestra.
 Was aber

1685
muß ich dann thun?


Achilles.
 Du hältst die Tochter.

Clytemnestra.
 Wird
das hindern können, daß man sie nicht schlachtet?

Achilles.
Das wird dieß Schwerdt alsdann entscheiden![4]

Iphigenie.
 Höre
mich an, geliebte Mutter. Hört mich beide.
Was tobst du gegen den Gemahl? Kein Mensch

1690
muß das Unmögliche erzwingen wollen.

Das größte Lob gebührt dem wohlgemeinten,
dem schönen Eifer dieses Fremden Freundes,

[44]

du aber, Mutter, lade nicht vergeblich
der Griechen Zorn auf dich, und stürze mir

1695
den großmuthsvollen Mann nicht in’s Verderben.

Vernimm jezt, was ein ruhig Ueberlegen
mir in die Seele gab. Ich bin entschlossen
zu sterben – aber ohne Widerwillen
aus eig’ner Wahl, und ehrenvoll zu sterben!

1700
Hör’ meine Gründe an, und richte selbst.

Das ganze große Griechenland hat jezt
die Augen auf mich Einzige gerichtet.
Ich mache seine Flotte frei – durch mich
wird Phrygien erobert. Wenn fortan

1705
kein griechisch Weib mehr zittern darf, gewaltsam

aus Hellas sel’gem Boden weggeschleppt
zu werden von Barbaren, die nunmehr
für Paris Frevelthat so fürchterlich
bezahlen müssen – aller Ruhm davon

1710
wird mein seyn Mutter. Sterbend schütz’ ich sie.

Ich werde Griechenland errettet haben,
und ewig selig wird mein Nahme strahlen.
Wozu das Leben auch so ängstlich lieben?
Nicht dir allein – du hast mich allen Griechen

1715
gemeinschaftlich gebohren. Sieh’ dort! Sieh’

die Tausende, die ihre Schilde schwenken,
dort andre Tausende, des Ruders kundig,
entbrannt von edelm Eifer kommen sie,
die Schmach des Vaterlands zu rächen, gegen

[45]
1720
den Feind durch tapfre Kriegesthat zu glänzen,

zu sterben für das Vaterland. Dieß alles
macht’ ich zu nichte, ich, ein einzig’s Leben?
Wo, Mutter, wäre das gerecht? Was kannst
du hierauf sagen? – Und alsdann –
(sich gegen Achilles wendend.)
 Soll der’s

1725
mit allen Griechen, eines Weibes wegen

aufnehmen und zu Grunde gehn? Nein doch!
Das darf nicht seyn![5] Der einz’ge Mann verdient
das Leben mehr, als hunderttausend Weiber.
Und will Diana diesen Leib, werd’ ich,

1730
die Sterbliche, der Göttinn widerstreben?

Umsonst! Ich gebe Griechenland mein Blut.
Man schlachte mich, man schleife Trojas Veste!
Das soll mein Denkmal seyn auf ew’ge Tage,
das sei mir Hochzeit, Kind, Unsterblichkeit!

1735
So will’s die Ordnung und so sei’s: Es herrsche

der Grieche und es diene der Barbare!
denn der ist Knecht, und jener frei gebohren!

Chor.
Dein großes Herz zeigst du – doch grausam ist
dein Schicksal, und ein hartes Urtheil sprach Diana!

Achilles.

1740
Wie glücklich machte mich der Gott, der dich

mir geben wollte, Tochter Agamemnons!

[46]

Glücksel’ges Griechenland, so schön errettet!
Glückselig du, durch ein so großes Opfer
geehrt! Wie edel hast du da gesprochen!

1745
Wie deines Vaterlandes werth! Der starken

Nothwendigkeit willst du nicht widerstreben,
was einmal seyn muß, muß vortreflich seyn.
Je mehr dieß schöne Herz sich mir entfaltet,
ach desto feuriger lebt’s in mir auf,

1750
dich als Gemahlinn in mein Haus zu führen.

O sinn’ ihm nach. So gern thät’ ich dir Liebes,
und führte dich als Braut in meine Wohnung.
Kann ich im Kampfe mit den Griechen dich
nicht retten – o bei’m Leben meiner Mutter!

1755
es wird mir schrecklich seyn. Erwäg’s genau.

Es ist nichts kleines um das Sterben!

Iphigenie.
 Meinen
Entschluß bringt kein Beweggrund mehr zum Wanken.
Mag Tyndars Tochter, herrlich vor uns allen,
durch ihre Schönheit Männer gegen Männer

1760
im blut’gem Kampf bewaffnen – meinetwegen

sollst du nicht sterben, Fremdling! Meintwegen
soll niemand durch dich sterben! Ich vermag’s
mein Vaterland zu retten. Laß mich’s immer!

Achilles.
Erhab’ne Seele – Ja! Ist dieß dein ernster

1765
Entschluß, ich kann dir nichts darauf erwiedern.
[47]

Warum, was Wahrheit ist, nicht eingestehn?
Du hast die Wahl des Edelsten getroffen!
Doch dürfte die gewaltsame Entschließung
dich noch gereun, drum halt’ ich Wort und werde

1770
mit meinen Waffenbrüdern am Altar

dir nahe stehn – kein müß’ger Zeuge deines Todes,
dein Helfer vielmehr und dein Schutz. Wer weiß,
wenn nun der Stahl an deinem Halse blinkt,
ob dich des Freundes Nähe nicht erfreuet?

1775
Denn nimmer werd’ ich’s dulden, daß dein Leben

ein allzurasch gefaßter Vorsatz kürze.
Jezt führ’ ich diese –
(auf seine Bewaffneten zeigend.)
 nach der Göttinn Tempel,
dort findest du mich, wenn du kommst.
(er geht ab.)


Sechster Auftritt.

[Bearbeiten]
[47]

Iphigenie. Clytemnestra. Der Chor.

Iphigenie.
 Nun Mutter? –
Es netzen stille Thränen deine Augen?

Clytemnestra.

1780
Und hab’ ich etwa keinen Grund zu weinen?

O ich Unglückliche!

[48]

Iphigenie.
 Nicht doch! Erweichen
mußt du mich jezt nicht, Mutter. Eine Bitte
gewähre mir.

Clytemnestra.
 Entdecke sie, meine Kind.
Die Mutter findest du gewiß.

Iphigenie.
 Versprich mir,

1785
dein Haar nicht abzuschneiden, auch kein schwarzes

Gewand um dich zu schlagen –

Clytemnestra.
 Wenn ich dich
verloren habe? Kind, was forderst du?

Iphigenie.
Du hast mich nicht verloren – Deine Tochter
wird leben und mit Glorie dich krönen.

Clytemnestra.

1790
Ich soll mein Kind im Grabe nicht betrauern?


Iphigenie.
Nein Mutter! Für mich gibt’s kein Grab.

Clytemnestra.
 Wie das?
Führt nicht der Tod zum Grab?

[49]

Iphigenie
 Der Tochter Zevs
geheiligter Altar dient mir zum Grabe.

Clytemnestra.
Du hast mich überzeugt. Ich will dir folgen.

Iphigenie.

1795
Beneide mich als eine Selige,

die Segen brachte über Griechenland.

Clytemnestra.
Was aber hinterbring’ ich deinen Schwestern?

Iphigenie.
Auch sie laß keinen Trauerschleier tragen.

Clytemnestra.
Darf ich die Schwestern nicht mit einem Worte

1800
der Liebe noch von dir erfreuen?


Iphigenie.
 Mög’
es ihnen wohlergehen! – Diesen da
(auf Orestes zeigend)
erziehe mir zum Mann!

Clytemnestra.
 Küß’ ihn noch einmal,
zum leztenmale!

[50]

Iphigenie.
(ihn umarmend.)
 Liebstes Herz! Was nur
in deinen kleinen Kräften hat gestanden,

1805
das hast du redlich heut’ an mir gethan!


Clytemnestra.
Kann ich noch etwas Angenehmes sonst
in Argos dir erzeigen?

Iphigenie.
 Meinen Vater
und deinen Gatten – haß’ ihn nicht!

Clytemnestra.
 O! der
soll schwer genug an dich erinnert werden!

Iphigenie.

1810
Ungern läßt er für Griechenland mich bluten.


Clytemnestra.
Sprich, hinterlistig, niedrig, ehrenlos,
nicht, wie es einem Sohn des Atreus ziemet!

Iphigenie.
(sich umschauend.)
Wer führt mich zum Altar? – Denn an den Locken
möcht’ ich nicht hin gerissen seyn.

[51]

Clytemnestra.
 Ich selbst.

Iphigenie.

1815
Nein! Nimmermehr!


Clytemnestra.
 Ich fasse deinen Mantel.

Iphigenie.
Sei mir zu Willen, Mutter! Bleib! – Das ist
anständiger für dich und mich! – Hier, von
des Vaters Dienern findet sich schon einer,
der zu Dianens Wiese mich begleitet,

1820
wo ich geopfert werden soll.

(Sie wendet sich zum Gefolge.)

Clytemnestra
(folgt ihr mit den Augen.)
 Du gehst,
mein Kind?

Iphigenie.
 Um nie zurück zu kehren!

Clytemnestra.
Verlässest deine Mutter?

Iphigenie.
 Und unwürdig
von ihr gerissen, wie du siehst.

[52]

Clytemnestra.
 O bleib!
Verlaß mich nicht!
(will auf sie zu eilen.)

Iphigenie
(tritt zurück.)
 Nein! Keine Thränen mehr!
(sie redet den Chor an, mit dem sie gekommen ist.)

1825
Ihr Jungfraun, stimmt der Tochter Jupiters

ein hohes Loblied an aus meinem Leiden,
zum frohen Zeichen für ganz Griechenland!
Das Opfer fange an – Wo sind die Körbe?
Die Flamme lodre um den Opferkuchen!

1830
Mein Vater fasse den Altar! Ich gehe,

Heil und Triumph zu bringen den Achivern!
Kommt! Führt mich hin! Der Phrygier und Trojer
furchtbare Ueberwinderinn! Gebt Kronen,
gebt Blumen, diese Locken zu bekränzen!

1835
Erhebt den Tanz um den besprengten Tempel,

um den Altar der Königinn Diana,
der Göttlichen! der Seligen! Denn, nun
es einmal seyn muß, will ich das Orakel
mit meinem Blut und Opfertode tilgen.

[53]

Chor.
(wendet sich gegen Clytemnestra, die in stumme Traurigkeit versenkt steht.)

1840
Bald, bald, ehrwürd’ge Mutter, weinen wir mit dir,

die heil’ge Handlung duldet keine Thränen.

Iphigenie.
Helft mir Dianen preisen, Jungfrauen,
die, Chalcis nahe Nachbarinn, in Aulis
gebiethet, wo die Flotte Griechenlands

1845
im engen Hafen meinetwegen weilet!

O Argos! Mütterliches Land! Und du,
der frühen Kindheit Pflegerinn, Mycene!

Chor.
Die Stadt des Perseus rufst du an, von den
Cyclopen für die Ewigkeit gegründet!

Iphigenie.

1850
Ein schöner Stern gieng den Achivern auf

in deinem Schooß – Doch nein. Ich will ja freudig sterben.

Chor.
Im Ruhm wirst du unsterblich bei uns leben.

[54]

Iphigenie.
O Fackel Jovis! Schöner Strahl des Tages!
Ein ander Leben thut sich mir jezt auf,

1855
zu einem andern Schicksal scheid’ ich über.

Geliebte Sonne, fahre wohl[6].

(sie geht ab.)



Anmerkungen.

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  1. [67] Verzweiflung wo ich nur beginnen mag! Verzweiflung wo ich enden mag!) Josua Barnes übersetzt: Quodnam malorum meorum sumam exordium? Omnibus enim licet uti primis, et postremis et mediis ubique. Angenommen, daß dieser Sinn der wahre ist, so liegt ihm vielleicht eine Anspielung auf irgend eine griechische Gewohnheit zum Grunde, dergleichen man im Euripides mehrere findet. Da der Reitz, den eine solche Anspielung für ein griechisches Publikum haben konnte, bei uns wegfällt, so würde man dem Dichter durch eine treue Uebersetzung einen schlechten Dienst erweisen.
  2. [67] Besser in Schande leben, als bewundert sterben.) Der französische Uebersetzer mildert diese Stelle: une vie malheureuse est même plus prisée qu’une glorieuse mort. Wozu aber diese Milderung? Iphigenie darf und soll, in dem Zustande worin sie ist, und in dem Affekt, worin sie redet, den Werth des Lebens übertreiben.
  3. [68] Gleiches Leid berechtigt mich zu gleicher Jammerklage.) Wehe mir! ruft die Mutter. Wehe mir! ruft die Tochter, denn das nehmliche Lied schickt sich zu beider Schicksal. Der P. Brumoy nimmt es in der That etwas zu scharf, wenn er dem Euripides Schuld gibt, als habe er mit dem Wort μελοσ die Versart bezeichnen wollen, und bei dieser Gelegenheit die weise Bemerkung macht, daß ein Akteur niemals von sich selbst sagen müsse, er rede in Versen.
  4. [68] Das wird dieß Schwert alsdann entscheiden.) Wörtlich heißt es: Es wird (oder er wird) aber doch dazu kommen! – Nun kann es freilich auch so verstanden werden. „Clytemnestra. Wird darum mein Kind nicht geopfert werden? Achilles. Darum wird er wenigstens kommen“ oder es kann heissen: Achilles. Du hältst deine Tochter fest. Clytemnestra. Wird das hindern können, daß man sie nicht opfert? Achilles. Nein, er wird aber dort seinen Angriff thun.“ – Die angenommene Erklärungsart scheint die natürlichste zu seyn.
  5. [69] Dieß ist eine von den Stellen, die dem Euripides den Nahmen des Weiberfeindes zugezogen hat. Wenn man sie aber nur auf den Achilles deutet, so verliert sie das Anstößige; und diese Erklärungsart schließt auch der Text nicht aus.
  6. Hier schließt sich die dramatische Handlung. Was noch folgt, ist die Erzählung von Iphigeniens Betragen bei’m Opfer und ihrer wunderbaren Errettung.


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