Zum Inhalt springen

Auferstehung (Presber)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
<<< >>>
Autor: Rudolf Presber
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Auferstehung
Untertitel:
aus: Die zehnte Muse. Dichtungen vom Brettl und fürs Brettl. S. 204–207
Herausgeber: Maximilian Bern
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1904
Verlag: Otto Eisner
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Commons = Google-USA*
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[204]

Auferstehung.

Im freundlichen Heiligen-Geist-Spital,
Da lagen im reinlichen Totensaal
Zwei Männer von Nummer Zehn und Sieben;
Die waren unter dem Messer geblieben,

5
Das ihnen das Gedärme zerstückt.

Die Operation war gut geglückt;
Ein schwieriger Eingriff ohne gleichen,
Wie’s der Professor selbst gewusst.
Dann kam das Fieber, der Blutverlust –

10
Na, und jetzt waren’s Leichen.


Der von Nummer Zehn war ein alter Baron;
Trug noch um die bläulichen Lippen den Hohn,
Mit dem er der Welt von oben herab
Im Leben die Meinung zu wissen gab.

15
Die Nasenflügel blähten sich hohl,

Als röch’ er im Tod noch das viele Carbol
Und misse peinlich in dieser Luft
Ein Spürchen französischen Fliederduft,
Mit dem, eh’ er sich ins Himmelbett legte,

20
Sein Konrad zu parfümieren pflegte.

Sein Bart war nicht mehr recht frisch in der Farbe
Quer über dem Auge die Säbelnarbe,
Die vom Rotspon begossen, so dunkel geblüht,
War eingesunken und abgeglüht.

25
Und an den Schläfen die Silberfädchen,

An denen die lustigen kleinen Mädchen
Ihn nach dem Souperchen so gerne gezupft,
Die waren von kaltem Schweiss betupft.
In sonsten lag ein seltsamer Frieden

30
Auf weisser Stirn. So schien er fast

In einer Gesellschaft, die sonst er gemieden,
Ein stiller, doch ein zufriedener Gast.
Nur an des Nachthemds gesticktem Kragen,
Wie’s ziemt einem Enkel aus stolzem Stamm

35
Ruhmvoller Helden aus Kreuzzugstagen:

Die Krone über dem Monogramm!

Auf dem Nachbarbett ein Diätar,
Dem sauber das Kinn gebunden war.
Die Hände ums Kruzifix gedreht,

40
Im Hemdlein, grob und oft genäht,

Die Beine unter dem Tuch, dem glatten,
Mager und schwunglos wie Eichenlatten.
Die Wangen gefallen, die Augen hohl,

[205]

So lag er da. Dem Aermsten war wohl.

45
Er hatt’ im Ringen nach Brot und Segen

Sein Lebtag nicht so ruhig gelegen
Und schien nach hartem und herbem Tun
Gewillt, sich in Ewigkeit auszuruh’n.
Und dass im dämmernden jungen Tag

50
Im Nebenbett ein Reichsfreiherr lag,

Das war ihm wirklich zum ersten Mal
Total egal.

Die Uhr schlug acht. Auf den Korridoren
Begannen die Studios schon zu rumoren;

55
Mit dem alten Diener der Anatomie

Spassten die künftigen Medici.
Noch fröhlich von gestrigen Gelagen
Taten sie höchst verfängliche Fragen,
Kamen dann mit dem Alten herein

60
Und besahen gemütlich das stille Gebein.

Taten prüfend die Laken verschieben –
Einer war mager, und einer war fett;
Lagen so friedlich Bett an Bett
„Nummer Zehn“ und „Nummer Sieben“. . .

65
Es kam der Professor: „Meine Herr’n,

Die Operation ist trefflich geglückt,
Auch war ich vom Heilverlaufe entzückt.
Sind beide gestorben. Da wüsste man gern,
Was in diesem Körper die Kräfte gemindert

70
Und die vorschriftsmässige Heilung verhindert.“

So sprach der Treffliche ohne gleichen
Und liess sich die zierlichen Messer reichen,
Mit denen in ihrer sterblichen Blösse
Die geistverlassenen Erdenklösse,

75
Bevor sie wieder fahren zur Erden,

Noch wissenschaftlich durchstöbert werden;
Auf dass man kann zu der Menschheit Segen
Mit neuen lateinischen Namen belegen,
Was noch zum Trotz aller Menschenlist

80
Seltsamerweise unheilbar ist.

Das Tote wird das Lebende lehren,
Kadaver-Weisheit, nicht zu umgeh’n –
So schnitten und spalteten Messer und Scheren
„Nummer Sieben“ und „Nummer Zehn“.

85
Und als geöffnet der Diätar,

Erwies sich’s, dass Krankheitsart und Gefahr
Zwar von der Wissenschaft nicht gebannt,

[206]

Doch vom Professor mit Scharfsinn erkannt,
„Der Schüttelfrost und die nächtlichen Schweisse,

90
So wahr ich ein Professor heisse,

Erscheinung des Recurrensspirills
Und dann die bedeutende Schwellung der Milz –
Ein Stümper, wer diese Zeichen verkennt:
Am Hungertyphus starb der Patient!“

95
Mit diesen Worten bog sich zur Seite

Der Professor und legte die Eingeweide
Des sanft entschlafenen Diätars
(Ein schrumplig ärmliches Päckchen war’s)
In eine Schüssel mit sorglosen Händen,

100
Um dann sich zum Baron zu wenden.

 
Beim Schneiden hat er durch die Zähne gepfiffen:
„Die edlen Organe sind angegriffen.
Der Rotspon, der Sekt in offener Schale,
Die Café-Chantants und die Balllokale,

105
Die Weiber raffiniertester Sorten,

Die Trüffelpasteten und schweren Importen,
Das Nächtedurchwachen, das Zechen und Lieben
Hat diesen Körper allmählich zerrieben,
Bis sehr begreiflicher Weise zuletzt

110
Das Herz seine Tätigkeit ausgesetzt."

Mit diesen Worten bog sich zur Seite
Der Professor und legte die Eingeweide
Des Reichsfreiherrn – ein Zufall war’s- –
Zu dem Leibesinhalt des Diätars.

115
Die sich nun, schillernd in blutigen Krusten,

In einer Schüssel vertragen mussten.
So lag das Herz, das in Lust geglüht,
Von Sekt und prickelnden Weibern entfacht,
Dicht bei dem andern, das kummermüd'

120
Vom Hungertyphus zum Stillstand gebracht . . .


Und als dann kam der Totenschrein,
Da packten die Diener die beiden ein
Und gaben jedem unter dem Schnitt
Ein Päcklein Eingeweide mit,

125
Ohne zu prüfen erst hin und her,

Welches das Herz eines jeden wär’;
Wenn nur ein jeder wieder gefüllt war
Und in die üblichen Tücher gehüllt war,
Und der Pfarrer sein Wörtlein sprach –

130
Keiner schaut ja im Brustkorb nach!

- – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

[207]

Der Baron fuhr Schnellpost zur Hölle,
Weil er als leidiger Junggeselle
Oft in schlechten Häusern gewohnt
Und nur selten die Tugend geschont.

135
Dahingegen der Diätar

Wandelt’ auf Wegen sternenklar
Mit der Engel Empfehlung versehen
Ueber die himmlischen Wolkenhöhen.
Petrus grüsst’ mit dem Heil’genschein,

140
Trat zur Seite und liess ihn herein.


Seltsam, der Kömmling (es hiess, er sei schüchtern,
Aeusserst moralisch und immer nüchtern!)
Wollt’ Sankt Peter zu seinem Entsetzen
Irdische Mikoschwitze versetzen,

145
Schuf unter den Engeln ein grosses Gequieks

Und macht der heil’gen Cäcilie „Kieks“.
Und als er die heil’ge Veronica
In frommer Erbauung wandeln sah,
Hat er ihr – ob Ihr das glauben mögt –

150
Keck seinen Arm um die Taille gelegt

Und geflüstert: „Was soll nu das Zimpern und Zieren,
Kleine Krabbe, komm’, geh’n wir soupieren!“

Petrus, als er den Schaden gewahrt,
Rauft sich wütend den silbernen Bart:

155
„Nein, wie soll ich des Schlüsselamts walten

Und hier oben die Ordnung halten,
Wenn da unter den Wolken die
In der Berliner Anatomie
Biedermännern, die aufersteh’n,

160
Durch Nachlässigkeit und übles Verseh’n,

Durch Schleuderarbeit und Uebereilen
Das falsche Herz in den Brustkorb keilen!“

Das hörte der Teufel und seufzte und sprach:
„Ach ja, Sankt Peter, das fühl’ ich dir nach.

165
Bei mir zum Exempel ist jetzt ein Baron,

Der verdirbt in der Hölle den ganzen Ton.
Ich hatt’ mich gefreut auf den leckern Braten;
Jetzt sitzt er da und gibt um zu raten
Knackmandeln für Kinder und Rösselsprünge

170
Und andere ähnlich erbauliche Dinge

Und erzählt Geschichtchen für Gross und Klein
Aus dem Evangelischen Jünglingsverein.


Rudolf Presber.