An Friedrich Vischers Sterbestätte
[644] An Friedrich Vischers Sterbestätte. (Mit Abbildung.) Durch eine Fülle landschaftlicher Reize ist Gmunden an dem Ufer des Traunsees ausgezeichnet. Tausende und aber Tausende strömen hier alljährlich herbei, um inmitten der grünen Berge Leib und Seele zu erquicken. Außer seinen herrlichen Wäldern und Felsen, seinem tiefgrünen See und seinen Heilanstalten hat aber Gmunden noch Stätten aufzuweisen, an denen niemand teilnahmlos vorüber geht, dem die deutsche Kunst wert und teuer ist. Auf dem Friedhof der Stadt ruhen die sterblichen Ueberreste Friedrich Theodor Vischers und in der Vorstadt Traundorf steht das Haus, in welchem der große Meister der Aesthetik, der Wissenschaft des Schönen, sein thatenreiches und verdienstvolles Leben beschloß.
Wundervolle Herbsttage waren es im Jahre 1887. Da hatte Vischer auf einer Reise nach Venedig Gmunden aufgesucht, in dem seine Verwandten sich gerade aufhielten. Er wohnte in der Vorstadt Traundorf, im Hause Wiesauer im Weyer. Am 30. Juni hatte er noch in Stuttgart seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert. Nicht nur seine schwäbischen Freunde und Verehrer hatten sich an jenem Tage um ihn geschart, das gesamte kunstsinnige Deutschland nahm Anteil an dem Freudenfeste des Meisters. Er durfte mit inniger Genugthuung auf sein Leben zurückblicken. Die Saat, die er als Professor der Aesthetik und der deutschen Litteratur an den Universitäten von Tübingen und Zürich und zuletzt am Polytechnikum in Stuttgart ausgestreut, hatte glänzende Früchte getragen und eine Schar hervorragender Männer erkannte in ihm dankbar ihren Meister.
Durch seine Werke und zahlreichen Schriften, namentlich durch seine „Aesthetik“, das geistreiche satirische Buch „Faust, der Tragödie dritter Teil“, durch seine gedankenvollen und formenschönen Gedichte und seinen eigenartigen, von edler Gesinnung durchwehten Roman „Auch Einer“, hatte er sich ein unvergängliches Denkmal errichtet. Er war einer jener schöpferischen Geister, die schaffen und wirken bis zum letzten Atemzug; daß er in seiner Arbeit fortlebe, dafür ist in jüngster Zeit noch besonders durch die von seinem Sohne, Professor Robert Vischer in Göttingen, veranstaltete Ausgabe seiner akademischen Vorlesungen gesorgt. Ein Band, der grundlegende über „Das Schöne und die Kunst“, ist (bei Cotta in Stuttgart) bereits erschienen; andere werden folgen. – Als Achtzigjähriger war Vischer auf sein Lebensende vorbereitet; eines seiner letzten Gedichte, das den Titel „Bald“ trägt, schloß er mit den Versen:
„Gethan ist manches, was ich sollte.
Nicht spurlos lass’ ich meine Bahn;
Doch manches, was ich sollt’ und wollte,
Wie manches ist noch ungethan.
Wohl sinkt sie immer noch zu frühe
Herab, die wohlbekannte Nacht,
Doch wer mit aller Sorg’ und Mühe
Hat je sein Tagewerk vollbracht!
Schau um dich! Sieh die hellen Blicke,
Der Wangen jugendfrisches Blut,
Und sage dir: in jede Lücke
Ergießt sich junge Lebensflut.
Es ist gesorgt, brauchst nicht zu sorgen;
Mach’ Platz, die Menschheit stirbt nicht aus,
Sie feiert ewig neue Morgen,
Du steige fest ins dunkle Haus.“
Und doch hat den Weisen der Tod überrascht. Auf einer Ferienreise, fern von der schwäbischen Heimat, raffte er ihn dahin. Am 14. September 1887 starb er in Gmunden in den Armen seines Sohnes.
Seine Freunde und Verehrer haben vor einiger Zeit an dem Hause, in dem er seinen Geist aufgegeben, eine Gedenktafel angebracht, die wir im Bilde vorführen. Das wohlgelungene Reliefmedaillon ist nach dem Entwurfe Donndorfs des Jüngeren gearbeitet. Dasselbe ist durch einen Lorbeer- und Eichenzweig mit der Tafel, die das Sterbedatum trägt, verbunden und das Ganze von Paul Stotz in Stuttgart, der selbst ein Schüler Vischers war, in echter Bronze ausgeführt. *