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ADB:Zincgref, Julius Wilhelm

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Artikel „Zincgref, Julius Wilhelm“ von Max von Waldberg in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 306–311, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zincgref,_Julius_Wilhelm&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 05:55 Uhr UTC)
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Zincgref: Julius Wilhelm Z., deutscher Dichter des 17. Jahrhunderts, wurde am 3. Juni 1591 zu Heidelberg als der Sohn des aus Simmern stammenden kurfürstlichen Rathes Lorenz Z. und der Heidelbergerin Margareta Dreschin geboren. Nach vollendetem 16. Lebensjahre wurde er am 5. October 1607 an der Heidelberger Universität immatriculirt. Hier widmete er sich vorerst philosophisch-philologischen Studien unter der Leitung von Jan Gruter u. A. Später wendete er sich der Rechtsgelehrsamkeit zu und hörte die Vorlesungen von Daniel Nebel, Calvin, Hofmann und Bachofen von Echt. Im J. 1612 trat er eine mehrere Jahre umfassende Studienreise an, nachdem er vorher einen längeren Aufenthalt in Basel genommen hatte. Er durchzog die Schweiz, Frankreich, England und die Niederlande, nach der Sitte damaliger gelehrter Reisender überall persönliche Beziehungen zur gelehrten Welt jener Länder anknüpfend. Nach fünfjähriger Abwesenheit kehrte er nach Heidelberg zurück und wurde daselbst zum Doctor juris promovirt. Nach dem 1619 erfolgten Ableben [307] seiner Mutter, bei der er diese Zeit über gelebt hatte, zog er, als die kriegerischen Ereignisse in der Pfalz immer drohender wurden, für einige Zeit nach Heilbronn, um, als die Verhältnisse in Heidelberg beruhigter schienen, wieder dorthin zurückzukehren. Er nahm hier nun die Stellung eines Generalauditors der Heidelberger Garnison an, mußte aber, als im September 1622 die Neckarstadt von den bairischen Truppen erobert und besetzt wurde, sein Haus, seine Habe und seine Bücher verlassen und flüchten. Er gelangte zuerst nach Frankfurt, und als er hier, wie sein Biograph Weidner berichtet, keinen Aufenthalt erlangen konnte, setzte er seine Flucht nach Straßburg fort. Hier hatte er das Glück bald eine Stellung zu erlangen, indem ihn der französische Gesandte Wilhelm Marescot für seine Rundreise an die deutschen Höfe als Dolmetsch gewann. Doch unterwegs wird Z. von einer schweren Krankheit überfallen, und muß sich in Stuttgart von seinem Herrn trennen. Genesen kehrt er nach Straßburg zurück, zog von da nach Worms und vermählte sich daselbst 1626, im Jahre als er diese Stadt wieder verließ, mit der Tochter des hessischen Commissärs in St. Goar, Agnes Nordeck verwittweten Patrick, einer „mit allen Gaben des Geistes, des Leibes und des Glückes aufs reichste ausgestatteten“ Frau. Z., der die letzten Jahre ohne Amt verbracht hatte, wurde, als Gustav Adolf Kreuznach eingenommen hatte, vom Pfalzgrafen Philipp Ludwig zum Landschreiber daselbst bestallt. In gleicher Stellung kam er dann vom Kurfürsten Karl gesendet nach Alzey. Aber der „große Krieg“, dessen Lärm selbst in Zincgref’s stille Hochzeitsfeier hineinklang, ließ ihn nicht lange auf seinem Posten. Als die Ereignisse drohender wurden zog er nach St. Goar. Auf der Reise dorthin wurde er von weimarischen Marodeuren überfallen, ausgeraubt und verwundet. In traurigstem Zustande traf er endlich bei dem Vater seiner Frau ein. Nicht lange sollte er sich der wiedergewonnenen Ruhe freuen, am 12. November 1635 wurde der kaum 45jährige in St. Goar vom schwarzen Tod, der in Deutschland wüthete, dahingerafft. –

Schon als ein typisches Beispiel für die Verheerungen, die all der Jammer und das Elend der Zeit damals anrichteten, ist Z. eine beachtenswerthe Erscheinung. An ihm und seinem ununterbrochen gehemmten und gestörten Lebenslaufe ist deutlich zu erkennen, welche Summe von Begabung, von Ansätzen zu großen Leistungen durch den „blutleckenden Krieg“ vernichtet wurden, und der Humanismus, gerade als er das deutsche Leben zu durchdringen begann und aus einer fremden Geistesrichtung sich in einen Factor der nationalen Bildung zu verwandeln im Begriffe war, in all seinen Wirkungen aufgehalten wurde. Wie eine regelrechte Schicksalstragödie wickelt sich Zincgref’s Leben ab. Sein Verhängniß ist daß er in dieser jammervollen Zeit geboren ist, und dafür verfolgen ihn die Furien des Krieges und der Krankheit so lange bis der schwermüde Mann durch den Tod erlöst wurde. Und diese Unruhe seines Lebens spiegelt sich auch in seinen Leistungen wieder. Er hatte alle Gaben Leiter und Führer der jungen Kräfte zu sein, die das große Ziel anstrebten den Deutschen eine nationale Renaissancelitteratur zu schaffen. Aber jede tiefere Einwirkung auf seine Zeitgenossen wurde durch die äußere Bewegtheit seines Lebens unmöglich gemacht. „Ach was hab ich nun erlebt für schwere Zeiten, mir wird mein Muth und Sinn von Unmuth all’ verstört“ singt er selbst einmal ganz verzweifelt. Z. hat als der Erste die historische Wendung in der deutschen Dichtung erkannt, die mit dem Auftreten von Martin Opitz beginnt, und mit der von ihm 1624 besorgten Ausgabe der Opitz’schen Gedichte eine litterarhistorisch bedeutsame That geleistet. Aber durch eigene Leistungen vorbildliche Muster zu bieten gestattete ihm sein Können nicht, das infolge der hemmenden Einflüsse nie zur Reife gelangen konnte. Aber wenn er auch in den meisten [308] seiner Schriften zu reineren und dauernden künstlerischen Wirkungen gelangte, so verleugnet er doch nirgends den freien und selbständigen Geist, seinen sicheren Blick für alles Bedeutende, seinen festen rechtlichen Sinn und die kritische Fähigkeit alle Fehler und Schwächen der Zeit zu beobachten.

In Z. verkörperte sich das humanistische Bestreben, die deutsche Dichtung und deutsche Wissenschaft der der vorgeschritteneren Culturnationen anzugleichen, und der für die ganze folgende Zeit charakteristische Zug, weltbürgerliche Bildung mit nationaler Tendenz zu verbinden, ist in Z. schärfer ausgeprägt als bei irgend einem Zeitgenossen. Gleich seine „Facetiae Pennalium“, seine Schulpossen (1618), die in mindestens sieben vermehrten und verbesserten Auflagen erschienen sind, sind von dieser humanistischen Tendenz durchtränkt. Diese Sammlung enthält in ihrem ersten Theile Anekdoten, die z. Th. aus abgeleiteten – litterarischen – Quellen, z. Th. unmittelbar aus dem Leben stammen. Sie sind gegen die Auswüchse des banausischen Gelehrtenthums gerichtet, gegen die plumpe Ueberhebung falscher Erudition, gegen alle Formen der Pedanterie, Bornirtheit, gelehrt thuende Plattheit, kurz gegen alles was ein Späterer in das volksthümlich gewordene Schlagwort „Charlataneria eruditorum“ zusammenfaßte. Wer die Facetienlitteratur des 16. Jahrhunderts kennt, dem ist diese Form socialer Kritik nicht neu. Aber selbständig und eigenartig ist der höhere Zweck dieser Schrift, sittlich reformirend auf die in grobianischer Selbstgefälligkeit und Pennalismus verwilderte gelehrte Welt einzuwirken und eine vornehmere Lebenshaltung und Lebensführung zu erzielen. Die Schwächen der Rechtspflege, der Geistlichen, Lehrer und Schüler, werden durch diese mit größtem Geschick ausgesuchten, oft mehr als derben Beispiele drastischer illustrirt als durch die rein theoretischen Strafreden späterer Satiriker, und es lag nicht an Z. sondern an der Zeit, wenn dieser Schrift tiefere Wirkungen versagt waren.

Erfolgreicher war Z. mit seiner im folgenden Jahre (1619) erschienenen Schrift „Emblemata ethico-politica“, eine Sentenzensammlung, welche Merian’sche allegorische Darstellungen zu erklären bestimmt war. Der Werth und die Bedeutung dieses unter der fördernden Anregung seines Lehrers Jan Gruterus, und wie aus seinem Briefwechsel ersichtlich ist, unter Mitwirkung seines gelehrten Freundes Michael Lingelsheim entstandenen Werkes, wird erst klar wenn man den tiefen Einfluß berücksichtigt, den die emblematische Litteratur auf die Entwicklung der Dichtung im 17. Jahrhundert ausgeübt hat. Verdankt schon die sentenziöse, mit Sinnbildern spielende Lyrik dem Alciat und Baco von Verulam starke Anregungen, so ist die Form, in der Z. die Merianischen Kupfer erläuterte, mustergültig für die „eingeblümten Zierwerke“ der Nürnberger Dichterschule gewesen und die Verbindung der Dichtkunst mit der „Gemählkunst“, die Neigung zur parabolischen Poesie, zu illustrirten Sinnsprüchen und Devisen, geht auf die Anregung des Zincgref’schen Werkes zurück, die allerdings später durch gleichartige italienische Einflüsse verstärkt wurde. Aber auch darin unterscheiden sich Zincgref’s Emblemata von den verwandten Sammlungen, daß sie sich nicht ausschließlich in weltfremden Spielereien gefallen. Ihr Verfasser war zu sehr vom Leben und der Wirklichkeit berührt, als daß nicht einzelne Töne vom überlauten Lärm des Tages hineingeklungen wären, und an mehr als einer bitteren Bemerkung, kann man das verwundete Herz des patriotisch fühlenden Deutschen erkennen. Bis gegen Ende des Jahrhunderts bewahrt sich die Sammlung, die später auch mit deutschen Versen Greflinger’s edirt wurde, die Gunst des Publicums.

Ein Echo des Kriegsgeschreis ertönt auch in einer gleichfalls anonym erschienenen Schrift Zincgref’s, deren Titel schon beredt den Jammer der Zeit verkündet. In seinem „Quotlibetischen Weltkefig. Darinn gleichsam, als in [309] einem Spiegel das gegenwärtige Weltgetümmel, gehümmel vnd getrümmel, wüten und toben, liegen triegen vnd kriegen, irren wirren und sinceriren, Schwarm und Alarm, zusehen“ wird mit einer manchmal an Fischart mahnenden Sprachgewalt die Sache Friedrich’s V. und der Kurpfalz verfochten und mit drastischen Bildern, geschickt gewählten sprüchwörtlichen Wendungen, die den feinen Kenner sentenziöser Litteratur deutlich verrathen, tagesgeschichtliche Polemik getrieben. Z. bekundet hier ein so starkes journalistisches Talent, daß die Vermuthung, er sei auch sonst an „Zeitungen“ jener Periode betheiligt, nicht von vornhinein abzuweisen ist. Und so dürfte er auch den Flugschriften „Alte Wahrheit mit neuem Titel“ und der „Zeitung aus der Churpfalz“ nicht ferne stehen, auch wenn die formalen und inneren Gründe die Schnorr von Carolsfeld dafür anführt, weniger stichhaltig wären. Diese frische vom Leben durchfluthete, für den Tag berechnete Darstellung wird aber seltsamerweise gänzlich vermißt, in seiner „in der Belägerung Heydelbergs im Jahre 1622“ gedichteten 1624 erschienenen „Vermahnung zur Dapfferkeit“, in der er seine Volksgenossen nach antiken Mustern zu patriotischer Erhebung und Opferfreudigkeit anzufeuern sucht. Ist dieses Gedicht thatsächlich zur angegebenen Zeit geschaffen worden, so kann man nur die starken seelischen Erregungen als Grund für die ungenügende Ausführung dieses so actuellen Stoffes ansehen. Der Enthusiasmus hat etwas Gequältes, die Sprache eine forcirte Kraft und der Ton des Ganzen ist bis auf einige Verse so wenig auf die Zeit gestimmt, daß es ohne wesentliche Aenderungen für jeden deutschen Krieg seine Geltung haben könnte. Zincgref’s litterarische Hauptleistung bleiben seine 1626 in Straßburg erschienene „Der Teutschen Scharpfsinnige kluge Sprüch“, nach dem Titelzusatz der zweiten Auflage kurzweg „Apophthegmata“ genannt. Nicht nur daß er durch seine früheren Sammelwerke ähnlicher Gattung diesmal für seine Aufgabe besonders geschult war, er kam auch durch diese Veröffentlichung einem Bedürfnisse des Publicums entgegen. Zu keiner Zeit hat der später von Goethe ausgesprochene Gedanke, daß eine Sammlung von Anecdoten und Maximen der größte Schatz für den Weltmann sei, mehr Geltung gehabt als im 17. Jahrhundert, wo selbst die gesellschaftliche Unterhaltung so schematisch geordnet war, daß man nur schwer litterarische Hülfsmittel für sie entbehren konnte. Neben den Complimentirbüchern – aus denen sich später „die galante Ethik“ entwickelte –, neben den Briefstellern waren Schwank- und Sprüchwörtersammlungen ein unvermeidliches Requisit des geselligen Verkehrs. Zincgref’s Apophthegmen erheben sich aber, dank der geistigen Selbständigkeit ihres Autors und der Mithülfe geistig bedeutender Persönlichkeiten, doch über das Niveau dieser seichten und wässerigen Litteraturgattung. Wie in den Schulpossen und seinen Emblemen, so herrscht auch hier eine bestimmte Tendenz vor. Die Neigung des Humanismus und der Renaissance für die epigrammatisch zugestutzte Form der geistigen Mittheilung, für die mit Aeußerungen von scharfer Prägnanz gewürzten Unterhaltungen beeinflußt auch Z., dessen Bildung auf durchaus humanistischer Grundlage ruht, und eine humanistische Weltanschauung leuchtet überall hindurch. Anekdoten, Bonmots, die geistige Schlagfertigkeit bekunden, Facetien, in denen das epische Element zu Gunsten der pointirt geistreichen Wendung zurücktritt, bilden den Hauptbestandtheil. Das reiche Material dieses Werkes läßt sich allerdings auf wenige Grundtypen der Erzählungen und Mittheilungen zurückführen. Zum Theil bieten sie ein Spiel mit Worten, Anecdoten, in denen die mißverständliche wörtliche Ausführung eines Ausspruches, in Widerspruch steht mit der Meinung des Sprechenden, oder Aeußerungen, bei denen ein Concetto als Schlußpointe verwendet wird. Andere Schwänke illustriren die Kühnheit der Gesinnung niederer Stände gegen Höhergestellte, Beispiele von Bauernschlauheit oder allerlei [310] Grobianisches und endlich das weite auch damals noch nicht erschöpfte Gebiet der antikatholischen antipäpstlichen Stoffe, all das anecdotische Rüstzeug, mit dem die reformatorisch gesinnte Litteratur das Mönchsthum und die kirchlichen Auswüchse bekämpft. Aussprüche von Hofnarren, hervorragenden Persönlichkeiten schlossen sich an, dazwischen recht viele banale Wahrheiten über den Eigennutz der Rechtsgelehrten und Ungeschicklichkeiten einzelner Stände. Diese Fülle des Stoffes war, wie wir schon aus Zincgref’s Aufzählung der Quellen erkennen können, fast aus der gesammten damals bekannten gleichartigen Litteratur zusammengetragen, aber daneben hat die lebhafte Mitarbeiterschaft von H. M. Moscherosch, der beiden Lingelsheims, J. Gruter’s, seines „Schwagers“ J. L. Weidner viele Bausteine geliefert und endlich kamen noch, wie Z. berichtet, die Ergebnisse „täglicher Erfahrung und Aufmerckung“ hinzu. Und diese Art der Stoffsammlung gibt den Apophthegmen eine culturhistorische Bedeutung. Diese kleinen Splitter aus der Litteratur, aus der Geschichte, aus dem Leben bilden durch die einheitliche Tendenz, mit der sie gesammelt sind, eine eigenartige Form der Kritik des öffentlichen Lebens und in diesen Späßen und Scherzen entlud sich der ehrliche Zorn und die sittliche Entrüstung des ethisch höherstehenden Menschen. Und so bieten denn solche Sammlungen die Mittel auch einen Blick in das innere Leben der Menschen jener Zeit zu thun, deren Seele oft durch den Wust fremder ungeordneter Bildung ganz verdeckt war. – Die Schätzung geistiger Kraft vor weltlicher Macht, patriotische strafende Gesinnung gegen die Bevorzugung des Fremden, und freudiger Stolz über nationale Errungenschaften leuchten wie ein starkes Feuer durch alle Aeußerungen des Herausgebers und erfüllen mit ihrem Glanze das ganze Werk. In der etwas langathmigen Vorrede, in der er die Gattung der Apophthegmen zu definiren, ihr Gebiet abzugrenzen sucht, und eine etwas verworrene Geschichte derselben bietet, erklärt er als den eigentlichen Zweck der Sammlung zu zeigen „daß die Teutschen keine Barbari seien noch stumme Leute die ihre Kunst und Geschicklichkeit nur allein in der Faust und in den Fingern haben, sondern daß sie auch einen Spitzkopf mit Rath und That, mit Worten und Werken beschlagen können“.

Die zahlreichen Ausgaben der Apophthegmen, denen J. L. Weidner 1653 bei Elzevier im Anschluß an einen Neudruck des Werkes, einen dritten Theil folgen ließ, haben die Volksthümlichkeit dieses oft citirten und ausgeschriebenen Werkes gesteigert, und es spricht für seine Lebenskraft, daß noch in unserem Jahrhundert eine nicht zu wissenschaftlichen Zwecken veranstaltete Auswahl aus den Apophthegmen erscheinen konnte.

In der Litteraturgeschichte aber hat sich Z. nicht durch dieses Unternehmen sondern durch seine erwähnte Publication der ersten Ausgabe der Opitzischen Gedichte seinen festen Platz gesichert. Diese Veröffentlichung bedeutet einen Wendepunkt in der Geschichte der deutschen Lyrik, weil alle theoretischen Bestrebungen, die langsam die Wandlung im Kunstschaffen vorbereiteten, hier ihren ersten deutlichen künstlerischen Ausdruck fanden. In Straßburg im J. 1624, als Z. bei Marescot als Dolmetsch angestellt war, hatte er die ihm von seinem Heidelberger Freunde Martin Opitz anvertrauten Manuscripte der „Teutschen Poemata vnd Aristarchus“ zum Druck befördert, und damit seinem eigenen Ziele, der in der Entwicklung begriffenen deutschen Dichtung neue Wege zu weisen, gedient. Dieses Werk ist das Ergebniß des geistig angeregten Verkehrs, den Opitz mit gleichstrebenden Freunden gepflegt hatte, die alle von dem gleichen patriotischen Streben erfüllt waren, den Deutschen eine deutsche Litteratur zu schaffen. Sie ist aus demselben Gedanken geboren, der die Apophthegmen und andere Sammlungen Zincgref’s gezeugt hat, nur daß die Dichtungen ihrer [311] Natur nach dauernde und tiefere Wirkungen ausüben mußten. Und das sprechendste Denkmal dieses Heidelberger Freundeskreises ist in den von Z. der Opitzedition beigedruckten „Auserlesenen Gedichten Deutscher Poeten“ enthalten, die er als ein „Muster vnnd Fürbild wornach sich der liebe Teutsche in seiner Teutschen Poeterei hinfüro etlicher massen zu regulieren“ habe, angesehen wissen wollte. Die Gährung in der sich die Lyrik damals befand ist deutlich erkennbar. Die „alte Welt“ kämpft mit den neuen Strömungen, und das Ringen von Volks- und Kunstdichtung findet in einer Mischung beider Elemente einen glücklichen Abschluß, einer Mischung, aus der im Verlaufe der Entwicklung allmählich das deutsche Gesellschaftslied entstand. – Zincgref’s eigene Dichtungen in dieser Auswahl, 22 an der Zahl, verrathen eine stärkere poetische Individualität, als sie uns etwa aus seinen lateinischen Jugendgedichten in der von J. L. Weidner herausgegebenen „Triga amicopoetica“ entgegentritt. Mit den schmucklosen Formen und der Anlehnung an das ältere volksthümliche Lied, wird geschickt der Apparat der gelehrten Renaissancelyrik verbunden, aber starke eigene Empfindung verleiht dieser Mischgattung den Charakter des Erlebten. Und so klingt es wie eine selbstgedichtete Devise auf Leben und Schaffen dieses schwergeprüften Mannes, wenn er die auserlesenen Gedichte mit den Faustischen Worten schließt:

„– – – wer nur frisch geht anhin,
Der hat den Sieg, und das Leben zum Gewinn“.

Schnorr von Carolsfeld, J. W. Zincgref’s Leben und Schriften. (Archiv f. Litteraturgesch. VIII, S. 1–58 u. 446–490.) – Reifferscheid, Quellen zur Geschichte des geistigen Lebens in Deutschland I. Heilbronn 1889. – Auserlesene Gedichte Deutscher Poeten gesammelt von J. W. Zincgref, 1624. Neudruck herausg. von W. Braune. Halle 1879. – Zacher, Die deutschen Sprichwörtersammlungen. Leipzig 1852.