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ADB:Zille, Moritz

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Artikel „Zille, Moritz“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 225–227, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zille,_Moritz&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 17:57 Uhr UTC)
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Zille: Moritz Alexander Z., Theolog, freimaurerischer Führer und religiöser Lyriker, wurde am 31. März 1814 in dem Oberlausitzer Orte Oberullersdorf bei Zittau als Sohn eines Oekonomieverwalters geboren. Neun Jahre alt kam er auf die Bürgerschule zu Bernstadt, seit 1825 auf das Gymnasium zu [226] Zittau und studirte 1833–36 in Leipzig lutherische Theologie, dazu, wie damals noch die meisten Berufsgenossen, Philologie und Philosophie. Nach Erlangung des Magistergrads, 1838, wurde er daselbst Nachmittagsprediger der Universitätskirche zu St. Pauli, 1845 dort ordinirt. In diesem Jahre, das die „deutsch-katholische“ und freireligiöse Bewegung auch in Sachsen mit politischen Klängen laut ihren Einzug erzwingen sah, trat Z. in die Oeffentlichkeit, als er an den sechs Särgen der am 12. August in den Leipziger antikatholischen Unruhen gefallenen „Brüder“ am 18. August die Einsegnungsrede auf dem Friedhofe halten mußte. Dieses Auftreten ist für das Urtheil über Zille’s religiöse und kirchliche Stellungnahme wesentlich: er nennt jene Todten „unschuldig“ und erhofft aus dem geflossenen Blute Versöhnung. Am 1. Januar 1846 übernahm er die Redaction der neuen „Allgemeinen Zeitung für Christenthum und Kirche. Unter Verantwortlichkeit der Verlagshandlung“ (zwei Mal wöchentlich). Als ein jedem, wenn auch nicht officiell-kirchlichen, so doch innerlich gläubigen Streben, freilich nur evangelischer Richtung, offenes Organ, weshalb sie für die Geschichte der unruhigen, oft maßlosen Gährungen jenes Lustrums wichtig ist, steuerte er sie durch die Stürme von 1848, obwol in dem erregten Leipzig immer mitten in der Bewegung, hindurch bis 1849. Mit diesem Jahre scheint sich seine entschieden kirchliche Entwicklung zu verlangsamen und gemach still zu stehen; deren litterarische Erzeugnisse wie „Harfenklänge. Geistliche Lieder“ (1844), „Palmenzweige. Anthologie religiöser Gedichte“ (1844) und „Der evangelische Christ am Reformationsfeste 1845“ liegen vorher, desgleichen die Dichtungen „Geschichten der christlichen Kirche“ (1841) und „Das Reich Gottes“, Gleichnisse in didactischen Dichtungen (1850), auch das fleißige und ungemein liebevolle Unternehmen „Die sämmtlichen Psalmen der heiligen Schrift; nach den Urtexten metrisch übersetzt“ (1844). Es folgte noch „Heiliger Geist und christlicher Glaube. Predigt“ (1855 u. 1865), der Vortrag „Benjamin Schmolck als geistlicher Liederdichter“, bei der Feier des 30jährigen Bestehens der historisch-theologischen Gesellschaft zu Leipzig, am 12. September 1844 gehalten und in der Zeitschr. f. d. histor. Theol. XV 1 (N. F. 9), 142–156, 1845 gedruckt, neben Hoffmann’s von Fallersleben Monographie ohne Wichtigkeit, die Gedichte „Bilder des Lebens in Gott“ (1860), endlich in der Sammlung „Trauerreden bei der Todtenfeier Robert Blum’s. Gehalten in den beiden Hauptkirchen zu Leipzig am 26. November 1848“ von Rauch (christkathol. Pfarrer), Flathe, Zille, Joseph, S. 9 die geistliche in der Thomaskirche, mit dem Thema „Ich sterbe für die Freiheit!“ Diese letztere Thatsache bekundet auch seine, des überzeugten Monarchisten, wennschon nicht eisern Conservativen Duldsamkeit in politischen Dingen, selbst während jener aufgeregten Zeitläufte. Nach 1850 trat er neben seinem geistlichen Amte als Lehrer an dem von Dr. Ernst Jul. Hauschild gegründeten „Modernen Gesammtgymnasium“ in Leipzig ein, welche Anstalt eine successive Ausbildung in alten und neuen Sprachen und damit Hand in Hand einen Ausgleich humanistischer und realistischer Erziehung, zugleich aber auch eine geistig-sittliche ohne Vernachlässigung des Körpers bezweckte. Im J. 1859 wurde Z. Director und Inhaber dieser Privatschule, die unter seiner Aegide kräftig emporblühte und einen ausgezeichneten Ruf erlangte. Nach seinem am 7. Februar 1872 erfolgten Tode allerdings konnte sie, die ganz an seiner klar bewußten, ausgesprochenen Persönlichkeit hing, unter seines Stellvertreters Dr. Kühn Leitung sich nur bis 1877 selbständig halten; alsdann wurde sie theils mit dem Teichmann’schen Institut (jetzt unter Dr. Frdr. Roth), theils mit Dr. Barth’s, nach Herbart- (T.) Ziller’s Ideen dirigirter Erziehungsschule vereinigt.

Ungeachtet aller unverhüllten positiven Gläubigkeit führte eine, an die alten [227] Pietisten gemahnende eigenthümliche verinnerlichte Frömmigkeit mit mystischem Anhauche Z. auf die Freimaurerei, ein gewisser popularphilosophischer Trieb nebst rationalistischer Anschauung auf kosmopolitische Gedanken; beide Regungen berührten sich in einer schönen, etwas empfindsamen Toleranz. Auf dieser fußte seine pädagogische Wirksamkeit in Theorie und Praxis unbedingt. Im schroffsten Gegensatze zu seinen strengreactionären Amtsbrüdern auf den Leipziger Predigtkanzeln fühlte er im Lutherthume weder Schranke noch gar Verbot z. B. für intimen Verkehr mit demokratischen und israelitischen Mitbürgern, falls sie seine Sinnes- und Verbindungsgenossen oder ihm sonst sympathisch waren. Wie seine Lehranstalt für diese Richtung Früchte säen sollte, deutet auch die Schrift „Weltbürgerthum und Schule“ (1862) an. Namentlich in der Freimaurerei hat er hohen Rang erklommen und in die Gestaltung der sächsischen Logen mit starker Hand eingegriffen; er hat längere Jahre als „Meister vom Stuhl“ gewaltet und die Loge mit vielen Ansprachen, poetischen Ergüssen und dauerhaften Liedern erfreut. Die beiden Hauptveröffentlichungen Zille’s sind da: „Sandkörner. Maurerische Aufsätze, Vorträge und Dichtungen. Von Br[uder] Moritz Zille. Handschrift für Brüder“ (Leipzig, 5854[!]): S. 1–142 Aufsätze und Vorträge (über allerlei Fragen der Maurerei, Theosophie, Toleranz, Humanität), S. 145–224 Dichtungen (theilweise maurerisch, doch meist allgemein humanen Inhalts, frommgläubig, durchaus deistisch, in der Auffassung von Jesus Christus wenig dogmatisch, sondern theosophisch, formell gewandt, im Gedanken ideal); „Spitzhammer und Kelle“, maurerische Abhandlungen, Vorträge, Gedichte u. s. w., aus dem Nachlasse herausgegeben von Herm. Schletter (1874). Z. eignete eine weiche gefühlvolle poetische Manier, getragen von analoger Diction. Schon sein litterarischer Erstling, das Bändchen „Gedichte“ (1840), erweist das, das pietätvolle Buch „Meister Friedrich. Ein Dichterleben“ (1860; 2. Aufl. 1862), eine Verherrlichung seines Lieblings Schiller – dem rührigen Leipziger Schillerverein war er eine Hauptstütze –, nicht minder. Eine ganz originelle, ihrerseits auch vorzüglich gelungene That leistete Z. mit dem, wol nicht in den Buchhandel gelangten Werke „Virgils Aeneide im Nibelungenversmaß übersetzt“ (Leipzig 1868, Druck von C. W. Vollrath), dessen 1863, 1864, 1865 hervorgetretene Proben lebhaften Beifall gefunden hatten. Er hatte sich in dieser äußerst mühsam und mit geschicktem Nachempfinden in fünfjähriger Hingabe durchgeführten Verdeutschung des von ihm sehr hochgestellten altrömischen Epos eine harte Aufgabe gestellt, die aber keineswegs seine Kräfte überstieg; wie weit er sich in Einzelfragen der Sache eingearbeitet hatte, lehren die beiden Anhänge über das, von ihm mit voller Absicht gewählte Metrum einer Virgilübertragung und über die bekannten abgebrochenen Hexameter der Aeneis.

Biographisches und bibliographisches Material über den gediegenen edlen Menschen ist nirgends gesammelt, außer, etwas lückenhaft, in Frz. Brümmer’s Lex. d. dtsch. Dicht. u. Pros. d. 19. Jhs.4 IV, 415 f. (sogar in Wilh. Haan’s ausführlichem „Sächsisch. Schriftsteller-Lexikon“ fehlt Z.), und die Freimaurer hätten wol die Ehrenpflicht, es für diesen Verkünder und Führer ihrer Tendenzen zu besorgen. Vorstehender Artikel war nur auf Grund zufälligen localen Zusammenhangs möglich. Die Schriften Zille’s sind heute wol bloß in Leipzig alle erhältlich. Die erwähnte 1845er Grabrede steht in Karl Krause’s damals oft aufgelegter Broschüre „Der 12., 13., 14. und 15. August 1845 in Leipzig“ (1845) S. 15–16. Freundliche bibliographische Auskünfte gab mir Prof. Dr. Ed. Zarncke, Universitätsbibliothekar in Leipzig.