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ADB:Zenker, Johann Christoph

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Artikel „Zenker, Johann Christoph“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 59–62, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zenker,_Johann_Christoph&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 22:22 Uhr UTC)
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Zenker: Johann Christoph Z., Gelegenheitslyriker, wurde am 30. April 1738 zu Gunzenhausen in Mittelfranken als Sohn und, mütterlicherseits Enkel brandenburgisch-ansbachischer Archidiakone geboren. Es war eine sehr fromme, unbedingt gläubige und streng sittliche Sphäre, in der er aufwuchs, dazu freilich recht einfache Verhältnisse. Die Grundlage seiner Verstandes- und Herzensbildung, desgleichen den ersten Antrieb, Verse zu schmieden, kaum im zehnten Lebensjahre stehend, verdankte er der Mutter: „eine große Liebhaberin der Dichtkunst und selbst gute Dichterin“. Ihre religiöse Unterweisung ermöglichte es, daß Z. im vierten Jahre in der Stadtkirche ein Stück des Katechismus öffentlich recitirte. Seitdem unterrichtete ihn der Vater in Religion, guter Sitte, Latein und Griechisch, worauf Z. die sog. deutsche, d. h. Volks-, und die Rectorats-, d. h. Lateinschule unter tüchtigen Lehrern bis ins 14. Jahr besuchte. Frühling 1752 bis Ostern 1756 genoß er auf dem Carolinum illustre, der Fürstenschule zu Ansbach, das beneficium alumnorum, woselbst er auch mathematische und des Hofraths Professor Christ öffentliche Vorlesungen über Pufendorf’s Natur- und Völkerrecht und Cicero’s Officia hörte. Er bezog danach die Universität Jena behufs Studiums der Theologie, pflegte aber auch hier bis 1757 nur philosophische (Daries), geschichtliche (Schmid) und mathematische (Succov) Collegien: „hiedurch bahnete ich mir den Weg, den theologischen Vorlesungen mit Nutzen beyzuwohnen“, worin ihn dann Professor Müller, der Glaubens- und Sittenlehre vortrug, am meisten gefördert hat, ihm ein unvergeßlicher Lehrer und Freund. Dieser ganze Bildungsgang interessirt uns nicht so sehr Zenker’s wegen, sondern an sich, für die Geschichte der höheren Pädagogik: die religiöse Belehrung des künftigen Theologen begann möglichst früh, im letzten Gymnasialstadium fand er Gelegenheit zum Betriebe anderer Wissenschaften und im ersten Theile der akademischen Studien mag sogar ausschließliche Beschäftigung mit Philosophie, Geschichte und Mathematik in ähnlicher Weise Brauch gewesen sein, wie bei den noch heute wie im damaligen Deutschland unqualificirt zur Hochschule übertretenden Engländern und wie bei den jetzigen bairischen Juristen in ihren „philosophischen“ Semestern; kannte man ja damals bei uns noch weniger als jetzt die unübersteiglichen Scheidewände der Facultätenjünger wie im Rußland der Gegenwart.

Schon ganz kurz nach der Heimkehr, die nach Ostern 1759 erfolgte, trat er als Vicar seines mütterlichen Onkels, Pfarrers in Schopfloch, ins geistliche Amt, wurde schon 1760 auf Antrag „der gesamten Stadt“ Nachfolger seines plötzlich früh verstorbenen Vaters, und damit begannen die materiellen Sorgen. Außer dem beschwerlichen Dienste und beständigem Katarrh belastete das „mehrentheils aus Accidentien bestehende Einkommen“ mit seiner Geringfügigkeit, und so ließ er sich im Sommer 1766 auf die Pfarrei zu Dornhausen versetzen. Um die dortige weitläufige, sehr heruntergekommene Oekonomie heben zu können, heirathete er am 24. November 1767 Marie Margarethe Recknagel aus seiner Vaterstadt, die ihm treue Gefährtin und Gehülfin auf den mancherlei rauhen Wegen ward. Besonders infolge von Mißwachs, Wetterschlägen und hohen Abgaben konnte er sich lange nicht aus den entstandenen Schulden loslösen, und seine äußeren Umstände spiegeln deutlich das kümmerliche Dasein eines evangelischen Pfarrherrn in dem stiefmütterlich von Natur, Geschichte und Dynasten behandelten südlichen Mittelfranken im traurigen dritten und vierten Fünftel des vorigen Jahrhunderts. 1774 gefährlich erkrankt, setzte er seine „Lebens-Geschichte“ auf, deren wahrheits- und gottesfreudige Ungeschminktheit Zenker’s Charakter zum Ausdruck bringt. Wider alles Erwarten genesen, lebte er noch ein volles Vierteljahrhundert, und starb, nach mehreren vergeblichen Bemühungen, seine Lage erträglich zu gestalten, durch Protection der Markgräfin [60] Friederike Caroline, für deren 1784er Einzug er einen „Jubelgesang“ lieferte, 1791 ins Decanat zu Gunzenhausen gelangt, am 13. September, nachdem er noch am 24. Juni seine Lebensskizze zu Ende geführt, 1799 als „Königl. Preußischer Dechant und Stadtpfarrer“ ebenda, nach langwieriger schmerzlicher Krankheit, deren Keim und Hauptverschlimmerung wol in seiner geradezu colossalen Leibesfülle (schon anfangs der Dreißig 380, später 400 Pfund!) lag, und bis ans Ende galt wol die herbe Klage von 1787: „Die Sorgen peitschen und plagen mich, wie höllische Furien, und lassen mir keine Ruhe weder Tag noch Nacht“.

So unerquicklich ein Blick in Zenker’s Lebenslauf und die äußern Bedingungen seiner Wirksamkeit bleibt, so freundlich muthet uns sein Wesen an, wenn wir einen Augenblick bei den Zeugnissen verweilen, die wir darüber mittelbar und unmittelbar besitzen. Er war eine ungemein friedfertige Natur, obzwar confessionell in den engsten Schranken und trotz aller Verehrung für die Dichter der sogen. moralistischen Aufklärung wie Gellert. So genoß er Liebe und Achtung der Behörden, Amtsbrüder, untergeordneten Geistlichkeit und Gemeindekinder, und die Lectüre der eignen Aufzeichnungen sowie derjenigen der Executoren seines litterarischen Nachlasses hinterläßt den Eindruck eines fast patriarchalischen Verhältnisses, obwol es Z. nur bis auf 61 Jahre brachte. Bezeichnend ist sein Bedauern schon als Zwanziger, die mäßigen Pfarreinkünfte hätten ihn seiner „Lieblings-Neigung gegen Arme und Nothleidende entsagen“ heißen.

Aus den mannichfachen Bedrängnissen durch Nothlage und Krankheit ist gewiß sein Steckenbleiben in dem gleichsam ererbten Culturniveau und in der Gelegenheitspoesie zu erklären. Denn es eigneten ihm ein starker Bildungstrieb und ein nicht alltägliches Verständniß für Wissen und Dichtkunst. Die alten Sprachen beherrschte er in Wort und Schrift und konnte ihre poetischen Hauptdenkmäler Homer, Vergil, Horaz, Ovid gutentheils auswendig. Dies großartige Gedächtniß ließ ihn auch „eine ungeheure Menge von kleinen Geschichten, Anekdoten, Sprüchwörtern und Versen“ behalten und stets parat haben, wenn sein Witz, Scharfsinn, gesellschaftliches Talent ihrer als Hilfs- und Schmuckmittel bedurften. Er war im deutschen Schriftthum des 18. Jahrhunderts allerdings, so scheint’s, nur soweit ordentlich bewandert, als es seiner ganzen Geistesrichtung und Weltanschauung entsprach. Sein Biograph Späth meint: „Gewiß gehörte er unter die seltenen Männer in seinem Amte, welche damals, als sich unsere Sprache durch die Bemühungen eines Gellerts, Gesners, Cramers, Klopstoks u. a. mehr auszubilden anfieng, dieselbe gut schreiben und sprechen lernten“. Birlinger setzt mit Späth übrigens hierzu selbst die prägnante Charakteristik eines „gewissen Guillaume Anfrie de Chaulieu“ durch den bekannten Aesthetiker Sulzer hinzu: „Dieser Dichter war kein Schriftsteller von Profession, sondern ein Mann von Welt“, vergißt dabei Zenker’s lebenslängliche man möchte sagen Kasernirung in arg kleinbürgerlicher, fast bäuerlicher Umgebung, seinen mittelfränkischen Horizont, den der Sturm und Drang draußen in Politik, Civilisation und socialer Evolution nicht streifte. Durch Späth’s These, bei Z. würde, falls ihm das Schicksal durch Abwesenheit drückender Sorgen ermöglicht hätte, „das Studium seiner Mutter-Sprache fortzusetzen“, „seine Schreib-Art sicherlich noch mehr Feinheit, sein Styl noch mehr Correctheit, seine Gliedersätze noch mehr Rundung und Glätte erhalten haben“, wird Birlinger zu der Annahme verführt: Z. „trieb energisch Deutsch.“ Größeren Fleiß verwendet und breitere Belesenheit erworben hat er jedoch nur in der Kanzelberedsamkeit, was mit seiner Peinlichkeit, Predigt und geistliche Gelegenheitssprache würdig vorzubereiten, zusammenhing.

[61] Schon als Student schrieb Z. nette Versbriefe nach Hause und seitdem citirte er die Muse unter dem Zeichen der Gelegenheitsdichtung oftmals herbei. Wer ihm dabei als sprachliche, stilistische und gedankliche Muster galt, begreift sich aus seinen allgemeinen Sympathien leicht: Rost „der Idrisdichter“, Hölty, der damals vielgepriesene Gellert (auch dessen Lustspiele), Hagedorn, Cronegk aus Ansbach, also Zenker’s engster Landsmann wie Uz – den er 1796 durch ein lateinisches Nekrolog-Distichon als deutschen Horaz und Petrarca feierte –, Voß’ Luise (schon 1778), Gleim’s Grenadierlieder, J. A. Cramer, seltsamerweise auch Bürger’s verfehmte „Europa“ und der verketzerte Wieland, von Ausländern wol nur Anakreon, sicher indirect, und Racine, der in den Gebilden genannt, die Z. bei den verschiedensten Anlässen im näheren und weiteren Bekanntenkreise seiner Leyer entlockte. Allen voran weihte er aber Lob und Lied dem Classiker der nüchternen Philisterpoesie Mathias Claudius: wiederholt erscheinen die Apostrophen „du guter Asmus, du“ und „Mein Asmus“, etliche Mottos, einmal ein längeres Gedicht bei Abonnementsbezahlung für den „Wandsbeker Boten“. Birlinger’s Epitheton „ein warmer patriotischer Dichter“ kann nur die unmotivirten Lobhudeleien auf den neuen Landesherrn, den unbedeutenden König Friedrich Wilhelm II., u. ä. meinen. Glatt, geschickt, in der Auswahl passender Züge findig, nicht allzu stereotyp bei den unvermeidlichen Exaltationen über die betroffenen Personen, so kommen dem nachgeborenen Beurtheiler die Gelegenheitspoeme vor, die bezeichnenderweise zur starken Hälfte „Todtengesänge“ sind und mit ihren Mängeln aus dem Rahmen ihrer Gattung keineswegs herausfallen. Außer diesen Leichengedichten, den vielen Beispielen seiner Fertigkeit im Hochzeitscarmen u. ä. begegnen uns einige nicht üble Sinngedichte, ein paar Fabeln („Der todte Geyer“, „Der Hase“), mehrere Episteln üblichen Schlags. An Prosa lesen wir noch von ihm zwei Grab- und drei Trauerreden, ohne Schwulst und unangebrachte Ekstase, würdig und klar, ferner jenen autobiographischen Abriß. Die Editoren dachten sich die Sammlung der Gedichte als Andenken für Freunde, Gönner, Verwandte, Verehrer, nicht „dem gelehrten Publicum, nicht den Richterstühlen der Kritik“ dargeboten.

All das ist gesammelt in den drei Lieferungen „Johann Christoph Zenkers, gewesenen Königl. Preußischen Dechants und Stadtpfarrers zu Gunzenhausen, zerstreute Gedichte und prosaische Schriften, nebst der Lebensgeschichte des Verewigten, gesammelt und für Gönner, Freunde und Bekannte herausgegeben von Johann Friedrich Zenker, Königl. Preußl.[!] Pfarrer zu Emetzheim. Weissenburg [am Sand], gedruckt mit Meyerischen Schriften. 1802“ (XLVI[+II] + 216, VI + 231, IV[VII] + 163 + 24 [26] Seiten); Exemplare z. B. auf der Universitätsbibliothek zu München und der Königl. Bibliothek zu Berlin. Der Herausgeber Zenker ist des Verfassers Bruder, dem er kurz vor dem Tode nach langem Drängen versprochen, alle seine gedruckten und ungedruckten Poesien, obwol größtentheils „Gelegenheitsgedichte“, „nochmals mit kritischem Auge durchzusehen, und die letzte Hand daran zu legen“. Die Hauptlast der Sammlung und Drucklegung ruhte jedoch auf den Schultern eines Verwandten, des Pfarrers Späth zu Wachstein, der auch Zenker’s eigene Lebensskizze mit übertriebenem Panegyrikus ergänzt und eine ähnlich gehaltene Vorrede beigefügt hatte. Ein Porträt Zenker’s mit Geburts- und Todesdatum steht vor der 3. (Prosa-)Liefg. Schaut man die Subscribentenliste an, die dem 1. (bez. 3.) Theile vorgeheftet ist, so muß man Birlinger beistimmen: „als Abonnenten figurirte die ganze Blüthe der Gelehrsamkeit und Intelligenz der ostfränkischen Lande ehemals preußischer, heute bayerischer und wirtembergischer Oberhoheit“, und man darf getrost danach das Ansehen und die nicht bloß persönliche Werthschätzung des Dichters Joh. Chr. Zenker bemessen. Anton Birlinger, „Der preußisch-fränkische [62] Dichter Johann Christoph Zenker“, in O. Sievers’ „Akademischen Blättern. Beiträge zur Litteratur-Wissenschaft“ (1884) S. 493–501, hat zuerst auf Z. hingewiesen und eine knappe Auslese seiner Poesien, mit Accent auf deren Stoffen, geboten (S. 493 der Lapsus, Z. sei seit 1791 „Lehrer“ in Gunzenhausen gewesen).